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Eilftes Kapitel.
Huttens Krankheit und die Guaiak-Cur.

(1508-)1518.

Schon zu wiederholten Malen ist in unserer Erzählung von der Krankheit die Rede gewesen, welche den Helden derselben beinahe von seinem ersten Hervortreten an, unter allerlei Wechsel von Linderung und neuem Ausbruch, bis hieher verfolgte, wo er endlich durch eine Radicalcur mit derselben fertig zu werden hoffte, und dem Mittel, das ihm soweit geholfen, in einer eigenen Schrift ein Denkmal setzte, in welcher er zugleich eine Geschichte seiner Krankheit gab. De Guaiaci medicina et morbo Gallico liber unus. Schriften V, S. 397-497. Eben aus diesem Grunde haben wir ein genaueres Eingehen auf den Gegenstand bis zu dieser Stelle aufgespart.

Bekanntlich war es die venerische Krankheit, an welcher Ulrich Hutten bereits seit beiläufig 10 Jahren litt. Die Dauer der Krankheit betreffend vgl. De Guaiac. med. c. 4, a. a. O. S. 409 §. 11 mit Querei. I, 1, v. 31-34, Schriften III, S. 22. Darnach fiele ihr Anfang in das Jahr 1508 oder 9, wo Hutten in Leipzig oder auch schon auf seiner Reise nach dem Norden begriffen war. Ein Leiden, das, wie es ihn körperlich zu Grunde gerichtet hat, so von den Gegnern seiner Bestrebungen benutzt worden ist, ihn wo möglich auch moralisch zu vernichten. Besonders die katholische Polemik, von Rainaldi bis auf Weislinger, und von diesem bis auf die Ultramontanen unserer Tage herab, hat diesen Umstand mit Vorliebe ausgebeutet. Ihr gegenüber haben sich Hutten's Verehrer in der Regel hinter die Möglichkeit zurückgezogen, daß man zu jener Zeit, als das Uebel noch in der ganzen Heftigkeit seines ersten Ausbruchs wüthete, wie z. B. Herder sich ausdrückt, »sehr unschuldig dazu kommen konnte«; daß aber Hutten wirklich so dazu gekommen sei, aus der Offenherzigkeit gefolgert, womit er überall von der Sache rede. Wir lassen, um uns nicht befangen zu machen, den moralischen Gesichtspunkt einstweilen ganz aus dem Spiele, und sehen vorerst nur zu, was sich über die Art, wie Hutten zu der Krankheit gekommen, aus seinen Schriften entnehmen läßt.

Eine ausdrückliche Angabe über diesen Punkt suchen wir darin vergebens. Die früheste Schrift, in welcher Hutten seiner Krankheit gedenkt, die Klagen gegen die Lötze, geben nur Dauer und Symptome, nichts über die Entstehungsart. Darüber gehen auch die gelegentlichen Aeußerungen in spätern Briefen und Gedichten nicht hinaus. Wenn Hutten in einem Briefe an Fachus von seinem Hinken (einer Folge der in Rede stehenden Krankheit) sagt, er wisse nicht, solle er es dem Unglück, oder der Tollkühnheit zuschreiben, mit der er sich im zarten Alter zu wenig geschont habe S. oben S. 67 f.; wenn er an Pirckheimer schreibt, nicht durch unmäßiges Leben, wie seine näheren Bekannten wissen, sondern durch Studium und Reisen, wobei er von Frost und Hitze, Ermüdung, Hunger und Durst, gar zu oft und heftig gelitten, habe er sich (nun sagt er aber nicht: jene Krankheit, die er ja davon auch nicht wohl ableiten konnte, sondern:) seine Kränklichkeit, näher eine Magen- und allgemeine Körperschwäche, zugezogen; wozu noch der übermäßige Blutverlust aus seinen Wunden gekommen sei, der seine Kräfte erschöpft und sein Aussehen bleich gemacht habe Schriften I, S. 206.: so ist hier immer nur von solchen Uebeln die Rede, die sich zu seinem Hauptübel gesellten, oder von Ursachen, die dasselbe und seine Folgen verschlimmerten, von seiner Entstehung erfahren wir nichts.

In der Schrift über das Guaiak aber, wo Hutten die Geschichte des ersten Auftretens und Umsichgreifens der Franzosenkrankheit in Europa gibt, grenzt er das erste Stadium, während dessen die Seuche epidemisch gewesen und auch ohne Contagium entstanden sei, beiläufig mit dem siebenten Jahre seit ihrem Erscheinen, also mit d. J. 1500 ab; seitdem, sagt er, sei es glaublich, daß sie keiner mehr anders als durch Contagium, und zwar vorzugsweise durch den Beischlaf, bekomme C. 1. A. a. O. S. 402 f.: in dieses letztere Stadium fällt aber seine eigene Ansteckung. Freilich darf man sich aber nur an die Unreinlichkeit jener Zeit erinnern, und von den Hofbetten, die Hutten in seiner Aula beschreibt, den Schluß auf die Lagerstätten in den elenden Herbergen machen, in denen er auf seinen Reisen so oft zu übernachten hatte, um allerdings ein ansteckendes Contagium, auch ohne jene specifische Veranlassung, in diesem zweiten Stadium der Krankheit noch sehr möglich zu finden. Wie leicht war es für Hutten, mit einem einzigen Worte auf eine solche Entstehung seines Uebels hinzuweisen: aber nirgends hat er es gethan.

Nun darf man aber hieraus auch wieder nicht zu eilig schließen, daß er sich also einer andern, minder unschuldigen, Ursache seiner Krankheit müsse bewußt gewesen sein. In unserer Zeit würde, wer kundbar an diesem Uebel litte, und sich bewußt wäre, auf jenem unverfänglichen Wege dazu gekommen zu sein, dieß gewiß nicht verschweigen: aber in unserer Zeit würde auch Niemand, wie Hutten, seine Beobachtungen über die Lustseuche und deren Heilung einem Erzbischof mit der naiven Wendung zueignen, er wünsche nicht, daß der hochwürdige Herr sie jemals selbst nöthig haben möge, das wolle Christus der Heiland verhüten! aber an seinem Hofe können sie vielleicht gute Dienste leisten Am Schlusse der Schrift, S. 496.; Niemand würde heut zu Tage, wie abermals Hutten, ohne Noth von seinem noch lebenden Vater drucken lassen, daß auch er an diesem Uebel gelitten habe. Ebendas., c. 3 und 12. S. 407. 438. Daraus geht hervor, was Kennern jener Zeit und ihrer Literatur ohnehin bekannt ist, daß diese Krankheit überhaupt damals noch anders angesehen, daß die besondere Schande, wie jetzt, noch nicht mit derselben verbunden war; wenn dieß aber zu einer Zeit der Fall war, wo man bereits wußte, daß sie sich in der Regel nur noch durch geschlechtliche Berührung, begreiflicherweise vornehmlich die vage, fortpflanzte, so folgt, daß man auch von dieser letzteren selbst damals anders, als heute bei verfeinerten Sitten, gedacht haben muß.

Das ganze Mittelalter war, wie bekannt, in diesem Stücke weit weniger streng, als man von seiner religiösen Weltanschauung erwarten sollte. Man denke nur an die breite und unbefangene Rolle, welche in der Gesetzgebung und Literatur jener Zeit die gemeinen Frauenhäuser spielen. Schon der erzwungene Cölibat der Geistlichen nährte, gerade in den gebildetern Kreisen, eine laxe, um nicht zu sagen frivole Denkart über solche Dinge. Im fünfzehnten Jahrhundert kam nun in eben diesen Kreisen, durch das erneuerte Studium der Alten, deren naturalistische Lebensanschauung hinzu. Was bis dahin für eine läßliche Sünde gegolten hatte, die sich durch Beichte und eine leichte Buße abthun ließ, das erschien jetzt als etwas Natürliches, wobei es auf die nähern Umstände ankam, ob es überhaupt zu schelten sei. Daher drücken sich die Humanisten jener Tage über Verhältnisse und Vergehungen dieser Art in einer Weise aus, in die wir uns kaum finden können. Der würdige Mutian erscheint uns in solchen Stellen seiner Briefe gar zu cynisch, und Albrecht Dürer's Scherze über Wilibald Pirckheimer's zahlreiche Buhlschaften gar zu plump. Daher, als nun jene Krankheit auftrat, erschien, von ihr befallen zu werden, gerade in diesen Bildungskreisen am wenigsten als ein Schandfleck, den man zu verstecken, sondern als ein Unfall, über den man so laut wie über jeden andern zu klagen das Recht hätte. Als im Jahr 1523 Luther bedenklich kränkelte und die ulmer Mönche bereits über seinen Tod jubelten, ließ ihm der dortige Arzt Wolfgang Rychard, der in Luther einen andern Elias verehrte, durch einen Freund in Wittenberg ärztliche Rathschläge ertheilen, worin auch auf den Fall Bedacht genommen war, daß das malum Franciæ mit unterlaufe.

Fällt aber hienach der Schluß dahin, daß Hutten, wenn er sich bewußt war, »unschuldig« zu seinem Uebel gekommen zu sein, dieß zu seiner Ehrenrettung nothwendig auch gesagt haben müßte: so läßt sich doch auf der andern Seite, Hutten als Sohn seiner Zeit und ihrer Denkweise betrachtet, auch nicht mehr von vornherein wahrscheinlich finden, daß er sich aller derjenigen Berührungen enthalten haben werde, wobei auf dem gemeinen Wege zu jenem Uebel zu gelangen war. Auch was wir Persönliches von ihm wissen, führt nicht auf eine solche Wahrscheinlichkeit. Seine Schriften zwar zeigen sich, wenn wir seinen Antheil an den Dunkelmännerbriefen abrechnen, wo aber Schmutz und Zoten durch den satirischen Zweck gefordert waren, merkwürdig rein, und insbesondere seine Briefe unterscheiden sich hierin vortheilhaft von manchen andern Briefwechseln jener Zeit. Aber man bedenke sein Naturell und seinen Lebensgang. Mit einem raschen, feurigen Temperamente trat er aus klösterlichem Zwang im 17. Jahr in das abenteuernde Leben eines fahrenden Schülers über, das ihn zuletzt sogar in das Lager geworbener Soldtruppen führte. Wenn später Erasmus, mit Berufung auf alle, die Hutten genauer gekannt, von seinem, gelind ausgedrückt, soldatischen Wandel, seinem Hange zu Verschwendung, Spiel und Dirnen, von Ausschweifungen sprach, die selbst seine elende Krankheit ihm nicht habe abgewöhnen können An Luther, Hutten's Schriften II, S. 409. An Botzheim, ebendas., S. 396.: so werden wir zwar nicht vergessen, daß das die Nachrede eines Feindes ist, der damals durch einen Angriff Hutten's (von dem an seiner Stelle die Rede werden wird) aufs Aeußerste gereizt war. Aber Erasmus spricht davon öffentlich so als von etwas Notorischem, wie er schwerlich wagen konnte, wenn, bei aller Uebertreibung vielleicht, nicht doch etwas an der Sache war. Und eine starke Neigung zum sinnlichen Liebesgenusse, die nur durch seine Kränklichkeit in Schranken gehalten sei, bekennt Hutten, wenn auch in scherzhafter Form, selbst. Febris secunda, Schriften IV, S. 135. In meiner Uebersetzung der Hutten'schen Gespräche S. 86 f. Halb scherzhaft mag es auch gewesen sein, wenn der selbst nicht sittenstrenge Pirckheimer ihn während seiner Guaiak-Cur ermahnte, sich der Liebeswerke zu enthalten: aber Hutten beruft sich dagegen auch nur auf seine Erschöpfung durch die strenge Diät bei dieser Cur, um dem Freunde jeden Verdacht solcher Art zu benehmen. In dem Sendschreiben an Pirckheimer, Schriften I, S. 212. Auch der incertus amor, von dem er in dem Jugendgedicht an Trebelius spricht, muß uns hier einfallen. Schriften I, S. 8, v. 11.

Doch man mag auf diese Aussagen und Anzeichen so wenig Gewicht legen als man will: man erinnere sich nur, was man müßte erweisen können. Man müßte, wie schon gesagt, als überwiegend wahrscheinlich erweisen können, daß Hutten von Jugend auf sich aller der Berührungen enthalten habe, die auf dem gewöhnlichen Wege Ansteckung herbeiführen konnten. Getraut man sich nicht, dieß zu erweisen, so wird es dann aber für die moralische Beurtheilung ganz unerheblich, ob er nun bei einer solchen Gelegenheit von dem Uebel betroffen worden, oder hiebei zwar zufällig frei ausgegangen, dafür aber ein andermal »unschuldig« dazu gekommen ist.

Jedenfalls indessen hatte er den Jugendfehler, dessen wir ihn schuldig achten, in einem Grade zu büßen, welcher selbst des unerbittlichsten Sittenrichters Strenge in Mitleid verwandeln muß. Die Krankheit, wie schon erwähnt, war damals zwar nicht mehr in ihrem ersten, doch immer noch in einem Stadium, dessen furchtbare Symptome über ihre heutige Erscheinungsform weit hinausgingen; während die Arzneikunst ihrerseits noch im unsichern Tappen nach der rechten Behandlungsart begriffen war. Man weiß daher nicht, was schrecklicher ist, die Beschreibung, die uns Hutten von seinem Zustande, oder die er uns von den Quälereien macht, welche von unverständigen Aerzten als Curen über ihn verhängt wurden. Die Schäden, an denen er litt, waren theils offene, fließende Geschwüre, theils geschlossene Anschwellungen und knochenartige Verhärtungen, endlich Schwinden des Fleisches und Lockerung der Bänder an einzelnen Körpertheilen; Stehen, Gehen, Armaufheben und Drehen des Kopfes war erschwert; zeitenweise trat ein Zittern aller Glieder ein; die Geschwüre und Verhärtungen waren zum Theil unleidlich schmerzhaft; die Ausflüsse so ekelhaft und übelriechend, daß der Kranke nicht allein Andern, sondern auch sich selbst, zur Last und zum Abscheu war. Kein Wunder, daß Kurfürst Albrecht äußerte, er könnte Hutten wohl gebrauchen, wenn er nur in bessern Gesundheitsumständen wäre. Kein Wunder aber auch, daß dieser es hoch anschlug, wenn einer, wie sein Verwandter, der augsburger Domherr Johann von Wirsberg, durch den Dunstkreis seines luftdicht verschlossenen Krankenzimmers sich nicht abhalten ließ, stundenlang bei ihm zu sitzen und ihn durch Gespräch und Erzählungen aufzuheitern. Früher hatte ein anderer Freund, als er Hutten's gräßlichen und wie es schien hoffnungslosen Zustand sah, ihm geradezu den Rath gegeben, sich umzubringen. Und diese Schäden und Leiden hatte bisher Hutten nicht etwa ruhig abwarten können, sondern sie auf seinen Reisen von Greifswald bis Rom, von Wien und Olmütz bis Mainz und Paris mit sich herumgeschleppt. Es fehlte ihm an Ruhe, fehlte ihm, da er noch dazu meistens von Mitteln entblößt war, an Pflege, und er war nicht selten genöthigt, in Ermangelung von Aerzten, die freilich ihrer Mehrzahl nach auch wenig Hülfe brachten, sich Pfuschern und Quacksalbern anzuvertrauen. Alles Mögliche war im Laufe dieser zehn Jahre an ihm versucht worden: Bäder und Tränke, Bähungen und Aetzmittel jeder Art. Die gräuliche Schmiercur, die den mit Salzen, Pulvern und Oelen aller Art eingeriebenen Kranken 20-30 Tage lang in Betten gewickelt im glühendheißen Zimmer hielt, diese schreckliche Cur, die manchem das Leben, andern den Verstand gekostet, hat er in verschiedenen Formen eilfmal durchgemacht. Alle diese Mittel und Curen aber hatten im besten Falle palliativ gewirkt. Eine Radicalcur hoffte der Kranke von dem Guaiakholze, zu dessen Gebrauch ihm sein Freund Stromer, der Leibarzt seines Fürsten, gerathen hatte.

Die Cur war einerseits eine Hungercur, andererseits wurde das Decoct von den Spänen des Guaiakholzes getrunken, während der Kranke in einem mäßig geheizten, dem Zutritte der Luft möglichst verschlossenen Zimmer, einen Theil des Tages im Bette, sich aufhielt. Die offenen Schäden wurden dabei mit einer Salbe von Bleiweiß, oder auch nur von dem Schaume des Guaiakdecocts, behandelt. Nach 40 Tagen durfte Hutten wieder ausgehen; doch stand es noch einmal 40 Tage an, bis der Schaden an seinem Schienbein ganz zugeheilt war. Nun aber fühlte er sich auch wie neugeboren, die geschwundenen Kräfte stellten sich wieder ein, und er scherzte bald darauf über sein Fettwerden. Von dem Holze, dem er seine Rettung zu verdanken glaubte, spricht er als von einer göttlichen Wohlthat, einer vom Himmel herab gebotenen Hülfe, mit einer Art von religiöser Verehrung, und er hielt es gewissermaßen für Pflicht der Dankbarkeit, es durch eine Schrift zu verherrlichen und der leidenden Menschheit bekannt zu machen.

Ueber das Guaiakholz als vermeintliches Specificum gegen die Lustseuche hatte schon das Jahr vorher der Professor und kaiserliche Physicus Nikolaus Poll einen Tractat verfaßt, und denselben dem Cardinal von Gurk, Matthäus Lang, gewidmet, der um die Erforschung und Bekanntmachung des von den Spaniern auf St. Domingo gefundenen Heilmittels ein besonderes Verdienst in Anspruch nahm. Jetzt forderte Poll's College, der getaufte Jude Paul Ricius, Hutten auf, dem Guaiak seine Feder zu widmen, und seine Schrift gleichfalls jenem Cardinale zuzueignen. Zum Ersteren war Hutten schon von selbst geneigt; aber die letztere Aufforderung empörte sein ganzes Selbstgefühl, da er dem stolzen Kirchenfürsten die geringschätzige Behandlung nicht verzeihen konnte, die er vor 6 Jahren in Bologna von demselben hatte erfahren müssen. S. oben, S. 69. Hutten begann seine Schrift nach Beendigung seiner Cur in Augsburg im Herbst 1518, und vollendete sie mit einer Zueignung an seinen Kurfürsten um Neujahr 1519.

Die Schrift handelt in 26 Kapiteln sehr methodisch und in ausgezeichnetem Latein von dem Ursprung, den muthmaßlichen Ursachen und den Symptomen der Lustseuche; den bisher, und insbesondere auch von Hutten selbst, gegen sie gebrauchten Mitteln; kommt sofort auf das neue Specificum, das Guaiakholz, seine Auffindung, Natur und Zubereitung, zu reden; gibt hierauf von der mittelst desselben vorzunehmenden Cur, mit allem was dabei zu beobachten und zu vermeiden ist, eine umständliche Darstellung; hier theilt Hutten auch von seinem eigenen Krankheitszustande, den jenes Mittel gehoben, eine genaue Beschreibung mit; worauf Verhaltungsregeln für die Genesenen den Schluß machen. Merkwürdig ist hiebei, zu sehen, wie Hutten, dessen Prosa sich uns bisher nur im Sturmlaufe der rednerischen Declamation, oder in dem raschen Wechselspiele des Dialogs gezeigt hat, auch den gemessenen Schritt der didaktischen Darstellung sich so vollkommen anzueignen verstand, als hätte er von jeher in diesem Felde gearbeitet.

Nur an Einer Stelle thut er sich auch in dieser Schrift als Redner gütlich: wo er nämlich, aus Gelegenheit der zur Guaiak-Cur erforderlichen strengen Diät, auf den Luxus zu sprechen kommt, der zu jener Zeit in Deutschland herrschend geworden war. Diesem Gegenstande widmet er ein eigenes, und zwar das umfangreichste Kapitel seiner Schrift. Cap. 19. Contra luxum parsimoniæ laus. S. 457-470. Er beginnt mit dem Wunsche, den wir schon kennen, daß unsere Nation sich endlich selbst erkennen möge, d. h. dießmal einsehen, wie wenig sich solche Völlerei für das weltherrschende Volk gezieme. Die Vorfahren, die uns diesen Rang erkämpft haben, welchen die übrigen Völker uns nur noch zum Hohne lassen, haben ein anderes Leben geführt. Zunächst wird hier gegen das Laster der Trunkenheit losgezogen; doch noch weniger entschuldbar der Luxus in Speise und Anzug gefunden, der jetzt einreiße, der Hang zu ausländischen Gewürzen, Wohlgerüchen und Kleiderstoffen, welcher die Deutschen zugleich entnerve und arm mache. »Den ächten alten Deutschen diente nach Plinius, wie noch jetzt vielen, Haberbrei zur Nahrung. Wir hingegen speisen überseeische Bissen, die wir für so unentbehrlich halten, daß es bei unsern Hausvätern Grundsatz geworden ist, was hier wächst zu verkaufen, um jenes Fremde einzuhandeln. Nichts Anderes hat die Fugger so reich gemacht, welche, während wir unseres Leibes pflegen, allein in Deutschland Geld und kostbare Häuser besitzen. Denn so sehr sind diese Diener unserer Lust emporgekommen, daß ihr Vermögen für größer als das eines jeden von unsern Fürsten geschätzt wird.« So bringt denn Hutten dem Safran und der Seide ein förmliches Pereat, und wünscht allen denen das Podagra und die Franzosen, die nicht ohne Pfeffer sein können. Kernsprüche und Beispiele aus der alten Welt, von Sokrates und Diogenes, Cato und Hannibal, aus der neuern das seines Großvaters Lorenz, werden beigebracht; einmal, wo es gegen die Geistlichen als die Heerführer der Ueppigkeit geht, auch etliche Bibelsprüche ins Feld geführt.

Den eigentlichen Gegenstand seiner Schrift anlangend, bescheidet sich Hutten, dasjenige zu geben, was er als gebildeter Nichtmediciner allein geben konnte: nämlich, außer dem Geschichtlichen, seine eigenen Erfahrungen in Bezug auf die Krankheit und Cur, mit gelegentlichen Seitenblicken auf das, was er an andern beobachtet hatte. Bei der Ausarbeitung war ihm, da Stromer nach dem Schlusse des Reichstags mit dem erzbischöflichen Hofe nach Sachsen gegangen war, der zweite Leibarzt, Gregor Coppus, in einigem behülflich, der auch die Handschrift vor dem Drucke durchsah. Gedruckt wurde sie zu Mainz, als Hutten bereits zum würtembergischen Feldzuge sich aufgemacht hatte; weßhalb der gelehrte Factor der Schöffer'schen Druckerei, Wolfgang Angst, Ursache fand, wegen der vielen Druckfehler um Entschuldigung zu bitten. Die Schrift fand schnelle und weite Verbreitung, wurde ins Deutsche (von Thomas Murner), Englische und Französische übersetzt, und behauptet noch heute in der Geschichte der Seuchen und der Heilkunde ihren Platz.

Indem wir nun aber, dem Leser und uns selbst zu Gefallen, die nähere Erörterung von Hutten's Krankheitsumständen bis zu dieser Stelle verschoben haben, müssen wir uns eines Unrechts gegen unsern Helden schuldig bekennen. Wir haben ihm nämlich damit bisher die Anerkennung unterschlagen, die, neben der Bewunderung seiner Schriften als solcher, der Geistesstärke gebührt, welche dazu gehörte, um während eines so schrecklichen, langwierigen und hoffnungslosen Siechthums Werke hervorzubringen, an denen nichts matt, alles Gesundheit, Frische und Leben ist. Auch während seiner Guaiak-Cur ließ sich Hutten vom Studium, ja von eigenen Ausarbeitungen, wie das ausführliche Sendschreiben an Pirckheimer, durch das Verbot der Aerzte nicht abhalten, die nicht wußten, daß dergleichen für ihn nicht Anstrengung, sondern Vergnügen war. Das Gedicht an Christoph Hacus, dessen Besuch den Kranken auf Stunden gesund und heiter machte (mit wenigen seiner italienischen Epigramme in einem jener Maße geschrieben, deren Vorbilder nicht aus Virgil und Ovid, sondern aus Horaz und Catull genommen waren), scheint der letzten Zeit in Mainz, vor dem Anfang der Cur in Augsburg, anzugehören. Ad Christophorum Hacum. Schriften I, S. 239.

Noch waren die Schäden an seinem Schienbeine nicht vollständig zugeheilt, als Hutten im strengen Winter (November oder December 1518) von Augsburg nach Steckelberg reiste, um seine damals noch lebenden Eltern zu besuchen. De Gruaiac. c. 8., S. 424. Hier, auf der Burg seiner Väter, holte er jedesmal freier Athem; die Rücksichten, deren er zwar auch sonst nicht viele zu nehmen pflegte, fielen da vollends hinweg. Daß seine Türkenrede im Drucke durch die Aengstlichkeit seiner im kaiserlichen Dienste stehenden Freunde verstümmelt worden war, und zwar gerade diejenigen Theile verloren hatte, auf die er am meisten Gewicht legte, war ihm schon auf seinem Krankenzimmer zu Augsburg, als er sie an Pirckheimer schickte, empfindlich gewesen. Lebhaft hatte er die Collision gefühlt, daß er, wenn er Amt und Versorgung haben wolle, die Pflicht des Patrioten, ungescheut die Wahrheit zu sagen, nicht erfüllen dürfe. Jetzt in der freien Luft seiner heimischen Berge hielt er das nicht mehr aus. Er entschloß sich, seine Rede vollständig drucken zu lassen, und gab ihr eine Zuschrift an alle freien und wahren Deutschen mit. Vgl. oben, S. 232 f. Die neue Ausgabe mit dem Zusatz auf dem Titel: Insunt quæ priori editione exempta erant. Die Zuschrift: Liberis omnibus ac vere Germanis, Schriften I, S. 240-242.

Wohlmeinende Freunde, sagt er hier, haben ihn gewarnt, seine Türkenrede drucken zu lassen, aus Furcht, einige allzu freimüthige Stellen gegen den römischen Hof könnten ihm Gefahr bringen. Er habe ihren Mahnungen und Bitten sich gefügt, und seinen Eifer zurückgehalten: ungern schon damals,' und nun sei es ihm nicht länger möglich. Es scheine ihm unedel, aus Furcht vor persönlicher Gefahr dem Vaterlande seinen Dienst zu entziehen. Und zudem könne er in der Sache nicht einmal Gefahr entdecken. Seine Rede bediene sich nur einer rechtmäßigen und nothwendigen, keiner muthwilligen Freiheit, und von Leo X. versehe er sich nur des Besten; abgesehen davon, daß er ja mit demselben in der Aufforderung zum Türkenkrieg übereinstimme. Doch, sollte ihm auch Gefahr drohen, so verläßt sich Hutten auf den Beistand seiner Deutschen, für die er sich derselben unterzogen hat. Und selbst die Feinde und Unterdrücker Deutschlands sollten in ihrem eigenen Interesse sich hüten, die Sache zum Aeußersten zu treiben. »In der That (mit diesen Worten, welche die Reaction aller Zeiten sich sollte gesagt sein lassen, aber freilich keine sich gesagt sein läßt, schließt Hutten sein Sendschreiben), wenn es einen gibt, welcher die deutsche Freiheit so vernichtet wünscht, daß wir gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede thun dürfen, der möge zusehen, daß nicht jene so geknebelte und fast erwürgte Freiheit einmal, zu der Unterdrücker größtem Schaden, plötzlich ausbreche und sich wiederherstelle. Wie viel klüger wäre es, verständig angesehen, wie viel gerathener selbst von dem Standpunkt unserer Unterdrücker aus, ihr immer noch etwas Athem zu lassen und sie nicht gar zu eng zusammenzupressen, als es dahin zu treiben, daß sie im Gefühl der drohenden Erstickung sich gewaltsam durch einen zerstörenden Ausbruch Luft machen muß. Denn einfangen und leicht binden läßt sie sich wohl, zumal wenn es einer geschickt und schlau anzugreifen weiß; umbringen und abschlachten aber läßt sie sich nicht, und sie ganz zu vernichten ist unmöglich. Darum möge man uns freiwillig etwas Freiheit geben, damit wir uns nicht mit Gewalt alles nehmen. Obwohl es nur wenig ist, was ich mir herausgenommen habe: nämlich einen gerechten Schmerz nicht ohne Ausdruck zu lassen, und dem gemeinsamen Unwillen des Vaterlandes ein bescheidenes Wort zu leihen. Also Muth! … und ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen liegt, die ihr Deutschlands Ehre erkennet, und noch nicht ganz dem Aberglauben verfallen seid, leset, waget Aehnliches und lebet wohl.«

Nach Mainz um den Anfang d. J. 1519 zurückgekehrt, bereitete Hutten seinem Fürsten eine doppelte literarische Huldigung: durch die Zueignung seiner Schrift über das Guaiak, wovon bereits gesprochen, und durch die Widmung einer neuen Ausgabe des Livius. Zu St. Martin in Mainz waren Stücke von zwei Büchern aus der vierten Decade des Livius, die bisher gefehlt hatten, aufgefunden worden, und es hatten nun die beiden Gelehrten, Nikolaus Carbach und Wolfgang Angst, beide uns schon aus den Dunkelmännerbriefen als Mitglieder des Humanistenkreises bekannt, deren ersterer schon einige Jahre über Livius Vorlesungen gehalten hatte, eine neue, auch sonst verbesserte Ausgabe dieses Schriftstellers in der Schöffer'schen Druckerei daselbst veranstaltet. T. Livius Patavinus historicus, duobus libris auctus etc. Die neuen Stücke waren Lib. XXXIII ohne die 17 ersten Kapitel, und Lib. XL von Cap. 37 an. Hutten's In T. Livium … praefatio, Schriften I, S. 249-251. Sie konnten die Zueignung selbst abfassen; aber sie sprachen Hutten darum an, weil es ihnen in Uebereinstimmung mit den gelehrten Domherren, dem Dekan Lorenz Truchseß, Dietrich Zobel und Marquard Hatstein, für den Erzbischof schmeichelhafter schien, wenn die Zuschrift von einem Manne seines Hofstaats ausginge. Der römische Geschichtschreiber selbst, führt Hutten in dieser Widmung aus, wenn er sich einen Patron zu wählen hätte, würde keinen andern wählen wollen, keinen würdigern wählen können, als einen um die bessern Studien und Gelehrten so verdienten Fürsten wie Albrecht: auf der andern Seite aber sei auch die Zueignung eines Autors wie Livius für den Kurfürsten eine hohe Ehre, welche dieser wohl bald durch neue mäcenatische Verdienste zu erwiedern wissen werde. »Du erkennst deinen Beruf, und so steht es gut; du begünstigst die Wissenschaften, und wirst hinwiederum von ihnen verherrlicht. Mit der Barbarei ist es zu Ende: bis hieher wurden die Studien gering geachtet; jetzt kehrt man zur wahren Gelehrsamkeit zurück, die Geister bilden sich.«

Im Februar 1519 erschien nun auch das Gespräch, das, wenngleich vielleicht erst zu Mainz oder auf Steckelberg ausgearbeitet, doch seinem Motive nach in Augsburg, unter dem Einflusse dessen, was Hutten von dem Cardinal Cajetan sah und hörte, ausgedacht war. Uebrigens ist dieses Gespräch, das Fieber betitelt Febris, Dialogus Huttenicus. Hinten: Mense Febr. an. 1519. Im folgenden Jahre in die Sammlung der Dialogials Febris prima ausgenommen. Schriften IV, S. 27-41. In meiner Uebersetzung von Hutten's Gesprächen S. 50-62., eine Satire auf das üppige Leben der Geistlichen und der Reichen jener Zeit überhaupt, mit einem besondern Stachel allerdings auf den Cardinal. Die Situation ist diese. Hutten will das Fieber, das bei ihm im Quartier gewesen, austreiben; dieses bittet sich aus, wenn es sein müsse, wenigstens in eine andere gute Herberge geführt zu werden. Hutten weist es zum Cardinal S. Sixti (Cajetan), der aus Rom nach Deutschland geschickt sei, um Geld, angeblich zum Türkenkrieg, in der That aber für die Verschwendung des römischen Hofes, auszuwirken. Da könne es gewiß hoffen, wohl gehalten zu sein; denn der Mann ruhe in purpurnem Gewande hinter vielen Vorhängen, speise auf Silber, trinke aus Gold, und sei ein solcher Feinschmecker, daß ihm in Deutschland nichts munden wolle: die deutschen Rebhühner und Krammetsvögel seien nicht nach seinem Gaumen, das deutsche Wildpret sei ihm zum Ekel, unser Brod nenne er geschmacklos, und unser Wein vollends presse ihm Thränen aus. Daher heiße er Deutschland ein Barbarenland, und habe sich seit vier Monaten nicht satt gegessen, aus Mangel an feinen Bissen. Allein das Fieber hat keine Lust zu dem binsendünnen saftlosen Kopfhänger, der gegen seine Dienerschaft der ärgste Knicker sei, und es gewiß gleich mit dem Banne belegen würde, so wie es über seine Schwelle träte. Bei den Fürsten und reichen Kaufleuten aber fürchtet es die Aerzte, hinter welche diese sich verschanzen. Indem das Fieber sofort seine Bitte, in eine gute Herberge geführt zu werden, mit der Berufung auf eine alte Wohlthat gegen Hutten wiederholt, dieser aber von keiner solchen wissen will, erinnert es ihn daran, wie es vor acht Jahren, da es als viertägiges ein halb Jahr lang bei ihm zu Gaste gewesen Das war zu Rostock, im Winter 1509-10. S. Querei. L. I, Eleg. 1, v. 9., ihn so fleißig, fromm und geduldig gemacht habe. Ja, gequält habe es ihn, und er sich dann aus Ueberdruß in die Arbeit geworfen, erwiedert Hutten, und droht dem Fieber, wenn es nicht fort wolle, mit schmaler Kost und Aerzten wie Stromer: aber das Fieber kennt seinen Patienten; es weiß, daß Hutten lieber ein Jahr lang krank sein, als ein paar Scrupel Rhabarber oder Nießwurz einnehmen will. So gibt sich dieser abermals daran, sich mit dem bösen Gaste wegen des Quartierwechsels gütlich zu verständigen: er will es zu den Mönchen führen, deren Wohlleben ohne Bewegung für das Fieber ganz besonders einladend sein müsse: allein die Mönche, erinnert dieses, haben von den alten Weibern, die bei ihnen beichten gehen, Zauberformeln gelernt, es abzutreiben. Auch unter den Domherren, meint hierauf Hutten, finden sich fette, wohlgenährte Leute, bei denen es sich wohlbefinden müsse; zwar machen sich diese durch Reiten und Jagen mehr Bewegung als die Mönche, doch werde das durch wildere Ausschweifung mit Prassen und Buhlen wieder ausgeglichen. Allein die, wendet das Fieber ein, seien von allen möglichen andern Krankheiten schon vorher so eingenommen, daß ihm kein Raum mehr bei denselben übrig sei. So führt denn Hutten es zuletzt zu einem jüngst aus Rom angekommenen Curtisan, bei dem alle Erfordernisse des Wohllebens und der Empfänglichkeit für das Fieber, wie sie dieses nur wünschen mag, sich finden.

Unter dergleichen schriftstellerischen Arbeiten verleidete unserm Ritter das eigentliche Hofleben immer mehr. Er hatte mit diesen leeren aufgeblasenen Schranzen so gar nichts gemein. Und doch konnte er das Einkommen, das seine Hofstelle ihm brachte, nicht wohl missen. Da ihn sein gütiger Fürst, zu Gunsten seiner Studien, bereits der gewöhnlichen Dienstleistungen entbunden hatte, so ließ sich hoffen, daß derselbe ihn noch freier stellen, ihm eine Pension auswerfen werde, die er an einem beliebigen Orte verzehren mochte. Halb war es ihm schon zugesagt, und nun sollte Erasmus den Kurfürsten öffentlich darum loben, damit es desto gewisser in Erfüllung ginge. An Erasmus, Mainz, 6. März 1519. Schriften I, S. 248.


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