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Zweites Kapitel.
Universitätsjahre. Erste Freunde.

1505-1509.

Wie und auf welchem Wege die beiden Jünglinge nach Köln gekommen, ob Hutten den Crotus in Erfurt oder dieser jenen in Fulda abgeholt, ja, ob sie überhaupt miteinander gereist, und nicht vielleicht der eine dem andern erst später nachgekommen, darüber fehlen uns die Nachrichten. Auf die letztere Vermuthung könnte uns der Umstand führen, daß in der kölner Universitätsmatrikel Adelricus hotten, das ist aber kein anderer als unser Ulrich Hutten, unter dem 28. October, sein Freund hingegen erst unter dem 17. November 1505 als Angehörige der Artistenfacultät sich eingeschrieben finden.

Als den Zweck von Hutten's Reise nach Köln gibt Camerarius das Studium »der besten Künste und Wissenschaften« an. So bezeichnete man damals, im Gegensatze zu der alten Scholastik, die humanistischen Studien; bonis literis operam dare hieß Latein und Griechisch aus den classischen Schriftstellern beider Sprachen, statt, wie bisher, letzteres gar nicht und ersteres aus Kirchenvätern und Scholastikern lernen, und Geschmack, Stil und Denkart nach ihnen bilden. Nun könnte man sich aber wundern, wie die beiden jungen Leute diese bessern Wissenschaften gerade in Köln suchen mochten, wo doch, wie sich wenige Jahre hernach in dem Reuchlin'schen Streit auswies, die Scholastik und mittelalterliche Finsterniß noch ihre festeste Burg hatten. Nicht umsonst lagen hier zu St. Andreas Albertus Magnus, bei den Minoriten Duns Scotus in ihren Gräbern: noch immer herrschte auf den Kathedern durch einen Arnold von Tungern, einen Konrad Kollin, denen der Ketzermeister Jakob Hochstraten als furchtbare Macht zur Seite stand, die scholastische Lehrart, in deren Dienst auch Ortuinus Gratius seine zu Deventer erhaltene philologische Bildung gestellt hatte. Doch selbst in Köln regte sich in jener einzigen Zeit das neue wissenschaftliche Leben. Gedeihen zwar konnte es an einem Orte, wo die kirchlichen Interessen so übermächtig waren, nicht: einer nach dem andern wurden die Vertreter der humanistischen Richtung vertrieben: so Johann Cäsarius, Hermann von dem Busche, Peter von Ravenna, Rhagius Aesticampianus; doch wahrscheinlich hielt sich eben damals der letztere noch an der Universität. Seltsamerweise zog übrigens auch die kölnische Scholastik wenigstens den ältern der beiden Studiengenossen an, auf den wir, da sein Lebensfaden von jetzt an mit dem unsers Helden verschlungen bleibt, an dieser Stelle näher eingehen müssen.

Crotus Rubianus Vgl. Kampschulte, Comm. De Jo. Croto Rubiano, Bonnæ 1862. hieß eigentlich Johann Jäger und war in dem thüringischen Flecken Dornheim, unweit Arnstadt, muthmaßlich um das Jahr 1480, geboren. Er scheint geringer Leute Kind gewesen zu sein: wenigstens versicherte er später, als Knabe Ziegen gehütet zu haben. Im Jahre 1498 bezog er die Universität Erfurt, wo er zwei Jahre später den Grad eines Baccalaureus erwarb. Seine Studien waren zunächst herkömmlich der scholastischen Philosophie und Theologie gewidmet. Durch den freundlichen Lehrer Maternus Pistoris scheinen die ersten Keime der humanistischen Richtung in seinen Geist gelegt worden zu sein, die in der Folge durch den Umgang mit dem hochgebildeten Kanonikus in dem benachbarten Gotha, Mutianus Rufus, gefördert wurden. Damit hing auch seine Namensänderung zusammen; und da sie der erste Fall unter vielen dieser Art ist, der uns in unserer Erzählung begegnet, so soll uns eine kleine Episode über dergleichen Namensänderungen um so weniger verdrießen, je bezeichnender diese Sitte für die Zeit und die Richtung ist, womit wir uns beschäftigen.

Der Gebrauch, deutsche Namen zu latinisiren, stammt nicht erst aus der damaligen Zeit, sondern die Geltung des Lateinischen als Kirchen- und Gelehrtensprache hatte denselben schon während des Mittelalters herbeigeführt; aber jetzt erst, da man sich des wirklichen Latein und dazu des Griechischen mächtig dünkte, wurde jene Umgestaltung in größerem Maßstabe und zugleich mit Geschmack und Methode betrieben; wenn auch der Geschmack nicht immer ein guter und die Methode zum Theil wenig besser als Tollheit war. Der Humanist fühlte sich als Bürger des alten Roms und Griechenlands; so hatte er auch Anspruch auf einen lateinischen oder griechischen Namen, und an Geschick, sich einen solchen zurechtzumachen, konnte es ihm als Kenner beider Sprachen nicht fehlen. Man ging dabei, wie gesagt, nicht ohne Methode zu Werke. Bald waren es die Personennamen, bald die Namen des Geburtsorts oder der Gegend, bald beide zugleich, woran man sich hielt. Die Personennamen wurden zum Theil ihrer wirklichen oder vermeintlichen Bedeutung nach übersetzt. Dazu waren vor allem die vielen deutschen Namen geeignet, die von Handwerken oder Berufsarten hergenommen sind. Da war schnell aus dem Fischer ein Piscator, aus dem Müller ein Molitor, aus dem Kürschner ein Pellicanus gemacht. Doch sind nicht alle Uebersetzungen dieser Art so leicht zu rathen. Dem Foeniseca werden es wenige auf den ersten Blick ansehen, daß er zu deutsch Mader (Mähder) hieß. Wo die leicht zu übersetzenden Berufsnamen aufhören, wird ohnehin die Sache verwickelter. In Capito ist Köpflin wohl noch ungefähr zu erkennen, in Brassicanus und Cuspinianus Kohlburger und Spießhammer schon schwerer, und in Velocianus würde wenigstens heutzutage nicht leicht jemand einen Resch vermuthen. Zuweilen mußten die Namen erst noch gewaltsam gereckt und verdreht werden, ehe sich etwas mit ihnen machen ließ. So hatte der Name Schwarzert, wenn auch in der zuchtlosen Orthographie der Zeit nicht selten Schwarzerd geschrieben, darum doch so wenig als die verwandten Farbennamen Weißert, Grunert, Gelbert mit der Mutter Erde etwas zu thun: nur um so mehr that sich Großoheim Reuchlin darauf zu gute, daß ihm der Name Melanchthon dafür eingefallen war. Das war überdieß ein griechischer Name, und die galten begreiflich als die vornehmern. Bei Reuchlin selbst wurde die lateinische Uebersetzung seines Namens: Fumulus, nur spottweise von Gegnern, das griechische Capnion, womit ihn in Italien der venetianische Humanist Hermolaus Barbarus beschenkt hatte, von seinen Verehrern gebraucht; während er selbst sich am liebsten seines deutschen Namens bediente. Statt einer Uebersetzung der Eigennamen begnügte man sich aber nicht selten auch mit einer bloßen antikisirenden Umlautung, besonders wenn ein deutscher Name das Glück hatte, von selbst schon an einen lateinischen oder griechischen anzuklingen. Hieß einer Oehmler, wie nahe lag das edle römische Aemilius; ein Maier war im Umsehen zum Marius gemacht; Joachim von Watt hieß Vadianus; Johann Rack bekam als Rhagius sogar einen griechischen Anstrich. Jeder humanisirenden Anstrengung schien ein Name wie Krachenberger zu spotten, dessen Besitzer sich daher flehentlich an den Großmeister Reuchlin um Hülfe wandte: und in kurzem sehen wir in der That auch diese häßliche Raupe sylphenhaft als Gracchus Pierius davonfliegen. Außer den Personennamen werden aber auch gern die Namen der Geburtsorte oder diesen benachbarter Ströme zur Gewinnung classischer Bezeichnungen benutzt. Und zwar werden diese latinisirten Ortsnamen bald neben die Personennamen gesetzt, wie der eben genannte Rhagius von seinem Geburtsorte Sommerfeld Rhagius Aesticampianus, Georg Tannstetter von Rain in Oberbaiern Tannstetter Collimitius hieß. Noch öfter jedoch sehen wir von dem Heimatnamen den Personennamen ganz verdrängt; so ist Georg Burkard aus dem jetzt hopfenberühmten Städtchen Spalt als Spalatinus, Heinrich Loriti aus Mollis bei Glarus als Glareanus, Beat Bild aus Rheinau im obern Elsaß als Beatus Rhenanus, Peter Schade aus Bruttig an der Mosel als Petrus Mosellanus berühmt geworden. Bei Adelichen, selbst bei städtischen Patriciern, denen ihr Name in der Urform werth zu sein pflegt, finden wir seltener eine solche Umgestaltung. Der humanistische Graf Hermann von Nuenar wurde von seinen Freunden als comes de nova aquila oder Neaetius stilisirt; bei dem guten Eitelwolf vom Stein verstiegen sie sich noch über den de Lapide hinaus zum Ololycus (Ὁλόλυκος) für den Vornamen; aber nicht allein Hutten, sondern auch die Pirckheimer und Peutinger ließen, außer der lateinischen Endung, ihre Namen unverändert.

Um schließlich auf den Mann zurückzukommen, von dem wir zu dieser Episode abgeschweift sind, so bietet sein Name ein rechtes Muster von humanistischer Umgestaltung und Steigerung. Als Johann Jäger aus Dornheim hieß er noch 1506 Joannes Dornheim Venatorius; aber damit war der Geburtsort noch gar nicht, der Personenname nur höchst gewöhnlich übersetzt. Jäger war freilich Venator oder Venatorius; aber ein Jäger war auch ein Schütze, und der Schütze war nicht blos im Walde zu finden, sondern auch am Himmel unter den Sternen, und dieser Schütze als Sternbild hieß mit seinem Eigennamen Crotus. Er war der Sohn der Musenamme Eupheme vom Pan gewesen, hatte, neben seinem Jagdvergnügen, auf dem Helikon mit seinen Milchschwestern gespielt, und diese ihm darum vom Vater Jupiter die Erhebung unter die Sterne erbeten. So lasen es die humanistischen Freunde im Hygin Fab. 224 und Poët. astronom II, 27. und wie ließ sich für einen angehenden Musendiener ein ausgesuchterer Name finden? Damit dann auch der Heimatname nicht in seiner dornigen Urgestalt bliebe, wurde er mittelst einer freilich nicht ganz genauen Uebersetzung – denn rubus heißt Brombeerstrauch – als Rubianus oder Rubeanus dem Joh. Crotus beigefügt, und dadurch auch noch der Vorschrift des deutschen Erzhumanisten Konrad Celtis genuggethan, daß ein Poet (wie einst die alten Römer) drei Namen haben müsse.

Um die Zeit indeß, da er mit Hutten in Köln seine Studien fortsetzte, war bei Crotus weder die Namens- noch die Sinnesänderung schon vollzogen. Er war noch ein Verehrer Arnold's von Tungern und seiner scholastischen Meister, lernte mit dem jüngeren Freunde, woran dieser ihn später scherzend erinnerte, mit Syllogismen blitzen, opponiren, assumiren, respondiren, pro und contra argumentiren, kurz alle die dialektischen Fechterkünste damaliger Philosophie und Theologie. Bald aber wurden diese Dinge für Crotus zum Spiel: er wußte die Lehrer trefflich nachzuahmen, und machte so schon in Köln die Vorstudien zu den Briefen der Dunkelmänner.

Crotus war ein Mensch von bedeutender Begabung und großer Liebenswürdigkeit. Sein Haupttalent war der Witz. Sich über die Thorheiten der Menschen lustig zu machen, sein liebstes Treiben. Wie mußte dieß bei dem jungen Hutten zünden, in dem gleichfalls ein deutscher Lucian verborgen lag. Freilich war die Richtung, die sittliche Grundlage dieses Talents bei beiden eine verschiedene. Bei Hutten, so wie er später sich entwickelte, war dem Verkehrten gegenüber das Lachen nicht das Letzte, sondern der Zorn. Er sah in den Mißbräuchen, die er verspottete, nicht blos das Thörichte, sondern mehr noch das Verderbliche. Des Crotus eigentliches Element war eben das Lachen selbst. Er ließ sich über die Schäden dieser närrischen Welt keine grauen Haare wachsen. Auch einen sogenannten schlechten Witz verschmähte er nicht. Mit dieser stets aufgeweckten Laune mußte er der angenehmste Gesellschafter sein. Den Mann aller Stunden nennt ihn Mutian. Aber eben dieser ältere und ernstere Mann spricht von Crotus mit einer Zärtlichkeit, welche beweist, daß er zugleich höchst schätzbare moralische Eigenschaften an ihm kannte. Er schildert ihn als redlichen Mann, aufrichtigen und treuen Freund, von der sanftesten Gemüthsart und einer Anziehungskraft, die selbst einen Hüftkranken zu einer Reise zu ihm in Bewegung setzen könnte. Keinem ging in der Folge die Mißhandlung des ehrwürdigen Reuchlin von Seiten der Kölner Finsterlinge mehr zu Herzen; selbst für Luther empfand er eine Zeit lang Begeisterung: doch hier liefen die Grenzen seiner ästhetischen, quietistischen Natur, die er wohl einmal überspringen, doch nicht für die Dauer hinter sich lassen konnte.

Der Altersvorsprung von beiläufig acht Jahren und das, als Hutten es anfing, von ihm in der Hauptsache vollendete akademische Studium befähigten den Crotus, in manchen Stücken den Lehrer und Mentor des jüngeren Freundes zu machen. Daß später in Erfurt dieses Verhältniß zwischen ihnen stattgefunden, bezeugt Hutten selbst; ohne Zweifel hatte es sich schon in Köln so gestaltet. Wer außerdem hier Hutten's Lehrer gewesen, läßt sich nur vermuthen. Des Rhagius Schüler nannte er sich später öffentlich. Da wir aber das Jahr der Vertreibung dieses Mannes aus Köln nicht genau wissen, und Hutten später noch einmal mit ihm zusammentraf, so läßt sich auch nicht mit Sicherheit festsetzen, daß er schon hier sein Schüler gewesen ist. Johann Rhagius war zu Sommerfeld in der Oberlausitz um 1460 geboren und hatte seine philologische Bildung erst in Krakau, dann in Bologna erhalten. Nachdem er in Rom von dem Papste selbst den Dichterlorbeer empfangen, sich hierauf einige Zeit in Paris aufgehalten, trat er nacheinander an verschiedenen Orten Deutschlands als Lehrer auf. In Köln las er unter anderm über Plinius. Er war ein durch sittliche Würde wie durch Gelehrsamkeit ausgezeichneter Mann: den Wiedererwecker der erstorbenen Latinität nannte ihn Mutian; Eitelwolf vom Stein begrüßte ihn als ehrwürdigen Vater, und Eoban Hesse wollte ein mäßiges Mahl, in seiner Gesellschaft genossen, nicht mit einer Göttertafel vertauschen. Weiter mag Hutten bei Jakob Gouda gehört haben, der Theolog und Poet zugleich war, und dessen elegisches Talent er später rühmte. Auch mit Remaclus aus Florenz, dem Verfasser von Epigrammen und Amoren, später kaiserlichem Geheimschreiber, und mit einem der drei Brüder Canter, muthmaßlich dem jüngsten, Jakob, der gleichfalls Dichter war, scheint Hutten sich damals befreundet zu haben.

Als die Stütze der Humanistenpartei in Köln erscheint einige Jahre später, in Hermann Busch's und Reuchlin's Händeln, der Graf Hermann von Nuenar, oder Neuenar, von dessen Stammschloß in der benachbarten Ahrgegend noch schöne Trümmer zu sehen sind, Kanonikus und nachher Dompropst daselbst, damals auch mit Hutten in freundschaftlicher Verbindung. Da er, drei Jahre jünger als dieser, ein Jahr vor ihm in Köln inscribirt hatte, möchte man ihre Verbindung von jener Studienzeit her datiren; daß in einer Elegie aus dem Jahr 1510, in welcher Hutten seine Muse bei den deutschen Humanisten die Runde machen läßt Querelar. L. II, Eleg. 10. Hutten's Schriften III, S. 64-81., des Grafen von Nuenar keine Erwähnung geschieht, könnte seinen Grund darin haben, daß derselbe damals vermuthlich in Italien abwesend war. Diese elegische Musenwanderung geht erst von dem nordöstlichen Deutschland, wo sich der Dichter eben aufhielt, an den Rhein nach Köln, dann über Koblenz und Mainz stromaufwärts; letzteres zum Theil wenigstens derselbe Weg, den Hutten entweder bei seiner Reise nach Köln in umgekehrter, oder bei seiner Rückreise von da in derselben Richtung gemacht haben muß. Von selbst ergibt sich hieraus die Vermuthung, er möge die Männer an dieser Straße, zu denen er seine Muse sendet, eben auf jener Rheinreise kennen gelernt haben. Dieß trifft nach der Hauptstation Köln gleich bei Koblenz zu, wo er mit besonderer Zärtlichkeit des Ulrich Fabricius gedenkt, den ihm, als er jene Gegenden durchwandert, die freundliche Pallas zum Studiengenossen gegeben habe. Arbeit und Rast, ja das ganze Leben sei ihnen gemeinsam gewesen; endlich habe das Schicksal, seinen Studien feindselig, sie getrennt, ohne doch den Bund ihrer Herzen zerreißen zu können. Mit diesem hat nun Hutten vermuthlich, wenn auch die Bekanntschaft in Koblenz sich angeknüpft haben mag, sofort in Köln studirt; er war ein humanistisch gebildeter Jurist, der in der Folge seine Stellung am kurtrierischen Hofe besonders auch zur Aufspürung verborgener Handschriften von Classikern und Kirchenvätern benutzte. Dagegen wird weiter aufwärts, bei Mainz, von den zwei Gresemunden, als Juristen und Poeten, in einer Weise gesprochen, die nur an eine Bekanntschaft aus Schriften, und nicht einmal eine genaue, denken läßt. Nahe bei Speier, heißt es dann weiter, bewohne, mit Wenigem zufrieden, Wimpheling ein enges Haus. Nur um Heiliges bemühe er sich; Alles, was er schreibe, sei ersprießlich; viel verdanke ihm die deutsche Jugend, aus der er immer manche durch seine Gelehrsamkeit an sich ziehe; auch ihm selbst, Hutten, haben seine Unterweisungen oft genützt. Das könnte, zumal dabei Wimpheling angeredet wird, auf persönlichen Einblick in seine Häuslichkeit zu deuten scheinen; allein die Verhältnisse des vielbesuchten Lehrers waren in humanistischen Kreisen allbekannt, und ob Hutten damals so weit rheinaufwärts gekommen, ist mehr als zweifelhaft. Eben um jene Zeit übrigens gab Wimpheling zu einem Streite Veranlassung, der ein Vorspiel des Reuchlin'schen Handels werden sollte. In einer um das Jahr 1505 herausgegebenen Schrift stellte er, der selbst nicht ohne Vorliebe für das Einsiedlerleben war, die Sätze auf, daß die Weisheit nicht an der Kutte hafte, daß es auch im weltlichen Stande verdiente Gelehrte gegeben habe, ja die gelehrtesten Theologen selbst nicht Mönche, sondern Weltgeistliche gewesen seien, wie insbesondere der heilige Augustin mit Unrecht zu den Eremiten oder Mönchen gerechnet werde. Das nahmen die Mönche, vor allen die Augustiner, gewaltig übel, sie schrieben gegen Wimpheling und verklagten ihn beim Papste. Er vertheidigte sich, und, wie das geht, nun bewies er schon, daß die Reden an die Einsiedler, auf welche seine Gegner sich hauptsächlich beriefen, gar nicht von Augustin seien. Doch wendete er sich zugleich mit unbedingter Unterwerfung an den Papst Julius II., und mit Hülfe bedeutender Fürsprecher, wie Konrad Peutinger u. a., gelang es, die Vorladung nach Rom zu hintertreiben. In derselben Gegend, fährt Hutten in jenem poetischen Wegweiser fort, halte sich auch Wolfgang Angst auf, der einst der Seinige gewesen, d. h. mit dem er damals, oder bei einer andern Gelegenheit vor dem Jahr 1510, Freundschaft geschlossen habe. Die Briefe der Dunkelmänner führen ihn in Hagenau (den Wimpheling in Schlettstadt) auf, wo er in der Druckerei des Thomas Anshelm, wie später bei Schöffer in Mainz, als gelehrter Corrector thätig war und in der Folge auch den Druck von Schriften seines Freundes Hutten leitete. Daß dieser den Verfasser des berühmten Narrenschiffs, Sebastian Brant in Straßburg, dessen der Wegweiser ferner gedenkt, damals persönlich kennen gelernt habe, ist nun vollends unwahrscheinlich; noch weniger wagen wir es, demselben weiter landeinwärts nach Stuttgart und Tübingen zu Johann Reuchlin und Heinrich Bebel zu folgen; sondern wir kehren zu Hutten nach Köln zurück, wo übrigens seines Bleibens nicht mehr lange sein sollte.

Nur eine Frage drängt sich noch auf, ehe wir mit ihm weiter ziehen: woher er nämlich während seiner akademischen Jahre die Mittel zu seinem Unterhalte genommen habe? Seit seiner Flucht aus Fulda hatte der Vater die Hand von ihm abgezogen. Des Sohnes eigenwilliger Schritt durchkreuzte die Lebensplane, die er für denselben entworfen hatte, und setzte ihn, bei der vieljährigen Verbindung der Familie mit der Abtei, in Verlegenheit. Wir wissen auch nicht, ob er den Aufenthalt des Sohnes sogleich erfuhr; vielleicht hielt es dieser, um nicht mit Gewalt zurückgeholt zu werden, für gerathen, sich eine Zeit lang verborgen zu halten. Der Vater aber dachte ihn am wirksamsten zur Rückkehr zu nöthigen, indem er ihn ohne Unterstützung ließ. Wenn Ulrich Hutten später an seinen Vettern Frowin und Ludwig die Freigebigkeit rühmte, mit welcher sie seine Studien unterstützt haben An Marquard von Hatstein und an Eitelwolf vom Stein, Schriften I, S. 36. 39., so hatten sie hiezu schon damals alle Veranlassung.

Im Jahre 1506 soll es der gewöhnlichen Annahme zufolge gewesen sein, daß die Umtriebe der Dominicaner den Rhagius Aesticampianus nöthigten, Köln zu verlassen; und da in demselben Jahre auch Crotus und Hutten aus Köln verschwinden, um anderswo wieder zum Vorschein zu kommen, so ist es nicht zu verwundern, daß man in der Vertreibung des Lehrers den Anlaß zu der Wanderung der Schüler zu suchen pflegt. Diese folgten übrigens nicht, wie in solchem Falle zu erwarten wäre, dem Lehrer an den Ort seiner neuen Wirksamkeit; sondern, während Rhagius an der im April jenes Jahres eröffneten Universität zu Frankfurt an der Oder die ihm übertragene Lehrstelle antrat, brachte Crotus seinen jungen Freund vorerst nach Erfurt, wohin ihn die Erinnerungen und Verbindungen seiner frühern Studienjahre zogen.

Die gegen den Schluß des 14. Jahrhunderts gestiftete erfurter Universität Vgl. Kampschulte, Die Universität Erfurt, Trier 1858. 1860. genoß am Anfang des 16. eines Ansehens in Deutschland, daß, wie Luther sich einmal ausdrückte, alle andern dagegen als kleine Schützenschulen galten. Zur Zeit des großen Schisma entstanden, hatte sie langehin für das baseler Concil und dessen Reformideen Partei genommen, und unterschied sich auch später noch von andern deutschen Universitäten durch einen liberaleren Geist. Durch Lehrer wie Maternus Pistoris und Nikolaus Marschalk mit ihren Schülern wurde sie die Pflanzstätte des Humanismus in Deutschland. Ihre Blütezeit erstreckte sich von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in das erste Jahrzehnt des folgenden, wo erst bürgerliche Unruhen in der Stadt, dann die kirchlichen Wirren ihr verderblich wurden. Von einem ersten Stoß, einem Vorboten der stärkern, die kommen sollten, einer Streitigkeit zwischen Bürgern und Studenten im Jahr 1505, hatte sich die Universität so eben erholt, die Vorlesungen gingen wieder ihren Gang: für Hutten's Entwicklung indeß war Crotus, der seine freundschaftliche Lehrthätigkeit hier fortsetzte, waren ein talentvoller Mitschüler und ein hochgebildeter Privatgelehrter, deren Bekanntschaft er sofort machte, wichtiger als alle Professoren.

Zwei Jahre vor Hutten, im Jahre 1504, war aus Frankenberg in Hessen, wo er den Unterricht des Jakob Horläus genossen hatte, der sechzehnjährige Eoban Hesse nach Erfurt gekommen, und mit ihm schloß nun Hutten die zweite jener akademischen Jugendfreundschaften, welche, gleich der mit Crotus, ihn durch das Leben begleiten sollte. Wenn Crotus vor Hutten etwa acht Lebensjahre voraushatte, so war Eoban in demselben Jahre mit ihm, nur drei Monate früher, zu Bockendorf in Hessen geboren. Sein Vater war ein Dienstmann des benachbarten Klosters Haina, dessen Name nicht feststeht, der aber dem Sohne, von einem in der Umgegend verehrten Heiligen, den Vornamen Eoban schöpfte. Diesem setzte der Sohn in der Folge statt des Geschlechtsnamens den Heimatnamen Hessus nach, und, um die Dreizahl der Dichternamen vollzumachen, mit Bezug sowohl auf den Sonntag, an dem er geboren, als auf den Sonnen- und Dichtergott, dessen Diener er war, den Namen Helius voran. Schon in dem Knaben hatte sich das Dichtertalent in bezeichnender Weise angekündigt. Als einst Horläus ihm und einigen besseren Schülern die Aufgabe gestellt hatte, den Text aus dem Evangelium Johannis: Ego sum lux mundi, qui sequitur me, non ambulat in tenebris – in lateinischen Versen wiederzugeben, bemerkte der junge Eoban sogleich in den letzten Worten den halben Pentameter und brachte in kurzer Frist eine so schwungvolle Umschreibung des Textes zu Stande, daß der Lehrer erstaunte und von da an die größten Hoffnungen von dem Schüler faßte. Dieser schrieb nun immerzu und quälte den Lehrer und Andere mit der Zumuthung, ihm seine Verse zu corrigiren. Auch in Erfurt machte sich Eoban bald durch gelungene Dichtungen bekannt: beschrieb die Auswanderung der Studenten aus Anlaß der Pest des Jahrs 1505, den Studentenkrawall desselben Jahres, sang das Lob der erfurter Universität und versuchte sich nacheinander in Idyllen, Heroiden, epischen, elegischen und lyrischen Gedichten aller Art. Schon damals sagte Crotus von ihm, er sei an Jahren ein Knabe, an dichterischer Kunst ein Greis; der ehrwürdige Mutian rief ihm den Vers zu, der dem Eoban lebenslänglich wie ein Orakel theuer blieb:

Hessischer Knabe, der Stolz wirst du des heiligen Quells;

und in kurzem galt er nicht allein in Deutschland, sondern auch im Auslande für den ersten neueren Dichter. Wenn die humanistisch wiedererweckte Latinität in Erasmus ihren Prosaisten hervorgebracht hatte, so hatte sie nun in Eoban ihren Poeten. War jener der moderne Cicero, so war dieser Virgil und Ovid. Die letztere Vergleichung ist wenigstens insofern nicht blos Phrase, als Eoban mit diesem Römer die Leichtigkeit gemein hat, die Verse nur so hinzuschütten; weßwegen von ihm gesagt wurde, er sei der einzige Poet, der seine Verse zugleich mache und schreibe. Eoban war aber nicht blos ein glücklicher Dichter, sondern auch ein fleißiger und tüchtiger Gelehrter: seine Vorlesungen an den Hochschulen zu Erfurt und später zu Marburg hatten großen Ruf und zogen von fern her Schüler herbei; von Joh. Lange und Joachim Camerarius lernte er Griechisch und übersetzte in der Folge den Theokrit und die Ilias in lateinische Hexameter, wie auf Luther's und Melanchthon's Antreiben die Psalmen in lateinische Distichen.

Dabei war Eoban ein Mensch von der seltensten Gutherzigkeit. Ein großer, schöner, wohlgebauter Mann mit prächtigem Bart und martialischem Gesichtsausdruck (Albrecht Dürer pflegte zu sagen, wenn er ihn nicht kennte und ein Bild von ihm zu sehen bekäme, würde er es für das eines Kriegsmannes halten), ein ausgezeichneter Fechter, Tänzer, Schwimmer und leider auch Trinker, Künste, zu deren weiterer Ausbildung ihm bald ein mehrjähriger Aufenthalt an dem Hofe des Bischofs Hiob zu Riesenburg an der Weichsel die beste Gelegenheit bot, war er zwar rasch und derb, aber arglos wie ein Kind. Nichts war ihm mehr zuwider als Verkleinerung anderer, und er duldete nicht, daß in seiner Gegenwart von Abwesenden übel gesprochen wurde. List und selbst Vorsicht waren ihm fremd; doppelt weh that es ihm daher, wenn er sich, was häufig vorkam, zum besten gehalten sah. Bei spärlichem Einkommen, wachsender Familie (wir greifen hier der Zeit vor) und seiner poetischen Sorglosigkeit für alles Oekonomische ging es ihm stets knapp, bisweilen wirklich elend; aber nie verlor er den heitern Lebensmuth. Patientia! pflegte er bei widrigen Begegnissen sich zuzurufen. Mit einer Frau, vor der seine Freunde ihn gewarnt, die ihm keine Mitgift, dagegen einen unleidlichen Schwiegervater und liederliche Schwäger zugebracht hatte, lebte er bald ganz friedlich und vergnüglich.

Wir haben zahlreiche Briefe von Eoban; sie gehören zu den gemüthlichsten, herz- und temperamentvollsten, die aus jener Zeit übrig sind. Ganz Briefe, durchaus persönlich, nichts Studirtes, alles Stimmung und Eingebung des Augenblicks. Darunter eine Menge Zettel an Freunde, die im gleichen Orte wohnen, Einladungen zum Baden, zum Mittagessen um 10, zum Abendessen um 4 Uhr, auf ein paar Fische mit Knoblauch, ein Stück Wildpret, das er geschenkt bekommen, gewürzt durch ein heiteres Gespräch. Es kommt vor, daß er einen Freund zugleich als Gast zum Essen und um ein Darlehn von 2 Gulden bittet. Da Eoban das Bier als ein schädliches Gebräue scheute, so hielt er sich desto mehr an den Wein. Nichts ermunterte ihn so sehr zum Fortfahren in dem frommen Werke seiner Psalmenübersetzung, als daß sein erfurter Mäcenas, der reiche Arzt und Bergwerksbesitzer Georg Sturz, ihm jedesmal einen Krug Wein vorsetzte, so oft er ihm eine neue Nummer brachte. Oft erbittet er sich von diesem auch etwas von seinem Wermutwein, um nach dem gestrigen Rausche sein königliches Haupt wieder in den Stand zu setzen. Denn aus Anlaß einer Aeußerung Reuchlin's, der, mit Bezug auf einen Vers des Kallimachus, den Hessus ἑσςὴν, d. h. König, genannt hatte, hieß er nun im Kreise seiner Freunde Rex, und mit diesem Königsmantel weiß er sich fortan in seinen Briefen aufs drolligste zu drapiren. Er gebietet den Freunden als König, warnt, sie mögen ihn nicht nöthigen, den Tyrannen herauszukehren, grüßt von seiner Königin, berichtet von den Prinzen ( reguli), datirt seine Briefe aus der armen Königsburg, verlangt eine Salbe für seine königliche Nase, die der Wein etwas roth zu färben angefangen hatte. Wenn er dann aber für einen Freund, einen Nothleidenden sich verwendet, so sind seine Briefe voll des theilnehmendsten Eifers; ein Schreiben von ihm an Reuchlin athmet die redlichste Gesinnung der Verehrung und Liebe; an Luther und seiner Sache wie an Hutten hing er lebenslänglich mit der reinsten Begeisterung. In seiner poetischen Königsrolle hatte sich Eoban einen Herzog ( dux) beigesellt in der Person des Peter Eberbach, eines körperlich schwächlichen, aber geistvollen und liebenswürdigen jungen Mannes, welcher, der Sohn eines erfurter Arztes, daselbst die Rechtsgelehrsamkeit, mit Vorliebe jedoch die schönen Wissenschaften studirte, später, gleichzeitig mit Hutten, Italien bereiste und in dem thüringischen Humanistenkreise eine ausgezeichnete Stellung einnahm. Vgl. Hel. Eobani Hessi operum farragines duæ, 1539. Desselben Epistolæ familiares, 1543. Joach. Camerarii Narratio de Eobano Hesso, mit angehängter Briefsammlung, 1553, der noch drei weitere folgten. – Der Protest gegen die Mißhandlung Eoban's durch Deinhardstein in seinem Schauspiel, und auf dessen Verantwortung durch Lortzing in seiner Oper »Hans Sachs« sei auch in dieser neuen Auflage, wenigstens mit zwei Worten, wiederholt.

Der eigentliche Herrscher in diesem Kreise jedoch war nicht Eoban, er war überhaupt nicht in Erfurt selbst zu finden, sondern in dem drei Meilen davon entfernten Gotha, in der Person des schon öfters erwähnten Mutian. Konrad Mudt oder Muth, der sich als Mutianus latinisirte und vielleicht von seinen röthlichen Haaren sich den Beinamen Rufus zulegte, war um 1472 zu Homburg in Hessen geboren, wo sein Vater ein obrigkeitliches Amt bekleidete. Er war durch die Schule des Alexander Hegius in Deventer, die fruchtbarste Humanistenpflanzschule jener Zeit, gegangen, hatte dann in Erfurt studirt, hierauf aber üblichermaßen zu seiner weiteren Ausbildung sich nach Italien begeben. Hier erlangte er in Bologna die juristische Doctorwürde, knüpfte mit verschiedenen italienischen Humanisten Beziehungen an und erwarb sich auch in Rom unter den Cardinälen Gönner und Freunde. Nach seiner Heimkehr im Herbste 1502 diente er eine Zeit lang am hessischen Hofe, wo sein Bruder das Kanzleramt verwaltete. Bald jedoch wurde er des Hof- und Geschäftslebens überdrüßig: ein zweiter Bruder von ihm war erzbischöflich mainzischer Beamter zu Erfurt, der verschaffte ihm durch seine Verwendung ein Kanonikat in Gotha. Hier lebte er seit 1503 in wissenschaftlicher Muße, in der er sich fortan durch keinen noch so lockenden Antrag mehr stören ließ. Je weniger ihm seine Collegen, über deren Stumpfsinn er sich wiederholt bitter beklagt, Anknüpfungspunkte boten, desto mehr sah er sich auf die benachbarte Universität Erfurt hingewiesen, deren angesehenste Lehrer, wie vor allen Maternus, seine Freunde, deren begabteste Schüler, ein Crotus, Eoban, Eberbach, Spalatin, bald auch Hutten, seine Schüler wurden. Wir finden, daß in jene Jahren in Erfurt verschiedenen Studenten »aus Achtung für D. Mutianus« die Immatriculationsgebühren erlassen worden sind. Aber auch sein jetziger Landesherr, Friedrich der Weise von Sachsen, lernte ihn bald kennen und schätzen. Auf Mutian's Empfehlung hin erhielt im Jahre 1508 der junge Spalatin die wichtige Stelle eines Erziehers bei dem Kurprinzen Johann Friedrich. Auf seine Fürbitte wurden verurtheilte Verbrecher begnadigt. Gesetzentwürfe wurden ihm zur Begutachtung vorgelegt. Als die ansehnliche Stelle eines Propstes an der Allerheiligenkirche zu Wittenberg durch Henning Göde's Tod erledigt war, ließ der Kurfürst sie dem Mutian anbieten. Mutian empfahl den Justus Jonas, und der erhielt die Stelle. Höchstens eine kleine Pfründe, die ihm kein Geschäft machte, nahm er noch an, um Geld zu Bücherankäufen zu gewinnen. Denn damit und mit literarischer Gastfreundschaft ging sein mäßiges Einkommen auf. Es war die Zeit, wo die gedruckten Ausgaben der lateinischen und griechischen Classiker eben erst anfingen, bei Aldus in Venedig und sonst in Italien zu erscheinen und noch ziemlich theuer waren: Mutian war bei weitem nicht im Stande, sich Alles, was er wünschte, selbst anzuschaffen; seine Freunde, vor allen der Cisterzienser Heinrich Urban, Verwalter des georgenthaler Hofs in Erfurt, theilten ihm von ihren Einkäufen mit. Als er einst durch einen solchen Freund Cicero, Lucrez, Curtius u. a. Autoren zugleich bekam, weinte er vor Freuden. Die italienischen Kriege jener Jahre bedauerte er hauptsächlich deßwegen, weil sie den Verlagsartikeln Italiens die Alpenpässe sperrten. Wenn er ihm keine Bücher schicken könne, bittet er den Crotus, solle er ihm wenigstens die Titel mittheilen, schon diese machen ihm Freude. Nichts beklagte er schmerzlicher, als so manchen Tag ohne gute Bücher zubringen zu müssen.

Bei allem Reichthum seines Wissens und aller Ueberlegenheit seiner Einsicht hatte Mutian eine Abneigung gegen Schriftstellerei. Briefe schrieb er gern und viele, und eine beträchtliche Anzahl ist uns, zum Theil noch ungedruckt, aufbehalten. Die meisten in einem handschriftlichen Codex der frankfurter Stadtbibliothek. Auszüge daraus in Tentzelii Supplementum Historiæ Gothanæ, 1701. Einzelne Briefe auch in den oben angeführten Camerarischen Sammlungen. Was sich in Mutian's Briefen auf Hutten bezieht, hat Böcking in den zwei ersten Bänden seiner Ausgabe abdrucken lassen. Wenn Eoban's Briefe die herzlichsten aus jenen Jahren sind, die Erasmischen die gelehrtesten und zierlichsten, so sind die des Mutian die geistreichsten. Bisweilen werden sie durch Kürze dunkel, nie ermüden sie durch Weitschweifigkeit, selbst in den gelehrten Abschweifungen nicht, in die sie sich stellenweise verlieren. Manchmal theilt Mutian den Freunden ein Epigramm oder sonst ein kleines Poem nicht ohne Selbstgefälligkeit mit; aber er ist sehr ungehalten, wenn einer sich einfallen läßt, etwas davon drucken zu lassen. Befragte man ihn über die Gründe dieser Abneigung gegen die Oeffentlichkeit, so erwiderte er, seine Sachen seien ihm nie gut genug, darum wolle er sich lieber an Anderer Thorheit ergehen. Er fand es bedeutsam, daß Sokrates und Christus auch nichts Schriftliches hinterlassen haben. Er war überzeugt, das Beste was wir wissen tauge für die Menge nicht. Daher suchte er nicht, wie Erasmus und Reuchlin, durch gedruckte Schriften auf das gemischte Publikum, sondern durch mündliche und briefliche Belehrung auf einen engeren Kreis zu wirken. Nichts machte ihm größere Freude, sagt Camerarius, als zu hören, daß junge Leute sich mit Eifer den humanistischen Studien widmeten; und solchen pflegte er alle Förderung, die in seinen Kräften stand, angedeihen zu lassen, sie gastfrei, so wenig er auch im Ueberfluß lebte, bei sich aufzunehmen.

Hinter der Domkirche zu Gotha stand sein Haus, das er sich nach eigenem Geschmack eingerichtet hatte. Ueber dem Eingange sah man auf einer kleinen Tafel die Inschrift: BEATA TRANQVILLITAS. Als Gegenstück hatte er einst, als es ihm gelungen war sich aus dem hessischen Dienste loszumachen, auf die Thüre seiner Kanzlei die Worte geschrieben: VALETE SOLLICITVDINES. Oeffnete sich die Pforte, so lud eine zweite Inschrift: BONIS CVNCTA PATEANT, zur Selbstprüfung ein, ob man auch solchen Zutritts würdig sei. An den Wänden der Zimmer sah man die Wappen erprobt gefundener Freunde: den Storch Spalatin's, des Crotus riemenumwundene Hörner, Eoban's vom Lorbeerstrauch in die Wolken steigenden Schwan. In dem Hausherrn trat dem Ankömmling die edelste Mannes- und später Greisengestalt entgegen; sein Benehmen aus Würde und Freundlichkeit gemischt, sein Gespräch voll gediegenen Wissens, reifer Einsicht und anmuthigen Scherzes.

Waren die jungen Leute, die von Erfurt ihn zu besuchen kamen, durch ihre akademischen Lehrer mit den Formen des Alterthums bekannt gemacht, mit einem Vorrathe von Phrasen und mythologischen Bildern für ihre eigenen Stilübungen ausgestattet worden, so suchte Mutian sie in den Geist und Sinn der Alten einzuführen. Ebenso war es ihm in der Religion um ein tieferes Verständniß zu thun. Seine jungen Freunde theils zu prüfen, theils zu fördern, legte er ihnen bisweilen Aufgaben vor, bald zur augenblicklichen Lösung, bald zur schriftlichen Ausarbeitung, die er nachher verbesserte. So hatten sie einmal der Reihe nach Verse auf den verstorbenen Dichter Konrad Celtis zu machen. Ein andermal gab er seinem Heinrich Urban auf, etwas zum Lobe der Armuth zu schreiben; dem Spalatin aber legte er die Frage vor: wenn doch Christus allein der Weg, die Wahrheit und das Leben sei, wie denn so viele hundert Jahre vor seiner Geburt die Menschen daran gewesen? ob sie an der Wahrheit und dem Heile gar keinen Antheil gehabt haben? Er wolle ihm einen Fingerzeig zur Lösung geben, schrieb er ihm dann. Die Religion Christi hat nicht erst mit seiner Menschwerdung angefangen, sondern sie ist so alt als die Welt, als seine Geburt aus dem Vater. Denn was ist der wahre Christus, der eigentliche Sohn Gottes, Anderes als, wie Paulus sagt, die Weisheit Gottes, mit welcher er nicht allein den Juden in einer engen syrischen Landschaft beiwohnte, sondern auch den Griechen, den Römern und Deutschen, so verschieden auch ihre religiösen Gebräuche waren.

Auch über die Bibel, insbesondere die Evangelien, hatte Mutian helle Blicke, die sich aber zum Theil mit wunderlichen Grillen mischten. Von dem Unterschiede exoterischer und esoterischer Lehrart ausgehend, meint er, die Verfasser der evangelischen Geschichte haben manches Geheimniß in Räthsel und Gleichnisse eingehüllt. Wie Apulejus und Aesop fabeln, so auch die heilige Schrift der Juden. Dahin rechnet er das Buch Hiob, dahin die Geschichte des Jonas, deren Wunder er durch die Auskunft löst, der Walfisch sei ein Bad mit einem solchen Schilde, der Kürbis aber ein Badehut gewesen. Das ist lächerlich, setzt er selbst hinzu. Doch ich habe noch spaßhaftere Dinge, die auf Lateinisch sacramenta, Griechisch Mysterien heißen, von denen ich nichts sagen werde. Dahin gehört auch die Aeußerung Mutian's, in der Meinung der Muhammedaner, daß Christus nicht selbst gekreuzigt worden sei, sondern einer, der ihm ähnlich gesehen, stecke eine geheime Weisheit. Zwar deutet er es zunächst auf Christi Stillschweigen vor Pilatus, da des Menschen wahres Ich die Seele sei, welche durch das Wort sich kundgebe: doch behält er offenbar die Hauptsache noch zurück, denn er bricht mit den Worten ab, er wolle hier nicht aussagen, was Geheimniß bleiben müsse.

Es war etwas Neuplatonisches in den Ideen dieser Humanisten, das sie mit ihren Sprachkenntnissen in Italien geholt hatten, wo Mutian insbesondere auch mit dem Grafen Picus von Mirandula in Beziehung getreten war. Es ist nur Ein Gott, schreibt er seinem Urban ein andermal, und Eine Göttin. Aber es sind viele Gestalten und viele Namen: Jupiter, Sol, Apollo, Moses, Christus, Luna, Ceres, Proserpina, Tellus, Maria. Aber hüte dich, das auszubreiten. Man muß es in Schweigen hüllen, wie Eleusinische Mysterien. In Sachen der Religion muß man sich der Decke von Fabeln und Räthseln bedienen. Du, mit Jupiter's, d. h. des besten und größten Gottes, Gnade, verachte stille die kleinen Götter. Wenn ich Jupiter sage, meine ich Christus und den wahren Gott. Doch genug von diesen allzu hohen Dingen.

Wie dem Mutian von dieser wohl noch etwas nebeligen Höhe herab das damalige Kirchenwesen erschienen sein möge, läßt sich denken. Den Rock, schreibt er, und den Bart und die Vorhaut (Christi) verehre ich nicht: ich verehre den lebendigen Gott, der weder Rock noch Bart trägt, auch keine Vorhaut auf der Erde zurückgelassen hat. Die Fastenspeisen nannte er Thorenspeisen, die Bettelmönche kuttentragende Unthiere; verwarf die Ohrenbeichte, die Seelenmessen; die Stunden, die er mit dem Altardienste zubrachte, betrachtete er als verlorene Zeit. In seinem Hause war es, wo Crotus seine schärfsten Witze in dieser Richtung losließ, wo er die Messe eine Komödie, die Reliquien Knochen vom Rabenstein, den Horagesang in der Kirche ein Hundegeheul, in den Häusern der Domherren ein Summen nicht von Bienen, sondern von faulen Drohnen nannte. Ganz im Geschmacke des Crotus war es hinwiederum, wenn Mutian am Magdalenentage über diese magna lena sich allerhand Scherze erlaubte.

Doch es war keineswegs blos dieses Kritische oder auch Philologische, überhaupt nicht ein bloßes Wissen, was Mutian in seinen jungen Freunden zu pflanzen suchte. Wir wandeln, schreibt er, einen engen und steilen Pfad: eng, weil nur wenige mit uns nach besserem Wissen und milderen Sitten streben; steil, sofern zur Kenntniß der lateinischen Sprache, und, was damit zusammenhängt, dem wahren Gute der Seele, Niemand ohne Mühe gelangen kann. Wir streben nach Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Geduld, Eintracht, Wahrheit und einmüthiger Freundschaft. Daher übte Mutian über die ihm verbundenen Jünglinge moralisch fast noch mehr als wissenschaftlich eine heilsame Zucht. Seine Ermahnungsbriefe an den talentvollen und kenntnißreichen, aber eiteln, anmaßenden und ausschweifenden jungen Rechtsgelehrten Herbord von der Marthen sind voll reifer sittlicher Weisheit, die sich nicht selten in ächt Sokratische Ironie hüllt. Er duldete keine Entzweiungen unter den jungen Leuten, die sich zu ihm hielten. Seinen Tadel durften sie ihm nicht übel nehmen. Ich weiß euch zu schelten, schreibt er, und euch zu verzeihen. Ihr könnt mich nicht beleidigen, als wenn ihr mir nicht folgen wollt, wo ich euch zum Rechten anweise. Wäre euer Sinn rein, so würdet ihr mir noch danken, daß ich euch zurechtweise. Ein so überlegenes Wesen hielt die Jünglinge wie ein Zauber fest. Wenn Mutian etwas haben will, schreibt Peter Eberbach an Reuchlin, so ist sein Wunsch für mich ein Zwang. In den humanistischen Kreisen sprach man von einer »Mutianischen Schaar«, und sie war nicht der unbeträchtlichste Theil des »lateinischen Heeres«.

Die Freunde des Fortschritts hatten aber auch allen Grund, sich gegen die Anhänger des Alten fest zusammenzuschließen. Denn bereits war der Verdacht gegen sie als gefährliche Freigeister rege geworden. Er ist ein Poet, er spricht Griechisch, also steht es schlecht um sein Christenthum, hieß es. Poet galt in kirchlichen Kreisen für ein Schimpfwort, das man nicht auf sich sitzen lassen mochte; es war eine Brandmarke, wie heut zu Tage Pantheist oder Materialist. Poeten verderben die Universitäten, sagten die alten Herren; ja man wollte sie gar nicht für gute Deutsche gelten lassen, sondern nannte sie Böhmen und Walen. Auch Philosophen hieß man sie, aber in gleich hämischem Sinne. Natürlich fehlte es dabei von Seiten der frommen Männer nicht an Umtrieben aller Art, die Gehaßten und Gefürchteten nirgends ankommen zu lassen. Wer kann noch glauben, schreibt in dieser Beziehung Mutian, daß diese Pfaffen die wahre Religion und ein ehrliches Gewissen haben? Um wie viel heiliger sind da die poetischen Menschen, die wenigstens Niemanden durch verborgene Kunstgriffe zu schaden suchen. Ja, mit noch tieferer Feindseligkeit sagt er einmal: Die Theologen heißen uns hoffen, um uns zu betrügen; während wir auf den Himmel warten, den sie uns versprechen, eignen sie sich die irdischen Güter zu.

Daß Mutian, wie auf Eoban und Spalatin, auf Peter Eberbach, Euricius Cordus u. A., die zu verschiedenen Zeiten bei ihm aus- und eingingen, so auch auf den jungen Ulrich Hutten Eindruck gemacht und Einwirkung ausgeübt hat, wissen wir aus dessen eigenem Zeugniß. Unweit Erfurt, sagt er in der von uns schon oft angeführten, fünf Jahre nach dieser Zeit geschriebenen Elegie, lebt Rufus friedlich nur sich selbst, ob er wohl keinem zu weichen, keinen Kampf zu scheuen nöthig hätte.

Ihn fragt Crotus um Rath, und Hessus erwählt ihn zum Führer:
Mir auch hat gar oft seine Belehrung genützt.
Querel. II, 10, v. 89-94. Schriften III, S. 70.

Mutian seinerseits bewunderte Hutten's Talent; aber sein ungestümes Feuer, seine Reizbarkeit, waren dem Liebhaber der beata tranquillitas unheimlich. Daher hatte sich Hutten in der Folge mehrmals über die Schweigsamkeit des verehrten Mannes, mit dem er gern fleißig Briefe gewechselt hätte, zu beklagen. Ueberhaupt vor den Poeten im engeren Sinne, den Dichtern vom Handwerk, schlug Mutian doch hin und wieder das Kreuz. Ihre Selbstgefälligkeit mißfiel ihm, und daß sie sich nichts sagen lassen wollten. Eoban schien ihm noch der beste zu sein, der nur durch seine wilde Trinklaune dem würdigen Alten bisweilen unbequem wurde.

Wer sonst noch zu Hutten's erfurter Kreise gehörte, ist nicht sicher, auf keinen Fall vollständig bekannt. Er sagt, mit allen Poeten, welche damals am Orte gewesen, sei er in Verbindung gekommen. Namhaft aber macht er (eben in jener Elegie) außer Erotus und Eoban nur noch einen Temonius, der mit wunderbarem Erfolge die gleichen Studien treibe und mit nicht geringem Talente begabt sei. An ihn hat auch Eoban als ehemaligen Studiengenossen drei Gedichte gerichtet, aus denen wir ersehen, daß er aus Thüringen gebürtig war, und später eine Reise nach Rom gemacht hat. Daß Hutten nicht, wie früher Crotus, in Erfurt auch Luther kennen lernte, ist natürlich, da Luther damals bereits in das Kloster getreten war. Von langer Dauer übrigens war auch dieser erfurter Aufenthalt Hutten's nicht. Den Winter von 1505 auf 1506 hatte er in Köln zugebracht, den Sommer des letzteren Jahres in Erfurt, und im darauffolgenden Winter finden wir ihn auf der neueröffneten Universität zu Frankfurt an der Oder, wohin der ihm vermuthlich schon von Köln her werthe Lehrer Rhagius Aesticampianus ihm vorangegangen war. In einem noch 1506 geschriebenen, wenn auch erst im Jahre darauf gedruckten Gedichte beklagt Eoban den bevorstehenden Abgang seines Herzensfreundes Hutten nach Frankfurt, und dieser selbst hat der im Februar 1507 erschienenen Beschreibung der Festlichkeiten zur Einweihung der neuen Universität ein Gedicht beigegeben, auf dessen Titel er sich einen Schüler des Johann Rhagius Aesticampianus nennt.

In seinen Marken eine Universität zu gründen, hatte schon Kurfürst Johann Cicero beabsichtigt; sein Sohn und Nachfolger, Joachim I., von seinem Lehrer, Dietrich von Bülow, Bischof von Lebus, und seinem Rathe, Eitelwolf vom Stein, ermuntert, führte den Gedanken aus, und am 26. April 1506 wurde die neue Anstalt feierlich eröffnet. Der genannte Dietrich von Bülow war ihr Kanzler oder Conservator, Konrad Wimpina, der sich hernach als Gegner Luther's bekannt gemacht hat, ihr erster Rector, Johannes Lindholz der erste Decan der philosophischen Facultät, Publius Vigilantius Bacillarius Axungia wird als der zuerst berufene oder am Orte befindliche Professor genannt. Letzterer, den Eitelwolf vom Stein den beredtesten Deutschen nannte, den er nie genug hören könne, wie der von Eitelwolf gleichfalls hochgeschätzte Rhagius, mögen auf sein Betreiben berufen worden sein. Außer ihnen lehrte noch Hermann Trebelius an der Universität, den Hutten seinen Landsmann nennt, während er selbst sich bald als Notianus (Surwind?), bald als Isenacensis bezeichnet. Mit ihm war Hutten zugleich durch Freundschaft verbunden; aber auch Vigilantius muß ihm sehr gut gewesen sein, wie wir aus der Wärme sehen, womit beide Männer einige Jahre später bei einer Unbill, die ihrem ehemaligen Schüler widerfuhr, sich desselben angenommen haben. Trebelius war zugleich der Führer zweier jungen pommerischen Edelleute, Johann und Alexander von der Osten, die, wie so viele damals, mit dem Rechtsstudium das der Humanitätswissenschaften verbanden, mit Hutten sowohl, als dem erfurtischen und später dem wittenbergischen Kreise in enge Verbindung traten, und an dem Kampfe mit den scholastischen Dunkelmännern den lebhaftesten Antheil nahmen. Auch noch mit einem andern Pommer, Valentin Stoientin, der damals unter seine Studiengenossen zu Frankfurt zählte, war Hutten in Freundschaft und Brüderschaft verbunden.

Für Hutten's Unterhalt mag jetzt außer seinen schon genannten beiden Vettern, vielleicht auf Eitelwolf's Empfehlung, auch der junge Markgraf Albrecht von Brandenburg etwas gethan haben, da Hutten ihm in der Folge nachrühmte, er habe ihn, schon ehe er Erzbischof und Cardinal geworden, unterstützt. Auch der Bischof von Lebus erwies sich, Hutten's späterer Versicherung zufolge, als seinen väterlichen Gönner, und nahm ihn gegen den Haß der unwissenden Menge (von dem wir nicht wissen, wodurch er sich denselben zugezogen hatte) in Schutz.

Dem Herkommen nach war es jetzt nicht mehr zu frühe für Hutten, den untersten Grad bei der Artistenfacultät, den eines Baccalaureus, zu erwerben. Aber er stellte später nachdrücklich in Abrede, jemals Doctor, Magister oder Baccalaureus geworden zu sein. Und doch ist er damals in Frankfurt Baccalaureus geworden; der eben genannte Lindholz hat ihn als den vierten während seines Decanats promovirt. Hutten in der Vorrede zum Nemo, Schriften I, S. 180. Vgl. Epist. obscuror. viror., I, 14. Dagegen das Zeugniß aus Becmanni Notit. univers. Francof., Schriften I, S. 5 f. Die spätere Ableugnung ist tendenziös. Die akademischen Grade wurden von den Humanisten als Stücke des Apparats der alten Scholastik verachtet. In den Dunkelmännerbriefen ist es nicht die letzte Anklage gegen die Poeten, daß sie ihre Anhänger unter den Studenten abhalten, jene Grade zu erwerben. Wenn Hutten in der Folge als Humanist selbst die geringste dieser Würden von sich ablehnte, so war es der tiefste Grad von Geringschätzung, die er diesem ganzen alten Wesen bezeigen wollte.

In Frankfurt scheint es Hutten doch etwas länger als in Köln und Erfurt, nämlich ein ganzes Jahr, gefallen zu haben. Aber länger gefiel es nun seinem Lehrer Rhagius daselbst nicht. Die neue Hochschule an der Oder hatte bald von Anfang eine Richtung eingeschlagen, die den Absichten des Mannes, der zu ihrer Gründung vor allen mitgewirkt hatte, wenig entsprach. Mehr als einmal gestand in der Folge, wie Hutten berichtet, Eitelwolf vom Stein, er bereue diese Mitwirkung, da er sehen müsse, wie die neue Universität, statt, seiner Absicht nach, mit humanistisch gebildeten Männern, mit unwissenden Menschen vom alten Schlage besetzt sei. Zwar Trebelius und Vigilantius blieben noch; aber Rhagius wandte sich nach Leipzig, und ihm zog Hutten noch einmal nach. In der leipziger Universitätsmatrikel vom Wintersemester 1507 auf 1508 finden wir als ersten der meißnischen Nation den Professor der Redekunst und gekrönten Poeten Aesticampianus, dann in der Mitte der bairischen Nation Ulrich Hutten aus Buchen eingetragen. Beide erlegen die höchste Gebühr von 10 Gr.; ein Beweis, daß Hutten's ökonomische Umstände damals nicht übel waren. Ebendas., S. 8. In dem gleichen Halbjahre wurde der schon 1500 immatriculirte Veit Werler Magister, der später seinem damaligen Studiengenossen den schönen Nachruf widmete, von dem wir nur allzufrühe zu reden haben werden. Nach ihm hätte der junge Baccalaureus in Leipzig auch mit Beifall gelesen; wofür jedoch in den Universitätsacten kein Beleg zu finden ist.

In diese Zeit nun, in Hutten's 18.-19. Jahr, fallen zwar schwerlich die ersten poetischen Versuche, die er gemacht hat, aber die ersten, die uns aufbehalten sind. Es sind ihrer vier: eine Elegie an Eoban, die er noch in Erfurt, ein Lobgedicht auf die Mark, das er in Frankfurt, muthmaßlich im Jahre 1506, schrieb, ein paar Lobverse, die er zu seines Lehrers Rhagius 1507 gedruckter Epigrammensammlung gab, und eine poetische Ermahnung zur Tugend, welche er der von ebendemselben besorgten und im gleichen Jahre gedruckten Ausgabe der Tafel des Cebes beifügte. Von diesen Gedichten ist das erste in der Böcking'schen Ausgabe I, S. 3 f., die drei andern III, S. 5-10 und 563 abgedruckt. Sämmtlich also kleinere Beigaben zu größeren Schriften von Freunden und Lehrern, wie sie in jenen Zeiten üblich waren: die erste von 18, die zweite von 20, die dritte von 7, die vierte von 28 Distichen. In allen zeigt sich im lateinischen Ausdruck und Versbau eine hübsche Fertigkeit. Härten, Ungeschicklichkeiten fehlen nicht, aber sie kommen gegen den Wohllaut und Fluß des Ganzen kaum in Betracht. Von classischen Namen und Beispielen steht dem jungen Poeten ein erklecklicher Vorrath zu Gebote. Der Gedankengang entwickelt sich schicklich, obwohl ohne strenge Disposition. Doch alle sind noch Schülerarbeiten, mehr oder minder aus fremden Gedanken und Wendungen zusammengesetzt; das eigenthümliche Gepräge von Hutten's Geiste trägt noch keins derselben.

Nach allen Seiten hatte der Jüngling seine Lehrjahre wohl benutzt: um aber zum Manne, zum Meister heranzureifen, hatte er erst die Wanderjahre anzutreten, mußte der Widerstand des Lebens die ganze Kraft seines Geistes und Willens zum Bewußtsein bringen und in Thätigkeit setzen.


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