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Zehntes Kapitel.
Hutten in Augsburg, während und nach dem Reichstage.

1518.

Nach kurzem Aufenthalt in Mainz kehrte Hutten zu seinem Fürsten nach Sachsen, d. h. nach Halle, wo dieser als Erzbischof von Magdeburg seine Residenz hatte, zurück; doch weil der Zusammentritt des Reichstags in Augsburg sich immer länger verzögerte, finden wir ihn im Mai abermals in Mainz, wo er sich die Zeit mit einer Arbeit vertrieb, deren Form und Inhalt durch den Gedanken an den Reichstag und dessen Veranlassung bestimmt war.

Seit Sultan Selim's I. Regierungsantritt im Jahre 1512 war die osmanische Macht, die unter seinem Vorgänger einen Stillstand gemacht hatte, von neuem furchtbar geworden. Selim nahm Syrien und Aegypten dem Mamelukensultan ab, der griechische Renegat Horuk Barbarossa setzte sich in Tunis fest, und die Mauren bis gegen Fez hin, zum Theil Spanien tributpflichtig, erhoben sich. Die ganze abendländische Christenheit gerieth in Schrecken. Der Papst, nachdem er die Botschafter der christlichen Könige zur Berathung mit einer Commission von Cardinälen einberufen, ließ ein ausführliches Gutachten über den Türkenkrieg an den Kaiser gelangen, der sofort die Sache auf dem für den Sommer 1518 nach Augsburg ausgeschriebenen Reichstage den Ständen des Reiches vorzulegen gedachte. Ob es hiebei dem Papste wirklich um den Türkenkrieg, oder nur um das Geld zu thun sei, war mehr als zweifelhaft; auch der Kaiser gedachte, durch die größern Geld- und Kriegsmittel, die er bei dieser Gelegenheit in die Hand zu bekommen hoffte, seine Macht zu verstärken; aber dieß mußte ja auch der deutsche Patriot wünschen: und so ging Hutten in der Rede an die deutschen Fürsten, die er in Erwartung des Reichstags ausarbeitete, ganz in den Gesichtspunkt des Kaisers ein.

Für einen Türkenkrieg – mit diesem Gedanken eröffnet er seine Rede Ulrichi Hutteni ad principes Germanos ut bellum Turcis inferant exhortatoria. Schriften V, S. 97-136. Eine Reihe anderer auf denselben Gegenstand bezüglicher Actenstücke ebendas., S. 137-300., – treffen eben jetzt die höchste Nothwendigkeit und die beste Gelegenheit glücklich zusammen. Bei der Uebervölkerung Deutschlands und der drohenden Theurung in Folge des vorjährigen Mißwachses, müßte man die Veranlassung zu einem auswärtigen Kriege suchen, um den Stoff zu innern Unruhen abzuleiten, wenn sie sich nicht in der Türkengefahr von selbst böte; die uns zugleich in keiner günstigern Verfassung treffen könnte, als eben jetzt, wo wir mit unsern Nachbarn Frieden, Soldaten im Ueberfluß und einen Führer wie Maximilian haben. In der Ausführung seines Thema, bittet der Redner, offen sprechen zu dürfen. Er werde viele unangenehm berühren müssen. Da es ihm aber lediglich um die Sache zu thun sei, möge man ihm nichts übel nehmen.

Ja, dießmal sei es Ernst mit dem Türkenkrieg. Er sei in der That nothwendig, nicht mehr, wie sonst so oft, ein vom Papste erregter blinder Lärm. Damit befindet sich Hutten bereits in jenem Fahrwasser, in dem er sich fortan am liebsten und kräftigsten bewegt. Bis jetzt allerdings haben die Päpste, so oft sie Geld gebraucht, sich dasselbe unter dem Vorwande der Türkengefahr bei uns Deutschen geholt. Und doch sollten von Rechts wegen sie uns Geld schicken, nicht wir ihnen, wenn unser römisches Reich nicht ein bloßer Name wäre. Doch das gehe ihn hier nichts an, wirft sich der Redner ein; er fühlt, daß er in Gefahr ist, abzuschweifen, und indem er sich dessen enthalten zu wollen erklärt, thut er es doch, weil ihm diese Abschweifung mindestens ebenso wichtig ist, als der eigentliche Gegenstand seiner Rede. Auch das sei nicht seine Sache, fährt er daher fort, sondern des Kaisers, zu untersuchen, wie es in Rom zugehe, ob das jetzige Verhältniß des Kaisers zum Papste das richtige sei, daß nämlich der erstere seine Krone von des letztern Füßen aufnehmen, für dieselbe Geld bezahlen und Huldigung leisten müsse. Ueber Konstantin's angebliche Schenkung wagen wir nicht zu mucksen. Ein patriotisches Herz müsse ungeduldig werden über den Pallienhandel, die Pensionen, die aus Deutschland nach Rom fließen: da doch das apostolische Amt mit sich bringe, das Wort Gottes auszusäen, nicht fremdes Gut einzuärnten. Auch Frieden zu predigen, nicht Krieg zu führen, habe der Redner bis jetzt für den Beruf des Oberhaupts der Christenheit gehalten, bis er unter Julius II. belehrt worden sei, die Kirche habe an Petri Schlüsseln nicht genug, sondern müsse auch des Schwertes Pauli sich bedienen. Leo X. habe sich als Friedensfürsten angekündigt; seinen Krieg gegen den vertriebenen Herzog von Urbino muthe man uns zu, als Nothwehr zu betrachten: daß aber unter diesem Friedensfürsten die Cardinäle uns einen ausgearbeiteten Kriegsplan zuschicken, sei doch seltsam. Als verstünden wir Deutschen nichts mehr vom Kriege, sondern müßten uns bei den ehrwürdigen Vätern Raths erholen, denen es besser anstünde, für uns zu beten. Hätten sie uns lieber Geld geschickt, einen Theil desjenigen, welches sie auf ihren maßlosen Hofstaat wenden, oder uns auch nur etwas von den Summen nachgelassen, die wir ihnen für Pallien und dergleichen zu zahlen haben.

Endlich lenkt der Redner ein, und kommt auf die Wirklichkeit und Größe der von den Türken drohenden Gefahr zurück. Er gibt eine Uebersicht ihrer Geschichte, ihrer Eroberungen, er zeichnet ihren unbändigen Charakter. Also mögen sich die Deutschen ermannen, den Ruhm ihrer Vorfahren erneuern. Die Hoffnung auf den Schutz durch Gebirge, Wälder und Sümpfe, auf die Möglichkeit der Flucht, würde neben dem Schmählichen in diesem Falle auch täuschend sein.

Ist demnach der Krieg unläugbar nothwendig, und die Gelegenheit, ihn zu führen, günstig, so fragt sich für's Andere, wie er am besten geführt werden möge. Die wesentlichste Bedingung ist Einigkeit, einmüthige Unterordnung unter den Kaiser. Hätten wir diese, dann würde sich das Aeußerliche, die Beischaffung der Kriegskosten u. s. f., von selbst geben. Damit ist der Redner bei einem zweiten Lieblingsthema angelangt, dessen Ausführung dießmal nicht eine Abschweifung ist, sondern zur Sache gehört. Ohne Einigkeit, führt Hutten aus, muß Deutschland, auch abgesehen vom Türken, zu Grunde gehen. Das gegenseitige Sengen und Brennen, Erobern und Plündern unter den deutschen Fürsten muß aufhören. Woher, fragt er, kommt euere Uneinigkeit? Aus Grenzstreitigkeiten, Eifersüchteleien, Rangstreitigkeiten. Die Vortheile, um die ihr euch zanket, sind sämmtlich viel geringer, als der, den ihr alle von der Einigkeit haben würdet. Und wisset ihr, wie das Volk über die Sache denkt? Man wolle sich von euch wohl beherrschen, aber nicht verderben lassen, sagt man, und denkt auch wohl auf gewaltsame Abhülfe. »In der That«, fährt Hutten fort, und wird damit schon 7 Jahre vorher der Prophet des Bauernkriegs, »wenn ihr mir kein Gehör gebet (euch meine ich, denen dergleichen zur Last fällt), so fürchte ich, wird diese Nation etwas sehen, das ihrer nicht würdig ist. Denn wenn die Sache einmal (was Gott verhüte) zum Volksaufstande kommt, dann wird man keinen Unterschied mehr machen, nicht mehr fragen, wie viel jeder, oder überhaupt, ob einer geschadet habe, und an wem Rache zu nehmen sei. Mit den Schuldigen wird es die Unschuldigen treffen, und ohne Rücksicht, blindlings, wird man wüthen.« Man nennt uns Ritter Räuber. Allein die Fürsten gehen uns mit ihrem Beispiele voran, gebrauchen uns theils zu ihren Räubereien, theils berauben sie uns selbst. Auch im Auslande, namentlich in Italien, sind die deutschen Fürsten, ihre Gelage und Streitigkeiten, Gegenstand der Mißachtung. Kraft haben wir Deutschen im Ueberfluß, aber die zweckmäßige Verwendung fehlt. Wir geben uns zu viel mit unnöthigen Dingen, mit den bloßen Vorübungen zum Kriege, wie Jagd und Turnier, ab: kommt es dann zur Sache, handelt es sich um die Erhaltung des Reichs (denn an seine Vermehrung denkt ja doch leider Niemand), um Verfechtung des Vaterlands und der Religion, so ist nirgends Eifer zu verspüren. »So bleibt unsere Tapferkeit stets eitel, unsere Kraft nutzlos, und unsere Nachbarn lassen uns wohl für gute Kämpfer, aber nicht für tüchtige Krieger gelten. Und das ist nicht der Soldaten, sondern vorzugsweise der Führer Schuld. Es lebt in Deutschland eine starke Jugend, große, nach wahrem Ruhm begierige Herzen: aber der Leiter, der Führer fehlt. So erstirbt jene Kraft, die Tapferkeit spannt sich ab, und der glühende Thatendurst verkommt im Dunkeln.« Der Türke weiß allzugut, wie unerläßlich zu großen Thaten Einigkeit und Gehorsam sind, als daß er uns Deutsche jemals fürchten sollte. Aber nicht blos der Türke: so lange uns jene Stücke abgehen, sagt Hutten vorher, werde kein noch so schwaches Volk sein, das uns fürchte, ja das nicht bei Gelegenheit uns anzugreifen wagen sollte! – Wie wahr Hutten gesprochen, davon haben wir seitdem vierthalbhundert Jahre lang eine Reihe von Erfahrungen, eine immer schmählicher und schmerzlicher als die andere, gemacht; endlich haben wir es uns gesagt sein lassen, um alsbald zu erproben, wie Recht er auch mit dem andern Worte hatte, das wir bald von ihm hören werden: wenn die Deutschen einmal begreifen, was ihnen Noth thue, werden sie das erste Volk der Welt sein.

Neben der Einigkeit, fährt Hutten fort, gebricht es den Deutschen auch an Besonnenheit, an kluger, nüchterner Berathung und planmäßiger, stetiger Ausführung. Auch hier geht das böse Beispiel von den Großen aus, die selbst auf Reichstagen Saufen und Spielen zur Hauptsache machen. Die Fürsten sind auf das Alter und den Glanz ihrer Geschlechter stolz: allein wenn sie ihres hohen Postens sich nicht auch selbst würdig zeigen, hat jene Abstammung und äußere Würde ebenso wenig Werth als Dauer.

Zur Einigkeit aber gehört ganz besonders, daß, wie überhaupt, so vor allem in diesem Kriege, Einer das Haupt, der Führer sei, dem alle Andern unbedingte Folge leisten. Im Kriege liegt am Feldherrn mehr als am Heere. Was würde der Türke darum geben, euch ohne Führer, oder ohne Gehorsam gegen diesen zu finden. Den Führer habt ihr: nach des gesammten Deutschlands Wahl und Willen ist es Kaiser Maximilian. Er ist dieser Stellung würdig: also folget ihm. Der Kaiser ist bereit: es fehlt nur an den Fürsten, daß sie seinem Aufruf entsprechen und ihre Schuldigkeit thun. Schon mehr als 30 Jahre bestreitet er von dem Ertrage seiner Erbländer die Lasten des Reichs, hat keine Ruhe noch Rast bei Tag und bei Nacht: und wir, wenn er einmal seiner Pflicht gemäß einen straft, schreien über Druck und klagen über Dienstbarkeit; Freiheit aber nennen wir es, um das Reich uns nichts zu kümmern, dem Kaiser keine Folge zu leisten, und ungestraft alles uns zu erlauben. Einige – zwar nicht Fürsten, aber fürstliche Räthe (auch hierin kommt Hutten den Gedanken Maximilian's entgegen) gehen mit dem Plane um, auf den Fall von des jetzigen Kaisers Ableben, die Krone einem Fremden zu übertragen. Ein schmählicher, undeutscher, hochverrätherischer Plan: als ob in Deutschland das fürstliche Blut ausgestorben wäre. Aber man meint, unter einem entfernten Herrscher desto freier zu sein, und bedenkt nicht, daß derjenige, in welchem man nur den lästigen Herrn sieht, vielmehr der Erhalter der Freiheit ist.

Die Beschaffung der äußern Mittel, der Kriegskosten betreffend, äußert sich Hutten ganz einverstanden mit dem päpstlichen Ansinnen. Während die Fürsten – als Standespersonen – nach Belieben zahlen sollten, war für sämmtliche Geistliche, wie für weltliche Lehensträger der zehnte, weiter abwärts der zwanzigste u. s. f. Theil des Einkommens für drei Jahre in Anspruch genommen. Den üppigen Pfaffen und Klöstern, den reichen Kaufleuten, den Müßiggängern in den freien Städten, wie er sie nennt, in die Beutel greifen zu lassen, kostete den Ritter keine Ueberwindung. Am liebsten hätte er freilich wohl die Cardinäle um einen Theil ihrer aus Deutschland gezogenen Schätze erleichtert, und es geschieht nur um sie desto härter anzuklagen, wenn er ausdrücklich erklärt, von ihnen solle zu diesem Kriege nichts gefordert werden, es sei genug, wenn man auch sie nichts fordern lasse, und Vorkehr treffe, daß sie nicht, wie sie schon mehr gethan, das löbliche Unternehmen stören können. Diese Römlinge gönnen eher den Türken als den Deutschen einen Zuwachs an Macht. So haben die Päpste den vierten und fünften Heinrich, so die Hohenstaufischen Friedriche, durch ihre Ränke von dem Zug in den Orient zurückzuhalten gesucht. »Darum, wenn ich freimüthig sagen soll, was ich denke, habt ihr in diesem Kriege ebenso sehr gegen Rom als gegen Asien auf der Hut zu sein; weit entfernt, daß ihr irgend etwas nach der ehrwürdigen Väter Rathe thun dürftet. Bei euch selbst habt ihr alles zu suchen, unter euch Beschlüsse zu fassen, und nicht jene ränkevollen Rathgeber von außen zuzulassen.«

Nochmals ruft sofort der Redner zum Türkenkrieg auf und wiederholt einige der bisher ausgeführten Gründe; glaubt hierauf unter seinen Zuhörern eine zustimmende Aufregung zu bemerken, und schließt mit dem Wunsche einer beharrlichen und glücklichen Ausführung.

Diese Rede schickte Hutten am 25. Mai von Mainz aus seinem Gönner und Freunde Peutinger in Augsburg handschriftlich zu; seiner spätern Erzählung zufolge hatte er im Sinne, sie am Reichstage wirklich zu halten und hernach drucken zu lassen. Als er aber bald darauf selbst nach Augsburg kam, riethen besorgte Freunde, unter ihnen wahrscheinlich Peutinger selbst, ihm von der Veröffentlichung der Rede ab, weil sie insbesondere von den Ausfällen gegen Rom Anstoß und Gefahr für ihn befürchteten. Hutten gab ihnen Anfangs nach, unter bittern Klagen über die schlechte Zeit, in welcher ein freimüthiges Wort keine Stätte mehr finde. Später scheint er sich mit ihnen, die zum Theil kaiserliche Räthe und Schreiber waren, dahin verglichen zu haben, daß die Rede zwar gedruckt, aber die anstößigen Stellen, für Hutten gerade die wichtigsten, weggelassen wurden. So schickte er sie am 13. October an Jakob von Bannisis mit der Bitte, sie dem Kaiser vorzulegen, und ihm bei diesem endlich einmal eine Beförderung auszuwirken. Ueber diese Schicksale seiner Türkenrede vgl. die Briefe an Julius von Pflugk, Pirckheimer und Jakob von Bannisis, Schriften I, S. 185. 206 f. 192 f. Ferner U. Huttenus liberis omnibus ac vere Germanis, ebendas., S. 240 f. Wie ihm bald darauf die Verstümmelung seiner Rede unerträglich fiel, und er sie vollständig drucken ließ, werden wir an seinem Orte finden.

In Augsburg wohnte Hutten während und noch eine Zeit lang nach dem Reichstage in dem Hause des abwesenden Domherrn Georg Gros, wo sein Verwandter, der Domherr und Official Thomas von Wirsberg, ein Mann, der Hutten's Geist und Schriften zu schätzen wußte, wegen Mangels an Raum im eigenen Hause ihn eingeführt hatte und für seine Bedürfnisse Sorge trug. Hutten lebte hier im Umgange mit vielen trefflichen Männern verwandter Gesinnung, welche theils in Augsburg wohnhaft, theils durch den Reichstag dahin zusammengeführt waren. Unter ihnen befanden sich außer Peutinger, Stab, Spiegel und dem Leibarzte seines Kurfürsten, Heinrich Stromer, der eben genannte Jakob von Bannisis, Dekan von Trient und einer der vertrautesten Räthe Maximilian's, den er auch auf seinen verwegenen Gemsenjagden zu begleiten pflegte. Gleichfalls im Gefolge des Kaisers war der gelehrte Graf Ulrich von Helfenstein, dem Wilibald Pirckheimer eine seiner Uebersetzungen aus dem Plutarch widmete, und den mit Hutten noch besonders der Haß gegen den Herzog Ulrich von Würtemberg, der ihm ein Schloß niedergebrannt hatte, verband. Der Augsburger Egidius Rem war Hutten's Studiengenosse von Pavia her; mit dem Italiener Terbatius von Vicenza gab dessen ausgezeichnete Kenntniß des Griechischen und Lateinischen einen Berührungspunkt; wie mit dem Liebhaber, geheimer Weisheit, Johann Mader, genannt Föniseca, die gemeinsame Verehrung für Reuchlin. Der Theolog Oekolampadius kam von Basel und brachte Nachrichten über Erasmus; Ritter Sigmund von Herberstein, von einer Gesandtschaft zu dem Moscowiterfürsten zurückgekehrt, belehrte den nach allen Seiten hin wißbegierigen Hutten über den Lauf der Wolga, und daß es keine rhyphäischen und hyperboreischen Berge gebe. Daß eine Sache, die in der Meinung der Menschen so fest stand, von der so viele treffliche Männer als von einer ausgemachten geschrieben hatten, sich in Fabeln, in Nichts auflöste, machte auf Hutten einen tiefen, fast erschütternden Eindruck. Diese Notizen gibt Hutten in dem so eben angeführten Briefe an Pirckheimer, a. a. O. S. 213 ff.

Daneben verfolgte Hutten den Gang des Reichstags mit gespannter Aufmerksamkeit. ›Das angenehmste Schauspiel‹, schreibt er an den meißnischen Domherrn Julius von Pflugk nach Bologna, ›bietet sich hier Aller Augen da. So viele Fürsten, ausgezeichnet durch Jugend und Wohlgestalt, eine so große Menge von Grafen und Rittern, die Blüthe des deutschen Adels: wer sie anschaut, dem können die Türken nicht sehr furchtbar erscheinen. Wenn heute die Deutschen so viel Hirn als Kraft haben, möchte ich der Welt mit Unterjochung drohen. Gebe Gott, daß diejenigen sich wohl berathen, von deren Rath alles abhängt. Denn was anderes müssen wir wünschen, als daß jetzt eben Deutschland sich erkennen möge?‹ Erfreulich war dabei für Hutten die Wahrnehmung, daß weniger Aufwand als sonst bei solchen Versammlungen gemacht wurde; er wußte freilich nicht, durfte er es als Zeichen besserer Besinnung, oder nur als Folge der eben herrschenden Theurung betrachten. Denn in Kleidern war noch große Verschwendung zu bemerken, indem es die Deutschen den Franzosen nachthun wollten; und getrunken wurde auch noch tüchtig, um dabei die deutsche Art doch nicht ganz zu verläugnen.

Während auf diesem Reichstage gegen Hutten's Feind, den Herzog Ulrich von Würtemberg, die Acht erneuert, aber nicht vollzogen wurde, widerfuhr seinem Herrn, dem Erzbischof Albrecht, große Ehre. Der Papst sandte ihm, und zwar zu allgemeiner Verwunderung unentgeltlich, den Cardinalshut und Purpur, womit ihn am 1. August bei feierlichem Hochamt im Dome, im Kreise vieler Fürsten und Edeln und unter dem Zudrang einer zahllosen Menschenmenge der päpstliche Legat bekleidete. Der Kaiser selbst gab ihm vom Dom aus das Geleite in sein Quartier, und schickte ihm hierauf eine königliche Sänfte, Pferde und kostbare Teppiche zum Geschenke. Die folgenden Tage kamen nach einander die Fürsten, ihm zu seiner Beförderung Glück zu wünschen, und auch unserm Ritter schien so viel Glück in so kurzer Zeit (binnen fünf Jahren zwei Erzbisthümer, die Kur- und nun die Cardinalswürde) eine besondere Gunst der Götter für den noch jugendlichen Albrecht zu verbürgen. Alles Bisherige aus dem angeführten Brief an Julius von Pflugk. Ob übrigens Hutten's Freude über diese seinem Herrn gewordene Auszeichnung so ungemischt war, als er sie dem geistlichen Diplomaten Pflugk gegenüber ausspricht, ist zu bezweifeln. War es doch neben dem Ablaß ein zweites Band, um den gebildeten und wohlwollenden, dafür auch von Hutten wirklich geschätzten, aber bequemen und bestimmbaren Fürsten an das Interesse des römischen Stuhls zu ketten!

Mit dem Hauptgegenstande des Reichstags, dem auch Hutten seine Feder gewidmet hatte, der Türkenhülfe, ging es nicht recht vorwärts. Der Legat hielt einen Vortrag, in welchem er das päpstliche Ansinnen, namentlich in Betreff der Aufbringung der Kriegskosten, darlegte. Mit dem Kaiser verständigte er sich leicht; aber bei den Fürsten stieß er auf Widerstand. Am 24. August, als Hutten den Brief an Pflugk schrieb, schwebte die Verhandlung noch: der Kaiser that und Hutten hoffte das Beste. Drei Tage darauf war eine entschieden ablehnende Antwort der Stände da. Seine bald nachher gedruckte Rede nannte Hutten jetzt ein Spiel; nicht weil es ihm mit derselben nicht Ernst gewesen, sondern weil es bei den deutschen Fürsten für Scherz gelte, vom Türkenkriege zu reden. Hutten's Empfindungen dabei waren gemischter Art. Daß die römische Curie mit ihrem Geldgesuche durchgefallen war, gönnte er derselben um so eher, je mehr er selbst überzeugt war, daß das Geld auch dießmal wieder nur für die Taschen der römischen Höflinge bestimmt gewesen. Daß aber die deutschen Fürsten gegen die keineswegs eingebildete Türkengefahr so gleichgültig waren, verdroß ihn doch. Er sah eine Schlaffheit darin, aus der er ihnen hätte gönnen mögen, durch einen wirklichen Einfall der Türken aufgerüttelt zu werden. An Bannisis und Pirckheimer.

Von hier aus fällt auf eine ohne Namen erschienene Schrift, die kurz vor oder während des Reichstags geschrieben sein mag, ein eigenthümliches Licht. Sie hat die Form eines Rundschreibens an die deutschen Fürsten, daß sie den verlangten Türkenzehnten verweigern sollen. Exhortatio viri cujusdam doctissimi ad principes, ne in decimae praestationem consentiant. In Hutten's Schriften V, S. 168-175. Das Ganze sei ein fein angesponnener Betrug der Römlinge, den, wie sie, meinen, Niemand, am wenigsten die tollen und vollen Deutschen merken werden. Der Türkenkrieg sei nur ein Vorwand, um das unwissende Volk auszuplündern. Hätte man zu Rom oder in Deutschland das Geld aufbewahrt, das nur allein unter Friedrich III. und Maximilian für Pallien und ähnliche Gaukeleien nach Rom geflossen, so hätte man jetzt Kriegsmittel im Ueberfluß, und brauchte nicht die Christenheit mit neuen Auflagen zu beschweren. Und »den Türken wollet ihr schlagen?« fragt der Redner. »Ich lobe euer Vorhaben; aber ich fürchte, ihr irrt euch im Namen. In Italien, nicht in Asien müsset ihr ihn suchen. Gegen den asiatischen ist jeder unserer Fürsten zur Vertheidigung seiner Grenzen sich selbst genug: den andern aber zu bezähmen, reicht die ganze christliche Welt nicht hin. Jener, mit seinen Grenznachbarn im Streite, hat uns noch nichts geschadet: dieser wüthet überall und dürstet nach dem Blute der Armen; diesen Höllenhund könnet ihr auf keine andere Art als mit einem goldenen Strome beschwichtigen.« Verweigern sie nun den verlangten Zehnten, so haben sie sich freilich auf den päpstlichen Bann gefaßt zu machen. Allein furchtbar sei nur Christi Blitzstrahl, nicht der florentinische. Daß es sich aber dießmal nur um die Angelegenheiten der Florentiner, d. h. Leo's X. und seiner Nepoten, handle, sei offenbar. Im vorigen Sommer sei mit unglaublichen Kosten der Herzog von Urbino zu Gunsten des Lorenz von Medici vertrieben und abgefunden, hierauf, um das Geld dazu zu beschaffen, unter dem Vorwande einer Verschwörung gegen das Leben des Papstes, das Vermögen der reichsten Cardinäle eingezogen worden. Ablaß werde gepredigt für den Bau der Peterskirche: aber bei Nacht wandern die Steine zum Palaste des päpstlichen Nepoten; während an jener Kirche nur zwei Arbeiter beschäftigt seien, worunter ein lahmer. Und da man dem Papste, seiner Dickleibigkeit wegen, kein langes Leben verspreche, so brauche man Geld, um dem Nepoten für alle Fälle eine vornehme Frau und ein Fürstenthum in Frankreich zu verschaffen. Dieß habe es auf sich mit dem neuen Zehnten; es sei daher von den Deutschen zu hoffen, daß sie sich auf einen so schändlichen Plan nicht einlassen werden.

Frühzeitig wurde diese Schrift Ulrich von Hutten zugeschrieben. Weil man ihm in seiner Türkenrede die Ausfälle gegen die römischen Erpressungen gestrichen hatte, könnte er in einer anonymen Schrift gerade diese Stellen weiter ausgeführt, und darüber die Angelegenheit des Türkenkriegs, als undurchführbar, fallen gelassen haben. Allein so kaltsinnig, als in dieser namenlosen Schrift geschieht, sprach er sich auch nach dem Reichstage nicht darüber aus. Eine Stelle wie die, daß zur Abwehr der Türken jeder einzelne Fürst sich selbst genug sei, würde Hutten schwerlich jemals geschrieben haben. Auch Sprache und Satzbau der Schrift ist minder klar und rund als bei Hutten. Daß der Verfasser sich gegen den Schluß als einen von Lorenz von Bibra geweihten Priester bezeichnet, und für diesen Bischof von Würzburg, so wie für den von Bamberg besonderes Interesse an den Tag legt, könnte für sich allein genommen als absichtliches Versteckspielen erscheinen, aber in Verbindung mit dem Uebrigen leitet es entschieden von Hutten ab. Dagegen paßt es vollkommen auf den Würzburger Domherrn Friedrich Fischer, der in Bologna Hutten's Stubenbursche gewesen war und dort die oben erwähnte Schrift des Laurentius Valla für ihn abgeschrieben hatte. Da er nach Hutten's Abreise noch daselbst zurückblieb, so kann es gar wohl sein, daß er, wie der Verfasser der Exhortatio von sich sagt, drei von den wegen des Türkenzehnten ausgeschickten Legaten in Bologna hat einziehen sehen.

Neben seiner Beschäftigung mit den kirchlich-politischen Angelegenheiten setzte indeß Hutten seine humanistische Werbung für Reuchlin noch immer treulich fort. Viele Gänge machte er in Augsburg, um die besten Männer im Gefolge der anwesenden Fürsten für die Sache zu gewinnen; wobei ihm die angenehme Wahrnehmung wurde, daß diese Bemühung kaum mehr nöthig, die meisten von selbst schon für Reuchlin waren. Sein Rechtshandel schien ganz eingeschlafen. Von Köln lief die Nachricht ein, der Graf von Nuenar habe den Hochstraten, wegen gemeiner Schmähschriften gegen ihn, aus der Stadt vertrieben. Aus Frankreich meldeten die neuen Freunde (Faber, Budäus etc.), daß dort Reuchlin's Name hochberühmt, und den Theologisten jede Hoffnung des Sieges benommen sei. In dem oben angeführten Brief an Pflugk. Während seines augsburger Aufenthalts war es auch, daß die verbesserte und vermehrte Ausgabe des Niemand,, welche Hutten größtentheils schon vor seiner zweiten Abreise nach Italien fertig gemacht hatte, endlich im Druck erschien. Am 24. August kündigte er dieß dem in Bologna weilenden Julius Pflugk mit der Aufforderung an, Acht zu geben, was die Italiener zu der Posse sagen. In Deutschland, in Augsburg besonders, machte sie ziemlichen Rumor. Ja, die Ausfälle der Vorrede machten unter denen, die sich getroffen fühlten, böses Blut. Die Juristen vor Allen glaubten sich gröblich angetastet, zogen bei Zechen und Mahlzeiten gegen den Verfasser los, und verabredeten sich, ihm inskünftige ihren Rechtsbeistand entziehen zu wollen. Selbst bei seinem Kurfürsten wurde er wegen seines, wie es hieß, unbescheidenen Angriffs auf die Juristen und Theologen als ein schmähsüchtiger Mensch angeschwärzt, und fand daher nöthig, in einer seiner nächsten Schriften, die er demselben widmete, zu versichern, daß er nur diejenigen gemeint habe, welche, selbst unwissend, jedes bessere Studium zu unterdrücken suchen. Uebrigens wurde ihm die Genugthuung, daß wahrhaft gelehrte und verständige Männer mit ihm der Thoren lachten, und ihm ihren vollen Beifall bezeigten. An Pirckheimer, Schriften I, S. 211. De Guaiac. c. 7. Schriften V, S. 419 f.

Obwohl der Gang, den Hutten's Entwicklung nahm, sich immer mehr dem Punkte näherte, wo er mit Luther Zusammentreffen mußte, so faßte er doch für dessen Sache auch jetzt, wo beide wochenlang in Einer Stadt zusammen waren, weder eine wärmere Theilnahme, noch einen höhern Gesichtspunkt. Vom 7. bis 20. October befand sich Luther in der bekannten Verhandlung mit dem Cardinal Cajetan zu Augsburg, ohne daß Hutten dieser Anwesenheit, vielweniger einer persönlichen Berührung erwähnte. Freilich machte er gerade während jener Wochen seine Guaiak-Cur durch, welche ihn auf sein Krankenzimmer beschränkte, und den Zutritt zu ihm nur genaueren Bekannten möglich oder wünschenswerth machte. Daher spricht er in Briefen aus jener Zeit zwar von des jungen Melanchthon Berufung nach Wittenberg auf den Lehrstuhl der griechischen Sprache mit Freude; von Eck's Angriff auf Karlstadt mit landsmännischer Theilnahme: wie er aber auf Luther's Kriege mit eben diesem Eck und vielen Andern zu reden kommt, weiß er immer noch nichts Besseres zu thun, als sich die Hände zu reiben vor Vergnügen über das Schauspiel, die Theologen sich untereinander selbst zerfleischen zu sehen. In den Briefen an Pflugk vom 24. August und an Pirckheimer vom 25. October, also jener vor Luther's Ankunft in Augsburg, dieser nach seiner Abreise geschrieben. Schriften I, S. 187. 216.

Von dem Legaten, mit welchem Luther in Augsburg zu thun hatte, und der auch schon bei dem Reichstage thätig gewesen war, nahm dagegen Hutten mehr Notiz, als dem Manne lieb sein konnte. Schon als päpstlicher Legat war er dem Ritter zuwider: nun aber trat überdieß dieser Cardinal Cajetan in Augsburg mit einer an Narrheit grenzenden Eitelkeit und Prunksucht auf; ein hochnäsiger Italiener, welchem in dem barbarischen Deutschland nichts gut genug war. Von allem dem sollte ihm nichts geschenkt werden: Hutten nahm ihn jedenfalls schon jetzt aufs Korn, wenn auch sein Gespräch: das Fieber, in welchem er ihn durchzieht, noch nicht in Augsburg geschrieben sein sollte.

Noch kein Jahr lebte Hutten im Dienste des Kurfürsten von Mainz, und längst hatte ihm das Hofleben auch seine Schattenseiten gezeigt. ›Du fragst«, schrieb er im Mai 1518 von Mainz aus an Peutinger, ›wie das Hofleben mir bekomme? Noch nicht zum besten. Zwar, was läßt sich nicht ertragen unter einem so ächt fürstlichen Herrn, der so human und freigebig ist, wie Erzbischof Albrecht?« und mit einem so aufrichtigen, umgänglichen Freunde wie sein Leibarzt Stromer? ›Im Uebrigen bin ich jener Dinge äußerst satt: des Dünkels der Hofleute, der glänzenden Versprechungen und ellenlangen Begrüßungen, der hinterlistigen Unterredungen und des leeren Dunstes.« Und an Stromer schrieb er, sie beide seien zu gerad und aufrichtig für den Hof. Schriften I, S. 174. 219. Hatte doch der Leibarzt selbst im vorigen Jahre des Aeneas Sylvius Schrift über das Elend der Hofleute mit einer Vorrede herausgegeben, die man als Ausführung des deutschen Sprüchworts: Lang bei Hof, lang bei Höll, bezeichnen könnte. So fand er denn auch an Hutten's Ausfällen und Scherzen über den ihm neuen Stand Gefallen, und während ihres gemeinschaftlichen Aufenthalts am Reichstage forderte er den Freund auf, etwas über dieses Thema zu schreiben, um sich den Versammelten (da der Druck seiner Türkenrede noch beanstandet war) bemerkbar zu machen.

Es war keine Kleinigkeit, während der Hundstage, körperlich leidend und unter den Störungen eines getümmelvollen Reichstags, in kürzester Frist, wie Stromer verlangte, so etwas auszuarbeiten; noch weniger für einen angehenden Hofmann, am Hofe selbst, etwas gegen das Hofleben zu veröffentlichen. Das alles führt Hutten dem Freunde in der Zueignung der von ihm veranlaßten Schrift zu Gemüthe; wobei er besonders scherzhaft die Gefahren körperlicher Mißhandlung von Seiten vierschrötiger Collegen ausmalt, die so etwas einem ›Schreiber«, wie sie die Gelehrten so gerne nennen, nicht ungestraft werden hingehen lassen. Doch nachdem die fertige Arbeit, außer Stromer's, auch die Billigung Peutinger's, Spiegel's und Stab's erhalten habe, schließt Hutten, so gebe er nach, indem er sich wegen möglichen Anstoßes damit beruhige, daß an Kurfürst Albrecht's Hofe ein Scherz keine Gefahr bringe und eine komische Uebertreibung zurechtgelegt werde.

Mit seinem Gespräch über das Hofleben Ulrichi de Hutten eq. Germ. Aula dialogus. Schriften IV, S. 43-74. Das Zueignungsschreiben I, S. 217-220. Als Muster lag dem Verf., außer der oben genannten Schrift des Aeneas Sylvius, die Lucianische Declamation Περὶτῶνἐπὶμισδῷσυνόντων vor, die sich jedoch speciell auf die Dienste griechischer Literaten bei römischen Großen bezieht, und bei ganz verschiedener Composition, kaum hie und da in einem einzelnen Punkte mit dem Hutten'schen Gespräche zusammentrifft. kehrte Hutten zu der dialogischen Form zurück, die er im Phalarismus zuerst ergriffen, hierauf in seiner vierten Rede gegen den Herzog Ulrich und der Türkenrede, aus Gründen, die im Gegenstand und der Bestimmung dieser Schriften lagen, wieder verlassen hatte, die aber von jetzt an seine Lieblingsform bleiben sollte. Der Dialog eröffnet sich damit, daß Castus, wie er den Misaulus als Hofmann wiedersieht, an dessen schönen Kleidern ein Wohlgefallen äußert: worauf ihm dieser erwiedert, er habe sich früher in seinen Lumpen besser befunden; denn damals sei er frei gewesen, jetzt sei er ein Sklave. Castus ist gewissermaßen der frühere Hutten selbst, der, nach einer in Studien und auf Reisen, unter Anstrengungen und Entbehrungen zugebrachten Jugend, sich das Hofleben äußerst anmuthig, und als praktische Lebensschule auch höchst lehrreich denkt. Dagegen ist Misaulus ein alter, erfahrener, jetzt überdieß zurückgesetzter Hofmann, der nur die Schattenseiten des höfischen Wesens sieht, und zwar die Lust des andern am praktischen Leben billigt, aber den Hof nicht als die rechte Schule desselben gelten läßt. Er vergleicht das Hofleben einem Meere, und kleidet, was er gegen dasselbe vorzubringen hat, vorzugsweise in diese Allegorie. Die Hofleute sind des Ulysses Schiffsgesellschaft, deren Trug und Hinterlist man nur durch besondere Klugheit und Vorsicht entgehen kann. Ohne Verstellung und Schmeichelei namentlich ist bei Hofe nicht durchzukommen. Dann sind auf diesem Meere Stürme, nämlich Gunst, Neid, Ehrgeiz, Ueppigkeit u. dgl., welche alle dem Gemüthe seine Ruhe und Fassung rauben. Ferner Syrten und Scyllen, an denen die Schiffenden zu Grunde gehen, d. h. die Verbrechen (Unterschlagung, Verrath), wozu manche sich durch Mangel, Ehrsucht u. s. f. verleiten lassen. Klippen: die größte und gefährlichste, der Zorn des Fürsten; kleinere, sein Argwohn (etwa wegen freier Reden), Neid und Anschwärzung von Seiten der Collegen; ein Fels, vor dem man sich sehr hüten muß, ist auch, in die schöne Frau oder Tochter des Fürsten sich zu verlieben, oder sie in sich verliebt zu machen. Die Seeräuber auf diesem Hofmeere sind die Feinde des Fürsten, die, wenn sie mit diesem in Fehde stehen, seinen Diener gefangen nehmen können, wo es dann diesem überlassen bleibt, sich mit seinem eigenen Gute loszukaufen, oft auch Marter und Tod seiner warten. Auch an einer garstigen Grundsuppe fehlt es dem Hofschiffe nicht: das ist die Unreinlichkeit in Geschirren und Betten, die verdorbenen Speisen und Getränke, die unfläthigen Tisch- und Bettgesellen; wobei Hutten mit sehr grellen, nach den Sitten der damaligen Zeit schwerlich übertriebenen, wenn auch für den heutigen Geschmack abstoßenden Farben malt.

Der Schein des Reichthums, wird außerhalb der Allegorie bemerkt, der manchen an den Hof zieht, ist eben nur Schein. Die meisten deutschen Fürsten sind jetzt arm, in Folge ihrer Verschwendung, ihres Prassens und Großthuns; der Hofmann hat seine liebe Noth, seinen kargen Sold von ihnen herauszupressen, und muß oft im Dienste, statt zu gewinnen, sein Eigenes zusetzen. Auch in der Wahl und Schätzung ihrer Diener zeigen sich die Fürsten höchst unverständig. Sie wollen athletische Gestalten in ihrem Gefolge haben, gleichviel, wie's im Hirnkasten aussieht; dagegen werden kleine, magere, unscheinbare Leute, wenn sie auch die klügsten und geschicktesten sind, hintangesetzt. – Unter diesen und ähnlichen Reden, welche die Hoflust des Castus schon ziemlich herabgestimmt haben, ertönt mit einem Male die Schelle, welche den Misaulus zum Dienste ruft, und er geht ab, nachdem er noch einmal den Freund vor dem Eintritt in gleiche Knechtschaft angelegentlich gewarnt hat.

Unter den Ersten, denen Hutten seine neue Arbeit mittheilte, war Wilibald Pirckheimer, zu dem er während der letzten Jahre in ein genaueres Verhältniß getreten war. Kein Wunder, daß diese senatorische Gestalt ihn anzog, wie sie uns noch heute anzieht. In keinem Andern ist das Patriciat der deutschen Reichsstädte dem römischen näher getreten. Nichts war klein und eng angelegt in dem Mann und seinen Verhältnissen. Ein großer, gewaltiger Körper, von früh auf ritterlich geübt; Geburt aus einem edeln Geschlechte der damals ersten deutschen Stadt; ererbter Reichthum; gelehrte Ausbildung in Italien, höfische und kriegerische im Dienste des Bischofs von Eichstädt: wo zu einem Geiste von starker und umfassender Anlage solche Mitgaben hinzukamen, da konnte sich etwas Bedeutendes entwickeln. Kaum hatte er seine Bildung vollendet, so nahm er im Rathe seiner Vaterstadt Platz; seine imponirende Gestalt, seine Wohlredenheit, seine diplomatische Haltung machten ihn besonders zu Gesandtschaften geschickt; bald lernte Kaiser Maximilian ihn schätzen und ernannte ihn zu seinem Rathe; manche Gunst, die er der Stadt Nürnberg bewies, hatte sie der Geltung zu verdanken, in welche ihr Sprecher sich bei dem Kaiser zu setzen wußte. Auch seine kriegerischen Gaben anzuwenden, fand Wilibald Gelegenheit. Als der Schweizerkrieg des Jahres 1499 ausbrach, führte er dem Kaiser die nürnbergischen Truppen als ihr Oberster zu. Der Krieg war unglücklich, da es an der obern Leitung fehlte: Pirckheimer an seiner Stelle erprobte seine Tüchtigkeit und beschrieb nachher selbst seinen Feldzug, wie Xenophon und Cäsar. Während dieses Feldzugs war es, daß Kaiser Maximilian einmal auf dem Bodensee in demselben Schiffe mit Pirckheimer von Lindau nach Konstanz fuhr, und ein Stück seiner Denkwürdigkeiten, das er auf dem Schiffe dictirt hatte, demselben vorlesen ließ, mit der Frage, wie ihm das Reiterlatein gefalle? Heimischer Neid und Anfeindung fehlten dem hervorragenden Manne nicht: einmal trat er grollend aus dem Rathe, und ließ sich ein andermal nur durch die ehrenvollste Genugthuung darin zurückhalten.

Die Zeit, die ihm von öffentlichen Geschäften übrig blieb, gehörte der Wissenschaft, dem persönlichen oder brieflichen Verkehre mit ihren Vertretern, von denen die meisten seine Bekannten, die besten seine Freunde waren. Aber auch die bedeutendsten unter denselben näherten sich ihm nur mit Verehrung, legten auf sein Urtheil und seinen Rath das größte Gewicht, und nahmen seine Zurechtweisung willig hin. Sein Haus, dessen Gemächer die Besuchenden königlich nannten, seine mit Büchern und Handschriften reich versehene Bibliothek, standen jedem Gelehrten offen. Seine glänzenden Gastmahle, bei denen er vorzugsweise Leute von Geist um sich zu versammeln liebte, waren berühmt. Durch ihn vornehmlich wurde Nürnberg ein literarischer Mittelpunkt. Seine Geistesrichtung war die humanistische; in dem Heere der Reuchlinisten nahm er eine der vordersten Stellen ein. Sein lateinischer Stil ist nicht tadellos, hat aber, besonders in seinen gehaltvollen Vorreden und Zueignungen, einen classischen Strich und römische Würde. Eine seltene Stärke besaß er im Griechischen. Schriften von Plato und Xenophon, von Plutarch und Lucian, hat er ins Lateinische, manche auch ins Deutsche übertragen. Der Hofmeister seiner Neffen bezeugte ihm von Italien aus, wo diese einen geborenen Griechen zum Lehrer hatten, ihr bester Lehrer im Griechischen sei doch Pirckheimer selbst gewesen. Aus Spanien erbat sich nach Jahren einer dieser Neffen den Abriß der Rhetorik, den der Oheim einst zu ihrem Unterrichte zusammengestellt hatte. Dem Neffen war vom Oheim aufgetragen, ihm von den neuen Seereisen und Entdeckungen der Spanier in Amerika immer sogleich die genauesten Nachrichten zu geben. Wie verkörpert ist in Pirckheimer der allseitige Wissens- und Bildungsdrang der Zeit. Hermann, Graf von Nuenar, wechselt Briefe mit ihm über ältere deutsche Geschichte, Erasmus, Cochläus über Theologie; Gabriel Hummelberger erbittet sich ein botanisches Buch aus seiner Bibliothek, und fordert ihn auf, auch einige der griechischen Aerzte, wie bereits den Kirchenvater Gregor von Nazianz, lateinisch reden zu machen; dazwischen legen ihm Andere verwickelte Rechtsfälle zur Begutachtung vor; Hubert Thomas von Lüttich bittet ihn um Erklärung etlicher Verse aus Hesiod; Glarean freut sich seines Vorhabens, die Geographie des Ptolemäus herauszugeben. Auch die Kunst war Pirckheimer nicht fremd. Die Musik übte er selbst als Liebhaber aus; den Landsmann Albrecht Dürer bewunderte er als Maler und liebte ihn als Menschen, und es war ein tiefer Kummer für ihn, daß er den trefflichen Freund, als das Opfer der Quälereien eines bösen Weibes, wie er meinte, vor der Zeit hinschwinden sah.

Wie antik spricht das Bild uns an, das Wilibald selbst von seinem Landleben auf dem Gute seines Schwagers, als zu Nürnberg die Pest hauste, uns entwirft. Hier, entfernt von städtischen und Staatsgeschäften, lebt er ganz dem Studium und der Natur, liest Vormittags in Plato, sieht nach Tische von hoher Burg herunter, da ihn das Podagra am Gehen hindert, dem Treiben der Landleute auf den Feldern, der Fischer und Jäger im Thal und auf den umliegenden Hügeln zu; empfängt und bewirthet Besuche aus der Nachbarschaft, oder auch die eigenen Maier und Bauern mit Weib und Kind; der Abend gehört wieder dem Studium, besonders geschichtlicher Werke und solcher, welche von den Sitten der Menschen oder der Herrlichkeit der Natur handeln; dabei wacht er tief in die Nacht, und ist der Himmel hell, so beobachtet er noch mit Instrumenten den Lauf und die Stellung der Wandelsterne, in denen er die Ereignisse der Zukunft, die Schicksale der Fürsten und Nationen zu lesen glaubt. In Interpretationem Dialogorum Platonis, qui inscribuntur Axiochus etc. Præfatio (an Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden) … Ex secessu nostro Neopagano (Neuhof) Cal. Sept. 1521. Pirckheimeri Opp. ed. Goldast, p. 232 ff. Womit zu vergleichen die Briefe von und an Pirckheimer in derselben Sammlung, in Heumann's Documenta literaria, und in v. Murr's Journal zur Kunstgesch. und zur allg. Literatur, X. Thl.

Von einem Manne solcher Stellung und Haltung, der auch einem Reuchlin und Erasmus es nicht verbarg, wenn etwas an ihren Schriften oder Handlungen ihm nicht gefiel mußte Hutten, wenn er ihm eine Arbeit vorlegte, ein freimüthiges Urtheil erwarten. Vom Hofleben überdieß hatte Pirckheimer, der, 18 Jahre älter als Hutten, einen Theil seiner Jugend an einem geistlichen Hofe zugebracht, und auch seitdem in allerlei diplomatischem Verkehr mit Kaiser und Fürsten gelebt hatte, eine ungleich gründlichere Erfahrung als sein ritterlicher Freund, der darin kaum erst Anfänger war. Dieses Uebergewicht ließ er ihn jetzt, nicht ohne freundschaftliche Ironie, empfinden. Er fand sein Gespräch über das Hofleben ganz hübsch, aber unreif. Erst wenn Hutten gleich ihm 20 Jahre lang alle Täuschungen und Intriguen, alle Kränkungen und Zurücksetzungen des Hofverkehrs erfahren hätte, würde er im Stande sein, gründlich und nicht blos aus fremder Mittheilung von der Sache zu reden. Uebrigens wünsche er dem Freunde, daß ihm die Erfahrung erspart bleiben, er im Hofdienste nicht alt werden, vielmehr bald in die Lage kommen möge, einzig sich selbst, seinen Freunden und den Musen leben zu können. Brief an Hutten, Schriften I, S. 193 f.

Beider Männer würdig ist die Art, wie der jüngere diese Ausstellung des älteren aufnahm. Ohne seine Arbeit, die in der That zu seinen schwächern gehört, weiter zu vertheidigen, wendet er sich gegen den andern Theil des Pirckheimer'schen Briefes, der eine Unzufriedenheit mit seinem Eintritt in den Hofdienst nicht verbarg. Eben da er sein Gespräch über das Hofleben unreif finde, sollte Pirckheimer, so meint Hutten, ihm um so mehr Zeit lassen, am Hofe reif zu werden, und ihn nicht schon von der Schwelle desselben wieder hinwegreißen wollen. Und nun entwickelt Hutten dem Freunde seinen ganzen Lebensplan in einem ausführlichen Schreiben, das zu dem Anziehendsten gehört, was aus seiner Feder geflossen ist, und einen gleich tiefen Einblick in sein eigenes Innere wie in die Bildungsverhältnisse der Zeit gewährt. Ulrichi de Hutten ad Bilibaldum Pirckheymer, patricium Norimbergensem, epistola, vitæ suæ rationem exponens. Schriften I, S. 195-217. Eckermann sagt einmal von einem Gedichte, das Goethe ihm zu lesen gab: »es wälzte sich stets um seine eigene Axe und schien immer dahin zurückzukehren, woher es ausgegangen.« Gespräche mit Goethe, zum 27. Oct. 1823. Ob dieß für ein Gedicht ein Lobspruch ist, mag man bezweifeln; für einen Brief ist es gewiß kein Tadel. Und auf dieses Hutten'sche Sendschreiben trifft es genau zu. Uebrigens ist dasselbe ebenso auf der einen Seite eine weitere Ausführung eines früher erwähnten Schreibens an den Grafen Hermann von Nuenar, wo Hutten ähnliche Bedenken gegen seinen Eintritt in höfische Dienste zu beseitigen hatte, wie es auf der andern Seite den Stoff zu dem Gespräch Fortuna geliefert hat, das, wie wir seiner Zeit finden werden, unter Hutten's künstlerischen Schöpfungen eine ebenso hohe Stelle einnimmt, wie das Sendschreiben an Pirckheimer unter seinen Briefen.

Daß eine Verbindung des wissenschaftlichen Lebens mit dem praktischen sowohl an sich möglich, als für eine Natur wie die seinige Bedürfniß sei; daß insbesondere seine Stellung am mainzer Hofe die Thätigkeit für die Wissenschaften nicht ausschließen, diesen vielmehr zu Gute kommen solle: dieß ist der kurze Inhalt des Sendschreibens, aus welchem wir einzelne biographische Data schon bisher entlehnt haben, von dem wir aber hier eine zusammenhängende Uebersicht geben müssen.

Der Freund sehe ihn nicht gern im Hofdienste. Auch er selbst warne in seinem Dialog Andere davor, und doch bleibe er darin. Was er denn auch Anderes thun sollte? Denn thun müsse er etwas; zum bloßen Studirstubenleben sei er noch zu jung (er war eben dreißig), wenn er überhaupt dazu gemacht sei. Vorher müsse er sich noch in der Welt herumtummeln. Auch seine Verwandten und Freunde dürfe er um die praktischen Dienste nicht täuschen, die sie von ihm noch erwarten können. Was er denn mit den Theilnehmern seiner gelehrten Beschäftigungen künftig reden sollte, wenn er nicht vorher etwas erlebt hätte? Der Freund werde ihn an seine zwölfjährige Wanderschaft erinnern. Gesehen allerdings und kennen gelernt habe er während derselben Vieles; aber nichts gethan, nichts geleistet. Sie sei nur ein Vorspiel des Lebens gewesen: wirklich zu leben müsse er erst anfangen. Pirckheimer kenne ihn nicht genug. Seine Natur verlange neben den Studien Umgang mit Menschen aller Art, auch solchen, die ihm unähnlich seien. Und viel leichter ertrage er dieses gesellige Geräusch, unter dem er sich vollständig zu isoliren im Stande sei, als die Einsamkeit. Daher suche er beides zu verbinden, und wie er bereits durch Schriften einige Auszeichnung erlangt habe, so verzweifle er nicht daran, auch noch in großen Weltgeschäften Ruhm zu erwerben. Dabei sollen ihn jedoch die theuren Studien beständig begleiten. Die Freunde irren, wenn sie meinen, seit er sich dem Hofdienst ergeben, habe er aufgehört zu studiren; weßwegen sie, zu seinem großen Leidwesen, mit erfreulicher Ausnahme Pirckheimer's und des Grafen von Nuenar, ihm nicht mehr schreiben.

Wie tiefgewurzelt die Liebe zu den Studien in ihm sei, habe er schon durch seine beharrliche Vertheidigung Reuchlin's bewiesen. Auch ferner werde er, wenngleich nicht immer ein vorsichtiger, doch ein eifriger Kämpfer gegen diejenigen sein, die sich der aufgehenden Sonne der Bildung als hindernde Wolken entgegenstellen, das Licht der Wahrheit in seinem Anbruche zu verfinstern, ja auszulöschen trachten. Ihren Haß werde er nicht zu vermeiden suchen, sondern nur darnach streben, daß sie ihn daneben auch fürchten müssen. Künftig gedenke er sie nicht mehr hinterrücks zu verspotten, sondern ins Angesicht zu bekämpfen. Den langsamen Fortschritt der guten Sache dürfe man sich nicht verdrießen lassen. Endlich werde es doch dahin kommen, »daß die bessern Wissenschaften wieder aufleben, die Kenntniß beider Sprachen uns mit Griechen und Italienern verbinde, in Deutschland Bildung ihren Wohnsitz nehme, die Barbarei über die hyperboreischen Berge hinaus und bis zum baltischen Meere verbannt sei. Unterdessen wollen wir das Holz der Palme nachahmen, indem wir, je schwerer jene uns aufliegen, um so beharrlicher emporstreben, und gegen die lästigen Unterdrücker mit unbeugsamer Hartnäckigkeit uns erheben.« Dabei wollen sie beide, Pirckheimer als Veteran und Führer, Hutten als munterer Rekrut, das Ihrige thun; Hutten die Feinde von dem Felde abwehren, das Pirckheimer und andere mit dem Samen der bessern Bildung anbauen mögen.

Wie Erasmus im Rheinland und in Niederdeutschland die Geister geweckt, wie Reuchlin seine Schwaben unterrichtet und gebildet habe, so sei Pirckheimer der Lehrer Nürnbergs geworden: Nürnbergs, welchem an dieser Stelle ein Lob zu Theil wird, das der Gelehrte in Hutten dem Ritter, der gegen die Städte und die Grundlage ihrer Größe, den Handel, eine standesmäßige Abneigung hegte, dießmal abgewann. Unter allen deutschen Städten sei Nürnberg die fruchtbarste an guten Köpfen, und wisse diese am besten zu schätzen. An Regiomontan, an Celtis habe es das bewiesen. In Venedig gebe es ein Sprichwort: alle andern Städte in Deutschland seien blind, nur Nürnberg sehe auf Einem Auge. Auch in Kunst und Industrie zeichne Nürnberg sich aus: Nürnberger Fabrikate gelten schon als solche in allen Ländern für vortrefflich, und hauptsächlich für unverfälscht. Der Apelles der neuen Zeit, Albrecht Dürer, sei der Ihrige, dem die Italiener, die sonst nichts Fremdes anerkennen, ihre Werke unterschieben, um sie verkäuflicher zu machen. Eine solche Stadt sei für Pirckheimer's Wirksamkeit ein dankbarer Boden gewesen: ungleich schwerer und langsamer gehe es mit der Einführung humaner Bildung in Hutten's Stande. Immer sei hier noch die Meinung herrschend, daß Gelehrsamkeit unter der Würde eines Ritters sei: diese Meinung habe der treffliche Eitelwolf, der für ihn und die Wissenschaften zu früh gestorben, zu entgelten gehabt. Jetzt eröffnen sich allmälig bessere Aussichten: die vornehmsten Räthe des Kaisers und der Fürsten, auch einzelne Fürsten selbst, scheinen der Partei des Humanismus günstig zu sein. Darum lobe man sie, nenne sie Mäcenaten und Auguste, nicht weil sie es verdienen, sondern zur Aufmunterung. Dadurch seien schon einige unter ihnen in die Lage versetzt worden, ehrenhalber Gelehrten Gutes thun zu müssen, indem die Ueberzeugung sich feststelle, daß Begünstigung der Wissenschaften einem Fürsten wohl anstehe. Daher gehe sein Rath dahin, daß man von humanistischer Seite der Gunst der Fürsten alle möglichen Netze stelle Mit welcher Ironie gegen die großen Herren Hutten dieß betrieb, kann man z. B. aus seinem Briefe an Erasmus vom 6. März 1519 (Schriften I, S. 248) ersehen. Hier fordert er den Erasmus auf, seinen Erzbischof Albrecht um der Gunst willen, die er ihm (Hutten) widerfahren lasse, nur recht zu loben; er und andere Gelehrte werden es zu genießen haben; der Erzbischof hoffe gleich, es werde in eine von des Erasmus Schriften kommen, wenn er einem Humanisten eine Gunst erweise.: um aber dieß zu können, müsse man in ihre Dienste treten und Aemter von ihnen annehmen, wie es die Juristen und Theologen auch machen, denen man sich hierin gleichzustellen habe.

Davon möge ihn (hiemit ist Hutten von seiner Abschweifung zum Thema seines Schreibens zurückgelangt) der Freund nicht abmahnen. Er könnte es mit Grunde nur dann, wenn beides unvereinbar wäre: aber gerade Pirckheimer selbst habe am schlagendsten bewiesen, daß man unter Staatsgeschäften, ja im Kriegsgetümmel, noch Muße für die Wissenschaft übrig behalten könne. So großen Beispielen will sich Hutten nicht zur Seite stellen: aber das muß er wiederholt erklären, daß die Beschränkung auf ein reines Gelehrtenleben seiner Natur entweder überhaupt nicht, oder doch jetzt noch nicht, angemessen ist. »Laß erst«, ruft er dem gereiften Freunde zu, »diese Hitze verbrausen, diesen rastlosen und beweglichen Geist ein wenig müde werden, laß ihn jene Ruhe erst verdienen, zu der du mich vor der Zeit, wie es mir scheint, berufst.«

Für jene Vereinigung von Geschäften und Studien sei gerade seine Stellung am Mainzer Hofe besonders geeignet. Der gütige Fürst habe ihn von den gewöhnlichen Berathungen und dem gemeinen Geschäftsgänge dispensirt. So habe er, trotz der vielen Unruhe, die ihm während dieses ersten Jahres die Sorge für seine Einrichtung und die Erlernung der Hofbräuche gemacht habe, doch viel studirt, auch etliches geschrieben. Um überall lesen und arbeiten zu können, führe er eine tragbare Bibliothek mit sich, und eben jetzt suche er einen jungen Menschen als Vorleser, Schreiber und Handlanger bei seinen gelehrten Arbeiten.

Wo er denn hin sollte, wenn Pirckheimer ihn nicht am Hofe wissen wolle? Dieser dürfe Hutten's Lage nicht nach der seinigen beurtheilen. In Städten lasse sich ruhig, ja bequem, studiren: nicht so auf einer Ritterburg. Hier lassen die Enge und Unruhe, die Sorgen für die Wirthschaft und für die Vertheidigung, einer wissenschaftlichen Beschäftigung keinen Raum. Das sei nicht der ruhige Port, wohin ihn Pirckheimer aus den Stürmen des Hoflebens rufen dürfte. Vollkommene Ruhe und Sicherheit sei auf Erden nirgends zu finden; nicht allein der Hof sei ein stürmisches Meer, sondern das Leben überhaupt. So schlimm sei das Hofleben auf keinen Fall, als Hutten's früheres Reiseleben, wo es ihm oft am Nöthigsten gefehlt, und er aus Mangel sich zum Kriegsdienst habe bequemen müssen.

Nicht Liebe zum Wechsel oder Genußsucht, das dürfe Wilibald ihm glauben, sondern die klar erkannte Nothwendigkeit habe ihn dem Hofleben zugeführt. Er habe sich sein bestimmtes Ziel gesteckt: aber um dieses zu erreichen, bedürfe er einer Unterstützung, einer Wegzehrung gleichsam, und die solle der Hof ihm reichen. Wie? das wolle er dem Freunde bei Gelegenheit mündlich auseinandersetzen. Es sei ein vernünftiger Ehrgeiz, der ihn antreibe, seinen Namen und seine Würde zu behaupten, seinen angeborenen Adel durch persönliches Verdienst sich erst wahrhaft anzueignen, den Ruhm und Glanz seiner Familie zu vermehren. Versäumte er dieß über seinen gelehrten Beschäftigungen, so würde er gerade dadurch seine Standesgenossen in ihrem Vorurtheil gegen die Wissenschaft bestärken. Gewissermaßen rechne er bei seinem Plane auch auf das Glück. Manches könne nur das Glück ihm geben; während es ihm auf der andern Seite nichts, das der Rede werth, nehmen könne. Da sein Vermögen auf keinen Fall zureiche, um davon so, wie er wünschte, leben zu können, so läge wenig daran, wenn er auch vollends darum käme. Seinen Adel aber könne das Glück wohl erhöhen, aber nicht vermindern. Seine Gemüthsruhe werde er zu behaupten wissen; denn er glaube die Fassung sich errungen zu haben, daß er zu gleicher Zeit nach Ehren trachten, und sie verachten könne.

So möge der Freund ihn erst dann vom Hofleben abpflücken, wenn er darin reif geworden sein und seinen Zweck erreicht haben werde. Habe er erst einmal etwas gethan, das Zeugniß gebe, daß er gelebt, dann wolle er sich in wissenschaftliche Ruhe und Verborgenheit begraben, und der stolzen Hofleute, der Adelichen, Theologen und Juristen lachen.

Nach allerhand Mittheilungen über den Reichstag, über sein körperliches Befinden und seinen Umgang in Augsburg, kommt Hutten auf Literarisches, auf des Erasmus neue Ausgabe des Neuen Testaments, Budäus' Commentar zu den Pandekten und andere Zeichen des Auflebens der Wissenschaften in Deutschland und Frankreich zu reden; worauf er seinen Brief mit dem schönen Triumphrufe schließt: »O Jahrhundert! o Wissenschaften! Es ist eine Freude, zu leben, wenn auch noch nicht, sich zur Ruhe zu setzen, mein Wilibald. Es blühen die Studien, die Geister regen sich: du, nimm den Strick, Barbarei, und mache dich auf Verbannung gefaßt!«

Durch dieses Sendschreiben war Hutten sich bewußt, seiner Freundschaft mit Pirckheimer und diesem selbst ein bleibendes Denkmal gesetzt zu haben. Auch schrieb er dieß offenherzig an den Freund, als er ihm eine Anzahl gedruckter Exemplare (sammt dergleichen von dem Gespräch über das Hofleben und der Türkenrede) zur Ablieferung an den nürnberger Buchführer und zur Besorgung nach Leipzig überschickte. Schriften I, S. 221 f.


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