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XII.

Sie hatten sich inzwischen Baden-Baden genähert. Vom Bahnhof ab umsäumten schwere, langsam strömende und stockende Menschenmauern den staubigen Korso des High-Life und seiner Gefolgschaft, es wimmelte und summte wie von einem Bienenschwarm um das Kurhaus und weithin die Lichtenthaler Chaussee hinunter, in einem unruhigen Durcheinander, einem Nachzittern der allgemeinen Erregung, daß »Aegir« wirklich den großen Preis gewonnen...

Bloß »Aegirs« Besitzer ließ dies gleichgültig. Er schwieg den ganzen Rest der Fahrt, die Augen halb geschlossen, einen müden, leidenden Zug um den Mund, und wachte wie aus einem Traume auf, als der Traber vor dem Hotel stillstand. Dicht vor ihnen hielt die vorgefahrene Mailcoach des Mr. Owen. Ein Schwarm Lakaien stürzte wie besessen aus dem Inneren, ein Haufe Kellner aus dem Gasthaus, und die Menschen ringsum sahen ehrfurchtsvoll zu, wie es von oben, von dem Verdeck der unnahbaren Welt, bunt und lachend, mit fegenden Kleidersäumen und Froufrougeraschel und zierlichen blütenweißen Stiefelchen, mit langen Britenschuhen und den knochigen Bewegungen Albions in Geflirte und Geplauder die angelehnte Leitertreppe herniederstieg.

Eine der ersten war Virginia. Sie trat rasch auf ihren Mann zu, um ihn zu verhindern, mit dem alten, zitterig und würdevoll sich aus dem Wagen tastenden und jede Hilfe ablehnenden Grandseigneur seinen Platz zu verlassen. »Bleib!« rief sie. »Wir wollen noch ein wenig die Lichtenthaler Allee entlang fahren. Es ist so hübsch dort. Und so viel Menschen. Bitte, sei so gut!«

Er griff langsam nach Zügel und Peitsche, während sie sich aufgeregt, erhitzt und mit blitzenden Augen an seiner Seite in die Wagenkissen warf. Das war neu, daß seine Frau ihn, ihren Mann, als Ritter bevorzugte....

Aber freilich – heute mußten sie sich wohl oder übel gemeinsam zeigen! Heute tuschelte man überall von ihnen und wies mit den Fingern auf sie und starrte sie neidvoll und staunend an, das glückliche Ehepaar, dem »Aegir« das Wunderpferd, der Hunderttausendmarkgewinner, gehörte. Heute erregten sie noch mehr Aufsehen wie sonst.

Und das wollte sie ja natürlich! Gesehen werden, mitten in der Menge sein, im dicksten Trubel, und doch darüber erhaben, der unbequemen Nähe des Alltags entrückt, nur ein Schaustück für seine blinzelnden Blicke, das war eben sie – das war ihr Leben.

Vielleicht hatte sie auch noch ihre besonderen Gründe.

»Du hast eigentlich Recht,« sagte sie beiläufig, während sie wieder im Schritt in den Korso auf der Lichtenthaler Allee einbogen. »Dieser Mr. Owen ist wirklich... Eben auf der Fahrt von Iffezheim sagte er Dinge ... über die Schulter zu mir hin ... mit einer kaltblütigen Unverschämtheit ... Dinge ... und dann behauptet er, er könne nicht genug deutsch ... er hätte sich versprochen... aber ich werde ihn lehren....«

Ihr Mann erwiderte nichts. So weit mußte es ja kommen, daß Virginia sich gewissermaßen bei ihm entschuldigte, es ihm erst erklärte, warum sie statt eines ihrer Cicisbeos heute ihn zum Begleiter erkor. Freilich – er war ja jeht drei Tage wieder weggewesen, um in der Einsamkeit der Alpen aufzuatmen. In dieser Zeit brauchte sie einen Ritter, und sicher machte der englische Herrenreiter mit dem phlegmatischen, sonnengebräunten Bulldoggengesicht und der athletischen Ruhe eines Meisterfahrers neben ihr eine weit bessere Figur als der melancholische, unschöne kleine Prinz mit der schiefen Schulter und dem resignierten, müden Lächeln.

Und sie daneben! Dieser strahlende, jugendliche Napoleonskopf, von rotgoldenem Haar umflammt, diese statuenschöne, in ihren weißen Hüllen weithin leuchtende Gestalt, die ihn um Haupteslänge überragte, diese Fülle von Lebensenergie, von warmblütiger, gesunder Daseinsfreude, mit der sie nach allen Seiten lachte und grüßte und nickend wie eine vergnügte Königin für die Glückwünsche dankte....

Wieder fühlte er den Rausch ihrer Nähe – den feinen schmeichelnden Duft, der ihrem gewellten Haar entstieg, die sonnenwarme Siegerkraft von Schönheit und Jugend, die neben ihm atmete, deren Herzklopfen er empfand, wie sie da Ellbogen an Ellbogen saßen – und er wendete die Augen von ihr, um seinen heißen, verstörten Blick nicht zu verraten.

Sie kümmerte sich übrigens gar nicht um ihn. Sie fand immer neue Bekannte, mit denen sie von Wagen zu Wagen ein Scherzwort tauschen mußte, sie winkte da dem alten französischen Herzog mit seinem weißen Henri- Quatre, dort dem knabenhaften, bei ihrem Anblick lebhaft errötenden jungen englischen Earl zu, sie wandte sich wieder indigniert, mit einer finsteren Römerstrenge, auf den klassischen jungen Zügen, zur Seite, um den verbrecherischen alten Fürsten Kurakin mit seiner ganz unmöglichen Begleiterin, die reichlich sein Enkelkind hätte sein können, nicht zu bemerken, und tauschte dann wieder mit einigen ihrer New Yorker Getreuen über ein halbes Dutzend Wagen hinweg pantomimisch einen kameradschaftlichen Gruß und setzte sich schweratmend zurecht und lachte geheimnisvoll und befriedigt, wie eine Märchenprinzessin, und strich sich in nervöser Aufregung ein dutzend Mal mit der Hand über das Goldgespinst, das das elfenbeinmatte Oval ihres Antlitzes abschloß, und schaute wieder mit glänzenden Augen in der Runde, ob nicht ein neuer Bekannter da sei, den man grüßen oder nach Laune nicht beachten, für ein paar Stunden erfreuen oder ärgern könne.

Vor ihnen war es jetzt leer. Sie waren am Endpunkt des Korsos, wo die Wagen wendeten. Aber Prinz Wilfried kehrte nicht um. Unversehens forderte er den Traber durch ein Wippen mit der Peitsche zur Eile auf und ließ das ungeduldige edle Tier die Chaussee hinunterschießen, daß Virginia durch den unvermuteten Ruck förmlich nach vorn geschleudert wurde und sich mit einem halblauten Ruf der Überraschung am Arm ihres Gatten festhielt.

»Was heißt denn das?« frug sie und schaute schutzsuchend nach hinten. Aber der Kutscher, der sich sonst hier würdevoll mit gekreuzten Armen von seiner Herrschaft spazieren führen ließ, fehlte. Er war auf dem Rennplatz zurückgeblieben und sie hatte bei dem hastigen Einsteigen an dem Hotel sein Nichtvorhandensein nicht bemerkt.

Die uralten Bäume der Lichtenthaler Chaussee flogen rechts und links an ihnen vorbei, die grünen Rasenflächen mit ihnen Lawn-Tennisplätzen, ihren Radfahrbahnen und Reitzirkeln verschwanden im Husch, ganz in der Ferne deutete nur noch ein unruhiges schwarzes Gewimmel und Gekrieche den Endpunkt des Korsos an, und immer weiter riß der Traber, unermüdlich mit den federnden Vorderbeinen ausgreifend, das leichte Gefährt hinter sich her.

»Um Gottes willen ... geht das Pferd durch?«

Er verneinte, ohne sie anzusehen.

»Ja also ... wo soll denn das hin? Sei so gut und halte an!«

Er ließ den Rappen in Schritt verfallen. Lautlos glitten die Räder durch den Staub. Um sie war alles still und einsam. Bäume und Wiesen, vereinzelte Häuser und Menschen und auf den Höhen ringsum blauend die hohen Schwarzwaldtannen.

Auf ihren schönen Zügen lag Neugier und Ärger.

»Was willst du denn eigentlich?«

»Mit dir allein sein!«

Sie wandte sich enttäuscht ab, als wollte sie sagen: ›Wenn es weiter nichts ist!‹ Und er hatte die Empfindung, daß sie ihn ganz durchschaute! Sie besaß eine instinktive Kenntnis der Männer in allem, was deren Beziehungen zu ihr, zu dem Weibe betraf.

»Und deswegen mitten aus dem Korso wegzujagen!« hub sie mit umwölkter Stirn an. »Du fällst doch immer auf!«

»Du etwa nicht?«

»Jedenfalls angenehmer als du! Aber einerlei – da sind wir nun einmal ... zum Glück wird jedermann glauben, das Pferd sei dir aus der Hand gegangen, und du wirst die Güte haben, mit dem Kopf zu nicken, wenn ich das bei unserer Rückkehr erzähle ... also ... was ist's?«

Er faßte sie, Peitsche und Zügel achtlos in eine Hand ballend, am Arm. »Ich sag' es dir ja: Ich will mit dir allein sein! Nicht nur jetzt! Du bist meine Frau ... du sollst mir gehören ... mir ... verstehst du ... mir ...«

Sie war ganz gelassen. »Nein. Ich verstehe nicht. Natürlich bin ich deine Frau, aber ...«

»Aber da draußen bist du es nicht ...« unterbrach er sie leidenschaftlich, mit erstickter Stimme. » ... Da draußen ... auf dem großen Markt ... in dem ewigen Gewühl ... unter dieser Menagerie von Nichtstuern, von eleganten Tagedieben, von Spielern und Roués, sogar zweifelhaften Existenzen, wie dieser Mr. Owen, die du hierhin und dorthin hinter dir herschleppst ... nichts bin ich dir ... gar nichts ... eine Null ...«

Sie sah seine unscheinbare, in der Erregung zitternde Gestalt von der Seite an: ›Kann ich dafür?‹ lag in dem schweigenden Blick, ›daß du neben mir verschwindest wie die Motte vor dem Licht. Und dich vielleicht an mir zu Asche versengst wie die Motte am Licht? ...‹

Er hielt ihre Hand umfaßt und drückte sie, angstvoll, verzweifelt. »Virginia ... so geht das nicht weiter. Ich halte dies Leben nicht aus. Ich werde wahnsinnig. Ich gehe zu Grund!«

Sie schüttelte leicht den Kopf als stumme Antwort: ›Ja – dann gehe zu Grunde!‹

»Versuche es doch nur einmal mit dir und mir!« bat er flüsternd und scheu. »Nur vier Wochen wir beide allein. Aus diesem Karawanenleben heraus ... Zwei Menschen, die sich auf sich selbst besinnen ...«

Sie drehte sich zur Seite. Es war, als überkomme sie ein Gähnen bei dem bloßen Gedanken.

»Sieh – die Welt gehört doch uns, Virginia – wir können uns ja das Leben einrichten, wie wir wollen. Es ist ja nur ein Versuch ... es gibt so viele Orte, wo niemand uns stört ... wenn ich den Herzog bitte: das Jagdschloß Reihergarten steht unbewohnt. Nur ein alter Förster ist darin und rings, herum die Eichenwälder. Nur ein paar Wochen ... nur daß du mich einmal kennen lernst ... daß ich dir einmal alles sagen könnte, was ich sagen möchte ...«

»So sag es doch hier!«

»Nein. Hier kann ich das nicht. Erst mußt du wissen, nein, erraten mußt du es, wie es in mir ausschaut ... wie ich anders geworden bin im letzten Jahr ...«

Sie blickte zerstreut um sich, als wollte sie sagten: ›Mein blasser Freund, das interessiert mich wenig!‹

»... und wie unglücklich ich bin!« setzte er gedrückt hinzu. »Es liegt in deiner Hand, ob ich es bleibe ... ob ich es noch mehr werde ... wenn das möglich ist ... ich bitte dich, Virginia, höre zu und beschäftige dich nicht mit dem Pferd ... ich weiß, daß es sich am linken Hinterhuf gestrichen hat und ein bißchen blutet! ... Höre auf das, was ich dir sage ... es ist keine Phrase: ... Es handelt sich um mein ganzes Leben ....«

Nun entschloß sie sich endlich zu sprechen: »Also dich amüsiert dies alles hier wirklich gar nicht? ...«

»Amüsieren!« wiederholte er bitter. »Das ist das rechte Wort. Ich spreche von Glück und Unglück eines Menschen und du von Amüsieren. So sind wir beide!«

Sie blieb ganz sanft und geduldig, wie eine Souveränin, die einen Bittsteller auf gute Art abfertigt, mit Glätte und Liebenswürdigkeit und um Gottes willen ohne Lärm und Szenen. »Gut. Ich werde deine Worte brauchen! Also du fühlst dich unglücklich in dem Leben, das wir führen? ...«

»Wenn du das noch nicht bemerkt hast ...«

»O gewiß hab' ich es bemerkt. Schließlich fällt es doch einer Frau auf, wenn ihr Gatte wie jetzt eben drei Tage nicht zum Vorschein kommt und statt dessen irgendwo in der Schweiz mit einer fremden jungen Dame Bergtouren unternimmt – ach ja, mein Lieber, das hab' ich gehört – eine Freundin hat es mir aus Interlaken geschrieben –, aber es war mir gar nicht der Mühe wert, davon zu sprechen, und wenn ich dieser Münchener Bildhauerin einmal begegne, werde ich gewiß nicht die Geschmacklosigkeit haben, ihr Blicke zuzuwerfen, wie du dem armen stupiden Mr. Owen. ... Steige du nur mit ihr so hoch du willst, wenn es dir Spaß macht. Treibe, was du willst. Gehe nach Reihergarten oder sonst wohin ... ich zwinge niemanden zu seinem Vergnügen ... ich will nur, daß man mich nicht in meinem Vergnügen stört ...« »Das heißt ... ich soll allein gehen ... ohne dich?« Sie war ganz fassungslos vor Erstaunen. »Ich? Jetzt ... die Segelwoche in Cowes versäumen ... die Saison in St. Moritz ... die großen Jagden in Thieregg ... und das, um mit dir und einem alten Förster als Einsiedler in einem deutschen Eichenwald zu leben ... sicherlich ... das ist ein Gedanke, auf den von allen Menschen hier in Baden-Baden und in der ganzen Welt nur du allein kommen kannst. Dir sieht er ähnlich. ... Das sind so Ideen, die man sich ausheckt, wenn man hoch oben in den Bergen mit einer jungen Bildhauerin im Nebel sitzt. ... Eigentlich ist das ein komisches Bild!« Er biß die Lippen zusammen. »Ich bitte dich, Virginia!« murmelte er, ohne sie anzuschauen. »Willst du mit mir kommen?«

»Nein!«

»Und das ist deine ganze Antwort?«

Ihr schönes jugendliches Cäsarengesicht hatte sich verdüstert. Sie sah verdrießlich aus. »Warum denn immer alles sagen? Auch das letzte? Das ist auch so eine deutsche Angewohnheit!«

»Sage es mir!«

»Du hörst es ja: Gehe du, wohin du willst, und lasse mich, wohin ich will. Das ist doch so einfach!«

»Das ist nicht das letzte! Es muß klar werden zwischen uns! Lieber ein Ende mit Schrecken als dies ... dies Leben so wie es jetzt ist ...«

Sie zuckte die Achseln. »Glaubst du, daß das mir gefällt ... deine Art ... dein Sonderlingsgebaren ... dein Weltschmerz ... aber gut ... sei so ... ich falle dir nicht mit Klagen darüber lästig, wie du mir meine Stellung erschwerst und den Platz, den ich in der Gesellschaft einnehmen will. Schließlich ist es auch einerlei. Ich erreich' es ja auch ohne dich ....«

»... Und das sagst du mir alles so ruhig und gleichmütig, als ob du eine Lawn-Tennis-Partie verabredest ... wo ich dich bei allem, was ich nur weiß, gebeten habe ...«

»Du hast dies überflüssige Gespräch angefangen! Und wenn du durchaus das letzte hören willst ... gut! Klipp und klar: ich brauche dich nicht mehr! Was du mir geben kannst, hast du mir gegeben! Ich verlange gar nichts mehr von dir. Gar nichts. Ich gebe dir deine ganze Freiheit wieder. Treibe, was du willst, lebe, wie du willst – nur lasse auch mir meine Freiheit ... daß wir sie als vernünftige Menschen nicht zu Dingen mißbrauchen, die unsere Stellung gefährden – das ist ja ganz klar. Ich wenigstens werde mich hüten, meinen Platz in der Gesellschaft aufs Spiel zu setzen. Er hat mich genug gekostet ....«

»Mich hat er gekostet –!«

»O nein! Nicht nur dich! Auch Mühe und Arbeit genug gegen dich! Du hast mir ja in gar keiner Weise geholfen, wie das eigentlich doch unser stillschweigender Vertrag war. Nicht die Hand hast du ausgestreckt, um mich hinauszuheben, wohin ich wollte. Eigentlich war das nicht ganz fair play von dir. Alles hab' ich selbst machen müssen. Schritt für Schritt hab' ich mein Terrain erobern müssen, besonders in letzter Zeit, seit du so ganz menschenscheu geworden bist. Ich hab' mir unsere Ehe auch anders vorgestellt. Wir hätten sehr gut miteinander leben können, wenn wir nur ein bißchen besser zueinander paßten. Aber wir sind nun einmal das gerade Gegenteil. So ziemlich in allem. Daraus mach' ich dir keinen Vorwurf. Du tust mir leid ... du lebst so schwer, so feierlich, so umständlich ... ich möchte immer wieder sagen, du lebst so deutsch – so, wie die Deutschen früher waren. Jetzt werden sie auch anders. Also lebe so...«

»...als ›der deutsche Prinz‹!« sagte der neben ihr dumpf. »So nennt ihr mich ja kurzweg in eurem New Yorker Familienkreis.«

»Nun ja ... lebe als ein deutscher Prinz ... oder überhaupt als ein Prinz ... so wie Prinzen leben ... um das Geld brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen und...«

Er fuhr auf und ballte die Fäuste. Aber er bezwang sich. »Ich habe kein Recht!« murmelte er zurücksinkend. »Ich verdiene es! Ich wollte dir mein Herz ausschütten und bekomme zur Antwort: ›Unbesorgt! Sie kriegen zeitlebens Ihren Jahresgehalt als der deutsche Prinz!‹ ›Aegir‹ kann ja auch sicher sein, das Gnadenbrot zu erhalten auf seine alten Tage. Ihr seid ja nicht kleinlich! Wenn ich daran denke, was ich dir alles sagen wollte... und das das Ende...«

Sie bemächtigte sich mit einem energischen Handgriff der Zügel und lenkte das Pferd den Weg zurück. »Das Ende! Mißverstehe mich nicht! In eine Scheidung willige ich nie! Niemals – hörst du! Ich halte dich fest, du magst machen, was du willst. Ich will die Prinzessin von Eck bleiben und nicht als geschiedene Amerikanerin in der Welt herumlaufen und wieder aus meiner ganzen Position gedrängt werden. Schon des Kindes wegen, Und auch sonst! Ich werde dir keinen Anlaß geben, eine Scheidungsklage einzureichen – da sei unbesorgt ... und du...«

Sie brach ab. Er erwiderte nichts. Stumm fuhren sie zur Stadt zurück.

»Und du ...« hub sie endlich wieder an, die Blicke auf das Pferd gerichtet, »... mache, was dich freut! Vergrabe dich in der Wildnis oder schwärme mit deiner Freundin aus München auf Gletschern herum – aber ich glaube ...« ein katzenschlaues, hinterlistiges Lächeln entstellte plötzlich auf einen Augenblick ihre klassischen Züge, »ich glaube – du kommst bald zurück, wie ich dich kenne!«

Ja. Sie kannte ihn. Er schwieg.

Der Wagenpark auf der Allee hatte sich jetzt schon etwas gelichtet. Sie konnten in vollem Traberlauf an den langsamer rollenden Gefährten vorbeifliegen. In dem einen Wagen wurden die Strohhüte gelüftet und darunter schimmerte alles weiß in weiß von den glattrasierten Athletengestalten der New Yorker goldenen Jugend.

Virginia grüßte mit der Peitsche hinüber. »Das Pferd ist dem Prinzen durchgegangen!« rief sie lachend. »Aber jetzt halte ich die Zügel!«

Die jungen Männer antworteten mit einem beifälligen, belustigten Nicken, einem verständnisvollen: ›So gehört sich's auch!‹ und sie trieb mit einem energischen Zungenschnalzen den Renner zu fliegendem Hufschlag an. Die kühle Abendluft umpfiff sie, die Bäume rechts und links schossen vorüber und Hunderte von Köpfen schauten neugierig nach, wie die Gummiräder pfeilschnell in die dämmernde Stadt dem Hotel zurollten, über ihnen die hohe weiße Gestalt der Lenkerin elastisch aufgerichtet und neben ihr der unscheinbare kleine Prinz ....

Am Portal des Gasthofes trennten sie sich mit flüchtigem Nicken. Sie rauschte zum Lift, um in aller Eile oben in ihren Räumen sich in große Abendtoilette zu werfen, und er trat langsam wieder auf die Straße hinaus.

Es war jetzt beinahe völlige Nacht, eine warme, dunkle Augustnacht, in der noch die Schwüle des Tages nachzitterte. Von der Rheinebene her, wo in der Ferne der Iffezheimer Rennplatz lag, wehte der heiße Dunst, und ihm entgegen, von Osten, zuweilen ein reiner, klarer Luftstrom, kühl und erfrischend wie ein Bergquell, ein Gruß von den alten Schwarzwaldtannen, ein Hauch der Höhen.

Reinheit! Reinheit und Ruhe. Dort oben wohnten sie. Aber nicht für ihn. Er war nur ihr unsteter Gast. Ihn zog es immer wieder hinab in die weite glühende Ebene, in das fiebernde Gewühl des Rennplatzes, durch das seine Frau als Königin schritt, bewundert, begehrt von ihm und allen – es trieb ihn immer wieder zur Tiefe, in das Tal, in den Tummelplatz aller Leidenschaften, das Reich der Sinne und der Sinnlichkeit.

Ihm schnürte etwas die Kehle zusammen, während er ziellos, einsam durch die nun verödeten, dunkeln Straßen und Promenaden schweifte. O Lüge! Lüge! Lüge! Alles um ihn eine flitterbunte Komödie, ein äffender Traum – und darüber eine Sehnsucht, oben, hoch oben allein auf einem ragenden Berggipfel zu stehen, die neblige Welt zu Füßen, vom ersten warmen Sonnengold umsponnen, und aus tiefer Brust Kälte und Gesundheit einzuatmen. Kalt zu werden, ruhig, stark – nicht mehr hin und her gerissen von einer Leidenschaft, in der er sich selbst wie einen Fremden sah und verachtete. Er hatte immer wieder die Empfindung, als warte seiner da oben das Erwachen, wie man die Fesseln eines lästigen Albdrückens abstreift. Aber erst muß man jene Kraft haben, die Fesseln bricht! Bis dahin hält einen der Traum der Tiefe umbannt. Und wieder schaute er sehnend zu dem geheimnisvoll funkelnden Sternenhimmel empor: »Arme Seele – wann wirst du wach?«

Weiter ging er und weiter, ohne selbst zu wissen, wohin. Am Gebäude des Internationalen Klubs in der Lichtenthaler Allee blieb er stehen. Heute war die sonst unter der Torwölbung herrschende vornehme Ruhe verschwunden. Hell erleuchtete Fenster, vorfahrende Wagen, ein- und ausgehende Sportsmen, Diener, Telegraphenboten – warum trat er da eigentlich nicht auch ein? Warum lief er im Dunkel der Bäderstadt herum und quälte sich mit Grübeln und Denken, statt zu leben? Da drinnen war ja das Leben, in das er gehörte. Er traf dort fröhliche Gesellschaft – er konnte durch ein hohes Spiel seine Gedanken verscheuchen... Er hatte ja Geld ... Geld genug ... er erstickte im Geld... Der kleine Prinz schüttelte den Kopf und setzte seinen Weg fort.

Da war er wieder am Hotel. Außen war jetzt alles menschenleer. Aber das aus allen Zimmern flammende elektrische Licht, die Klänge einer Musikkapelle aus dem großen Saal, die im Vorraum aufgehäuften Koffergebirge wiesen deutlich genug auf die große Baden- Badener Woche hin, die Zeit der Spiele und der Feste.

Jedenfalls waren er und seine Frau auch irgendwo eingeladen. Er hatte ganz vergessen, sie danach zu fragen. Einerlei – sie hatte für ihn angenommen, während er fort war, sie wurde ihn jetzt wieder irgendwie entschuldigen, das war man schon gewohnt. Sie hatte ja einen sehr einfachen Vorwand, die Ermüdung von seiner gestrigen Bergtour und der Reise.

Aber er fühlte sich nicht ermattet, oder vielmehr er empfand jenes Müdigkeitsfieber, das einer Überanstrengung folgt. Da kann man nicht ruhen und schlafen und noch weniger sich in große Gesellschaft mengen – er dachte mit Schrecken daran, daß er jetzt unter irgendeinen Kronleuchter gehörte, weiße Schultern, parfürmierte Schnurrbarte, porzellanglatte Hemdeinsätze, wohlduftende seidene Haartürme, Gelächter, Wort- und Augengeplänkel, Glückwünsche und Händedrücke um ihn her, und aus dem Stimmengeschwirre »Aegir« und ewig wieder »Aegir« und ein: »Ja – wenn Jones dem Österreicher früher den Kopf freigegeben hätte!«, oder ein »Smith ist zu alt! Mit sechzig Jahren reitet man kein Finish mehr im großen Preis!« – und es zuckte um seine Lippen, als wolle er sagen: »Kinder, ihr seid zu abgeschmackt! Steht man darum auf den Höhen der Menschheit, um sich bis zur Verzweiflung, bis zu wahren Nervenkrämpfen der Langeweile darüber aufzuregen, daß ein Pferd schneller läuft als das andere?«

Aber da besann er sich, daß er ja allein war, unter freiem Himmel, in stiller Nacht. Gott sei Dank! Das Müdigkeitsfieber im Körper und mehr noch in der Seele trieb ihn ruhelos und einsam durch die hallenden Gassen weiter ... immer weiter ... gleichviel wohin ....

Jetzt kam er am Kurhaus vorbei, einem festlich erleuchteten Bienenstock mit seinem Menschensummen und -wirren, seinen massenhaften Glühlämpchen, seinem taghellen Leben bei Nacht. Auf der Terrasse flimmerte es von extravaganten Damenkleidern und darunter, auf dem breiten Mittelweg, standen große und kleine Klumpen dunkelgekleideter Männer, eine unaufhörlich raunende, gestikulierende, sonderbare und etwas lichtscheue Gesellschaft, die am ersten einer aufgeregten, leise flüsternden Trauerversammlung glich.

Sollte er da hineingehen? Sehen, ob im Getümmel der großen Buchmacherbörse ein Fischzug zu machen war? Vielleicht würde ihn dann das nächste Rennen mehr interessieren wie das heutige. Vielleicht war er dann ganz bei der Sache, erfüllt von der » glorious incertainty« des Turfs, gleich jenem sonnengebräunten Gentleman dort in der dunkeln Ecke, der, einen kurzen Sommerpaletot über dem Gesellschaftsanzug, eine Zigarette zwischen den weißen Raubtierzähnen, beide Fäuste in den Hosentaschen, mit einem stöpfelartig kurzen und dicken, mopsgesichtigen Londoner Buchmacher verhandelte. Natürlich, für Mr. Owen war derlei eine Lebens- und Magenfrage. Das Geschäft vor allem! Er ließ Diner und Tischnachbarin unter irgendeinem Verwand im Stich, um jetzt, zur Stunde, wo er alle Welt in den Hotels wußte, im Halbdunkel zwischen den krächzenden Gruppen der Turfagenten seine sonderbaren Pfade zu wandeln. Aber immerhin – das war eben Mr. Owen, der englische Gentlemanreiter, dem man alles zutraute und nichts beweisen konnte. Wenn er aber, der Prinz von Eck, in diesem Kreise erschienen wäre – nein, er lachte trübsinnig bei dem Gedanken, daß diese Leute ihn dann ganz ernst nehmen und ehrfurchtsvoll den Hut vor ihm ziehen würden, und setzte seinen Weg fort.

Wohin? Am Bahnhof war ein wildes Gedränge. Die große Menge, die Ausflügler, die Landwirte aus der Umgegend, alles, was keine Unterkunft mehr in Baden- Baden gefunden hatte oder nicht gesonnen war, sein schweres Geld für sie zu zahlen, strebte heimwärts. Man ahnte den Staub in der dunkeln Luft und sah, wie er die Gaslaternen umschleierte, man war umweht vom Brodem der Massen und ihrem schlechten Zigarrenqualm – Prinz Wilfried drehte sich erschrocken um und ging in die innere Stadt zurück.

Hier war es stiller. Nur in den Wirtshäusern lärmte und lachte es. Da saßen die Bürger bei Markgräfler oder Bayerisch-Bier und besprachen als alteingesessene Einheimische, denen die große Rennwoche seit ihrer Kinderzeit, noch in den Blütejahren Napoleons und der Baden-Badener Spielbank, ein vertrautes Ereignis geworden war, die Zwischenfälle des Tages. Hier wurden weniger die Pferde tariert als die Fremden. Daß die Franzosen endlich, seit ein paar Jahren, wieder in das Schwarzwaldstädtchen kamen, das früher beinahe eine Pariser Filiale gewesen, daß die Russen, die beliebtesten Besucher, sich unglücklicherweise mehr und mehr verloren und man an einem Moskauer Fürsten doch mehr verdiene als an einem Hundert Engländer mit Cookcoupons oder deutschen Feriengästen mit Rundreiseheften, und daß eben leider, leider das preußische Wiesbaden vom deutschen Kaiser bevorzugt werde....

Aber dazwischen klang dann auch wieder einmal der Name »Aegir«, von dem derben Fluch eines vierschrötigen Gastes begleitet, durch ein offenes Wirtshausfenster, und der Besitzer des Hengstes ging draußen eiliger vorüber, um dem verhaßten siegreichen Namen zu entgehen.

Ein Händler bot ihm die Abendausgabe einer Zeitung an. Er kaufte sie, fast ohne zu wissen, was er tat, und warf einen Blick hinein. Das Wort »Aegir« leuchtete ihm fettgedruckt entgegen, und weiter unten, in einem erläuternden kleinen Artikel, sein eigener Name. Er und »Aegir« gehörten nun einmal zusammen! Zwei Luxusgegenstände der New Yorker! Prinz Wilfried von Eck war in dem Blatt enthusiastisch geschildert als das Urbild eines wahren Sportsman, der das ihm durch eine Heirat zugefallene große Vermögen in idealster Weise zur Erfüllung seines Lebenszieles, der Hebung der deutschen Vollblutzucht, verwende, »in vollem Einverständnis mit seiner jugendschönen, mit ihm in harmonischster Ehe lebenden Gattin, die gleich ihm es sich angelegen sein läßt, unserer ›Perle des Dostals‹, dem schönen Baden-Baden, zu einem helleren Glanze zu verhelfen. Unseren ehrerbietigen Glückwunsch und Dank dem hohen Paar.«

Darüber lächelte der kleine Prinz zerstreut und ließ das bedruckte Papier in den Staub fallen. Zuweilen kamen ihm die Menschen so seltsam komisch vor, so amüsant und doch bemitleidenswert – er hatte ihnen gegenüber das Gefühl des Außerhalbseins, als stünde er als nachdenklicher Zuschauer vor einem Affenkäfig. Aber gleich darauf kam dann wieder die Erkenntnis: Du bist ja selbst in einem goldenen Käfig gefangen und hast nicht die Kraft, zu entspringen, obwohl der Käfig fast täglich Form und Ort wechselt, neulich eine Segeljacht, dann wieder ein Jagdschloß oder ein Ballsaal, jetzt der grüne Rasen, jetzt wieder irgendein Hotel, wie das Gebäude vor ihm mit seinen Kofferbergen am Eingang, seinen hell erleuchteten Fenstern, seiner Tanzmusik.

Er ging hinein. Ein Diener harrte seiner. Man warte ungeduldig auf ihn, meldete er, es sei nur ein kleiner Kreis zur Feier des heutigen Sieges.

Ein kleiner Kreis! Er wußte, was das bei Virginia hieß. Ungefähr fünfzig Personen zu Tisch und jetzt, wo nach aufgehobener Tafel getanzt wurde, so ziemlich freier Eintritt für jeden Gentleman, der in Frack und weißer Binde erschien und von irgendeinem Klubmitglied vorgestellt wurde. In dem Hotelleben der Rennwoche nahm man das nicht so genau und seine Frau am wenigsten. Wenn nur Leben um sie war, Licht, Lärm, Lustigkeit und sie der Mittelpunkt – dann mochte morgen die Welt untergehen! Und schließlich – sie hatte eigentlich recht. Und er lief inzwischen als ein verstörter Träumer auf menschenleeren Straßen die Gaslaternen entlang und gab durch sein Fernbleiben erwünschten Anlaß zu neuem Getuschel und Gespöttel.

Eine Art Reue erfaßte ihn. Ärger gegen sich und Angst vor ihr. Er ließ melden, daß er sich gleich umziehen und erscheinen würde, und begab sich in seine Zimmer.

Vorher sah er noch einmal nach seinem Töchterchen. Das durchsichtig-zarte, wachsblasse kleine Wesen schlief müde mit offenem Mund und geballten Fäustchen in einer für seine Verhältnisse ungeheuren, spitzenumrahmten Ruhestatt. Zwei Wärterinnen saßen stumm am Bette des ewig kränkelnden Kindes. Er winkte den Personen, sich nicht stören zu lassen, und blieb vor dem Lager stehen. Er liebte dies gebrechliche Menschengebilde mit einer gewissen melancholischen Zärtlichkeit. Nicht nur weil es so schwach und klein war und er alles gern hatte, was des Schutzes bedurfte und sich zutraulich anklammerte, sondern auch mit einer Wehmut, einer Gewißheit, es bald wieder für immer zu verlieren. Entwunden durch den Tod. Das kleine Lebenslicht flackerte ja nur zitterig auf und nieder. Oder aber das, was da jetzt noch sein war, durch ihn ins Leben gerufen, das mußte im Lauf der Jahre, wenn es selbst zum Menschen wurde und heranwuchs, der Mutter gleich werden, die es zu ihrem Ebenbild erzog, in lächelnder, puppenhafter Oberflächlichkeit und naiver, rastloser Genußsucht und Selbstsucht. So wurde es ihm fremd – lebend oder tot – das einzige, was er eigentlich auf der Welt sein nennen konnte – und der Gedanke tat ihm weh.

In sein Gemach getreten, ließ er sich vom Diener den Frack reichen. Aber nun kam doch plötzlich die wirkliche Müdigkeit über ihn. Wie eine Erinnerung von gestern, wo er um diese Zeit noch die dünne, klare Höhenluft geatmet und auf kurze Stunden in der Kameradschaft mit seiner Gefährtin von den Bergen, die ihm sonst unbekannt und gleichgültig war wie er auch ihr, sich und sein eigentliches Leben vergessen hatte. Und er wußte selbst nicht mehr – war das da oben eine Maskerade oder das da unten, diese bunte Komödie im Ballsaal, wo die Fiedeln klangen und die Schleppen flogen und die lächelnden Marionetten sich drehten.

Ein plötzlicher Widerwille erfaßte ihn. Ihm graute vor diesem schwülen, schmeichelnden Meer da unten. Ihm graute vor seiner Frau. Er schickte den Diener hinunter und ließ sich entschuldigen. Er wußte, daß ihm das kein Mensch glaubte. Aber das war ja gleich. Nur allein sein! Er rückte sich einen Stuhl ans Fenster und schaute hinaus in die Augustnacht, die jetzt, über den Schwarzwaldkämmen aufsteigend, der Mond erhellte. Lange saß er da. Stunde um Stunde. Im Hotel unten wurde es allmählich ruhig, ohne daß sich irgend jemand, am wenigsten seine Frau, um ihn gekümmert hätte. Endlich war alles still.

Ringsum alles still. Der Mond stand hell über der Bäderstadt, leise murmelnd floß die Dos durch ihr gemauertes Bett, ein kühles Wehen war in der Luft, ein unbestimmtes Rauschen von fernen Bäumen und Wäldern und Höhen, ein einlullender Klang. Die Welt schlief. Nur er nicht.

Er sann und sann. Was tun? Fort von ihr! Dann kam er wieder. Das wußte er ja. Und blieb er wirklich fort, so war er doch nicht frei. Sie gab ihn nicht frei. Sie hatte es ihm ja ganz klar und schonungslos gesagt. Natürlich ... Was man teuer gekauft hat, wirft man nachher doch nicht weg. Er war und blieb »der deutsche Prinz«, das Eigentum einer Silberdynastie überm Meer, und blieb es auch vor der Welt, wenn er fern von dem allen und, ohne einen Cent ihres Geldes anzurühren, lebte. Denn wer rechnete ihm das nach – wer glaubte das einem Manne, der sich verkauft hat? Und lehnte er ihr Geld ab, so mußte er doch selber arbeiten! Und was war das, wenn ein Prinz plötzlich zum Versicherungsagenten oder derlei wird? Doch nur ein Skandal, eine Finte, ein schnöder Versuch, nachträglich noch mehr Geld zu erpressen, weil der Schwiegervater die geforderte Erhöhung der Rente nicht bewilligen wollte! Oh – er wußte, dafür würden die Verwandten seiner Frau, vielleicht sie selbst sorgen, daß er dann in keinem anderen Lichte erschien.

Und wenn er mit Virginia weiterlebte wie bisher oder vielmehr neben ihr – er stöhnte auf. Es war ein schauernder, heißer Widerwillen, eine Traurigkeit und doch wieder ein übermächtiges Verlangen. So zu verachten und so zu lieben zugleich – ihm war es ein Rätsel.

Plötzlich kam ihm der Gedanke, seine Frau umzubringen und sich hinterher! Er rückte ärgerlich den Stuhl zurück und stand auf. Es war wirklich hohe Zeit zur Ruhe. Die Ermüdung und Aufregung ließ sein Gehirn fiebern. Wieder lag, während er in das Zimmer zurücktrat, die Alpeneinsamkeit vor ihm, mit ihrem klaren Abendfrieden, ihrem feierlichen Dämmerglühen über ewigem Firn, ihrer Reinheit und Ruhe. Dort oben war die Ruhe, die letzte. Warum tat er nicht einmal einen Fehltritt auf einer seiner schwindligen Wanderungen, warum sendeten die Gipfel ihre Steine zu seiner Rechten, ihre Lawinen zu seiner Linken vorbei, warum trugen gerade ihn Schneehang und Gletscherschlund? Warum suchte er gerade in diesem Jahr Gefahr über Gefahr? Er wußte es wohl. Er suchte unwillkürlich den letzten Ausweg. Er wollte vor sich selber fliehen. Besser Tod als dies Leiden.

Und in ihm sprach etwas dagegen, wie aus der Stille der Nacht geboren: Man kann nicht nur sterben – man kann auch leben! Leben, wie man's verdient. Du erntest deine Taten. Du hast dein Bestes verkauft. Du hast dich verkauft! Nun läutere dich durch Leiden, daß du wieder aus deinem Traume aufwachst...

Genese vom Weib!

Der kleine Prinz seufzte tief auf. Sehnsucht und Leidenschaft war in ihm und eine bange Erwartung: ›Arme Seele, wann wirst du wach?‹...


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