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X.

Allmählich nahte jetzt der große Augenblick. Das erste Glockenzeichen tönte, und über das ganze menschenvolle grüne Feld ging eine seltsame Unruhe, ein anscheinend zweckloses Hin- und Herlaufen, ein nervöses Durcheinanderwogen, wie wenn der Stock des Wanderers einen Ameisenhaufen aufrührt und ein jedes der wimmelnden Pünktchen noch davonschleppt, was zu retten ist. Und hier wollte ja auch ein jeder aus der Sensation des bevorstehenden Kampfes etwas für sich herausfischen und beiseitebringen – von dem bescheidenen Zehnmarkstück am Totalisator bis zu den hohen Summen der Buchmacher und den noch höheren Klubwetten – einige wenige harmlose Gemüter ausgenommen, die wirklich nur gekommen waren, um zu schauen und wieder einmal festzustellen, daß wirklich ein Pferd schneller läuft als das andere.

»Welches wird das schnellere sein?« dachte sich der melancholische kleine Prinz, während er langsam, allein und nur von wenigen erkannt über den ersten Platz nach dem Sattelplatz schlenderte. »Vermutlich meines! Es ist in guter Kondition, während der Österreicher seit zwei Tagen schlecht gefressen haben soll – der eine Franzose ist überhaupt nicht zu fürchten – ›Graditz‹ auch nicht – und der zweite Franzose – nun, dafür habe ich eben »Little Tom« im Sattel – das Wunder der Welt, für einen horrenden Preis aus England herbeigerufen. Er wird es schon machen....«

Und was ist dann gewonnen? Hunderttausend Mark! Lieber Gott – Virginias Gatte hatte genug davon! Und drüben im wilden Westen lag noch mehr, viel mehr in den unerschöpflichen Silberminen des Schwiegervaters. Oder die Ehre? Ein Pferd zu besitzen, das eine Viertelsekunde rascher an einem auf hohem Gerüst stehenden, würdig und gespannt aussehenden Herrn vorbeigaloppierte als ein Haufen anderer, von buntgeputzten Zwergen zur Eile angespornter Vierfüßler! Oder das Vergnügen?

Ja – das Vergnügen, zu besitzen, zu siegen, zu gewinnen, zu leben! Das wäre schon da, wenn man nicht immer durch die Dinge hindurchsehen müßte, durch den glitzernden Schein, durch den farbigen Schleier der Maja wie durch Seidenflor hinaus in unbestimmte, stumme, ferne, feierliche Weiten. Und um einen her lärmt die Maskerade.

Er ging längs der langen Reihe der Totalisatorschalter hin. Wie die Bienen um den Stock schwirrte und summte es um die Verschläge mit ihrem rastlosen Klappern der Wettmaschine, den eintönigen Rufen der Beamten. Davor ganze Schwärme von Buchmachern, die jetzt, wo alles zum Sattelplatz strömte, ihren gewohnten Standort am Eingang der Klubtribüne, den sie gleich einer Mauer von Katilinariern gegen die einfache zahlende Menschheit des ersten Platzes zu schirmen pflegten, verlassen hatten. Es waren nicht wie an anderen Rennplätzen ihrer einige oder ein, zwei Dutzend. Sie zählten nach Hunderten, aus Hamburg und Berlin, aus Wien und Budapest, aus Paris und London mit der großen Ledertasche, dem Notizbuch und dem Fernglas herbeigereist. Und immer wieder klang aus ihrem Gemurmel und Köpfezusammenstecken und Gekritzel in schmierigen Briefmappen der Name »Aegir«, wie drüben in den militärisch-lauten Rufen der Schalterbeamten: »Eins auf die drei!«, »Aegirs« Zahl am Totalisator.

Sonderbar! Was interessierten sich nur alle die Leute für »Aegir«? Das hatte er, Prinz Wilfried von Eck, doch in erster Linie tun müssen! Er war ja der Besitzer, einer der großen Turfmatadore, deren Name in einer Viertelstunde in alle Windrichtungen telegraphiert wurde. Und ihn erstaunte das alles nur. Es war doch eigentlich alles so gleichgültig. Wie wenn man schliefe und im nächsten Augenblick die bunte Seifenblase zerspringen könnte. Das wirkliche Leben war doch wo anders – in einem selbst, in der Natur, in Menschen, mit denen man Mensch war – ferne von dem geschäftigen Müßiggang der großen Welt, die den anderen Erdbewohnern immer wieder dasselbe farbige Ausstattungsstück vorspielt und dabei innerlich gähnt und sich langweilt, wie nur müde Schauspieler bei der tausendsten Wiederholung um zehn Uhr abends sich langweilen können. Und wenn der fünfte Akt zu Ende war, fing sofort wieder der erste an. Das schien dem kleinen, verwachsenen Prinzen mit dem müden Lächeln auf dem blassen Gesicht das Trostloseste in der ganzen Sklaverei des High-life.

Unter den hohen Bäumen des Sattelplatzes staute sich rund um den Hufschlag des Rondells eine ehrfurchtsvolle Menge – Kokotten, Buchmacher, Offiziere, Philister, Dandys, Kellner, Stalleute, alles starrte mit fieberndem Interesse, vielfach mit einem angstvollen, beinahe gepeinigten Ausdruck der Neugier die fünf langsam und feierlich einherstelzenden, von saloppen Burschen an langer Trense geleiteten Fabelwesen an, die Auslese aus dem ältesten blauen Blut des internationalen Pferdeadels, deren Stammtafeln sich durch Jahrhunderte rückwärts in den Oasen der Sahara verloren und vielleicht dort noch an weitere, bis zu Mohammeds Tagen reichende Ahnenreihen anschlossen.

Es waren wirklich mit Ausnahme eines Häufleins Fürsten und Aristokraten die vornehmsten, die äußerlich einwandfreisten Lebewesen auf dem ganzen Platz. Der Prinz lächelte still, während er, aus dem Menschenring tretend und von dem Geflüster der Umstehenden gefolgt, seinem »Aegir«, einem tapferen kleinen braunen Hengst mit rosig geblähten Nüstern und Feueraugen, über die seidene Mähne fuhr. Dies Tier hatte nichts zu verbergen. Es war ein offenes Blatt – anders wie die Menschen. Seine Abstammung, sein Lebenslauf, seine Leistungen in den drei Jahren seines Daseins, alles, was er war, konnte er nicht verhehlen, und was er konnte, gab er redlich, in der nervösen, wütenden Energie des Finish unter seinem Reiter her. Da war kein Arg und Falsch. Und dem Prinzen schien es, als sehe ihn sein junges Pferd ganz verständnisvoll und vertraut an, als wolle es ihm sagen: Weißt du, wir sind doch anständigere Geschöpfe als ihr sonderbaren zweibeinigen, haarlosen Kreaturen! Wir spielen nicht unser ganzes Leben lang Komödie!

Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging in Gedanken durch die ehrerbietig sich öffnende Menschenwand hinüber zu der Wage, fast ohne zu wissen, daß er es tat – nur von der Gewohnheit des Rennstallbesitzers getrieben.

Das umzäunte Viereck vor der Wage umstanden neue Menschenmassen, mit gespitzten Bleistiften und nervös zusammengekrallten Rennprogrammen auf das Erscheinen der einzelnen Reiter wie hungrige Wölfe lauernd. Innen war es ziemlich leer. Hier hatten die Unberufenen keinen Zutritt. Nur die Leute vom Turf, Trainer, Klubmitglieder, Offiziere eilten an den wachehaltenden Türstehern vorbei aus und ein, verhandelten draußen mit Bekannten, mit ihren Damen oder phlegmatisch, dreinschauenden Buchmachern und kehrten wieder in das Innere des kleinen Gebäudes zurück.

Es war ziemlich dämmerig in der von Menschen erfüllten Stube, und eine gewisse feierliche Stille lag über den Gruppen mit ihren vereinzelt aus dem Halbdunkel blitzenden Uniformknöpfen, ihren zwei oder drei gespenstig weißen Flanellgestalten und einem einzelnen, hoch über alles ragenden hechtgrauen Zylinder. Die Jockeys wurden für den großen Ritt abgewogen. In einer Reihe hintereinander an die Barriere gelehnt, wie die Theaterbesucher vor der Kasse, standen die glattrasierten, in schreiend bunte Seide gekleideten Gnomen, Sättel und Zaumzeug über dem Arm, nahmen der Reihe nach mit geschäftsmäßiger Gleichgültigkeit auf dem in der Wagschale angebrachten Stuhle Platz und stiegen, wenn das kümmerliche Gewicht ihrer federleichten Körperchen festgestellt war, auf der anderen Seite herunter.

Jetzt war als letzter auch »Little Tom« abgewogen und trat hinaus, die andächtig vor der Barriere harrende Menge mit einem süffisanten Gaunerlächeln überblinzelnd. Er wußte, daß Hunderte von Augen, daß ein Dutzend Taschenkameras auf ihn gerichtet waren, daß die meisten dieser ihn neugierig und angstvoll musternden Allerweltsmenschen ihr bißchen Geld dem Rufe seiner Unbesiegbarkeit anvertraut hatten. Er war das gewohnt. Er hatte sich das gar nicht anders vorgestellt, als er vor ein paar Tagen in seinem reservierten Coupé erster Klasse, Kammerdiener und Masseur hinten im Zuge, zum erstenmal nach Deutschland gefahren war, um für einen unerhörten Preis den erkrankten Stalljockey des Prinzen von Eck zu vertreten, nicht anders als wenn etwa eine medizinische Größe über Länder und Meere zu einem schweren Fall gerufen wird.

»Leicht war auch hier der Sieg nicht gegen die Blüte Frankreichs und Österreichs. Aber er wußte – er gewann. Er gewann immer. Er war der Meister. Er hatte von Tod Sloan, dem Yankee, die neue Reitkunst übernommen, den wahnsinnigen Sitz, bei dem der Jockey ganz vorn auf dem Hals seines Pferdes liegt, als wolle er es gleich einem Sonntagsreiter umarmen, die beiden Fäuste hart am Maul des Tieres, die Fußspitzen vor seiner Brust und dessen ganze Hinterhand frei, keine Last auf Kreuz und Nieren, so daß der Renner die volle Federkraft der Hinterhufe entfalten kann. Wie er es dabei fertig brachte, des Pferdes Herr zu bleiben, das freilich war ein Geheimnis, das ihm keiner der anderen Professionals nachmachte. Man erzählte sich Wunderdinge von der unwahrscheinlichen, fürchterlichen Kraft, die Little Tom in seinem mit bunten Flittern aufgeputzten Gnomenleib besaß, gleich jenen Zwergkönigen der alten nordischen Sagen, vor deren Griffen die kühnsten Recken erlahmten. Das Roß, das Little Tom einmal mit seinen stählernen Spinnenarmen, seinen dünn und eisenzäh gleich Kabeltauen rundgebogenen Beinen umspannt hielt, das atmete nicht mehr, wenn er nicht wollte, und gab, wenn er wollte, den letzten Atemzug her.

Little Tom begrüßte seinen Brotgeber flüchtig. Ihm imponierte kein Prinz. Am wenigsten ein deutscher. Dann ging er nach, dem Sattelplatz, um aufzusitzen. Irgendeine Reitordre des Herrn nahm er nicht an. Man mußte ihn machen lassen, was er wollte, oder auf seine Dienste verzichten.

Der kleine Prinz dachte auch gar nicht daran, ihm Verhaltungsmaßregeln zu geben. Mochte jener siegen oder verlieren! Es wunderte ihn immer wieder, wie ernst die aus ganz Europa herbeigeströmten Menschen das alles nahmen, wie sie erregt miteinander flüsterten und stritten und hin- und herliefen, wie das Geklapper am Totalisator jetzt in den letzten Minuten, während die fünf Wunderpferde in buntem Zug in die Arena stelzten, sich zu einem wahren Pelotonfeuer verstärkte und ein unfaßbarer Dunstkreis von Geld und Geld und wieder Geld, ein unhörbares feines Singen wie von Goldgeklimper und Banknotengezischel über den Köpfen der erregten Menge zitterte.

Es wurde Zeit. Da fuhr schon der Starter in seinem grauen Zylinder auf einem offenen Wägelchen thronend in schlankem Trab über den grünen Rasen an seinen Bestimmungsort, die Pferde kanterten hinterher und bemühten sich umsonst, im Aufgalopp ihren Kopf aus den tiefgestellten ehernen Fäusten der vornübergebogenen Jockeys freizubekommen. Und dann waren alle dort und irrten als buntflimmernde Punkte im Schritt durcheinander, und eine feierliche Pause der Erwartung trat ein.

Der kleine Prinz war inzwischen auf die Klubtribüne zurückgekehrt. Aber nicht nach unten, zu ebener Erde, wo die hellen Damenkleider wie ein Tulpenbeet schimmerten, auch nicht auf die ein Stockwerk höher gelegene Tribüne für die Herrenwelt, wo die Creme des europäischen Turfes, Mann an Mann gereiht, auf den harten, engen Holzbänken saß; er wollte ungestört sein und stieg, die hinter der Tribüne gelegene Glashalle durchschreitend, eine Wendeltreppe zu der obersten Plattform empor.

Hier war er fast allein. Die wenigsten gaben sich die Mühe, die hohe Warte zu erklimmen. Und doch war der Blick hier schöner wie von irgend einem anderen Punkte der Iffezheimer Bahn. Frei wie von den Zinnen eines Turms überschaute man das ganze liebliche Gelände, die grüne Rennbahn mit ihren Wäldchen und Hecken und silbern blitzenden Wasserläufen, die blühende Rheinebene und in der Ferne zur einen Seite den blinkenden Spiegel des deutschen Stromes, zur anderen die in der Dunstglut des Augusts blauenden Schwarzwaldberge.

Wieder versank er in Träumen. Wieder dachte er daran, daß er gestern um diese Zeit im ewigen Schnee, Schritt für Schritt dem Tode abringend, niedergeklommen, wieder sah er den Gespenstertanz des Nebels lautlos über den Eisschlünden wogen, in denen Meister Josephus und seine schöne Genossin versunken waren, wieder tönte leise und grollend in seinem Ohr das Donnern der Lawinen und wurde stärker und stärker und zerflatterte zu einem Durcheinander abgerissener Töne, Menschenstimmen, Ausrufe des Schreckens, der Freude, einem gewaltig schwellenden, stürmischen Brausen der Erwartung.

Er fuhr auf. ... Das Rennen hatte begonnen und näherte sich, blitzschnell wie es gelaufen wurde, seinem Ende. Fünf bunte Kugeln schossen nebeneinander die grüne Bahn herab auf die Tribünen zu, und wie sie immer rascher heranflogen, durchschütterte es wie von einer unsichtbaren Riesenfaust alle die unten eingekeilten, dunklen, in allen Farben durchsternten Massen. Dicht unter sich hörte er das sachverständige, immer lauter und erregter werdende Murmeln der Rennstallbesitzer, von dem ersten Platz nebenan die hellen nervösen Aufschreie der fiebernden Damenwelt, von ferne, aus der Tiefe ein Kochen und Grollen, und dann, wie das Feld in rasender Karriere an die Tribünen heranfegte, einen einzigen, plötzlich losbrechenden Donner von Tausenden von Stimmen, Geschrei in allen Sprachen Europas, Flüche, Gelächter, geschwungene Sonnenschirme über der Masse tanzend – erhobene, wahnsinnig gestikulierende Hände, ein plötzlicher Schüttelkrampf von Fieber unter dem friedlichen blauen Sommerhimmel, inmitten des stillen deutschen Gartenlandes.

Der kleine Prinz oben auf seiner einsamen Warte seufzte und nickte doch zugleich befriedigt. Es war ihm wohl, daß er, den es doch am nächsten anging, nicht so empfand wie alle die da unten. Er fühlte sich hier auch auf der Höhe, über dem niederen, lärmenden Tal, wie gestern um diese Zeit auf dem steinernen Erker am Lawinentor, und es zuckte verräterisch, wie von einem Mephistolächeln, über sein blasses Gesicht. Er kam sich in diesem Augenblick als der einzige lebende Mensch in dieser Masse vor, als der Puppenspieler, der aus seinem dunklen Winkel unsichtbar und unhörbar die Marionetten draußen in der glühenden Sonne tanzen läßt.

»Aegir! Aegir!« donnerte und johlte es aus Tausenden von Kehlen unter ihm in Angst und Schadenfreude und verhaltenem Jubel. Er brauchte nicht erst lange hinzusehen und in den bunt vorbeiflitzenden Farbenstreifen seine Stallzeichen zu suchen. Da war der Renner, dem Little Tom ganz unwahrscheinlich, wie ein tollgewordener Affe, beinahe auf dem Halse ritt, als ein stummer, unbeweglich lauernder Klumpen inmitten eines Windmühlenwirbels von zappelnden Jockeybeinen und -armen, von kreisenden Doppeltrensen und auf- und niederpfeifenden Peitschen. Und jetzt plötzlich kam Leben in das schmächtige Körperchen des Wunderjockeys. Es begann zu arbeiten, mit den Riesenmuskeln des Rosses zu arbeiten, die unter ihm spielten. Ein elektrischer Schlag schien aus seinen stählernen, auf einmal wie wahnsinnig fuchtelnden, quetschenden, die schwere Masse unter ihm beflügelt nach vorwärts schleudernden Spinnengliedern in das Roß überzusprühen und es hinauszureißen aus dem Schwarme der Genossen. Schon war der eine Franzose weit hinter ihm – an dem schwarz-weißen Streifengeflimmer von »Graditz« vorbei ging die Fahrt, jetzt – ein gellender, wie aus einem Munde aufhallender Aufschrei – Österreich-Ungarn war geschlagen – der Endkampf mit dem führenden Franzosen begann. Die Luft zitterte, die Tribünen dröhnten, von dem Geländer gegenüber dem Pfahl rissen die Gendarmen die Zaungäste herab, um dem Richter oben freie Visierlinie zu verschaffen – aber es tat keine Not. Von den beiden auf ihre Pferde wütenden Jockeys gewann Little Tom Zoll um Zoll, jetzt eine Viertellänge, eine halbe, er schob sich noch weiter nach vorne in seinem unbegreiflichen, an einen Zirkusclown erinnernden Sitz auf dem Halse des Hengstes und glitt dann allmählich, erschöpft ausatmend, zurück. Das Ziel lag hinter ihm. Er hatte mit einer Länge den Preis für Deutschland erstritten, und ringsum löste sich das Getöse in ein wirres Stimmengeschwirr, ein Lachen und Frohlocken, und dann plötzlich noch einmal in ein stürmisches Händeklatschen und Bravogejubel zum Empfang des heimreitenden Siegers auf.

Oben auf der Plattform zog der kleine blasse Prinz den rechten Handschuh aus, ehe er hinabstieg. Jetzt begann das Händeschütteln. Das war nicht zu vermeiden. Alle Welt drängte sich glückwünschend an ihn und er dankte nach allen Seiten, den englischen Pairs und den Pariser Finanziers, den russischen Fürsten und den amerikanischen Nabobs, den deutschen Renngrößen und den ungarischen Magnaten, er dankte den höflichen Männern und den schönen Frauen und dachte sich dabei immer wieder: Machen sich die Leute eigentlich alle über mich lustig oder meinen sie es wirklich so ernst?

Aber natürlich nahmen sie die Tatsache bitterernst, daß auf eine Strecke von ein paar tausend Metern der Hengst »Aegir« gut anderthalb Meter vor einigen anderen Pferden an einem Holzgerüst mit sachlich blickenden Herren vorbeigelaufen war, und sie hatten von ihrem Standpunkt ja auch ganz recht. Denn sie hatten alle Geld daran gewonnen und verloren. Und das war doch die Hauptsache. Aber ihm lag nichts daran. Am wenigsten an den hunderttausend Mark, die seine Frau nun mehr besaß.

Auf dem Sattelplatz war jetzt das Knattern des Totalisators verstummt. Statt dessen tickte und klapperte es rastlos aus dem Bureau des Feldtelegraphen, wo wohl ein Dutzend Beamte im Schweiß ihres Angesichts ganze Stöße von Depeschen nach allen möglichen Orten Europas und einzelne Kabeltelegramme nach den Vereinigten Staaten erledigten. Der dahinterliegende, dem Publikum verschlossene und unbekannte Raum war glücklicherweise unbenutzt. Arzt und Ambulanz waren umsonst zur Stelle. Es hatte keinen Unglücksfall gegeben und nichts störte den Siegesjubel vor »Aegirs« Stand am Sattelplatz. Die Stalleute hatten Mühe, die Scharen der dankbaren Bewunderer in einiger Entfernung von dem keuchenden, triefend nassen und in den Flanken blutig gefärbten Hengste zu halten. Nur die Bevorzugten durften heran. Der grauhaarige Trainer hielt die losen Zügel, das gutmütige Lakaiengesicht von Freude verklärt und mit feuchten Augen nach allen Seiten hin die Händedrücke erwidernd; ein Momentphotograph hatte sich vor dem Pferde aufgepflanzt, und rings um dieses standen die jungen athletischen New Norker Stutzer mit glattrasierten Gesichtern und im weißen Unschuldskleid, die intimsten blaublütigen europäischen Anhänger des prinzlichen Hauses und Stalles und lachten und freuten sich. Am meisten aber – der Prinz sah es kopfschüttelnd beim Herankommen – frohlockte seine schöne Frau! Sie war in einem förmlichen Siegesrausch – in einem nervösen Taumel des Entzückens. Sie hantierte zwischen den mit Decken und Gurten kommenden Stallknechten, um »Aegir« einen von ihrer Brust genommenen Rosenstrauß hinter den Ohren zu befestigen, sie streichelte und tätschelte das Pferd unter zärtlichen Koselauten wie ein krankes Kind, und endlich, nachdem sie sich davon überzeugt, daß »Aegir« infolge der Erschöpfung ganz zahm war und phlegmatisch im Bewußtsein erfüllter Pflicht alles über sich ergehen ließ, schlang sie plötzlich halb lachend, halb weinend mit einer stürmischen Bewegung die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuß auf das seidene Fell. Und Prinz Wilfried stand hinter ihr und lächelte melancholisch...

 


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