Rudolph Stratz
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Rudolph Stratz

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VI.

Bei all seinem angeborenen Phlegma war der Freiherr Christoph von Ulerici doch nicht dumm. Er hatte sein Leben in der Front zugebracht und wußte nicht viel, was über die Grenzen seines Kürassierexerzierplatzes hinausging, aber er besaß die Menschenkenntnis eines reichen Mannes. Und eines alten Junggesellen dazu. Oder die Menschenverachtung. Er lächelte schlau, als er mit nasser Hand – denn er saß in seiner Parterrewohnung in der Voßstraße im Bade – nach der Karte des dringlichen Besuchers griff, die ihm sein Kammerdiener brachte, und darauf las:

»Konstantin Freiherr von Sybold-Ellemheimb,
Fürstl. Arolsteinscher Kammerherr a. D.«

Ein Pump! Er sagte nur: »Bitten Sie meinen Vetter, zu warten! . . . Ich beeile mich nicht! Ich pritschele hier in aller Gemütsruhe zu Ende!«

Er brauchte jeden Morgen ein paar Stunden zu seiner Toilette. Wie er jetzt endlich wohl abgeseift und parfümiert aus der Wanne stieg, hatte er, wenn auch ein korpulenter und ergrauter Fünfziger, doch etwas Rosiges und durchaus Appetitliches an sich. Und in all dem Prusten und Sichschütteln und Abreiben schmunzelte er wieder vor sich hin: Die guten Verwandten! Die lieben Erben! . . . Ja, heirate einmal einer zehn Jahre nach dem Schwabenalter! Und er dachte sich: ›Gut, daß wir Staatsanwälte in Preußen haben! Sonst käme es den Meinigen auf 'nen kleinen Giftmord gegen die arme Vera verflucht wenig an!‹ So knöpfte er sich seinen Rock zu, räusperte sich, trat in das kleine Rauchzimmer und sagte ohne jede Einleitung zu dem dort Harrenden: »Kinder, ich hab' die Geschichte dick! . . . tut mir den einzigen Gefallen und laßt mich in Ruhe! . . . Es hilft nischt und es gibt nischt! Es hat geschnappt! Ich heirate! . . . Ich heirate!« wiederholte er mit gesteigerter Stimme, als ob der andere das in Abrede gestellt hatte, und sah den drohend an.

Der Freiherr von Sybold-Ellernheim war so groß wie er, aber ganz schlank. Seine langen Favoris waren schon ergraut, seine an sich schönen Züge von der Unruhe des Lebens zermürbt, die Kleidung elegant, aber ein wenig abgetragen. Desto spiegelglatter erglänzten Zylinder und Monokel. Er hatte ein eigenes, selbstgefälliges Lächeln an sich, das gar nicht zu dem Heruntergekommenen in seiner Erscheinung paßte.

»Warum regst du dich denn so auf, Christoph, du weißt ja noch gar nicht, was ich will!«

»Geld!« schrie der alte Kürassier erbost. »Dazu braucht man kein Gedankenleser zu sein – bei euch!«

»Ja – ich hab' es freilich nicht so dick sitzen wie du!« Der Kammerherr a. D. strich sich nervös seine schönen langen Bartsträhne. »Und wenn man dabei für Frau und sechs Kinder . . .«

Der Freiherr von Ulerici stieß ihn mit dem dicken Zeigefinger vor die Brust.

»Warum haste sie denn geheiratet?« sagte er gedämpft und vertraulich. »Und hinterher hatte die Miß aus Amerika keinen polnischen Groschen! Du warst immer ein Schlaumeier, alter Sohn, aber die war schlauer!«

Sein Besucher senkte verdrossen den Kopf. Natürlich – diese Ehe, mit der er sich seinerzeit ein für allemal hatte in Ordnung bringen wollen, war der große Knacks in seinem Leben! Dabei liebte er seine Frau. Sie waren glücklich miteinander trotz ihrer ewigen Geldnöte.

»Laß die alten Geschichten!« sagte er. »Das Wasser steht mir an der Kehle! Ich habe wahrhaftig stets gearbeitet, um mich obenauf zu halten . . .«

Der Major a. D. von Ulerici unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung: »Nee! Nee! Nee! . . . Obenauf warste immer – aber gearbeitet haste nie! . . . Wir kennen uns doch, seit wir uns noch die Höschen hinten zugeknöpft haben! Ich hätt' unserem Herrgott die Tage stehlen und faulenzen können, auf meinen Moneten – und hab' dreißig Jahre den Gaul zwischen den Beinen gehabt und Staub geschluckt und im Küraß geschwitzt und Grobheiten an den Kopf gekriegt wie die Roßäppel, im Dienst Seiner Majestät! . . . Aber du! . . . Kammerherr in Arolstein – den Schwerenöter spielen – voller Frühstückorden wie 'n Schlittengaul voll Schellen – nee – damit imponierste mir nicht!«

Der Freiherr von Sybold war noch bleicher geworden, als er ohnedies aussah. Er spielte mit seiner Uhrkette und versetzte plötzlich entschlossen: »Deswegen komm' ich auch nicht!«

»Na – weshalb denn?«

»Ich möchte dich warnen!«

Der Vetter hatte bei Beginn des Besuches erwartet, daß man ihm eine Zigarre anbieten würde. Aber nichts derlei war geschehen, obwohl das Havannakistchen offen auf dem Tisch stand. So nahm er sich umständlich eine Zigarette aus seinem eigenen Etui.

»Erlaubst du?«

»Red', bitte, statt zu rauchen!«

»Danke! Ich kann beides zugleich! . . . Sieh, Christoph . . . wenn man in deinen Jahren noch heiratet, muß man sich doch besonders vorsehen! . . . Solch ein Schritt wird natürlich viel glossiert.«

»Nu mal 'raus mit den jungen Katzen!« versetzte der Major a. D. von Ulerici ungeduldig. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Um den Stuhl seines Gegenübers brauten die Zigarettenwolken, und man hörte dessen anscheinend gleichgültige, durch die Gewohnheit, die Luft kleiner Höfe zu atmen, stets diskret gedämpfte Stimme: »Christoph . . . wir sind doch alte Freunde und Vettern. Ich hab' dich herzlich gern . . . Und eben darum . . .«

»Bitte – keene Gefühlstöne! . . . Wo steckt denn die Gefahr? Ich seh' nur die eine, daß du mich wieder mal anpumpen willst!« . . .

Der andere war aufgestanden.

»Die Gefahr ist einfach die, daß man leicht ein wenig seltsam erscheint, in deiner jetzigen Lage – verzeih: aber es kann direkt ans Komische grenzen!«

»Ich und komisch? . . .« So gutmütig der Freiherr von Ulerici auch war, – wie er sich jetzt langsam erhob und in den breiten Schultern reckte, machte er durchaus keinen drolligen Eindruck.

»Na ja: ist das nicht merkwürdig, daß deine Frau Braut ruhig hier in Berlin mit ihrem geschiedenen Mann verkehrt? Sie kommt einfach zu ihm ins Haus . . .«

»Weil ihr Kind krank war! Das hat sie mir selbst am nächsten Tag erzählt!«

»Immerhin! . . . Sie kam des Abends um neun und ging am anderen Morgen um acht. Die zweite Frau war nicht einmal in der Wohnung. Niemand. Frau von Vogt ließ sich auch nicht irgend eine Freundin oder Verwandte, der Form wegen, holen . . .«

»Sie hatte anderes im Kopf!«

»Und ebenso ging sie in den nächsten Tagen hin . . .«

». . . bis das Kind wieder aufstehen und sie besuchen konnte! Sie wollte gestern nachmittag zum ersten Male mit ihm im Tiergarten spazieren gehen!«

»Und ist es nicht wunderbar, daß sie da schon wieder beim Lessingdenkmal ihren früheren Mann traf und stehen blieb und mit ihm sprach?«

»Woher weißt du denn das?«

»Ich hab's gehört! Alle Welt spricht doch davon!«

»Alle Welt hat etwas Gescheiteres zu tun, als sich um deine Dämlichkeiten zu kümmern! . . . Mir scheint, du spionierst so sachte, mein Lieber! – immer so 's Ohr ein bißchen am Schlüsselloch . . . Gewohnheit von früher – was?«

Dem Freiherrn von Ulerici war auf einmal ein Gedanke gekommen.

»Meine Braut hat mir schon ein paarmal erzählt, es schliche immer so ein merkwürdiger Kerl hinter ihr her, wo sie nur immer ginge! Hast du ihr vielleicht den Lumpenhund auf die Fersen gesetzt – was?« Er donnerte plötzlich los. »Hast du dich am Ende bei einem Detektivbureau abonniert? . . . Zuzutrauen wär' es dir!«

An einem kurzen Aufleuchten des Schreckens hinter dem Monokel des andern sah er, daß er ganz unwillkürlich ins Schwarze getroffen. Und zugleich packte den Freiherrn von Ulerici eine blinde Wut. Er sah sich nach irgend einer Waffe um. Da am Kachelofen lehnte die Feuerzange. Sie war eines alten Kürassiers nicht ganz würdig, aber besser als nichts. Er ergriff sie und schwang sie drohend über seinem Haupt. Sein Gesicht war unter dem grauen Haar kirschrot vor Zorn.

»Ach, du verfluchter Erbschleicher!« keuchte er und lief mit einer Behendigkeit, die ihm sonst ganz fremd war, hinter seinem Besucher her. »Ich werd' dich Mores lehren, . . . steh doch mal still . . . ich krieg' dich sonst nicht . . . ich will dich doch auf den Schädel hauen, du infamigter Industrieritter . . . au – zum Donnerwetter! . . .«

Er stolperte über einen Stuhl und griff nach dem schmerzenden Schienbein. Diese Gelegenheit benutzte der Freiherr von Sybold, um schleunigst über die Türschwelle zu flüchten. Hinter ihm her dröhnte noch eine Weisung an den Kammerdiener: »Franz . . . schmeißen Sie den Herrn hinaus!« – aber der hatte schon dem verblüfften Lakaien Hut und Mantel aus der Hand gerissen und war davon.

Sein Vetter stand atemlos mitten im Zimmer, stellte endlich die Feuerzange auf ihren Platz und rückte sich Kragen und Krawatte zurecht. Allmählich kam sein Phlegma wieder. Er wurde verdrießlich. Eine schöne Geschichte! Dem Kerl war alles zuzutrauen! Der sandte ihm jetzt womöglich noch den Kartellträger! Christoph von Ulerici war nie, auch nicht in seiner Leutnantszeit, ein Draufgänger gewesen. Ein kaltblütiger Reiter, aber sonst ein Mann der Bequemlichkeit. Und nun, wenige Wochen vor der Hochzeit, im Grunewald mit diesem verbummelten Kunden blaue Bohnen auszutauschen – der Gedanke war zu töricht . . .

Er seufzte. Da auf dem Schreibtisch lag ein Brief seiner Schwester, des Stiftsfräuleins. Sie beklagte sich, daß sie diesen Sommer nicht die ihr sonst reservierten Zimmer auf dem Ulericischen Fideikommißgut haben solle. Vera sei überhaupt in letzter Zeit so wenig freundlich gegen sie. Und von Veras Bruder, dem Ulanenleutnant Ewald, war da ein Schreiben von der Reitschule in Hannover. Dort war wieder einmal der Geist des alten ehrlichen Seemann mit der Roulette unter dem Arm umgegangen. Der junge Mann bat um Geld! . . . Der Schwager hatte es ja. Als der seine Wohnung verließ, war er recht nachdenklich. Es hatte eben alles seinen Preis im Leben, auch das künftige Eheglück! Als Junggeselle lebte man entschieden schmerzloser, wie in einen dicken Pelz gewickelt, von der Außenwelt unberührt. Jetzt drängte sich die heran. Er spürte die ersten Dornen zwischen den kommenden Rosen. Und ihn, den Graukopf, stachen sie ganz besonders.

Er pflegte Vera jeden Mittag, immer in einem korrekten und etwas pedantischen schwarzen Gehrock, eine Blume im Knopfloch, den Zylinder auf dem Knie, seine Aufwartung zu machen, und blieb meist eine Stunde. Es gab da gewöhnlich viel zu besprechen, Äußerlichkeiten, wie die Einrichtung der Wohnung, die Neetzower Finanzen, die Besuche – aber heute stockte die Unterhaltung binnen kurzem, und Vera, die ihren Bräutigam so auffallend stumm und steif dasitzen sah, sagte mit jener Bestimmtheit, die sie sich schon vor der Ehe angewöhnt hatte: »Christoph – wenn du was hast, dann sprich, bitte! Aber mach nicht dies Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Das macht mich rein nervös!«

Der Freiherr von Ulerici hatte große Angst vor ihr. Aber er brachte es schließlich doch heraus: »Sag mal, Vera: ist denn das wahr, daß du gestern im Tiergarten mit deinem früheren Mann gesprochen hast? Das war doch wohl wirklich überflüssig!«

Sie blickte rasch auf. Eine Röte des Unmuts überflog ihr schönes Gesicht.

»Das hätte ich dir selbst erzählt!« versetzte sie, »statt daß es dir nun irgend ein lieber Nächster gesteckt hat . . . Ich hab's vergessen! Es war der reine Zufall! Er konnte absolut nicht wissen, daß er uns begegnen würde!«

»Aber da geht man doch aneinander vorüber!« sagte er scharf. Er merkte jetzt erst selber, wie gereizt er war. Der Gifttropfen von vorhin wirkte.

»Ohne Karla hatten wir das selbstverständlich getan! Aber das Kind hat uns stets in der letzten Woche zusammen gesehen, zum erstenmal, seit es denken kann. Was soll es sich denn nun vorstellen, wenn Vater und Mutter auf einmal wieder wie Fremde aneinander vorbeilaufen? Es regt sich unnütz auf und quält hinterher uns beide, ihn und mich, mit den schrecklichsten Fragen. Darauf muß man doch auch ein bißchen Rücksicht nehmen. Wir haben wirklich auch nur die notwendigsten fünf oder sechs Sätze miteinander gewechselt!«

In ihren Worten klang für ihn eine leise Überhebung, die ihn schon früher manchmal verdrossen hatte, der Ton der jungen Frau, die das Leben und die Ehe besser kannte als er, der alte Junggeselle. Er liebte es nicht, belehrt zu werden, am wenigsten hier, wo er Rechtfertigung verlangte. Aber sie ließ ihn nicht zu Worte kommen, sondern fuhr gereizt fort: »Daß ich ein solches Zusammentreffen nicht suche, das brauche ich dir doch wahrhaftig nicht erst zu versichern! . . . Also sei so gut und lasse dies Thema fallen! . . . Es ist ja lächerlich!«

Er wurde heftig.

»Es ist mir auch peinlich, von meinem Vorgänger zu reden. Ich hab' es bisher vermieden. Denn aus deinen Worten ist immer hervorgegangen, daß er für dich völlig abgetan ist. Mit Menschen dieser Art muß man doch auch reinen Tisch machen . . .«

»Was heißt denn das: ›mit Menschen dieser Art‹?«

»Ist dir der Ausdruck auch wieder nicht recht?«

»Ich finde ihn so verächtlich! Er ist doch Offizier wie du! Er hat, was du nicht getan hast, jahrelang vor dem Feind gestanden – er ist verwundet worden und trägt Kriegsorden auf der Brust . . . Mir scheint – Respekt kann er verlangen so gut wie jeder andere!«

Dabei schaute sie feindselig auf die Stellen, wo ihr Bräutigam sonst bei festlichen Gelegenheiten sein Johanniterkreuz und seine bunten Garnisonorden trug. Der wurde dunkelrot und griff sich an den Kopf.

»Ich weiß nicht, bin ich heute verrückt, oder seit ihr anderen es alle?« sagte er. »Was ist denn nur auf einmal los? . . .«

Sie war aufgestanden und antwortete nicht, sondern schritt erregt im Zimmer auf und ab. Er folgte ihr verdutzt mit den Blicken. Es ging ihm wieder wie schon ein paarmal eine Beklemmung durch das Gemüt, ein Ahnen, wie schwer es für einen, der unvermählt fünfzig geworden, wohl sei, noch einmal umzulernen und das Denken von Frauen zu verstehen – dies Unmittelbare – Sprunghafte . . .

Und in seiner Verlegenheit tat er das Ungeschickteste, was er überhaupt tun konnte, und sagte: »Das ist ja ganz neu, daß du auf einmal deinen früheren Mann verteidigst!«

Sie machte große Augen.

»Ich ihn verteidigen? . . . Wieso?«

»Nun ja! Das ist doch ein vollkommener Frontwechsel bei dir! . . . Ich begreife das nicht! Ein Kerl, der seine Frau so unglücklich gemacht hat . . .«

Vera war an das Fenster getreten und sah auf den sonnenhellen Lützowplatz hinaus, indem sie ihrem Bräutigam den Rücken zuwandte.

»Ja. Es war eben ein Unglück!« sagte sie. »Das Schicksal hat zwei Menschen zusammengeführt, die nicht zueinander paßten. Da trifft keinen eine Schuld oder beide . . .«

»Früher dachtest du anders!«

»Ach, man soll nicht so selbstgerecht sein! Ich bin doch sogar für den schuldigen Teil erklärt. Ich hab' mein Kind damals rücksichtslos im Stich gelassen. Das reut mich jetzt bitter. In der Angst der Nacht neulich, da hab' ich dafür büßen müssen, Christoph – das kannst du mir glauben!«

»Nun ja . . . das Kind! Aber sein Vater . . .«

Sie zuckte die Achseln und sagte nur: »Man wird natürlich billiger denkend mit der Zeit. Er begegnet mir ja auch ganz ruhig, beinahe mit einer gewissen Güte! Das ist doch ein Segen für uns beide, daß wir endlich völlig am anderen Ufer sind . . .«

»Ach was! Geschiedene Gatten sollen überhaupt nicht mehr füreinander existieren und damit basta!«

Die Banalität dieser Bemerkung erbitterte sie. Sie stampfte unwillkürlich mit dem Fuß auf und drehte sich jäh zu ihm um.

»Tu mir den einzigen Gefallen,« sagte sie, »und entweihe mir meine eigene Vergangenheit nicht! Auf die hast du gar kein Anrecht! Die gehört mir! Ja – mache nur solche Augen: ich brauche absichtlich das Wort ›entweihen‹! . . . Es liegt so viel Heiliges im Schmerz, was du gar nicht ahnst, was ich dir auch nie begreiflich machen werde –: wie solch ein Leid zu einem Stück von einem selbst wird! Das bleibt mit einem verwachsen! Das trägt man mit sich durchs Leben. Das kann man gar nicht mehr hergeben, selbst wenn man wollte . . .«

Und in einer nachträglichen, nochmaligen Aufwallung fügte sie hinzu: »Was weißt du denn überhaupt vom Leben, Christoph – in dem Sinn, mein' ich! . . . Du hast dich doch immer so liebevoll geschont . . . Du warst doch immer mit dir zufrieden – nicht wahr? . . . Da lag doch nie ein Steinchen auf deinem Weg! . . . Dann sitze aber auch nicht über uns andere zu Gericht! Wir wissen das besser! . . .«

Der grauköpfige Freiherr von Ulerici sah die junge Frau, die mit unruhig leuchtenden blauen Augen und zornigen Lippen vor ihm stand, verdutzt an. So sehr wie in diesem Moment hatte er noch nie das Gefühl gehabt: Herrgott – werd' ich denn auch in der Ehe mit ihr fertig werden? Und wenn nicht, was dann? . . .

Anfangs war ihm seine Überlegenheit ganz selbstverständlich erschienen – gerade weil er so viel älter war und in so vieler Hinsicht der Gebende. Woher bekam denn sonst eine geschiedene Frau, mochte sie auch Veras Schönheit besitzen, so leicht einen zweiten Mann wie ihn? Aber nun lastete auf ihm das Unbehagen: sie wuchs ihm über den Kopf . . . schon jetzt! . . .

Und in einer erneuten Anwandlung von Energie stieß er heftig hervor, als spräche er zu seinen Rittmeistern und Leutnants auf dem Exerzierplatz: »Diese Zusammenkünfte mit deinem ersten Mann verbitte ich mir – verstanden?«

Es war ihm nicht ganz wohl bei dem Blick dieser großen, kalten, graublauen Augen, die Vera langsam auf ihn richtete, eigentlich mehr befremdet als erregt. Aber er fuhr zornig fort: »Ich will dein Wort darauf, daß das nie wieder vorkommt! Unter keinen Umständen! Ich bin in Zukunft für deinen Ruf verantwortlich!«

Während er das sagte, fühlte er selbst deutlich, daß es die Eifersucht war, die aus ihm sprach, eine blinde Eifersucht auf seinen Vorgänger. Sie trat dicht vor ihn hin und sah ihm ins Gesicht.

»Mache dir doch endlich klar, Christoph!« versetzte sie, »daß du nicht ein Gänschen von achtzehn Jahren heiratest, sondern eine Frau von dreißig, die viel mehr als du erlitten und erlebt hat. Mich zu bevormunden, das gib von vornherein auf. Du wärest auch nicht der Mann dazu! Und es ist wahrhaftig nicht nötig! Mir ist absolut klar, was ich darf und was ich muß . . .«

»Also du gibst mir dies Versprechen nicht?«

»Als Frau werde ich meinen früheren Mann nie wieder sehen – als Mutter, so oft es nötig ist!«

»Da geht eines ins andere! So viel Freiheit kann ich dir in diesem Punkte nicht lassen . . .«

»Und ich brauche Freiheit, um über alles hinwegzukommen. Christoph . . . ich rate dir im Guten . . . ich bin kein Mensch, den man behindern darf! . . . Reize mich nicht . . . Sonst wird etwas Unbändiges in mir los . . . ich kenne mich . . . ich bin ein viel leidenschaftlicherer Mensch, als du denkst . . . Und das ist nichts für uns beide . . .«

»Und ich bitte mir Rücksicht aus!« schrie der Kürassier a. D. plötzlich in hellem Zorn über all die Quälereien dieses Morgens. »Wer soll denn künftig der Herr im Hause sein? . . . Ich doch, in drei Deubels Namen, denk' ich! Glaubst du denn, ich habe Lust, den Pojatz zu machen, daß die Leute mich hinter meinem Rücken auslachen und sagen: ›Na – der alte Esel – den haben sie auch gut eingebuttert!‹ . . . Ach nee – meine liebste beste Vera – so haben wir nicht gewettet!«

»Ich kann mit dir darüber nicht reden, Christoph. Du bringst diese Dinge immer gleich auf ein Niveau herunter . . . ich weiß nicht . . . es ist jedenfalls nicht meines . . .«

»Vera – das ist der erste ernstliche Zank seit unserer Verlobung!«

»Ich kann es nicht ändern!«

». . . weil du ganz verhext bist seit einer Woche! Weil du mir nicht den Einfluß auf dich einräumst, der mir zukommt! Gerade eine Frau, die sich schon einmal so im Leben getäuscht hat wie du, hat doch weiß Gott die Stütze eines Mannes nötig . . .«

Vera lachte auf einmal. Er sah sie erstaunt an.

»O nichts!« sagte sie, »es fiel mir eben ein, Ewald erzählte neulich: In deinem Kasino sollen um den Stuhl, auf dem du so viele Jahre als Tischältester gesessen hast, jetzt noch eine Unmasse Ringe im Parkett sein, von den Champagnerkühlern, die da immer gestanden haben! . . . Du . . . ist das wahr? . . .«

»Was soll denn das heißen? Machst du dich über mich lustig? . . . Ich werd' doch in des Kuckucks Namen noch mal meine Pulle Sekt haben trinken dürfen!«

»Aber gewiß . . . du hast Sekt getrunken . . . in den Jahren . . . und ich hab' anderes erlebt! Das mein' ich ja auch nur!«

Ihre harmlose Miene reizte ihn zum Äußersten. Er bückte sich und griff hastig nach seinem Zylinder. »Na – das fehlt also noch!« sagte er bebend. ». . . daß ich hier geringschätzig behandelt werde . . . gerade als ob ich . . . Meine Schwadron hätte einmal einer sehen sollen! Majestät selber hat sie einmal gelobt! . . . Nee – da empfehle ich mich lieber für heute – ich empfehle mich ganz gehorsamst!«

»Guten Tag, Christoph!« sagte Vera gelassen, während er mit einer übertriebenen Verbeugung, ohne ihr die Hand zu reichen, aus dem Zimmer stürmte. Sie wußte ja, er kam morgen wieder, so zornmütig er auch da unten vor ihren Augen über die Herkulesbrücke hin gen Norden stiefelte. Oder er schickte heute abend seinen Kammerdiener mit Blumen. Es war ganz gut so. Einmal mußten diese Auftritte kommen. Das waren die Aprilschauer, die Vorboten der neuen Ehe. Sie hatte von ihrer ersten gelernt. Darin war sie Christoph von Ulerici überlegen. Sie wußte, wieviel darauf ankam, von vornherein der Stärkere zu sein und sich von dem anderen Teil nicht aus seiner Stellung drängen zu lassen. Dazu brauchte sie, so verliebt wie ihr Bräutigam war, nur ihren kühlen Kopf.

Und bei all dieser Vernunft war ihr so elend zu Mute. Sie hatte solch ein Frösteln in sich. Es wehte so kalt wie aus einem Keller aus der Zukunft zu ihr herüber. Sie schloß die Augen, um nicht daran zu denken. Es mußte ja sein. Aber sie hatte die Empfindung, als sei sie ganz heimatlos auf Erden und es gehöre ihr nichts zu eigen als ihr Kind. An das klammerte sie sich immer fester an, je mehr dies unbestimmte Bangen in ihr wuchs.

Es war verabredet worden, daß sie Karla an diesem Nachmittag wieder im Tiergarten treffen sollte. Sie konnte es kaum erwarten, bis sie endlich neben der Kleinen auf der Bank saß, um mit ihr zu plaudern und ihre blassen Wangen zu streicheln. Inmitten all des Sonnenscheins, der bunten Menschenmenge, der durch das zartgrüne Frühlingslaub leuchtenden weißen Statuen umher, unter dem tiefblauen Himmel, kam sie sich wie eine Gefangene vor. Sie war nie allein mit ihrem Töchterchen! Das Kindermädchen der Gisberts, das mürrische alte Hausmöbel, das Frau Otti von zu Hause in die Ehe mitgebracht, saß dabei und hörte jedes Wort und beobachtete jede Bewegung. Vera hatte still den Kopf gesenkt und ließ die Kleine nach Kinderart schwätzen, und die erzählte ihr, heute kehre Tante Otti zurück! Sie brächte ihr, der Karla, auch etwas Schönes mit. Und Papa könne die Tante nicht auf dem Bahnhofe abholen, weil er zu tun habe – und zugleich mahnte das Kindermädchen schon zum Aufbruch. Der Herr Hauptmann habe gewünscht, daß Karla zu Hause sei, wenn die gnädige Frau käme.

Vera beugte sich nieder und nahm den Kopf ihrer Tochter zwischen beide Hände. Jetzt, wenn die Stiefmutter wieder da war, war es mit dem täglichen Anblick ihres Lieblings aus. Nun konnte sie warten, bis ihr wieder eine Zusammenkunft erlaubt wurde. Mit feuchten Augen frug sie: »Mein Herz – wirst du auch ein bißchen an deine Mama denken – ja? – und sie lieb haben?«

Das blasse, kleine Geschöpf verstand sie nicht recht. Es sagte ziemlich gedankenlos: »Ja« und ließ sich ohne besondere Zeichen von Bewegung fortführen und in einen Wagen setzen. Vera stand noch lange und sah den davonrollenden Rädern nach. Es war ihr, als sei eine Wolke vor die Sonne getreten. Alles war grau geworden. Die Welt trübe.

Während sie heimwärts ging, wollte sie sich dazu zwingen, zu denken, wie gut sie es doch in Zukunft haben würde. Aber als sie, an einem Blumenladen der Tiergartenstraße vorüberkommend, im Schaufenster ihre schlanke, blonde Schönheit sich zwischen Orchideen und Crysanthemen spiegeln sah, wollte es ihr gar nicht in den Sinn, daß sie da drinnen dieselbe Frau sei, die sich noch vor ein paar Monaten so kindisch auf eine glänzende Wohnung, auf Dienerschaft und Equipagen und Berliner Wohlleben gefreut hatte. Das war doch alles so lächerlich gleichgültig. Das hatte nur Wert, solange das Wahre im Menschen schlief. Nun war das wieder wach. Der Schmerz sprach: du lebst . . .

Und während sie mit einem müden, abwehrenden Befremden an ihren Bräutigam dachte, fiel ihr ein, daß Georg Gisbert möglicherweise gerade um diese Stunde die Tiergartenstraße auf dem Wege von seinem Bureau nach dem Kurfürstendamm passieren könne. Sie war ihm da schon einmal begegnet. Das sollte nicht wieder geschehen. Sie wollte jeden Schein vermeiden und bog rasch um die Ecke in die Hohenzollernstraße ein.

Eine gute Stunde später ging der Hauptmann Gisbert wirklich dieses Wegs und mit raschen Schritten nach Hause. Dort stand seine Frau schon im Flur und erwartete ihn. Sie war sehr erregt. Ihr hübsches, rosiges Gesicht trug einen erschreckten Ausdruck. Sie bot ihm nur flüchtig die Lippen zum Kuß nach achttägiger Abwesenheit und sagte dann sofort: »Georgche . . . jetzt hör' ich ja erst, wie arg krank die Karla war! Du liebe Zeit . . . das Kind ist ja hart am Tod vorbei!«

Er nickte.

»Und mich hast du dabei ruhig in Köln sitzen und Vivat schreien lassen?«

»Ich hab' dich ja gerufen!«

»Und sie war unterdessen da . . .!«

»Die Mutter!«

Gegen diese zwei Silben war nichts zu erwidern. Die kleine Frau beherrschte sich und ging wieder ans Auspacken und erzählte inzwischen von der Hochzeit. Schön sei die gewesen, – der Papa habe aufgetrumpft, was das Zeug hielt, und selber vorgetanzt wie ein Jüngling, und auch beinahe so ausgesehen, und habe bei Tisch eine Rede gehalten, daß alle anwesenden Frauenzimmer nicht anders gekonnt hätten und hätten heulen müssen, und die Elfriede, die Braut, ihrem Vater weinend um den Hals gefallen sei. Ja, und nur ein bißchen zu heilig sei die ganze Gesellschaft gewesen. Frau Otti, das schwarzäugige Wormser Bürgerkind, war in der Ehe schon zu sehr norddeutscher Freigeist geworden. Mitten in diesem Redefluß brach sie ab. Es zuckte um ihre Lippen. Sie frug gepreßt: »Ist sie denn wirklich die ganze Nacht hier in der Wohnung gewesen?«

»Jawohl!«

»Ja – aber . . .«

Er unterbrach sie schroff: »Kein ›Ja – aber . . .‹ bitte ich mir aus! . . . Stelle dir vor, von unseren beiden Kindern sei eines zwischen Tod und Leben! Würdest du dich dann auch nur einen Augenblick um etwas anderes kümmern?«

»Ich bin auch nicht geschieden! Ich hab' nie mein Kind Kind sein lassen und bin in Nacht und Nebel 'naus! Was sich eines einbrockt, soll es auch essen!«

Diese Härte war ihrer sonstigen Art, die ihn immer an ein vergnügtes Frühlingsvögelchen auf dem Ast erinnerte, ganz fremd. Er wandte sich ab.

»Verschone mich mit dieser trivialen Weisheit! Es gibt Dinge, die dadurch um kein Haar besser werden, daß sie wahr sind!«

Seine Frau erwiderte nichts und fing an, ihre Reisesachen in den Schränken zu ordnen. Plötzlich hörte er sie dabei im Nebenzimmer laut weinen. Er trat ein. »Was hast du denn?« frug er.

Sie deutete auf einen der halboffenen Schränke – ihr Heiligtum.

»Da ist drin herumgestöbert worden! Es ist alles verschoben! Ich merk's wohl!«

»Freilich! . . . man hat Laken herausgenommen!«

»Wer denn – ›man‹?«

»Frau von Vogt.«

Otti zuckte zusammen. Dann murmelte sie weiter: »Im Glasschrank hat sie sich auch was geholt . . . die Gläser stehen ganz aus der Reihe . . . in meiner Küche hat sie sich alles zusammengesucht und selber Kaffee gekocht, sagt das Mädchen! . . . Aus unserem Schlafzimmer habt ihr zusammen die Wanne herübergetragen . . .«

»Otti – sei doch vernünftig!« Er verlor fast die Geduld. »Das mußte doch alles sein . . .«

Aber sie sprang auf einmal auf und schluchzte leidenschaftlich darauf los.

»Ach, du redest mir lang gut! Ich kann mir nit helfe! Ich seh' hier überall auf Schritt und Tritt die fremde Frau! . . . Wo ich hinschau', da war sie! . . . In alles, was mein ist, hat sie hineingegriffe! Das ist mir so, als gehörte das alles jetzt gar nit mehr mir!«

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und brach in einen neuen Strom von Tränen aus. Er schwieg. Da schaute sie wieder um sich, als suche sie einen Ausgang aus diesen vier Mauern, und plötzlich, ohne noch ein Wort zu sagen, lief sie über den Flur hinüber in das Kinderzimmer und stürzte am Bett ihrer beiden Kleinen nieder und herzte sie blindlings und leidenschaftlich. Um Karla, die am Fenster saß und Buchstaben in ihr Schreibheft malte, kümmerte sie sich nicht weiter. Sie hatte sich in diese Ecke geflüchtet, wie in ein Asyl.

Er ging in sein Zimmer. In seinem Ohr klangen ihre Worte: »Ich seh' hier überall die fremde Frau!« Wem sagte sie das? Er wußte das besser als sie. Vera war in diese Räume hereingegangen. Hinaus nie. Und zum erstenmal gestand er sich selber mit einem Schrecken, der ihn von Kopf bis zu Fuß durchrieselte, die volle, schonungslose Wahrheit und sagte sich: Wie ist das denkbar und wie soll das enden, wenn ich mich in meine frühere Frau verliebe? Oder es schon bin, wie es ein Mann nur sein kann? Es vielleicht schon seit Jahren war, ohne es zu wissen und zu wollen, bis ein Luftzug neulich die Flamme entfacht hat . . .?

Und wie ist es denkbar, daß ich meine Frau hier in diesen Räumen mit jedem Wort, mit jedem Atemzug verrate?

Von drüben, über den Flur her, hörte er ein leises Wiegenlied – Frau Otti sang ihre Kleinen zur Ruh' – und er biß sich auf die Lippen und starrte vor sich nieder.



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