Rudolph Stratz
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Rudolph Stratz

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II.

Am nächsten Morgen war ein Sonntag. Der Hauptmann Georg Gisbert stand in seiner Hausjoppe, die Frühstückszigarre noch in der Hand, am Fenster seines Arbeitszimmers und schaute hinunter auf die tote Straße. Nebenan saß seine Frau im Morgenrock und nähte etwas. Die Märzsonne schien hell in die hohen, reich ausgestatteten Räume der Berliner Mietswohnung. Aus der Ferne scholl dumpf und dröhnend ein tiefer Klang, und Frau Otti sagte, ihre Arbeit sinken lassend: »Das muß eine große Hochzeit sein in der Kaiser-Wilhelmkirche, daß sie die Extraglocke läute lasse! Die ist doch so arg teuer.«

Er nickte. Sie stichelte an ihrem Saum weiter. Beide schwiegen. Aber sie fühlten sich dabei ganz einig. Sie sprachen wie durch ein gegenseitiges Einverständnis nicht mehr von gestern abend. So sank der ganze unheimliche Zwischenfall am raschesten in sein Nichts zurück. Und seltsam – wenn Georg Gisbert jetzt daran zurückdachte, so stand ihm immer wieder weniger seine frühere Frau vor Augen, als ihrer beider Kind, die kleine Karla, die bei seiner Mutter in Schlesien in Pflege war.

Sie war dort gut aufgehoben – gerade ein so kränkliches und schwächliches Dingchen wie sie – es war kein Grund, sich plötzlich um sie zu sorgen. Trotzdem erwog er auf einmal den Gedanken, bei Gelegenheit hinüber zu fahren und nach ihr zu sehen. Er sagte sich selbst, daß es gar nicht nötig sei. Er hatte dort weiter nichts zu suchen. Aber die sonderbare dumpfe Vorstellung, daß er doch hin müsse, blieb bestehen und verließ ihn den ganzen Vormittag nicht, während er an seinem Schreibtisch die dienstlichen Rückstände der Woche aufarbeitete. Es blieb ihm für nichts anderes Zeit, als für den Dienst und allenfalls einmal hinaus auf die Jagd oder im Sattel in den Grunewald und des Abends in eine Gesellschaft. Die ruhigen Stunden der Einkehr fehlten. Dort an der Wand hing die Geige. Es war sonst seine Lieblingsbeschäftigung gewesen, sie am Sonntag vormittag zur Hand zu nehmen und zu phantasieren, selbst zu komponieren, wenn ihm im Träumen der Töne eine kleine eigene Melodie aufzusteigen schien. Und neben der Geige schimmerten Aquarelle und Kreidezeichnungen von seiner eigenen Hand – Skizzen – von draußen, aus der weiten Welt, die Reissümpfe Chinas in blutrotem Sonnenuntergang, sonderbare Glockentürme und Pagoden, die Reede von Dar-es-Salam, die Steppen des Kilimandscharo – es war in diesem Zimmer alles vermieden, was direkt an den Offizier erinnerte. Und wer aus dem Bücherschrank des Hauptmanns Gisbert wahllos ein paar Bände herausgegriffen hätte, der hätte allerhand gefunden, was im geistigen Haushalt eines Militärs nicht nötig, kaum nützlich war. Aber seine Pflicht vernachlässigte der, der diese Räume bewohnte, deswegen trotzdem nicht. Gegen gefährliche Erinnerungen aller Art – und eine darunter, die gestrige, war die gefährlichste – gab es nur ein Mittel: Arbeiten! Arbeiten! Arbeiten! und er setzte sich, schob sich seine Papiere zurecht und rief laut und aufgeräumt: »Otti!«

»Ja, Georgche!«

»Tür zu! . . . Ruhe! . . . Kinder nach hinten! . . . Wenn Besuch kommt, 'raus! . . . Oder wenigstens 'rüber in die gute Stube, daß man das Gekolke hier nicht hört. Ich hab' bis zum Mittagessen zu schuften!«

Der Bursche mußte ein paarmal klopfen und melden, daß angerichtet sei, bis Georg Gisbert nach vierstündiger Arbeit mit heißem Kopf vom Schreibtisch aufstand und in das Eßzimmer hinüberging, wo alles schon versammelt war. Sonntags gab es immer Gäste. Wer von ledigen Mitgliedern der Familie Gisbert gerade in Berlin stand, oder dorthin kommandiert war, war ein für allemal geladen. So war da Georgs jüngster Bruder Albert vom 300. Infanterieregiment in Westfalen, der, wie er selber vor zehn Jahren, die Kriegsakademie besuchte – ein junger, stiller und kluger, ihm ähnlicher Mensch, nur noch brünetter und schmächtig, wohl einen Kopf kleiner, dann ein Pionierfähnrich von der Potsdamer Kriegsschule, ein Sohn von Georgs einziger Schwester Franziska, die einen Amtsrichter in Magdeburg, einen der wenigen Zivilisten in der Familie, geheiratet hatte. Georgs ältester Bruder war als Major gestorben. Dessen beide Jungen hatte man unter die Kadetten in das Vorkorps in Potsdam gesteckt. Von da waren die zwei bunten Knirpse, die »Freßbüble«, wie Frau Otti sie nannte, herübergefahren und hieben ein wie die Wölfe, und um sie ging das Gespräch der Erwachsenen seinen Gang – daß Leopold und seine Frau hätten nach Berlin kommen wollen, aber es mache sich nicht mit dem Urlaub, er führe für den erkrankten Major das Bataillon –, und Karl sei Regimentsadjutant geworden – es sei dem armen Kerl wahrhaftig zu gönnen, – und welch ein Glück, daß Ludwigs sich mit dem neuen Oberst und seiner Frau so nett einlebten, und Eduard hoffe doch nun einmal von Posen wegzukommen – Henriette träume schon von der Garde oder mindestens so was zwischen Neunundachtzigern und Fünfundneunzigern – natürlich – die! – Aber das Militärkabinett werde da wohl noch reichlich Wasser in den Wein gießen . . . Es waren die stehenden, alten Themata, in denen nur die Namen sich änderten. Die Dinge blieben dieselben: Versetzung, Beförderung, Abschied in ewigem Kreislauf.

Nach Tisch erschien auch der dritte Bruder Gisberts, der rötlich-joviale, schlau zwinkernde Spandauer Artillerist, und seine lange, magere, ewig schweigsame und verschüchterte blonde Frau Klothilde. Die Neugier, zu sehen, was aus der gestrigen Überraschung geworden, trieb das Ehepaar her. Und Georg Gisbert, der bis dahin im Kreise der halben und ganzen Kinder am Tische sehr einsilbig gewesen war, wurde jetzt lebhafter und sagte, während er allein mit dem Bruder Richard im Rauchzimmer saß: »Weißt du, es ist doch merkwürdig, wie viel in einem selber vorgeht, ohne daß man sich recht darüber klar wird . . .«

»Zum Beispiel . . .?«

»Zum Beispiel: Heute den ganzen Morgen geht mir meine Karla im Kopf herum – nicht die Mutter, verstehst du – sondern sie, die Kleine! Ist das nicht eine sonderbare Nachwirkung des gestrigen Zusammentreffens?«

»Sie ist eben das einzige, was du von früher noch übrig hast!«

Der Hauptmann Gisbert sann nach: »Nun ja! Aber das weiß ich doch! Das ist mir nicht neu. Warum hab' ich nur jetzt auf einmal eine solche Sorge um das Mädel? Eine Unruhe, als ob ihr etwas passieren könnte? Es ändert sich doch auch eigentlich so manches dadurch, daß sie – meine frühere Frau, wieder heiratet! Am liebsten würde ich die Karla nun überhaupt zu mir nehmen. Es ist ja lächerlich: Vater und Mutter haben nun bald jedes ihren eigenen Hausstand, und die Kleine sitzt ferne unter Verwandten . . .«

»So tu's doch!«

»Ich kann nicht!« Er warf einen Blick in das Nebenzimmer, wo seine Frau zwischen den Gästen saß. »Ich will dir mal was verraten, Richard! Otti ist auf das Kind eifersüchtig! Direkt eifersüchtig! Ich darf gar nicht viel von ihm reden, sonst verdunkelt sich der Horizont. Das macht es mir so schwer. Ich muß alles bei mir behalten, was ich in der Hinsicht hoffe . . . oder auch manchmal fürchte! Die Kleine ist so zart. Sie braucht so gute Pflege!«

»Die hat sie doch bei Mama!«

»Mama ist bald siebzig. So ein kleines Ding will doch auch ein bißchen Leben um sich haben! . . . Jetzt habe ich sie ja nahe . . . Aber wenn ich mal versetzt werde und wieder durch halb Deutschland reisen muß, um meine eigene Tochter zu sehen . . .«

Er brach ab. Sie wurden durch den Leutnant und den Fähnrich gestört, die zu ihnen hereintraten, und er kam den ganzen Nachmittag, bis alle gingen, nicht mehr darauf zurück.

Und ebenso stumm blieb er die ganze folgende Woche. Der Zwischenfall an dem Gesellschaftsabend neulich schlief ein. Er und Otti hüteten sich, ihn wieder zu erwecken. Sie sprachen kein Wort mehr darüber. Das Leben verlief wie immer. Nur zuweilen, wenn der Hauptmann Gisbert von seinem Arbeitstisch aus durch das Fenster hinaussah und sein Blick den hohen Himmel, die fern hinziehenden Wolken streifte, dann wunderte er sich, wie ihm die Frau, die ihm einst so nahe im Leben gestanden, nun wieder als Fremde räumlich nahe sei. Das war die einzige Vorsichtsmaßregel, die er ergriff: er mied den Umkreis des Lützowplatzes, wo er ihr möglicherweise begegnen konnte. Sein Weg führte ihn ja ohnedies auf der Stadtbahn bis in die Nähe der Kriegsakademie. Als ihn Otti einmal dort abholte, begegnete ihnen Unter den Linden der Major a. D. Freiherr von Ulerici. Der ehemalige Kürassier kam vom Pariser Platz, vom Hause der Kasinogesellschaft. Er trug einen hechtgrauen Zylinder und einen kurzen, kakifarbenen Sportpaletot – zwei andere Herren mit Monokeln begleiteten ihn. Er grüßte das Ehepaar nach kurzem Stutzen sehr höflich. Georg verspürte diesmal, während er die Hand an die Mütze legte, keine Regung von Eifersucht mehr. Der ältliche Herr kam ihm jetzt ein bißchen komisch vor. Er wußte selbst nicht, warum.

Am nächsten Sonnabend abend aber sagte er beiläufig zu seiner Frau: »Otti – ich rutsche morgen in aller Herrgottsfrühe mal nach Schlesien hinüber und schau', was Karla macht! Der Doktor ist doch immer mit ihr so bedenklich! Was meinst du?«

»Tu's nur!« versetzte Frau Otti, die frisch und rosig, das Jüngste auf dem Arm, vor ihm stand. Sie war immer sehr einsilbig, wenn die Rede auf die Stieftochter kam.

Er gab ihr einen Kuß und fuhr am Sonntag im ersten Dämmern ab. Beinahe zehn Jahre waren es, daß sein Vater als Generalleutnant und Divisionskommandeur, eben im Begriff, sein Pferd zu besteigen, vor seinem Haustor vom Schlag gerührt worden war. Seitdem hatte die Mutter in dem stillen schlesischen Städtchen ihren Wohnsitz genommen. Ihr Sohn schritt durch die holprigen Gassen, bog in den Markt ein und trat gleich dahinter in eines der niederen altmodischen Häuser. Exzellenz sei ausgegangen, meldete ihm das Mädchen. Aber die kleine Karla spiele in ihrem Zimmer.

Da ging er hinein zu seinem Kinde, küßte es, nahm es auf den Schoß und sah ihm in das zarte nervöse Gesichtchen. Es hatte die Augen der Mutter, das war kein Zweifel. Dies tiefe fragende Graublau. Von ihrer Schönheit besaß es sonst eigentlich nichts. Sein Antlitz war spitz und bleich. Es war ein rechtes Angst- und Sorgenkind. Aber es war doch sein. Er ließ sich von Karla erzählen, – daß sie nun auch schon die lateinischen großen Buchstaben schreiben könne und daß der große Hund vom Schlächter sie neulich habe beißen wollen und daß gestern Puppentaufe gewesen sei. Dabei hielt sie die schöne neue Puppe, die der Papa ihr mitgebracht, in Händen. Aber ihr Blick hing doch mit einem innigen Ernst an einem hart mitgenommenen, kaum noch zusammenhängenden Lederbalg am Boden. Das war die Trude, ihr leidenschaftlicher Liebling, von dem sie sich selbst im Schlaf nicht trennte. Und der Vater sah das und dachte sich: Sind wir denn anders? Mir hat das Schicksal viel gegeben. Ich habe andere, blühendere Kinder daheim. Aber an diesem armen, kranken Wesen hängt mein Herz . . .

Und eine Ahnung, die ihm kam, erschreckte ihn. Dies Kind hier war das einzige Bindeglied zwischen ihm und seiner ehemaligen Frau. Sollte er deswegen hierhergefahren sein, deswegen sein Töchterchen an sich ziehen und halten, weil er damit auch etwas von ihr umfaßte? War das immer noch so stark – stärker noch seit der Begegnung neulich – stärker, als er selbst es wußte? Die Worte Ottis fielen ihm ein: »Sie war nie ganz weg!« Kam sie nun näher, immer näher wieder heran, aus den Nebeln der Jahre, schattenhaft, in ihrer siegenden blonden Schönheit – streckte sie wieder die Arme nach ihm aus? Er stand auf und stellte die Kleine auf die Füße und schüttelte heftig den Kopf: Ach was – das gab es nicht mehr! Dazu war man ein Mann und blieb es. Und damit war für ihn dieser seltsame Schrecken überwunden, von dem ihm noch nachträglich die Hände zitterten, und er richtete sich auf und ging hinüber zu seiner inzwischen zurückgekehrten Mutter.

Wie heimelig waren diese stillen Stübchen der alten Exzellenz! Jedesmal, wenn er, mit seinem stattlichen Wuchs fast bis an die Decke reichend, sie betrat, fühlte er es aufs neue: Hier war die Zeit still gestanden. Das war noch das Preußen der sechziger und siebziger Jahre, der Geist Wilhelms des Ersten. Die Photographien der vielen Generale und Stabsoffiziere an den Wänden trugen seine Barttracht. Die Nummern seiner alten Infanterieregimenter standen auf den Epauletten, die zwischen Helmen und Degen in den Ecken prangten, als Abzeichen der Truppenteile, deren Uniform der General Gisbert in seiner langen Dienstzeit getragen. Da ein durchschossener französischer Küraß vom Schlachtfeld von Wörth, ein Stahlstich: »Die 25. Infanteriedivision vor dem Bois de la Cusse am 18. August 1870«, hier lebte noch die Zeit der großen Kriege fort und spann sich weiter bis in die Gegenwart, von der die überall herumstehenden Photographien von Hauptleuten, Leutnants, Fähnrichen, Kadetten und jungen Offiziersfrauen zeugten. Drei Söhne und eine Tochter hatte die alte Exzellenz in die Welt hinausgegeben. Die hatten selber meistens schon wieder Kinder. Und was vom Mannesstamm war, das trug ausnahmslos den Rock des Königs. Seit den Freiheitskriegen, wo Georgs Großvater seinerzeit als freiwilliger Jäger schwer verwundet worden war, hatte die Familie, obwohl noch bürgerlich und erst in einer Seitenlinie geadelt, so gut auf allen preußischen Schlachtfeldern mitgefochten wie die Kleist oder die Arnim.

Die Generalin ging ihrem Sohn entgegen. Sie war klein und zitterig. Ihr runzliges Angesicht unter dem weißen Häubchen war streng. Sie liebte es nicht, Gemütsbewegungen zu zeigen, hatte es nie geliebt und bei ihren Kindern, die sie spartanisch erzogen, nie geduldet. Aber er sah doch den Schimmer der Liebe in ihren alten Augen und war dankbar dafür, gerade jetzt, wo etwas in ihm aufschrie: Nur vor einer Liebe bewahre mich . . . vor der verbotenen . . . vor der unheilvollen . . . vor der Liebe zu meiner ersten Frau . . .

Seine Augen waren feucht. Die alte Dame sah das, während er ihr Hand und Wange küßte, mit Verwunderung. Das war sonst nicht seine Art, und er sagte rauh: »Es nimmt mich immer so mit, wenn ich die Karla sehe, den armen, schwächlichen, kleinen Spatz! . . . Es ist, als ob sie nicht leben und nicht sterben könnte! Natürlich – wenn ein Kind keine Mutter hat . . .«

Und plötzlich war er froh, eine Gelegenheit gefunden zu haben, in Haß und Bitterkeit von seiner früheren Frau sprechen zu dürfen. Er redete sich förmlich gewaltsam in seine Rachsucht hinein.

»Siehst du, Mama!« sagte er. »Das ist doch der Prüfstein für einen Menschen und vor allem für eine Frau! Daß sie mich verlassen hat – nun gut! Aber daß sie auch imstande war, ihr Kind zu verlassen, sich gar nicht mehr darum zu kümmern, das gibt mir nachträglich so recht . . . Ich glaube, wenn sie sich zweimal im Jahr dazu aufrafft, es zu besuchen, ist es viel!«

Er lachte bitter. Die alte Exzellenz schüttelte den Kopf.

»Früher ja!« sagte sie. »Wie du da draußen in China und Ostafrika warst und sie auch nie kam, da hab' ich mir oft gedacht: Der arme Wurm ist schlimmer dran als eine Waise. Hat Vater und Mutter und doch keine. Aber in letzter Zeit ist Vera doch immer öfter gekommen. Diesen Winter, von Berlin aus, war sie alle Augenblicke da! Ich wollte dir bloß nicht davon anfangen, weil du doch sonst selber nie von deiner früheren Frau sprichst . . .!«

Er blickte finster auf.

»Das hättest du mir aber sagen müssen, Mama! Das hättest du nicht dulden dürfen!«

»Nein, mein Sohn! Ich liebe diese Frau weiß Gott nicht! Diese Gesinnung ist dir bekannt. Aber ich habe selbst vier Kinder und zwei begraben. Ich kann einer Mutter den Zutritt zu ihrem einzigen nicht verwehren! Das bringe ich nicht fertig!«

»Aber wodurch kommt denn diese Änderung bei ihr?«

»Sie hat dich zu sehr geliebt,« sagte die alte Exzellenz. »Und nachher hat sie dich zu sehr gehaßt. Und alles, was von dir kam und mit dir zusammenhing. Sie wollte nichts mehr davon sehen und hören – selbst von ihrem eigenen Fleisch und Blut nicht!«

»Und woher weißt du, daß das der Grund ist, Mama?«

»Sie hat es mir selbst einmal gesagt, hier im Zimmer, bald nachdem du über See warst . . .«

Es war ein kurzes Schweigen. Dann fuhr die alte Exzellenz fort: »Allmählich hat sie nun wohl mehr Ruhe gefunden, in den letzten Jahren, und damit auch das Gleichgewicht gegenüber ihrem Kind. Deswegen hat sie es nun immer häufiger besucht . . .«

»Das heißt, sie hat die Kraft, mich zu hassen, verloren!« sagte Georg Gisbert mit einem bitteren Lächeln.

»Ich hoffe es, daß sie endlich mit dir fertig ist, wie du längst mit ihr . . . Das war doch kein Leben für sie, wie sie sich seit sechs Jahren auf dem Land bei ihren Eltern vergraben und vergrämt hat.«

»Sie ist ja nun verlobt!«

»Ist sie's? Sie hat mir schon vor vier Wochen, als sie das letzte Mal hier war, so etwas angedeutet. Gut, daß es so gekommen ist: Jetzt könnt ihr wirklich alle beide sagen: ›Gott sei Dank, es ist überwunden‹ . . .«

Er sah zur Seite. Ja, wenn alles so wäre! Wenn alles in der Welt nach der Meinung der Mütter ginge! Da wäre viel Güte und Stille hienieden. Da brauste kein Sturm mehr über Feld. Nur linde Lüfte wehten. Kein Mann härtete mehr sein Herz und sich selber in der Not.

Dann wieder schämte er sich. Da ihm gegenüber saß die Liebe, die einzige, ganz selbstlose Liebe, die ihm gehörte – denn Otti und die Kinder, die hingen an ihm – das war etwas anderes, viel Last und Begehr – und er legte die Hände ineinander und hörte geduldig, wie die alte Exzellenz weiter sprach: »Schau, ich hab' oft darüber nachgedacht: Du stammst nicht aus einer Familie, wo man sich viel aus dem Gelde gemacht hat. Weder dein Vater noch ich! Ich hab' mein Leben lang kein warmes Abendbrot in meinem Hause geduldet und so auch euch Jungens erzogen – aber du bist nun einmal anders! Ich glaube, wenn du und Vera eine Viertelmillion gehabt hättet, ihr wäret jetzt noch beisammen!«

Er zuckte die Achseln und schwieg. Die greise kleine Dame nahm ihre Häkelei vor, nickte wie im Selbstgespräch und fuhr fort: »In einem hab' ich ihr unrecht getan! Ich hab' geglaubt, ich würde sie schon im nächsten Jahr am Arm von irgend einem anderen sehen. Aber sie hat doch eurem Unglück beinahe die biblischen sieben Jahre Treue gehalten. Das ist das einzige, was mir an ihr gefällt! Dadurch erklärt sich nachträglich so manches an ihr. Sie war eben zu verstiegen in ihren Ideen. So furchtbar stürmisch. Sie erwartete sich Gott weiß was alles vom Leben. Und nun als Leutnantsfrau in einer kleinen Garnison – du nichts – sie wenig, ja, und ein Wunder wollte sie doch vom Schicksal haben! Also mußtest du das Wunder sein! . . . Und daß du nur ein Mensch warst und kein Gott, das konnte sie dir nun mal nicht verzeihen!«

Die Generalin seufzte.

»Ich hab's neulich erst der alten tauben Adelung ins Ohr geschrien, wie die mich frug, warum denn eure Ehe geschieden worden wäre: ›Aus Mißverständnissen, meine Liebste! Kein Schatten von einem Dritten! Nur tausend Mißverständnisse hintereinander.‹ – Bei dir erst recht! Du hast damals noch ganz anders verträumte Augen gehabt als jetzt. Weiß der liebe Gott, was du in der Vera gesehen hast, statt einem Frauenzimmer von Fleisch und Blut! Ein Engel vom Himmel – das war ja noch nichts dagegen . . . Ja – ihr guten Kinder . . . das sind harte Lehren! Jetzt habt ihr ja auch seitdem beide eure Ansprüche an eure Mitmenschen recht herabgeschraubt. Und würdet euch gegenseitig viel, viel nachsichtiger beurteilen, wenn ihr euch jetzt erst kennen lerntet . . .«

Die alte Exzellenz verstummte und handhabte emsig ihre Häkelnadeln. Der Sohn neben ihr seufzte. Die gute Mutter – die hatte es leicht, von unglücklichen Ehen zu reden, wo sie selber eine so beispiellos glückliche geführt hatte. Georg sah seinen Vater vor sich, den stattlichen, schlank gewachsenen Mann, wie er bis zu seinen letzten Tagen voll von ritterlicher Ehrerbietung und heiterer Zärtlichkeit gegenüber seiner getreuen Lebensgefährtin gewesen. Von ihm hatten die Söhne Respekt vor den Frauen gelernt. Sie hatten angefangen zu ahnen, daß etwas von Ehrfurcht in der Liebe sein müsse . . . Georg vor allem, der damals, ein junger Offizier in eintönigem Dienst, überall in unbestimmter Weise eine Verklärung seines Alltags suchte . . .

Ja – die Mutterweisheit an seiner Seite hatte schon recht! . . . ›Es waren zwei Königskinder . . .‹ das alte Lied klang trüb – zwei Menschenkinder, die da glaubten, daß sie heimlich Kronen trügen – und eben das, daß das Wasser nicht zu tief war, daß sie zusammenkommen durften und der Zauber verblaßte, das war ihr Unglück gewesen. Und urplötzlich stand vor seinen Augen wieder die Stunde, da er Vera von Vogt zum ersten Male gesehen, ein heißer Manövertag im Herbst drüben in der Altmark, in der Bismarckschen Gegend an der Elbe, Erinnerungen an den Gewaltigen überall, Schönhausen in nächster Nähe – da war er als Einquartierung des Mittags vor das Herrenhaus in Reetzow getreten und in den Kreis der Gäste geführt worden, die sich drüben im Park mit Pistolenschießen vergnügten, sie lachend mitten darunter, groß, schlank, blond, in ihrem weißen Kleide weithin leuchtend. Die Kavallerieleutnants waren um sie her. Aber am Abend, als sie und Georg Gisbert schon gut Freund miteinander geworden waren und am Elbufer auf und nieder wandelten, sagte sie: »Ich hab' die Dragoner gewarnt. Ich habe ihnen zweimal laut erklärt: ›wenn noch eine Stunde ausschließlich von Rebhühnern, Vorstehhunden und Fasanen geredet wird, stehe ich auf und gehe! –‹ Und hab's getan! Und da bin ich!«

Von da ab war es zwischen ihnen im Sturm gegangen. Der alte von Vogt auf Reetzow freilich hatte den Kopf geschüttelt. Der bürgerliche Linieninfanterist ohne Vermögen . . . ach nee – lieber nicht! Aber immerhin – der Vater Divisionskommandeur – das wirkte doch mit, als die ordenübersäte Gestalt des preußischen Generals als Brautwerber ganz kurz vor seinem Tode auf dem Gutshof erschien, und der alte Krautjunker hatte schließlich ehrlich gesagt: »Wissen Sie, Exzellenz – das Mädel ist derart dickköpfig – geb' ich nicht nach, so behalte ich sie schließlich womöglich überhaupt auf dem Halse, so schön sie ist . . . was tu ich dann? . . . Also denn in Gottes Namen . . .«

Vorbei . . . vorbei . . . verweht und verflogen, wie damals die mahnenden Herbstzeitfäden in der sonnengoldenen Flur. In dem Stübchen war es still geworden. Der Hauptmann Gisbert stand auf und nahm Mütze und Säbel und ging, um vor seiner Abreise noch einmal mit dem Doktor wegen seines kränklichen Töchterchens zu sprechen. Es schien ihm, er müsse es tun, damit seine Fahrt hierher irgend einen Sinn und Zweck habe. Das redete er sich ein, obwohl er ja wußte: er erfuhr von dem Hausarzt nichts Neues. Und der machte denn auch sein gewohntes, bedenkliches Gesicht – ein Achselzucken: – ja, die Symptome mit dem Herzen seien ja nicht ganz unverdächtig. Am besten wäre es, das Kind einmal drei oder vier Wochen lang in Berlin unter die Beobachtung eines tüchtigen Spezialisten zu stellen . . . Der Doktor brach ab. Er sah den finsteren Ausdruck auf dem Gesicht des anderen. Einigermaßen kannte er ja auch die Verhältnisse und wußte: die kleine Stieftochter war dort kein willkommener Gast. »Ja, aber eine alleinige Verantwortung möchte ich auf die Dauer nicht übernehmen!« sagte er, Georg Gisbert hinausgeleitend, und der lachte zornig auf, als er wieder in das Zimmer der alten Exzellenz trat.

»Ist das nicht närrisch? Da hat die Karla nun zwei Mütter – sozusagen – und schwebt doch in Lebensgefahr, weil ihr eigener Vater sie in seinem Hause nicht aufnehmen darf . . . möchte man da nicht mit der Faust dreinschlagen und sich sein Recht erzwingen?«

»Ja – willst du nicht doch einmal mit Otti darüber reden?«

Er wehrte nervös ab.

»Nein – nein – Mama! . . . das kann ich nicht! Bitten kann ich nicht – um mein eigenes Kind! Das entwürdigt mich! . . . Ich will um Gottes willen nichts in unsere Ehe tragen, was unser Verhältnis zueinander ändern könnte!«

»Wieso?« sagte die Greisin verwundert. »Ihr lebt doch so harmonisch zusammen!«

»Und ein ›Nein‹ Ottis bei solcher Gelegenheit bringt das Kartenhaus ins Schwanken! Nein – erschrick nicht . . . ›Kartenhaus‹, das ist natürlich nur eine verrückte Übertreibung. Ich wollt' auch nur sagen: Die Ehe zwischen Otti und mir – das ist ein tadellos hergestelltes Gleichgewicht. Man darf das nur nicht auf einer Seite zu sehr belasten, sonst . . . Mama . . . ich hab' eine Todesangst, was sich dann ereignen könnte . . .«

»Von Otti aus?«

»Nein. Von mir aus!«

»Ich versteh' dich nicht, Kind!«

»Ich mich auch nicht, Mama! Lassen wir's! Es muß nun schon alles so bleiben, wie es ist! . . . Vielleicht sieht der Doktor auch nur Gespenster, und die Karla kriegt von selber wieder rote Backen!«

Vor seiner Abreise ging er noch einmal zu seinem blassen Töchterchen hinüber und dachte sich abermals: Es hat die Augen der Mutter! Und dachte weiter: Ob sie auch sonst viel von der Mutter hat? Es wär' ihr besser, nicht! Das ist keine Mitgift von Glück und Ruhe auf den Lebensweg! Und dann frug er sich: Aber was weißt du, zum Letzten und Eigentlichen, von deiner früheren Frau? . . . Erst hast du sie angebetet, dann stürzte das Heiligenbild vor dir von seinem Sockel in den Staub . . . Nur in Haß und Liebe hast du sie gesehen, den wirklichen Menschen in ihr, mit klarem Blicke, nie . . .

Er brachte den gewaltsamen, verbissenen Trotz, die Rachsucht von heute morgen gegen Vera von Vogt nicht wieder auf. Das war in ihm abgestorben. Darunter klangen andere, unterirdische, unbestimmte Töne. Er wollte nicht auf sie hinhorchen. Ihm bangte vor den Summen der Tiefe. Ihm bangte beinahe vor seinem eigenen Kinde, dem Unterpfand von einst. Am frühen Nachmittag schon reiste er nach der Reichshauptstadt zurück und dachte in dem eintönigen Wagenrollen daran, wie er und Vera vor neuneinhalb Jahren desselben Wegs gefahren, um die eben verwitwete Mutter zum ersten Male als junges Ehepaar zu besuchen, Hand in Hand, zwei glückliche Menschen, er, der Leutnant, fünfundzwanzig, sie kaum zwanzig – draußen die heiße Herbstsonne – das flache, reizlose Land in einem Meer von Licht . . .

Jetzt war der Himmel trübe. Schwere Rauchwolken der Lokomotive ballten sich an den Fenstern vorbei und verflatterten und zergingen, und der Hauptmann Gisbert sah ihnen nach: verschwunden – vergessen – alles nur ein Traum. Und alles wieder in Ordnung! Er wohnte in der Meinekestraße in Berlin. Er hatte dort Frau und Kinder. Er hatte Geld und Gut. Er machte Karriere. Er war zufrieden und zwang sich dazu. Und achtete geflissentlich nicht auf das seltsame, verräterische Zucken im Herzen, das ihn plötzlich, wie er da still in der Dämmerung saß, überfiel. Er wußte wohl: von dem kam nichts Gutes . . .

Jedenfalls hatte die Reise ihn beruhigt. Die folgende Woche verstrich wie gewöhnlich. Zwischen ihm und Otti war alles beim alten. Sie sahen einander jetzt wenig, denn ihr Vater war aus Worms in Geschäften nach Berlin gekommen, und er und seine Tochter, die sich zärtlich liebten und rein kameradschaftlich behandelten, bummelten tagsüber in der Stadt herum, frühstückten irgendwo gut und teuer und schlürften mit wichtiger Kennermiene ihren Wein, während Georg Gisbert über seinen Akten im Kolonialamt saß.

Er hatte sich mit der unerfreulichen Tatsache abgefunden, daß Johann Baptist Dörsam gerade mit Weinen handelte! Von irgend woher mußte der Reichtum doch kommen! Aber was ihm immer wieder seltsam erschien, das war die Vorstellung, in diesem kaum zehn Jahre älteren, auffallend schönen, südländisch dunklen Mann mit dem spitz geschnittenen Vollbart und dem dichten, leicht gelockten Haar den Schwiegerpapa zu sehen. Jean Baptiste Dörsam hatte blutjung geheiratet oder vielmehr, er war wegen seiner wilden Streiche nach einer tollen Fastnacht, wo er den Prinzen Karneval gespielt und in ein paar Wochen über dreißigtausend Mark ausgegeben hatte, von den Seinen verheiratet worden. Jetzt war er längst ein gesetzter, sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Aber seinen Eindruck auf Frauen machte er immer noch. Man durfte auch seine Berliner Abende nicht alle unter die Lupe nehmen.

Mit dem Schwiegersohn stand er sich gut. Und doch ertappte sich Georg Gisbert diesmal ab und zu, wenn sie daheim beisammen saßen, auf einem förmlichen Haß gegen seinen jugendlichen, elegant gekleideten und liebenswürdigen Schwiegervater. Eigentlich gehörte dem doch alles hier – die Bilder an den Wänden und die Empiremöbel und die Bronzen und Teppiche – selbst das Silber auf dem Tisch und Ottis Kleider und der Smaragdschmuck um ihren Hals. Er zahlte ja das alles, er war der eigentliche Herr im Hause, obwohl er nie auch nur durch die geringste Anspielung den Takt verletzte.

Wäre es ein älterer, behaglicher Papa gewesen, hätte sich das leichter und natürlicher gemacht. So litt Georg Gisbert diesmal förmlich unter dem fremden Mann, dem er alle diese Wohltaten im Leben verdankte, und war froh, als Herr Dörsam am Sonnabend mittag wieder nach dem Rhein zurückfuhr.

Er konnte ihn seines Dienstes wegen nicht auf den Bahnhof begleiten. Das hatte Otti übernommen. Er dachte, sie noch nicht wieder daheim zu finden, als er gegen drei Uhr zu Fuß durch den Tiergarten nach seiner Wohnung ging. Der Frühling war in diesen letzten vierzehn Tagen wirklich gekommen. Überall grünten die Knospen. Der Wind wehte lau. Eilig segelten am Himmel die Wolken vor den noch kahlen, knorrigen Eichen dahin, und in dieser ersten Wärme des Werdens um ihn fühlte sich der Hauptmann Gisbert wieder von einer dumpfen, unklaren Sehnsucht ergriffen – er wußte nicht, wohin die zielte – er wollte es nicht wissen – er wollte nicht an seine frühere Frau denken, und gestand sich doch ein: all diese Gedanken galten ihr – diese unruhige, unstete Stimmung, aus der heraus es ihn immer wieder, jeden Tag, nach seiner ältesten Tochter bangte. Gerade dies Kind erschien ihm jetzt als eine Schutzwehr. Zu ihm konnte er sich flüchten. In ihm hielt er seinen Anteil an der Vergangenheit wider seine frühere Frau in Händen. Er besaß Karla und gab sie ihr nicht und bewahrte sie vor der Mutter, und die Mutter war sein Feind. Und zehnmal besser Feind, als daß das alte Spiel noch einmal irgendwie begann.

Düster und wirr kam er nach Hause. Otti war schon zurück. Sie eilte ihm entgegen. Ihr hübsches rosiges Gesicht mit den krausen dunklen Haaren darüber leuchtete geheimnisvoll.

»Ich guck' mir bald die Augen aus dem Kopf, ob du nit bald kommst!« sagte sie.

Er legte Mütze und Säbel ab und meinte zerstreut: »Na, sonst bist du doch darin pomadiger!«

»Ja, aber heute hab' ich eine Überraschung!«

»Eine Überraschung?«

Sie nickte, mit einem glücklichen Schein in den braunen Augen.

»Wie ich den Papa vorhin auf die Bahn gebracht hab', da hab' ich mir's dorthin kommen lassen und gleich mit heim genommen . . .«

»Na – wo ist es denn?«

Die kleine Frau holte tief Atem, hob sich ein wenig auf den Fußspitzen und sagte, während sie die Türe zum Wohnzimmer öffnete, mit einem leichten Stolz auf ihre eigene Vortrefflichkeit: »Georgche . . . da schau mal!«

Da drinnen saß die kleine Karla. Sie war schon ganz häuslich eingerichtet. Ihre Schreibhefte, ihre Puppen, das Löffelchen für die Medizin lagen um sie herum. Sie lief auf den Vater zu und schlang die Arme um ihn und küßte ihn, während er sich ganz betäubt, mechanisch zu ihr niederbeugte. Dann blickte er auf und frug seine Frau: »Ja, aber – Otti – was bedeutet denn das?«

»Ei – das Kind soll bei uns bleibe, so lang, als es nötig ist!«

»Ja, woher weißt du denn . . .?«

»Deine Mutter hat mir geschrieben! Und da . . .«

»Nun, Otti?«

»Da hab' ich mit meinem Vater gered't! Schau: mit meinem Vater ist es so komisch: der weiß mehr von uns wie ihr anderen! Der versteht uns! . . . Wenn er spricht, meint man manchmal, es spricht eine andere Frau . . . Und er hat gesagt: ›Dein Mann hat's schwer genug im Leben gehabt . . . er hat für seine Liebe schlechten Dank geerntet. Wo er jetzt noch lieben kann, da hilf du ihm! Es kommt dir und deinen eigenen Kindern zugute! Er wird euch dann um so lieber haben!‹ . . . Gelt, Georgche – das wirst? . . . Ich hab' den Vater wohl verstanden! . . . Und da hat's mich auch gar keine Überwindung mehr gekostet! . . . Da hab' ich mich so gefreut, daß ich dir das zulieb tun kann . . .«

Er schloß sie stumm in die Arme. Ihre Augen waren feucht. Sie sah in banger Selbstzufriedenheit, ob er ihr Opfer auch gebührend zu schätzen wisse, zu ihm auf. »Deine Mutter hat alles geordnet!« sagte sie. »Sie hat der Mutter von der Karla geschrieben, daß sie sie vorläufig nicht wohl sehen kann. Sie hat bis jetzt noch keine Antwort von ihr bekommen!« . . .

Er hielt sie immer noch umfangen, und Frau Otti schloß befriedigt: »Und jetzt machen wir das Püppche ordentlich gesund!« Sie klatschte in die Hände. »Was, Karla? . . . Wir mögen die garstige Medizin nit mehr!«

»Nein, Tante Otti!« Die Kleine kam stürmisch lachend herangerannt und haschte nach der Hand des Vaters. Sie war wie ausgewechselt, seit sie aus dem stillen Hause heraus und hier unter jungen Menschen war. Er hielt sie fest und sah seiner Frau in das zarte, dunkeläugige Gesicht, das für ihn in diesem Augenblick selbst etwas von Kinderreinheit hatte, und sagte: »Ich danke dir, Otti! . . . Dein Vater hat recht gehabt! Jetzt bist du mir näher als je, seit wir Mann und Frau sind!«



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