Rudolph Stratz
Das deutsche Wunder
Rudolph Stratz

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X.

Nie segnete die Sonne liebevoller das deutsche Land als in diesen drei letzten Julitagen des Jahres 1914. Nie war unter dem blauen Himmel mehr Fruchtbarkeit, Fröhlichkeit und Frieden zwischen Maas und Memel. Es brauste im Gewühl der großen Städte: Unser täglich Brot gieb uns heute! Das Dorfkirchlein läutete hinaus ins Ackerland: Im Schweiß des Angesichts sollst Du Dein Brot essen! Tausend Wimpel wehten in den Häfen: Mein Feld ist die Welt! Hunderttausend Treibriemen und Maschinen sangen: Rast' ich, so rost' ich! Und Alles, was an Gütern der Gesittung täglich aus deutscher Hand entstand und über die Erde ging, blickte zurück zu den Stätten deutschen Geistes, zu den Retorten und Reißbrettern, den Kontorpulten und Kathedern: Ich bin die Tat von Deinen Gedanken!

Nie war Deutschland so arbeitsfreudig, so festefroh gewesen. Feiern und Reden überall im neuen Reich. Aus den Fenstern Wiesbadens grüßten die Fahnen. Es tagte wieder ein Kongreß in der Bäderstadt. Aber die Flaggen hingen schwer und unbewegt zu Boden, wie erschöpft von der bleiernen Schwüle, der unheimlichen Stille des Mittags, die nur vom Kurpark her das Jauchzen spielender Kinder unterbrach.

Gegenüber, in der Sonnebergerstraße, saß der Geheimrat Tillesen nach Tisch mit seinem Schwiegersohn, dem Großindustriellen Martius, im Schatten der Veranda. Der Reichstagsabgeordnete hielt die glimmende Havannah schräg in dem mächtigen, rotbraunen Vollbart. Ein großer, schöner Mann zu Anfang der Vierzig, hatte er die starke Stimme und die ungestümen Bewegungen des Volksredners.

»Nee, Schwiegervater – ich bin doch auch nicht gerade ein Waisenknabe – nicht wahr? Ich stehe doch mitten im praktischen Leben. Ich bin, wie ich da geh' und steh', täglich fünfhundert Aktionären, zweitausend Arbeitern und fünfzigtausend Reichstagswählern Rechenschaft für mein Tun und Lassen schuldig! Auch 'n Vergnügen, besonders das Letztere! Na – was tut der Mensch schließlich nicht Alles freiwillig, wenn er muß?«

»Wer zwingt Dich denn?«

»Ich mich selber! Ich brauche Umtrieb um mich! Wo ich hinkomm', da kriegen die Leute Beine! Das ist komisch!«

Er lachte tief und stark, mit dem Selbstbewußtsein eines Mannes, dem das Leben durch Erfolge über Erfolge, im Hause wie auf dem Markt, Recht gab.

»Die Phila, die jammert auch immer, daß ich mich wieder hab' wählen lassen! Das sei so roh – unsere innere Politik! Ich sag' ihr: Zum Deubel auch! Teures Weib: Ich muß mich 'rumschlagen, das bin ich meiner Gesundheit schuldig!«

Exzellenz Tillesen lächelte einen Augenblick. Dann wurde sein stilles, graubärtiges Gelehrtengesicht wieder tiefernst. Er hatte die Brille abgenommen. Goldene Sonnenlichter spielten durch das Buchenlaub auf seiner mächtigen, hochgewölbten Stirne. Er unterbrach den Schwiegersohn nicht. Er wußte: der hörte lieber sich selber reden als Andere.

»Kampf war, ist, wird immer sein! Die Menschen sind nu 'mal eine verwünschte Rasse! Das hat der alte Fritz schon richtig erkannt! Aber die Mittel, wie sie sich verkeilen, wechseln. Heutzutage führt man den Krieg im Frieden. Es braucht doch nicht ewig der olle Schießprügel zu sein, um zu ermitteln, wer der Stärkere ist. Der synthetische Indigo tut's unter Kulturmenschen schließlich auch.«

»Also glaubst Du wirklich nicht an die Möglichkeit eines Weltkriegs, Hugo?«

»Weißt Du, was die Geschichte unter Brüdern kosten würde – Einhundertfünfzig Millionen täglich! Fünf Milliarden Mark in jedem Monat! So viel Geld giebt's ja gar nicht. Das weiß jeder Fachmann. In einem Vierteljahr ist der Erdball pleite!«

»Ja – davon verstehe ich nichts!«

»Weiter: die Menschenkräfte! Zwanzig Millionen Männer in Europa unter Waffen! Ja, zum Kuckuck! Wer pflügt denn für sie? Wer steht denn für sie am Heizkessel? Hinterm Ladentisch? In der Werkstatt? Frag' die 'mal Alle! Die wollen bei ihrer Arbeit bleiben und ihre Familien ernähren und nicht über Andere herfallen!«

»Wir Deutsche gewiß nicht!«

»Und ebensowenig die Übrigen! Glaubst Du, daß ein Bergmann in Wales oder ein Winzer in Frankreich oder ein Bauer in Rußland Krieg will? . . . Die denken nicht daran!«

»Die nicht, aber Andere!«

»Ja – zum Donnerwetter – verzeih', Schwiegervater, wenn ich 'mal auf den Tisch haue – wo stecken sie denn, diese verfluchten Kerle, diese Massenmörder, diese . . .«

»Bei uns sicher nicht!«

». . . 'Raus mit der Bande! . . . An's Tageslicht, daß man diese gottverlassenen Visagen 'mal sieht! Für die Gesellschaft würde sich ja die Verbrechergallerie in Kastans Panoptikum bedanken!«

»Höre, Hugo . . .«

»Und endlich die Herrscher selbst! Sonst überlegen sie es sich, ob sie ein Todesurteil gegen einen Verbrecher unterzeichnen sollen! Bei der Unterzeichnung des Mobilmachungsbefehls handelt es sich um das Todesurteil gegen Hunderttausend, die nichts verbrochen haben! Das kann doch Keiner von ihnen! Da sträubt sich ihm ja die Hand . . .«

»Und doch hat der Zar die Mobilmachung der russischen Armee befohlen!«

»Wer sagt das?«

»Ein Balte, einer meiner Patienten, der sich heute morgen in aller Eile von mir verabschiedet hat. Der Mann hatte Tränen in den Augen!«

»Die Mobilmachung gegen Österreich?«

»Nein! das ganze russische Heer!«

»Auch gegen uns?«

»Auch gegen uns!«

Die Männer schwiegen. Aus dem Parkgrün gegenüber jauchzten die Kinder. Von fern klang der dumpfe Paukenschlag der Kurmusik. Endlich sagte Hugo Martius entschlossen:

»Dein Balte in Ehren! Aber das glaub' ich einfach nicht! Er hat irgendwas läuten hören und nicht schlagen . . .

»Es ist ein Graf, mit vielen Beziehungen scheint's, in Petersburg!«

»Na eben! . . . Was mag dort jetzt Alles gemunkelt und gestänkert werden, was nachher . . . nein . . . ich glaub' es nicht! In acht Tagen lachen wir darüber!«

»Geb' es Gott!«

»Geht Deine Uhr richtig, Schwiegerpapa? In fünf Minuten halb Vier? . . . Na, dann wird's Zeit!«

»Du willst doch nicht wirklich heute Nacht nach Paris!«

»Da unsere internationale Gruppe von Friedensfreunden sich zu Ende Juli zu einer Sitzung dorthin verabredet hat . . .«

». . . aber doch unter anderen Voraussetzungen . . .«

». . . so würde das Fernbleiben eines Deutschen eben jetzt doppelt mißdeutet werden! Gerade in dieser kritischen Zeit ist es meine Pflicht, nach Paris zu gehen! Ich sehe Jaurès morgen früh, gleich nach meiner Ankunft. Sein Wort ist in Frankreich eine Macht! Man muß ihn und alle vernünftigen Menschen draußen in ihrer Überzeugung bestärken, daß Niemand in Deutschland den Krieg will!«

»Nun . . . das weiß der Himmel!« sagte der Geheimrat. Wieder verstummten die Beiden. Durch das Gebüsch blinkte von der Nachbarvilla des Generals z. D. Isebrink her ein scharlachroter Schein. Ein Diener hängte einen funkelnagelneuen Waffenrock über die Stange und begann ihn auszubürsten. Er hatte bei der Kavallerie gedient. Man merkte es daran, daß er, in seiner blauweiß gestreiften Jacke, abwechselnd den Finnischen Reitermarsch und »Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!« vor sich hinpfiff.

»Und Phila läßt Du vorläufig auch ruhig in Italien?«

»Na, Du kennst doch Deine Tochter, Schwiegerpapa! Die kriegen doch zehn Pferde nicht aus ihrem geliebten bel paese, wenn sie 'mal wieder glücklich da unten sitzt!«

»Vielleicht kommt sie von selbst auf den Gedanken . . .«

»Phila und in Italien denken! Da wandelt sie Mond mit offenen Augen. Ißt und trinkt nicht, sondern wird vom Süden satt und kriecht friedlich unter ihr Moskitonetz. Flöhe? Oh bitte: das ist kein Floh! Das ist una pulce! Hut ab vor dem Vieh. Es ist klassisch!«

»Nun ja . . . Schließlich ist das auch ein Stück unseres Wesens!«

»In Deutschland sollten 'mal in so 'nem finsteren Stinkgäßchen mit darüber gespannten Lumpen solche schmutzigen Bälge sie am Rock zupfen. Die hätten gleich eins hinter'm Ohr. Aber dort . . . Oh – questa ragazzaglia! . . . prenda! prenda! . . . Da habt Ihr, Kinder! Rein närrisch!«

Hugo Martius hatte gelacht. Jetzt wurde er doch wieder sehr ernst. Er sagte, unwillkürlich und halb in Gedanken: »Der Zar, der den Friedenstempel im Haag gebaut hat . . . ach wo . . . Es ist einfach ein Petersburger Bluff . . . Darin sind die Herren Russen Meister . . .« und dann, sich ablenkend: »Wo steckt denn eigentlich Inge?«

»Drüben, im Hotel, bei ihrer amerikanischen Freundin!«

»Der berühmten Ethel, mit der sie uns früher nach ihrer Rückkehr aus den States zur Verzweiflung brachte?«

»Ja, eben der . . . Sie ist zum Besuch hier . . .«

»Na – dann wird Deine Tochter wohl wieder ganz verdreht . . .«

»Ich weiß nicht . . . sie ist anders . . . Es wird Niemand mehr aus ihr klug . . .«

». . . Sie sieht blaß aus! Du solltest ihr Eisen verschreiben, Schwiegervater!«

»Wenn die Zeit uns nicht Allen Eisen verschreibt . . . Die Inge ist doch eigentlich so ganz ein Kind unserer Zeit. Aber sie findet sich in ihr nicht mehr zurecht . . .«

»Ach . . . heiraten soll sie . . .«

»Sie hat ja eben ihr Schicksal aus der Hand gegeben. Manchmal kommt es mir vor, als bereute sie's und wollte es zurückrufen . . . Es kämpft Etwas in ihr . . . so wie da draußen Krieg und Frieden miteinander kämpften. Ich merke es wohl, wenn sie auch nie mit mir darüber spricht!«

»Kannst Du denn da nicht vermitteln?«

»Nein, Hugo! Sie muß selber sehen, wo sie bleibt. Im Krieg oder im Frieden!«

Hugo Martius stand auf.

»Also nochmals: ich glaube an den Frieden!« versetzte er. »Wir können mit mehr Recht als der kleine Napoleon sagen: ›Das Kaiserreich ist der Frieden!‹ Seit Versailles hat Europa Ruhe! Das verdankt es uns!«

». . . wenn es uns das dankt!«

»Na bitte: Wen reizen wir denn? Wen verletzen wir denn? Wen schädigen wir denn? Wir sind doch mit aller Welt Freund! Wir haben ein offenes Herz für Hinz und Kunz. Wir sind doch nun 'mal Idealisten. Ich glaub' an die Menschheit. Das ist nun 'mal deutsche Art!«

»Und soll es bleiben . . .«

». . . soll es bleiben . . . in ehrlicher Friedensarbeit . . . die sollen sie uns nicht stören, die verfluchten Kerle . . . Es brennt mir auf den Nägeln, so hab' ich zu tun! Du hast zu tun! Jeder hat bei uns zu tun! Keiner hat Zeit! So . . . nun kurbeln Sie 'mal an, Mann Gottes! In sieben Minuten muß ich am Bahnhof sein! . . . Adieu . . . Adieu!«

Geheimrat Tillesen kehrte von dem Parkgitter, bis zu dem er seinen Schwiegersohn geleitet hatte, in das Haus zurück. Das war still und leer. Auch in dem Laboratorium, in das er hinüberschritt, empfing ihn nicht die halblaute Unterhaltung in fünf, sechs Sprachen wie sonst. Feiner Staub lag schon auf dem Platz, wo früher der Montenegriner Dr. Woinowitsch seine betäubten Frösche präpariert hatte. Nur eine Karte an einen Kollegen war von ihm aus den Schwarzen Bergen gekommen. Er hoffe, in Kurzem im Kampf gegen die Schwaben seine Pflicht zu tun . . .

Der Gelehrte schüttelte still den Kopf. Er trat an den Nebentisch und frug dort den bartlosen jungen Amerikaner Washington J. Parker, der mehr wie ein Baseball-Athlet als wie ein Physiologe aussah:

»Nun – nicht bei der Arbeit?«

»Oh – I beg your pardon, Excellency – but . . .«

»Wollen Sie nicht Deutsch in meinen Räumen mit mir reden? Was heißt denn das?«

»Well. . . . daß ich abreisen möchte! Ich schätze: Es giebt Krieg und man braucht mich drüben!«

»Doch nicht in Amerika?«

»Oh no! In England! Ich bekam heute Kabel-Neuigkeiten aus New-York. Manche meiner Freunde wollen einen freiwilligen Sanitätsdienst mit Automobilen einrichten. An der englischen Front. Da tun modern geschulte, junge Ärzte not . . .«

»Mit dem, was Sie hier gelernt haben . . .?«

»Oh – ich kämpfe doch nicht! Ich helfe doch nur – wenn es welche geben sollte! . . . den Verwundeten!«

». . . auf der Seite unserer Feinde?«

»Yes, Sir!«

Der Amerikaner hatte vor Erstaunen ganz runde Augen. Natürlich half man den Engländern. Das war doch selbstverständlich. Ehrenpflicht des Erdenrunds. Es gehörte zu den Sonderbarkeiten der Deutschen, das nicht einzusehen. Immerhin: die zwei Jahre hier waren nicht verloren. Er drückte seinem bisherigen Lehrer kraftvoll zum Dank die Hand, zeigte freundlich lächelnd die goldplombierten Zähne und ging. Exzellenz Tillesen zuckte gelassen die Achseln und trat in den Nebenraum. Da hörte er die laute Stimme der Besobrasowa zu den beiden deutschen Assistentinnen:

»Läbben Sie wohl! Ich gähe!«

»Tun Sie's oder ich melde es Exzellenz, was Sie hier für Ungezogenheiten vorbringen!«

»Umso bässer! Ich habe genug bei ihm gelärnt. Oh – Ihr seid dumme Mänschen!«

»Sie ist so frech, Exzellenz!« sagte Dr. Käthe Cornelius. Und Dr. Irma Enderlin, mit rotem Kopf über dem weißen Kittel:

»Ich möchte sie am liebsten 'rausschmeißen!«

Die kleine, dicke Russin zog höhnend den Mund von einem Ohr bis zum andern.

»Oh – Vor Ihnen habe ich Aehrfurcht, Exzellenz! Ihnen wird man auch nichts tun!«

»Sehr gütig!« sagte der Geheimrat. »Und uns Andern!«

»Pomiluite! . . . Die Wurstfrässer wollen uns Gesätze vorschreiben! Nun: man wird sähen! Wir wärden kommen!«

»Den ganzen Nachmittag nennt sie uns Wurstfresser, Exzellenz!«

»'raus!« schrie Irma Enderlin wütend und schwenkte ein Reagenzglas.

»Ich glaub' wahrhaftig, sie hat draußen noch die Zunge 'rausgestreckt!«

»Bleiben wir bei der Sache, Fräulein Cornelius. Wie steht es mit den Tabellen?«

»Wir kommen nicht vorwärts, Exzellenz! Die Ausländer sind ja über Nacht alle ausgerückt. Es ist zu viel!«

Die beiden Damen saßen vor einem kleinen Berg toter weißer Mäuse. Andere huschten oder wankten, je nach ihrem Impfungsstadium, in kleinen Käfigen um sie herum.

»Ja, da sollte aber Katsura doch selber so vernünftig sein und Ihnen ein bischen zur Hand gehen? Wo steckt er denn?«

Niemand wußte, wo der Japaner geblieben war, der seit sieben Jahren in diesem Hause ganze Assistentengeschlechter überdauert hatte und in alle Forschungsgeheimnisse des Laboratoriums eingeweiht war.

»Da kommt eben der Mathes zurück!« sagte Fräulein Cornelius. »Der hat, glaub' ich, nach dem Kerlchen geschaut!«

Der Laboratoriumsdiener trat ein. Er war in der Großen Kirchstraße gewesen. Die Wohnung des Dr. Katsura stand leer. Er war ganz heimlich und plötzlich mitten in der Nacht abgereist. Weder Miete noch Rechnungen hatte er in der Eile bezahlt. Auch keine Zeile zurückgelassen.

»Seltsam . . . sehr seltsam . . . Nun, mein lieber Dr. Pfeiffer . . . dann werden Sie jetzt für die Hauptarbeit einspringen müssen . . .«

»Für die nächsten Tage gern, Exzellenz!«

»Und dann?«

»Ich bin dienstpflichtig, Exzellenz!«

»Ach so – ja –«

Exzellenz Tillesen erschienen seine eigenen, durch die Gewohnheit langer Jahre vertrauten Forschungsräume plötzlich verändert. So still. So leer. Eine unsichtbare, unbekannte Macht griff herein, holte sich die Menschen nach anderen Orten, zu anderen Zwecken . . .

»Wir müssen mit der Arbeit fertig werden!« sagte er. »Ich brauche die Grundlagen für meinen Vortrag im August, auf dem Internationalen Kongreß in Kopenhagen.«

Dabei fiel ihm wieder ein: Was sprichst Du da? Vielleicht werden die internationalen Begegnungen bis dahin anders und furchtbarer. Es war so schwer, sich aus dem Geleis der Gewohnheiten loszulösen. Fast fünfzig Jahre Frieden. Frieden und Lebensluft war fast dasselbe.

Er machte seinen gewohnten Nachmittags-Spaziergang die Höhen hinter Wiesbaden hinauf und sein Herz war schwer. Er dachte sich: habe ich richtig mit meinem Pfund gewuchert oder tat ich zu viel, indem ich Jedem, der da kam, den deutschen Überfluß bot, dem Weißen wie dem Gelben, dem Amerikaner wie dem Asiaten?

Von oben konnte er sein Laboratorium sehen. Das war nun verlassen wie ein sinkendes Schiff. Alles fort in der Stunde der Not. War das der Dank? Er war sechzig Jahre alt und kannte die Welt. Darum ging es ihm durch den Kopf: Zuviel Dankesschuld verkehrt sich in Haß. Bei dem Einzelnen wie bei den Völkern. Wir waren zu arglos. Wir waren zu reich. Wir gaben zu viel . . . Und zu Vielen . . .

Die Straßen der Bäderstadt unten waren jetzt, gegen Abend, wieder wimmelnd belebt. Aber anders als sonst. An allen Ecken und Plätzen weiße Punkte und schwarze Flecken. Die Extrablätter und die Menschengruppen vor ihnen. Darüber, müde hängend, wie welk, die Festfahnen.

Und wieder dachte er sich: Nein. Es kann ja nicht sein! Die Welt wider Deutschland! . . . Die Welt ohne Deutschland! Ein Körper ohne Herz und ohne Hirn! . . .

Mit dem geistigen Auge sah er von seiner Waldwarte oben weit über das gesegnete deutsche Land und seine Ströme und seine Städte. Er sagte sich: Dort in Mainz haben Deutsche die erste Bibel gedruckt, dort in Freiburg haben sie das Pulver erfunden, dort am Bodensee erfüllten sie den tausendjährigen Traum der Menschheit und lenkten ihr Schiff durch die Lüfte, dort in Heidelberg entdeckten sie die Spektral-Analyse, dort in Heilbronn das Gesetz von der Erhaltung der Kraft. Dort in Jena lüfteten sie die Welträtsel. Dort in Frankfurt, dort in Marburg, dort in Berlin ersannen sie die Gegengifte gegen die Geißeln der Menschheit. Dort in Würzburg die Röntgenstrahlen. Dort in Mannheim und Stuttgart den Explosionsmotor? Und er dachte sich: Ja – was wollt Ihr denn noch von uns, Ihr Anderen? Von uns, den ewig Gebenden?

Und dies Alles war nur sein eigenes Feld, die exakte Wissenschaft. Und er übersann es im Weiterwandeln: Ein Deutscher schlug dort in Wittenberg seine Thesen ans Domtor. Ein Deutscher lehrte dort in Königsberg der Menschheit den kategorischen Imperativ. Deutsche prägten den Arbeitern aller Länder die Gesetze des vierten Standes und seiner Zukunft . . .

In der Stadt unten ging etwas Seltsames vor: die schwarzen Flecken schienen sich aus sich selbst heraus zu vergrößern, schwammen auseinander, bedeckten Kopf an Kopf die Straßen und Plätze, lösten sich in Gruppen, in laufende Punkte . . . überall dazwischen, immer neu, die weißen Extrablätter . . .

Exzellenz Tillesen oben sah es mit einem eigenen stillen Gram um die Menschheit. Er glaubte immer noch nicht daran. Es kam zu rasch. Es widersprach Allem, was sein Leben geleitet hatte. Er ging weiter und dachte sich: Wissenschaft ist Stückwerk! Taten wir Deutsche denn nicht noch viel mehr? Schenkten wir der Welt nicht das Wunder von Weimar? Den Zauber von Bayreuth? Gaben wir ihr nicht die Bibel wieder, begnadeten wir sie nicht mit dem Faust, der Neunten Symphonie? . . .

Und das der Dank? . . . Und das der Dank?

Es wollte dem Geheimrat Tillesen nicht in den Kopf, der sonst Alles in der Natur, vom Regenbogen bis zum Regenwurm, mit gleicher Liebe begriff und umfaßte. Man mußte dazu umdenken – ganz von vorn anfangen, bei den primitiven Instinkten der Steinzeit und ihres noch halbtierischen Hasses . . . Er frug sich wieder: Woher der Haß? Wir schenkten doch nur! Spendeten mit vollen Händen! Gaben mehr, als ich übersehen kann, in Technik, Handel und Verkehr. Unser Schutz der Alten und Kranken war vorbildlich für die anderen Staaten, unsere Offiziere waren die Waffenmeister fremder Völker, unsere Tore der Erkenntnis standen Jedem offen, vom Balkan bis nach Japan. Unser Herz auch. Die Hälfte aller ausländischen Menschen, die bei ihrem Volk berühmt sind, sind es, weil wir sie dazu machten, sie besser verstanden, als ihre eigenen Landsleute. Und wir waren so froh, daß wir neidlos geben konnten. Da unten im Tal hingen die Fahnen und sprachen: Wir feierten Feste. Bunte Wimpel überall. Kein Flecken ohne ein Jahrhundertgedächtnis, keine Stadt ohne Ausstellung. Noch ist auch heute der Himmel über uns blau, scheint golden die sinkende Sonne, singen die Vögel im Grün ihr Abendlied. Aber es geht ein Ahnen durch die Welt . . . Etwas Ungeheuerliches . . .

»Der Kaiser ist schon unterwegs aus Norwegen!« sagte in eiligem Vorbeischreiten ein Herr zu einem Anderen. »Zwanzig Panzerschiffe fahren ihm durch die Nordsee entgegen!«

Und der Zweite, etwas atemlos, nebenher:

»Kaiser Franz Josef ist schon in Wien!«

Der Geheimrat Tillesen setzte seinen Weg fort, in einem wunderlichen, ungläubigen Schmerz. Jahrzehnte der Kopfarbeit hatten ihn gelehrt, die Menschheit als eine große geistige Gemeinschaft aufzufassen. Es gab einmal Zank, wie in jeder Familie, man sprach verschiedene Sprachen, wie ja auch von zwei Brüdern der Eine blaue, der Andere braune Augen hatte, aber in Sinn und Ziel des Seins war man doch einig von Melbourne bis Hammerfest, von Shanghai bis Lissabon. Er konnte sich nicht vorstellen, daß der Dieselmotor nur den Deutschen, der Kehlkopfspiegel nur den Portugiesen, die Marconistrahlen nur den Italienern, der Fernsprecher nur den Amerikanern, die Schutzimpfung nur den Engländern, das Radium nur den Polen gehören sollte. Jeder gab und Jeder nahm. Jeder brachte seinen Baustein und fügte ihn zu dem des Nachbarn. Mein Gott – was hatte der Weltlauf denn sonst für einen Wert?

Er blieb stehen. Da war eine Erinnerung, durch den Schleier ferner, ferner Zeiten. Er wußte nicht, woher sie ihm plötzlich kam und das Herz rascher schlagen machte. Es war nichts Besonderes umher. Nur eine kleine, schwarz-weiß-rote Fahne bewegte sich den Hang hinauf. Sie war ziemlich schmutzig und an einem einfachen Stecken befestigt. Ein Junge aus dem Volk trug sie. Ein ganzer Haufen hinterher. Die hellen Bubenstimmen schrieen aus Leibeskräften:

»Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!«

Sie zogen vorbei. Exzellenz Tillesen sah ihnen nach. Er dachte sich: Ich war ungefähr so alt, wie Ihr jetzt, da sang ich auch, an einem ebenso heißen Julitag im Jahr siebzig, die Wacht am Rhein. Jetzt, wo ich sechzig bin, steigt die neue Weltenwende auf. Dazwischen liegt ein Leben. Ich glaubte das Leben ganz zu kennen und zu nutzen. Aber man lernt nie aus. Mein Leben war nur die eine Hälfte der Dinge. Nun kommt die andere . . .

Auf seinen schlichten, graubärtigen Zügen lag die tiefe und ernste Ruhe des Forschers, für den Alles, was sinnfällig in die Erscheinung trat, nur ein Gleichnis ewiger Gesetze war. Noch zögerte er, von dieser hohen geistigen Warte leidenschaftsloser Erkenntnis hinabzusteigen in den Lärm des Tages, diesen Lärm, der bald zum Brüllen der Geschütze anzuschwellen drohte. Noch schwindelte ihm bei dem Gedanken. Noch stand er einsam auf ragender Wacht. Noch war es nicht so weit. Vielleicht war es nur ein Fieberschauer der Erde, von dem sie in einigen Tagen genas. Während er in die Stadt zurückkehrte, stand er im Geist vor der zitternden Menschheit dieser letzten Julitage wie der Arzt am Krankenbett . . .

»Na . . . na . . . na . . . Exzellenz! Nu aber 'mal 'runter vom Mond! Nu wird's hier nächstens höchst prosaisch! . . . Das geht nun nicht mehr so, daß Sie in Gedanken an Ihren alten Freunden vorbeilaufen!«

Sein Nachbar, der Generalmajor z. D. Isebrink, stand vor seiner Villa. Er war in voller Uniform. Sein weißer Schnurrbart sträubte sich kampflustig über dem breiten Scharlach der Aufschläge. Auf seinem Helm blinkten Preußenaar und Gardestern. Die Eisernen Kreuze Erster und Zweiter Klasse im Knopfloch und auf dem Herzen stammten ihm von St. Privat und der Lisaine. Seine Augen blitzten wie die eines Leutnants. Er lachte und schlug dem Gelehrten freundschaftlich auf die Schulter.

»Warum denn so sorgenvoll, mein Guter? Nu hilft das nichts! Nu heißt's durch! Donnerwetter ja . . . Nu ziehen wir endlich der Gesellschaft die Hammelbeine lang!«

»Und das sagen Sie so strahlend, Herr General?«

»Jawoll, Exzellenz! Tu' ich! . . . Ganz gehorsamst! . . . Ich bin ja wie erlöst . . . Endlich . . . endlich . . . Lieber, verehrter Nachbar: Sie und Ihr Alle ahnen ja gar nicht, was wir alten Soldaten gelitten haben, in diesen letzten zehn Jahren!«

»Man kann doch nicht wegen Euch Weltkrieg führen!« sagte der Gelehrte beinahe unwillig.

»Wir! Wir! . . . Die Anderen sind die Karnickel! . . . Seit Jahren rüsten sie wie besessen, im Osten, im Westen . . . überall . . . Wir ollen Kriegsknechte merken doch so 'was! Im Generalstab in Berlin wissen sie's natürlich längst! . . . Aber wir Anderen in Deutschland taten, als wäre nichts! Priesen nur immer rastlos den Frieden! So, als ob es blos auf uns ankäme . . .«

»Meinen Sie wirklich . . .?«

»Meinen? . . . Mein bester Geheimrat. Ich bin ein ganz fideler alter Knabe – nicht wahr? Verzehre hier meine Pension mit Anstand, laufe täglich dreimal die Wilhelmstraße 'rauf und 'runter, spiele meinen Whist im Klub – gut! Aber wieviel Nächte ich wach gelegen hab' und an Deutschland gedacht – das weiß Keiner außer mir, Exzellenz!«

»Das taten Sie wirklich?«

»Nicht ich allein. So mancher von uns Ausgedienten hier! Wir haben uns oft des Morgens sorgenvoll angesehen . . . Wozu reden? . . . Der Soldat hält den Rand, – besonders wenn er schon abgehalftert ist. Aber denken kann man sich sein Teil! In den Fingerspitzen tut's Einen kribbeln. Auf den Tisch hab' ich gehauen . . . Immer bei uns Alles in Liebe und Güte, Herr Nachbar . . . Immer waren wir die sanften Heinriche, während ringsum die ganze Schwefelbande schon dabei war, ihre Donnerbüchsen zu laden . . .«

»Wenn das wirklich . . .«

»Soll ich da erst warten, wenn mich im Wald so ein Lausekerl überfällt, bis er mit seiner Knarre schußfertig ist!« schrie der alte Herr grimmig, unbekümmert, daß ein Haufe vorbeikommender Ausländer ihn mißbilligend anstarrte. »Nee – danke . . .! Da hole ich meinen Browning aus dem Hosensack und knalle ihm bei Zeiten in den Bauch . . .«

»Ja. Ein Räuber . . .«

»Die Russen sind Räuber! Sie überfallen uns! Alle Bahnen bei ihnen sind seit vorgestern voll mit Militärzügen!«

»Wissen Sie das auch?«

»Jawoll! Exzellenz! Wissen wir! Sie wollen Hiebe! Alle zusammen! Können sie haben! Hiebe wie noch nie! Donnerwetter ja . . .«

»Daß Sie dabei lachen können . . .«

»Aber wie! . . . Liebster, Bester . . .« Er faßte ungestüm die Hände des Geheimrats und preßte sie zwischen die seinen. »Ich hab' gleich nach Berlin telegrafiert. Eben hab' ich Antwort! Stellen Sie sich vor: Ich krieg' ein Kommando! Sie können mich alten Kerl noch brauchen! Und ich bin doch vor fünf Jahren schon 'raus! Ach, ich bin ja so glücklich wie ein Kind . . . Und erst meine Frau!«

»Hat sie denn nicht Sorge, daß Ihnen Etwas . . .«

»Na – dann holt mich eben der Deubel! Dann hab' ich diese Carcasse da lang genug in dem guten Wiesbaden spazieren geführt! Aber erst wollen wir sie verbimsen! Wichse . . . Wichse . . . Wichse . . .«

Der alte General hieb zornwütig mit dem Arm durch die Luft.

»Drei von meinen Jungens gehen gleich am dritten Tag mit 'raus! Mein Schwiegersohn auch! Blos der Älteste, der Paul, sitzt noch bei den Türken . . .«

»Ja. Ich weiß . . .«

»Zum Glück hat er sich dort noch nicht gebunden. Es stand gerade vor dem Abschluß mit seiner Anstellung. Ich hoffe immer, er ist schon auf dem Weg hierher. Dann ist Alles mobil, was von uns Isebrinks Beine hat! Famos!«

»Ich beneide Sie!«

»Ich freue mich vorläufig blos auf die ersten roten Hosen! Die haben sie nämlich immer noch, die dummen Kerle, genau wie vor 'nem halben Jahrhundert, wie wir den Napoleon fingen. Halten Sie nur blos den Daumen, lieber Freund, daß ich eine Verwendung vor dem Feind kriege und nicht das Herumgepeter hinter der Front! Das kann ich nicht leiden! Ich bin doch rüstig – was?«

»Heute sind Sie ein Jüngling in weißem Haar!« sagte der Gelehrte. »Und dabei, glaub' ich, rund vier Jahre älter wie ich! Ich danke Ihnen . . .«

»Bitte gehorsamst! Gerne geschehen! Wofür denn eigentlich?«

»Nun: Man lernt nie zu Ende!«

Die beiden Männer, die des Kriegs und die des Friedens, trennten sich. Geheimrat Tillesen legte die paar Schritte bis zu seinem Haus zurück. Er sagte sich, in einer neuen Offenbarung: Ich hab' die Nächte schlaflos im Laboratorium zugebracht und für die ganze Welt gearbeitet und der dort hat wach gelegen und an Deutschland gedacht. Ich habe die Bacillen vor mir gesehen und er die Kosacken. Ich habe den Frieden für selbstverständlich gehalten und er den Krieg. Wir hatten Beide Recht. Das wußte ich nicht. Jeder hatte seine Zeit. Die meine ist jetzt um. Die seine kommt.

Durch einen plötzlichen Riß der Erkenntnis sah er in diesem Augenblick die zweite, im Wirken der Wissenschaft ihm bisher verborgen gebliebene, nie beachtete Hälfte deutschen Wesens. Die Denker, die Dichter, die Erfinder verschwanden, mit denen vorhin sein Sinnen von der Waldwarte hinab die deutschen Lande vergeistigt hatte. An ihre Stelle traten eisengepanzert, in zweitausendjähriger Reihe, die Helden, die Krieger. Und obwohl er von ihnen viel weniger wußte als von jenen Anderen, schien ihm ihre Zahl noch größer. Ein Gewimmel von Recken, Rittern, Fürsten, Generalen vom Teutoburger Wald bis Sedan. Ein Zusammenbruch der Weltreiche vor ihrem Ansturm, von den Cäsaren bis zu den Napoleoniden.

Er dachte sich, während er das Tor öffnete: Der Alte hat vier Söhne für das Waffenhandwerk bestimmt und zieht mit ihnen ins Feld. Meine eine Tochter ist in Italien. Ihr Mann reist eben nach Paris. Meine zweite Tochter habe ich an einen Engländer verheiratet. Meine dritte, die Inge, ließ ich nach Amerika gehen. Ich selbst bin überall zu Hause. In Tokio und Columbia lehren meine Schüler, in Capstadt und Buenos Aires leben meine Patienten, in Irkutsk und Coimbra liest man meine Handbücher . . .

Er ging durch die verödeten Räume, in denen er so oft das ganze Ausland bei sich zu Gast gesehen. Seit ein paar Tagen war auch seine Sprechstunde von Fremden leer. Die vornehmen Russen waren, ohne ihn zu zahlen, abgereist. Es hatte eine Flucht vor Deutschland begonnen. Er begriff es immer noch nicht recht. Er stand am Fenster und dachte sich: Ja, wir haben uns tausendfach, mit den feinsten Saugwurzeln, über die ganze Erde hin verästelt. Da war kein Boden, aus dem wir nicht geduldig Nahrung zogen. Aber der alte Soldat da nebenan hat Recht, ohne es zu wissen: die Pfahlwurzel, die den ganzen Stamm trägt und hält, die geht steif und strack wie ein Preußenrückgrat, senkrecht hinunter in die tiefsten deutschen Tiefen . . .

Unten, auf der Sonnebergerstraße, gingen zwei Damen vorbei. Er war so in Gedanken an die Beiden, mit denen er zuletzt gesprochen: seinen Schwiegersohn, der sich des Friedens, seinen Nachbar, der sich des Kriegs freute, daß er Inge und ihre amerikanische Freundin erst erkannte, als sie ihm auf dem Weg zur Stadt von unten zuwinkten. Ethel Lawrence war lang und laut. Sie wirkte durch ihre Pariser Toilette und ihre sorgfältige Haut- und Haarpflege viel jünger als ihre vierunddreißig Jahre. Eigentlich war sie hübsch, trotz des zu großen Mundes, den ein oberflächliches und liebenswürdiges Lächeln kaum verließ. Sie schwatzte unaufhörlich. Man hörte ihr durchdringendes, näselndes Englisch noch auf fünfzig Schritte. Es fiel dem Geheimrat auf, daß Inge sehr still daneben ging, den Blick mit einem hartnäckigen und zurückhaltenden Ausdruck am Boden.

»Oh – Dein Vater sieht sorgenvoll aus, Inge!«

»Ist das ein Wunder, jetzt – zwischen Krieg und Frieden?«

»Er befürchtet wohl große Geldverluste im Krieg?«

»Geldverluste?«

»Nun ja! Wann ich den alten Gentleman sehe, ist er doch so ernstlich tätig!«

»Aber doch nicht blos wegen des Gelds!«

»Ja, wofür denn sonst? Warum antwortest Du denn nicht?«

»Weil Du es doch nicht verstehen würdest! . . . Früher schon! Für gewöhnlich schon! Aber jetzt . . . die Zeit ist so furchtbar ernst . . .«

»Oh ja! Nichts kann ernster sein! . . . Ach, . . . sieh' 'mal da den hübschen Hut . . . So ähnlich habe ich in Paris . . .«

»Laß jetzt die Schaufenster! Sieh lieber, wie die Leute da zu Tausenden auf der Wilhelmstraße stehen . . . Wie sie die Extrablätter lesen . . . da pappen sie eben das Neueste an . . . Belgrad wird bombardiert!«

Ein dumpfes, ungeheures Summen und Brausen von Menschenstimmen ging über die weiten Straßenflächen und hinüber zum Kurhaus. Die Gesichter der Deutschen waren einander plötzlich alle ähnlich geworden. Auf Jedem lag der gleiche feierliche Ernst.

»Lache doch nicht so laut, Ethel!«

»Oh – warum denn?«

»Die Deutschen drehen sich nach Dir um!«

»Ach – laß sie . . .«

»Aber wir sind jetzt nicht in der Stimmung, Ethel! Wir verbitten uns das . . . so nahe vor dem Krieg . . .«

»Oh ja: Krieg!« sagte Ethel Lawrence gefällig. »Wir hatten vor siebzehn Jahren auch Krieg. Auf den Philippinen. Es war zu drollig!«

»Drollig . . .«

»Ja. Mr. Sandford. Ein Leutnant von der Flotte. Er hatte sich bei San Jago ausgezeichnet. Jede Miß mußte ihm einen Kuß geben. Ich auch. Dafür schnitt ihm Jede einen Uniformknopf ab. Er hatte nie Knöpfe. Ach, was mußten wir lachen . . . Warum siehst Du mich denn so an?«

»Ihr seid wirklich große Kinder! Ich drücke es höflich aus, Ethel!«

Miß Lawrence verstand das nicht.

»Damals machte Vater viel Geld mit Kriegslieferungen!« sagte sie. »Vielleicht diesmal auch. Ach, ich möchte es ihm so wünschen!«

»Lieferungen? . . . Für wen?«

»Nun – wer es zahlt . . .«

»Weiter denkt Ihr an nichts?«

»Oh, Kriege sind sehr teuer! Ihr werdet das auch merken. Die Soldaten sind wahrhaft anspruchsvoll. Sie verlangen sehr hohen Lohn und gute Verpflegung. Sonst entschließen sie sich nicht, sich anwerben zu lassen. Wir rechneten damals den Tag an Dollars etwa . . .«

»Höre endlich auf mit Deinen Dollars! Siehst Du denn nicht, daß das etwas Anderes ist? Siehst Du denn nicht all die Gesichter . . . Ich habe noch nie auf Menschengesichtern so eine Spannung gesehen!«

»Da solltest Du 'mal Wallstreet zur Börsenzeit sehen, wenn die Londoner Kabeldepeschen kommen!«

»Ich war ja mit Dir in Wallstreet, Ethel! Aber mir ist es, als sei es ein Jahrhundert her und nicht drei Jahre!«

»Sage das nicht! Die Prosperität hält an! Es hat sich dort nichts geändert!«

»Aber ich habe mich geändert . . .«

Miß Lawrence hatte wieder englische Bekannte getroffen. Sie sprach ein paar Worte mit den Damen. Eine von diesen, eine ältliche Jungfer, drückte im Weitergehen Inge, die sie gar nicht kannte, mit einem bedauernden Lächeln die Hand.

»Ethel: Was soll denn das bedeuten?«

»Sie sagte mir, Du tätest ihr so leid!«

»Ich?«

»Ganz Deutschland tut ihr so leid! Sie fürchtet, daß England Euch den Krieg erklären wird. Sie wollte Dir ihr Mitgefühl am Unglück Deines Vaterlands ausdrücken!«

»Ja, hör' 'mal . . . seid Ihr denn Alle verrückt? Oder war ich es bisher?«

»Oh – was sprichst Du da? . . . So aufgeregt sollte eine Lady nie sein!«

»Ich pfeife auf Eure Ladies . . . Ethel: Mache Dir doch klar, was für uns auf dem Spiel steht! Unsere Feinde sind Zehn gegen Einen . . . Wir werden kämpfen müssen wie noch nie ein Volk! . . . Was soll denn dieser freundschaftliche Ellbogenstoß in die Seite?«

»Gestehe nur . . .«

»Was denn?«

»Dein Vater ist alt. Du hast keine Brüder, die sich einreihen lassen könnten! Also hast Du einen Herzensfreund, und er will durchaus mit hinaus . . .«

»Großer Gott . . . kannst Du Dir nichts Anderes vorstellen?«

»Ich an Deiner Stelle würde es ihm nicht erlauben! Ich sicherlich nicht! Rede es ihm aus! Wozu denn?«

»Ethel . . . fehlt Dir denn jedes Verständnis dafür, daß es jetzt gar nicht auf mich ankommt oder auf einen Herzensfreund, sogar wenn ich Einen hätte, oder sonst auf irgend einen Menschen in Deutschland, sondern nur auf Deutschland selbst! Betrachte nur die Männer und Frauen um uns! Das sonderbare Leuchten auf allen Gesichtern. Man ist sich auf einmal so nah. Man braucht gar keine Worte mehr! Es kommt etwas Unerhörtes über uns! . . . Aber wir fürchten uns nicht! . . . Glaubt nur das nicht! Auch wir Frauen nicht! Kein Mensch in Deutschland fürchtet sich vor dem Krieg. Das lesen wir Einer dem Anderen aus den Augen.«

»Oh – der Krieg wird sehr interessant! Noch nie sah ich einen aus der Nähe!«

»Euch zum Spaß führen wir ihn nicht!«

»Du bist ja ganz atemlos, Inge!«

»Gottseidank bin ich eine Deutsche!«

»Oh ja, der Krieg! . . . Ich weiß nur noch nicht, wo ich hingehen soll, wenn die Heere den Rhein überschwemmen!«

»Unseren Rhein?«

»Oh ja! Was machst Du denn für Augen?«

»Die Feinde sollen zu uns ins Land herein?«

»Oh sicher! Wer hier englisch spricht, wird es Dir sagen!«

»Ja, was denkt Ihr denn von uns? Was habt Ihr denn die ganze Zeit über von uns gedacht? Ich bin ganz entsetzt! Und da ging man unter Euch drüben herum . . . bei Euch ging ich in die Schule . . . Es fällt Einem wie Schuppen von den Augen!«

»Vielleicht reise ich nach Wien! Sage: gehört Wien zu Deutschland?«

»Nein. Zu China!«

»Oder nach Luzern! Oh ja: Luzern! Da sind First rate Hotels! Da werden viele prominente Amerikaner sein!«

»Ja, macht nur, daß Ihr Alle dahinkommt!«

»Weißt Du was: Komm mit!«

»Ich? Jetzt?«

»Nun ja! . . . Da bist Du aus der Unruhe hier heraus! In guter Luft! Wir machen Ausflüge . . .«

»Man möchte sich wirklich an den Kopf greifen!« sagte Inge.

»Berede doch Deinen Vater, so zu tun! Der alte Herr hat da auch seinen Frieden. Es wird ihm gut sein!«

»Jetzt Deutschland verlassen . . .?«

»Was willst Du denn hier, wo überall so viele Soldaten sein werden oder womöglich gar Verwundete und Kranke? Du bist eine unabhängige junge Lady. Du kannst doch Deine Rente verzehren, wo Du willst!«

»Jetzt geht mir allmählich ein Licht auf, wer Ihr seid und wer wir sind . . .«

»Ich bin so betrübt, daß Du wieder in Rätseln redest! Wir waren immer freundlich zu Dir, drüben, so als wärst Du Eine von uns!«

»Ich bin mehr und hab's nicht gewußt!«

»Oh . . .«

»Der New-York-Herald!« Ein Händler bot die neueste Nummer der Pariser Ausgabe an. Die Miß kaufte sie und studierte mit brennendem Interesse die Liste der in den dortigen Luxushotels eingetroffenen Amerikaner. »Heißes Wetter in Paris!« verkündete sie dann. »Oh – wieviel Volk ist nach Trouville abgereist! Sieh nur hier die Namen . . .«

Inge hörte nicht mehr darauf. Rings um sie knitterten andere deutsche Zeitungen, verfolgten gespannte Augen den Fettdruck der Riesenlettern der letzten Nachrichten. Ganz Europa fieberte in diesen kurzen, schwarzen Zeilen. Noch einmal drahteten sich in letzter Stunde die Großen dieser Erde vom Hohenzollernschloß zum Winterpalais, vom Buckinghampalast zur Hofburg, schossen die Automobile der Diplomaten nach Downingstreet und dem Ballplatz, nach der Wilhelmstraße und dem Quai d'Orsay, zitterten die Telefondrähte und Telegrafenkabel von den letzten Zuckungen des Friedens. Und doch war dies das Letzte, worin, auf lange Zeit hinaus, die Menschen dieses Weltenrunds einig waren: Es war zu spät! Das Schicksal schon im Gang.

Ringsum lachten und spaßten unbekümmert die Yankees. Für sie war Europa eine große »Schau«. Auch der Krieg war eine ganz neue Schau. Sie schoben der Miß Lawrence strahlend einen blatternarbigen, breitschulterigen jungen Mann entgegen. »Fighting Bob« – der Millionärsohn und Amateurboxer! Fighting Bob hatte Lust, den Krieg auf ein paar Wochen mitzumachen! Die Deutschen mochten sich hüten! Hinter seinem Knockabout wuchs kein Gras . . .

Das letzte Extrablatt! Eine Depesche des Deutschen Kaisers. Er beschwor den Zaren im Namen der Menschheit, seine Völkerwanderung abzurüsten, die von den Wolgaufern und den Steppen Asiens heranzog. Um Inge Tillesen schwirrten fremdartige Stimmen in einem halben Dutzend Sprachen. Schrilles Welsch. Lautes Russisch. Gekäutes Englisch. Ratterndes Französisch. Sonderbar, sie lebte seit acht Jahren mit ihrem Vater in Wiesbaden. Sie war in dieser Zeit fast täglich durch das Gedränge vor dem Kurhaus gegangen, ohne sich beim Anblick der vielen Ausländer Etwas zu denken. Heute auf einmal traten die Trennungslinien der Menschheit hervor, die ewigen Grenzen der Völker. Ein Ahnen. Beinahe ein Grauen . . . Dann ein Jubel: Drüben wurden Hunderte von Hüten geschwungen, Hunderte von Stimmen sangen. Das waren nicht mehr die Unmündigen wie in den Tagen bisher. Das war ein langer Zug junger, waffenfähiger Männer, Primaner, Handwerker, Bürgersöhne. Sie marschierten zu Viert und Fünft, Arm in Arm, nebeneinander. Ihre Gesichter waren begeistert.

»Heil Dir im Siegerkranz!« . . .

Hurrah! Es winkte aus den Fenstern. Tücher wehten. Inge Tillesen überlief ein Schauer. Ihre Augen wurden feucht. Sie wandte sich um. Sie sah wieder die vergnüglichen Zahnreihen der Yankees. Die spöttische Neugier der Italiener, das stechende Auge der Franzosen, das freche und belustigte Lächeln einiger junger Lawn-Tennis-Engländer. Auf einmal durchzuckte es sie: Das sind ja Alles unsere Feinde! Alle . . . Alle! Die ganze Welt! Und war es schon lange . . .

»Lachen Sie nicht!«

Sie sagte es mit so wildsprühenden Augen, daß der Boxer-Millionär sie fassungslos anstarrte. Man war doch in Deutschland, dem geduldigsten und gutmütigsten aller Völker! Man hätte in Rußland bei der Zarenhymne das Haupt entblößt, man wäre in England ehrfurchtvoll bei »God save the King« aufgestanden. Aber hier . . .

»Lachen Sie nicht über Dinge, die für Euch viel zu hoch sind! Ihr werdet das Lachen noch verlieren! Ihr Alle zusammen!«

»Oh . . . Inge . . .«

»Was hat denn die Lady?«

»Sie war früher nicht so!« erklärte Miß Lawrence. »Sie war eine aufrichtige Kosmopolitin!«

»So? War ich das?«

». . . aber jetzt . . . Inge . . . ich bin so bang . . . Jetzt spricht sogar aus Dir der Militarismus!«

». . . wenn Ihr das Militarismus nennt, daß alle Welt über uns herfällt – – na gut – aber da könnt Ihr 'was erleben!«

»Oh, Inge . . . Wie kannst Du das sagen?«

»Das fühlt jetzt Jeder bei uns! Einer wie der Andere. Der Droschkenkutscher da . . . oder die Frau da . . . oder der Briefträger da . . . siehst Du: Ich brauche ihm blos zuzunicken! Da verstehen wir uns schon!«

»Oh – laß doch den Mann aus dem Volke, Inge! Rege Dich nicht auf! Sieh hier! Ich habe eben von Miß Cooper zwei Karten für Bayreuth bekommen! Für übermorgen! Willst Du den Trip nicht mitmachen? Es wird Deiner Konstitution gut tun!«

»Du wirst bald andere Zeichen und Wunder erleben als in Bayreuth! . . . Leb' wohl, Ethel!«

Der Händedruck mit der erstaunten Freundin aus Amerika schien Inge wie ein Sinnbild des Abschieds von Vielem in ihr und außer ihr. Sie lachte dabei und hielt den Kopf hoch im Nacken. Es war eine Bewegung von Stolz und Kampflust. Der Ausdruck eines allgemeinen und unermeßlichen Kraftgefühls, das sie jählings auch in sich spürte. Sie ging langsam und straff aufgerichtet durch die Ausländer, die ihr nachstarrten. Daheim setzte sie sich zu ihrem Vater in dessen Arbeitszimmer. Exzellenz Tillesen hatte sonst nie Zeit. Aber jetzt war die große, lähmende Stille vor dem Gewitter. Jedes Wort schien zu viel. Endlich sagte Inge:

»Was ist das nur, Vater?«

»Was denn, Kind?«

»Es ist alles so anders! Die Menschen draußen . . . Du . . . ich . . .«

»Ja, Inge!«

»Aber wie geschieht denn das? . . . Es ist sonderbar . . . Man fühlt sich so leicht . . . so befreit . . . Und dabei schlägt Einem doch das Herz und die Zeit ist doch so furchtbar ernst!«

»Man ist von sich befreit, Inge! Das ist's!«

»Was meinst Du damit, Vater?«

»Vielleicht haben wir Alle zu sehr an uns und unser bischen Eigenes gedacht . . .«

»Ach so . . .«

». . . und das war uns eine Last und wir wußten es nicht, daß wir an uns selber litten!«

»So ist es mir, glaub' ich, gegangen.«

». . . das merke auch ich jetzt, Kind, und vielleicht ein Jeder! Wir kannten uns nicht mehr und waren darum ungerecht gegen einander. Es ist nun einmal deutsche Art, seinen eigenen Weg zu gehen!«

»Das hab' ich auch viel zu sehr getan!«

»Laß es gut sein, Inge! Es rinnen viele Wasser in Deutschland. Aber schließlich wird es doch der eine große Strom!«

»Ich mache mir doch Vorwürfe, daß ich das nicht früher verstand. Ich hätte mir und einem Anderen Manches erspart! Er hat das gewußt. Er hat mir immer gesagt: ›Nicht das Ich, sondern die Pflicht, die das ’ich‘ in sich schließt!‹ Ich hab's in den Wind geschlagen. Und was ist das jetzt? Was ist man denn selbst? Es ist ja so gleichgiltig, ob man da ist oder nicht und wie es Einem geht und was man will!«

»Ja. Nun geht Alles weit darüber hinaus!«

»Aber warum erkennen wir das erst jetzt?«

»Liebes Kind!« sagte der Gelehrte und stand auf. »In Jedem von uns steckt ein Stück Deutschland mit seinen Rätseln und seinen Tiefen. Wer kennt sich ganz und wer kennt Deutschland aus? Nun kommt uns vielleicht die Lösung des Rätsels von außen. Das Wunder geschieht nicht zum ersten Mal . . . Nun Inge . . . Ich geh' jetzt wieder an die Arbeit!«

Ganz Deutschland ging an diesem Tag mit Exzellenz Tillesen noch einmal an die Arbeit, das schaffenfreudigste, das gewissenhafteste, das gründlichste aller Völker. Es war jetzt noch, in der Gewohnheit vieler Jahrzehnte des Friedens, mit frohem Eifer am Werk des Tages, während unter ihm die Erde schon bebte. Es riß sich schwer, zögernd, ungläubig von der liebgewordenen Beschäftigung am Schreibpult und Schraubstock, an Pflugschar und Ambos, an Hauptbuch und Heizkessel los, es schaltete langsam seine Gedanken um, bis zu der letzten Erkenntnis: Auch der Krieg ist deutsche Arbeit! Durch Jahrtausende bewährte deutsche Arbeit, so stark und gründlich wie die des Friedens.

Inge Tillesen stand am Fenster. Draußen warfen die Bäume schon ihre abendlichen Schatten über das heiße Pflaster. Karl, der Diener, lief eben in bloßem Kopf und weißer Schürze aus dem Haus. Er war alter 80er Füsilier. Er rannte alle Augenblicke bis zur nächsten Straßenecke, um nach Extrablättern zu schauen. Inge achtete nicht auf ihn. Sie fuhr zusammen und sagte halblaut zu sich:

»Herrgott . . . da ist er ja wieder!«

Nicolai Schjelting stand auf der anderen Seite der Straße, gerade der Villa gegenüber. Stand nachlässig wie gewöhnlich, blendend angezogen, den Strohhut auf Pariser Art nach hinten geschoben, die Hände auf dem Rücken. Er schaute unausgesetzt, mit einem gespannten Gesichtsausdruck, nach dem Hause hin . . .

»Ach . . . mag er schon . . .«

Inge Tillesen hob unwillig die Schultern hoch, trat in das Innere des Zimmers zurück und klingelte, um dem Diener den Herrn da draußen zu zeigen und ihm einzuschärfen, daß man für ihn unbedingt nicht zu Hause sei. Niemand kam. Sie wartete eine Weile. Dann öffnete sie die Tür und rief ungeduldig in die dämmerige Eingangshalle:

»Karl, wo stecken Sie denn, wenn man Sie braucht?«

»Guten Abend, Fräulein Tillesen!«

»Um Gotteswillen . . . wer steht denn da? . . . Wer sind Sie denn?«

»Erlauben Sie mir, in den Salon zu treten! Ich bin kein Mann der Antichambre.«

»Ja, wie kommen Sie denn hier herein?«

»Ich kam zufällig an Ihrem Hause vorbei. Ich sah Sie am Fenster. Ich fand das Haustor offen. – Ihr Diener hatte die Güte, es nicht zu schließen, während er um die Ecke lief – – Et me voilà!«

Nicolai von Schjelting sagte es lächelnd, als sei heute ein Tag wie jeder andere. Er stand mitten im Zimmer, so hell im Abendlicht, daß sie deutlich die Schatten der Schlaflosigkeit unter seinen großen, grauen Augen, die tiefgefurchten Linien nervöser Unruhe auf seinen lebhaften länglichen Zügen erkannte. In der Art, wie er den Kopf etwas zur Seite legte und sie verbindlich ansah, war ein Gemisch von Dünkel und Schmiegsamkeit, fast Unterwürfigkeit. Der wohlbekannte leise Petersburger Hauch von feinstem Beßarabischen Tabak und Kölnisch Wasser ging wieder von ihm aus.

»Sagen Sie um Gotteswillen: Was suchen Sie eigentlich hier?«

»Sie.«

»Was . . .?«

»Wie denn nicht? Deswegen bin ich in Wiesbaden. Ich muß mich eilen, wenn ich mich Ihnen noch erklären soll! Denn in Kurzem . . .«

»Bitte! Ich wünsche nicht das Geringste von Ihnen zu hören!«

»Denn in Kurzem . . .« sagte Schjelting lächelnd. »Nun – unser Kriegsminister Suchomlinoff hat ja gestern Eurem Militärattaché sein Ehrenwort gegeben, daß er nichts von einer Mobilmachung weiß! Aber, unter uns, dies Ehrenwort taugt nicht viel!«

»Das glaub' ich!«

»C'est la guerre! Ou – pas encore la guerre, mais . . . Gestatten Sie mir, daß ich mich setze! Ich stehe schon seit einer halben Stunde vor Ihrem Haus!«

»Ich kann Sie nicht daran hindern!«

»Setzen Sie sich doch auch! Erbarmen Sie sich: Sie können doch nicht hier vor mir stehen! Erweisen Sie mir die Gnade! Plaudern wir ein wenig . . .«

»Was tun Sie denn noch in Deutschland, angesichts des Kriegs?«

»Noch ist nicht Krieg. Auch bin ich nicht wehrpflichtig. Ein ganz friedlicher Mensch. Un vrai philanthrope . . .«

»Ich würde Ihnen doch raten, sich aus dem Staub zu machen!«

»Ich habe Zeit! Ich reise, wenn es so weit ist, entweder nach Westen, den einrückenden Franzosen entgegen – oder – da mich meine Familie in Belgien nicht mehr weiter interessiert – ich gehe, en attendant, nach Bayern.«

»Dort nimmt man Sie gerade so gut fest!«

»Pardon! Ich weiß das besser! Mich täuscht man nicht: Süddeutschland wird auf alle Fälle eine abwartende Haltung einnehmen! Man ist dort so sicher comme au sein de sa famille

»Das ist verrückt, so was zu glauben . . .«

»Wir haben unsere Thesen!« sagte Nicolai Schjelting und sah sie aufmerksam an. »Diese Formeln gründen sich auf eine Analyse der geschichtlichen Vorgänge in Deutschland, die sich nach gewissen Gesetzen wiederholen . . .«

»Wenn die Zeit nicht so ernst wäre, müßte man wirklich lachen!«

». . . und außerdem hat man bei uns Deutschland im letzten Jahrzehnt genauer studiert! Früher schien es uns und den Engländern nicht so der Mühe wert! . . . Aber jetzt weiß man überall im Ausland mit Euch Bescheid. Deswegen bin ich ja hier, Fräulein Tillesen, weil die Gefahr für Sie so unmittelbar und dringend ist!«

»Ich fürcht' mich nicht!«

»Ich schrieb es Ihnen ja schon! Wo wollen Sie denn eigentlich hin? Hier am Rhein donnern ja bald die Geschütze . . .«

»Am Rhein . . .?«

»Weiter ins Innere? Die großen Städte und die Industriebezirke werden bald ein Spielball Eurer Arbeitersyndikate sein . . .«

»Wessen Spielball?«

»Ach, stellen Sie sich nicht unwissend! Die Methoden des Europäischen Individualismus werden in Euren Vorstädten triumphieren: Eure Blusenmänner lehnen mit entschlossener Geste die Pickelhaube ab! Es wird ein Schrei aus der Tiefe der Bergwerke tönen: Kämpft Eure Kriege selbst!«

»Reden Sie eigentlich von China oder von uns?«

»Flüchten Sie weiter nach Osten – enfin – ich gebe zu, daß Ihre Muschiks da unter der Faust der Junker sich schlagen werden. Aber dort, an der Elbe, sind ja inzwischen schon wir, die Russen . . .«

»Es steht Einem wirklich der Verstand still!«

»Und bis zu unserem Einzug in Berlin wird auch Ihre Hauptstadt kein Aufenthaltsort für Damen mehr sein. Alles bricht dort in sich zusammen. Ich kenne dies hektische Nachtleben – diese engbrüstige Décadence der zu schnell Reichgewordenen! . . .«

Er zuckte mit einer beinahe müden Bewegung der Überlegenheit seine schmalen und hängenden Schultern und zog die Augenbrauen hoch.

»Aus diesem Euch feindlichen Europa flüchten? Erwägen Sie, Fräulein Tillesen: Die Engländer verbieten Euch die Meere! Sie sperren Euch auch die Nahrungszufuhr! Sie haben den General Hunger wie wir den General Winter. Beide sind unwiderstehlich. Selbst der große Napoleon wurde von uns besiegt!«

»Ich wollte blos, ich wär' ein Mann!« sagte Inge.

»Und endlich: Gott will es, daß zu allen Dingen dieser Welt Geld gehört! Nun . . . sehen wir zu: Ihr Vater ist wohlhabend! Ich weiß es! Aber was hilft ihm das jetzt? Er wird sich umsonst in die Reihen der Verzweifelten stellen, die vor den verschlossenen Banken Spalier bilden. Diese Tore werden sich seinem angstvollen Pochen nicht öffnen . . . Warum lachen Sie denn?«

»Mein guter Vater und nach Geld hämmern . . . Da drüben hat er gerade wieder 'mal sein Portemonnaie auf dem Diwan liegen lassen!«

»Enfin: Euer wirtschaftlicher Zusammenbruch ist unvermeidlich. Als ein Teil der allgemeinen Katastrophe! – une débâcle – Ich bemitleide Sie!«

»Sind Sie nun fertig? Ich bewundere meine eigene Geduld, Herr von Schjelting, mit der ich die ganze Zeit diese bösartige Phantastik mit angehört hab'! Wir sind immer viel zu höflich mit Ausländern!«

»Wie denn? Ich rede zu Ihnen, nicht wie zu einer Moskauer Kaufmannsfrau, sondern zu einer europäischen Intellektuellen, die den Zusammenhang der Dinge übersieht! Bitte, nehmen Sie meine Worte ernst!«

»Ich hab' davon Eines begriffen: Wenn der Krieg wirklich kommt, dann kommt er, weil Ihr keine blasse Ahnung habt, wer wir sind und was wir können!«

»Armes Mädchen . . .,« sagte Nicolai Schjelting mit einem sonderbaren, beinahe leidenden Mitgefühl.

»Wahrscheinlich haben wir es dumm angefangen und Euch eine falsche Meinung von uns beigebracht, aus reiner Gutmütigkeit . . . aus viel zu viel Anstand . . . Dadurch habt Ihr den Größenwahn gekriegt! . . . Und nun bitte: Schluß!«

Nicolai von Schjelting war sitzen geblieben, obwohl sie zornig aufstand. Er griff nach seiner silbernen Tulaer Tabakdose, rollte sich mechanisch eine Papyros, hielt inne.

»Vergeben Sie! Ich war in Gedanken . . . Der Rauch beruhigt meine Nerven . . .«

»Meinetwegen . . .«

Es klang wie: ›Benimm Dich nun schon ganz als Asiate!‹ Nicolai Schjelting saß träumerisch da, stieß eine blaue Wolke durch die geblähten Nasenflügel und versetzte unvermittelt:

»Ich lasse mich jetzt von meiner Frau scheiden!«

»Was? Eine Frau haben Sie auch?«

»Nun wie? Man muß doch verheiratet sein!« sagte er beinahe melancholisch. »Ich sprach vorhin schon von meiner Familie. Gott mit ihr!«

Der schwere Sessel rollte mit einem Ruck beinahe bis an die Wand zurück, so ungestüm sprang er plötzlich von ihm in die Höhe.

»Das sind Dinge . . . über die wird man später sprechen . . . Man wird das Alles ordnen . . . Der heilige Synod tut, was ich will . . . Sabler ist für mich jeder Zeit . . .«

»Was geht das mich an?«

»Ich habe Ihnen geschrieben . . . Noch nie gab mir Gott die Gelegenheit, mit Ihnen unter vier Augen zu sprechen, so wie jetzt . . .«

»Kommen Sie mir nicht so nahe . . .«

»Bleiben Sie stehen! Wie werde ich Ihnen Etwas tun? . . . Ich will ja nur Ihr Bestes! Ich will Sie befreien!«

»Ja bitte, gehen Sie!«

»Sie wissen genau, wie das mit mir ist . . . Sie merkten es schon bei der ersten Begegnung in Moskau . . .«

»Ich hab' Sie kaum angesehen . . .«

»Und doch sagt unser Sprüchwort: ›Mit einem Dreierlicht setzte man Moskau in Brand!‹ Nun, so geschah es mit mir, in diesem Vorzimmer da oben im Petrowski Dwor . . .«

»Das war, weiß Gott, nicht mein Wunsch . . .«

»Moskau brannte. Morgen brennt die Welt. Warum soll ein armer, einzelner Mensch nicht auch in Flammen stehen? Es ist jetzt nicht die Zeit für kalte Charaktere!«

»Bleiben Sie mir vom Leibe oder . . .«

»Ich bin keine sibirische Natur. Mein Herz ist weich. Viele Frauen haben schon Eindruck auf mich gemacht . . .«

»Das glaub' ich . . .«

»Aber Keine wie Sie! . . . Es ist ganz anders wie sonst . . . Ich bin wehrlos. Es ist Gottes Wille. Denn zu verstehen ist es nicht.«

»Wenn Sie mich jetzt nicht auf der Stelle verlassen, rufe ich meinen Vater . . .«

»Niemand hat Etwas gegen Ihren Vater! Nicht gegen die deutsche Gelehrsamkeit führen wir Krieg. Auch nicht gegen Frauen. In dem Frieden zu Potsdam wird seinerzeit das befreite Europa auch ihm die Ruhe seiner Studien wiedergeben . . .«

»Sehr gütig . . .«

». . . Doch während des Krieges . . . während dieser Zerschmetterung des preußischen Militarismus . . . die russische Seele ist sanft . . . aber immerhin . . . ich kenne unsere Kosacken . . . Ich flehe Sie an: Flüchten Sie aus dieser allgemeinen Verwirrung in Deutschland . . .«

»Wer ist denn hier verwirrt? Wir sind Alle ruhig und klar! Einer wie der Andere!«

»Fliehen Sie lieber nicht in die Schweiz – das ist für mich zu weit – sondern nach Schweden! Ich schaffe Ihnen und Ihrem Vater Unterkunft im Hotel Royal in Stockholm. Das wird jetzt eine unserer Haupt-Etappen auf dem Wege von Rußland nach dem verbündeten Westen. Ich komme da oft durch. Ich kann Sie sehen! Mit Ihnen über die Zukunft sprechen!«

»Zum letzten Mal: Gehen Sie! Reisen Sie lieber selber schleunigst nach Schweden, ehe man Sie bei Kriegsausbruch hier verhaftet!«

»Der Krieg bricht aus, wann wir es bestimmen!« sagte Nicolai von Schjelting hochmütig. »Noch sind wir nicht so weit! bei Euch wird man verhandeln und telegrafieren! Das wissen wir!«

»Gottseidank, da höre ich endlich draußen den Karl im Garten! Soll ich Ihnen wirklich von dem Diener Hut und Stock bringen lassen, Herr von Schjelting?«

Nicolai Schjelting legte mit einem grausamen Augenblinzeln den Kopf zurück. Ein heißes und wildes Lächeln entblößte seine Zähne. Inge Tillesen trat wieder ein paar Schritte zurück: Nun stand der wahre Moskowiter vor ihr, der begehrliche Barbar. Siegestrunken, im Taumel der Zukunft.

»Mich entläßt man nicht wie einen Dwornik! Die Zeit ist vorbei, da man einen Russen hinausschickte! Wir werden Euch Deutschen kommen! Wir führen uns selber ein, sans être invités! Wir sind zehn Millionen ungebetene Gäste! . . . Pah . . . was ist denn dies kleine Deutschland . . .«

»Karl . . .«

»Es liegt in der Freiheit unseres allrussischen Herzens, was wir zertreten und was wir verschonen! Jeder nimmt sich, was er will!«

»Unterstehen Sie sich, mich anzufassen!«

»Ah . . . man wird Euch jetzt noch lange fragen . . .«

»Sind Sie denn von Sinnen . . .?«

»Und wenn ich es bin . . .«

»Karl! . . . Karl!«

Er warf sich gegen sie und packte mit einem jähen Griff ihre Hände. Sie konnte nicht weiter zurück. Hinter ihr war der Tisch an der Wand. Sie bog sich, soweit sie konnte, nach hinten und kämpfte mit ihm, der blind ihre Lippen suchte. Sie mühte sich, sich seiner Gewalt zu entwinden. Wieder keuchte er, sie an sich zu ziehen. Dicht vor sich sah sie seine grauen Augen, die jetzt wie die eines Raubtiers glühten. Eines asiatischen Raubtiers. Das war schon wie das Vorspiel des großen Kampfes gegen die Horden des Ostens, dies kurze, atemlose Ringen mit einem von Sinnen geratenen Menschen. Dabei lachte er ihr noch ins Gesicht, heiß, herrisch, mit einem blendend weißen Wolfsgebiß. Der Grimm darüber verdoppelte ihre Kräfte. Sie riß sich los und versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust und traf blindlings gut. Nicolai von Schjelting taumelte ein paar Schritte zurück, preßte die Hand auf die Herzgrube, rang nach Luft. Sie standen sich gegenüber.

»So! Das war nur die Antwort einer Frau! Unsere Männer haben andere Fäuste! . . . Karl . . . hier!« . . .

Der Diener stürzte in das Zimmer. Er hörte sie nicht, in seiner atemlosen Meldung:

»Sie trommeln, gnädiges Fräulein! In zwölf Stunden müssen die Russen nachgeben oder . . .«

»Du lügst, Kerl . . .«

»Und in achtzehn Stunden die Franzosen!«

»Das wagt Ihr?« sagte Nicolai von Schjelting langsam und fuhr sich mit der Hand über die Augen, als träumte er. »Ihr fangt an?«

»Hurrah! Hurrah!«

»Hören gnädiges Fräulein? Da kommen sie die Straße herunter. Alles schwarz von Menschen!«

Draußen brausten Hunderte von Stimmen. Die Fenster dröhnten vom Trommelwirbel. In scharfem Kommandoton wurde durch die jähe Stille etwas verlesen. Etwas von drohender Kriegsgefahr. Als Inge Tillesen sich wieder umdrehte, war das Zimmer leer. Nicolai Schjelting war fort. Verschwunden draußen in der wieder strudelnden und jubelnden Menge, dem Hurrahrufen, dem Massengesang. Dann hörte sie hinter sich die heisere, aber glückliche Stimme des zu ihrem Vater in das Haus geeilten Generals Isebrink. Er mußte schreien, um das Jauchzen draußen zu übertönen.

»Uff! . . . Endlich! . . . Endlich! . . . Endlich hat's ein Ende mit der verfluchten Zucht! Jeder Mistfink von außerhalb durfte frech gegen uns werden . . . Verzeihen Sie, Fräulein Inge . . .«

»Ach . . . nur immer zu, Herr General!«

»Aber nu wird Deutsch geredet! Hol's der Deubel! Nu hat's sich ausgeglückwünscht! Nu hat sich's ausgebiedert und Hände geschüttelt! Liebster . . . Bester . . . Ich möchte ja die Wände hochgehen vor Freude: Ich hab' eben telegrafisch meine Ordre! An die Front – wo's am vordersten ist! Übermorgen früh meld' ich mich schon hinterm Gießhaus in Berlin!«

»Herzlichen Glückwunsch!« . . .

»Ja, das wäre ja nun Alles schön und gut. Aber nun sehen Sie 'mal! Depesche Nummer zwei von meinem Filius Paul aus Konstantinopel! Das heißt nicht mehr aus Konstantinopel! Inzwischen ist er schon auf dem Weg nach Deutschland! Der Bengel ist verrückt!«

»Was?«

»Bildet sich ein: Ich hockte jetzt hinter dem Ofen! Drahtet mir in aller Unschuld seines Herzens: ›Eintreffe ersten August‹ – das ist übermorgen – also, ›ersten August München zu sofortiger Weiterfahrt und Verwendung im Osten!‹ . . .«

»Nun – das ist ia schön!«

»Ja, und gefälligst weiter: ›Bitte erwarte mich dort Hauptbahnhof mit Geldern für Pferdeankauf und Equipierung und Kartenmaterial!‹ Ja, was glaubt denn das Paulchen? . . . Ich bin übermorgen in Berlin! Aber kriegen muß er seine Moneten! Meine Frau liegt an ihrem Asthma . . .«

»Schicken Sie mich!«

»Sie, Fräulein Inge?«

»Na warum denn nicht?«

»Sie wollten wirklich diesen Liebesdienst . . .«

»Ach, reden wir doch nicht lange! Geben Sie mir schon die Siebensachen! Ich reis' noch heute Abend!«

Die beiden Andern schauten sich an. Sie waren Beide alt. Aber sie waren auch einmal jung gewesen. Darum dämmerte es in ihnen.

»Wie soll ich Ihnen denn das danken, Fräulein Inge?«

»Gar nicht! Das geschieht fürs Vaterland! Ja, was lachen Sie denn? . . .«

»Sie lachen ja selber . . .«

Inge Tillesen wurde über und über rot. Aber sie lachte wirklich und herzhaft. Der alte Isebrink breitete die Arme aus.

»Kommen Sie, Kind!« sagte er. »Geben Sie mir 'nen Kuß! Er geht ja nicht an die richtige Adresse! Aber doch so nahebei! Nicht?«

»Ja.«

»Na, Gottes Segen! . . . Kalt! . . . Wohin denn auf einmal?«

Aber Inge Tillesen war schon die Treppenstufen der Halle hinauf und weg. Unten sagte der alte Isebrink zu dem Geheimrat:

»Na – da geben wir uns die Hand, Exzellenz! So geht's! Nu erfüllen sich die Zeiten! Es hat ein Ende mit Vielem und viel Besseres fängt an!«


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