Rudolph Stratz
Das deutsche Wunder
Rudolph Stratz

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V.

Das war Berlin, die Stadt ohne Nacht. Berlin, der Riese in den Flegeljahren, die genußsüchtige Hochburg der Arbeit, Berlin, das alle seine Sünden und Schwächen frei auf der Friedrichstraße dem Auge der Fremden preisgab und seinen Edelkern von Gesundheit und Jugendkraft schamvoll in den Vorstädten barg.

Das war Berlin, die Stadt der Gegensätze, beinahe stolzer auf ihr Nachtleben als auf ihr Tagewerk, nervös und nervenlos, das ehern pochende Herz des Deutschen Reichs und bis zur Unkenntlichkeit aufgeputzt mit grellem Flitter des Auslands. Von den Hausfronten, Schaufenstern, Litfaßsäulen sprach es, während Inge Tillesen, eben aus Wiesbaden angekommen, mit ihrer Schwester Phila durch die Straße fuhr, in fremden Zungen zu der lichterhellen, brausenden, abendlich wogenden Friedrichstadt. Slawische Lettern lockten die Russen, englische Reklamen die Amerikaner. Gasthöfe und Kaffeehäuser trugen die Namen britischer Städte, Schauspielhäuser die Namen Pariser Theater, nächtliche Stätten der Lebewelt die Namen französischer Zuchtlosigkeit. Es war ein Völkerjahrmarkt, eine Taghelle aus vierstöckigen Bierpalästen, das Fieber der Stadt am Spreestrand, in der selbst das Vergnügen sich mit der Hast eines Uhrwerks abrollte.

Dann hörte hinter dem Potsdamerplatz das Ausland auf. Nichts mehr von Westminster, Bristol und Piccadilly, von Trianon und Folies-Caprices, von Clou und Moulin Rouge, von Boncourt und Palais de Danse und Pavillon Mascotte, von Messenger Boys, von Grand Gala. Man merkte: dies stümperhafte Französisch und Englisch war nur eine bröckelige Tünche, durch deren Lücken der festgefügte deutsche Quaderbau lugte.

Die zwei Schwestern hatten gar nicht darauf geachtet. Man nahm das in Berlin als gegeben. Es mußte wohl so sein. Es war selbstverständlich, daß in Deutschland Rennpferde und Briefpapier, Weinstuben und Zigarettenschachteln, Männerkleider und Körperpflegemittel so hießen, wie am Ufer der Seine, der Themse, des Hudson. Während sie durch die Hitzigstraße fuhren, sagte Frau Theophile Martius:

»Also . . . ich war einfach paff, wie auf einmal Dein Telegramm kam!«

»Ich habe mich auch ganz plötzlich entschlossen!«

Ringsum wurde es wieder taghell. Die Tauentzienstraße tauchte menschenwimmelnd auf und verschwand. Dann hielt der Wagen vor einem der Mietspaläste am Kurfürstendamm.

»Also willkommen, Schatz!« sagte oben in ihrer Wohnung Frau Theophile und küßte ihre Schwester. Sie mußte sich beinahe auf die Fußspitzen stellen, um zu deren dunkelblonder, deutscher Frische hinaufzulangen. Sie selbst war klein, zart und zierlich, wie eine Marquise der Pompadourzeit. Nur ihr Haar war nicht weißgepudert, sondern ein tiefbrünetter Botticellischeitel, darunter das Profil einer antiken Gemme. Sie war ein kleines Kunstwerk, und ebenso ihre Umwelt. An ihrer Schwelle endete Berlin. Der Süden tat sich auf. Die deutsche Sehnsucht. Alte Florentiner Meister dunkelten an den Wänden. Da war Dantes lebensgroßer, strenger Marmorkopf. Da rahmte schweres Barockschnitzwerk des Bücherschranks die Reihen italienischer, spanischer, französischer Dichter. Die kleine Frau ging darin herum wie in einem Tempel, rückte da und dort, staubte ab . . .

»Beppo und Carmen schlafen leider schon!«

»Na – dann kriegen sie ihr Mitbringsel morgen!« sagte Inge und dachte sich: Ich würde die Würmer einfach Hans und Grete nennen! Aber sie selber, die Mutter, hat ja bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr auch ganz friedlich Luise geheißen und es dann erst durchgesetzt, daß wir sie Alle Theophile nennen mußten!

»Nun, Inge . . .«

Die Schwester hatte sich neben sie gesetzt. Sie hatte ein eignes süßes Lächeln, aus dem träumerische Schwermut sprach, obwohl es ihr im Leben sehr gut ging.

»Inge . . . hast Du mir nichts zu sagen? Dann lieber bald! Denn wenn erst Hugo zum Abendessen heimkommt mit seinen Reichstagsgeschichten und Arbeitersachen . . .«

Ein Schweigen.

»Los, Inge!«

»Ach, quäl' mich doch nicht!«

»Hand aufs Herz: weswegen bist Du denn von Wiesbaden hierher geschossen?«

»Gott – weil's dort langweilig ist! Ich wollte einmal andere Menschen sehen!«

Die kleine dunkle Frau lächelte und schwieg. Sie dachte sich: Mir scheint, Du möchtest einen Menschen sehen! Endlich! . . . Sie stand auf und sagte: »Ich muß nur rasch noch mal draußen Jemand telefonieren.«

»Hier Frau Martius! Ist Herr Hauptmann Isebrink selbst am Apparat? Guten Abend! Nett, daß ich Sie erwische . . . Warum sieht und hört man eigentlich nie etwas von Ihnen? Kommen Sie doch mal morgen Nachmittag! Wie? Sie haben keine Zeit? Das wird meiner Schwester Inge sehr leid tun. Sie ist zufällig grade hier. Was? Sie können es vielleicht doch einrichten? Na eben! Es ist ja Sonntag. A rivederci!«

Im Zimmer fand sie Inge zerstreuten Auges über einer Mappe mit römischen Kupferstichen. Ihr zartes Gesichtchen durchgeistigte sich und wurde schwärmerisch.

»Wundervoll – nicht? Siehst Du hier: San Paolo fuori le mura . . . mein Traum draußen in der Campagna. Ach . . . Du mein bel paese! . . . Mensch ist man doch nur im Süden . . . Ende Juni fliege ich wieder über die Alpen!«

»Im Sommer nach Italien?«

»Ach, wie ist das Land dann schön! Und die Menschen! Wenn die Fremden fort sind, lernt man sie erst in ihrer naiven Liebenswürdigkeit kennen, solch natürliche Grazie des Geistes und Körpers! Da möchte man mit Nietzsche die Hände falten: Unschuld des Südens, nimm mich auf!«

»Ich weiß nicht: ich fand die Gesellschaft immer unausstehlich!«

»Es sind Kinder. Aber aus einer dreitausendjährigen Kinderstube. Selbst in ihrem Mutwillen steckt uralte Kultur . . . Unterschreib' Dich mal da gleich als Mitglied!«

»Was ist das? Pro gen . . .?«

»Pro gentilezza!« sagte die kleine Frau stolz. »Neu gegründet! Ein Bund zur Einbürgerung milder italienischer Sitten bei uns!«

»Ich erinnere mich nur, daß die Italiener immer in der Eisenbahn spuckten und Orangenschalen herumschmissen!«

»Ihr seid eben lieblos! Und da unten lieben sie uns doch so!«

»Glaubst Du wirklich? Warum geben sie Einem dann immer falsches Geld heraus?«

»Nein, nein, nein!« sagte die kleine Frau mit einem Heiligenlächeln. »Ich glaub' an meinen Süden! Ich glaub' an die Schönheit. Ich glaub an die Kunst und Natur. Jeder hat sein Ideal. Du die angelsächsische Freiheit, ich das blaue Mittelmeer! Ach, Ende Juli, wenn Hugo bei seinem Friedenskongreß in Paris ist . . . und ich als Zugvogel über die Alpen . . . immer mit so einem bischen Wehmut in der Freiheit . . . Immer summt es mir hinterm Gotthard von Scheffel:

O Jugendlust, wie wirst du älter!
Bald ist auch mir die Stunde nah,
Wo ich nicht mehr durch grüne Wälder
Hinzieh' ins Land Italia!

Ja, lach' nur! Ich bin eine Schwärmerin. Ich weiß. Ich schäme mich nicht!«

»Sonderbar, wenn man Dich so hört, dann ist alles wieder so anders!« sagte Inge.

»Wieso?«

»Vielleicht hast Du auch recht. Nicht bloß die Andern, die so furchtbar ernst und finster in die Zukunft schauen!«

»Gott – laß' sie!«

»Die behaupten, das dauert Alles nicht mehr lange, und es zieht ein Unwetter herauf. Wenn Einem nur Jemand sagen könnte, wer Recht hat!«

»Da mußt Du Hugo fragen! Eben hör' ich ihn draußen!«

Dr. Hugo Martius trat herein. Groß, stattlich, klug, zu Anfang der Vierzig, mit rötlich blondem Vollbart und starker, in den Volksversammlungen und im Reichstag geschulter Stimme. Er begrüßte Frau und Schwägerin.

»Ich komme ein bischen spät! Nichts zu machen! Sechs Stunden Aufsichtsratssitzung . . . Neue Straßenbahnen in Argentinien. Schweinerei in China mit den Engländern . . .«

»Hugo!«

»Ach was! Im Geschäft nehm' ich kein Blatt vor den Mund! Da heißt's nur überall: raus mit den Engländern! In allem Frieden und Freundschaft natürlich. Dafür lebt man im zwanzigsten Jahrhundert!«

»Hörst Du, Inge, Du Hans Huckebein: Frieden und Freundschaft!«

»Was hat denn die Inge?«

»Sie haben ihr scheint's in Wiesbaden was von Krieg in den Kopf gesetzt!«

»Schwager . . . was hältst Du davon? Du bist doch so gescheit: Giebt's Krieg?«

»Es kann nicht erst Krieg geben!« sagte Dr. Martius lächelnd. »Weil der Krieg schon da ist! Auf der ganzen Erde!«

»Krieg?«

»Ja! Du, Frau – schau doch, daß wir bald was zu essen bekommen! Ich hab' einen Mordshunger! . . . Krieg, Inge, wird der Mensch immer führen. So ist er nun mal! Das tut er auch jetzt! Nur mit anderen Mitteln!«

»Das verstehe ich nicht!«

»Früher schlug man sich die Schädel ein. Jetzt nimmt man der City die spanischen Hafenbauten vor der Nase weg, wie wir neulich! Krieg führt man heutzutage mit dem Kopf, mit dem Reißbrett, mit dem großen Portemonnaie, mit der chemischen Retorte. Unsere Marschälle heißen Krupp und Ballin. Es sind wirtschaftliche Feldzüge!«

»Keine anderen mehr?«

»Nein. Denn im Kampf ums Dasein kommt es nicht mehr auf den dicken Biceps an! Mein Hausknecht ist auch stärker als ich. Das Recht des Stärkeren liegt heutzutage auf geistigem Gebiet. Sonst müßte man ja am Fortschritt der Menschheit verzweifeln.«

»Du hast eben auch nie gedient, Schwager!«

»Dafür bin ich ein Vertrauensmann des Volks! Das Volk will nur den Frieden!«

»Wir gewiß! Aber die Andern?«

»Alle, Inge! Die Menschen sind nicht so verschieden! Sie verlangen in ihrer Mehrzahl gar nicht so große Sachen vom Leben. Wenn sie ihr Haus und ihre Familie und ihr täglich Brot haben, hängen sie viel zu sehr daran, als daß sie's auf's Spiel setzten.«

»Warum redet dann überhaupt noch Jemand vom Krieg?«

»Na: Kind, sehr einfach. Die, die durch den Frieden beschäftigungslos werden: die Offiziere und zum Teil die Edelleute!«

Inge Tillesen dachte sich: Isebrink ist Offizier. Der Andere ein russischer Edelmann. Für die stimmt es schon . . .

»Ich komme doch eben aus dem Haag, Inge! Ich habe Jaurès gesprochen. Carnegie selber war leider nicht da. Aber Hunderte von Männern aus der ganzen Welt und jeder Name hatte seinen Klang. Der Unterschied war zwischen ihnen nur in der Sprache. Der gute Wille war sich überall gleich. Da haben sich in meiner Gegenwart Buren und Japaner, weil sie nicht miteinander reden konnten, wenigstens stumm die Hand geschüttelt. Nee, Kind! Laß Dich nicht kopfscheu machen! Die Zeiten, an die Du denkst, die sind vorbei! Unser altes Europa wenigstens ist glücklich über das Schwabenalter hinaus! Das ist vernünftig und gesetzt geworden und hat die Kriegstorheiten hinter sich.«

Leise Musik durchzitterte das Zimmer. Phila Martius schlug auf dem Flügel träumerisch aus dem Kopf den Prolog der »Bajazzi« an. Geheimnisvoll verklang es in der Tiefe der Tasten: ›Wir Alle auf Erden wandeln im gleichen Licht . . .‹ und es war, als spülten die Tonwellen von dieser kleinen Insel der Seligen allen Staub und Erdenrest hinweg – als würde das deutsche Auge zur Sonne selbst. So klar und rein sah es alles, selbst das Niedrigste der Welt.

In solchen Stunden war Phila Martius ganz sie selbst. Und am meisten am Sonntag Nachmittag, ihrer Weltflucht vor Berlin, ihrem Jour. Das war wie ein Spinnweb des Westens und sie die Arachne darin, die darauf lauerte, daß keine durchreisende Berühmtheit ihrem Netz entging. Zierlich, in schillernder Seide, wie ein aufgeregtes Meißener Rokokopüppchen, rauschte sie den Gang entlang und streckte den dunkeln, klassischen Kinderkopf durch den Türspalt.

»Wo steckst Du denn, Inge? Vorn ist schon Alles voll Leute!«

»Ach, ich hab' keine Lust!«

»Warum bist Du denn dann eigentlich nach Berlin gekommen?«

»Ich weiß selber nicht. Am liebsten möcht' ich wieder heim!«

»Was hast Du denn nur?«

»Nichts!«

»Na – komm' nur schon!«

»Warum drängst Du denn so?«

»Ich hab' meine Gründe! Los!«

»Unter einer Bedingung . . .«

»Gott – was bist Du umständlich . . . Also?«

»Wenn Isebrink Euch vielleicht in diesen Tagen seinen Abschiedsbesuch machen sollte, dann sag' ihm nicht gleich, daß ich da bin . . .«

»Was?«

»Ich will erst klar mit mir sein . . . Ich möchte erst überlegen . . . Ich möchte nicht überrumpelt werden!«

»Aber Inge!«

»Nein! Nein!«

»Donnerwetter!« sagte die kleine Frau und biß sich auf die Lippen. Es war ein bei ihr ganz ungewohnter Naturlaut.

»Also, versprich es mir, Phila! Was machst Du denn für ein sophistisches Gesicht . . .?«

»Ach gar nicht! Gut, wenn ich ihn von jetzt ab wiederseh', sag ich ihm kein Wort!«

»Also dann in Gottesnamen!« sagte Inge und folgte der Schwester. Im Studio, im Eßsaal, im Musikzimmer, im Flur sogar wimmelte es von Menschen. Eine einzige Uniform darunter. Einsam am Fenster. Das Erste, was sie sah, war Paul Isebrink. Er betrachtete das Treiben um sich mit einem nachsichtigen Lächeln, wie ein Menageriebesucher die Affensprünge und das Kakadugeflatter.

»Aber Phila!« sagte Inge Tillesen empört und machte auf der Schwelle Halt.

»Ach, nun bist Du mal hier! Er wird Dich schon nicht beißen!«

»Pst! Pst!«

Bitte um Stille ringsum. Lebauld de Temple, der Pariser Conférencier, sprach mitten im Zimmer, lässig im Stehen an einen Armstuhl gelehnt, in schallendem, scharf die Endsilben betonenden Französisch, über das Wesen der Eleganz. Als der Beifall am Schluß die andächtige Stille unterbrach, kam Isebrink auf die beiden Schwestern zu. Er war vergnügt wie ein Schuljunge und gab Inge, als sei nichts geschehen, die Hand.

»Ein toller Komiker – nicht? An dem Kerl ist alles zu lang! Die Haare, die Rockschöße – der Kragen . . . Haben Sie nicht 'ne Scheere, gnädige Frau?«

»Ist das der Dank, daß ich Sie eingeladen hab'?«

Isebrink lachte nur, mit einem warmen und glücklichen Schein in den Augen, der seine innere Aufregung verriet. Inge dachte sich: Er muß ja glauben, daß ich ihn hab rufen lassen. Ihre Züge wurden unwillkürlich hart. Ihre Schwester entsann sich plötzlich ihrer Gastgeberpflichten, entschlüpfte den Beiden, tauchte drüben wieder auf, breitete strahlend die Arme aus.

»Eccolo! . . . In fine! . . . Sia il benvenuto, maëstro! . . . Signore e Signori – mi permette de presentarle il compositore dell' opera ›Truffatori‹!«

Sie war stolz auf die Reinheit ihrer Aussprache nach dem Volkswort: Lingua Toscana in bocca Romana. Toskanerzunge in Römermund. Der Komponist der ›Gauner‹ lächelte herablassend. Alle Laster Neapels wohnten auf seinem blaurasierten Mittelmeergesicht. Er winkte gönnerhaft mit der großen, weißen, reichberingten Frauenhand einigen Bekannten zu.

»So toll war's hier noch nie!« sagte Paul Isebrink und lachte. Alles stimmte ihn heiter. Er und Inge standen jetzt allein. Nun wurde seine Stimme leise, weich, von einem halb fragenden Jubel belebt.

»Na Inge . . .«

»Was denn?«

Es klang schroff, abweisend. Die erste Entfremdung kam zwischen sie.

»Ich bin Ihnen so dankbar! . . .«

»Warum?«

». . . daß Sie hier sind!«

Und in ihr nur die eine Angst: Er soll nur nicht glauben, daß ich ihm nachgereist bin!

»Ich bin schweren Herzens neulich aus Wiesbaden weg. Nun bin ich doppelt froh!«

Keine Antwort. Sie sagte sich: Nur das nicht! Nur das nicht, daß er sich einbildet, ich lauf ihm nach!

»Wie lange bleiben Sie denn hier?«

»Bis morgen früh!«

Die kurze Zeit machte ihn stutzig. Unruhe erschien auf seinem Gesicht. Sie sagte knapp:

»Ich hatte hier etwas für den Vater zu besorgen!«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Pst! Pst!«

Stimmen mahnten zur Ruhe. Mialkowitsch, der serbische Geigerkönig, äußerlich einem dicken Zigeuner-Primas ähnlich, strich die Saiten seiner Violine. Miß Cooper, eine Amerikanerin vom Charlottenburger Musik-Konservatorium, sang dazu mit englischer Betonung. Frau Mialkowitsch spielte das Klavier. Isebrink wartete stirnrunzelnd und ungeduldig das Ende ab. Noch im Beifallgeklatsch wandte er sich, viel schroffer als bisher, an Inge.

»Sie sind nicht gekommen, damit wir uns noch einmal sehen?«

Ein Schweigen.

»Sie haben mir nichts mehr zu sagen?«

»Wir haben uns doch, weiß Gott, ausgesprochen!«

»Warum haben Sie mich denn dann eigentlich herzitiert?«

»Da fragen Sie bitte meine Schwester! Ich hab nichts davon gewußt.«

Er suchte mit zornigen Augen nach ihr, hörte neben sich ein serbisches Gespräch und sagte dem Ehepaar Mialkowitsch plötzlich halblaut ein paar russische Worte. Der Geigerkönig wurde blutrot. Seine Frau blaß. Beide packten eilig ihre Noten zusammen. Die Frau des Hauses schoß erschrocken heran und faltete flehend die Hände.

»Eine Zugabe, Meister! Bitte! Bitte!«

»Aber nicht die, von der Sie eben zu Ihrer Frau Gemahlin auf Serbisch meinten, sie sei für die Schwaben noch lange gut genug!« sagte Paul Isebrink. Ein peinliches Schweigen entstand. Frau Phila Martius war nervös über die Störung.

»Oh . . . Aber . . . Aber so 'was straft man doch am Besten durch Nichtachtung, Herr Hauptmann . . .«

»Warum denn? . . .«

Frau Phila Martius war empört. Mit ihrem Jour verstand sie keinen Spaß. Dies kleine, kunstvoll gepflegte Gärtchen des Geistes sollte man ihr nicht mit Nagelschuhen betreten. Sie hob sich kampflustig auf den Fußspitzen und sagte gedämpft:

»Bitte . . . nehmen Sie doch ein bischen mehr Rücksicht! . . . Die ersten Geister des Auslands . . .«

»Warum kommen denn die alle zu uns? Offenbar, weil sich daheim kein Kuckuck um sie kümmert!«

Darauf wußte Frau Phila nicht gleich eine Antwort. Sie wehte sich erbittert mit ihrer seidenen Pezzuola Kühlung zu.

»Und warum kommen Sie, wenn Sie hier nur Unfrieden stiften?«

». . . weil Sie mich hierherbefohlen haben, meine gnädigste Frau . . . Ich weiß auch nicht, weshalb.«

Nun hatte er die schneidende Höflichkeit des Exerzierplatzes. Inge war hinter ihnen in das blaue Nebenzimmer getreten und sagte ruhig:

»Also, Phila. Du hast eine Dummheit gemacht! – Und nun schau, daß Du zu den Gästen kommst! Sonst geht Dir Dein maëstro durch die Lappen!«

Die kleine Frau stürzte in das Studio. Zu spät. Der Göttliche hatte gefunden, daß man sich zu wenig um ihn kümmerte, und sich ohne Abschied empfohlen. Auch die Serben waren verschwunden. Die Yankeemiß. Der Salon wies klaffende Lücken wie von einer Schlacht. Ein fremder, umheimlicher Geist war durch ihn gegangen. Ein preußischer Geist, hart, spröde, scharf. Er stand nebenan in Offiziersuniform.

»Meine Geduld ist zu Ende, Inge!«

»Ich will ja auch keinen Anfang wieder!«

»So spielt man nicht mit mir!«

»Mir ist's auch Ernst!«

»Ich gehe jetzt in türkische Dienste und mache einen Strich unter Alles! Ich hab' es gründlich satt!«

»Ich muß mich endlich auch ganz frei machen. Man verliert seine Jahre!«

»Also leben Sie wohl!«

»Leben Sie wohl!«

Im Studio war noch eine einzige lachende Gruppe um Christian Hansen, den nordischen Karikaturisten. Er zeigte schmunzelnd seine Mappe. Eben ein Blatt: Deutschland und Frankreich sich als Nachbarinnen über den Zaun küssend. Marianne mit der phrygischen Mütze hielt dabei kokett die Hände auf dem Rücken. Sie war schlank und zierlich und trug niedliche Schühchen. Germania in Panzer und Helm war semmelblond mit dicken Backen, gleich einer plumpen Magd. Isebrink sah es im Vorübergehen. Er machte Halt und frug den Ausländer:

»Leben Sie in Deutschland?«

»Gewiß!«

»Schon lange?«

»Sieben Jahre!«

»Na – einmal wird auch unsere Geduld reißen!« sagte der Hauptmann und ging. Hinter ihm war es still. Alle sahen sich an. Diese Art Deutschland kannten sie nicht.


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