Rudolph Stratz
Das deutsche Wunder
Rudolph Stratz

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Vorwort.

Darf der Dichter die Gegenwart schildern? Das, was erst anderthalb oder zwei Jahre hinter uns liegt und noch bis in die Zeit des großen Kriegs hineinreicht?

Oder soll man dem Ruf der Kunstrichter trauen: Nein! Die Zeit ist noch zu nah. Zu groß. Ihr habt zu schweigen.

Geschwiegen haben wir Alle bisher von selbst! Vom Tage des Kriegsausbruchs ab hat wohl Jeder die Feder aus der Hand gelegt. Manche Schriftsteller kämpften im Felde. Anderen war es vergönnt, als Johanniter, Krankenpfleger, Automobilisten, Kriegsberichterstatter, überhaupt eben als zeitweilig zur Front zugelassen, in West und Ost das ungeheure Schauspiel des ungeheuersten Kriegs aller Völker und Zeiten in sich aufzunehmen. Zu den Letzteren gehörte auch ich.

Und daheim sah Jeder von uns das zweite, nicht minder riesige Bild: die zweite deutsche Front, die Front der Frauen und der Gelehrten, der Arbeiter und der Sparer.

Und draußen sehen wir den Feind: die schamloseste Lüge der Weltgeschichte, die England, den schamlosesten Verrat der Weltgeschichte, der Italien, die schamloseste Mordbrennerei, die Rußland, die satanische Wut, die Frankreich heißt. Wir sehen den Deutschen vogelfrei fast auf dem ganzen Erdball, wir hörten von dem Massenhungertod, der an dem größten Kulturvolk der Welt das Schlächterwerk des Senegalnegers vollenden sollte. Uns würgte der Ekel an der Menschheit, von dem nur der Gedanke an Deutschland uns in heiligem Grimm befreite.

Und von alledem sollen wir schweigen?

»Oh nein!« sagt der kritische Germanist. »Nur laßt Euch Zeit! Distanz! Distanz! In fünf Jahren – oder in zehn – oder in dreißig – je nachdem – da wird der Abstand von den Dingen und Leidenschaften groß genug sein, um ein gereiftes Kunstwerk zu schaffen!«

Ja, zum Donnerwetter, ist denn Abgeklärtheit allein der Zweck der Kunst? Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe nichts? Das, was wir jetzt Alle mit allen Fibern unserer Seele im Brausen der Völkerdämmerung und Weltenwende in uns erleben, was draußen mit tausend feurigen Jungen auf den Schlachtfeldern redet und daheim von tausend Kirchturmglocken läutet? Das, woran Jeder denkt, wofür Jeder atmet, wovon Jeder spricht: Nur der Dichter nicht?

Aber nehmen wir an: der Kunstrichter hätte Recht: Was sollen wir nun in dieser Zwischenzeit bis zum richtigen literarischen Abstand tun?

»Inzwischen? Mein Gott – sehr einfach: Wählt Eure Stoffe aus der Zeit vor dem Krieg wie bisher!«

Die Zeit vor dem Krieg? Wann war das eigentlich? Man reibt sich die Augen: Es kommt Einem wie ein Jahrhundert vor. Es ist eigentlich gleich, wie lange es her war. Es ist ja Alles so anders geworden. So neu. So gewaltig. Die Menschen jenseits des deutschen Jungbrunnens vom 4. August – das sind nicht mehr wir! Wir sind weit über sie hinaus . . .

Mit anderen Worten: Wer die Zeit bis vor dem Jahr 1914 beschreibt, der schreibt einen historischen Roman. Historische Romane sind nicht Jedermanns Sache, zumal jetzt, wo vor Aller Augen die Historie selber mit Donnerschritt über die Erde geht.

Also kommen wir wieder auf die Gegenwart zurück! In scheuer und zögernder Ehrfurcht steht der Schriftsteller vor dem jedes Menschenmaß des Auges und Geistes übersteigenden Rundbild des flammenden Erdballs und sagt sich, wenn er versuchen will, ein Stück auf's Bild zu bannen, von vornherein:

»Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis!«

Ja gewiß: Unzulänglich, Stückwerk wird Alles sein, was der, der Zeit und Krieg sehend miterlebte, jetzt schon gestalten kann. Er kann nichts tun, als eben aus sich heraus sein Bestes zu geben. Er muß versuchen, aus seinem Wesen, seiner Weltanschauung, seinen Eindrücken den Beobachtungswinkel zu gewinnen, wo sich ihm, durch einen Strahl von oben, die Welt draußen so deutlich widerspiegelt wie die feindliche Stellung im Scheren-Fernrohr.

Die feindliche Stellung – das ist es, von der ich ausgehen möchte. Ich meine damit nicht den Krieg selbst. Von ihm und seinen Einzelheiten darf jetzt aus naheliegenden Gründen noch nicht viel gesagt werden. Und ist es späterhin militärisch möglich, so bleibt es ein selbstverständliches Vorrecht derer, die ihn kämpfend miterlebten. So liegt über meinem hier folgenden Werk der Krieg mehr als Stimmung denn als Geschehnis.

Aber ein Anderes glaubte ich, jetzt schon schildern zu dürfen. Gerade jetzt. Das, was vor uns Allen noch, inmitten aller Siege, als ein unheimliches Rätsel steht: Wie kam es, daß auf einmal gegen uns der Haß eines Irrenhauses über die ganze Erde aufflackerte? Wie kam es, daß hysterische Lüge die Druckerschwärze der fünf Weltteile in schwarzen Eiter verwandelte? Daß russische Große ihre Ehrenwörter gegen uns wie Zahnstocher zerknickten? Daß ein Bandit nackt, mit dem Dolch in der Faust, hervortrat und sich mit pathologischem Grinsen als der Verbündete jenseits der Alpen vorstellte? Daß Japanese und Bur einträchtig wie ein paar Schlächterhunde Deutschland an die Gurgel sprangen? Daß die schwarze, weiße, braune und gelbe Menschheit sich vor unsern Augen wie berauscht in einem Kotmeer von Eidbruch, Verrat, Niedertracht und Blutdurst wälzte?

Zu unsern Feinden will ich den Leser führen, ihre Pläne belauschen, ihren Zusammenkünften beiwohnen, bei denen überall wie Bankos Geist der Schatten Eduards VII. unter den Verschwörern sitzt. Aus seinem Geist, aus der Geistesverfassung – oder Geistesverwirrung – unserer Gegner allein läßt sich der Ursprung und rächende Verlauf des Weltkriegs erklären. Den wir nicht wollten. In dem wir siegen. Den unsere Feinde bereuen werden. Dessen sich – uns und unsere Bundesgenossen ausgenommen – die Menschheit noch nach Jahrhunderten schämen wird.

Unsere Feinde! Ich glaube, sie, nach dem Lauf meines Lebens, besser zu kennen als Andere. Ich kenne Rußland vom Eismeer bis zur Krim. Ich kenne Frankreich aus mannigfachen Beziehungen. Ich kenne ebenso England. Ich habe mit immer wachsender Sorge in dem letzten Jahrzehnt in London und Paris, in Belgrad und Moskau, in Brüssel und Rom, in Kairo und Cettinje die Unterwelt gegen unser arbeit- und festfrohes Deutschland emporsteigen sehen.

Ein garstig Lied – pfui – ein politisch Lied!

Ja, schön im alten Sinn friedlicher Gesittung ist die Welt augenblicklich nicht. Daran sind wir Deutsche nicht schuld. Und doch ist sie schön, hinreißend schön, denn sie ist groß!

Groß wie noch nie! Und Größe tat uns in Deutschland not. Größe! Größe! Wir haben seit Jahren nach Größe gelechzt, ohne es zu wissen. Nicht nach Größe des Kriegs, aber nach Größe der Menschen und Dinge, in unserem innerpolitischen Kleinkampf, in unserer liebevoll alles Kranke und Schwache hätschelnden Kunst, in unserem uns selbst schon unbehaglichen Interesse für alle gleichgiltigen Entartungserscheinungen des Auslands. Deutschland braucht zu seiner Gesundheit Helden. Sie sind das Eisen in seinem Blut. Nun hat es Helden! Hat, über sie alle hinaus, einen einzigen Helden: sich selbst! Das erste und hehrste und älteste Vorrecht des Dichters ist es, den Helden zu besingen. So sei es mir vergönnt, so gut ich es eben vermag, von Deutschland zu sagen und wie es, als ein Wunder vor sich selbst und mehr noch vor seinen Feinden, im Kampf gegen die Menschheit der Menschheit Würde wahrte.


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