Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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15.

Das kleine bescheidene Dachstübchen des Abbé Bertault war für Roger von St. Romain und Elisabeth von Tarneau zum heiligen Tempel der Liebe geworden, der harmlose alte Dichter zum Priester darin. Unter seinem frommen Schutze waren ihre Herzen üppig aufgegangen, wie zwei Rosen an einem Strauche, und mit seiner Genesung erfüllte ihn die Ueberzeugung, daß zu seiner fernern Seelengesundheit Elisabeths erhebender Umgang, daß zu seinem höchsten Glück der Besitz ihrer Hand gehöre. Es war sehr natürlich, daß er den Tempel seiner Liebe oft noch besuchte, nachdem er als ein Gesunder schon daraus entlassen 152 war, und daß sich Elisabeth ebenfalls dort einfand, um den verschwiegenen Gottesdienst mit ihm zu begehen. Glückliche Abende waren über ihnen hingeflogen mit glänzenden Sternen, die ihnen oft als freundliche Lichter und billigende Zuschauer ins hohe Fenster genickt, und man hatte von keiner Seite daran gedacht, daß dieser glückselige Zustand enden würde. Sei es nun, daß die Mutter etwas gemerkt und sich hinter den Vater gesteckt, oder daß diesem selbst eine bedeutende Verändrung in Elisabeths Wesen und ihre häufigen Besuche beim Abbé aufgefallen waren, genug er verbot ihr mit gewohnter Strenge alles Ausgehen, und als Demoiselle Poupard sich die Bemerkung erlaubte, sie hoffe doch, daß Alison in ihrer Gesellschaft das Haus verlassen dürfe, mußte sie den Schmerz erleben, aus Herrn von Tarneau's Munde die härtesten Worte zu hören, worin er ihr rund heraus sagte, daß er ihr nicht traue und sich genöthigt sehe, sich nach einer Gouvernante für sein Kind umzusehen. Das war zu arg für Margoton; sie konnte sich nicht wieder zufrieden geben, und um allen Argwohn – der nur allzu 153 begründet war – von sich zu entfernen, ging sie lieber selbst nicht mehr aus und vernachlässigte eine ganze Woche lang ihren vieljährigen Freund, der an ihren wie an der Muse Umgang und Sorge so sehr gewöhnt war. In dieser trübseligen Stimmung war Allen ein unerwarteter Besuch recht gelegen. Nannon kam von Meaux und brachte Briefe von ihrem Vater an den Parlamentsadvocaten, die zum ersten Mal seit des Prinzen Condé Flucht aus Paris die trüben Wolken von seiner Stirne scheuchten, die sich seit jener unglücklichen Zeit darauf festgesetzt und eingewohnt hatten. Nannon hatte ihre frohe Laune von sonst wieder; bald verkehrte sie in heimlichen Gesprächen mit Herrn von Tarneau, so daß man hätte glauben können, sie suche ihm die verliebten Thorheiten auszureden, die er ihr in allerlei wunderlichen Zumuthungen offenbart hätte; bald hatte sie sich stundenlang mit Elisabeth eingeschlossen, und es war sonnenklar, daß sie die Vertraute des schwärmerisch-liebenden Mädchens geworden war, bald plauderte sie mit Frau von Tarneau und entwarf Plane mit ihr – oder belobte vielmehr die von 154 jener bereits entworfenen – wie man den König für Condé gewinnen und dem Letztern Vaterland, Ehre und Einfluß wieder verschaffen könne; es schien, als ob Madame mit ihrem Hauptplane hervorgerückt und Nannon ebenfalls zu ihrer Vertrauten gemacht habe. Selbst Margoton hatte sich wieder mit dem lebensfrohen Mädchen ausgesöhnt und hegte im Stillen Hoffnung, daß sie doch noch ihres Benoit Frau werden könnte; war sie ja doch nicht eheliche Frucht des Marquis und ihre Mutter eine Pachterstochter gewesen. Deshalb plauderte auch die Haushälterin oft und vertraulich mit dem lieben Gaste.

Auch ihrem alten Freunde, dem Abbé Bertault machte Nannon einen Besuch, um ihm die Grüße ihres Pflegevaters zu bringen. Der freundliche Poet leitete die Unterhaltung bald auf Elisabeths und St. Romains Liebe, und erzählte ihr, wie sich der edle Jüngling abhärme, sie nicht mehr zu sprechen. »Er ist ohne Hoffnung, sie je besitzen zu dürfen,« sprach der Abbé, »denn erstlich wird Frau von Tarneau ihre Tochter niemals einem andern Manne geben, als einem getreuen 155 Anhänger Condé's, und ihr ehrenwerther Gatte wird ihr, wie in Allem, beistimmen. Aber selbst wenn St. Romain zur Condéischen Partei gehörte, würde man ihm Elisabeths Hand dennoch verweigern, weil er mit ihrem Vater in Feindschaft lebt, und der Herr Marquis gilt – das weiß ich aus den besten Quellen – bei Herrn und Frau von Tarneau Alles. Man wird dem Feinde des Hausfreundes nicht die geliebte Tochter geben.«

»Gewiß,« entgegnete Nannon. »Aber den beiden Liebesleuten muß geholfen werden, und ich baue zugleich meinen Plan darauf, St. Romain mit seinem Stiefvater zu versöhnen. Verschaffen Sie mir Gelegenheit St. Romain zu sprechen.«

»Er kommt täglich zu mir und wird Ihnen gern für ein Glück durch Nachgeben und Versöhnlichkeit danken, nach dessen Besitze er sich vergeblich gesehnt hat.«

»Bestellen Sie ihn auf morgen Abend und sagen ihm, daß ich ihn selbst zu Elisabeth führen will, die seiner sehnsüchtig harrt. Doch soll er alle Abzeichen seines Standes von sich thun, und in der Kleidung eines gemeinen Mannes kommen, 156 damit wir uns, wenn wir überrascht werden, mit Wahrscheinlichkeit herauslügen können.«

»Er wird gewiß nach Ihrem Wunsche erscheinen. Und nun, nachdem wir Andrer Angelegenheit besprochen, lassen Sie uns auch an unsre eignen denken. Sie wissen, daß es stets mein innigster Wunsch war, Sie einst als Benoits Weibchen zu umarmen. Sie wissen ja auch, wie nah er mich angeht. Wie rasend Sie der Junge liebt, können Sie von den dummen Streichen abnehmen, die er aus Eifersucht begangen hat. Ihr hattet Euch einander auch wieder genähert, ich lebte der Hoffnung, daß Alles noch gut gehen werde, da steht Ihr Euch plötzlich wieder fern und fremd.«

»Ich soll ihm doch nicht entgegenkommen?«

»Der arme Junge ist zurückgescheucht durch Ihre Standeserhöhung. Wie darf er sich der Tochter des Marquis von la Boulage mit einer Liebeswerbung nahen? Dieser Umstand hat all seine Hoffnungen vernichtet.«

»Meine Mutter war die Tochter des Pachters Berger auf meines Vaters Gut und hieß Anna Berger, und ihren Namen führe ich bis jetzt. Der 157 Marquis hat mich öffentlich anerkennen und zu seinem Stande emporheben wollen. Ich habe es bis jetzt zu hintertreiben gesucht. Rathen Sie ein Mal warum?«

»Wie? Diese Großmuth wäre ja der schönste Hoffnungsstern für meinen Benoit! Sie lieben ihn und wollen ihm ein so großes Opfer bringen?«

»Ich bin es ihm schuldig. Von Madame Debarques und meiner kindischen Eitelkeit verführt, hab ich mich ein Mal vergessen und Benoit zur Verzweiflung gebracht. Ich habe dafür gebüßt, er nicht minder für seine Tollheit. Wie sehr ich ihn liebe, bin ich erst später inne geworden. Auch passen wir wegen des Makels unsrer Geburt zusammen. Und endlich, so sehr ich auch meinem Vater ergeben bin, dies stille, steife Leben ist mir unerträglich. Ich muß wieder auf die Bühne; es läßt mir keine Ruhe.«

»Laß Dich umarmen, meine geliebte Tochter!« rief der Abbé entzückt. »Ja, Dich hat die Kunst geweiht, und wem sie das Auge aufgeküßt, das innre heilige Wesen ihrer Gebilde zu erkennen, der 158 taugt nicht mehr für das Alltagsleben sich gleichbleibender Wirklichkeit. Du und Benoit, Ihr seid zur Kunst berufen. Euer Leben darf ihr nur gehören.«

 


 


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