Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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8.

Condé's Charakterunbeständigkeit, die er mit fast allen seinen Zeitgenossen theilte, ließ ihn zu Unterhandlungen mit einem in der Irre herumschweifenden Hofe sich wenden, und wie er dadurch gar nichts gewinnen konnte, so verlor er vielmehr Alles, die Liebe des Pariser Volks, das zu allen Zeiten eben so schnell erkaltet, als erglüht ist, und den günstigen Zeitpunkt, die Partei der Königin gänzlich in die Enge zu treiben und dadurch Mazarin für immer aus Frankreich zu entfernen. Er würde wahrscheinlich auch mit dem einen für ihn 90 sehr dürftigen Resultate dieser Unterhandlungen sich begnügt, und dem ihm so feindseligen Cardinal die Hand wieder zur Versöhnung geboten haben, wenn ihn die Prinzessin von Montpensier nicht auf alle Weise zur Fortsetzung des Kriegs gestachelt hätte; denn ihr Rachedurst hatte kaum erst einige Tropfen geschmeckt, und sie wollte ja in vollen Strömen Befriedigung schlürfen.

Das königliche Heer hatte sich unter Türenne sehr gestärkt und die Armee des Prinzen bei Etampes geschlagen. Aus großer Bedrängniß, in welche es Türenne durch die Belagerung von Etampes, wohin es sich geworfen, gebracht, durch das Heer des Herzogs von Lothringen befreit, der übrigens vom Cardinal besser bezahlt als von Condé, bald wieder abzog, sah das Heer des Prinzen den Weg nach Paris kaum frei, als es denselben in aller Schnelle einschlug. Die Prinzessin von Montpensier war selbst im Lager gewesen und hatte die Generäle zu diesem Zuge bewegt; Condé verließ Paris, eilte zu seinen Truppen, die er klüger nie hätte verlassen sollen, und führte sie glücklich nach St. Cloud. Dort stand er bis zu Ende des Juni 91 in einer ziemlich sichern Stellung, obgleich ihm oft der Mangel drohete. Endlich, als sich das königliche Heer ihm immer drohender zeigte, gab er die Hoffnung auf, vortheilhafte Friedensbedingungen zu erlangen, und hatte auch keine, von den Parisern unterstützt zu werden. Er war bei aller Tapferkeit dennoch Mazarins Schlauheit unterlegen, der ihn mit den Unterhandlungen nur hingehalten hatte, um ihn dem Parlamente und der ohnedies in ihren Ansichten gar sehr getheilten Bevölkerung von Paris verdächtig zu machen; seine üppige Unthätigkeit in der Hauptstadt fern von seinem Heere und der gewaltthätige Uebermuth seiner Freunde vollendeten des Cardinals Werk, und zu spät sah Condé ein, daß er allein stehe, und sich nur auf seinen Degen zu verlassen habe. Dazu war er auf zwei Seiten von den königlichen Truppen bedrängt, Paris verschloß ihm die Thore, und ihm blieb nur ein einziger rettender Ausweg übrig, der nach Charenton. Er beschloß mit seinem zusammengeschmolzenen Heere dahin zu fliehen. Aber kaum hatte er sich in Marsch gesetzt, so rückte ihm Türenne eilig nach und erreichte ihn bei der Pariser 92 Vorstadt St. Martin. Charenton zu erreichen war für Condé nun nicht mehr möglich; er warf sich also in die Vorstadt St. Antoine, wo er zu seinem Glücke einige Verschanzungen vorfand, die die Pariser vor Kurzem errichtet, um sich vor der Plündrung der Soldaten des Herzogs von Lothringen zu sichern. Der Rath von Paris verweigerte ihm, sein Geschütz durch die Stadt passiren zu lassen, und er mußte dasselbe an dem Graben zwischen der Stadt und der Vorstadt aufstellen. Die Verzweiflung gab ihm Muth, er versperrte die drei Hauptstraßen der Vorstadt, die auf das Thor laufen, mit Barrikaden, besetzte die Häuser mit Musketiren, und setzte sich in den möglichst besten Vertheidigungszustand.

Der Hof war der königlichen Armee gefolgt und ging jetzt der Heeresabtheilung des Marschall Türenne auf dem Fuße nach. Der Cardinal war eben so wohl von der schlimmen Lage unterrichtet, in welcher sich Condé befand, als auch von der Absicht der Pariser, ihm die Thore nicht zu öffnen. Mazarin hatte nämlich durch seine Anhänger dort aussprengen lassen, Condé habe bereits 93 mit dem Hofe Frieden geschlossen, und stellte sich nur zur Schlacht, um den Bürgern weiß zu machen, er sei noch von den alten redlichen Gesinnungen gegen sie erfüllt; das Ganze sei aber nichts als eine Spiegelfechterei, ein Comödienspiel. Unglücklicher Weise hatte des Prinzen Benehmen in der letzten Zeit alle Veranlassung gegeben, diese Gerüchte für wahr zu halten. Während nun auf der einen Seite die Bürger sehr zahlreich auf den Boulevards und an den Brustwehren der verschloßnen Thore sich einfanden, um sich an der Comödie zu ergötzen, die man ihrer Leichtgläubigkeit geben wolle, und deren Schein und Grund sie mit ihrer Pfiffigkeit durchschaut zu haben glaubten, führte der Cardinal die Königin Mutter und den jungen König auf die Anhöhe von Charonne, um sie und sich von hier aus an Condé's Untergange zu laben. Der ganze Hof stand auf dem Berge und sah mit neugierigen triumphirenden Blicken auf die Vorstadt St. Antoine herab, wo die Armee des Prinzen, zwei Mal schwächer als die königliche, und mit ihr der Geist des Aufruhrs und der Widersetzlichkeit, vernichtet werden sollte. Türenne 94 griff Condé an, zog sich aber zurück, als er gewahrte, wie gut sich der Prinz verschanzt hatte, um die Ankunft des Marschalls la Ferté abzuwarten, der ihm eine bedeutende Verstärkung zuführte. Dieser sollte in zwei Abtheilungen, rechts vom Faubourg du Temple und links von der Seine her dem Prinzen in die Seiten fallen, während ihn Türenne von vorn angriff. Die Ausführung dieses Plans hätte Condé ohne Zweifel zu Grunde gerichtet. Der Cardinal konnte aber in der Freude seines Herzens la Ferté's Ankunft nicht erwarten und schickte Türenne den Befehl zu, unverzüglich anzugreifen. Der Marschall gehorchte, und auf drei Punkten begann ein hartnäckiges Gefecht. Dieser Kampf ist wegen der unerhörten Tapferkeit, mit welcher auf beiden Seiten geschlagen wurde, Franzosen gegen Franzosen, einzig in der Geschichte dieses Landes. Frankreichs unsterbliche Kriegshelden Condé und Türenne standen sich gegenüber, oft nur auf Pistolenschußweite, beides junge feurige Männer mit großen Gaben ausgerüstet, und unter ihnen tapfere Soldaten, tüchtige Offiziere, wie unter Condé die Herzöge von Nemours, 95 Beaufort, Rochefoucault, der Prinz von Marsillac, der Marquis Tavannes, unter Türenne der Marquis von St. Maigrin, der Marquis von Navailles und Andre.

Unter den Häusern, welche Condé stark mit Soldaten besetzt hatte, war eins der ersten das Theater der Vorstadt St. Antoine, welches nicht weit von der Abtei gleiches Namens, jedoch auf der andern Seite der Straße lag. Türenne drang unter dem furchtbarsten Feuer in die Straße, Condé warf ihn zurück. Hunderte der Königlichen stürzten und färbten den Staub der Vorstadt mit ihrem Blute. Der tapfre Marschall ließ sich nicht abschrecken, er führte neue Schaaren heran. Eh' er zum zweiten Male vordrang, ließ ihm St. Maigrin, der in der Straße Charonne dem Marschall Tavannes gegenüber stand, melden, er werde jetzt einen Hauptangriff thun, und einer seiner Offiziere durch einen Schlupfwinkel dem Prinzen in der Straße des Faubourg St. Antoine in den Rücken zu kommen suchen. Türenne verzögerte also seinen neuen Angriff so lange, bis er hörte, St. Maigrin sei siegreich vorgedrungen. Dieser 96 Tapfre war ungefähr durch die Hälfte der Straße Charonne gerückt, als sich ein Theil seines Haufens, der jedoch von zahlreich nachrückenden Truppen sogleich wieder ersetzt wurde, links durch eine Seitenstraße schlug. Der Führer war ein junger Offizier, und dieser wurde wieder von einem schier noch jüngern Soldaten geleitet. Vor einer Pforte, die in einer ziemlich hohen Mauer war, machten sie Halt. »Diese verschloßne Thür müssen wir aufbrechen,« sagte der junge Soldat. »Durch sie geht unser Weg.«

»Bist Du Deiner Sache auch gewiß, Poupard?« fragte der Offizier.

»O mein Herr von St. Romain,« versetzte der Soldat, »hier kenn' ich jeden Tritt und Schritt. Hier hab' ich als Schauspieler manches Abenteuer bestanden.«

Die Thür sprang von den Kolbenstößen der Soldaten, die nun in einen jener weitläufigen Gärten traten, wie man sie vorzüglich in dieser Vorstadt findet. Poupard an der Spitze, durchschnitten sie quer das Terrain, bis sie durch eine zweite Thür, die leichter zu eröffnen war, in ein Gehöft 97 traten. Ein Theil des Spaliers, das dasselbe theilte, war bald niedergerissen, ein vorspringendes niedriges schlechtgehaltenes Dach bot eine elende Bretterthür. Auch sie wich der Gewalt und Poupard schritt einer finstern Treppe hinab. Einer gab dem andern die Hand. So ging's eine zeitlang im Dunkeln fort durch verschiedene Gänge, dann wieder treppauf. Poupard horchte. Behutsam hob er eine Fallthüre auf, die er von unten zu entriegeln verstand, und vorsichtig stieg der Haufe heraus. Sie befanden sich auf der vom Tagesschein nur matt erhellten Bühne; der Vorhang war herabgelassen und Poupard lauschte hinter demselben hervor. »Wenn ich nicht irre,« sagte er zu St. Romain, »so ist das Vorderhaus besetzt. Ich will zusehen.«

Leise schlich er ins Parterre hinab, drückte sich an den Wänden hin, kroch auf allen Vieren und kehrte bald mit der Meldung zurück, daß Hausflur und Gallerien nach der Straße voll bewaffneter Soldaten seien, die aber gewiß nichts weniger als einen Angriff von hinten erwarteten. Er machte dem Offizier den Vorschlag, sobald sich der 98 Marschall in der Straße nähere, die Condéischen im Hause von hinten nieder zu machen, ihre Posten einzunehmen, und nach Befinden der Umstände entweder aus den Fenstern auf Condé Feuer zu geben, oder ihm in Rücken zu fallen. Um die Ereignisse auf der Straße beobachten zu können, kletterte Poupard auf den obersten Schnürboden, wo er durch eine Dachluke einen langen Strich der Straße übersehen konnte. Ein Bretterverschlag, hinter welchem man sonst alte Requisitenstücke aufzubewahren gepflegt hatte, und der jetzt mit einem Prospect verhängt war, hielt ihn noch vom Fenster ab; er schob den Vorhang weg, drückte die Thüre zurück und war nicht wenig erstaunt, auf einem dürftigen Lager, das aus Theaterlumpen zusammen gebaut war, einen, dem Anschein nach, kranken Menschen liegen zu sehen. Aber Schrecken erfaßte ihn, als er in diesem Menschen seinen ehemaligen Director, Herrn Debarques, erkannte, der ächzend und wimmernd die dürren Hände erhob und um sein Leben flehete.

»Mein Himmel, wie kommen Sie hierher?« rief der Soldat.

99 »Ach tödten Sie mich nicht! Rächen Sie sich nicht an mir, bester Herr Poupard!« weinte der kranke Mann. »Ich war ganz unschuldig an Ihrem Unglück; ich wollte immer, daß die Nannon Ihre Frau werden sollte, ich wußte nichts vom Prinzen Condé. Das Alles hat meine gottlose Frau gemacht, eigentlich war sie gar nicht meine Frau –« Eine donnernde Gewehrsalve auf der Straße verschlang seine Worte, einzelne Schüsse knatterten nach, aus den Fenstern des Hauses krachte es hinab, der Schlachtruf der Kämpfenden und das Geheul der Verwundeten durchschnitt die Luft und Benoit stürzte an das Fenster. Ein Blick auf die Straße, ein Paar Sätze über den Boden, schnell die wankende Steige hinab, und er war bei seinen Leuten. »Auf!« rief er. »Condé hat Türenne zurückgedrängt. Laßt uns angreifen!«

St. Romain commandirte, Poupard zog den Vorhang auf und in demselben Augenblicke prasselte ein Kugelregen mit Blitz und Donner auf die sorglosen Krieger Condé's. Mehre stürzten; aber nun entstand auch ein mörderischer Kampf in dem Hause der Musen, und was man hier oft nur 100 gespielt hatte, das ereignete sich jetzt in grausiger Wirklichkeit. Obgleich anfangs der Vortheil auf Seite der Königlichen war, so war es doch einem der Condéischen gelungen, auf die Straße zu entspringen und von dort Succurs herbei zu holen. Statt nun, wie es die Absicht St. Romains gewesen war, dem Prinzen in Rücken zu fallen, mußte er sich im Hause vertheidigen. Sobald Türenne draußen vorwärts drang, – und er hatte den Prinzen einmal bis zur Abtei zurückgetrieben – bekam St. Romains Haufe Luft, doch gelang es ihm nie, sich durchzuschlagen, und mit Türenne zu vereinigen; wenn aber Condé wieder siegreich vorwärtsschritt und die Königlichen aus der Straße warf, wurde St. Romain wieder auf die Bühne gedrängt, wo seine Leute hinter den Coulissen einen sichern Stand hatten. Schon lag das Haus voll Todter und Verwundeter; denn auf beiden Seiten waren viele gefallen, als St. Romain von einer Kugel getroffen an Poupards Seite stürzte. Dieser hatte seinen Offizier kaum fallen sehen, als er ihn faßte, und mit rüstiger Jugendkraft die dunkle Treppe hinauf auf den 101 Boden und in Debarques Versteck trug. Der an allen Gliedern zitternde Theaterdirector mußte dem Verwundeten Platz machen, und auf dem Bette untersuchte Poupard dessen Wunde. Die Kugel saß in der rechten Schulter, und schien nicht todtbringend zu sein. Der treue Soldat wusch sie mit Wasser und Wein aus, was der Director trippelnd herbeitrug, verband sie so gut er vermochte, und wollte dann wieder in den Kampf zurück. Als er hinab kam, fand er das Feld von Freund und Feind geräumt; er merkte, daß sich seine Kameraden, des Führers entbehrend, zurückgezogen, woher sie gekommen waren, und er eilte durch den dunkeln Gang nach. Eh er aber die Straße erreichte, hörte er von dort her aus wilden Ausrufungen, daß seine Kameraden gefangen, der Marquis von St. Maigrin erschossen, und die Königlichen auf allen drei Punkten aus der Vorstadt geworfen seien. Das wüste Geschrei der Sieger schreckte ihn in sein Versteck zurück, und nach wenigen Minuten hatte er das sichre Dachkämmerchen wieder erreicht, wo er die Zeit in Gesellschaft eines Verwundeten und eines Kranken bis 102 zum Abend oder einer sonstigen günstigen Zeit zuzubringen gedachte. Der Schlachtlärm verstummte allmälig in der Straße und Debarques Furcht wich einem weniger beängstigenden Gefühl, das ihm verstattete, auf Benoits dringende Frage, wie er hierher gekommen sei, zu antworten.

»An jenem unseligen Abend,« erzählte er, »als Sie uns so plötzlich verließen, ohne Ihre dankbare Rolle ausgespielt zu haben, begann mein Unglück. Die Prinzessin von Montpensier war wüthend und wollte mich nicht vor sich lassen, der ich doch an dem unerwarteten Ausgange des Stücks ganz unschuldig war, zu gleicher Zeit wurde mir gesteckt, es sei schon Befehl erlassen, mich festzunehmen, weil das Stück gegen die Königin und den Cardinal gerichtet sei, Nannon lag in ihrem Blute und man sagte mir, die Polizei sei auf dem Wege, um sich wegen dieses traurigen Vorfalls an mich zu halten. Das war zu viel auf ein Mal; ich floh mit meiner Frau noch in derselben Nacht aus Paris dem Norden zu, da im Süden und Westen der Krieg drohete. Nach langem Umherirren kamen wir nach Amiens, wo wir 103 ein Theater errichteten. Aber Madame ließ sich von einem der Schauspieler die Cour machen, und weil ich auf Nannon keine Pension mehr erhielt, so schickte sie mich ins Elend. Wo sollte ich armer alter Mann hin? Ich faßte den Entschluß, wieder nach Paris zu gehen, da ich vernommen hatte, Prinz Condé sei Herr in der Stadt, und ich habe von der Rache der Königin nichts zu befürchten. Ich wollte mein Glück noch ein Mal versuchen, ob ich nicht von der Prinzessin Montpensier oder dem Prinzen Condé dennoch eine kleine Pension erhalten werde, da diese beiden doch an meinem Unglück schuld waren. Ich schleppte mich zu Fuße hierher, und meldete mich bei der Prinzessin. O Gott! da ging mir ein Glücksstern auf. Die erste Zofe, die mir entgegentritt, ist – meine Nannon. Ich denke, es ist ihr Geist –«

»Nannon lebt noch!« fuhr Benoit empor.

»Sie lebt und befindet sich wohl, ist im Dienst der Prinzessin Montpensier und mein Rettungsengel geworden.«

»Gottlob!« rief Poupard und ein tiefer Seufzer löste sich von seiner Brust.

104 »Sie hatte lange darnieder gelegen, nun war sie vollkommen gesund. Das gute edle Kind ersuchte mich, mich nur einige Tage zu verstecken, indem ich vor der wieder mächtiger gewordnen Partei der Königin und des Cardinals nicht ganz sicher sei, bis sie mit der Prinzessin meinetwegen gesprochen und mir den Schutz derselben ausgewirkt. Auf Condé sollte ich mir aber keine Hoffnung machen, weil sie den Herzog nicht wieder gesprochen und es sehr bereue, seinen Schmeicheleien jemals ein Ohr geliehen zu haben.«

»Wirklich!« rief Benoit bitter. »Schade, daß ihre Bekehrung zu spät kommt.«

»Ach, Herr Poupard, glauben Sie mir, das liebe Mädchen hat höchstens vier Mal mit dem Prinzen gesprochen, und das meist auf der Bühne. Und dazu ist sie von meiner garstigen Frau verführt worden; sonst wäre sie Ihnen treu geblieben. Geliebt werden Sie trotz Ihrer Grausamkeit und den schweren Leiden, die Sie der Armen bereitet haben, noch heiß und stark von ihr. Sie hat mich schon mehrmals gefragt, ob ich nicht wüßte, wohin Sie gerathen seien?«

105 »Das glaube ich nicht!« sagte Benoit trotzig mit Thränen im Auge.

»Glauben Sie's nur; ich belüge Sie nicht. Dem Herrn Abbé Bertault hat sie ebenfalls eine lebenslängliche Pension von der Herzogin ausgewirkt; ja sie hat sogar Versuche gemacht, sich mir Ihrer Mutter auszusöhnen, aber sie waren vergebens.«

»Das glaub' ich!« sagte Benoit, mit seiner Mutter zufrieden.

»Ich suchte einen Zufluchtsort in meinem Theater,« fuhr der Erzähler fort, »das während der stürmischen Kriegszeit diesen Sommer unbenutzt stand und fand hier in diesem Kämmerchen ein sichres Versteck. Abends besuchte ich Nannon und erhielt von ihr Geld und Lebensmittel. Aber Kummer und Anstrengung hatten meine Kräfte aufgezehrt; ich wurde krank. Nun kam Nannon Abends zu mir, und brachte mir das Nöthige. So liege ich schon seit einer Woche. Heute bin ich aber fast vor Furcht und Schrecken gestorben, über das Toben und Schießen in der Straße und im Hause, das ich mir nicht erklären kann.«

106 Benoit erzählte ihm dagegen die Vorfälle des Tags, und nannte dabei mehrmals den Namen seines Offiziers St. Romain, der oft vor Schmerz aufstöhnte.

»Mein Herr,« sagte Debarques zu ihm, »sollten Sie vielleicht verwandt sein mit dem ersten Gatten der Marquise von la Boulage in Meaux?«

»Ich bin der Sohn desselben,« versetzte der Verwundete.

»O da hab' ich Sie recht gut gekannt, als Sie kaum einige Jahre alt waren. Ich war der Kammerdiener des Herrn Marquis von la Boulage, so lange er noch nicht verheirathet war. Ihre Frau Mutter wollte mich aber nicht leiden. So verließ ich das Haus und wandte mich der Kunst zu. Ich habe aber stets noch in Verbindung mit dem Herrn Marquis gestanden. Wenn ich wieder gesund bin, werde ich demselben einen Besuch machen.«

»Dann werden Sie meine Mutter nicht mehr am Leben finden,« sagte der Offizier. »Seitdem bin ich mit dem Marquis ganz zerfallen. Weder die Ansprüche, die er an mein mütterliches 107 Vermögen, noch die, welche er an meine politischen Grundsätze und Ansichten machte, sagten mir zu, und so haben wir uns entfremdet.«

So verplauderten die drei seltsam zusammengewürfelten Menschen eine Stunde um die andere, bis sie – selbst den Verwundeten – die Hitze der Julisonne, unter dem Dache besonders fühlbar, in Schlaf niederdrückte.

 


 


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