Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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13.

Die Sonne des folgenden Tages verherrlichte mit freundlichen Strahlen ein Siegesfest, wie das lebende Geschlecht noch keins gesehen. Die ganze Bevölkerung war im Sonntagsschmuck auf den Beinen, und Condé's Wagen wurde im Triumph nach dem Rathhaus gezogen. Die Bewohner der Umgegend strömten herein, selbst aus den schon entfernter liegenden Städten kam man zu Roß und Wagen, um die gänzliche Niederlage des verhaßten Cardinals zu feiern.

Auch Tarneau's Haus wurde von auswärtigen Anhängern seiner Partei besucht und das freudentrunkne Ehepaar nahm alle, die da kamen, mit offnen Armen auf. Aber schon war das Haus ziemlich voll, als auch der Marquis von la Boulage mit noch einigen adligen Begleitern anlangte, und die Gastfreundschaft des wackern Advocaten in Anspruch nahm. Ihn hätte Tarneau auf keinen Fall weiter gehen 139 lassen; war ihm doch Boulage der liebste von allen Gästen. Es mußte Rath geschafft werden. Die Uebrigen waren untergebracht und für Boulage, mit dem Tarneau auf dem freundschaftlichsten Fuße stand, wurde das Stübchen der Demoiselle Poupard bestimmt. Sie erblaßte, als ihr der Hausherr in ziemlich barschem Ton dies ankündigte und befahl, schnell ihre Effecten zusammen zu räumen und dem Marquis Platz zu machen. Sie kannte Herrn von Tarneau's Charakter zu genau, um nicht zu wissen, daß alle Einreden fruchtlos sein würden, und zum Unglück war Debarques in der Nacht kränker geworden, so daß sie ihn unmöglich aus dem Hause weisen konnte. Was sollte sie beginnen? Wenigstens für den ersten Augenblick dem drohenden Sturme ausweichen, war das Räthlichste. Sie eilte auf das Zimmer, schob den kranken Mann, der nicht wußte, wie ihm geschah, in den Alkoven, bereitete ihm dort einen Sitz in einer dunkeln Ecke neben ihrem Bette, stellte den Schirm vor ihn, hinter welchem sie sich aus- und anzukleiden pflegte, und beschwor den 140 unwilligen Alten, der sich nach Nannons besserer Pflege sehnte, sich ruhig zu verhalten, bis sie ihn aus seiner Höhle wieder hervorziehen würde. Kaum war sie damit fertig, als schon Herr von Tarneau den Marquis hereinführte, um ihm das Zimmer anzuweisen. Margoton schwebte in Todesangst. Die Schicklichkeit gebot ihr das Zimmer zu verlassen, ein Blick des Hausherrn schärfte dieses Gebot, aber sie wich nicht von der Stelle, die sie vor dem Alkoven eingenommen hatte. »Wenn ich bitten darf,« sagte sie endlich beklommen. »Ich habe nur schnell alles in den Alkoven geräumt und da sieht's noch sehr unordentlich aus.«

»Es thut mir sehr leid, Sie incommodiren zu müssen, Demoiselle,« sagte der Marquis höflich. »Ich werde ihr Heiligthum schonen.«

»Machen Sie sich's nur bequem, mein lieber Freund,« redete Tarneau vergnügt. »Und wenn ihrer noch mehr kämen, sie sollten alle Platz finden.« Damit ging er und Margoton folgte ihm leichtern Herzens. Aber kaum war er ihr aus den Augen, als sie auch sogleich 141 umkehrte, und mit leidenschaftlicher Hast, ängstlichen Blicken und bittend erhobenen Händen vor den verwunderten Marquis trat.

»Ich beschwöre Sie bei allen Heiligen, ein Geheimniß nicht zu verrathen, das ich Ihnen nothgedrungen entdecken muß. Sie sind ein Edelmann, ein Mann von Ehre und Gewissen und werden mich gewiß durch Verrath nicht unglücklich machen.«

»Reden Sie! Reden Sie schnell!«

»In diesen Alkoven ist ein Mann verborgen. –«

»Ein Mann? Ei sieh doch! Treibt man noch Galanterien? Noch verliebt in diesen Jahren?«

»Ach hier ist nicht von Galanterien die Rede!« versetzte Margoton ärgerlich. »Das ist ein alter kranker Mann, zu dem ich gekommen bin, ich weiß nicht wie.«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre leise geöffnet und Nannon schlüpfte schüchtern herein. Erschrocken blieb sie vor dem fremden 142 Manne stehen, und stammelte: »Wo ist Herr Debarques?«

»Debarques?« fragte der Marquis aufmerksam und hielt die Augen auf die liebliche Erscheinung geheftet.

»Sie meint den alten kranken Mann, der im Alkoven steckt,« berichtete Margoton. »Sie ist seine Pflegetochter.«

»Debarques Pflegetochter?« wiederholte Boulage nachdrücklich. »Zeigen Sie mir den Mann.«

Die Haushälterin öffnete die Thüre, alle drei traten in den Alkoven. Der Schirm wurde entfernt. Debarques kroch hervor, erblickte Nannon und sagte erfreut: »Bist du da, liebes Kind? Nun ist's gut.«

»Debarques!« rief der Marquis. »Find' ich Dich hier, den ich seit einem halben Jahre suche.«

»Mein Herr Marquis!« stammelte der Alte gerührt. »Fast hätt' ich Sie nicht erkannt.«

»Meine Frau ist todt, Alter; ich habe die Hälfte ihres großen Vermögens geerbt. Jetzt 143 nehm' ich Dich wieder in meine Dienste. Aber wo hast Du mein Kind?«

»Hier steht es neben Ihnen.«

»Du meine Tochter!« rief der Mann gerührt, und schloß Nannon in die Arme, die sich vertraulich an ihn schmiegte. Debarques wurde vor Freuden fast gesund.

Am andern Morgen hatte der Marquis von la Boulage eine Audienz bei der Prinzessin Montpensier, und gegen Abend reisete er mit Debarques und Nannon nach Meaux ab. Der Exdirector war zu Margotons Schonung eben so heimlich aus Tarneau's Hause gebracht worden, wie er hinein gekommen war. Benoit erfuhr Nannons Abreise erst einige Stunden später und zeigte seiner Mutter essigsaure Gesichter. 144

 


 


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