Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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3.

Herr Debarques stand zitternd und bebend im Vorzimmer, während ihn der Kammerdiener bei der Prinzessin meldete. Der arme Mann hatte noch nie mit einer andern fürstlichen Person gesprochen, als die auf seiner Bühne figurirten und gegen die hörte der Respect hinter den Coulissen auf, wo Herr Debarques immer seinen Platz hatte; um so schwerer fiel es ihm auf's Herz, sich zu so ungewöhnlicher Zeit einer von Geburt fürstlichen Dame gegenüber stellen zu müssen, die sogar zur königlichen Familie gehörte. Der Kammerdiener öffnete die Thüre und Debarques trat, sich noch weit tiefer verneigend, als ihn Madame 22 instruirt, hinein. Als er furchtsam die Augen aufhob, sah er eine hohe, von weiten faltigen Gewändern umschmeichelte Frauengestalt vor sich, deren edles Gesicht schon die erste Blüthe des Jugendreizes abgelegt hatte. Anna Maria Louise, Herzogin von Montpensier, die berühmte Tochter des durch seine charakterlose Unentschlossenheit und Unbeständigkeit bekannten Herzogs Gaston von Orleans, stand damals in ihrem fünf und zwanzigsten Jahre und wenn sie auch nie eine große Schönheit gewesen war, so flös'ten doch ihr hoher fast männlicher Bau, der edle muthige Ausdruck ihres Gesichts und der kühne schwärmerische Blick ihres großen braunen Auges Ehrfurcht und Bewunderung ein, und erinnerten an die Heldenjungfrauen vergangner Jahrhunderte.

Als der Bühnenregent sie anzublicken wagte, überflog ein lächelnder Spott ihre schönen Züge. »Sie sind Herr Debarques, der Director des Theaters der Vorstadt St. Antoine?« Der Genannte verneigte sich bis zur Erde, aber der Hals war ihm wie zugefroren, so daß er kein Wort hervorzubringen vermochte.

23 »Ihr Theater wird viel besucht,« fuhr die Prinzessin fort, »man sagt, daß Sie mehre gute Schauspieler haben.« Debarques verneigte sich und wünschte im Stillen seine Frau an seine Stelle.

»Vorzüglich soll Ihre Tochter oder vielmehr Pflegetochter die junge Männerwelt anziehen. Ich habe davon gehört. Man nennt sie die schöne Schäferin (la belle bergère), und es ist bei Hofe von ihr gesprochen worden.«

»Bei Hofe?!« preßte das Erstaunen dem Director heraus. »Wenn man meine Nannon la belle bergèreberger - bergère, Schäfer – Schäferin; bergère verbindet noch einen andern der Lascivität des Zeitalters angemeßnen Sinn. nennt, so geschieht es nur aus zwei Gründen, erstlich weil sie Anna Berger heißt – sie ist nicht mein leibliches Kind und führt den Namen ihres Vaters – sodann weil eine ihrer besten Rollen ist Sidonia, Königin von Guindaga, genannt die schöne Schäferin, deren heiß geliebter Florisel sich sogar den Ritter von der schönen Schäferin nannte, wie Eurer Hoheit wohl bekannt sein wird.«

24 »Schon gut. Sie ist schön, reizend, sie verdient die Huldigung der Männer.«

»Hat mein Kind die Ehre, von Ew. Hoheit gekannt zu sein?« fragte Debarques.

»Nun ja. Ich habe sie mit Vergnügen spielen sehen. Ich war diesen Abend in Ihrem Theater, Herr Debarques; das heißt Incognito.«

Der Director riß die Augen weit auf.

»Wer ist das schöne Kind? Wer waren ihre Eltern?« fragte die Prinzessin leicht hin. Jetzt stand Debarques auf glühenden Kohlen. »Sie – ist – die – Tochter einer – früh verstorbnen Schauspielerin von meiner Gesellschaft, den Vater habe ich nie gekannt.«

»Sie sprachen doch vorhin, daß sie den Namen ihres Vaters führe.«

»Verzeihen Ew. Hoheit, ich meinte ihre Mutter.« Dabei troff ihm der Angstschweiß von der Stirne.

»Sagen Sie mir, Herr Debarques,« fuhr die Prinzessin fort, »wen hat das Stück, das Sie heute Abend aufführen ließen, zum Verfasser?«

»Den Abbé Bertault, einen armen Dichter, 25 der mir schon manches Ritter- und Schäferspiel geliefert hat, das den Arbeiten der Brüder Corneille nicht nachsteht.«

»Wirklich? Das Stück hat mir gefallen; aber vorzüglich der junge Schauspieler, der den Ritter Amadis spielte. Wie heißt er?«

»Benoit Poupard.«

»Glauben Sie wohl, daß der Herr Abbé sich geneigt finden würde, mir ein Stück nach meiner Idee zu schreiben, ohne auf die Autorschaft Ansprüche zu machen?«

»Der Herr Abbé wird hoch erfreut sein, Ew Hoheit dienen zu können.«

»Und werden Sie das Stück auf Ihrer Bühne aufführen? Ich würde mich Ihnen so gut erkenntlich zeigen, wie dem Dichter.«

»Ew. Hoheit würden mich zum glücklichsten Schauspieldirector machen!« jauchzte Debarques auf und dachte in seinem Entzücken nicht an die Studien seiner Frau.

»Das heißt, mein Name darf nicht öffentlich genannt werden,« setzte sie schnell hinzu und kühlte damit die Wonne des Mimenfürsten wieder etwas 26 ab. »Nur wenn man sich unter der Hand erkundigt, dürfen Sie ein Wörtchen von mir fallen lassen, vorzüglich wenn Sie merken, daß die Anfragen vom Könige ausgehen.«

»Vom Könige? Von des Königs Majestät?« fragte Debarques fast bestürzt. »Wird der König mein Theater besuchen?«

»Er wird nicht nur, er thut es schon. Ich habe ihn heute Abend bemerkt.«

»Der König in meinem Theater!« rief Debarques freudetrunken und alle ihm von seiner Gattin eingelernten Regeln waren vergessen.

»So viel ich erkundet habe, hat es ihm sehr gefallen, und so wird er schon mehr kommen. Nun hören Sie mich an, Herr Debarques. In zehn Tagen ist der dreizehnte Geburtstag des Königs. Er wird sich wenige Tage darauf im Parlament volljährig erklären. Die Königin Mutter und die Anhänger des flüchtig gewordenen Cardinals Mazarin werden bei Hofe große Feierlichkeiten veranstalten. Sie, mein Herr, werden das zu diesem Zwecke eigens gedichtete Stück aufführen. Ich werde Ihnen den Tag bestimmen, wann der 27 König Ihr Theater besuchen wird. Dann überraschen Sie ihn mit dem Stücke; jedoch darf sich durchaus Niemand merken lassen, daß er erkannt ist. Es muß Alles schlau gemacht werden.«

»O ich verstehe!« ließ sich Debarques so pfiffig als möglich vernehmen. »Alles soll nach Ew. Hoheit Wunsch gehen. Und in meiner Brust bleibt das Geheimniß verschlossen.«

»Das Stück muß aber in zehn Tagen gedichtet und eingelernt sein. Heute ist der sieben und zwanzigste August; der fünfte September ist des Königs Geburtstag.«

»Es wird Alles gehen!« rief Debarques, sich vergnügt die Hände reibend. »Ich werde diesen Abend noch mit dem Abbé sprechen. Aber das Süjet des Stücks? – dürft' ich unterthänigst darum bitten?«

»Darüber bin ich mit mir selbst noch nicht im Klaren. Schicken Sie mir morgen den Abbé, ich will mich ausführlich mit ihm besprechen. Auf den Benoit Poupard und Ihre Pflegetochter rechne ich vorzüglich; er muß einen jungen Herrscher spielen, der durch seine Mutter vom Regiment 28 verdrängt ist, und sie eine in ihn verliebte, mit ihm verwandte, etwas ältere Prinzessin, die ihm Alles opfert, ihn von Tod und Gefahren rettet, ihn von einer despotischen Mutter und einem herrschsüchtigen verworfenen Minister befreit, ihn zum Reich verhilft, und endlich von den Göttern zu seiner Gattin erhoben wird. Es wird sich schon ein passender Stoff ausfinden lassen.«

»O, der Abbé und meine Frau machen Alles möglich! Ich fliege, Ew. Hoheit Befehle auszuführen.«

Die Prinzessin ließ eine volle Börse mit den Worten in seine Hand gleiten: »Einstweilen zum Siegel Ihrer Verschwiegenheit.«

Debarques küßte die Börse vor Freude und Respect, und folgte dem Kammerdiener, den die Klingel herbeigerufen hatte. Die Sänfte wartete seiner wieder. Aber die Passivität in derselben und der ruhige abgemessene Schritt ihrer Träger hatten wohl vorhin mit seiner Angst und Bekümmerniß harmonirt, standen aber nun mit seinem Seelenjubel im schreiendsten Widerspruch. Er hätte lieber Adlersfittige gehabt, er wünschte sich 29 Zauberkräfte, um sich schnell, wie ein Gedanke, zu seiner Frau versetzen zu können. Die Sänfte war ihm unerträglich und mit Verachtung derselben that er im Laufen sein Möglichstes und stürzte in seinem ehrwürdigen Anzuge, wie ein gehetztes Wild, aufschreiend, als wenn er den Verstand verloren, seiner erschrockenen Gattin in die Arme.

 


 


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