Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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11.

Das Volk stand dicht gedrängt am St. Antoine-Thor vor dem Hause, in welches außer der Prinzessin auch der Herzog von Orleans eingetreten war, um seinem Vetter Glück zu wünschen. Nachdem seine heldenmüthige Tochter entschieden gehandelt hatte, hörte auch seine Unentschlossenheit auf und er war ihrem Wunsche gefolgt. Prinz Condé hatte sich auch auf die Einladung seiner Muhme gestellt, und alle drei unterhielten sich an einer Stunde freundschaftlichst über das, was zunächst geschehen müsse. Das Volk ließ den Prinzen ein Mal um das andre leben und strömte bewaffnet aus der ganzen Stadt zusammen, um seinen Helden zu vertheidigen, da es sich nun überzeugt hatte, daß das Gefecht ein sehr ernstliches und blutiges gewesen sei. Als der Prinz aus dem Hause trat, empfing ihn ein ungeheurer Jubel. Tausende von Bewaffneten schlossen sich an ihn an und schwuren ihm unaufgefordert Treue und 124 Ergebenheit. Der Herzog von Orleans begab sich in seinen Palast zurück, die Prinzessin aber bestieg die Bastille wieder. Ihr kühner Heldenblick, der sich an Condés Auge entzündet hatte, flog prüfend über die Stellung der beiden Heere hin, dann trat sie rasch zu den Kanonen des Castells, und ließ sie auf die königlichen Truppen richten. Niemand wagte ihrem Befehl zu widerstehen. Erstaunt gehorchten alle, doch glaubte Niemand, daß eine fürstliche Dame, eine Blutsverwandte des Königs, von den Kanonen des Königs gegen diesen selbst und sein Heer Gebrauch machen werde. Aber die Prinzessin commandirte, das Geschütz scharf zu laden. Ruhig beobachtete sie durch ein Fernrohr die Bewegung des königlichen Heers, zu welchem der Marschall Ferté unterdessen gestoßen war. Sie sah deutlich, daß Türenne die ganze Truppenmasse in drei Haufen abtheilte; zwei schwenkten rechts und links ab, um dem Prinzen vom Stadtgraben her in beide Seiten zu fallen; der mittlere war augenscheinlich dazu bestimmt, die Barrikaden in den Straßen wieder anzugreifen, welche die Condéischen von Neuem besetzt hatten.

125 Kaum hatte die entschlossene Prinzessin diese Bewegung bemerkt und ihre Absicht errathen, als auch schon einer ihrer Couriere flog, um den Prinzen von der ihm drohenden Gefahr zu benachrichtigen; er hatte aber dieselbe Wahrnehmung vom Thurme der Abtei St. Antoine gemacht, und war eben im Begriff, sein Heer in die Stadt zu führen. Dies verzögerte sich indeß, weil die hintersten mit dem unmittelbar nachdrängenden Feinde zu kämpfen hatten, und die eine Abtheilung der Königlichen, welche von der Seine herkam, schon ganz in der Nähe war. Der Nachzug des Prinzen war augenscheinlich verloren; denn schon begann ein heftiger Angriff, da rief die kühne Montpensier: »Feuer!« das Geschütz donnerte und seine Stückkugeln rissen die Glieder des Marschalls Ferté nieder, der den Condéischen auf der Ferse war. Schuß auf Schuß entlud Verderben auf die Königlichen, die bestürzt zurückwichen, der letzte Krieger Condé's kam glücklich herein, und der Prinz war gerettet.

Auf der Anhöhe bei Charonne, wo der Hof noch immer Stand hielt, richteten diese Schüsse 126 große Freude an. Der Cardinal wünschte dem Könige und der Königin Glück, daß sich Paris durch diesen donnernden Ruf für seinen Herrn erklärt habe, und Condé nun vernichtet sei. Als gleich darauf Nachrichten von Türenne kamen, welche die Kanonenschüsse ganz anders auslegten, gab es lange und verlegene Gesichter. Verdrießlich brach man auf, um sich ein Nachtquartier zu suchen und Türenne erhielt Befehl, die Truppen aus der Vorstadt zurück zu ziehen und nach St. Germain zu führen. Eh es Abend wurde, war weit und breit kein gesunder Soldat des königlichen Heers mehr zu sehen.

In Paris schwoll dagegen der Volksjubel zu einem Meere an, das seine Ufer überfluthet und alles Land zu verschlingen droht. Der Prinz Condé und die Prinzessin Montpensier waren die Abgötter der lustberauschten Menge; man hörte überall nur ihre Namen und schnell verfertigte Lieder priesen ihre Thaten im taumelnden Entzücken kühnster Metaphern. Condé redete überall das Volk an und hetzte es mehr und mehr auf den 127 Cardinal auf, dem einstimmig tausendfacher Tod geschworen wurde.

»Ich weiß es,« sagte er unter Anderm, »der listige Pfaffe zählt noch viel Anhänger und besoldete Freunde unter Euch. Fast wär' es diesen Elenden gelungen, mich bei meinen lieben Parisern zu verketzern.« –

»Wer es mit dem Prinzen hält, mache sich kenntlich!« schrie ein Mann.

»Wie sollten wir das anfangen.« fragten hundert Stimmen.

Es war vor dem Hause eines Güterspediteurs, der eben einige Frachtwagen beladen wollte. Das dazu nöthige Stroh lag auf der Straße. Da rief eine Stimme: »Wer gut Condéisch ist, stecke einen Strohbüschel auf seinen Hut. Hier ist Stroh. Daran wollen wir uns erkennen. Wer kein Stroh hat, ist ein Mazarin.« Im Nu war kein Halm von dem Stroh mehr zu haben, man stürmte das Haus des Spediteurs nach Stroh. Die Angabe des Kennzeichens lief wie ein Blitz durch die Stadt. Alles schrie nach Stroh und die Strohhändler mußten ihren Vorrath öffnen, wollten sie des Lebens 128 sicher sein. Wer kein Strohbüschel auf dem Hute hatte, wurde von dem rasenden Pöbel, der Rottenweis, singend und brüllend durch die Straßen zog, beschimpft und geschlagen, und so sah man vor Nacht noch selbst alle Geistlichen, die doch als Mazarins treueste Anhänger bekannt waren, ihrer Sicherheit wegen, mit Strohkränzen geschmückt und selbst Wagen und Pferde trugen diesen Paß. Das berauschte Paris tobte die Nacht durch, und Prinz Condé überließ sich mit seiner heldenmüthigen Freundin den Hoffnungen und Träumen, die das allgemeine Zujauchzen in ihnen erweckte. 129

 


 


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