Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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9.

Der Verdacht der Pariser, daß das Gefecht – trotz der vielen Verwundeten und Todten – in der St. Antoine-Vorstadt eben nur ein Spiegelgefecht sei, wurde vorzüglich durch den Umstand bestärkt, daß sich der Herzog von Orleans während desselben in seinem Palast eingeschlossen hielt, 108 Niemanden vor sich ließ. Die Prinzessin von Montpensier hatte sich vom Anfange des Kampfes auf einen Thurm der Bastille begeben, um dasselbe zu beobachten. Sie gewahrte die Gefahr und die Tapferkeit ihres Freundes, und es wurde ihr klar, daß er verloren sei, sobald Türenne Verstärkung erhalte. Sie eilte in dem Palast zu ihrem Vater; die Tochter ließ sich den Zutritt zu ihm nicht verwehren. Die kritische Lage, in der er sich befand, hatte ihm den Kopf genommen, unschlüssig und verzweiflungsvoll lief er umher, und wollte selbst von der Prinzessin nichts über den Verlauf des Gefechts hören. Sie ließ sich dadurch nicht abschrecken. »Glauben Sie denn,« sagte sie mit überredendem Nachdruck, »daß es Ihnen zu gut kommen wird, wenn der edelste und tapferste Mann Frankreichs jetzt schonungslos hingewürgt wird? Der siegreiche Cardinal wird in seinem Uebermuthe Sie so gut seiner Rache opfern, wie er Condé geopfert und wahrlich bei Ihnen mit weniger Gefahr und mit mehr Recht. Als wenn es Mazarin nicht bekannt worden wäre, in wie freundlicher Verbindung Sie mit Condé gestanden? Sie 109 folgen nur Gondi's ehrgeizigen Einflüstrungen, und dieser gewandte Pfaffe haßt den Ruhm des Prinzen ebenso wie Mazarins Macht, aber Mazarin haßt Gondi und haßt Sie, und wenn erst Condé gefallen, werden Sie gewiß werden, was Sie verloren; denn wahrlich mit Ihnen und Gondi wird der allmächtige Minister keine besondern Umstände machen.«

»Laß mich!« rief der Herzog verzweifelt. »Ich werde mich dem Könige zu Füßen werfen, und mich seinem Willen fügen.«

»Das heißt in den Willen der Königin und das heißt eigentlich in den Willen des Cardinals. Sie sollten erröthen, Ihrer Tochter dergleichen zu sagen. Sie der Sohn Heinrichs IV. wollen sich der Discretion eines schwachen Weibes hingeben, die von einem intriguanten Priester so geleitet wird, daß sie keinen eignen Willen hat? Sie wollen einen listigen gemeinen Römer als Herrn Frankreichs anerkennen? Sie scheuen sich nicht einmal vor dem Spott dieses Frankreichs, wenn Sie sich auch aus seinem Zorn, aus seinen Flüchen und Verwünschungen nichts machen sollten? Aber ich sage 110 Ihnen, der Treubruch am Prinzen wird sich furchtbar an Ihnen rächen.«

»Aber, mein Gott, was soll ich denn thun? was soll ich beginnen?« rief der Herzog, halb weinend und sich die Hände reibend.

»Dem Prinzen die Thore öffnen, ihm beistehen, dem Cardinal muthig die Stirne bieten und der Königin auf diese Weise einen Frieden abtrotzen, dessen erste und unerlässige Bedingung ewige Entfernung des Cardinals aus Frankreich, so wie all seines Einflusses und seiner Kreaturen sein muß.«

»Thue, was Du für gut findest!« wehrte der Herzog ab, »aber mich laß aus dem Spiele.«

»Dazu bedarf ich Ihrer Vollmacht. Wohlan, ich bin bereit zu thun, was nöthig ist. Stellen Sie mir einen Befehl an alle Behörden in Paris aus, mir zu gehorchen und allen meinen Anordnungen Folge zu leisten.«

So sehr sich der Herzog erst gesperrt hatte, so nachgiebig zeigte er sich jetzt, froh, auf irgend eine Weise aus der peinlichen Verlegenheit gerissen zu sein, ohne doch selbst thätig handeln zu müssen. Er stellte der Prinzessin die verlangte Vollmacht 111 aus, und sie verfügte sich sogleich auf das Rathhaus, gewann mit kühnen kräftigen Worten und Vorzeigung des Dokuments die städtische Obrigkeit, und haranguirte, als sie heraustrat, das Volk, welches sich vor dem Gebäude versammelt hatte, zum Vortheil des Prinzen Condé. »Auf, Bürger von Paris!« sprach sie begeistert, »folgt mir zur Rettung Eurer Stadt, zur Rettung Frankreichs! Nur in dem tapfersten Sohne Frankreichs liegt diese Rettung, in jenem jungen kühnen Helden, der schon oft für Euch geblutet, der den Cardinal haßt, wie Ihr, und deshalb gefangen gesetzt, verfolgt wurde. Er ist nicht aus Spanien, nicht aus Italien zu Euch gekommen, er ist unter Euch geboren, und alle seine Ahnen waren Franzosen bis zu Hugo Capet hinauf. Er meint es gut und redlich mit Euch, der alle Franzosen wie Brüder liebt. Hat er es Euch nicht etwa bewiesen? Alles, was er gethan, geschah zu Frankreichs Wohl. Aber die schändlichen Emissäre des schlechten Pfaffenministers haben Euch ein falsches Bild von Euerm besten Freunde gemacht; merkt Ihr denn nicht, daß Mazarin diese Lügen ersonnen? Und 112 deshalb wollt Ihr den großen Condé elend vor Euern Thoren umkommen lassen, erdrückt von den Pfaffensöldnern? Wenn Euer Undank ihn hat fallen lassen, dann habt Ihr keinen Beschützer, keinen Vertheidiger Eurer Rechte, keinen Freund in der Noth mehr. Kein Franzose steht Euch mehr bei; Ihr seid der Spanierin und dem Italiener verfallen. Pariser, brandmarkt Euch nicht durch Unthätigkeit für ewige Zeit. Wer es gut meint mit Frankreich, mit Paris, mit allen Franzosen und sich selbst, der folge mir, damit wir gemeinschaftlich das Thor St. Antoine öffnen und den bedrängten Herzog hereinlassen. Hier ist der Befehl meines Vaters dazu; Eure städtische Obrigkeit stimmt ihm bei. Hoch lebe der Prinz Condé!«

»Hoch lebe der Prinz Condé!« jubelten die Volksmassen, die unterdessen zusammen gelaufen waren, und die Prinzessin schritt an der Spitze derselben nach dem genannten Thore, welches sogleich geöffnet wurde. Dann begab sie sich nach der Bastille zurück, die bekanntlich am St. Antoine-Thor lag, um den fernern Verlauf des Gefechtes zu beobachten. Als sie auf dem Thurm 113 ankam, war eben ein unverabredeter Waffenstillstand eingetreten. Türenne hatte nach siebenstündigem Gefecht eingesehen, daß er ohne Verstärkung den Löwen nicht werde erlegen können, und sich deshalb aus der Vorstadt zurückgezogen, um die Ankunft des Marschalls Ferté abzuwarten. Die Prinzessin verfügte sich also aus dem Castell in ein dicht daneben gelegenes Haus, wo sie mehr Bequemlichkeit hatte, die Nachrichten ihrer ausgesandten Kundschafter über den Erfolg des Gefechtes zu empfangen und Zeugin des Jubels des Pariser Volks zu sein, welches in Massen durch das Thor hinausströmte.

Prinz Condé hatte kaum von dem großen Dienste gehört, den ihm seine Muhme erwiesen, als er sogleich durch das Thor nach dem zunächst gelegenen Hause lief, worin sich die Prinzessin befand. Athemlos stürzte er mit dem bloßen Degen in der Hand – da er in der Hitze des Kampfes die Scheide desselben verloren – in ihr Zimmer. Die kriegerische Wuth, die den ganzen Vormittag seine Seele beherrscht hatte, drückte sich noch in grellen Zügen seines mit Schweiß und 114 Staub bedeckten Gesichtes aus, seine Haare hingen ihm verwirrt um den Kopf, seine zerfetzte Kleidung war ganz voll Blut, obgleich er nicht verwundet war, und auf seinem Harnisch sah man die Merkmale empfangener Stöße. So lang er im Gefecht gewesen war, hatte er sich kaltblütig gezeigt; jetzt, seiner Freundin gegenüber, erfaßte ihn das ganze Gewicht seiner schlimmen Lage; ermüdet warf er sich in einen Lehnsessel und rief: »Sehen Sie hier einen zur Verzweiflung gebrachten Mann, der so gut wie Alles verloren hat. Meine besten Freunde und Anhänger sind gefallen, die Herzöge von Nemour und Rochefoucault sind tödtlich verwundet. Der listige Pfaffe trägt den Sieg über meine rechtlichen Bestrebungen davon.« Thränen erstickten seine Stimme; der Held Frankreichs weinte wie ein Kind.

»Beruhigen Sie sich, mein Freund,« redete ihm die Prinzessin zu. »Die beiden Genannten sind nur leicht verwundet, und die Anzahl Ihrer Todten erstreckt sich keineswegs auf alle Ihre Freunde; ich glaube, Sie haben deren in Paris mehr als je. Meine Nachrichten über das Gefecht sind 115 vielleicht genauer als die Ihrigen. Nur Muth und Beharrlichkeit, und wir führen unsre Sachen doch zum Ziele!« Und schnell theilte sie ihm mit, was sie wußte. Als sich ihre zärtliche Sorgfalt überzeugt hatte, daß er nicht verwundet sei, entließ sie ihn mit einem freundlichen Kuß, und mit der Bitte, seine Soldaten so eilig, als er vermöge, in die Stadt zu ziehen.

»Sobald es durchaus nöthig und unvermeidlich ist,« versetzte er, »werde ich sie sicher herein bringen. Aber man soll mir nicht vorwerfen, daß ich vor diesem Mazarin geflohen sei. Geben Sie nur Befehl, daß mein Feldgeräthe in die Stadt geschafft wird. Und nun Gott befohlen! Ich gehe den Feind zu erwarten und weiche nur der Uebermacht.«

Ermuthigt und gestärkt von ihrer Zusprache eilte er wieder hinaus zu seinen Truppen, sie aber sandte Boten an ihren Vater, ihn nach der Bastille einzuladen und ließ ihm zur Lockung die brillantesten Nachrichten vom Siege des Prinzen sagen; dann bestieg sie den Thurm wieder. 116

 


 


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