Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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4.

Im reichsten Amtsschmuck trat der Parlamentsadvocat Battist von Tarneau in sein Haus. Seine finstern Züge erheiterten sich nicht beim Gruß seines Weibes, die seit Jahren an den Füßen gelähmt, auf ihren Polsterstuhl angewiesen war, und dem Manne ihrer Wahl nur mit Blicken entgegenkommen konnte, nicht beim Kuß der 30 wunderreizenden Tochter, den die Holde freundlich ehrerbietig auf des Vaters Hand drückte, nicht durch die Zuvorkommenheit der Demoiselle Poupard, die ihm geschäftig Hut und Degen abnahm und ihn schnell der Bürde des Amtsrocks zu entledigen suchte. Die Frau forschte mit einigen sichern Blicken im Gesicht ihres Mannes, dann sagte sie. »Du kehrtst bald zurück; der Wichtigkeit der heutigen Session nach, hatte ich Dich erst später erwartet. War der König vielleicht heute noch nicht im Parlament?«

»Er war da. Er hat seine Erklärung abgegeben, und wir könnten zufrieden sein, wenn Frankreichs Unheil, das ihm von Spanien und Italien gekommen, seine Herrschaft über den jungen Monarchen aufgegeben hätte. Gerade weil die Katzen die scharfen Krallen in die Pfötchen zogen und sie so sammtweich machten, gerade deshalb fürchte ich und alle ächten Franzosen neues Unheil für unsre Partei.«

»So erzähle doch ausführlicher!« bat die Frau und ließ von Demoiselle Poupard ihren Rollstuhl fortschieben bis zum Polsterbette, worauf der 31 Advocat Platz genommen hatte. Haushälterin und Tochter entfernten sich dann auf den Wink der Hausfrau.

»Das Parlament war kaum beisammen,« begann Tarneau seinen Bericht, »als sechs Wagen vorfuhren, die schönsten, die man bei Hof hat, reich geschmückt und ausgeziert; die Pferde trugen Reiherbüsche, Kränze und Bänder. Im ersten saßen der König, die Königin Mutter, der Herzog von Orleans, der alte Herzog von Vendome mit seinen beiden Söhnen, den Herzögen von Mercoeur und von Beaufort, der Prinz Conti und der Herzog von Longueville; die übrigen Wagen waren noch zahlreicher besetzt und alle Herzöge und Marquis, Marschälle und Großen waren dabei. Von diesem ungeheuern und prächtigen Gefolge umgeben, trat der König an der Hand seiner Mutter ins Parlament. Und wenn er ein Mann gewesen wäre, wie er doch nur noch ein Kind ist, er hätte nicht stolzer grüßen können. Nachdem ihn das Parlament mit Ehrerbietung, die seine Blicke forderten, empfangen hatte, sprach er in gut gewählten Worten, durch welche jedoch ein Uebermaß von 32 Herrscherstolz hindurchblickte, daß er vorgestern in sein vierzehntes Jahr getreten und kraft der Gesetze seines Staates nun volljährig sei, um die Regierung des Reichs selbst zu übernehmen; er sei gekommen, diese seine erste Königspflicht hiermit zu erfüllen, und ergreife von heute die Zügel des Staats, in Hoffnung, Gott werde ihn mit hinreichenden Kräften unterstützen, um als ein frommer und gerechter König zu herrschen. Darauf erklärte der wieder eingesetzte Kanzler Seguier den Willen des Königs ausführlich; endlich legte die Königin ihre Regentschaft mit wenigen Worten nieder. Nachdem die sonstigen Formalitäten beobachtet und das gewöhnliche Edict gegen den Zweikampf und die Gotteslästrung vorgelesen worden war, ließ der König noch eine lange Erklärung zur Rechtfertigung des Prinzen Condé vorlesen, worin mit vielen und langen Worten von der Unschuld desselben, von seinen Verdiensten um Frankreich, von seinen edlen Absichten und großen Eigenschaften gesprochen wurde. Damit war's aus. Der König ging und die Sitzung wurde aufgehoben.«

»Wie?« rief die Frau, »und nach einer so 33 herrlichen Erklärung des Königs in Betreff unsres edlen Prinzen, seh' ich Deine Stirne noch so umwölkt? Was kannst Du noch fürchten?«

»Alles, mein Schatz. Ich glaube, es war, trotz aller Freundschaftsversichrungen und Lockungen von Seiten der Königin, ein Glück für den Herzog, daß er nicht mit zugegen war. Ich wollte mein Leben verwetten, es sind ihm von Gondi und den Kreaturen der Königin Nachstellungen gelegt worden und seine im Parlament verlesene Rechtfertigung sollte nur zum Köder dienen, ihn recht sicher zu machen und zu körnen.«

»Wo ist der theure Prinz?« fragte Frau von Tarneau.

»Er hält sich seit einer Woche wieder in Montrond auf, umgeben von seinen Getreuesten, und dort vermag ihn der Verrath der Spanierin nicht zu umspinnen. Ja, Madelaine,« fuhr der Advocat vertraulicher fort und beugte sich zu seiner unbeholfnen Ehehälfte, »es ist mir heute aus der sichersten Hand vertraut worden, die Königin habe dem Prinzen Condé den Untergang geschworen, und sie werde nicht eher ruhen, bis sie ihn stumm 34 gemacht, damit sie ihren geliebten Cardinal nach Frankreich zurückrufen und ihm die Ministerstelle wieder übergeben könne.«

»Heiliger Gott!« schrie die Frau auf, »und das sollten wir so ruhig mit ansehen? Jedes französische Herz wird sich gegen den treulosen Italiener empören.«

»Glaube mir, Madelaine, die Entweichung Mazarins hat Frankreich noch keinen Vortheil gebracht. Noch hat es der, wahrlich! laut und oft genug ausgesprochene Haß eines ganzen Volks nicht bewirken können, daß ein nachdrückliches Verbannungsurtheil gegen diesen schurkischen Römer erlassen worden ist. Er kann jeden Tag aus Deutschland zurückkehren und wir sind schlimmer daran als zuvor.«

»Das kann, das darf nimmermehr geschehen!« rief die Frau begeistert aus. »Eine Verschwörung gegen ihn –«

»Laß mich sorgen, mein Schatz. Ich gedenke ihm den Weg zu verlegen. Aber nicht allein seine Person, auch sein Einfluß auf Frankreich muß verbannt werden. Noch thut die Königin nichts 35 ohne seine Einwilligung und der König darf es eben so wenig; noch sind stets zwischen der Königin und ihm Couriere auf dem Weg; denn beide wechseln wöchentlich mehrmals Briefe, seine getreuesten Anhänger sitzen noch in den besten Aemtern. Das Alles muß anders werden; wenn Prinz Condé die Stellung, die ihm nach Geburt und Talent gebührt, mit Ruhe im Staate einnehmen soll.«

»Und welche Mittel, meinst Du, müßten angewendet werden, um zu diesem Zwecke zu gelangen?«

»Krieg des Prinzen gegen die Partei der Königin und des Cardinals, Krieg der Frondeurs gegen die Mazarins, Krieg in Frankreich gegen Spanien und Italien, das heißt gegen die stolze Spanierin und den schlauen Italiener, die sich zu Frankreichs Verderben mit einander verbunden haben.«

»Krieg!« sagte Madelaine mit Unwillen. »Muß es denn gleich Krieg sein? Krieg ist ein allgemeines Unglück, unter dem viel Tausend Unschuldige leiden, und Bürgerkrieg ein schreckliches Scheusal. Es gibt bessere und sichere Mittel. O wenn ich nicht mit dieser unseligen Leibesschwäche 36 behaftet wäre, ich wollte ein großes Werk ausführen. Ich fühle die Kraft, den Muth, das Talent dazu in mir. Der Krieg sollte vermieden werden und der junge Held Ludwig von Condé dennoch Sieger sein.«

»Ihr Weiber wollt Alles besser wissen,« sagte Tarneau verdrießlich. »Dem Helden Condé geziemt der Krieg, der offene ehrliche Kampf gegen seine Feinde. Was würdest Du weiter für ein Mittel haben, als eine Weiberintrigue.«

»Der junge König müßte gewonnen und ihm allmählig die Augen geöffnet werden über die verderbliche Herrschsucht seiner Mutter und des Cardinal Mazarin, so wie über die edeln Absichten des Prinzen Condé; mit schlagenden Beispielen müßte er überzeugt werden. Ein scharfer Dolch für den italienischen Pfaffen in Coblenz, bevor es ihm einfiele, nach Frankreich zurückzukehren, ein Gefängniß für die Königin, Landesverweisung, und Alles ist in Ordnung. Denke an das Schicksal ihrer Vorgängerin und Schwiegermutter! Luynes, ein schlichter Edelmann stürzte Marias von Medicis Macht, die eben so groß war, wie die Anna's von 37 Austria, stürzte den Marschall von Ancre sammt seinem alles vermögenden mit Zauberkünsten vertrauten Weibe, die mächtiger waren als Mazarin. Luynes war arm, ohnmächtig, konnte keinen Krieg führen, er gewann das Vertrauen des jungen Königs und bewirkte das schier Unmögliche. O könnt ich den König nur einmal sehen, mit ihm sprechen! es sollte mir gewiß gelingen.«

»Frau, gib die tollen Träume auf. Ludwig XIII. liebte seine Mutter nicht; Ludwig XIV. liebt die seinige. Und ist er denn nicht ganz ihr Geschöpf? Oder glaubst du wirklich, daß ein Tropfen Blut des dreizehnten Ludwigs in diesem Knaben flösse? Was soll ich die alten nur allzuwahrscheinlichen Geschichten wiederholen! Nie wurde ein Weib mehr von ihrem Gatten gehaßt, als die Königin. Ihr allein also verdankt der junge König Leben und Macht, und er ist so erzogen worden, um das wohl zu fühlen, wenn er es auch nicht weiß. Mit tausend Banden hängt er an ihr, das hättest Du an seinem Geburtsfeste bis zur Ueberzeugung wahrnehmen können. Welche Pracht! welche Verschwendung ihm zu Ehren! 38 Wie wurde dem stolzen Knaben von ihr geschmeichelt! Und doch wie behauptete sie sich in ihrer mütterlichen Würde, in der Gewalt, die nicht die Krone, sondern das Herz verleihet! Sein Auge hing stets an ihren Blicken, er wich selten von ihrer Seite, und so schien's, als ob all die Herrlichkeiten nur ihretwegen veranstaltet worden wären. Ueberreden kann man diesen Knaben mit der Königsgewalt nicht; er muß gezwungen werden.«

Frau von Tarneau begann zur Unterstützung ihrer Meinung mehre Gründe anzuführen, und so hart und streng auch ihr Eheherr schien, so war sie doch gewohnt, seit sie mit ihrem schweren Leibesübel behaftet war – und das schrieb sich von Elisabeths Geburt her – ihn sich ihrem Willen fügen zu sehen. Sie wurde aber diesmal durch die Haushälterin unterbrochen, welche fröhlichen Gesichts in das Zimmer trat, Elisabeth an der Hand führend, sich mit dem schämig erröthenden Kinde dicht vor das discutirende Ehepaar pflanzte, ein zierliches Knixchen machte und hastig sprach: »So eben habe ich die Nachricht erhalten, daß diesen Abend die neue Comödie gegeben wird, von der 39 ich Ihnen gesagt, Madame. O es wird zum Todtwundern schön; mein Benoit kann mir's gar nicht herrlich genug schildern. Er spielt auch den jungen König darin. Und der Abbé schmunzelt und ist so freundlich, wie ich ihn noch nie gesehn, selbst damals nicht, als ich – bei ihm diente und wir beide noch jung waren. Er sagt, er habe sein Meisterstück geliefert. Und da wollte ich Sie denn recht höflich ersuchen, Herr und Frau von Tarneau, daß Sie unsrer AlisonElisabethchen. erlauben möchten, mich diesen Abend begleiten zu dürfen.«

»Elisabeth darf in kein Theater,« versetzte der Vater streng, »dazu ist sie noch zu jung. Erst muß sie fester in ihren Grundsätzen werden.«

»Aber nur dies Eine Mal, nur heute Abend, weil es gar zu schön ist.«

»Es wird nichts draus, Mademoiselle.«

»Bitte! Bitte! – So unterstütze mich doch mit Bitten, mein Kind. Deine weiche Stimme dringt eher zu dem Herzen des Vaters. – Die Herzogin von Montpensier hat sehr viel Geld 40 hergegeben, um Alles recht glänzend auszuführen. Mein Benoit trägt einen seidnen Rock, über und über mit Gold gestickt.«

»Die Prinzessin von Montpensier?« fragte der Parlamentsadvocat verwundert. »Wie käme denn die reiche stolze Herzogin in Eure Bude?«

»Ich will Ihnen Alles vertrauen, was ich weiß. Der Abbé Bertault ist von der Prinzessin beauftragt worden, das Stück eigens für diesen Abend zu schreiben, aber sie möchte gern für die Verfasserin desselben gelten, und zwar beim König, der diesen Abend Herrn Debarques Theater besuchen wird.«

»Sie träumen wohl, Mademoiselle? Der König in das eingeräucherte Loch im Faubourg St. Antoine, das ihr ein Theater nennt?«

»Es wäre nicht das erste Mal. Auch der Prinz Condé hat es oft besucht. Die Prinzessin Montpensier wird auch zugegen sein.«

»Ich habe den König noch nie gesehen, und auch die berühmte Prinzessin kenn' ich nicht, drum erlauben Sie mir's, lieb Väterchen!« bat Elisabeth.

»Laß Alison gehen, Battist,« nahm die 41 Mutter das Wort. »Wenn mir's möglich wäre, ich selbst würde der Vorstellung beiwohnen. So etwas sieht man nicht alle Tage. Den König muß das Kind einmal sehen. Dazu ist heut Abend die schönste Gelegenheit. Und unsrer Margoton wirst Du sie doch anvertrauen dürfen, die sie von Kindesbeinen an gewartet und gepflegt und überall Mutterstelle an ihr versehen, wohin ich Unglückliche nicht in meinem Stuhle gerollt werden konnte?«

»Bitte! Bitte!« riefen nun alle drei Frauenzimmer zugleich und der Mann sagte unwillig: »Nun meinetwegen! So mag sie hingehen,« und verließ das Zimmer. 42

 


 


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