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XIV.

Helfrich blieb zwei Tage in Untersuchungshaft. Da der ärztliche Ausspruch ergab, Cäcilie sei an Herzschlag gestorben, und Frau Walpurga überdies bestätigte, daß Helfrich, wohl durch den Schrei des Mädchens geweckt, gerade im rechten Augenblick gekommen sei, um sie aus der Todesumklammerung der Tochter zu retten, wurde er von jedem Verdacht freigesprochen.

Cäciliens Begräbnis gestaltete der alte Dechant zu einer großen Feierlichkeit. Die ganze Stadt nahm an ihr teil. Die Nonnen gingen im Zuge mit. Das Kind war jedem ein Dorn im Auge gewesen, und nun weinten alle bei seinem Tode.

»Eingescharrt hat man ihre Brüder irgendwo in russischen Wäldern – und dort faulen sie mit andern tapferen Soldatenherzen –, hier wird wegen des kleinen Leichnams solch ein Aufwand verschwenderischer kirchlicher Pracht getrieben …,« sagte sich Michel, der nun kein Sträfling mehr war, sondern im abgelegten schwarzen Anzug vom Herrn Gerichtsrat wie ein Ehrenbürger aussah.

Hinter dem blumenumkränzten Wagen, der das tote Mädchen trug, schritt Frau Walpurga mit königlicher Haltung im schwarzen, wallenden Schleier. – Ich hab' sie anders gesehen, dachte sich Helfrich. Der Richter trat zu ihm und flüsterte: »Diese Mutter hat wohl schon geprüfte Züge, ist aber noch immer ein wunderschönes Weib!«

»Ach ja,« seufzte Helfrich und sah ihn liebevoll an.

»Das hab' ich ja gar nicht geahnt, daß hier im Hause – gerade über mir – eine so herrliche Person wohnt.«

»Freilich – freilich.« Alles dankte ihm, der Richter auch, daß er diese prächtige Frau zu Gesicht bekam. Nun würde er sie wohl nicht mehr aus den Augen lassen, wenn er klug war. Paßten eigentlich sehr gut zusammen. Sie hatte eine schöne Wohnung, alles fertig und bereit, er brauchte nur zu ihr einzuziehen – nachdem er vorher vor dem Altar ein freundliches »Ja« mit ihr gewechselt hatte. Das würde sich wohl alles ergeben.

Fintschi hatte aus der halben Stadt Blumen zusammengebettelt und die Kirche so schön geschmückt wie noch nie. Sie weinte bittere Tränen um das tote Cäcilchen, das sie im Leben nicht hatte ausstehen können.

Nach der Einsegnung ging der Zug durch die Stadt, an dem alten aufgelassenen Friedhof vorbei, der schon überwuchert war von blühenden Gräsern, Jasmin- und Akazienbüschen. Ein altes Weib sichelte das Gras nieder von den leicht gewellten Hügeln, denn der Friedhof war zur Wiese geworden, welche die Stadt zur Heumahd verpachtete. So sprossen aus dem Staub der Toten in grünen Graswogen lichte Sternblumen, gelber Hahnentritt und rote Federnelken, und über dem Blütengewirr streckten bleiche Steinkreuze ihre Arme aus, hoben sich geflügelte Marmorengel wie rührende Schmetterlinge. Hier war der Friedhof längst vergessener Kinder, deren Eltern gestorben waren und über deren Gräbern doch noch immer die Elternliebe schwebte in den zarten Gestalten weißer, schimmernder, unvergänglicher Engel.

Auf dem neuen Friedhof, der erst in hundert Jahren schön zu werden versprach, bettete man Cäcilie zur ewigen Ruhe. Walpurga trat zu den Nonnen, dankte ihnen für alle Liebe, die sie ihrer Tochter entgegengebracht hatten, und reichte Helfrich die Hand, zum Beweis vor allem Volke, daß er den Tod ihres Kindes nicht verschuldet hatte.

Das war der erste und einzige Händedruck, den er in Schleppersberg empfangen. Helfrich beugte sich über die Hand der Frau und küßte sie wie die einer Königin.

Nun fühlte er sich stolz und befriedigt, und als alle vom Begräbnis heimgekehrt waren, verbeugte er sich vor dem Rat, dankte ihm für sein Wohlwollen und sagte, daß er nun Schleppersberg verlasse und in die Welt ziehen wolle als ein gereinigter und gebesserter Mensch.

»Wieso gebessert?« fragte der Rat.

»Es war mir hier vergönnt, so unendlich viel Gutes zu tun, daß ich dadurch unwillkürlich gebessert werden mußte. Denn das Gute erzeugt Gutes, so wie das Böse fortdauernd Böses erzeugt …«

»Sie sind also gewissermaßen geläutert,« meinte der Rat. »Das freut mich. Kommen Sie nicht zu bald wieder!« Er nickte freundlich.

Bauer begleitete Helfrich noch ein paar Schritte ins Vorhaus.

»Also Ihren Rosenkranz haben Sie wieder!«

»Ja, Gott sei Dank!«

»Sagen Sie, wie ist denn das Mädchen eigentlich zu ihm gekommen?«

»Ich war im Kloster, ehe der Präsident kam,« erzählte Helfrich. »Dort sah mir die Cäcilie bei der Arbeit zu. Ich hatte den Rock ausgezogen, da nahm sie wohl die Kette heimlich an sich, und Frau Walpurga hat sicherlich gedacht, ihre Tochter habe den Rosenkranz von den Nonnen geschenkt bekommen …«

»Ja – so mag es gewesen sein,« nickte der Richter nachdenklich. »Nun leben Sie wohl, Helfrich! Hier waren Sie sehr brav …, bleiben Sie so!« Sein Blick war warm und leuchtend und beglückte Helfrich.

Zum Kerkermeister sagte Helfrich gnädig: »Wenn Sie wieder einmal so einen Mann wie mich hier haben, Herr Züngel, dann folgen Sie ihm genau. Sie wissen, wie gut es war, daß Sie mir zum Schluß noch nachts die Tür offen gelassen haben. Da konnt' ich mein Rettungswerk zur rechten Zeit ausführen … Ich hätte sonst zu spät kommen können … Also hübsch folgen, Herr Kerkermeister! Grüßen Sie mir Ihre Frau und die jungen Herrschaften!«

»Auf Wiedersehen, Herr Helfrich!« rief Frau Züngel durch die Tür. Sie sagte »Herr«; das versöhnte ihn mit dem Wiedersehen.

Helfrich ging nun den Schloßplatz nieder, dem Ringe zu. Mit erhobenem Haupte schritt er hin. Die Bürger standen vor den Häusern und dankten ihm, und er nahm ihre Huldigungen entgegen wie etwas Selbstverständliches.

»Sie werden uns sehr fehlen,« rief Mandelbaum, »haben Leben in die Stadt gebracht! Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Herr Helfrich – ich brächt's noch zum Direktor!«

»Das glaub' ich Ihnen gern, Herr Mandelbaum, Sie haben eine ungewöhnliche Begabung und passen sich allem an. Ich bin nur ein armer, ehrlicher Vagabund …«

Die Zuckerbäckerin lächelte Helfrich zärtlich zu. »So viele Torten haben wir seit Jahren nicht gebacken wie zu der neuen Zeit,« rief sie. »Erlauben Sie, daß ich Ihnen zum Danke etwas Süßes mit auf den Weg gebe!« Und sie reichte ihm, in rosa Papier gepackt, eine rundliche Gabe.

Der Apotheker schenkte ihm eine Flasche Magenbitter – für alle Fälle.

Helfrich dankte gerührt. Hinter ihm blieb die Stadt wie in den Nebel einer unermeßlichen grauen Langeweile gehüllt. Wieder gab es nur zwei Sprachen in ihr, die sich gegenseitig zu bekämpfen suchten. Der Vielsprachenkundige hatte sie verlassen.

Als Helfrich zu der schattigen Allee am Teiche kam, stand Fräulein Fintschi vor ihm, Blumen in den Händen. Sie trug eine weiße Bluse mit ein bißchen zerfransten Aermeln und einen vergilbten Veilchenstrauß auf dem uralten schwarzen Strohhut, unter dessen Rand das rosige Gesichtchen mit seinen noch immer glatten Wangen munter blickte.

Michels Herz schlug höher. Brachte sie ihm die ersehnte Botschaft?

»Herr Helfrich, ich habe Sie hier erwartet …, möchten Ihnen viele Blumen auf dem Weg sprießen, solche große, rote Blumen wie diese hier …«

»Fräulein …, Sie beglücken mich tief!« Er nahm die Blüten und küßte der Spenderin die Hand, die welk und grau in einem reinen, weißgewirkten Halbhandschuh steckte.

Fintschi hatte seit Jahrzehnten niemand die Hand geküßt, und sie erschauerte beglückt. Doch traurig sagte sie:

»Ich bring' Ihnen leider keine gute Nachricht. Der Vom Hohentwiel hat mir heute abgesagt. Er hat sich's überlegt …«

»Das hab' ich nicht anders erwartet,« sagte Helfrich und verbarg seine tiefe Enttäuschung. »Wenn die Leute erst zu überlegen anfangen, vollbringen sie keine edle Tat mehr … Wir wollen uns darum nicht grämen.«

Was ist er doch für ein stattlicher Mann, dachte sie, ein Weltmann durch und durch.

Helfrich blieb stehen und blickte noch einmal nach den Fenstern des Schlosses zurück, ob ihm nicht eine Hand einen Gruß nachwinke. Doch die Fenster waren blind und geschlossen wie kalte Herzen. Er aber wußte, daß sie des Nachts offen standen wie Flügel der Sehnsucht.

»Die Frau Walpurga hat sich eine tschechische Grammatik gekauft,« erzählte Fintschi.

»Sooo?«

»Ja … sie sagt, daß sie sich in ihrer Einsamkeit betäuben muß …«

»Das wird ihr wohl bald gelingen,« sagte er nachdenklich.

»Weiter kann ich nicht mit Ihnen gehen, Herr Helfrich, denn drüben am Berg' möcht' man mich sehen …, und ich muß sehr auf meinen Ruf achten … Ja, das wollt' ich noch sagen … der Herr Richter hat sich heute von mir Schillers Werke ausgeborgt; er sagt, er will sich ein bißchen mehr ins Deutsche vertiefen …«

»Sooo?« Nun schlugen zwei Seelen die Brücken zueinander.

»Ich danke Ihnen auch recht schön für alle Unterhaltung, die Sie uns gebracht haben …, ohne Sie wird es wieder sehr einsam sein!«

»Sie sind zu liebenswürdig,« sagte Helfrich mit ritterlicher Verneigung. Fintschi stand noch immer. Das ging ihr stets so; wenn sie Abschied genommen hatte, fielen ihr noch die wichtigsten Dinge ein. »Sie haben ja in den zwei Monaten eine Menge geleistet in Schleppersberg …«

Das wollte er meinen. Er hatte das geschäftliche Leben gehoben, die neue Zeit eingeführt, ein Museum gegründet, den Gerichtsherren Auszeichnungen gesichert, eine Mutter gerettet und erlöst. Ja sogar eine nahende Ehe hatte er gestiftet.

»Die vielen Nähmaschinen und elektrischen Klingeln, die Sie gerichtet haben, und die Gärten und …«

»Das sind so die Nebensachen,« sagte er großzügig.

»Ich bitt' Sie, Herr Helfrich …, wo …, wo gehen Sie denn jetzt hin?«

»Ja, sehen Sie, liebes Fräulein, das weiß ich selber nicht.« Seine Lippen umspielte ein bitterer Zug. »Ich gehe hinaus ins Ungewisse, Leere, in das drohende Nichts. Da ist keine Tür, die sich vor mir auftut, kein Mensch, der mir Willkommen winkt, keine Arbeit, die sich mir bietet. Ich bin ein Gezeichneter – ein halb Verlorener …«

Fräulein Fintschi verstand nicht alles, was er sagte, aber es kam ihr wunderbar und rätselvoll vor. Was ihr daran verrückt erschien, verzieh sie ihm, denn sie wußte, daß er ein frommer Mann war, so fromm wie sie, wenn auch in etwas andrer Art. Sie schmückte Altäre, und er glaubte an seinen Rosenkranz. Doch es war nicht seine Art, sich der Verzweiflung hinzugeben.

»Fräulein Fintschi,« rief er, »wir wollen einmal jung sein und nichts denken! Das ist das Schönste an der Jugend, daß sie nicht nachdenkt, und das Widerliche am Alter, daß es immerfort denkt und denkt! Ich hab' ein ausgezeichnetes süßes Gebäck von der Zuckerbäckerin bekommen und einen feinen Likör vom Apotheker. Kommen Sie, Fräulein Fintschi, wir setzen uns nieder an den grünen Tisch der Natur und essen gemütlich alles auf, das heißt, wenn Sie nicht übersatt sind …«

»Kontra – kontra!« rief Fintschi lachend; das Wort hatte sie von ihrem Vater, der ein leidenschaftlicher Kartenspieler gewesen war und immer »Kontra« gegeben hatte. »Ich bin gerade heut' wieder ganz verhungert!«

»Das trifft sich vorzüglich!« freute sich Helfrich, und bald saßen sie nebeneinander, aßen vergnügt die rotüberzuckerte Torte und blickten auf die ernste graue Stadt nieder.

»Wenn mich nur niemand mit Ihnen sieht!« ängstigte sich Fintschi und trank verschämt von dem rosenroten Likör.

Dann erhob sich Helfrich, schüttelte Fintschis Hände, sagte ihr noch treuen Dank, ein herzliches Lebewohl und ging.

Fintschi sah ihm nach, wie seine lange, hagere Gestalt sich schwarz abhob vom goldenen Abendhimmel. Die Augen wurden ihr feucht. Er wandte sich um, und sie winkte mit dem Taschentuch, wie mit einer kleinen grauen Fahne. Das war der einzige Mann, mit dem sie doch manchmal hatte sprechen können. Die Stadtherren sahen sie ja nicht an, die kleine 60jährige Waise – das verlangte sie sich auch gar nicht, waren alle roh und gewöhnlich. Aber der Helfrich schien ihr etwas Besseres, Feineres, er wußte, wie man mit Damen spricht – ja, ja, es ließ sich nicht leugnen, er brachte nach Schleppersberg einen Hauch der großen Welt.

Während Fintschi noch nachdenklich dem Entschwindenden nachstarrte, hörte sie das Rollen eines Wagens, den Trab geschulter Pferde. Sie wandte sich um und erkannte das Gefährt der Baronin Keltner.

Der Kutscher hielt die Schimmel an. Fintschi sprang an den Wagen.

»Meine liebste Frau Baronin!« rief sie beglückt.

»Ja, Fräulein Fintschi, was machen Sie denn hier? So allein und so weit von Schleppersberg … Sie haben gewiß ein Stelldichein gehabt!« drohte lächelnd die Baronin. Wunderschön dünkte sie Fintschi mit dem feinen Schleier über dem schmalen Gesicht und dem drapfarbenen Mantel.

»Liebste Frau Baronin – ja! Ich will die Wahrheit sagen, ich hab' den Helfrich begleitet, der grad heute wieder – hinausgewandert ist …« Sie vermied das Wort Gefängnis.

Die Baronin war sehr überrascht. »Der Helfrich? Also ist er schon fort? Und ich wollte eben nach Schleppersberg fahren und dem Rat sagen, daß ich für Helfrich eine Stelle freigemacht habe – er kann als Waldhüter in meine Dienste treten …«

»Oh, mein Gott – mein Gott!« rief Fintschi, und ihr frohes Gesicht umdüsterte sich. »Und nun ist er schon weg – Wie hätte er sich gefreut! Aber ich bitt schön, liebste Frau Baronin, wenn ich ihm schnell nachlauf, hole ich ihn noch ein.«

Die Baronin überlegte.

»Er kann höchstens drüben beim Walde sein,« bettelte Fintschi mit flehenden Blicken. »Das ist ja so ein Glück für ihn …, Frau Baronin fahren in die Stadt, und ich schick' ihn gleich zur Frau Baronin!«

»Warten Sie, Liebste …, das hat keine solche Eile. Er soll nicht etwa nach Schleppersberg kommen …, ich kann ihn doch nicht im Wagen mitnehmen …, er möge sich meinem Oberförster vorstellen.«

Fintschi eilte Helfrich nach. Bei dem kleinen Gehölz hatte er haltgemacht, sah den Wagen der Baronin in der Ferne und Fintschi an sich herankommen. Was mochte ihr schneller Lauf zu bedeuten haben?

»Herr Helfrich!« rief sie, »Herr Helfrich – eine Freudenbotschaft!« Keuchend, mit glühenden Wangen, kam sie zu ihm. »Denken Sie sich, die Frau Baronin hat eine Stellung als Waldhüter für Sie. Sie sollen heute noch zu ihr aufs Schloß kommen. Ach, Herr Helfrich, ist das nicht ein Glück! Ist sie nicht eine edle Dame? Hab' ich das nicht immer gesagt?«

»Heute noch – heute noch,« murmelte Helfrich. Ihm ward ganz eigen. Eine große Freude durchzuckte ihn. War's möglich – diese vornehme Frau – ließ sich zu ihm herab, schenkte ihm ihr Vertrauen … Seine Brust weitete sich, ein breites, sattes Lächeln glitt über seine Züge und verklärte sie. Morgen schon konnte er in Ehren in eine bürgerliche Stellung eintreten, ein neues Leben beginnen, das Leben, nach dem er sich jahrelang gesehnt. Nicht mehr vagabundieren, nicht mehr stehlen, nicht mehr als Gefangener hierhin und dorthin verschickt werden – Schluß mit der ganzen Karawanserei. Die bürgerliche Ehre winkte! Die korrekte, sittsame Arbeit – die Regelmäßigkeit! Tag für Tag in Tugend und Fleiß … Großer Gott, schickten sich denn seine alten Glieder, seine zermürbten Knochen noch in die Zwangsjacke der täglichen Ehrsamkeit? Der bürgerlichen Korrektheit? Immer der gleiche Dienst – er arbeitete ja gern – aber Veränderung war seine Lust … Er hielt es nicht zu lange an einem Orte aus, wenn auch der gütigste Herr als sein Vorgesetzter winkte. War er nicht in all den Jahren einem Wandertrieb verfallen? Hielt ihn der Satan nicht an den Haaren?

»Nun, Herr Helfrich, was stehen Sie so stumm, freuen Sie sich denn nicht auch?« Mitfreuen sollte er sich mit dem guten Wesen!

»Ich freue mich, ich freue mich unbändig, Fräulein Fintschi. Und natürlich – heute noch – heute noch werde ich zur Frau Baronin eilen. Abends findet sie mich schon im Schlosse. Sagen Sie es ihr, liebstes Fräulein! Sie laufen ja doch wieder zu ihr, nicht wahr?«

Wenn ich die Fintschi nur schon los wäre, dachte er, und die Baronin dazu und das ganze lockende Herrschaftsleben in der bürgerlichen Gesellschaft. Wie er diese Gesellschaft haßte – mit ihren Lügen, ihrer verrotteten Moral, ihrer Kleinsucht und Enge … Großer Gott! Und jetzt wollte sie ihn einfangen, den freien Vogel, den Vogelfreien. Er sollte in ihren Käfig zurückkehren, in dem man sich ja doch nur wohl fühlte, wenn man in ihm aufgewachsen war, denn dann merkte man nicht die Stäbe und Gitter … Er aber – er sollte jetzt sehenden Auges durch die vor ihm geöffnete Tür zwischen die Gitterstäbe hineinschlüpfen? Am Ende würde er noch heiraten. Das Gefängnis im Gefängnis suchen. Ihm sträubte sich der rote Schopf. Nein und tausendmal nein! Alles in ihm bäumte sich auf. Und blieb er zeitlebens ein Strolch und Einbrecher, er zog es dem engen Kerker vor, in den er jetzt bewußt auf Lebenszeit einziehen sollte.

»Endlich ist Ihr heißester Wunsch erfüllt, lieber Herr Helfrich, und Sie scheinen ja gar nicht so sehr glücklich darüber,« sagte Fintschi mit leiser Verwunderung.

»Oh, Sie irren sich, Fräulein Fintschi, ich juble, ich hüpfe! Die Baronin wird keinen treueren und verläßlicheren Diener haben als mich – ich kann nämlich alles, Fräulein Fintschi, ich kann auch ehrlich sein auf die Dauer, wenn ich es will. Aber jetzt eilen Sie zurück. Und natürlich, wenn Sie dann einmal zur Frau Baronin auf Besuch kommen, sehen wir uns …«

»Ja, ja!« freute sie sich und klatschte in die verrunzelten Hände.

»Dann sehen Sie mich – vielleicht schon in Livree!« Der Magen krampfte sich ihm zusammen. Furchtbar schien ihm diese Zukunft, grauenvoll. Wie hatte er sich je nach ihr sehnen können! Der Richter hatte recht. Man soll ein Ideal haben – aber man darf es nicht erreichen.

Fintschi stand noch immer. Ja konnte sie sich denn nicht losreißen von ihm? Dann mußte er ein Ende machen. »Leben Sie wohl, Fräulein Fintschi – ich laufe – Sie sehen – ich laufe in die bürgerliche Stellung!« Er schwenkte die Mütze und begann mit großen Schritten den Hügel hinabzueilen.

»Herr Helfrich!« rief Fintschi verzweifelt. »Warten Sie, Sie irren sich ja, Sie laufen nach der entgegengesetzten Richtung!«

Aber Helfrich hörte nicht mehr. Wie von Furien gejagt rannte er spornstreichs in die Weite.

Die Baronin hat ihn nie zu Gesicht bekommen, und sie war froh darüber.

 


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