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X.

Es war der 30. April. Das Volk wogte schon des Morgens über den Ringplatz. Aus den nächsten Dörfern waren Gäste gekommen, denn es hatte sich die Nachricht verbreitet, in Schleppersberg werde ein besonderes Fest stattfinden und die Uhren würden hier wirklich vorgeschoben werden wie in den ganz großen Städten, an deren Verstand man ein wenig zweifelte. Man staunte, daß die Leute »dort oben« in der schweren Kriegsnot Muße für solche Dummheiten hatten, wie sie die Verschiebung der Zeit war.

Der Konditor ward das Dreifache an Gebäck los, und beim Mandelbaum stand die ganze Familie im Laden und verkaufte.

»Es wär' gut, wenn wir öfter solche Feste hätten,« sagte der Apotheker, der gleichfalls auf seine Rechnung kam. Auch aus den deutschen Dörfern waren Leute erschienen, aus Dörfern, in denen noch kein Fußbreit an die Tschechen abgegeben worden war. Friedlich gingen Frauen und Greise unter den Lauben und vor dem Rathaus spazieren, und die Kaufleute hatten alle Ohren voll zu tun, um bald deutsch, bald tschechisch auf eine Frage nach dem Preise dieser oder jener Ware zu verantworten.

Am ersten Mai gab's immer Festmusik. Helfrich hatte die Stadtkapelle veranlaßt, diesmal schon am 30. April zusammenzutreten, nachmittags mit leichten Walzern und Polkatänzen Stimmung zu machen und abends seine Turmbesteigung mit der Volkshymne zu ehren.

»Die Veteranen haben die Volkshymne im Blut. Also, Herr Züngel, wenn Sie in weihevoller Nacht das »Gott erhalte« hinausschwingen lassen zum ewigen Sternenzelt, während ich die Stunde totschlage …«

»Wen schlagen Sie tot?« schrie erschrocken Züngel.

»Die Stunde schlage ich tot … Wenn Sie in dieser weihevollen, totgeschlagenen Stunde die Herzen aller zu edler Begeisterung erheben, dann werden aus allen Augen Tränen fließen, und Sie werden mit Ihrem Taktstock die alte Zeit entlassen und die neue einführen in unsre bescheidenen Mauern …, eine allerhöchste Auszeichnung ist Ihnen sicher.«

Züngel blickte bewegt empor. Das goldene Verdienstkreuz gebührte ihm schon längst …

Helfrich wußte, wie dergleichen Feste sich in der Großstadt abspielten. Da gab es vor allem Verkaufszelte und reizende Verkäuferinnen. Weder an die einen noch an die andern war hier zu denken. Aber Fräulein Fintschi konnte immerhin mit ihrer munteren Beweglichkeit Schleifen und Postkarten oder Zündhölzchen zum wohltätigen Zweck anbieten, um eine freudigere Bewegung in die Menge zu bringen.

Helfrich lief in den zweiten Stock des Schlosses und pochte an Fintschis Tür.

»Herein!« sagte eine dünne Stimme. Der Gast steckte den Kopf in die Türspalte. Fintschi erschrak, sie wußte nicht, ob sie den Häftling wirklich hereinbitten sollte.

»Ich wollte mir nur erlauben, das gnädige Fräulein anzuflehen, die Feststimmung durch Verkauf von Mascherln und Zündhölzchen zu heben!«

»Sehr gern tu ich das, sehr gern!« rief Fintschi und schlug freudig in die schmutzigen Hände. »Von Mascherln aber, das sag' ich Ihnen gleich, kann ich nur die tschechischen nehmen, sonst hauen mich die Tschechen. Gut übrigens, daß Sie kommen, Herr Helfrich! Ich habe Sie schon heute sprechen wollen. Denken Sie sich meine Freude! Mein Neffe, der Komponist, er nennt sich Vom Hohentwiel, weil er eigentlich Müller heißt, hat mir gleich geantwortet. Er braucht jetzt einen Gärtner, und da möcht' er Sie gern engagieren …«

»Gern,« sagte sie, das klang Michel wie Himmelsmusik. »Ich soll ihm nur noch einiges schreiben, und dann haben Sie die Stellung sicher!«

»Liebes Fräulein Fintschi, meiner ewigen Dankbarkeit können Sie sicher sein …« Wäre sie nur um zwanzig Jahre jünger, ich trüge ihr wahrhaftig die Ehe an, sagte sich Helfrich und trat in das Zimmer der Waise.

Gerührt sah er um sich. Da blitzte es im Spind von alten Gläsern und Tellern, Kaffeekännchen und sogar Obstschalen mit silbernen Füßen. Ein kostbarer Tisch stand vor dem Sofa, kostbar durch sein Alter. Dunkle Bilder hingen an den Wänden. Durch eine Tür sah man Fintschis Schlafzimmer, und hier – wie war das köstlich – hatte Fintschi sich neben dem Bett aus einem alten Toilettentischchen einen kleinen Altar aufgerichtet, ganz mit rosa Kattun bekleidet, geschmückt mit Mascherln und Sträußchen, Rüschen und Heiligenbildern. In der Mitte stand der Herr Christus, ihr himmlischer Bräutigam. Etwas Zierliches, Kokettes und doch rührend Frommes war in dem Aufbau des Altärchens. Ein wenig schmutzig waren die Spitzenrüschen und ein bißchen beschädigt die Bilder, und doch – das fühlte man – lag Fintschis Seele betend an dieser Stätte.

»Vielleicht gewinnen Sie noch die Frau Walpurga, daß sie auch mitverkauft …,« bat Helfrich.

»Oh, die! Das sag' ich Ihnen schon im voraus, die ist zu so etwas nie zu haben. Die ist zu hochmütig. Ja, wenn da lauter Deutsche wären, da ließe sie sich herab – in der Hinsicht ist sie ganz dumm. Sie geht nie aus, weil sie vielleicht ein tschechisches Wort hören könnt' … Das ist ihr schon zuviel. Da sitzt sie am liebsten Tag für Tag in ihren Zimmern … Ich frag' sie erst gar nicht …«

»Na, wie Sie meinen. Ich laufe jetzt, alles zum Verkaufe für Sie zu besorgen.«

»Und ich will mich schön machen!« knixte Fintschi mit glückstrahlenden Aeuglein.

Helfrich gewann noch die blasse Schneiderin Martha und ein paar halbwüchsige Mädchen, die auch verkaufen wollten. Zündhölzeln lieferte der Apotheker, Postkarten Herr Mandelbaum, und Maschen opferte die Zuckerbäckerin, die sie schnell eigenhändig nähte. »Aber wenn wir keine österreichischen oder deutschen Farben dazugeben, dann prügeln uns die Deutschen durch,« sagte sie.

»Dann geben Sie ein paar deutsche Mascherln!« rief Helfrich, »die sollen aber die tschechischen Mädel verkaufen – die Tschechen werden doch ihre eigene Haut nicht prügeln!«

»Wenn nur alles gut vorübergeht!« sagte der Zuckerbäcker. Das Gewirr der Leute vor seinem Laden beengte ihn.

Ehemals hatten die Burschen in der Nacht zum 1. Mai vor den Fenstern ihrer Liebsten mit Blumen und Bändern geschmückte Maibäume aufgestellt. Heute dachte niemand an einen Maibaum. Alle Spannung wandte sich der Uhr zu.

Viel Volk zog zum Teich hinab, wo die alten, großen Bäume wehmütig in das trübe Wasser starrten. Hier fühlten nur die Mücken sich wohl und Liebespaare.

Die Sonne sank glühend nieder, als nähme sie flammenden Abschied von der alten Zeit.

Schon um 8 Uhr standen viele Leute auf dem Ringplatz und starrten zur Turmuhr empor. Die Bauern erwarteten etwas ganz Besonderes von der vorspringenden Stunde. Um 9 Uhr zogen acht Veteranen, mit wehenden schwarzgrünen Hahnenfedern auf den Hüten, vom Kapellmeister Züngel angeführt, vor das Rathaus und nahmen hier Aufstellung unter den krummen Akazienbäumen. Sie ermunterten sich gegenseitig, stimmten die Geigen, reinigten die Trompeten und bewahrten Würde und Stolz. Der Kapellmeister hob den Taktstock … Ein Choral ertönte. In Ergriffenheit lauschte die Menge. Aber keiner wagte mitzusingen, um nicht den anderssprachigen Nachbar zu reizen. Unter den Spaziergängern tauchten jetzt die ersten Persönlichkeiten der Stadt auf, der Landesgerichtsrat, der Bezirksrichter, der Notar, der Apotheker, und alle sahen liebevoll nach den Zeigern der großen Uhr, die noch ahnungslos waren, welcher Vergewaltigung sie entgegenschritten.

Fräulein Fintschi lief geschäftig hin und her und verkaufte, und mit ihr eilten die tschechischen Volkskinder. Alles war friedlich.

Helfrich begann schon um 10 Uhr den Turm zu erklimmen. Vom ersten Absatz sah er freudig auf das Fest nieder. Sein Werk! Wenn doch die Leute wüßten, welche Fähigkeiten in ihm des Erwecktwerdens harrten!

Wie lieb sie alle durcheinander schritten, jeder sagte irgend etwas Dummes, das dem Nachbar nicht auffiel, so umfing sie alle eine Kette der Liebe, der Güte. Wäre es möglich, daß diese Völker jemals im Kampfe gegen einander losfahren könnten?

Helfrich stieg eine Treppe höher. Wie eine dumpfe, rätselhafte Woge klangen die Reden der Menschen zu ihm herauf. Ihre Gestalten verloren sich – er sah sie nur als Masse, aus der die Musik dröhnte. Ein paar Lichtpunkte flammten gelb und grün und rot – spärliche, von Helfrich erbettelte Lampions, von der Familie Mandelbaum selbst getragen, die sie keinen fremden Händen anvertraute. Aus dem Garten wehte blühender Fliederduft zu ihm empor und umschmeichelte seine Nase.

Wieder kletterte Helfrich höher. Die steinernen Stufen hörten auf. Die schmalen Holzleitern begannen, die den Aufstieg erschwerten. Er sah durch eine kleine Fensterluke auf den Ringplatz – und durch die nächste – großer Gott – wohin sah er da? Gradaus hinab in ein trauliches, geschmücktes Zimmer im zweiten Stock des Schlosses. Drin stand am Fenster eine Frau von schöner, üppiger Gestalt; sie hatte die schwarzen Flechten herabgelassen und kämmte sie auf. Hinter ihr auf einem Schemel hockte ein blödsinniges Geschöpf, halb Mensch, halb Affe. Frau Walpurga küßte es und wandte sich zurück zum Spiegel – blendend wiederstrahlte er die weißen Schultern, die lichte Stirn. Wie schön war der Nacken des Weibes, wie schlank sein Hals … Helfrich starrte die Erscheinung an. Das alte Raubtier reckte sich in ihm – am liebsten wäre er durch die offene Luke gekrochen, hätte mit kühnem Sprung das flache Dach des Glasganges erreicht und sich über das Gitter des wilden Weines an das Fenster der Frau Walpurga herangeschlichen – und dann – dann … Er hockte, kauerte sich nieder und schaute. Seine Jugend erwachte in ihm – Begierden, die längst geschlafen hatten, jagten ihm durchs Blut. Er vergaß die Leute auf dem Ringplatz und starrte immerfort in das Fenster der Frau – und seine roten Haare hoben sich wie die eines Fuchses, und Funken entstoben ihnen.

Das schöne Weib hatte die geflochtenen Zöpfe aufgesteckt. Es trat ans Fenster. Helfrich sah ein edles, gebietendes Gesicht, kühn geschwungene schwarze Brauen über mandelförmig geschnittenen Augen. Er versteckte sich hinter der Mauer. Walpurga sah zum gestirnten Himmel empor und hob wie in Sehnsucht und Schmerz die weichen, gerundeten Arme … Dann begann sie zu singen – ganz leise – ein deutsches Schlummerlied. Wollte sie das Kind in Schlaf wiegen? Tönte ihre Seele aus Leid? Helfrich starrte sie fiebernd an. Zum erstenmal im Leben empfand er einen wahnsinnigen Schmerz darüber, daß er für immer ausgestoßen war aus der Welt, der jene fremde Frau gehörte. So wollte er wenigstens den köstlichen Anblick, den der Zufall ihm geschenkt, genießen bis zur letzten Sekunde – bis sie das Licht löschte.

Er wartete weiter, Uhr und Zeit waren vergessen. Da hörte er ein dumpfes Gemurmel schärfer zu sich empor dringen – gewahrte eine Bewegung unten in der Menge – ein Kreisen und Drehen – und sah nach der Uhr – die wies fünfzehn Minuten nach elf. Er hatte die Stunde versäumt. Das Volk schrie nach der neuen Zeit. Er streckte die Blendlaterne vor und winkte. Das beruhigte die Leute. Sie ermaßen die Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, da er noch immer nicht in Uhrhöhe war, und warteten geduldig weiter. Er kletterte schnell die nächste Leiter empor, sie krachte unter seiner Last – und noch eine, die schmälste und letzte … Jetzt hatte er die alte Uhr erreicht, rings um ihn huschelte und rieselte es, Mörtel fiel ab … Jetzt galt es, sich dünn machen, durch die Luke hinausklettern, am vorspringenden Gesims, das über der Uhr ragte, sich mit der Linken festhalten, die Füße auf den Mauerrand stemmen und die große Tat vollbringen.

Noch ganz benommen von dem Anblick, der sein Blut erhitzte, wandte Helfrich seine gespannteste Aufmerksamkeit dem Werke zu, das er zu vollbringen unternommen hatte. Alle Muskeln strafften sich. Er war nur Sehne, Kraft und Wille. Die Blendlaterne hing er an einen Nagel, so daß ihr Licht durch die Luke fiel.

Mit langen Spinnenbeinen und dünnen Armen schwang er sich an die Außenseite des Turmes. Wie ein graues Gespenst klebte er über dem weißen Zifferblatt. Er spürte tief unter sich die atemlose Spannung der Menge. Er rückte an dem Stundenzeiger, schob ihn vorsichtig vor – jetzt zeigte er halb zwölf. Michel wartete, bis die halbe Stunde geschlagen hatte, und schob den Minutenzeiger auf neun. Wieder tönten die Schläge – diesmal waren es drei. Oh, wie langsam sie aufeinanderfolgten! Eine Ewigkeit trennte jeden von dem nächsten. Nie noch hatte er auf das Schlagen einer Uhr so bangend gelauscht wie diesmal. Die Linke krampfte sich tiefer in das Gesims – wenn es bröckelte, stürzte er in die Tiefe. Die Füße suchten einen festeren Halt … Endlich waren die Schläge ausgetönt – er schob den Zeiger, der rasselnd ächzte, auf zwölf.

Ein Ruf aus tausend Kehlen drang herauf – ein Schrei der Erlösung. Michels Spinnengestalt löste sich vom Zifferblatt, verschwand in der Luke und mit ihr das Licht der Laterne, und erschien wieder bei der nächsten Oeffnung, hing wieder über dem zweiten Zifferblatt und umkroch so den Turm, bis alle Zeiger die neue Stunde wiesen. Ungeheure Jubelwellen quollen zu Helfrich empor. Die Musik erbrauste ihr »Gott erhalte …« Er war tief bewegt – so hatte die Menge doch um sein Leben gebangt und gezittert! Er hatte ein Meisterstück vollbracht, nun wollte er teilhaben an seinem Feste und eilte hinab. Je tiefer er kam, um so wilder und höher schwoll die Woge. Er sah die Leute in lebhafter Bewegung, als tanzten sie vor Freude.

Der Apotheker erwartete den Sieger.

»Großartig habt Ihr das ausgeführt!« rief er. »Das hätte Euch keiner hier nachgemacht. Da sieht man, was Ihr für eine Uebung habt.«

Helfrich gab es einen Stich. Immer der Hinweis auf seinen – Beruf.

»Ich war sehr gerührt,« sagte er. »Ich spürte genau, in welcher Aufregung die Leute waren – in welcher atemlosen Angst …«

»Ja – sie zitterten alle, daß die alten Zeiger abbrechen und herunterfallen könnten …«

Die Veteranen begannen wieder zu spielen. Doch was war das? Mit einem Male verstummte der Lärm, der bisher jedes Musikstück begleitet hatte. Ganz still ward es rings – und wie ein weicher, voller Choral klang das Lied » Kde domov muj« in die Lüfte. Die Deutschen erstarrten.

»Tschechische Musikanten!« rief der Oberförster Obderschel entrüstest. Er trug Lederhose und nackte Knie wie ein Tiroler. »Man will uns vergewaltigen!« Ein Tumult erhob sich unter den Deutschen. Sie suchten durch ihr Getöse das Lied zu unterbrechen, und als dies nicht gelingen wollte, denn die Kapelle war unfähig, sich selbst zu unterbrechen, forderten sie stürmisch die »Wacht am Rhein«. Die Veteranen aber waren noch unfähiger, sie zu spielen.

Sie begannen wieder ihr »Gott erhalte«. Niemand hörte mehr zu. Die Tschechen schrien über den Terror der Deutschen. Fäuste erhoben sich. Der Stadtschreiber Solc gab das Zeichen zum Angriff. Deutsche und Tschechen drangen gegeneinander vor. Frauen und Mädchen flüchteten schreiend; Fintschi wurde die Tasse mit den Gaben aus der Hand geschlagen, sie rannte laut jammernd zum Kirchentor, gefolgt von den tschechischen Verkäuferinnen. Mit elementarer Gewalt brach der Kampf der Fäuste los. Die Ehrenbürger waren verschwunden. Niemand mehr sah nach der Uhr. Die Kaufleute verrammelten ihre Laden aus Angst vor Plünderungen, Rat und Richter eilten zur Ortspolizei, um die Gendarmerieposten der Umgebung zur Verstärkung herbeizurufen.

Helfrich drückte sich der Mauer entlang dem Schlosse zu. Raufereien ging er vorsätzlich aus dem Wege.

Da lief, laut schreiend, die Kerkermeisterin auf den Ringplatz. »Wo ist mein Mann?« rief sie in die Menge. Die Musik war verstummt, und die Veteranen hatten Reißaus genommen, als stünden sie in der Schlacht.

»Rennen Sie doch nicht! In Ihrem Zustand!« warnte Helfrich. Wenn die Frau es so trieb, konnte er noch Geburtshilfe leisten. Doch Frau Züngel hörte nicht auf ihn. »Wo ist mein Mann?« brüllte sie. »Ein schreckliches Unglück! Die Gefangenen sind durchgebrannt.«

»Um Gottes willen, wie konnte das geschehen?« rief er erschrocken.

»Was weiß ich … weg sind sie … auch die Weiber, o Gott, o Gott, das kann meinem Manne die Stellung kosten!«

Der Stadtplatz hatte sich geleert, man sah nur Fliehende durch die Gassen eilen und hörte deutsche und tschechische Schmähworte.

»Das soll ein Fest sein?« schrien die Leute durcheinander. »Nichts haben wir gesehen, eine Katzenmusik haben wir gehört, betrogen sind wir worden, denn man hat uns wertlose Sachen verkauft. Und jetzt sollen wir noch verprügelt werden? Das ganze Fest ist ein Schwindel, wie er nur in der Großstadt vorkommt.«

Der Kerkermeister lief in Verzweiflung herbei. Er hatte schon die Unglücksnachricht gehört.

»Wem haben wir die ganze Bescherung zu danken?« tobte er, als er an Helfrich vorüberstürmte. »Nur Ihnen!«

»Die neue Zeit fängt gut an,« stöhnte der Richter. Helfrich stahl sich an ihm vorbei, um sich in einer Zelle selbst einzusperren – als einziger Gefangener.

Nachts wurde er vom Kerkermeister gerufen und um die Hebamme geschickt. Frau Züngel lag in ihrer schweren Stunde.


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