Heinrich Stilling
Eine wahre englische Katze
Heinrich Stilling

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Das letzte Kapitel für sich

Ich schreibe Theaterstücke, sehr lange Theaterstücke, die keine Aktschlüsse kennen und deswegen höchstens zweimal aufgeführt werden, denn das Publikum will hinaus und kann es nicht, weil es unanständig wäre. Ich schreibe Geschichten, sehr lange Geschichten, die nicht gelesen werden, weil sie nicht in Kapitel eingeteilt sind, und der Leser deutlich aufgestellte Ruhebänke braucht, wenn er sie auch nicht regelmäßig benutzt.

Ich habe das alles getan, weil es meinen künstlerischen Absichten entsprach, denn das Leben kennt keine Pausen und läßt sich nicht in Kapitel einteilen, und 386 um eines Erfolges willen Konzessionen zu machen, dazu brachte mich kein Theaterdirektor, kein Verleger und alle die andern Leute mit der schrecklichen Aufgabe, die Kunst zu bearbeiten, damit sie rentabel wird.

Aber diese Geschichte, benannt:

Eine wahre englische Katze

oder

Das Buch von der Einsamkeit
und den wenigen Freunden,

ist fein säuberlich in Kapitel eingeteilt, und zwar aus dem Grunde, weil man in einem gewissen Alter Konzessionen machen kann, ohne seine Überzeugung preisgeben zu müssen.

Nämlich als ich das letzte Kapitel las, das heißt, es handelte sich damals noch um keine Kapitel, da fiel mir auf, daß es doch der Pausen bedarf, und daß es nicht möglich ist, ohne weiteres vom Erhabenen zum – Nichterhabenen überzugehen.

Diese Erkenntnis, die meine Überzeugung ins Wanken brachte, ärgerte mich sehr. Wütend blätterte ich in meinen Schreibereien und stieß auf die Kopie meines Briefes an das Marine- und Armeewarenhaus. 387

In meinem Ärger über mich selbst setzte ich mich hin und schrieb ihr folgenden Brief:

Hochgeehrte Direktion!

Die obige Anrede ist nichts anderes als eine Redensart, und Sie dürfen dieselbe nicht ernst nehmen. – Ich habe vor einer Reihe von Monaten in der Angelegenheit eines Romans eine Reihe von Briefen an Sie geschrieben, die Sie im großen und ganzen unbeantwortet ließen. –

Ich bin als Schriftsteller daran gewöhnt, daß meine Briefe von den Redaktionen nicht oder wegen Arbeitsüberhäufung erst am Ende des Jahres beantwortet werden und meine Manuskriptsendungen nur durch einen glücklichen Zufall wieder zu mir zurückkehren, sei es durch den plötzlichen Tod des literarischen Redakteurs oder durch den Eingang der Zeitung. Aber von einem Warenhaus ist es das erstemal, daß ich eine solche Behandlung erdulden muß.

Ihre Schweigsamkeit ist um so erstaunlicher, als Sie sich durch die Beantwortung meines Briefes mit keinem Rappen engagiert hätten, wie das eventuell bei den Redaktoren der Fall wäre. Im Gegenteil, Sie hätten aus mir noch Nutzen ziehen können, der meiner Auffassung nach in mancher Null bestanden hätte. 388

Jetzt haben Sie sich möglicherweise durch Ihr Schweigen sehr geschadet, denn im Laufe der Geschichte ließ ich jede Rücksichtnahme auf Sie fallen, und Sie verdanken es nur meiner Gutmütigkeit, wenn ich nicht Ihr geschätztes Warenhaus um das Jahr 1804 mit seinen sämtlichen Lagerbeständen von den Ratten auffressen ließ. Was Sie dann im Frühjahr 1805 dem englischen Publikum für eine Bilanz hätten vorlegen müssen, und wie etwa die »Financial Times«, wenn sie damals schon existierte, sich darüber geäußert hätte, das überlasse ich Ihnen, sich auszumalen. Ihre Firma wäre heute nicht in der Lage, moderne weiße Strandschuhe, das Paar für zwei Shilling sechs pence, zu offerieren, denn sie würde nicht mehr existieren. – Da aber das schöne Wort »fairness« von mir viel im Munde geführt wird und Ihre Firma tatsächlich eine große Rolle in meinem Roman spielt, sende ich Ihnen das Manuskript zu, damit Sie einen Blick hineinwerfen können. Sie brauchen sich aber nichts darauf einzubilden, denn ich würde es auch bei einem Raubmörder tun, den ich zum Helden eines Detektivromans gemacht hätte und dessen Adresse mir so gut bekannt wäre wie die Ihre. Das entspricht eben meiner Auffassung von der »fairness«.

Nun will ich Sie noch darauf aufmerksam machen, daß das Ihnen zugesandte Manuskript nicht das 389 einzige ist, das ich besitze. Im Falle, daß es verloren geht oder von den Ratten aufgefressen wird, die meiner Auffassung nach bei Ihrer bummeligen Geschäftsführung längst wieder in verstärkter Zahl in Ihre Kellerräume zurückgekehrt sind, so kann ich das Buch doch zu jeder Zeit in die Öffentlichkeit bringen.

Wenn ich nun diesen Brief mit dem Ausdruck »ergebenst« schließe, dann merken Sie sich bitte, daß das nur eine Redensart ist, die Sie unter keinen Umständen ernst nehmen dürfen.

Ergebenst

Der Verfasser.

Als ich diesen Brief geschrieben hatte, war ich meinen Ärger los, und an seine Stelle trat die Freude über die wahrscheinliche Wirkung. Aber wenn das Warenhaus seinen Ärger durch die Nichtbeantwortung meines Briefes mir verheimlichen würde? Dann kam mein Ärger in verdoppeltem Maße zurück, um sich für immer bei mir einzunisten. Deswegen schrieb ich an das Ende des Briefes folgende Zeilen:

»Senden Sie mir postwendend zwei Paar Ihrer weißen Strandschuhe zu zwei Shilling sechs pence per Paar. Es handelt sich um die Abbildung 718 im Katalog.«

390 Nach zwei Tagen erhielt ich schon die Antwort. Sie lautete:

Geehrter Herr!

Wir nahmen von Ihrer Bestellung von zwei Paar unserer bewährten Strandschuhe prompt Notiz, bitten Sie aber, uns die Größe, Breite usw. Ihrer Füße mitzuteilen, damit wir Ihren werten Auftrag umgehend erledigen können. –

Das uns separat eingesandte Manuskript haben wir an unsere juristische Abteilung weitergegeben, die sich demnächst zu Ihrer Angelegenheit äußern wird.

Hochachtungsvoll

Marine- und Armeewarenhaus.

Nach einigen Monaten bekam ich ein Schreiben der juristischen Abteilung. Es lautete:

Mein Herr!

Die Direktion des Marine- und Armeewarenhauses läßt Ihnen durch uns mitteilen, daß Sie in Ihren erstaunlichen Schreiben und in der Zusendung des 391 Manuskriptes, übrigens ungenügend frankiert, den Versuch einer Erpressung erblickt, den sie hierdurch auf das entschiedenste zurückweisen läßt.

Trotzdem haben wir Ihren Roman auf die Möglichkeit eines Erwerbes, durch unsere Firma, von einem bewährten Ratgeber prüfen lassen, der festgestellt hat, daß Ihre Mischungen aus Wahrheiten und Unwahrheiten nicht den üblichen entsprechen und daher für unser Lesepublikum nicht tragbar sind.

»Unser Lesepublikum hat einen Leitfaden, an den es sich hält, nämlich unsere Tradition im Romanschreiben, die auch für unsere zeitgenössischen Schriftsteller bindend ist. Unsere Schriftstellerinnen gehen da mit gutem Beispiel voran, warum muß der Schriftsteller aus der Reihe tanzen?«

Das sind Bemerkungen unseres Generaldirektors, der selbst ein eifriger Bücherleser ist, und die wir Ihnen hier wiedergeben. Daß Sie sich an den zwei wichtigsten Stellen Ihres Buches der Federn anderer bedienen, ist uns nicht entgangen. Aber wir werden erst bei einem Erfolg Ihres Buches die Namen der Bestohlenen durch einen bewährten Literaturhistoriker feststellen lassen und ihm dadurch den weiteren Weg in die Öffentlichkeit erleichtern.

Was die Unwahrheiten über uns selbst anbetrifft, so haben wir nach reiflicher Überlegung beschlossen, den 392 gleichen Weg zu wählen. Die bestellten Strandschuhe werden Sie inzwischen erhalten haben.

Ergebenst

Marine- und Armeewarenhaus.

Die Unterschrift des Briefes war klein und nicht leserlich. Dagegen folgte noch handschriftlich ein Satz mit riesengroßen Buchstaben, und er nahm eine ganze halbe Seite für sich in Anspruch. So schreibt nur der Generaldirektor einer sehr großen Firma:

[Falls Sie die Absicht haben, ein Werk über den Raubmörder zu schreiben, von dem Sie in Ihrem letzten Brief zu Interessantes berichten, so sieht die Generaldirektion des Marine- und Armeewarenhauses einer kurzen Inhaltsangabe mit großem Vergnügen entgegen.]

 


 


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