Heinrich Stilling
Eine wahre englische Katze
Heinrich Stilling

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Vorbemerkung des Verfassers

Die in dieser Geschichte vorkommenden Menschen und Tiere haben niemals gelebt, ihre Namen sind frei erfunden. Das englische Marine- und Armeewarenhaus existiert wirklich. Aber was sich darin abspielt, entstammt der bescheidenen Phantasie des Verfassers. Zeit: etwa diejenige William Pitts. Möge sich der Leser nicht beirren lassen, wenn in der Geschichte moderne Erfindungen verwendet werden, wie zum Beispiel Giftgase; William Pitt hätte sie im Interesse Englands auch angewandt, wenn er sie gekannt hätte. Und warum die Fabel in der Zeit William Pitts spielt, weiß die Direktion des Marine- und Armeewarenhauses ebensogut wie der Autor: der große Name dient ihm als Aushängeschild, als Schutzschild und unter Umständen als Gasmaske.

 

Nachbemerkung zur Vorbemerkung des Verfassers

Der Verfasser ist gerne bereit, auf Wunsch die Geschichte aus der Zeit Pitts in diejenige Wilhelms des Eroberers zu legen. Doch bittet er vorher – sei es 10 durch die Direktion des Warenhauses oder von seiten eines historisch geschulten Lesers, am liebsten von einem der bekannten Briefschreiber an die »Times« – um den urkundlich belegten Nachweis, daß das genannte Warenhaus bereits in jener Zeit eine ehrenwerte kaufmännische Tätigkeit entfaltete. Piraterie ist aber damit nicht gemeint, und da der Verfasser dieser Geschichte augenblicklich noch grundsätzlich . . . Die Nachbemerkung wird zu lang und dadurch selbst fabelhaft, und aus einer doppelten Fabel entsteht naturgemäß eine schmerzliche Wahrheit. Aber an der Wahrheit, selbst wenn sie noch so wunderschön schmerzlich ist, liegt dem Verfasser heute nichts, und deswegen beginnt er endlich, zu erzählen:

Die Katze hieß Betty und ihre Besitzerin Dorothy Dickens, wohnhaft in Bristol, Lingering Street 44. Sie hatte von ihrem verstorbenen Vater – der übrigens nicht mit dem Schriftsteller Dickens verwandt war, aus dem einfachen Grund, weil der erst 75 Jahre später auf die Welt kam – 8000 Pfund Sterling geerbt, die ein jährliches Zinseinkommen von 254 Pfund Sterling abwarfen. Davon konnte sie recht und schlecht leben und ihre pädagogischen Talente, die verhinderten, daß sie zu einem eigenen Mann und eigenen Kindern kam, der Welt der Haustiere zur Verfügung stellen. Wenn heute zum Beispiel die englische 11 Hauskatze noch immer als die tapferste, die besterzogenste, die sanftmütigste und – last not least – als die schönste gilt, so ist das unstreitig das Verdienst von Miß Dorothy Dickens. Eine große Reihe von an und für sich schon ausgezeichneten Katzen ging durch ihre Schule, und bei den Beziehungen, die sie als Fräulein mit unabhängigen Mitteln besaß, kamen sie fast alle in die besten englischen Familien. Als Beispiele nenne ich den Herzog und die Herzogin von Bristol, den Erzbischof von Canterbury und einen Infanterieoberst, dessen Name ich im Augenblick vergessen habe. Darum hatten es die Katzen auch nicht mehr schwer, sich in allen Ehren auszubreiten und den Namen der Miß Dorothy Dickens in weitere Jahrhunderte hinüberzuretten. –

Aber in der Zeit, wo unsere Fabel spielt, waren weder der Herzog noch die Herzogin von Bristol, weder der Erzbischof von Canterbury noch der Infanterieoberst in Erscheinung getreten, und nur Sir Herbert Linlithgow ließ sich als seltener, aber hochgeehrter Teegast bei Miß Dorothy Dickens blicken.

Linlithgows eigene Mittel waren damals so gering, daß man sie auch nicht in einer ganz kleinen Zahl zusammenfassen kann, aber dieses Manko wurde fast ganz durch seinen wunderschönen Namen ersetzt, der im engen Zusammenhang mit demjenigen der Maria 12 Stuart stand, die seinerzeit in Linlithgow geboren wurde. Wer Maria Stuart kennt, und sei es auch nur durch den deutschen Dichter Schiller, wird lediglich »aha!« sagen und weiter keine Beweise verlangen, denn die Suche danach führt auf schlüpfrigen Boden, und den muß eine anständige Fabel aus Grundsatz vermeiden.

Es braucht aber auch keine Beweise, denn Sir Herbert wurde wenige Jahre nach seinen Teebesuchen bei Miß Dorothy Dickens leitender Direktor des Marine- und Armeewarenhauses, eine Stellung, die von vornherein für die Wahrheit aller seiner Ansprüche bürgt. – Er war ein Mann von außerordentlicher Tatkraft, und sein eminentes Gedächtnis hat auch ihn sein Jahrhundert überleben lassen, denn ohne dieses Gedächtnis hätte er sich nicht als leitender Direktor des Marine- und Armeewarenhauses der Katze Betty der Miß Dorothy Dickens in Bristol, Lingering Street 44, erinnert, und – nach einem vorhergehenden herzzerreißenden Briefwechsel – einen gewandten Angestellten beauftragt, die kostbare Katze nach London zu bringen. – Was die Katze Betty der Besitzerin einbrachte, weiß ich nicht, obwohl ich im Interesse meiner Leser den ganzen Briefwechsel des Marine- und Armeewarenhauses aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts mit der gütigen Erlaubnis der jetzigen 13 Direktion, der ich aber natürlich den wahren Grund nicht anzugeben vermochte, genau durchforscht habe. Leider habe ich aber nur die Kostenrechnung des gewandten Angestellten gefunden, und beim Lesen derselben haben mir wirklich die Haare zu Berg gestanden. Ich werde wahrscheinlich das interessante Dokument an einer andern Stelle veröffentlichen, weil sich, noch wahrscheinlicher, eine große Zahl meiner Leser mit den Zahlen begnügte und das Interesse am Fortgang meiner Fabel verlieren würde.

Zur Entschädigung will ich aber einige Auszüge aus dem Briefwechsel des Sir Herbert Linlithgow und der Miß Dorothy Dickens geben, die unter Umständen geeignet sind, gefühlvollen Lesern die gewünschten Tränen in die Augen zu treiben. Nicht etwa Tränen des Zornes, wie das beim Lesen der Kostenrechnung des gewandten Angestellten sein könnte, sondern Tränen des Miterlebens einer sentimentaleren Zeit als der heutigen.

Meine teure Miß Dickens!

Als ich vor vier Jahren, an einem wundervollen Herbstnachmittag, zum letzten Male in der Lingering Street Tee trank, um wenige Wochen später meinen verantwortungsvollen Posten in London anzutreten, 14 wußte ich nicht mehr, wie oft ich dieser Ehre gewürdigt worden war. Heute, nach vier Jahren des Schweigens, aber des fortwährenden Gedenkens, erinnere ich mich wieder genau: achtundzwanzigmal in einem Zeitraum von zwei Jahren. Ich hatte es in einem kleinen Notizbuch, worin ich meine Einnahmen und Ausgaben notierte, aufgeschrieben. Warum koste ich nun, vier Jahre nach meiner Abreise von Bristol, noch einmal jeden einzelnen dieser achtundzwanzig Teenachmittage in Gedanken genießerisch durch? Weil ich nach dieser Zeit wohl noch oft Tee getrunken habe, morgens in meiner Junggesellenwohnung, nachmittags in meinem Arbeitszimmer im Marine- und Armeewarenhaus und abends bei allerlei Menschen bis hinauf in die höchsten Kreise, aber keinen wieder, der so köstlich schmeckte wie jener, der, von Ihren schönen Händen zubereitet, in hauchdünnen japanischen Tassen kredenzt wurde. Ich weiß, es kann nicht am Material liegen, denn unsere Firma führt die allerbesten Marken, und ich trinke jeden Nachmittag die Mischung, welche im königlichen Haushalt verwendet wird; ich bin überzeugt, es muß an Ihren edlen Händen liegen, daß Ihr Tee diesen unerreichten Geschmack annimmt. Ja, teure Miß Dickens, die Stunden, die ich auf Ihrem Sofa verbrachte, werden mir unvergeßlich sein, genau so wie die Erinnerung an Ihre schöne Katze Betty. 15 Was macht sie? Ist sie noch immer Tag und Nacht auf der Jagd nach Mäusen? Und ist es wahr, was unser Vertrauensmann in Bristol schreibt, daß dort kaum mehr solches Ungeziefer anzutreffen ist, weil eine gewisse Katze Betty es ausgerottet hat? Und dann noch eine weitere Frage, an der ich besonders interessiert bin, weil ich mich in der letzten Zeit nicht nur mit der Zoologie, sondern auch mit dem Sprachstudium beschäftigt habe: Ist es wahr, daß Betty nicht nur wie damals einige Worte sprechen kann, sondern sich nunmehr mit Ihnen fließend in Englisch unterhält? Nicht nur ich, sondern auch mein Freund Professor Buffers, der demnächst geadelt werden soll, weil er mehrere gemeinverständliche Studien über die bekanntesten Katzenarten geschrieben hat, wäre Ihnen für eine möglichst eingehende Auskunft dankbar . . .

Hier lege ich nun das erste Schreiben Sir Herbert Linlithgows aus der Hand, weil die übrigen Zeilen nicht mehr von wesentlicher Bedeutung sind. Noch einmal lobt er in kunstvollen Wendungen die schönen Hände der Miß Dickens, wahrscheinlich – wie das meine von Kopf bis zu Fuß schönen Leserinnen bereits längst erraten haben – um kein Mißtrauen bei der sehr intelligenten Dame hervorzurufen, und endete 16 den Brief sehr schnell, weil der Oberlagermeister des Marine- und Armeewarenhauses respektvoll an der Zimmertüre stand und ihn bat, so schnell wie möglich die Kellerräume des Etablissements zu besichtigen. – Aber Sir Herbert Linlithgow reagierte auf diese Einladung nicht, und als der Oberlagermeister seinen Posten an der Zimmertüre nicht aufgab, stand er auf und schob ihn, ohne ein Wort zu sprechen, hinaus auf den Korridor, schloß die Türe ab, setzte sich wieder in seinen Sessel und vergrub den Kopf in die Hände, die nicht so schön wie diejenigen der Miß Dickens waren, aber doch deutlich die Abstammung von Maria Stuart erkennen ließen.

 

Der Vorgänger Sir Herberts in der Leitung des Marine- und Armeewarenhauses war Generalmajor Sir Reginald Bulber. Sir Reginald hatte von der Pike auf gedient, sich in Irland ausgezeichnet und später in Indien mehrere aufständische Bergstämme bis zur Vernichtung geschlagen. Sein zivilistisches Schicksal traf ihn in der Stallung einer Dragonerschwadron, wo er durch seine laute Stimme, die mühelos den Umkreis von mehreren Quadratmeilen beherrschte, Offiziere, Mannschaften und Pferde in derartige Aufregung versetzte, daß ein letzteres, toll geworden, nach hinten ausschlug und den General an der linken Hüfte zum 17 dauernden Invaliden machte. – Von kaufmännischen Dingen verstand Sir Reginald sehr wenig, aber er nahm den Direktorposten an, als er hörte, daß das Marine- und Armeewarenhaus über mehr als tausend Angestellte verfügte. Der Mannschaftsbestand eines Kavallerieregimentes ist bedeutend geringer. Ob Sir Reginald den Posten angenommen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, daß zwar die obern Stockwerke des Warenhauses von Menschen wimmelten, die untern aber, insbesondere die Kellerräume, von noch viel zahlreicheren Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer, weiß ich nicht. Widerspenstige Menschen lassen sich durch Kavallerieattacken, Pelotonfeuer und gut gezielte Kanonenschüsse zur Raison bringen, aber Mäuse und Ratten, die sich in einem Warenhaus festgesetzt haben, bedürfen anderer Mittel, die unter die Würde eines verdienstvollen Offiziers fallen. Außerdem wußte Sir Reginald von Indien her, mit welcher Schnelligkeit sich diese Tiere vermehren und selbst in den für sie gefährlichsten Momenten nicht davon ablassen, kurzum . . . Aber der General hatte nun einmal ja gesagt, und es steht einem Offizier nicht gut an, gleich darauf nein zu sagen. So entwarf er, kurz nachdem er seinen Posten übernommen und die Situation überschaut hatte, einen Feldzugsplan, der wie alle solche Pläne auf dem Papier sehr schön aussah und . . . 18 Geld kostete. In allen Garnisonen Indiens hatte er alte gute Freunde, die er in dringenden Briefen um die Zusendung von leistungsfähigen Katzen anging, denn seiner Meinung nach war natürlich die indische Katze am besten geeignet, unter englischen Mäusen und Ratten gründlich aufzuräumen. Keiner seiner Freunde weigerte sich, dieser Bitte nachzukommen, sowohl aus persönlicher Zuneigung wie aus allgemeiner Vaterlandsliebe, und einige Monate lang lebte jede auf der Straße strolchende Katze in Gefahr, in einen Sack gesteckt zu werden, um eine Freipassage in das Mutterland anzutreten. Daß dabei nicht der Ruf des Generals, sondern der des rattenverseuchten Warenhauses einige Einbußen erlitt, brauche ich wohl nicht besonders zu erwähnen. – Aber die indischen Katzen erwiesen sich als ein Fehlschlag. Zuerst dauerte es sehr lang, bis sie sich an das Londoner Klima gewöhnten, und dann zogen sie es vor, sich in den Lebensmittellagern des Warenhauses gütlich zu tun. Wenn der General die indischen Katzen zur Instruktionsstunde um sich versammeln wollte, fehlte die eine Hälfte, angeblich erkrankt an Verdauungsleiden, und die andere Hälfte behauptete, Schnupfen zu haben, der auf Menschen übertragbar sei. Sie behaupteten das gewiß nicht in Worten, denn sie konnten nicht sprechen, aber sie fuhren sich mit ihren Pfötchen bedeutungsvoll an die 19 tropfenden Nasen, so daß der von Rheumatismus heimgesuchte General schleunigst die Flucht ergriff. Nach jedem mißlungenen Versuch, den indischen Katzen seine strategischen Absichten klarzumachen, zog er sich in sein Privatbüro zurück, schloß die Zimmertüre ab und gab sich einem richtigen Katzenjammer hin. Daß man ihn mit gutem Lagerbier und gutem Sherry beheben kann, ersah er in der Theorie aus dem etwas veralteten Konversationslexikon, aus dem er gleichzeitig sein kaufmännisches Wissen bezog, und in der Praxis aus seinem früheren Soldatenleben.

Aber da im Lexikon die Quantität, die zur Vertreibung des Katzenjammers nötig ist, nicht angegeben war und seine Erinnerung aus der Soldatenzeit nur wie im Nebel funktionierte, geriet er aus einem Katzenjammer in den andern.

Ein solcher Zustand bleibt in einer Firma mit tausend strebsamen Angestellten nicht lange unbekannt, und so liefen denn in der Personalabteilung des Kriegsministeriums, dem das Marine- und Armeewarenhaus unterstellt war, zahlreiche anonyme Briefe ein. Ein Kriegsministerium ist verpflichtet, doppelt so rasch zu handeln wie sämtliche übrige Ministerien zusammen, und deswegen ließ sich der Herr Kriegsminister erst einmal Professor Buffers kommen, der mehrere gemeinverständliche Studien über die bekanntesten 20 Katzenarten geschrieben hatte.

Der Kriegsminister Lord Purple bot dem Professor einen Sessel an und hielt ihm dann längere Zeit seine diamantenbesetzte Schnupftabakdose hin, ohne von den abwehrenden Handbewegungen des Professors Notiz zu nehmen. Er war in Gedanken versunken und sehr in Verlegenheit, denn er selbst hatte mehrere Jahre in indischen Garnisonen zugebracht und dort einen guten alten Sherry schätzen gelernt. Er hatte ihn bei Sir Reginald Bulber schätzen gelernt, und bekanntlich haften in den Hirnen ganzer Männer alkoholische Erinnerungen viel fester als amouröse.

»Guter, alter Reggi«, sagte er mehr zu sich als zu seinem Besucher, »was war das für ein Schlag des Schicksals . . .!«

»Bestimmt kein Schlag des Schicksals, Mylord«, unterbrach ihn Professor Buffers, dem der süßliche Geruch des vorgehaltenen Schnupftabacks unangenehm in die Nase stieg, »es war der Hufschlag eines Dragonerpferdes!«

Lord Purple blickte den Professor erstaunt an, dann klappte er energisch seine brillantenbesetzte Schnupftabakdose zusammen. »Herr Professor, ob ein alter verdienter General von einer Kanonenkugel oder einem Hufschlag getroffen wird, bleibt sich einerlei; die Hauptsache ist überhaupt, daß ein General getroffen 21 wurde, und das ist für die Statistik von bleibendem Wert.«

»Ich bin auch ein Freund dieser neuen Wissenschaft«, bemerkte hierauf Buffers, »wenn auch hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie vielen beschäftigungslosen Wissenschaftern Arbeit gibt. Wieviel Kämpfe um sie herum schon ausgebrochen sind, das ahnen Sie nicht, mein Lord!«

»So, so«, rief der Kriegsminister und öffnete wieder seine diamantbesetzte Tabakdose, »die Statistik ist eine Wissenschaft, die Kämpfe hervorruft? Wie man sich doch täuschen kann! Soviel hätte ich ihr, unter uns gesagt, gar nicht zugetraut. Also, lieber Buffers, über die Statistik sind wir anscheinend einer Meinung! Werden wir es auch über meinen guten alten Reggi werden?«

»Er säuft, Mylord!«

»Ja, lieber Buffers, wenn man die Neigung eines alten, verdienstvollen Generals, einmal einen frischen Trunk zu sich zu nehmen, so nennen will. Der Mann hat jahrelang unter der glühenden Sonne Indiens zugebracht; monatelang ist kein Tropfen Flüssigkeit über seine durstverzehrten Lippen gekommen . . .«

»Mylord, nach der Statistik wäre er dann längst verdurstet!«

»Bleiben Sie mir mit der Statistik vom Leibe! Zisternenwasser ist für den Soldaten keine Flüssigkeit, und wenn 22 sich die Statistik mit meiner Definition nicht einverstanden erklärt, dann schalte ich sie aus meinem Befehlsbereich aus!«

Lord Purple nahm aus seiner diamantbesetzten Schnupftabakdose eine Prise. Professor Buffers beugte sich in unangenehmer Erwartung weit zurück und meinte begütigend:

»Mylord, wenn ich sagte, daß Sir Reginald säuft, so lag in dem Wort ›saufen‹ nur die Hochachtung des Laien vor den alkoholischen Leistungen eines alten Offiziers. Ich bin nämlich kein praktischer Arzt, sondern ein reiner Wissenschaftler . . .«

Buffers machte eine Pause und wartete die Wirkung der Prise ab, die sich, da Lord Purple ein Gentleman war, nicht vorwärts, sondern rückwärts entlud. Dann fuhr Buffers fort:

». . . als solcher kann ich auch meine Ratschläge über die Bekämpfung der Ratten- und Mäuseplage im Marine- und Armeewarenhaus nicht bekanntgeben, ohne die notwendigen Vorstudien an Ort und Stelle gemacht zu haben.«

»Aber, lieber Buffers, Sie haben doch mehrere berühmte Arbeiten über die Katzenarten nicht nur Europas, sondern der Welt geschrieben?«

»Mylord, es gibt Hunderte von Katzenarten, und ob gerade die indischen Katzen in dem vorliegenden Falle 23 die geeigneten sind, weiß ich nicht. Seitdem ich das Schreiben des Kriegsministers erhalten habe, frug ich mich schon hundertmal, warum Sir Reginald unter großen Umständen und Kosten diese indischen Katzen kommen ließ und nicht diejenigen von der Insel Man. Das sind schwanzlose Katzen mit allen guten Eigenschaften der englischen und irländischen Rasse.«

»Die irländische Rasse? Sie säuft doch auch, lieber Buffers!«

»Soviel ich weiß, nur Milch, Mylord! Aber da ich ein fanatischer Anhänger der voraussetzungslosen Wissenschaft bin, werde ich auch nach dieser Richtung Recherchen vornehmen.«

»Und wenn sie nicht saufen, Buffers, dann ersäufen Sie die indischen Katzen und lassen Sie die englisch-irischen kommen! Ich bin überzeugt, lieber Buffers, Sie haben den richtigen Weg gefunden!«

»Ach, Mylord«, sagte Buffers, »so einfach wird die Sache nicht sein. Die Wissenschaft ist gezwungen, verschlungene Wege zu gehen, damit sie schließlich auf den geraden kommt. Wahrscheinlich muß ich erst einmal die englisch-irischen Katzen mit den indischen zusammen lassen, um dann, nach einer Reihe von Generationen, zu sehen, ob sich nicht daraus eine besonders kräftige, rattentötende Rasse entwickelt.«

»Um Gottes willen, lieber Buffers, inzwischen frißt 24 das Ungeziefer die ganzen Vorräte des Marine- und Armeewarenhauses auf.«

»Sie dürfen das nicht so tragisch nehmen, Mylord, Katzengenerationen folgen sich viel rascher aufeinander als Menschengenerationen. Wenn eine Katze Urgroßmutter ist, dann ist ein Menschenkind erst . . . Übrigens, Mylord, ist dieses Experiment erst fällig, wenn ich ungefähr weiß, wieviel Ratten und Mäuse zurzeit im Marine- und Armeewarenhaus ihr Wesen treiben!«

Lord Purple steckte seine diamantenbesetzte Schnupftabakdose in die Hosentasche und sprang dann erregt von seinem Sessel auf:

»Professor Buffers, so etwas ist unmöglich!«

»Für die moderne Wissenschaft gibt es keine Unmöglichkeit, Mylord; eine Feststellung der gegenwärtig im Marine- und Armeewarenhaus befindlichen Ratten und Mäuse ist schon aus statistischen Gründen unbedingt notwendig. Aber nicht allein aus statistischen Gründen, Mylord (und hier kann ich entschieden einen Lichtblick feststellen!), Sir Reginald gibt die Zahl des Ungeziefers ganz vage auf Millionen an. Aber in dem Zustand, in dem sich Sir Reginald befindet, schwirren ihm zahllose Mäuse vor den Augen herum, die de facto gar nicht existieren. Nehmen wir nur an, Sir Reginald sieht seine Mäuse doppelt und nicht 25 vierfach oder sechsfach, wie das vielfach nachgewiesen wurde, dann reduziert sich beispielsweise eine gesehene Zahl von zwei Millionen Mäusen auf effektiv nur eine Million. Das gleiche gilt natürlich auch für die gleiche Zahl von Ratten. Für zwei Millionen Ratten sind aber nach Adam Riese doppelt soviel Katzen notwendig als für eine Million, ergo reduzieren sich unsere Ausgaben auf die Hälfte, allein für die Ratten. Gewiß sind die Einsparungen, die der Staat durch die vorsichtigen Experimente seiner Forscher, aufgebaut auf die grundlegenden Arbeiten der Statistiker, erzielt, nicht ganz so groß wie diejenigen, die bei einer genauen Durchkämmung der Heereslieferungen zu machen wären . . .«

Hier endete Professor Buffers plötzlich, weil er sah, daß der Kriegsminister mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirne eingeschlafen oder von einem Schlag getroffen war.

Professor Buffers als reiner Wissenschaftler kümmerte sich um den schlafenden oder toten Kriegsminister nicht mehr. Mit einem verächtlichen Lächeln auf den zusammengekniffenen schmalen Lippen ging er hinaus, nachdem er von dem zu Häupten des Kriegsministers befindlichen Porträt Seiner Majestät des Königs mit einem langen Hutschwenken Abschied genommen hatte. 26

 


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