Heinrich Stilling
Eine wahre englische Katze
Heinrich Stilling

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Viertes Kapitel

Seit dem Tage, wo der Maler Professor Fuseli – übrigens aus der schönen Stadt Zürich gebürtig, die gerade in jener Zeit zum modernen Athen avancierte, mit der Limmat als Vor- und Kennzeichen – seiner Abneigung gegen alle Katzen durch die Hervorstreichung einer andern Tierart Ausdruck verlieh, sind mehrere Jahre vergangen. Ob es viele sind, erzähle ich absichtlich nicht, damit meine Leser nicht vergessen, daß ich ein Fabeldichter bin und kein Historiker. Wenn man in einer Fabel zuviel Zahlen bringt, bilden sich die Historiker ein, daß man sie ihrer sichersten Grundlagen berauben will, und werden sehr böse. Ein aufgeregter, feindlich eingestellter Historiker ist aber für den Dichter noch viel gefährlicher als ein übelwollender Kritiker. Der verliert erfahrungsgemäß nach einer Reihe von Jahren seine Autorität, und sein Nachfolger betet mit seinem Publikum das an, was sein Vorgänger mit dem seinigen verbrannt hat. Wenn aber ein Historiker mich nicht leiden kann, dann wird sein absprechendes Urteil im Laufe der Zeit eine mit Zahlen bespickte Wahrheit.

Ich denke dabei zum Beispiel an den Kaiser Nero, 79 mit dem ich aber außer einer gewissen Eitelkeit keine hervorragenden Eigenschaften gemeinsam habe. Mit den Tageskritikern ist er auf cäsarische Weise leicht fertig geworden, aber die abseits vom Tageslärm stehenden Historiker, die im stillen Kämmerlein schrieben und erst im eigenen hohen Alter und lang nach seinem Tode ihre Werke veröffentlichten, haben des ursprünglich gutmütigen Mannes Charakter mit Flecken versehen, an denen man erst heute langsam zu reiben beginnt. –

Einige Jahre sind vergangen, seitdem der Maler Professor Fuseli Kaffeeflecken lediglich durch Reiben mit seinem Ellbogen beseitigen wollte, was bewies, daß er ein Junggeselle war und nicht wußte, wie schwer Kaffeeflecken aus der Tischwäsche herauszubekommen sind. Einige Jahre sind es her, daß eine Putzfrau des Marine- und Armeewarenhauses ihrem Mann einen wunderschönen Regenschirm zum Sonntagsgebrauch nach Hause brachte. Professor Buffers erinnert sich an diesen Regenschirm nicht mehr, denn seit dieser Zeit gibt es in London manchen, noch neueren Regenschirm, der sich rühmen kann, einmal dem berühmten Gelehrten gehört zu haben. Buffers Studien über die englischen und indischen Katzen nahmen, wenigstens was den statistischen Teil anbetrifft, immer größeren Umfang an. 80

Zu praktischen Versuchen, ob aus den englischen und indischen Katzen eine neue, überlegene Rasse zu erzüchten sei, ist es aber nicht gekommen. Generalmajor Sir Reginald Bulber bekam von seinen militärischen Freunden weiter Katzen gesandt, selbst als er sie in flehenden Briefen bat, die Sendungen einzustellen. Man hatte sich in Kalkutta und an vielen andern Orten daran gewöhnt, die herumstrolchenden Katzen ganz einfach in einen Sack zu stecken und dann den Sack auf einem Regierungsschiff auszuleeren, so daß man gar nicht mehr anders konnte. Sir Reginald Bulber verfügte deswegen über soviel indische Katzen, daß er gezwungen war, jede Woche mindestens eine vergebliche Offensive gegen die Ratten einzuleiten. Er mußte es tun, um die indischen Katzen zu dezimieren und um nicht den ganzen Reservefonds des Marine- und Armeewarenhauses in Unterkunftsräume für dieselben einfrieren zu lassen. Die indischen Katzen stammten aber aus der Hefe der indischen Katzenwelt mit den wenigen Ausnahmen, die bei der unvergeßlichen patriotischen Kundgebung eine führende Rolle gespielt hatten, und griffen zu den unanständigsten Mitteln, um nicht den Heldentod durch einen Rattenbiß zu sterben. Dieses fremde Gesindel in ein intimes Verhältnis zu wirklichen englischen Katzen zu bringen, wäre eine Angelegenheit gewesen, die man heute 81 wissenschaftlich mit »Rassenschande« bezeichnet. Zu Ehren der englischen Nation sei es gesagt, daß es also schon damals einen ehemaligen hervorragenden Soldaten gab, der instinktiv diesen Versuch inhibierte, trotzdem ein berühmter Wissenschafter wie Professor Buffers neugierig darauf war. Deswegen soll nicht nur das Porträt Sir Reginald Bulbers in dem Sitzungssaal der Direktoren des Marine- und Armeewarenhauses für alle Zeiten sein Nachleben sichern, sondern auch diese Fabel, sofern sie nicht früher verbleicht als das in den lebhaftesten Farbtönen – die Kupfertöne wiegen vor – hergestellte Ölbild. Unter dem Bild Bulbers hängt ein Messingtäfelchen, darauf steht:

Sir Reginald Bulbers Verdienste als
Vorsitzender des Verwaltungsausschusses
(17 . . bis 18 . .)
des Marine- und Armeewarenhauses
waren vielleicht noch grösser
als diejenigen,
die er sich als leitender Direktor
erworben hatte
(17 . . bis 17 . .)

82 Das stimmt. Trotz allen Unannehmlichkeiten wich General Bulber erst dann von seinem Posten als leitender Direktor, als man ihm zu seiner Pension als General noch das volle Gehalt des leitenden Direktors und weitere fünfhundert Pfund pro Jahr als Präsident des Verwaltungsausschusses schriftlich und mündlich zusicherte.

Bulbers Bild hängt aber erst seit vorigem Jahr im Saal. Über 130 Jahre hing ein anderes Bild dort, und nun hängt dieses andere Bild in Zürich, denn es ist von der Hand Fuselis gemalt und ein Geschenk des Marine- und Armeewarenhauses an diese Stadt. Ein Nachkomme Bulbers wurde nämlich Direktor des Warenhauses und empfand das Bedürfnis, bei wichtigen Angelegenheiten in dem Bild seines Ahnen einen Rückhalt zu haben.

»Ich denke nicht daran, zurückzutreten«, hatte Bulber zu Lord Purple gesagt, als dieser ihn auf das Kriegsministerium gebeten hatte, um ihm den Rücktritt nahezulegen, »als Soldat bin ich immer auf der Stelle stehengeblieben, wo man mich hingestellt hat, und wenn ich gezwungen war, Mann und Maus zu opfern. Als Kaufmann leiten mich die gleichen Beweggründe: Alles für die Ehre!«

Lord Purple tätschelte den Rücken seines alten Kriegskameraden: 83

»Reggi, so darfst du nicht sprechen! Wenn du alles für die Ehre gibst, dann bleibt von dem großen Kapital, das man dir anvertraut hat, kaum mehr etwas übrig. Daß du Männer geopfert hast, das weiß jedes Kind im Kriegsministerium, aber Mäuse? Sieh einmal, es würde mir furchtbar weh tun, wenn irgendein ganz kleines Parlamentsmitglied in einer ganz kleinen Anfrage über die Ratten- und Mäuseplage meinen alten Kameraden kränken würde . . .«

»Ich habe einen neuen großen Plan auf dem Papier, durch den das Ungeziefer radikal vernichtet wird.«

»Hast du ihn entworfen, Reggi?«

»Nein, mein Adjutant, ich wollte sagen, mein Sekretär Sir Herbert Linlithgow, ein genialer junger Mensch!«

»Wenn er diesen Plan entworfen hat, Reggi, dann soll er ihn auch ausführen! Ein junger Mensch darf und soll sich öfter blamieren, aber du bist mir als alter Kriegskamerad zu schade dafür.«

Sir Reginald sah den Kriegsminister scharf an und sagte dann:

»Bist du eigentlich mein Freund, oder bist du nicht mein Freund?«

Lord Purple betrachtete träumerisch die Brillanten seiner Schnupftabakdose und schloß dann, von ihrem Glanz geblendet, die Augen. Dann sagte er:

»Ich bin dein Freund, Reggi, und selbst wenn ich 84 wirklich ein alter Halunke wäre, dann würde ich die Dienste, die mir dein herrlicher Sherry als junger Offizier geleistet hat, niemals vergessen.«

Generalmajor Sir Reginald Bulber wurde bei diesen Worten nicht bleich, weil seine Gesichtsfarbe das nicht zuließ, aber er brauchte eine geraume Zeit, bis er darüber nachdenken konnte, wer dem Kriegsminister hinterbracht haben könnte, daß er ihn privatim einen alten Halunken genannt hatte. Es gab so viele Leute, denen gegenüber er diesen Ausdruck gebraucht hatte, daß er das Nachdenken sehr bald aufgab und erkannte, daß er um einen verlorenen Posten kämpfte. Immerhin kämpfte er verbissen weiter mit einem Endresultat, über das er selber ehrlich erstaunt war.

Ein neuer Direktor ist häufig sehr gegen seinen Willen gezwungen, an dem alten, abgesetzten, pensionierten oder verstorbenen kein gutes Haar zu lassen. Erst nach und nach, je mehr seine Reformen, von denen ein großer Teil in der Luft hängen bleibt, durchgedrungen sind, kann er zugeben, daß auch der andere seine Qualitäten gehabt hat. Denn wenn der neue Direktor auf die Dauer seine Vorgänger schlecht macht, dann glauben die Menschen gar nicht mehr, daß es so furchtbar schwer war, das Unternehmen aus dem Morast auf das trockene Land zu ziehen. – Sir Herbert Linlithgow hatte es nicht nötig, das Steuer radikal 85 herumzuwerfen, als er leitender Direktor des Marine- und Armeewarenhauses wurde. Schon kurz nachdem er Sekretär des Generalmajors Sir Reginald Bulber geworden war, hatte er die Geschäfte in die Hand genommen. Sir Reginald gewöhnte sich schnell daran, jede Anfrage mit den Worten: »Wenden Sie sich gefälligst an meinen Adju . . ., an meinen Sekretär« abzutun, und bald merkte das ganze Personal, daß es sich diese Fragen ersparen konnte und dadurch bei Linlithgow auf ein wohlgeneigteres Ohr stieß. Sir Reginald hätte mit diesem Sekretär seinen Posten als leitender Direktor noch sehr lange durchgehalten, wenn Linlithgow nicht ehrgeizig gewesen wäre und daneben ein mutmaßlicher Nachkomme der Königin Maria Stuart war. Es ist nämlich ziemlich gewiß, daß es der Ehrgeiz allein nicht macht, kommen aber Abstammung und gute Beziehungen dazu, wie in diesem Falle, dann verläuft alles viel einfacher, als man zuerst geglaubt hat.

Der leitende Direktor, Sir Herbert Linlithgow, saß in seinem Arbeitszimmer, den Kopf in die Hände vergraben. Vor ihm lag ein Brief der Miß Dorothy Dickens, sehr kurzen Inhalts. Er lautete: 86

Lieber Sir Herbert!

Ich kann nicht!

Ihre Dorothy Dickens.

Was konnte Dorothy Dickens nicht? Nun, ihre Katze Betty von ihrem Herzen lösen und mit der Extrapost dem Marine- und Armeewarenhaus zuführen, um dort eine Katastrophe in einen glorreichen Erfolg umzuwandeln. Sir Herbert dachte nach, und das Ergebnis seines Nachdenkens war folgendes: wenn eine Frau einsilbig wird, dann bleibt dem Manne, selbst wenn er keine Anlagen dazu hat, gar nichts anderes übrig, sofern er noch einen Erfolg herausholen will, vielsilbig und sogar doppelzüngig zu werden. Kann er, wie in diesem Falle, seine natürliche oder erzwungene Beredsamkeit noch mit einem vaterländischen Appell schließen, dann sind weitere Möglichkeiten vorhanden. Deswegen griff Sir Herbert seufzend zu seinem Gänsekiel und schrieb folgenden Brief:

Liebe Miß Dickens!

Die drei wenigen Worte, aus denen hauptsächlich Ihr letzter Brief bestand, hat mein Herz tief ergriffen. 87

Welch schöne Seele spricht doch aus ihnen! Auch ich liebe das Tier in allen seinen Spielarten, und schon in jener Zeit, als ich in den unermeßlichen Wäldern rings um Linlithgow dem Vergnügen der Jagd oblag, konnte ich stundenlang am Sterbelager eines unschuldigen Rehes knien und philosophische Betrachtungen über das Menschen- und Tierleben anstellen. Nur die Not zwang mich ja, die Büchse zu erheben, denn das Raubzeug nahm in jener Zeit in den Gefilden um Linlithgow so zu, daß mir gar nichts anderes übrig blieb. Als ich dann nach Bristol kam und an Ihren Teenachmittagen teilnehmen durfte, habe ich kein Gewehr mehr angerührt, denn Ihre beinahe unmenschliche Liebe zu den Katzen ging dermaßen auf mich über, daß ich nicht nur diesen, sondern auch den Füchsen und den Raben, kurzum allem, was da kreucht und fleucht, meine Freundschaft entgegenbrachte. Glauben Sie mir daher, daß, wenn Sie mir Ihre Katze Betty auf einige Zeit anvertrauen, dieselbe keinen barschen Herrn finden wird, sondern einen aufrichtigen Freund, der ihr allen Komfort unserer Zeit zu Füßen legen wird. Nicht im Marine- und Armeewarenhaus soll ihre eigentliche Heimat sein, sondern in meiner Privatwohnung. An meinem behaglichen Kamin in meinem Wohnzimmer wird ihr Lager aufgeschlagen werden, und wenn die Dämmerstunde über London herabsinkt, dann werden 88 wir gemeinsam nach vollendetem Tagwerk jener Frau gedenken und sehnlichst wünschen . . . Verehrtes Fräulein Dickens! Wenn ich nun mein Schreiben, das ich mir wirklich vom Herzen gerungen habe, vom rein Persönlichen in das Geschichtliche überführe, so geschieht das, um Ihren wundervollen, so rein menschlichen Worten »ich kann nicht« drei historische Worte des großen Julius Cäsar »ich kam, ich sah, ich siegte« gegenüberzustellen, die er bei der Überschreitung des Rubicon wahrscheinlich auch mit schwerem Herzen ausgesprochen hat. Es geschieht in der Absicht, dieselben Ihrer Katze Betty in den Mund zu legen, wenn sie unsere Rattenplage vernichtet hat. Denn wenn Ihre Betty die Ratten des Marine- und Armeewarenhauses vernichtet, dann hat sie mich gerettet, das heißt obiges Warenhaus, und nicht nur mich, sondern auch England, denn schon sind fast alle unsere Stoffe von den Ratten aufgefressen, und wie soll der Soldat ohne Uniform den Feind von unsern Küsten fernhalten? Auch unsere Lebensmittel schrumpfen unter der Freßgier des Ungeziefers zusammen und die sind für unsere herrliche Armee fast noch wichtiger als die Uniformen. Miß Dorothy, ich bin der letzte, der an Ihrer Vaterlandsliebe zweifelt, und wenn am Freitag der nächsten Woche Mister Punkey, ein junger, von mir sehr geschätzter Angestellter, der Sohn eines sehr angesehenen 89 Hauses, mit meinem Auftrag an Ihre Haustüre klopft, um Ihre Betty mit allen Ehren nach London zu bringen, dann werden Sie wegen mir, nein, nicht wegen mir, wegen England, nicht nein sagen.

Dorothy, ich bin Ihr

Herbert Linlithgow.

Sir Herbert legte seinen Gänsekiel nieder und las befriedigt seinen Brief, erst leise, gegen die Mitte bin lauter und am Schlusse, wo von der Vaterlandsliebe die Rede war, mit rollendem und ehrlichem Pathos durch. Er las so laut, daß der im Nebenzimmer arbeitende Mister Punkey vorsichtig die Türe öffnete, um ohne Aufsehen feststellen zu können, was mit Sir Herbert passiert sei.

»Kommen Sie her, Punkey!« sagte Sir Herbert gutgelaunt, »aber tun Sie das in Zukunft nicht wieder. Der Sohn eines angesehenen Hauses lauscht nicht an der Türe, und wenn er es schon tut, dann legt er höchstens sein Ohr an das Schlüsselloch und läßt die Türe geschlossen. Und wenn sein Chef nun seinerseits an die Türe schleicht, um mit einem plötzlichen Ruck festzustellen, ob der Sekretär an der Türe lauscht, dann sitzt ein Sekretär, der aus unseren Kreisen stammt, schon 90 längst wieder an seinem Platz und arbeitet. Das ist nämlich der Unterschied: ein Sekretär, der aus den breiteren Volkskreisen stammt, verfügt nicht über die körperliche und geistige Gewandtheit, um rechtzeitig wieder an seinem Platz zu sitzen. Er bekommt das Schlüsselloch an die Ohren geschlagen, und deswegen können Sie bei diesen Leuten fast immer breitgeschlagene, große und rote Ohren feststellen. – Ich habe einen Auftrag für Sie, Punkey, der an Ihre Abstammung aus einem sehr angesehenen Hause appelliert! Dieser Brief hier ist an eine vornehme Dame gerichtet. Vor einigen Minuten wollte ich ihn noch mit der Post schicken, ich habe es mir aber anders überlegt: Sie werden ihn persönlich überbringen. Wissen Sie, wie man als junger Mensch vornehmen Damen entgegentritt?«

»Gewiß, Sir Herbert, meine Mutter ist selbst eine vornehme Dame, sie entstammt dem Hause Pullover, das schon im vierzehnten Jahrhundert . . .«

»Könige und Königinnen hervorgebracht hat! Ich bin in der gleichen Lage und viele andere Menschen auch, hauptsächlich in England und Schottland und besonders in Irland. Nun, die Höflichkeit, die wir unseren Müttern entgegenbringen, ist um eine Nuance anders gefärbt als diejenige, die wir andern Frauen erweisen müssen . . .« 91

»Meinen Sie, Sir Herbert, die Höflichkeit den Frauen gegenüber, die so alt sind wie unsere Mütter, oder die Höflichkeit den Frauen gegenüber, die so jung sind oder noch jünger wie wir?«

Sir Herbert war sehr gutgelaunt, aber doch nicht so gut, um auf diese Frage, deren Beantwortung viel Zeit in Anspruch genommen hätte, näher einzugehen:

»Die Differenzierung muß durch den Instinkt geschehen, mehr kann ich Ihnen darüber nicht sagen, und Ihren ganzen Instinkt haben Sie nötig, wenn Sie am Freitag vor meiner Freundin Miß Dorothy Dickens stehen und sich ihre berühmte Katze Betty ausbitten. Sorgen Sie übrigens dafür, daß Sie nicht nur einen guten Eindruck auf Miß Dickens machen, sondern auch auf die Katze Betty. Sie spricht fließend englisch, und wenn sich Miß Dickens doch weigern sollte, sie herzugeben, dann sprechen Sie mit ihr über eine gemeinsame Flucht.«

Mister Punkey machte ein sehr schlaues Gesicht und sagte:

»Ähnelt die Katze Betty nicht doch vielleicht einem Mädchen? Ich habe noch nie gehört, daß Katzen sprechen können!«

Sir Herbert runzelte die Stirne:

»Lieber Punkey, es ist das Vorrecht eines Schülers, Fragen zu stellen, es ist das Vorrecht meines Sekretärs, 92 handeln zu dürfen. Nehmen Sie Ihren besten Anzug mit, und alles übrige überlassen Sie der Vorsehung und Ihrem Aussehen!«

»Und wie ist es mit meinen Spesen?«

»Wenn die Angelegenheit so verläuft, wie ich es wünsche, dann haben Sie in Bristol überhaupt keine Spesen, denn Miß Dickens ist überaus gastfreundlich. Wenn Sie mir daher bei Ihrer Rückkunft melden können, Sie hätten in Bristol überhaupt keine Spesen gehabt, dann dürfen Sie sich so viel Spesen aufschreiben, als mit einer anständigen Gesinnung vereinbar sind. Adieu!«

Sir Herbert sah Mr. Punkey gedankenvoll nach und hätte sich jetzt eine Zigarette angesteckt, wenn es damals schon Zigaretten gegeben hätte.

Menschen, die gebildet sind, besitzen einen oder mehrere Lieblingsschriftsteller. Die gangbarsten Sentenzen derselben zitieren sie bei passenden und unpassenden Gelegenheiten, und wenn sie uns auch damit langweilen, so können wir ihnen doch die Bildung nicht abstreiten. Der Lieblingsschriftsteller Sir Herbert Linlithgows war Shakespeare! Das war er aus dem Grunde, weil er den »Julius Cäsar« verfaßt hat und Sir Herbert dieses Theaterstück mehr als flüchtig gelesen hatte. Besonders jene Stellen hatten es ihm 93 angetan, wo der sonst so intelligente Cäsar völlig versagte, nämlich bei der Beurteilung seiner allernächsten Umgebung. War es überhaupt denkbar, daß dieser Mann, der sonst seine Augen überall hatte, nicht erkannte, daß diese Umgebung mit allerlei dunkeln Elementen sympathisierte und neben den notwendigen Schreibutensilien im Busen scharf geschliffene Dolche mit sich herumführte, die ihn bei passender Gelegenheit durchbohren sollten? Daß seine Ermordung ihm selbst wie aus heiterem Himmel kam, bezeugt seine erstaunte Frage an Brutus, aber auch gleichzeitig seine Naivität, in einem solchen Moment eine solche Frage zu stellen, die erst dann sachlich beantwortet werden kann, wenn sich die Gemüter einigermaßen beruhigt haben. Kurz vor seiner Ermordung hatte Julius Cäsar noch erklärt, daß diese Umgebung eines Volksführers (oder Generaldirektors) aus dicken Männern bestehen müsse, die nachts gut schlafen, und er hatte deswegen auch einmal bei Brutus (Brutus, schläfst du?) anonym anfragen lassen, ob das auch bei ihm der Fall sei. Aber er bekam natürlich keine Antwort darauf, und wie hätte er auch eine solche in diesem Moment erwarten können? – Sir Herbert Linlithgow glaubte die Angaben Shakespeares bezweifeln zu müssen und stieg bis zu Shakespeares Quellen hinab, die ihm aber bewiesen, daß der Dichter nicht geflunkert hatte. Um bei sich 94 selbst etwas Ähnliches zu verhindern, mußte er also von Anfang an und nicht erst im letzten Moment auf seiner Hut sein, und er beschloß, in seiner nächsten Umgebung keine dünnen Menschen zu dulden. Aber in jener Zeit war die Kontinentalsperre Napoleons im Gange, und wirklich dicke Männer, die gleichzeitig den Ansprüchen des Marine- und Armeewarenhauses genügten und mit dem Gehalt zufrieden waren, meldeten sich nicht. Sir Herbert war mit allen Wassern gewaschen und fand einen Ausweg. Er bestand in einem neuen Titel, den er Söhnen von reichen Geschäftsfreunden verlieh. Diese Söhne waren von Haus aus gut versorgt, so gut, daß sie um des Titels willen das Budget der Firma kaum belasteten und es nicht nötig hatten, der Butter auf dem Brot nachzujagen, die zu solchen Morden Anlaß gibt, meistens natürlich unter einem andern Vorwand. Auch trugen sie zu dem guten Ton in dem Hause wesentlich bei. Der Titel lautete sehr schön: Volontär, und speziell im Privatsekretariat noch schöner: Volontär-Sekretär. – Gewiß, ein Volontär-Sekretär ist meistens nicht ehrgeizig, weil er keine Zeit dazu hat, denn seine Zeit füllt er neben anderem mit Liebe aus. Die Liebe aber stößt unterwegs auf den Ehrgeiz, sei es auch nur in Gestalt des Mädchens, und schon sind alle Berechnungen über den Haufen geworfen. Ja, ja, Sir Herbert! 95

Der Eilwagen näherte sich der Stadt Bristol, und Sekretär Punkey, Volontär-Sekretär Punkey, erwachte aus einem sehr angenehmen Traum. Er träumte, er sei im Galopp durch die Lingeringstraße gefahren, und der Postillon hätte plötzlich vor einem palastähnlichen Haus seine Pferde zum Stillstand gebracht. Die Pferde bäumten sich hoch auf und lockten durch den Lärm ein bildschönes junges Mädchen an ein Parterrefenster. Noch während des Aufbäumens war er in vornehmer Ruhe aus der Kutsche gestiegen. Gern stellte er fest, daß diese Ruhe auf das schöne Mädchen einen starken Eindruck machte. Er trat an das Fenster und frug die Jungfrau mit seiner sympathischen Stimme, ob in diesem Schloß Miß Dorothy Dickens wohne.

»Ja«, sagte sie, »aber sie ist zurzeit auf dem Stadthaus, um mit der Frau des Bürgermeisters die Strümpfe unserer Soldaten zu stopfen.«

»Hat sie die Katze Betty mitgenommen?«

Da lächelte das schöne junge Mädchen eigenartig und antwortete:

»Nein, die Katze Betty ist zu Hause! Ich bin es! Mein Vater, der Gouverneur der Bank von England, nennt mich so und auch alle meine Freunde.«

Und auf einmal standen dicke Tränen in ihren Augen, und sie fügte hinzu: 96 »Und der schreckliche Sir Henry Linlithgow nennt mich auch so! Man will mich zwingen, ihn zu heiraten, aber ich tue es nicht, ich kratze ihm die Augen aus und verlobe mich mit dem nächsten Bettler, den ich auf der Straße sehe!«

»Das haben Sie nicht nötig«, rief Punkey im Traume, »nehmen Sie mich! Wir fahren sofort nach Gretna Green und lassen uns trauen.«

»Abgemacht«, lächelte das Mädchen unter seinen Tränen, »ich will noch rasch den Schmuckkasten von meiner Tante Dorothy holen, damit wir unterwegs nicht verhungern.«

»Nein, Kind, das ist nicht nötig! Ich bin kein gewöhnlicher Angestellter, sondern ein Volontär-Sekretär, und der Titel zeigt schon, daß mein Vater ein sehr reicher Mann ist, und meine Mutter ist noch viel mehr als reich, aber ich habe keine Zeit, dir das jetzt zu erklären!«

»Werden deine Eltern einverstanden sein?«

»Gewiß, wenn wir verheiratet aus Gretna Green kommen und meine Eltern in der Zeitung lesen, daß du die Tochter des Gouverneurs der englischen Bank bist! Komm, spring in meine Arme!«

Und das schöne Mädchen sprang in seine Arme, und zwar so heftig, daß er aufwachte, obwohl es ihm gar nicht darum zu tun war. 97

 


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