Heinrich Stilling
Eine wahre englische Katze
Heinrich Stilling

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Neuntes Kapitel

John«, sagte Lady Hesketh zu ihrem Haushofmeister, der mit ernstem Gesicht und unbeweglich hinter ihrem Stuhle stand, »gehen Sie hinauf in mein Schlafzimmer und holen Sie mein Riechfläschchen; es steht wahrscheinlich auf dem Nachttisch, es kann aber auch irgendwo anders stehen.«

Als John den Speisesaal verlassen hatte, zog sie das besagte Riechfläschchen hervor.

»Ich habe es hier«, meinte sie, »ich will nur einmal feststellen, wie lange John nach ihm sucht. Wenn man nicht gelegentlich seine Dienstboten auf die Probe stellt, dann erlebt man eines Tages Überraschungen, die man mit etwas Intelligenz vermeiden könnte. Jede Woche vergesse ich einen Sovereign, einmal auf dem Schreibtisch, ein anderes Mal auf einem Sofa oder auf dem Teppich vor meinem Bett. Wenn ich ihn dann in einer bestimmten Zeit nicht wieder bekomme, dann muß ich an einen Personalwechsel denken. – Sie wollen wissen, Herr Oberstleutnant Whyte, warum Varley so plötzlich aus dem Haus verschwunden ist? Meine Gutmütigkeit ist die Ursache. Varley liebt es, Horoskope zu stellen, und in meiner Gutmütigkeit 255 bat ich ihn auch um ein solches für mich, obwohl ich an diesen Unsinn nicht glaube, besonders wenn er auch noch von Varley ausgeht. Das Horoskop war das Tollste, was Sie sich vorstellen können! Varley behauptete, in den Sternen gelesen zu haben, ich würde in meinem . . . nein, ich kann es Ihnen gar nicht sagen, in welchem Lebensjahr, diesen John heiraten, nachdem ich vorher eine ganze Reihe anderer Männer begraben hätte.«

»Wie viele denn? Und hat er auch Namen angegeben?« frug der Verleger Hayley.

»Seien Sie nicht indiskret«, meinte der Raritätensammler Graf Egremont, »Lady Hesketh muß einem neugierigen Verleger gegenüber vorsichtig sein. Aber wenn Sie mir, Mylady, das Horoskop für meine Sammlung schenken würden, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Sie können versichert sein, daß kein Mensch den Inhalt erfährt, und nach meinem Tode geht meine Sammlung geschlossen an das Britische Museum über.«

»Ich habe das Horoskop im ersten Ärger zerrissen«, antwortete Lady Hesketh, »aber Varley hat auch eines für Samuel Rose angefertigt, und Rose hat es mir geschenkt. Sie können es haben, denn es ist auch sehr interessant. Rose wird hundert Jahre alt werden.«

»So?« rief der Oberstleutnant Whyte, »Rose soll sehr krank sein, und seine besten Freunde geben ihm keine 256 drei Jahre mehr.«

Der Verleger Hayley schüttelte den Kopf:

»Beste Freunde sind denkbar schlechte Zeugen! Einer meiner Mitarbeiter, der es nun nicht mehr ist, weil er mein Vertrauen schmählich mißbraucht hat, William Blake . . .«

»Lieber Hayley«, warf der Oberstleutnant Whyte ein, »wenn ein Verleger wie Sie sich seinen Autoren gegenüber so gehen läßt, daß sie in kürzester Zeit alle seine Schwächen kennen, dann zwingt er sie geradezu, Pasquille auf ihn zu schreiben. Der Ausdruck ›Vertrauen mißbrauchen‹ kann sich nur auf materielle Dinge beziehen. Hat Blake Ihren Kassenschrank geplündert?«

»Nein, ich habe nie so viel in dem Kassenschrank, daß man den Ausdruck ›plündern‹ verwenden könnte. Aber was noch viel schlimmer ist: Blake hat mein Ansehen in den Kollegenkreisen, da mache ich mir aber nichts daraus, gemindert und mich vor den Augen der Nachwelt lächerlich gemacht. Das verzeihe ich ihm nicht.«

»Also halten Sie Blake doch für einen bedeutenden Schriftsteller, denn sonst könnte ich diesen Kummer nicht verstehen?« frug Lady Hesketh.

»Jawohl, Mylady, vielleicht für den bedeutendsten unserer Zeit. Das habe ich auch unumwunden seiner Frau zugegeben, die gestern eine Stunde bei mir 257 geschluchzt hat. Aber das Interesse meiner Firma erlaubt es mir nicht, einen Mann zu unterstützen, der den Chef dieser Firma verspottet hat.«

»Ich kann Ihre Ansicht nicht teilen«, rief Lady Hesketh, »absolut nicht. Wenn ich zum Beispiel in Shakespeares Zeiten gelebt hätte und wäre von ihm mit einem bösartigen Vierzeiler bedacht worden, dann wäre ich noch heute stolz, daß er meinen Namen in die Gegenwart hinübergerettet hätte.«

»Ja«, meinte Graf Egremont, »Frauen haben ihre eigenen originellen Ansichten. Was hat nun Blake eigentlich verbrochen? Hat er tatsächlich hochverräterische Briefe an Napoleon geschrieben, Herr Hayley?«

»Jawohl, so sagt man!«

»Dann gehört er aufgehängt«, rief Oberstleutnant Whyte dazwischen.

». . . ein Soldat fand die Briefe im Gartenhaus und wollte sie sofort seinem Kommandeur bringen. Da trat ihm Blake an der Gartentür, auch in diesem Augenblick vollkommen unbekleidet, entgegen und schlug ihm mit der Faust vor die Stirne, daß er besinnungslos auf die Erde stürzte.«

»Dann gehört er noch einmal aufgehängt!« rief Oberstleutnant Whyte dazwischen.

». . . Darauf zog Blake, ohne sich um den Ohnmächtigen zu kümmern, sein Hemd an und ging 258 geradewegs nach Chichester zu Samuel Rose, drang in das Schlafzimmer des kranken Mannes ein, behauptete dort das Gegenteil von dem, was vorgefallen war, und legte als Beweis seine ›Gedichte der Unschuld‹ auf den Tisch. Sie gefielen Rose so gut, daß er ihm alles glaubte und sich ihm als Verteidiger ohne Honorar anbot. Und dieser Mann ist mein Autor gewesen! Seine Frau behauptet natürlich auch das Gegenteil. In Wirklichkeit soll sie, nachdem ihr Mann fort war, auf den ohnmächtigen Soldaten eingeschlagen haben, so daß er nachher noch einmal ohnmächtig wurde!«

»Sie muß gehängt werden, und zwar noch vorher!« rief Oberstleutnant Whyte.

Die Geduld der Lady Hesketh war zu Ende. Sie warf dem Oberstleutnant einen Blick zu, den dieser bis zu seinem Lebensende nicht mehr vergaß.

»Sie wüster pensionierter Soldat«, sagte sie, »Sie haben jetzt dreimal hintereinander hängen lassen und beim dritten Male sogar eine Frau. Wenn Sie es zum vierten Male versuchen, dann wird Ihnen John für immer den Weg versperren, wenn Sie wieder einmal bei mir essen wollen. Und Ihnen, Hayley, sage ich, daß das einzige, das an Ihrer Geschichte wahr ist und wohl den Tatsachen entspricht, die Tatsache ist, daß Herr Blake große Körperkräfte besitzt und an heißen Tagen 259 ohne Kleider spazierengeht. Das sieht bei einem starken, gut aussehenden Mann gar nicht so schlimm aus, und das weiß ich auch schon von Varley, den ich aber in diesem Zustand ebensowenig sehen möchte wie Sie und den Oberstleutnant Whyte. Wahr scheint mir dann noch zu sein, daß der Soldat in das Gartenhaus eingedrungen ist, um dort zu stehlen . . .«

»Mylady!« rief der Oberstleutnant Whyte.

». . . Blake aus dem Bett sprang, um sein Eigentum und vielleicht auch seine Frau vor diesem Vagabunden . . .«

»Mylady!« rief der Oberstleutnant Whyte.

». . . zu schützen, und daß Samuel Rose die Verteidigung Blakes übernommen hat, um einmal die Soldateska an die Grenzen zu verweisen, wo sie hingehört, und nicht in der Heimat . . .«

»Mylady!« rief der Oberstleutnant zum dritten Male, putzte sich mit der Serviette erregt den Schnurrbart und stand von seinem Platze auf.

»Bleiben Sie sitzen, Oberstleutnant Whyte! Mit der Soldateska, die an die Grenze zu verweisen ist, sind Sie nicht gemeint, denn Sie sind pensioniert, und wenn Sie jetzt vom Tische aufstehen, dann riskieren Sie zuviel. Meine Meinung wissen Sie jetzt, und noch heute werde ich an meinen Vetter, den Kriegsminister, schreiben und an den Herzog von Richmond, mit dem 260 ich auch entfernt verwandt bin.«

»Wieso dem Herzog von Richmond?« frug der Raritätensammler Graf Egremont.

»Er wird das Gericht präsidieren, das den Fall Blake behandelt.«

»Der Herzog von Richmond?« sagte der Verleger Hayley mehr zu sich als zu den andern, »das gibt der Angelegenheit allerdings ein anderes Aussehen.«

Inzwischen war John, der Haushofmeister, wieder lautlos eingetreten und hatte sich hinter den Stuhl der Lady Hesketh gestellt. Sein Blick ruhte ernst auf dem Riechfläschchen, das die Lady nach ihrer langen Rede an die Nase drückte.

Mylady Hesketh fühlte diesen Blick im Nacken, zog ihn hoch und sprach:

»John, es war nicht nötig gewesen, das Fläschchen zu suchen. Haben Sie aber vielleicht zufällig zum Fenster hinausgeschaut und etwas gesehen?«

»Nein, Mylady!«

»Wissen Sie es ganz bestimmt, John?«

»Bestimmt, Mylady!«

»John, hat nicht zufällig ein Sovereign auf der Fensterbrüstung gelegen?«

»Verzeihung, Mylady, ich habe im Augenblick gar nicht daran gedacht, gewiß, es lag ein Sovereign auf der Fensterbrüstung. Hier ist er.« 261

»Danke, John, aber in Zukunft sorgen Sie dafür, daß ich mir wegen Ihres Gedächtnisses keine solche Mühe machen muß.«

»Jawohl, Mylady!«

 

Sir Herbert Linlithgow hatte dem Kriegsminister in der letzten Unterredung mehrmals versichert, daß er ein praktischer Geschäftsmann sei, und daß seine kaufmännischen Methoden sich wesentlich von den wissenschaftlichen Methoden seines Onkels unterschieden. Er hatte auch, als ihm die Sache zu dumm wurde, und da es sich um eine Erbschaft seines Vorgängers handelte, kurzerhand die indischen Katzen umgebracht und dadurch bewiesen, daß er nicht nur handeln, sondern sogar auch schnell handeln konnte.

Solche Beweise gibt nun ein Engländer sehr ungern, weil er weiß, daß man wirkliche Erfolge nicht durch Temperamentsausbrüche erzielt, sondern durch große Geduld und langes Abwarten. In seinen jungen Jahren hatte sich Sir Herbert einmal ein neues Wappen gezeichnet, das er sich zulegen wollte, wenn er einmal wegen seiner Verdienste um England in den Peerstand erhoben würde. Auf der rechten Hälfte saß merkwürdigerweise eine Angorakatze, die mit äußerster Vorsicht hinüber in die linke Hälfte tastete, wo sich ein Mauseloch befand. Man wußte nicht recht, ob 262 sie die darin befindliche Maus streicheln oder herauszerren wollte.

Sir Herbert hatte nun nicht alle indischen Katzen umbringen lassen, sondern einige der intelligentesten ausgesondert und sie seiner Betty zugeführt, damit sie sich aus ihnen und einigen rein englischen Katzen einen Generalstab bilden sollte. Zwei Katzen ragten sofort aus den übrigen hervor, übrigens zwei Katzen, die uns nicht unbekannt sind. Es waren dies jene ältere Katze, die damals Professor Buffers so warm die Hand gedrückt hatte, und jene jüngere Katze, die während des Gesanges der Nationalhymne ihre Pfötchen über den Kopf hielt und sie erst sinken ließ, als die letzte Strophe verklungen war. Die große Anstrengung hatte die Pfoten steif werden lassen, und wenn sie umherhinkte, dann machte sie durchaus den Eindruck einer Invalidin. Jeder, der sie sah, Mensch und Tier, hatte Mitleid mit ihr, nur sie selbst besaß keines mit den andern, und aus diesem Grund sind ihre großen Erfolge als Chefkätzin im Generalstabe Bettys erklärlich.

Als Linlithgow heim kam, bat er sofort Betty zu sich und erzählte ihr von den Forderungen des Kriegsministers und fügte hinzu, daß auch nach seiner Meinung bald etwas Entscheidendes zu geschehen hätte. Betty war an diesem Abend schlecht gelaunt, denn sie 263 hatte sich mit jener ältesten Katze gestritten, die neben ganz netten eigenen Ideen immer wieder auch ihr Alter in die Waagschale warf, was Betty als ganz unzeitgemäß ablehnte.

»Selbst ist die Katze«, sagte sie zu Sir Herbert, »gute Gedanken darf man niemals unter Diskussion stellen, sonst versucht jedermann seine eigenen schlechten durchzudrücken. Es ist kein Wunder, daß Wesen mit guten Gedanken schließlich als Diktatoren enden. Aus den Diskussionen gehen Diktaturen hervor! Endloses Geschwätz von der einen Seite endet schließlich mit rascher Handlung von der andern Seite.«

»Schweig stille«, rief Sir Herbert, »was du sagst, ist töricht! Als ob nicht die eine Seite endlos schwätzen könnte, um dann im richtigen Augenblick rasch zu handeln! Und von dem andern will ich nichts hören, weil ich liberal bin und ein englischer Mensch!«

»Und ich bin eine englische Katze und sage Ihnen, daß Sie selbst ein Diktator sind! Warum haben Sie den freundlichen jungen Mann namens Punkey, der mich sehr geliebt hat, auf einmal spurlos verschwinden lassen? So etwas geschieht sonst nur noch in Diktaturstaaten!«

Sir Herbert schob den Unterkiefer vor und erreichte dadurch, daß sein Gesicht einen ganz brutalen Ausdruck bekam. 264

»Liebe Betty«, meinte er, »Punkey ist nicht durch mich verschwunden, sondern hat durch mich und meine Empfehlung in seiner väterlichen Firma eine ganz große Karriere gemacht. – Wenn ich dir, liebe Betty, einen Generalstab beigegeben habe, so tat ich das, im Grunde genommen, aus liberalen Grundsätzen heraus, nämlich daß ich dir nicht die ganze Verantwortung aufbürden wollte, was zwar eine Lieblingsidee der Diktatoren ist, sich aber bei uns nicht bewährt hat. Jedem kann etwas Menschliches, ich wollte sagen Katzenhaftes zustoßen, und was dann? Hast du mich verstanden, Betty, und wirst du mir nun einen detaillierten Feldzugsplan gegen die Ratten des Marine- und Armeewarenhauses vorlegen? Das Geschwätz muß nun zu Ende gehen! Hast du mich verstanden, Betty?«

»Jawohl, Sir Herbert«, antwortete kleinlaut Betty, »in achtundvierzig Stunden haben Sie meinen Feldzugsplan, gegengezeichnet von meinem Generalstabschef.«

»Das ist die Katze mit den invaliden Pfoten? Nun gut und – jetzt gehe!«

Sir Herbert wies mit der ausgestreckten Hand nach der Türe, und Betty schlich zum ersten Male mit eingezogenem Schweif zur Türe hinaus. Nachdem Betty das Zimmer verlassen hatte, schob Sir Herbert seinen Unterkiefer wieder in die 265 ursprüngliche Form zurück und sah wieder wie ein vernünftiger Engländer aus, der sich mit einer bescheidenen Demonstration begnügt, nicht mit der Faust auf den Tisch schlägt, was für eine sich eventuell entspinnende Prügelei keinen Zweck hat, den Enderfolg nicht sichert und nur ein Zeichen für schlechte Erziehung ist.

In sein regelmäßig geführtes Tagebuch schrieb Sir Herbert an diesem Abend:

»Betty sprach früher immer nur von sich, und das war verständlich. Jetzt spricht sie sehr häufig von mir – und da sie ein sehr intelligentes Tier ist, so ist das gefährlich. Wäre Betty von mir erzogen worden, ich hätte ihr zur wahren Bildung verholfen; so wurde sie von Miß Dickens erzogen und wurde halbgebildet. Halbbildung ist ein Nonplusultra von Gefährlichkeit. Sie hat tyrannische Anwandlungen, infolgedessen muß ich grob werden, die einzige Art, wie ein liberaler Mensch mit derlei fertig werden kann. Schade!«

Darunter stand flüchtig mit Bleistift geschrieben:

»Ich werde sie wahrscheinlich abtun müssen!«

Leider vergaß er, rechtzeitig die Bleistiftnotiz auszuradieren, und sie kam auf die Nachwelt. Die Nachwelt durfte daher seinen Charakter mit Flecken versehen, was er in Wirklichkeit gar nicht verdient hat.

 

Hauptmann Butts stand vor der Türe des 266 Kriegsministeriums und sah für die Vorübergehenden, die nichts von Uniformen verstanden, deren es trotz der kriegerischen Zeiten sehr viele gab, wie der Pförtner aus. Erst wenn sie nahe an ihm vorübergingen, erkannten sie das populäre Gesicht des Exerziermeisters der Vereinigten Königreiche, und aus einem eventuell geplanten oberflächlichen Griff an den Hut wurde eine sehr höfliche Verbeugung, was die dazu Gezwungenen arg ärgerte.

Butts atmete auf, als er William Blake des Weges kommen sah.

»Ich habe schon nicht mehr geglaubt, daß Sie kommen werden, Blake«, sagte er, »ich wollte zu Varley und Fuseli schicken, um nach Ihnen zu forschen. – Also, der Mann, der Sie empfangen wird, ist der Kriegsminister selber. Heute der wichtigste Mann in England. Vergessen Sie nicht, wer mit Ihnen spricht, Blake! Lord Purple benutzt jede Gelegenheit zum Schlafen und schläft vielleicht auch in Ihrer Gegenwart ein. Aber täuschen Sie sich nicht: der schlafende Purple ist dabei der wachsamste Mann in ganz England. Wenn Sie Ihren Fall vortragen, dann tun Sie es ganz prosaisch, und sprechen Sie ruhig weiter, selbst wenn er zu schnarchen anfängt. Er hört doch alles und sein Schnarchen ist ein gutes Zeichen für Sie . . .«

»So etwas ist nun Kriegsminister«, rief Blake, »und 267 Sie, Butts, bringen es fertig, Tag für Tag um dieses Monstrum herum zu sein. Schämen Sie sich denn nicht, Butts?«

»Sprechen Sie doch leiser, Blake«, bat Butts flehentlich, »ich sage Ihnen doch, daß Purple ein außerordentlich intelligenter Mensch ist. Sie müssen sich doch selbst sagen, Blake, daß der englische Kriegsminister in dieser Zeit kein Idiot sein kann! Ich versichere Ihnen, es geht um Ihren Hals!«

»Ach was, einmal müssen wir doch sterben, Butts, und die Art des Todes kann man auch nicht voraussagen. Jetzt könnte mir zum Beispiel ein Ziegelstein vom Dache des Kriegsministeriums auf den Kopf fallen und mein Tod wäre vielleicht schmerzvoller als der durch eine Schnur um den Hals. Mein Tod am Galgen käme vielleicht auch manchem Menschen gar nicht so ungelegen. Hayley braucht zum Beispiel meine Gedichte der Unschuld nur in die Gedichte eines unschuldig Gehängten abzuändern und schon hat er ein Geschäft in Aussicht, wie er sich ein besseres gar nicht wünschen kann. Vielleicht fällt sogar noch etwas für Katherine ab, und wenn sie dann von ihrem seligen gehängten Mann spricht, dann wird sie es mit Wehmut tun. Ich finde . . .«

»Ich finde«, unterbrach ihn Hauptmann Butts, »daß solche Reden William Blakes unwürdig sind. Es 268 handelt sich hier auch nicht in erster Linie um Sie, Blake, sondern um den unerträglichen Gedanken, daß das England des neunzehnten Jahrhunderts seinen größten Dichter wegen einer Dummheit an den Galgen hängt. Das ist untragbar für England!«

»So, da habe ich Sie jetzt, wo ich Sie haben wollte«, rief Blake, »meine Person ist Ihnen gleichgültig, und mich ließen Sie baumeln, wenn es dem Ansehen Englands nicht abträglich wäre. Eine solche Heuchelei! Einen unschuldigen Franzosen, den ließen Sie ruhig an den Galgen hängen, Hauptmann Butts, und wenn es der größte Dichter Frankreichs wäre? Antwort, Hauptmann Butts! . . . Keine Antwort, Hauptmann Butts? . . . Euch soll alle der Teufel holen!«

Mit diesen Worten lief Blake die Treppe hinauf, um wenn möglich dem Kriegsminister Lord Purple etwas Ähnliches zu sagen.

Die Türe zu dem Arbeitszimmer des Kriegsministers stand weit auf, und der Kriegsminister saß schlafend in seinem Sessel. Daß ein Minister im Angesicht seiner Untergebenen und der Öffentlichkeit so sorglos schlafen konnte, war Blake etwas ganz Neues, und sein Ärger wurde dadurch nicht geringer. Er trat in das Zimmer und warf die Türe schallend ins Schloß.

Der Kriegsminister schlief sehr fest. Er wachte nicht auf, als Blake sich auf den Stuhl gegenüber seinem 269 Schreibtisch setzte. Blake betrachtete Lord Purple einen Augenblick. Dann nahm er ein ziemlich großes unbeschriebenes Blatt Papier, das vor dem Minister lag, zog aus der Tasche einen Bleistift und begann Lord Purple abzuzeichnen. Er war so in seine Arbeit versunken, daß er nicht merkte, wie Purple einmal seine brillantenbesetzte Schnupftabakdose, ein anderes Mal seine schwere goldene Uhr aus der Tasche nahm, um die Zeit festzustellen.

Er war daher einigermaßen überrascht, als Purple plötzlich sagte: »Lieber Leath, zeichnen Sie eine Karikatur von mir?«

»Nein«, antwortete Blake, »ich zeichne Sie ganz nach der Natur. Können Sie nicht noch einige Augenblicke so ungezwungen in Ihrem Sessel liegen, wie Sie das bisher getan haben?«

»Nein, Sie hätten die Zeit besser ausnützen müssen. Wenn ich mich jetzt so in den Sessel flegeln würde, wie ich das bisher tat, dann würde das unnatürlich aussehen. Ich bin nämlich eine durchaus ehrliche Natur; alles Künstliche liegt mir fern.«

»Das habe ich bemerkt«, sagte Blake.

»Das Künstliche liegt mir fern«, fuhr Purple fort, »aber für die Kunst besitze ich viel Interesse und – Sie sind ein Künstler! Ihre Skizzen aus den französischen Hafenstädten sind Meisterwerke! Nichts haben Sie 270 vergessen, was uns interessiert! Ihren Regenschirm werden wir einem Museum überweisen, und ich selbst werde die Erläuterungen zu seinem Griff schreiben. War es Ihre Idee oder die von dem alten Buffers? Ich kann es mir nicht vorstellen, daß der alte theoretische Leitfaden auf einen so praktischen Gedanken gekommen ist!«

»Herr Minister, ich habe noch nie in meinem Leben einen Regenschirm besessen.«

»Soll auch kein Soldat, aber um so tüchtiger von Ihnen, daß Sie auf den originellen Gedanken gekommen sind, Ihre prächtigen Zeichnungen in dem Griff zu verbergen. Haben Sie schon Ihre Ernennung zum Hauptmann erhalten?«

»Augenscheinlich verwechseln Sie mich mit jemand anderem: mein Name ist Blake.«

Lord Purple tat sehr überrascht.

»Sie sind Herr Blake? Ich habe Sie mit Leutnant Leath verwechselt, der sich in diesen Tagen unsterbliche Verdienste um England erworben hat.«

»Mit einem ausgehöhlten Regenschirm, Herr Minister?«

»Nein, mein lieber Herr Blake! Mit seinen prächtigen Zeichnungen darin.«

»Herr Minister, Sie verwechseln mich anscheinend mit einem Spion?« 271

»Spion, Herr Blake, und einem der fähigsten Offiziere unseres Nachrichtendienstes, der ein gottbegnadeter Zeichner ist, ein Zeichner, dessen Werke auf sehr großes Interesse stoßen und gründlich studiert werden. Ist das bei Ihnen auch der Fall?«

»Nein, Gott sei Dank nicht. Spion ist Spion, und wenn er der englische Kriegsminister in eigener Person wäre!«

Lord Purple griff nach seiner diamantenbesetzten Schnupftabakdose und sagte:

»Lieber Blake, Sie sind kein liebenswürdiger Mensch! Ein Spion muß ein liebenswürdiger Mensch sein, sonst ist er für diesen Beruf unbrauchbar. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß Sie nicht sonst verwendbar wären. Nein, die Behauptung, Sie seien selbst ein Spion, ist kaum glaubbar. Aber manche machen es mit der Grobheit und kommen auch zu ihrem Ziel.«

»Herr Minister«, schrie Blake und riß in Wut die Zeichnung in hundert Fetzen, »wer mich als Spion bezeichnet, ist ein abgefeimter Schurke.«

Lord Purple verfolgte die auf den Boden fliegenden Papierfetzen mit den Blicken und meinte:

»Darum wollte ich Sie gerade gebeten haben, lieber Blake! Wenn Sie mich im Schlafe zeichnen wollen, dann kommen Sie einmal abends in meine Wohnung! Aber so am hellen Tage, vielleicht mit der 272 Unterschrift: Lord Purple bei seinem Mittagsschläfchen in seinem Arbeitszimmer im Kriegsministerium, ein solches Bildchen könnte doch zu einigem Gelächter Anlaß geben, Und – über einen Kriegsminister soll man nicht lachen.«

»Gewiß, Herr Kriegsminister, das Kriegsministerium ist der Ort des Grauens und der Tränen. Das Kriegsministerium ist die Schreibstube der Hölle auf Erden.«

»Sehr hübsch gesagt, lieber Blake, es wird sehr viel bei uns geschrieben und gezeichnet und gegengezeichnet und so weiter. Sie wären nicht der erste, der sich nach kurzer Einarbeit sehr wohl bei uns fühlen würde. Nehmen Sie nur als Beispiel Leath, mit dem ich Sie vorhin verwechselt habe. Sie können sich gar nicht vorstellen, mit welcher Freude er jetzt wieder seiner Schreibarbeit im Kriegsministerium nachgeht, nachdem er noch vor kurzem der Möglichkeit ausgesetzt war, wegen seines Regenschirmgriffes von den Franzosen aufgehängt zu werden.«

»Ich bin kein Spion, Herr Minister!«

»Kein englischer Spion, Herr Blake, denn sonst wären Sie, wenigstens in meinen Augen, ein Held. Leider behauptet man, Sie seien ein französischer Spion, und dafür wird man Sie als feiger Vaterlandsverräter aufhängen.«

Blake sagte darauf nichts, sondern ging in die Ecke 273 des Zimmers, um ein Stückchen Papier aufzuheben, das dorthin geflogen war.

»Lieber Blake«, fuhr der Minister fort, »Sie brauchen mir nicht so demonstrativ Ihre Rückseite zuzukehren, Ihre Frontseite gefällt mir wirklich viel besser, als Sie glauben und – lassen Sie uns einmal ehrlich miteinander verhandeln. Sehen Sie, ich hätte Ihnen vorhin, als Sie mich zerrissen haben, folgendes sagen können: Lassen Sie die Zeichnung nur ganz, denn schaden kann sie mir nicht. Kein Mensch wird sich dafür interessieren, dafür sind Sie ein viel zu unbekannter Maler.«

Blake drehte sich um, ging wieder an seinen Platz, setzte sich und sagte:

»Sie haben ganz recht, Herr Minister!«

Lord Purple schien diese Antwort nicht erwartet zu haben. Irgend etwas glimmte in seinen Augen, und seine Stimme klang eine Nuance wärmer, als er weiter sprach:

»Hauptmann Butts glaubt, Sie würden einmal ein sehr berühmter Mann werden. ›Wann?‹ frug ich ihn. ›In hundert Jahren‹, antwortete er. Lieber Blake, ich zweifle nicht daran. Ich habe in meinem Schloß in Schottland Bilder hängen von Malern, die weit mehr als hundert Jahre tot sind, und ich finde diese Bilder alle scheußlich. Aber man sagt mir, daß sie nach jedem 274 Jahrzehnt doppelt soviel wert werden. Ich kann also an diesen Malern noch sehr reich werden. Einer von ihnen ist sogar aufgehängt worden, und seine Bilder sind vielleicht gerade deswegen die wertvollsten von allen.«

»Ich bemerkte vorhin zu Hauptmann Butts,« meinte Blake, »daß das Aufhängen auch seine Vorteile hat.«

»Gewiß, lieber Blake, einen Künstler, der aufgehängt wurde, vergißt man so leicht nicht. Haben Sie denn wenigstens Kinder, denen es zugute kommen könnte?«

»Nein, nur meine Frau, und die hat kein Verständnis dafür.«

»So gefallen Sie mir immer besser«, rief der Kriegsminister Lord Purple, »deswegen will ich ganz offen mit Ihnen sprechen!«

»Das haben Sie bereits schon gesagt, Herr Minister!«

»Ein Minister kann das nie genug sagen, lieber Blake. Also: wenn Sie bereits zu Lebzeiten ein sehr berühmter Maler und Dichter wären, dann könnte man bei seiner Majestät vielleicht ein gewisses Interesse für Sie erwecken, Staatsnotwendigkeiten in den Vordergrund schieben und an die ›Times‹ appellieren.«

»Die ›Times‹«, rief Blake, »ich habe vor drei Jahren ein Manuskript dort abgegeben. Sie haben es wahrscheinlich in den Papierkorb geworfen.«

»Niemals«, antwortete der Kriegsminister, »sie warten 275 nur darauf, bis Sie bekannt werden. Sie werden es in hundert Jahren mit den notwendigen Kommentaren abdrucken. Und erst recht, wenn Sie in unserer Zeit gehängt wurden. Aber lassen Sie mich nicht abirren! Um Sie vor dem Galgen zu schützen, gibt es nur einen Weg: Sie müssen in kurzer Zeit in aller Mund sein!«

»Das werde ich, wenn man mich aufhängt!«

»Ein großer Irrtum, lieber Blake! Es werden in dieser kriegerischen Zeit so viele unbekannte Leute aufgehängt, daß das Interesse im Augenblick nicht sehr groß ist. Auch habe ich Ihnen schon gesagt, daß es Ihnen gegenwärtig gar nichts nützt und füge noch hinzu: auch uns nützt es nichts. Bleibt uns also übrig, Sie in aller Leute Mund zu bringen, damit Ihr eigener Mund noch lange recht lebendig bleibt. Ich könnte auch Maulwerk sagen; aber so soll sich ein Kriegsminister in Dingen auf Tod und Leben nicht ausdrücken. Wie bringe ich Sie nun in den Mund aller Leute? Um Sie nicht lange auf die Folter zu spannen: es ist mir möglich. Für eine junge königliche Prinzessin wird ein Lehrer in der Zeichen- und Malkunde gesucht, und dieser Lehrer werden Sie, Blake!«

»Lieber gehängt als so auf die Folter gespannt zu werden, Herr Minister!«

Lord Purple hörte den Einwand Blakes nicht.

»Wenn Sie nun Lehrer der Prinzessin geworden sind, 276 dann wird es nicht nur aus staatspolitischen Gründen, sondern auch aus moralischen nicht mehr möglich sein, Sie wegen Spionage aufzuhängen. Sie sind ein geretteter Mann und wahrscheinlich hundert Jahre früher berühmt, als Sie selbst erwartet haben.«

»Und welche Gegenleistung wird von mir erwartet?«

»Ach, Sie meinen etwa als Zeichner nach Frankreich gehen, um uns eine Reihe schöner Zeichnungen zu liefern? Keinen Gedanken daran! Die Zeichenkünste unserer jungen Offiziere reichen für diesen Zweck vollkommen aus. Nein, um was ich Sie bitten will, ist eine ganz harmlose Angelegenheit und setzt Sie keiner irgendwelchen Gefahr aus. Ich bitte Sie, dem Marine- und Armeewarenhaus einen Besuch zu machen und der Direktion einige Ratschläge zu erteilen. Die Rattenplage wächst von Tag zu Tag, und unsere angefressenen Uniformbestände sprechen Bände. Wir werden demnächst als Sansculotten weiterkämpfen müssen, und das ist für einen dezenten Engländer unmöglich. Sie sehen, was auf dem Spiele steht!«

»Ich bin kein Kammerjäger und auch kein Rattenfänger.«

»Wir wünschen auch nicht Ihrer Hände Arbeit, lieber Blake, sondern nur Ihren geistigen Einsatz. Durch Butts weiß ich, daß Ihnen gelegentlich nicht nur die Geister großer menschlicher Toten erscheinen, sondern 277 auch der Tierwelt, bis hinunter zum . . .«

»Bis zum Floh, Herr Minister, es stimmt.«

»Was wir nun von Ihnen verlangen, lieber Blake, ist dies: Zitieren Sie den Rattengeist, am besten den des Rattenkönigs, und verlangen Sie von ihm, daß er ungesäumt mit seinen Scharen den britischen Boden verläßt und am besten nach Frankreich auswandert, vielleicht nach Boulogne oder einem andern Kriegshafen. Ratten können doch schwimmen, soviel ich weiß? Ich will Ihnen offen sagen, daß ich infolge von zwei kleinen Anfragen im Unterhaus in der Lage eines Mannes bin, der nach einem Strohhalm greift, weil er nicht wie die Ratten schwimmen kann, und da mir Hauptmann Butts gesagt hat, daß Sie mit Menschen- und Tiergeistern in enger Verbindung stehen, so habe ich nach Ihnen geangelt, um im Bilde zu bleiben.«

»Ich bin dieser Strohhalm nicht, Herr Minister!«

»Das wage ich auch nicht zu behaupten«, meinte Lord Purple, »Sie kommen mir eher wie eine Zuchtrute vor, aber vielleicht könnten Sie doch Ihren Einfluß auf die Tierseele geltend machen? Eine Hand wäscht die andere!«

»Gewiß, Herr Minister, wenn beide Hände schmutzig wären. Aber Ihren Wünschen kann ich nicht nachkommen, denn auf die Seelen der verstorbenen Menschen, die mich besuchen, habe ich keinen Einfluß, und 278 erst recht keinen Einfluß auf die Tierseelen, wenn sie auch nicht weniger wertvoll sind als diejenigen der Menschen.«

»Gut«, sagte nach einer Pause Lord Purple, »ich habe auch nicht recht daran geglaubt; man hat seinen Voltaire auch nicht umsonst studiert. Immerhin möchte ich Ihnen vorschlagen, daß Sie uns erlauben – wenn wir Sie einigermaßen populär gemacht haben –, Ihren Namen zu benutzen. Auf die Masse wirkt das Geheimnisvolle so stark, daß sie an eine Nachprüfung gar nicht denkt. Ich habe noch ein letztes Mittel in Reserve und wünsche nicht, daß es bekannt wird. Aus militärischen Gründen. Es ist ein Experiment. Nicht von Buffers, er ist ein Schwätzer!«

»Ich mache nicht mit, Herr Minister, man soll mich hängen!«

»Schade, lieber Blake, es wäre mir wirklich ein großes Vergnügen gewesen, Ihnen und mir dienlich zu sein. Darf ich Ihnen meine Dose anbieten?«

»Danke, Herr Minister!«

»Blake, wir dienen alle! Vielleicht ist es Ihnen und England am dienlichsten, wenn man Sie aufhängt. Wenn Sie wirklich der große Dichter sind, wie Butts behauptet, dann werden wir in England eines Tages in Sack und Asche gehen, und das wird uns sehr gut tun. Außerdem, man behauptet, der Tod am Strick 279 gehöre zu den angenehmsten Todesarten.«

»Das weiß ich positiv, Herr Minister!«

»Dann wären wir wenigstens hier einer Meinung und könnten unsere interessante Unterhaltung als abgeschlossen betrachten?«

»Gewiß, Herr Minister!«

»Noch eines: wenn man Bilder besitzt, die ohne eigenes Zutun von Tag zu Tag wertvoller werden, dann fängt man auch an, Handschriften zu sammeln. Wenn Butts recht hat, dann muß Ihre Handschrift einmal sehr wertvoll werden. Hier ist ein neuer Bogen! Schreiben Sie mir zur Erinnerung an den heutigen Tag einen Vers darauf!«

Blake dachte einen Augenblick nach, dann schrieb er mit seinen großen, steilen Buchstaben:

        Das Schwert klang, wo nackt die Höhe zieht;
Die Sichel sang unten im fruchtschweren Feld.
Vom Schwert schwang zur Sichel ein Sterbelied
Und – hat die Sichel doch nie gefällt.

»Gut!« sagte Lord Purple, nachdem er den Vierzeiler gelesen hatte, »ganz ausgezeichnet und recht passend gewählt. An Ihrer Stelle hätte ich vor dem Sterben auch keine Angst.« 280

Als Blake das Kriegsministerium verließ, stand an der Pforte Hauptmann Butts.

»Wie steht die Angelegenheit?« frug er hastig.

»Gut«, antwortete Blake, »sehr gut. Er hat mir gefallen! Er ist ganz meiner Meinung.«

 

»Wenn ein dünner, schlanker Mann weint«, sagte Fuseli zu seiner Frau, fließend englisch, aber mit einem deutlichen schweizerischen Akzent, »dann ist das noch auszuhalten, aber wenn ein dicker Mensch wie Varley heult, das ist ein schrecklicher Anblick. Drüben im Schlafzimmer sitzt er nun auf dem Fußboden und heult über Blakes Schicksal. Er verdirbt mir meine ganze gute Laune. Außerdem hat er mich einen Haufen Geld gekostet: das Schuldgefängnis hat keinen Rappen nachgelassen.«

Fuseli war wirklich gut gelaunt, denn er hatte einen Brief aus Zürich vorgefunden, der viel Schmeichelhaftes enthielt. Der Verfasser, ein Mann, der eine große Rolle in dieser Stadt spielte, schrieb ihm, daß er schon lange mit der Absicht gespielt habe, ihm mitzuteilen, daß Fuselis Name in Zürich nicht vergessen sei. »Wir Schweizer«, schrieb er, »machen nicht viel Wesen um unsere großen Männer, aber wir tragen sie im Herzen, auch wenn sie in fernen Landen wohnen. Wer könnte aber auch den Namen 281 eines Mannes vergessen, der unzweifelhaft der größte Maler der Zeit ist und von schweizerischer Abstammung? – Mir auf alle Fälle war es ein Herzensbedürfnis, Ihnen das auch im Namen vieler befreundeter Eidgenossen sagen zu dürfen.«

Fuseli hatte diesen Brief schon zwanzigmal gelesen und darüber Varley im Nebenzimmer fast vergessen. »Siehst du«, sagte er zu seiner Frau, »ich kenne doch meine Landsleute! Sie brauchen einige Zeit, bis sie wahres Verdienst erkennen, aber dann geraten sie in Begeisterung wie kein anderes Volk.«

»Meinst du?« frug Sophie.

»Gott verdamm mich, ich meine es nicht nur, es ist so. Ein so rührender Brief gehört in der Zeitung abgedruckt. So eine spontane Anerkennung von einem der Besten im Lande wäre in England unmöglich. Es ist wohl ein bißchen übertrieben, wenn er von England als einem fernen Lande spricht, aber wenn sie in Zürich poetisch werden, dann geht das gleich auf ganz hohen Stelzen.«

Dann lächelte er vor sich hin. Heute nachmittag mußte er durch den Hydepark gehen. Da war eine Bank. Es saßen immer sehr gut gekleidete ältere Leute dort. Da wollte er ganz zufällig den ehrenden Brief aus Zürich verlieren. Wer weiß, in welche Hände er kam? Vielleicht fand ihn jemand, der viele Beziehungen 282 hatte und ihn in aller Welt zeigte, mit der Bemerkung, »was muß das für ein wertvoller Mensch sein, der so von seinen Landsleuten geehrt wird«. Aber vielleicht genügte auch eine Abschrift, und er konnte das wertvolle Original behalten.

Hätte er gewußt, daß seine Frau Sophie vor einigen Monaten an jene einflußreiche Persönlichkeit in Zürich geschrieben hatte und sie flehentlich bat, ihrem Manne einen aufmunternden Brief zu schreiben, dann hätte er wohl seine Frau bewundert, aber sich selber sehr geschämt. Er wußte, wie sein Freund Blake, daß sein Ruhm nicht von dieser Welt war. –

Ein furchtbares Stöhnen ließ ihn auffahren. Er sprang in das Schlafzimmer und sah seinen Freund Varley damit beschäftigt, den schweren, eichenen Kleiderschrank in die Höhe zu heben. Varley war sehr stark, und der Schrank nahe daran, nachzugeben und umzustürzen.

»Verfluchter Kerl«, schrie Fuseli, »erst muß ich mein letztes bares Geld deinen Gläubigern an die Köpfe werfen, und dann gehst du hin und demolierst mir meine Wohnung!«

»Heulen hat keinen Zweck, Fuseli«, antwortete Varley, »man muß stark sein wie Simson aus dem Judenland. Dann werden die Philister in die Hölle fahren!«

»Und du mit!« rief Fuseli. 283

 


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