Heinrich Stilling
Eine wahre englische Katze
Heinrich Stilling

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Zweites Kapitel

Das zweite Kapitel dieser Fabel von der wahren englischen Katze möchte der Verfasser am liebsten auslassen, denn es steckt voller Unannehmlichkeiten für ihn. Aber nachdem er nun einmal das erste Kapitel geschrieben hatte und dabei schon merkte, daß von Seite zu Seite sein persönlicher Einfluß auf den Gang der Handlung immer geringer wurde, so ist er jetzt, nach irgendwelchen geheimnisvollen Gesetzen, überhaupt nicht mehr vorhanden. Die gute alte Schreibmaschine schreibt was ihr vernünftig dünkt, und gibt dem Autor auf seine Bitte, ihn zu schonen, eine kurze, schnarrende, sehr abweisende Antwort. Deswegen bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als mit dem roten Teil seines Farbbandes (als Zeichen seiner Scham) an die Direktion des Marine- und Armeewarenhauses einen Brief zu schreiben. In diesem Brief steht, daß dem Verfasser in seiner Vorbemerkung ein bedauernswerter Irrtum unterlaufen sei, wenn er bombastisch erklärt habe, daß die in dieser Geschichte vorkommenden Menschen und Tiere niemals gelebt hätten und ihre Namen der freien Erfindung entstammten. Schon im zweiten Kapitel komme ein Mann namens William 27 Blake vor, der ein respektabler Maler und Schriftsteller gewesen sei und seinerzeit eine ständige Wohnung in der Broadstreet unterhalten habe. Sein damaliger Nachbar war niemand anders als der berühmte Johann Heinrich Fuseli, zwar ein gebürtiger Ausländer, der es aber im Laufe der Zeit bis zum Direktor der Königlichen Kunstakademie gebracht habe. Darauf fußend, bittet der Verfasser, gegen die Einführung des genannten William Blake keine Einwendungen erheben zu wollen. Aber, selbst wenn die Direktion seine Bitte abweisen würde, so könne er, wie ein großes Vorbild, nicht mehr anders, da ihm innere Umstände nicht mehr erlaubten, den sich von selber abspulenden roten Faden seiner Fabel in eine andere Richtung zu verlegen. Seine roten Buchstaben seien gleichfalls ein Zeichen seiner Entschlossenheit, die Folgen seiner Handlung, beziehungsweise derjenigen seiner Schreibmaschine, auf sich zu nehmen . . .

Der Autor hofft, daß dieser übrigens höflich und bescheiden abgefaßte Brief an die Direktion des Marine- und Armeewarenhauses seine Wirkung nicht verfehlen wird, und fährt nun in seiner Erzählung weiter fort.

 . . . Als Professor Buffers unter dem Portal des Kriegsministeriums stand und einen Blick auf die Straße warf, freute er sich, daß er seinen neuen rotbraunen 28 Regenschirm vorsorglich mitgenommen hatte. Es regnete in Strömen. Aber da er sogleich feststellen konnte, daß seine Hände leer waren, so mußte er eben den Schirm in dem Büro des Kriegsministers zurückgelassen haben. Es war ihm natürlich nicht angenehm, den schlafenden oder toten Minister aus seiner Ruhe zu stören, und unschlüssig betrachtete er den Himmel. Aber der machte keine Anstalten, den Wünschen des bedeutenden Naturforschers entgegenzukommen; im Gegenteil, er zog über dem Kriegsministerium mächtige Regenwolken zusammen. Inzwischen waren aber mehrere Personen eingetreten, die Schirme mit sich führten. Sie gingen in den Pförtnerraum und kamen bald heraus, um ohne Schirm die Haupttreppe hinaufzusteigen. Buffers war ein großer Gelehrter und an logisches Denken gewöhnt. Deswegen sagte er sich, daß diese Persönlichkeiten ihre Regenschirme in dem Pförtnerraum zurückgelassen hätten, und daß alle Voraussetzungen vorhanden waren, daß sie so bald nicht wieder zurückkämen. Warum sollte er sich dann nicht eines Schirmes bedienen? Bei passender Gelegenheit konnte er den benutzten Schirm wieder zurückgeben. Und selbst wenn er es vergessen würde, er hatte im Laufe seines Lebens der englischen Öffentlichkeit durch seine Vergeßlichkeit so viele Regenschirme zugeführt, daß dieser eine gewiß nicht ins Gewicht fiel. Außerdem 29 ließ er ja auch den seinigen als Pfand im Kriegsministerium zurück. So ging er denn mit eiligen Schritten in den Pförtnerraum und fand auch zu seiner Genugtuung ein Dutzend brauchbarer Schirme, die dicht neben der Türe standen. In dem Begriffe, sich den angenehmsten herauszusuchen, hörte er eine Stimme, die ihm bekannt schien. Der Besitzer dieser Stimme erzählte in diesem Augenblick mehreren Beamten, daß alle moralischen Vorwürfe, die man gewagt hatte gegen Maria Stuart zu schleudern, vor der neuesten Forschung in nichts zusammengebrochen seien, und daß sie nunmehr eine der fleckenlosesten Frauen aller Zeiten und Völker sei. – Als Professor Buffers seine Wahl getroffen hatte, schritt er auf die Gruppe los, bahnte sich mit Hilfe des Regenschirms einen Weg hindurch und stand dann seinem Neffen Sir Herbert Linlithgow gegenüber.

»Herbert«, sagte er, »wo kommst du her?«

»Aus Bristol«, erwiderte dieser, »die Sehnsucht trieb mich zu dir, Onkel, ich wollte wieder einmal ein Weekend in dem guten, alten London verbringen.«

»Am Dienstag?« frug Buffers, und als er seinen schönen rotbraunen Regenschirm in den Händen Linlithgows sah, fügte er hinzu:

»Herbert, wie kommst du zu meinem Regenschirm?«

»Als ich zu dir kam, sagte mir dein alter William, 30 du hättest deinen Schirm vergessen und seiest im strömenden Regen in das Kriegsministerium gegangen. Da ließ ich mir den Schirm geben, um ihn dir hierher zu bringen.«

Buffers war während der Worte seines Neffen – er hielt den fremden Regenschirm auf dem Rücken – langsam nach der Türe gegangen und ließ ihn dort niedergleiten. Dann ging er wieder vorwärts, breitete seine Arme aus und sagte in herzlichem Ton:

»Herbert, mein Junge, ich bin dir sehr dankbar! Schade, daß du nicht einige Stunden früher gekommen bist, dann hätte ich dich dem Kriegsminister vorgestellt. Ein strebsamer junger Mann kann nie genug einflußreiche Leute kennenlernen.«

Ein mit vielen blinkenden Knöpfen versehener Mann sagte darauf zu einem Kollegen:

»Dazu braucht man noch nicht einmal strebsam zu sein, man muß nur eine alte Besuchskarte der Königin Maria Stuart vorweisen.«

Sir Herbert sah mit blitzenden Augen in die Richtung, wo diese Worte gefallen waren, worauf der Redner einen roten Kopf bekam und verstummte. Dann nahm Sir Herbert seinen gelehrten Onkel unter den Arm und führte ihn aus dem Pförtnerraum hinaus. Draußen bemerkte er:

»Onkel, man soll Familienangelegenheiten nicht in 31 der Öffentlichkeit besprechen und insbesondere nicht vor dieser Öffentlichkeit!«

»Sehr schön, aber nachdem du den Leuten deine für mich immer noch fraglichen Beziehungen zu der Maria Stuart . . .«

»Das ist etwas ganz anderes, Onkel, solche Beziehungen können einem nicht so schnell nachgemacht werden; den Kriegsminister würde ich nun aber doch gerne kennenlernen. Komm, sage ihm, du hättest deinen Regenschirm, nein, dein Schnupftuch, vergessen. Er nimmt dir das, weil du ein Professor bist, noch weniger übel als jedem andern Menschen, und dann stellst du mich ihm vor. Pensionierte und verstorbene Generäle ohne Einfluß kenne ich genug, aber ein lebendiger Kriegsminister ist mir noch nie vorgekommen.«

»Unter keinen Umständen gehe ich noch einmal hinauf«, antwortete Professor Buffers, »auf mich hat der Kriegsminister am Schluß unserer Unterredung keinen lebendigen Eindruck mehr gemacht, er sah wie ein Toter aus.«

»Kein Wunder«, rief ärgerlich der Neffe, »du wirst ihm mit deiner Gelehrsamkeit stundenlang zugesetzt haben. Das hält kein Mann aus und besonders kein alter General. Wer weiß, was es mir alles genützt hätte, wenn ich mit dem Minister 32 zusammengekommen wäre. Ich habe von einem Mann gehört, der hat vor drei Jahren zehn Minuten mit ihm gesprochen, und der ist seitdem jedes Jahr regelmäßig in eine höhere Stelle befördert worden . . .«

Hier fiel es nun Sir Herbert plötzlich ein, daß sein Onkel zweiundsechzig Jahre alt war und noch zwei Neffen in Dover hatte. Sie besaßen gewiß nicht seinen Charme und seine Liebenswürdigkeit, aber sie waren solid und hatten ihren Onkel noch niemals angepumpt. Und der Onkel war ein Mann, der auch das kleinste Geldstück erst lange ansah, ehe er es in Bewegung setzte. Deswegen schwieg er nun, hielt seinem Onkel den rotbraunen Regenschirm hin und nahm selbst denjenigen, den sich Professor Buffers vor einigen Minuten sorgfältig ausgesucht hatte.

Buffers war ein recht friedfertiger Mann, aber er konnte sich doch nicht die Bemerkung verkneifen, daß er in seiner Jugend einen solchen eleganten Regenschirm nicht besessen habe.

»Hat es denn in deiner Jugend schon Regenschirme gegeben, lieber Onkel?«

Zur Abschwächung dieser Impertinenz schob Sir Herbert seinen Arm unter den seines Onkels und hinderte ihn dadurch, in der Halle des Kriegsministeriums seinen Regenschirm aufzuspannen, um einerseits nach etwaigen Löchern Umschau zu halten und anderseits 33 dem Regenwetter sofort gerüstet entgegenzutreten.

Ein unverschämter Bursche, dachte der Professor, unwissend bis dort hinaus, aber liebenswürdig! Er wird Karriere machen, kein gebildeter Mensch kann einer solchen Mischung Widerstand leisten. Wie war das nur? Meine Schwester Marie war verträumt und kannte den ganzen Ovid auf Lateinisch. Sie war außerordentlich intelligent. Sie heiratete den brutalen Sir Alexander Linlithgow, der nur in dem Leben der Maria Stuart und dem einiger erfolgreicher Boxer und Rennpferde Bescheid wußte. Er war außerordentlich unintelligent, aber überaus lebhaft. Selbst die einfältigsten Stubenmädchen, die einmal im Linlithgowschen Hause tätig gewesen waren, konnten in späteren Stellungen ganz phantastische Geschichten über den alten Linlithgow erzählen. Herbert war der Sohn dieses grundverschiedenen Ehepaares. Ob die irisch-englischen Kater, dachte der Professor, wenn sie in engeren Kontakt mit den indischen Katzen treten . . .

»Onkel, du bist so schweigsam«, unterbrach Sir Herbert den interessanten Gedankengang seines Onkels, »habe ich mich vielleicht nicht ganz richtig benommen? Dann bitte ich dich um Entschuldigung!«

»Ach wo«, antwortete der Onkel, »nach den heutigen Auffassungen wirst du dich wohl ganz richtig benommen haben. – Ich habe eben über 34 naturwissenschaftliche Probleme nachgedacht. Deswegen meine Schweigsamkeit. Übrigens glaube ich tatsächlich, daß ich etwas für dich tun kann, ohne daß es auffällig wird. Nämlich im Marine- und Armeewarenhaus . . .«

»Sitzt ein alter General, lieber Onkel, der den Direktorialgeschäften ganz einfach nicht gewachsen ist! Dazu braucht man einen jüngeren Menschen, der eine gewisse kaufmännische Bildung besitzt.«

»Verwechsle das Marine- und Armeewarenhaus nicht mit einem Bankgeschäft. Es gibt dort keine Kredite, und Wechsel werden ohne Grundlagen nicht angenommen.«

»Onkel, wenn ich Direktor bin, dann streiche ich diese zwei Worte aus meinem Sprachschatz. Wollen wir gleich einmal hingehen? Ich hörte, daß der erste Direktor 1800 Pfund Gehalt bezieht.«

»So schnell schießen die Engländer nicht«, sprach der Onkel, obwohl er wußte, daß in dieser Redensart von den Preußen gesprochen wurde. Aber seiner Auffassung nach schossen die Engländer doch noch bedeutend schneller. Dann fuhr er fort:

»Generalmajor Sir Reginald Bulber ist nicht nur ein guter Freund von mir, sondern auch von Lord Purple, dem Kriegsminister. Ein solcher Mann sitzt fest im Sattel, selbst wenn er nicht früher ein hervorragender Kavallerieoffizier gewesen wäre. Ich werde allein zu 35 Sir Reginald gehen und dich in unserem Gespräch vorläufig nur einmal erwähnen. Mehr kann ich im Augenblick nicht tun.«

»Onkel!« sagte Sir Herbert mit einem Augenaufschlag, der eine getreue Kopie desjenigen war, mit dem einst Marie Buffers nicht nur ihre Familie bezauberte, sondern auch Sir Alexander Linlithgow an sich kettete, ein von historischen Beweisen gestützter Nachkomme der Maria Stuart. Der hatte sich im Alter durch seine Wettleidenschaft und mehr noch durch seine Neigung zum Alkohol diesen Augenaufschlag verscherzt und die Ketten gesprengt, aber der Bruder Buffers stand noch unter dem Banne, selbst wenn es sich nur um eine Kopie handelte und von dem etwas leichtfertigen Neffen ausging. Buffers legte daher seinen Arm um die Schulter Sir Herberts und meinte:

»Ich werde nun jeden Tag in das Marine- und Armeewarenhaus kommen, und ich werde dem General gegenüber jeden Tag deinen Namen erwähnen können, bis er neugierig wird und dich persönlich kennenlernen will. Dann werde ich dich vorstellen, und dann hängt es ganz von dir ab . . .«

»Ob ich sein Nachfolger werde – und ich werde es, Onkel, und wenn ich es erst bin, dann brauchst du nur den Wunsch auszudrücken, und die Türen aller 36 Vorratsräume des Marine- und Armeewarenhauses springen vor dir von selber auf!«

»Junge«, sagte der Onkel halb empört und halb gerührt, »was bist du doch noch jung! Es muß noch viel Wasser die Themse hinabfließen, ehe ich vor Seiner Majestät Regierung die Verantwortung für den Sohn meines Schwagers übernehmen kann!«

»Die einzige Verantwortung, die ich dir aufbürde, lieber Onkel, ist die, mich so bald wie möglich bei dem General Sir Reginald Bulber einzuführen. Dann nehme ich alles auf meine eigenen Schultern.«

Auf deine eigenen, leichten Schultern, dachte der Onkel, als der Neffe seinen Arm rasch wieder an sich zog, zum Abschied den Hut schwenkte, nebenbei bemerkt, ganz in der Manier des Onkels, und schon verschwunden war, ehe Buffers noch einiges bemerken konnte.

 

Generalmajor Sir Reginald Bulber saß nicht, wie mehrere Jahre später Sir Herbert Linlithgow, an dem Schreibtisch im Direktionszimmer des Marine- und Armeewarenhauses, den Kopf in seinen Händen vergraben. Ein General gibt sich niemals der blanken Verzweiflung hin, wie das bei den Zivilisten öfter vorkommt. Er besitzt immer Reservestellungen gemütlicher Art, auf die er sich zurückziehen kann und von 37 denen aus er mit dem Bajonett seiner rasiermesserscharfen Stimme eine verlorene Position zurückerobern mag. – Hinter dem General, auf dem Sims des Kamins, stand eine Batterie von Flaschen, und der General brauchte eigentlich nur den Arm auszustrecken. Aber er war so erregt, daß er immer wieder in kurzen Zwischenräumen von seinem Sitze auffuhr, unter wilden Verwünschungen durch das Zimmer stürzte, um dann erst sein Glas im Stehen zu füllen und in einem Zuge auszutrinken. Auf dem Schreibtisch lag ein Brief des Kriegsministers, übrigens ein Privatbrief des Kriegsministers, der folgendermaßen lautete:

Liebster Reggi!

Alter Knabe! Erinnerst Du Dich noch? An den Köter von dem Regimentsadjutanten, an das Mittagessen in Delhi und an die Braut des Zahlmeisters? Ich bin Dir noch heute dankbar, und wenn ich Dir morgen den Professor Buffers schicke, so weißt Du, aus welcher Gesinnung heraus es geschieht! Ich bitte Dich nur um eines: Behandle Buffers als Gentleman, denn er ist kein Kammerjäger von der gewöhnlichen Sorte, der ein weißes Pulver herumstreut und mit fünf Schilling reichlich abgefunden ist. Buffers ist wissenschaftlicher Ratgeber der Britischen Krone und hat den Staat schon 38 Unsummen gekostet. Aber es gibt gewisse Leute, denen seine Leistungen dementsprechend erscheinen, und ich glaube, wenn Deine Ratten seinen Namen hören, so bilden sie sich ein, daß sie sich auf einem sinkenden Schiff befinden und in die Themse springen. Ich hoffe zuversichtlich, daß sie es tun werden, damit ich eine kleine Anfrage von einem ganz kleinen Mitglied des Unterhauses glatt beantworten kann, ehe sein Säuseln zu einem Sturme wird, der unangenehme Wellen wirft. Dabei denke ich an unsere letzte gemeinsame Reise nach Indien, wo ich auch fast dem Sturm zum Opfer gefallen und von der Seekrankheit verschlungen worden wäre, wenn Dein starker Geist (ich meine natürlich Deinen Weingeist, alter Knabe) mich nicht gehalten hätte. In der Rattenaffäre schließe Deine Augen und tue, was Buffers für richtig hält, und im übrigen verlasse Dich auf mich.

Dein Purple.

NB. Die Braut des Zahlmeisters war bereits die Witwe eines andern Zahlmeisters gewesen. Du hast recht gehabt. Ich habe es damals abgestritten, um meinen Erfolg nicht zu verkleinern. Heute, nach dreißig Jahren, würde ich auch bei solchen Angelegenheiten immer bei der Wahrheit bleiben. – 39

Ich wäre sehr froh, wenn mir ein Kriegsminister, der noch im Dienste steht, einen solchen Brief, der an Vertraulichkeit seinesgleichen sucht, schreiben würde. Die von mir sehr geschätzten Leser der Fabel von der wahren englischen Katze sicherlich auch, bis auf die eine Dame, die mit einem Politiker verheiratet ist und daher den Brief zweimal liest.

»Ein schlechter Kerl ist er, so sind sie alle«, sagt sie, »ich bedauere den Generalmajor aufrichtig.«

Auf dieses Mitleid, wenn es ihm bekannt gewesen wäre, hätte aber Sir Reginald Bulber nicht den geringsten Wert gelegt. Sir Reginald war ein alter Draufgänger, der nicht nur mit einem einzigen Staatsmann Auseinandersetzungen gehabt hatte. Er kannte so ziemlich die Gedankengänge, in denen sie sich bewegen und die sie ihm gegenüber mit Vorsicht zum Ausdruck bringen mußten, damit er nicht ihre emsig geknüpften gordischen Knoten einfach zerhieb.

Diese Staatsmänner waren bisher Zivilisten gewesen und deswegen von Natur aus vorsichtige und daher zur Falschheit geneigte Menschen. Daß sein vermeintlicher Freund Purple in ihr Lager eingeschwenkt war, berührte ihn tief. Er war gerade im Begriff, das freundschaftliche Schreiben des Kriegsministers in kleine Fetzen zu zerreißen, um es an den Absender zurückgehen zu lassen, als ihm Buffers gemeldet wurde. 40

»Laß ihn hereinkommen!« brüllte er kaum weniger laut als damals im Stallgebäude der Dragonerschwadron, wo ein tollgewordenes Pferd nach seinem Mund zielte, aber seine Hüfte traf. Professor Buffers war gerade dabei, seinen rotbraunen neuen Regenschirm in eine Ecke zu stellen, als der Donnerton an sein Ohr drang. Buffers war Naturforscher und hatte letztes Jahr eine Reise in die Schweiz gemacht und dabei den Rheinfall in Schaffhausen besucht. Mit dem Erfinder des Blitzableiters stand er in brieflichem Verkehr und wollte in diesem Jahre nach Schottland reisen, um dort wissenschaftliche Gewitterbeobachtungen vorzunehmen. Deswegen ließ ihn des Generals mächtige Stimme außerordentlich kühl. Instinktiv behielt er jedoch seinen Regenschirm in der Hand und schulterte ihn, als er über die Schwelle des Zimmers trat. Das war aber unbeabsichtigt, da es ihm ganz fernlag, damit irgendeinen Eindruck auf den General erzielen zu wollen. Weil es aber unbeabsichtigt war, wurde es auch ein Erfolg, wenn auch vorläufig nur ein Lacherfolg. Ein General, der so schreien kann wie Bulber, kann erfahrungsgemäß auch ebenso laut lachen, und Bulber lachte dröhnend, als der kleine Gelehrte hereinmarschierte.

Das war also die Autorität, die den Staat Unsummen kostete und vor welcher der dicke und majestätische 41 Lord Purple (der Teufel hole ihn!) einen ängstlichen Respekt hatte!

Buffers ließ den General vorläufig einmal sich auslachen, denn er wußte, daß selbst nach einem höhnischen Lachen wie in diesem Falle die Menschen meist friedfertiger werden. Schließlich wurde es ihm aber, weil er an diesem Morgen noch einen weiteren Besuch zu machen hatte, zu bunt, und deswegen sagte er:

»Mein lieber Herr General, lachen Sie über mich?«

»Nein«, antwortete Sir Reginald mühsam, »über den alten Halunken Purple!«

»Alter Halunke Purple« wiederholte Buffers laut, um sich die Worte des Generals besser ins Gedächtnis einprägen zu können, »meinen Sie den Herrn Kriegsminister damit?«

»Wen denn sonst?«

»Es wird dem Herrn Kriegsminister sehr weh tun, wenn er einmal zufällig erfährt, daß Sie, Herr General, ihn einen alten Halunken genannt haben! Mir gegenüber hat er in den nettesten Worten von Ihnen gesprochen.«

Der General schritt an den Kamin, wo die schon erwähnte Batterie stand, ich meine die Batterie lieblich gefärbter Flaschen, schenkte sich ein Glas Sherry ein, hielt es erst einen Augenblick in die Höhe, um sein Auge an der schönen Flüssigkeit zu weiden, trank es 42 dann in einem Zuge aus und stellte es auf sein Schreibpult, zufällig auf eine Aktenmappe des Kriegsministeriums.

»Also, der Kriegsminister hat in netten Worten von mir gesprochen? Ich kann es mir denken! Es gab Zeiten, wo ich keine Flasche Wein auf dem Tische stehen hatte, ohne daß ich sie mit ihm teilen mußte. Was sage ich? Teilen? Er trank sie mir aus, ehe ich mich selbst bedienen konnte. Als er dann nach England zurückging, widmete er sich dem Tabak, weil er nicht mehr an meinen Sherry konnte. Vielleicht auch, weil ein ständig betrunkener Kriegsminister keinen guten Eindruck macht. Ganz gleich, was wollen Sie eigentlich von mir? Das sage ich Ihnen: Mit Ihrer Wissenschaft bleiben Sie mir vom Halse. Der Soldat handelt und die Wissenschaft redet. Aber mit Reden schaffen Sie mir die Ratten nicht aus dem Hause, damit schaffen Sie mir keineswegs die Ratten aus dem Hause. Ich sollte seinerzeit Schreiber bei einem Rechtsanwalt werden, um mich so allmählich in die Gelehrtheit einzuarbeiten. Das war so um das Jahr 67 herum. Bei der Verwirklichung seines Planes regte sich mein seliger Vater so auf, daß er einen Schlaganfall bekam. Nachher stand meinem Wunsche, Soldat zu werden, nichts mehr weiter im Wege. Mein Vater hätte sich die folgenschwere Aufregung ersparen können, denn schon sein 43 Vater hat sich die Soldatenlaufbahn erzwungen. Das war um das Jahr 1732 herum . . .«

Hätte Sir Reginald Bulber seine Familiengeschichte nach vorwärts entwickelt, statt nach rückwärts, dann hätte ihn Professor Buffers, der noch immer mit dem Regenschirm über der Schulter in der Mitte des Zimmers stand, nicht unterbrochen. Denn ein General, der so ins Reden gekommen ist wie Sir Reginald, wird von Minute zu Minute ungefährlicher. Aber Buffers sagte sich sicherlich mit Recht, daß erhebliche Zeit verstreichen müßte, bis der General in seinen Rückerinnerungen in das Zeitalter der Maria Stuart kommen würde, wo er, Buffers, dann einspringen konnte, um die Karriere seines leichtsinnigen Neffen nach vorwärts zu entwickeln. Ferner hatte er die Absicht, noch an diesem Vormittag einen wissenschaftlichen Blick auf die Katzen zu werfen, den gleichen Blick auf die Ratten wollte er erst in den nächsten Tagen vornehmen, da es sich vorläufig nur um die Organisation der Abwehr handelte. Außerdem mußte er noch einen wichtigen Besuch machen. Deswegen sagte er:

»Mein lieber Herr General, was Sie mir da erzählen, ist sehr interessant! Auch mein Vater ist an einem Schlaganfall gestorben und auch um das Jahr 67 herum.«

Wenn ein General redet, so ist es nicht leicht, ihn zu 44 unterbrechen, denn er wird entweder fuchsteufelswild, und ein General, der es wird, ist kein schöner Anblick, oder er sagt »papperlapapp« und spricht weiter, und dann ist die Unterbrechung umsonst gewesen. Man kann einen General in seiner Rede nur dann mit Erfolg unterbrechen, wenn gleich in den ersten Worten etwas von Krieg und Sieg, Tod und Pestilenz vorkommt. Und wenn dann diese Dinge nicht bei wildfremden Menschen, sondern in der eigenen oder in seiner Familie passiert sind, so ist die Unterbrechung Tatsache geworden.

»Was?« rief Sir Reginald Bulber, »Ihr Vater, Herr Professor, ist gleichfalls an einem Schlaganfall gestorben und auch um das Jahr 67 herum? Setzen Sie sich und legen Sie Ihren Regenschirm ab.«

Professor Buffers setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Schreibtisch des Generals stand, und legte seinen Regenschirm auf das Pult zum leeren Glas. Da sein Schirm noch naß war, wollte er ihn gleich wieder fortnehmen, aber Sir Reginald ließ es nicht zu.

»Machen Sie keine Umstände«, sagte er, »ich lege meinen Regenschirm auch immer auf das Pult, dann vergesse ich auch nicht, ihn nachher mitzunehmen. Es hat lange Zeit gedauert, bis ich mich an den Regenschirm gewöhnt habe, aber jetzt trage ich ihn auch bei schönem Wetter . . . Was ist der Grund gewesen, daß 45 Ihr Vater einen Schlaganfall bekommen hat?«

Professor Buffers betrachtete die Batterie Flaschen auf dem Kaminsims und antwortete:

»Der allgemeine Grund, Sir Reginald, im Sommer war es ihm zu heiß und im Winter immer zu kalt. Im Sommer liebte er . . .«

»Schon gut«, meinte der General, »mir geht es genau so, nur daß jetzt der Unterschied der Jahreszeiten bei mir gar keine Rolle mehr spielt. Mir wird es fortwährend kalt und warm. Erst waren es die verfluchten Ratten, dann kamen die verfluchten Katzen dazu . . . Darf ich Ihnen ein Glas Sherry anbieten, Professor?« Buffers war weder ein Freund von Sherry noch von andern alkoholischen Getränken, aber im Interesse Englands, der Wissenschaft und last not least seines leichtsinnigen Neffen ließ er sich das Glas füllen.

»Ihr Vater und mein Vater, lieber Professor, haben davon einen Schlaganfall bekommen! Ich sage aber, was den Vätern recht ist, das ist den Söhnen billig. Ist das nicht auch Ihre Meinung?«

»Meine Meinung nicht ganz«, antwortete Buffers, »aber sicher diejenige meines Neffen Herbert. Ein junger Draufgänger, Herr General!«

»Heißt er Buffers?«

»Nein, nein, Herr General, er heißt Linlithgow, Sir Herbert Linlithgow, und ist ein Nachkomme der 46 Maria Stuart!«

»Dann verstehe ich das sehr gut. Ist er sonst sympathisch?«

»Sehr! Er hat die Statur und das Benehmen eines Gardeoffiziers. Geistig gehört er dem Durchschnitt an!«

»Solche Menschen sind mir persönlich viel angenehmer als zu intelligente. Mit zu gescheiten Menschen als Untergebene lockt man keine Maus hinter dem Ofen hervor. Ich habe das zu meinem Leidwesen erfahren müssen. Glauben Sie mir, mein lieber Professor, meine Erfolge in Indien habe ich mit Menschen errungen, die weit unter dem geistigen Durchschnitt standen. Der intelligenteste Mensch, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, das ist mein Brigadeschreiber gewesen, und der ist nachher mit meiner ganzen Brigadekasse durchgegangen. Das heißt: die leere Kasse ließ er zurück mit einem Zettel darin, den ich gar nicht gewagt habe, an das Kriegsministerium einzusenden.«

»Wann war denn das?« frug Buffers sehr interessiert.

»Kurz bevor mich der elende Gaul in die Hüfte getreten hat. Seitdem sind mir die Gäule verleidet.«

»Das verstehe ich vollkommen, Herr General! Seitdem sind Sie aus dem Regen in die Traufe gekommen?«

»Und wem verdanke ich das, Herr Professor? Diesem elenden Kriegsminister, Lord Purple! Er schrieb mir 47 damals einen ganz ähnlichen Brief wie der, den ich heute erhielt, mit Reggie vorn und Reggie hinten. Er schilderte mir das Marine- und Armeewarenhaus als ein zivilistisches Paradies mit tausend Mann Besatzung, die nur auf meine Wünsche warteten, mit einer herrlichen Aussicht über die Themse und weit hinein in unser gutes altes England. Von den verfluchten Ratten im Keller hat er mir kein Wort geschrieben. Kommen Sie, Herr Professor, trinken Sie noch ein Gläschen Sherry!«

»Herzlichen Dank«, sagte der Professor, »Ihr Sherry ist wundervoll, es ist der beste Sherry, den ich je getrunken habe. Wenn Sie gestatten, dann werde ich in den nächsten Tagen einmal meinen Neffen Linlithgow mitbringen. Er weiß einen guten Sherry zu schätzen. – Jetzt möchte ich gerne einmal Ihre indischen Katzen sehen! Sie sind wohl in den Kellerräumen?«

»Das waren sie früher, aber ich habe sie vor längerer Zeit herausgezogen. Die Resultate, die sie mir in Gestalt von toten Ratten gebracht haben, sind zu gering gewesen. Auch stand ihre Zahl in gar keinem Verhältnis zu dem Ungeziefer. In den nächsten Tagen kommt eine abschließende Schiffsladung aus Indien an, und dann werde ich die Offensive auf der ganzen Linie eröffnen. Gelingt sie mir diesmal nicht, dann nehme ich meinen Abschied. Inzwischen habe ich sie 48 aber alle in einem Nachbarhaus zusammengezogen, das ich vor kurzem aus unsern stillen Reserven erworben habe. Darin ist ein riesiger ehemaliger Tanzsaal aus der Zeit der Königin Anna. Dort sind sie jetzt alle versammelt, weil es Fressenszeit ist. Kommen Sie!« Professor Buffers stand, obwohl er es eilig hatte, noch nicht auf. Er sah einen Augenblick auf den Fußboden, dann in das Gesicht des Generals, und dann sagte er: »Wissen Sie auch bestimmt, Herr General, daß es alles indische Katzen sind, und sind auch nicht etwa indische Kater dabei?«

»Lieber Herr Professor, dafür kann ich meine Hand ins Feuer legen! Mein alter Regimentstierarzt, dem ich hier eine Stelle als Kontrolleur der Nahrungsmittel verschafft habe, hat sie alle daraufhin untersucht.«

Buffers erhob sich von seinem Platz und sagte: »Dann ist alles gut, Herr General«, und strebte der Türe zu. Sein Regenschirm, der inzwischen getrocknet war, blieb auf der unansehnlich gewordenen Mappe des Kriegsministeriums liegen. –

Der General und Professor Buffers begaben sich in das Nachbarhaus, um in dem Tanzsaal aus der Zeit der Königin Anna die indischen Katzen zu revidieren. Unterwegs schlossen sich ihnen zwei Dutzend kräftige Männer an, von denen mehrere ein riesiges Fischernetz schleppten. 49 »Was soll das bedeuten?« frug Buffers den General.

»Das werde ich Ihnen am besten an Ort und Stelle erklären«, antwortete Sir Reginald, »vorläufig nehmen Sie einmal Ihr Taschentuch aus der Tasche.«

Buffers tat, was der General ihn geheißen hatte, und drückte es von selbst und ohne Aufforderung seitens des Generals an die Nase, als sie das Katzenhaus betraten. Der Geruch war fürchterlich.

»Die Katzen sind an und für sich sehr saubere Tiere«, sagte der General unter seinem Taschentuch hervor, »aber mehrere tausend in einem Haus strömen einen scharfen Geruch aus.«

»Selbstverständlich, Sir Reginald, trotz aller Sauberkeit. Mehrere tausend Menschen, in einem verhältnismäßig kleinen Raum vereinigt, riechen nicht besser. Als neulich in Kew vor einer dichtgedrängten Menschenmenge die Rosenausstellung eröffnet wurde, war der Rosengeruch nach einer halben Stunde . . .«

Der Professor sprach nicht weiter, denn sie waren vor der Türe des Ballsaales angelangt, und er war nun auch gezwungen, den freien Teil seines Taschentuches vor den Mund zu pressen. Der General jedoch reckte sich in die Höhe, nahm sein Taschentuch von der Nase und tat einen tiefen Atemzug.

»So«, sagte er mit klarer und lauter Stimme, »jetzt beginnt für mich die Pflicht! Was bedeutet ihr 50 gegenüber meine Nase? Sehen Sie, Herr Professor, hier diesen Knopf an der Türe? Sobald ich ihn drücke, fährt die Türe auf eisernen Schienen in die Wand, und der Eingang ist frei. Es ist so eine Art ›Sesam, öffne dich!‹ Aber es sind keine orientalischen Schätze, die dahinter lauern, sondern nur orientalische Katzen.«

Dem Professor wurde diese Einleitung zu lang, er streckte seine Hand aus, um auf den Knopf zu drücken. Sie wurde geistesgegenwärtig von einem Arbeiter zurückgeschlagen.

»Au!« rief der Professor böse, während der General »um Gottes willen« sagte und dann fortfuhr:

»Stellen Sie sich vor, Herr Professor, wenn sich jetzt die Türe geöffnet hätte! Mehrere hundert Katzen wären Ihnen sofort in Ihr Gesicht geschnellt, und wie Sie Ihr Gesicht hätten bewahren können, das weiß ich nicht. Zweitausend Katzen auf dem Papier des Kriegsministeriums bedeuten gar nichts, aber zweitausend Katzen in der nackten Wirklichkeit sind die Hölle auf Erden. Her mit dem Netz!«

Die Arbeiter schleppten nunmehr das Fischnetz herbei, befestigten es mit großer Gewandtheit über der Türe und dann an Pflöcken, die am Fußboden eingerammt waren.

»Her mit dem Podium!« rief der General. Das Podium wurde zwei Meter von der Türe entfernt aufgestellt. 51

Der General begab sich die zwei Stufen hinauf und zog den Professor hinter sich her. Dann gab er einen Wink, ein Arbeiter drückte auf den Knopf an der Türe, die sich nun knarrend öffnete.

Wenn der General den Professor nicht mit seinen starken Armen gehalten hätte, dann wäre Buffers entweder vorwärts gegen das Fischnetz oder rückwärts auf den Steinboden geflogen. Eine wahre Sturzflut von Katzen stürmte der Türöffnung entgegen, krallte sich in dem Netz fest und funkelte mit ihren grün blitzenden Augen den Naturforscher an. Nur den Naturforscher, an den General schienen sie sich gewöhnt zu haben.

»Die Hölle, die leibhaftige Hölle«, stöhnte Buffers unter seinem Taschentuch hervor. Der General betrachtete den in seinen Armen ruhenden Gelehrten etwas mitleidig, dann reckte er sich noch einmal in die Höhe, heftete seinen soldatischen Blick auf die fauchenden Katzen und donnerte: »Ruhe!«

Kein Zweifel: einige der Katzen klemmten bei diesem Ruf ihre Schwänze ein, sofern sie nicht im Netze hingen, und versuchten sich manierlicher zu benehmen; andere hingegen, wahrscheinlich solche, die erst vor kurzem aus Indien gekommen waren, benahmen sich um so toller. Da winkte der General mit seinem 52 Taschentuch nach rückwärts, die anwesenden Arbeiter nahmen ihre Mützen ab, und alle zusammen stimmten nunmehr die englische Nationalhymne an. Die Wirkung war frappant! Nicht nur, daß augenblicklich eine fast beklemmende Ruhe eintrat, Professor Buffers, der während des Liedes seine Sicherheit wieder gewonnen hatte und sogar sein Taschentuch von der Nase nahm, glaubte zu bemerken, daß mehrere der älteren Katzen mitsangen. Eine hob sogar – Buffers war wenige Wochen darauf bereit, es zu beschwören – ihr Pfötchen über den Kopf und ließ es erst sinken, nachdem die letzte Strophe verklungen war. Dann sprach Generalmajor Sir Reginald Bulber folgende Worte:

»Katzen aus Britisch-Indien!

Wenn der englische Mensch in diesen schweren Zeiten seine Nationalhymne anstimmt, dann funkeln seine Augen, seine Hände verkrampfen sich, und er ist während dieser Zeit bereit, sieben Leben für sein Mutterland hinzugeben. Katzen aus Britisch-Indien! Auch eure Augen funkeln, und auch ihr seid bereit, euch für die Belange Alt-Englands zu opfern. Und wie jeder wahre Brite in seinen nächtlichen Träumen sieben tote Erbfeinde zu seinen Füßen zerschmettert liegen sieht, so seht ihr, Katzen aus Britisch-Indien, gleichfalls sieben fette Ratten unter eurem harten Zugriff verenden. Aber 53 da es britische Art ist, erst dann wuchtig zuzuschlagen, wenn auch nicht mehr der geringste Zweifel am Erfolg besteht, so muß auch von der englisch-indischen Katze erwartet werden, daß sie geduldig abwartet, bis das Signal zum allgemeinen Angriff ertönt. Wir erwarten noch eine Schiffsladung tapferer Kameraden – pardon, Kameradinnen – aus Indien, aber schon steht hier, neben mir auf dem Podium, ein berühmter Wissenschafter, Professor Buffers, vom Kriegsministerium delegiert, um uns in unserem schweren Kampfe zu unterstützen. Ich weiß zwar noch nicht, wie er das anfangen will, aber ihr seht, daß uns von Tag zu Tag neue Kräfte zuwachsen, so daß es mir um den Enderfolg nicht bangt. Und in diesem Sinne . . .«

Vom Netze her tönte ein zartes Miauen, und eine Katzenpfote schob sich heraus in der Richtung auf den Professor. Ein Arbeiter sprang an das Podium und flüsterte Buffers zu:

»Herr Professor, die älteste Katze will Sie im Namen aller andern begrüßen und schon im voraus Dank sagen.«

»Sie wird mich kratzen!«

Aber dann, noch ganz unter dem Eindruck der gemeinsam gesungenen Nationalhymne, bereute er diese Worte, stieg vom Podium herab, ergriff die Pfote und schüttelte sie mit echter britischer Herzlichkeit. Der 54 General benützte diese rührende Szene, um sich zu räuspern, die Augen zu wischen und darüber nachzudenken, wie diese ad hoc entstandene Feier einen möglichst würdigen Abschluß finden könnte. Da ihm im Augenblick nichts einfiel, überließ er es dem Zufall in Gestalt eines würdigen Vorarbeiters, der aus der Schublade, die in das Podium eingebaut war, ein sogenanntes Schifferklavier hervorzauberte. Während sich die zarte Katzenpfote noch einmal mit der durchgeistigten Hand des berühmten Gelehrten vereinigte, erklang die getragene Weise eines berühmten, alten Kirchengesangs. Alle Anwesenden sangen leise mit und der General sehr laut. Wenn ein höherer Offizier singt, dann singt er immer sehr laut, und schon manche Kirchgemeinde ist dadurch in Unordnung gebracht worden. Aber hier, vor dem Ballsaal aus der Zeit der Königin Anna, sangen disziplinierte Angestellte und Arbeiter des englischen Marine- und Armeewarenhauses, und ferner blieb der General nicht auf der gleichen Stelle sitzen oder stehen, wo sich mißbilligende Blicke vereinigen können. Singend stieg er von dem Podium herab, zog Professor Buffers, der nur mit Widerstreben seine Hand aus der Pfote der grazilen älteren Katze lösen konnte, vom Fischernetz zurück, singend drückte er auf den Knopf, die Flügel der Türe schlossen sich ganz vorsichtig und bestrebt, 55 nicht das geringste knarrende Geräusch von sich zu geben. Singend schob er seinen Arm unter den des Professors und verließ mit ihm das Haus. Die Arbeiter schlossen sich den beiden paarweise an, und die feierliche Stimmung wurde so bis zum letzten Augenblick gewahrt. Das alles geschah so selbstverständlich und absichtslos, daß ich mich verpflichtet fühlte, auch geringe Einzelheiten zu erzählen. Denn in unserer Zeit hat man bei ähnlichen Veranstaltungen immer das Gefühl, daß sie von langer Hand her vorbereitet wurden. 56

 


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