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Buchschmuck

Zwanzigstes Kapitel.

Am 10. des Thermidor, abends gegen sechs Uhr ... es war die Stunde, in der das Haupt des großen »Unbestechlichen« fiel ... betrat der Maler Aristide Poignard den Garten der Villa Tourlan in Louveciennes. Sorgsam verpackt trug er unter dem Arm das Bild, das er in Saint Lazare begonnen und nun vollendet hatte und das »der Freiheit letztes Opfer« hieß.

Es hatte ihm selbst die Freiheit seiner Kunst und seines inneren Menschen wiedergeschenkt. In der Tasche seines Rockes stak das Heft, in das Auguste Rodeur in den Wochen vor seinem Todesgange seine letzten Gedichte aufgezeichnet hatte, beides, Bild und Dichtung, gehörten nach dem letzten Willen des Geopferten ... Jacqueline.

Der Maler atmete tief auf, als er vor dem Eingang in den Garten der Villa stand. Hier draußen in Louveciennes merkte man nichts von den Stürmen der Revolution, die über Paris dahinbrausten, nichts von dem Blutgericht des Thermidor, das sich eben, der Rache letzter Akt, über Frankreich entlud.

Der Garten und das Haus, alles war noch so, wie es Auguste Rodeur in jenen vom Sturm des Frühlings aufgepeitschten Tagen des Ventose verlassen hatte. Aber die Rosen blühten an den Stämmchen, die Pfirsiche an den Spalieren begannen zu reifen und aus dem Laub des Birnbaums, der damals geblüht hatte, lugten die Früchte gelb und rot. Leuchtend stand die Sonne des Thermidor über dem Park von Versailles und dem Garten von Louveciennes. Sie rüstete sich schon langsam zum Untergang und warf die langen Schatten der Sträucher und Bäume auf die sorgfältig mit Kies bestreuten Wege, die Aristide Poignard sinnend durchschritt. Hier hatte sich nichts geändert, nur die Jahreszeit hatte die von der Natur gesetzten Fortschritte gemacht. Aber Adrienne Sourieux hatte man zu Grabe getragen, Théophile Tourlan und Auguste Rodeur waren nimmer zurückgekehrt, die Haare der alten Frau Tourlan waren in einer Nacht schneeweiß geworden und Jacqueline trug ein schwarzes Kleid.

Unter dem Birnbaum mit den reifenden Früchten und dem schon langsam sich verfärbenden Laube stand eine grün gestrichene Bank. Auf diese schritt Aristide Poignard zu.

Die Stimme eines Kindes weckte den Maler aus seinen Träumen.

»Was willst du, fremder Mann,« drang diese Stimme an sein Ohr.

»Ich habe Tante Jacqueline etwas auszurichten, Kleine! Wie heißt du denn, mein Schatz?«

»Ich heiße Flora Sourieux, mein Herr, und Tante Jacqueline ist bei Großmutter Tourlan im Hause. Soll ich sie rufen?«

»Das ist aber ein schöner Name, Sourieux, mein Liebling! Er erinnert an das Lächeln der lieben Sonne, die hier den ganzen Garten so warm und golden macht. Aber was treibst du denn da?«

»Ich mache Seifenblasen, mein Herr. Sie sind so rund und so schön und so durchsichtig und die Sonne spiegelt sich in meinen Seifenblasen. Onkel Rodeur sagte einmal, meine Seifenblasen seien wie die Welt so rund und sie zerplatzten am Ende wie diese Welt! Kennen Sie Onkel Rodeur? Wissen Sie etwas von ihm?«

Betreten schwieg Aristide Poignard.

Dann sagte er langsam:

»Ich habe Onkel Rodeur gekannt, goldene Kleine! Du hast wohl Onkel Rodeur sehr lieb gehabt?«

»Sehr, sehr lieb, mein Herr ... Onkel Rodeur ist immer so gut zu mir gewesen. Er hat mir Bonbons mitgebracht und wunderschöne Geschichten hat er mir erzählt. So wie die von der Welt und der Seifenblase. Aber Mama und Tante Jacqueline haben ihn auch sehr lieb gehabt. Mama ist jetzt droben im Himmel und spielt mit den Engeln Fangball, hat mir Großmutter Tourlan gesagt. Wissen Sie auch das, mein Herr?«

Aristide Poignard wußte nicht, was er dem Kinde erwidern sollte. Aber die Kleine wartete seine Antwort auch gar nicht ab. Sie plauderte ruhig und harmlos weiter, als ob sie die lustigsten Dinge von der Welt zu erzählen hätte.

»Onkel Rodeur ist von uns fortgegangen, mein Herr, eines Abends nach Paris ... das ist schon lange her. Ich bin böse auf Onkel Rodeur, weil er immer noch nicht kommt, und er hat mir doch sonst stets etwas Schönes aus Paris mitgebracht. Er wollte Großvater suchen, hat Tante Jacqueline zu mir gesagt. Aber er und Großvater sind aus Paris nicht wiedergekommen. Wissen Sie vielleicht etwas von Onkel Rodeur?«

»Du wolltest doch Tante Jacqueline rufen, liebe Kleine! Oder soll ich mit dir ins Haus gehen?«

»Nein, ich rufe sie ja schon.«

Mit flinken Beinchen lief jetzt das Kind dem Eingang der Villa zu.

Aristide Poignard ließ sich auf der Bank unter dem Birnbaum nieder. Er war erschöpft von dem Wege und den Aufregungen der letzten Tage. Der sanfte Wind, der hier draußen über reifende Kornfelder kam und durch den Garten des Landhauses in Louveciennes strich, tat ihm wohl. Er hatte gar keine Lust, das Haus zu betreten. Hier unter dem blauen Himmel dieses Sommertages fühlte er sich so frei.

Während die Kleine Tante Jacqueline in der Villa suchte, um ihr zu sagen, daß ein fremder Herr im Garten sei und sie zu sprechen wünsche, machte sich jetzt Aristide Poignard daran, sein Bild auszupacken. Er tat dies mit fast zärtlicher Hand. Der Künstler behandelte sein Werk wie eine Mutter ihr Kind behandelt, als ob er ihm wehe tun, als ob er es verletzen könne.

Nachdem die Hüllen gefallen, stellte er das Bild auf die Bank unter dem Birnbaum und versenkte sich in seinen Anblick.

Es war ihm gelungen, Gott Lob und Dank! Wie noch nichts wieder seit jener Nymphe, die er im Park von Versailles begonnen hatte. Er hatte sich unter den Augen seines Freundes Rodeur in Saint Lazare wiedergefunden. Sich selbst und seiner Kunst!

Und sonderbar, in dieser Stunde der Weihe dachte Aristide Poignard nicht mehr an Fleurette. Er wußte nicht, daß sie bei Madame Gay in der Rue Saint Denis Arbeit gefunden und sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend die Finger wund rieb. Es war, als seien mit dem letzten Sturm der Revolution in diesen entscheidenden Tagen des Thermidor, die auch Rodeur das Leben gekostet hatten, die Fesseln von ihm abgefallen ... die ihn an die Schwere des Vergangenen und an dieses Mädchen banden, das aus der Hefe des Volkes zu ihm gekommen war und trotz allem die treue Freundin seines Hungers und seiner Leiden geworden.

Wie verklärt durch die Kunst, zu der er sich zurückgefunden, stand der Maler heute im Garten des Landhauses von Louveciennes vor seinem Werke ... und dachte nicht mehr an Fleurette.

Die Bürgerin Louise Marteau, die Auguste Rodeur in Saint Lazare in unsterblichen Versen verewigt, war auf seinem Gemälde zum Idol dieser Tage des Schreckens geworden. Das fühlte Aristide Poignard in dieser Stunde, versunken in den Anblick seines eigenen Werkes. Die stand als Krönung der furchtbaren Zeit des Schreckens, die heute, die in dieser Stunde mit dem Tode des großen »Unbestechlichen« für immer zu Ende ging, auf seinem Gemälde und drückte dem Dichter, der sich der Freiheit großer Sache als letztes Opfer in die Arme geworfen hatte, den Lorbeer aufs Haupt.

Ein goldenes Licht umflutete auf diesem Bilde das liebliche Antlitz der Bürgerin Louise Marteau, ein Licht, das, wie es dem Maler in dieser feierlichen Stunde vorkam, nicht mehr von dieser Erde sein konnte. Der Hauch der Ewigkeit ging für ihn von seinem eigenen Werk aus, zu dem ihm ein anderer, ein Größerer, ihn zu reinigen, Hand und Pinsel geführt hatte.

So war das Bild Aristide Poignards mehr als ein Bild, es war Symbol und Sinn jener jetzt für immer dahingegangenen Tage des Schreckens. So empfand er es selbst in dieser Stunde. Und aus ihm entstieg ein neues Frankreich und mit diesem eine neue Welt!

Er war in die Betrachtung des Werkes, auf dem die Lichter der scheidenden Sonne des Thermidor spielten, dermaßen vertieft, daß er gar nicht hörte, wie sich Schritte auf dem Kiesweg der Bank unter dem Birnbaum näherten.

Erst der Ausruf der Bewunderung, der von Frauenlippen kam, riß ihn empor und führte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Das ist ein Meisterwerk,« sagte da Jacqueline.

Und er, ohne zu fragen, ob er sich auch wirklich Jacqueline Tourlan gegenüber befand, erwiderte:

»Es ist das Geschenk Auguste Rodeurs, meines verstorbenen Freundes, an Sie, Mademoiselle Jacqueline, daß er durch meine Hand im Gefängnis Saint Lazare fertigen ließ und das ich Ihnen nach dem letzten Willen des Toten überbringen sollte ... zusammen mit diesen Gedichten, die die letzten Aufzeichnungen aus seinem Kerker sind.«

Er dachte in seinem Schmerze und in seiner grenzenlosen Verwirrung gar nicht daran, daß Jacqueline am Ende noch nicht über den Tod des Freundes unterrichtet sein könne.

Aber Jacqueline sagte in schlichtem Ton:

»Wir haben aus dem ›Moniteur‹ erfahren, mein Herr, daß Vater und Auguste Rodeur zu den letzten Opfern zählten. Haben Sie Vater und Auguste Rodeur gesprochen? Haben Sie einen Auftrag von ihnen erhalten? Haben Sie uns etwas mitzuteilen?«

»Ich habe Herrn Tourlan kaum gesehen und kaum gesprochen ... mein Fräulein ... denn die Zahl der Gefangenen war eine zu große ... nur in der letzten Nacht« ... er wollte sagen im »Rollenden Sarg«, doch er verschluckte das entsetzensvolle Wort ... da sah ich wohl auch Herrn Tourlan. Doch er ahnte wohl nur, daß mich mein Weg nach Louveciennes führen würde. Aber mit Auguste Rodeur bin ich zusammen gewesen und diese Verse und dieses Bild sind sein Vermächtnis und sein letzter Gruß.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr ... Doch was wissen Sie ...«

»Von seiner letzten Stunde, wollen Sie sagen?«

»Ja, das will ich!«

»Sie sind alle wie Helden gestorben, verlangen Sie bitte nicht mehr von mir zu wissen. Wenn ich den richtigen Eindruck mit mir genommen habe, dann war Auguste Rodeur schon vor seinem Tode allem Irdischen entrückt. Er wandelte durch den Garten Griechenlands, Hand in Hand mit den größten Helden aus der Dichtung der Vorzeit und er sah und fühlte nichts mehr von Paris und der Gegenwart, in der er starb!«

»So dachte ich ihn mir ... Doch wollen Sie nicht eintreten? Wie darf ich Sie nennen?«

»Aristide Poignard.«

»Sie sind der Maler?«

»Der bin ich ...«

»Von dem Auguste Rodeur so oft und so gern gesprochen hat?«

»Wirklich? Tat er das, mein Fräulein?«

»Er war begeistert von Ihrer Kunst, wie er von allem Großen und allem Schönen immer begeistert war ... Doch sagen Sie, glauben Sie, daß diese furchtbare Zeit jetzt wirklich zu Ende geht?«

»Sie geht zu Ende! ... In dieser Stunde fällt das Haupt Robespierres und ganz Paris atmet auf. Die Schuldigen verbluten und die Tage des Friedens und der Gnade werden wieder über Paris und Frankreich Kommen!«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Wahr und wahrhaftig!«

Ein tiefer und dankbarer Seufzer der Erleichterung entrang sich dem Munde Jacquelines.

»Sie werden mich für eine krasse Egoistin halten. Herr Poignard, daß ich in dieser Stunde an mich denken kann ... und doch denke ich an mich ... und an die kleine Flora denke ich ein wenig ...«

Sie nahm das Kind, das an ihrer Seite stand und das verständnislos den Worten Poignards gefolgt war, in die Arme und fuhr fort:

»Flora ist ein Kind und ich ... ich bin noch so jung, Herr Poignard ... Die Jugend sträubt sich gegen den Tod. Man will seinen Herbst erleben, wenn man noch im Frühling seiner Tage steht!«

»Das ist ein Gedanke ...«

»Was wollen Sie sagen?«

»Ein Gedanke, dem Auguste Rodeur in einem seiner letzten und vollendetsten Gedichte Ausdruck verliehen hat. Sie werden es in diesem Buche finden, das ich jetzt in Ihre Hände niederlege, und Sie werden dieses Gedicht lesen und verstehen, Fräulein Jacqueline Tourlan!«

Aristide Poignard überreichte Jacqueline das dünne Heft, das Auguste Rodeur in Saint Lazare mit den Versen seiner letzten Lebenstage gefüllt hatte, und sagte:

»Auch dies ist ein Vermächtnis! ... Und nicht nur an Sie, Jacqueline Tourlan, der ich es nach dem Willen des Toten übermitteln soll, es ist ein Vermächtnis an Frankreich und an die Welt! An Frankreich, das einen seiner besten Söhne in diesen Tagen nicht zu schützen vermochte, und an die Welt, weil es uns lehrt, daß kein Jammer so tief sein kann, daß ihn menschliche Größe nicht zu überwinden vermöchte, daß kein Leid so schwer ist, daß nicht das Licht der Dichtung hineinfallen und es mit ewiger Schönheit adeln könnte. Das, Jacqueline Tourlan, lehren uns Auguste Rodeurs Tod und sein Werk. Und mit dieser Erkenntnis verlasse ich Sie!«

»Sie wollen nicht eintreten, Herr Poignard, wollen nicht meiner Mutter ...«

»Ich muß nach Paris zurück! Mich ruft das Leben, Jacqueline Tourlan ... Schon ward zu viel davon versäumt! Wenn man wie ich das Glück gehabt hat. die Revolution zu überstehen, dann hat man nur dann das Recht zu feiern, wenn man ein Genie ist wie Auguste Rodeur oder ein Lump wie Chien de Boucher! Ich bin beides nicht! Aber ich habe die Revolution überstanden und ich will arbeiten, weil ich in diesen Tagen gelernt habe, wie wertvoll und wie wertlos unser Leben ist! So leben Sie denn wohl, Jacqueline Tourlan!«

Als Aristide Poignard Jacqueline die Hand zum Abschied reichte, bemerkte er die letzte Nummer des »Moniteur«, die diese mit in den Garten gebracht hatte.

»Wenn Sie das Blatt gelesen haben, Mademoiselle.« sagte er ... »dann darf ich vielleicht darum bitten. Ich habe heute noch keine Zeitung zu Gesicht bekommen!«

»Aber gern, Herr Poignard?«

Sie gab ihm das Blatt und reichte ihm noch einmal zum Abschied die Hand.

Aristide Poignard ging.

Als er die Tür des Gartens hinter sich geschlossen hatte, fragte die kleine Flora:

»Was wollte der fremde Herr, Tante Jacqueline? Der Mann auf dem Bild ist Onkel Rodeur, aber die Frau auf dem Bild kenne ich nicht! Ist Onkel Rodeur jetzt bei Mama im Himmel und spielt auch er mit den Engeln Fangball?«

»Ja, mein Liebling,« antwortete da Jacqueline und wehes Schluchzen unterbrach ihre Stimme.

»Du mußt darüber nicht weinen, Tante Jacqueline,« mahnte das Kind, »wenn Onkel Rodeur es gut hat, wenn er droben bei Mama ist und mit den Engeln Fangball spielt ... Ich weine ja auch nicht!«

Das Kind machte sich von Jacquelines Hand los und lief dem Hause zu.

»Wo willst du hin, Flora?«

»Schaum holen für meine Seifenblasen, Tante Jacqueline,« rief es. »Ich habe nicht mehr genug in der Schüssel ... und meine Seifenblasen sind so schön und so groß und so rund! Sie fliegen nach der Sonne, Tante Jacqueline, und sie glitzern in der Sonne. Sie sind wie die Welt und zerplatzen wie die Welt ... hat Onkel Rodeur einmal gesagt, der jetzt bei Mama und den Engeln ist!«

Mit diesen Worten war das Kind in der Tür der Villa Tourlan verschwunden.

Jacqueline trat an das Bild heran.

Bewundernd ließ sie noch einmal den Blick über das Meisterwerk Aristide Poignards hingleiten, zu dem sie der dem Tode verfallene Dichter begeistert hatte ... und nun entdeckte sie die Verse, die unten in der Ecke auf der Leinwand standen, die Auguste Rodeur selbst mit dem feinen Pinsel des Malers in der Stunde vor seinem Tode in Saint Lazare auf dieses Vermächtnis geschrieben hatte.

Jacqueline las.

Sie waren so schlicht, diese Verse ... und gerade darum prägten sie sich sofort in das Gedächtnis Jacquelines ein ... und Jacqueline vergaß diese Verse nie ...

»Erschrick nicht, staune nicht, geliebtes Wesen.
Mußt Trauer du in diesen Zügen lesen,
Als sie gemalt des Künstlers Pinselstrich,
Baut' man das Blutgerüst ... ich dacht' an dich'.«

Da stürzten endlich die lange zurückgehaltenen Tränen, die sie in all den Tagen des Schreckens nicht mehr zu weinen vermocht hatte, aus Jacquelines Augen.

Wie der Trost der Ewigkeit zog es in dieser Minute durch ihr gequältes Herz, dieses eine Wort von jenseits des Schafotts und des Grabes: »Ich dacht' an dich!«

So nahm sie Bild und Heft. das Letzte, das Unsterbliche, was von Auguste Rodeur geblieben war und bleiben sollte, und schritt dem wieder aus der Villa tretenden Kinde entgegen, das er einst die Hoffnung einer schöneren Zukunft genannt hatte ...

* * *

Die Sonne des 10. Thermidor sank in blutigem Glanze über Louveciennes. In der Postkutsche, in der er nach Paris zurückfuhr, las Aristide Poignard den »Moniteur«.

Ein Bürger, den er nicht kannte und der ihm im Wagen gegenübersaß, fragte:

»Wie heißt doch der Major, der die Pläne für den Alpenübergang der Armee an Barras und Carnot gesandt hat? Ich kann diesen Namen gar nicht behalten.«

»Welchen Major meint Ihr denn, Bürger?« fragte Aristide Poignard.

»Es steht heute im »Moniteur« und Ihr lest ihn doch! Seht zu, auf der dritten Seite. Er hat den kühnen Plan mit den Truppen der Republik, den Großen St. Bernhard zu überschreiten und so von Norden in Italien einzufallen. Das ist seit den Tagen Hannibals und Cäsars nicht wieder dagewesen! Aber ich kann den Namen dieses Majors nicht behalten, Er ist kein Franzose, dem Namen nach muß er ein Italiener sein. Seht zu, Bürger, auf der dritten Seite!«

Poignard suchte in dem Zeitungsblatt.

»Den meint Ihr wohl, Bürger? Allerdings Name ist italienisch. Major Buonaparte ...«

»Ein seltsamer Name, was sich heute nicht alles in die Armee der Republik drängt ... Ein Italiener! ... Was geht den wohl Frankreich an? Ich kann den Namen immer noch nicht ausspreche. Ob man diesen Namen jemals in Paris behalten wird?«

»Es ist ein kleiner Major, wie hundert andere, Bürger ... aber sein Gedanke ist kühn, trotz allem kühn ... und dann ...«

»Und dann?«

»Der Name klingt so verheißungsvoll ... Buonaparte bedeutet: Das gute Teil!«

»Ich danke Euch, Bürger!«

Der Postillon hieb auf die Gäule, er schnalzte mit der Zunge und rief:

»Hü ... hott ... hü ... hott ...«

Im Abenddämmer des blutgefärbten Horizontes tauchten die Türme der Notre Dame wieder auf.

Die Kutsche hielt.

Der Bürger, der vorhin die Frage an Aristide Poignard gerichtet hatte, stieg aus.

»Gehabt Euch wohl, Bürger,« sagte er, »ich wohne hier und weiter gute Fahrt!« ... Jetzt habe ich es doch endlich behalten dank Eurer Übersetzung ... Buonaparte ... Buonaparte ...«

 

Ende! –

 

 

Die Ausstattung und den Buchschmuck besorgte Gertrud Stutze, Berlin.
Druck von Paul Dünnhaupt, Cöthen i. And.


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