Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Er stekte den Stift in die Hülse, welche an dem Zeichenbuche angebracht war, er that das Buch zu und schnallte es zusammen, er stekte die Sachen, die herum lagen, zu sich und stand auf. Maria erhob sich ebenfalls aus dem Gesteine, in welchem sie gesessen war, und richtete ihr Körbchen zusammen. Dann gingen sie, er sein Zeichenbuch unter dem Arme, sie ihr volles Körbchen an der Hand tragend, mit einander fort. Sie gingen von der Wand nicht gegen die Straße zu, sondern gegen den Wald, weil sie Tiburius bis an die Stelle begleiten wollte, wo ihr Pfad in dem Dikicht seitwärts lenkte, um gegen den Hügel zu gehen, auf dem das Haus ihres Vaters stand.

Als sie an der Stelle angekommen waren, blieben sie stehen und Maria sagte: »Lebt recht wohl, und vergeßt nicht, übermorgen zeitlich genug zu kommen; denn jezt stehen die Erdbeeren in den Thurschlägen unten, wohin es viel weiter ist. Ihr könntet ja dann auch wieder einmal zu dem Vater mitgehen, ich richte euch beiden die Erdbeeren zurecht, daß ihr sie esset. Jezt gute Nacht.«

»Gute Nacht, Maria, ich werde kommen,« antwortete Tiburius, und wandte sich gegen seine Wand zurük.

Sie aber vertiefte sich zwischen den Zweigen und Stämmen der Tannen.

Herr Tiburius kam an dem Tage, wie er versprach, sie aber war schon da und wartete auf ihn. Da sie ihn ansichtig wurde, lachte sie und sagte: »Seht, ihr seid doch zu spät gekommen, ich bin heute genau nach unserer Uhr fort gegangen und bin früher eingetroffen, als ihr. Jezt müßt ihr mit mir in die Thurschläge hinunter gehen, und dann müßt ihr mit zu dem Vater, und müßt von den Erdbeeren essen.«

Tiburius ging mit ihr in die Thurschläge, er blieb dort, so lange sie Erdbeeren pflükte, ging dann mit ihr zu ihrem Vater und aß die Erdbeeren, die sie den Männern auf die gewöhnliche Weise herrichtete, während sie die ihrigen auf einem abgesonderten grünen Schüsselchen aß.

Allein Herr Tiburius war von jezt an viel scheuer und schüchterner als zuvor.

Er erschien jedes Mal, wenn sie sich in dem Walde zusammen bestellten; sie gingen mit einander herum, wie zuvor; aber er war zurükhaltender als sonst, er umging mit Aengstlichkeit das Wörtchen Du, daß er es nicht zu oft sagen mußte, und manchmal, wenn sie es nicht bemerkte, sah er sie verstohlen von der Seite an, und bewunderte einen Zug ihrer Schönheit.

So verging der lezte Theil des Sommers, und es erschien der Herbst, an welchem es gerade ein Jahr war, daß er sie kennen gelernt hatte.

Da geschah es eines Abends, daß dem Herrn Tiburius unter den vielen Gedanken, die ihm jezt seltsam, und ohne daß er oft ihren Ursprung kannte, in dem Haupte herum gingen, auch der kam: »Wie wäre es, wenn du Maria zu deinem Weibe begehrtest?«

Als er diesen Gedanken gefaßt hatte, wurde er fast aberwizig vor Ungeduld; denn es war ihm, als müßten alle unverheiratheten Männer des Badeortes den heißesten und sehnsüchtigsten Wunsch haben, Maria zu ehlichen. Er war heute nicht bei ihr und ihrem Vater gewesen: wie leicht konnte einer in der Zeit hinaus gefahren sein, und um sie geworben haben. Er begriff den Leichtsinn nicht, mit welchem er den ganzen Sommer an ihrer Seite gewesen war, ohne diesen Zwek in das Auge gefaßt, und Mittel zur annähernden Verwirklichung desselben eingeleitet zu haben.

Er ließ daher am andern Tage früh Morgens anspannen, und fuhr so weit auf der Straße hinaus, als es ohne Aufsehen möglich war, worauf er dann auf dem Fußwege durch das Gestrippe über den Hügel zu dem Häuschen hinauf wanderte. Er hatte die Badeordnung, die er überhaupt schon vernachläßigte, auf die Seite gesezt.

Da sich Vater und Tochter verwunderten, warum er denn heute so früh komme, konnte er eigentlich keinen Grund angeben. Maria blieb gerade darum, weil er da war, immer in der Stube. Als sie aber einmal doch, um irgend ein häusliches Geschäft zu besorgen, hinaus ging, trug er dem Vater sein Anliegen vor. Da sie wieder herein gekommen war, sagte dieser zu ihr: »Maria, unser Freund da, der uns in diesem Sommer so oft und so nachbarlich besucht hat, begehrt dich zu seinem Weibe – wenn du nehmlich selber, wie er sagt, recht gerne einwilligst, sonst nicht.«

Maria aber stand nach diesen Worten wie eine glühende Rose da. Sie war mit Purpur übergossen und konnte nicht ein einziges Wort hervor bringen.

»Nun, nun, es wird schon gut werden,« sagte der Vater, »du darfst jezt keine Antwort geben, es wird schon alles gut werden.«

Als sie auf diese Worte hinaus gegangen war, als Herr Tiburius, dem es beim Herausfahren nicht eingefallen war, daß er Belege über seine Person mitnehmen müsse, zu dem Vater gesagt hatte, er werde ihm alles, was ihn und seine Verhältnisse angehe, bringen, in so ferne er es hier habe, und um das Fehlende werde er sogleich schreiben, als er sich hierauf bald entfernt hatte, und der Vater zu Maria, die auf dem hintern Gartenbänkchen saß, hinaus gegangen war, sagte diese zu ihm: »Lieber Vater, ich nehme ihn recht, recht, recht gerne; denn er ist so gut, wie gar kein einziger anderer ist, er ist von einer solchen rechtschaffenen Artigkeit, daß man weit und breit mit ihm in den Wäldern und in der Wildniß herum gehen könnte, auch trägt er nicht die närrischen Gewänder, wie die andern in dem Badeorte, sondern ist so einfach und gerade hin gekleidet, wie wir selber: aber das Einzige fürchte ich, ob es denn wird möglich sein, ich weiß nicht, wer er ist, ob er ein Häuschen oder sonst etwas habe, womit er ein Weib erhalten könne, und als ich in dem Badeorte war, und um ihn fragte, vergaß ich gerade um solche Dinge zu fragen.«

»Sei wohl über diese Sache ruhig,« antwortete der Vater, »er ist ja die ganze Zeit, da er uns besuchte, so eingezogen und redlich gewesen, seine Worte waren verständig und einleuchtend und immer sehr höflich. Er wird daher doch nicht um ein Weib anhalten, wenn er nicht hätte, was sich ziemt. Der Mensch kann mit Wenigem zufrieden sein, so wie mit Vielem.«

Maria war durch diese Worte überzeugt und beruhigt.

Als am andern Tage Tiburius kam, sagte ihm der Vater gleich beim Eintritte, daß Maria eingewilligt habe. Tiburius war voll Freude darüber, er wußte gar nicht, was er thun und was er nur beginnen solle. Erst in der nächsten Woche, als ihm Maria selber, da sie auf der Gassenbank saßen, sagte, daß sie ihn mit großer, großer Freude zum Manne nehme, legte er heimlich, ehe er fort ging, ein Geschenk auf den Tisch, das er schon mehrere Tage mit sich in der Tasche herum getragen hatte.


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