Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Zum Vierten und Lezten war der Oheim. Derselbe war ein reicher, unverheiratheter Kaufmann in der Stadt; denn Vater und Mutter des Knaben lebten außerhalb derselben auf einem Gute. Obwohl nun die Eltern des Knaben selber reich genug waren, so war doch noch die Erbschaft des Oheims für denselben zu erwarten, und der Hagestolz hatte dies selber oft genug durch seine ausdrüklichen Erklärungen bestätigt. Er nahm sich daher die Befugniß heraus, mit an dem Knaben zu erziehen. Er schrie ihm Praktisches zu, und erklärte ihm deutlich, wenn er zu seiner Schwester auf das Landgut herauskam, wie man es bei dem Baumklettern, was aber der Knabe nie that, machen müsse, daß man die wenigsten Hosen zerreiße.

Ehe ich in der Geschichte weiter gehe, muß ich auch sagen, daß mein Freund unglüklicher Weise gar nicht Tiburius hieß. Er hatte den Vornamen Theodor; aber er mochte, als er herangewachsen war, noch so groß unter seine schriftlichen Aufgaben sezen: »Theodor Kneigt,« er mochte, als er später gar reiste, in die Fremdenbücher schreiben: »Theodor Kneigt,« es mochte auf allen Briefen, die an ihn kamen, stehen: »An den hochwohlgebornen Herrn Theodor Kneigt,« – es half alles nichts; jedermann nannte ihn in der Rede nur »Tiburius« und die meisten Fremden, die sich in der Stadt aufhielten, meinten nach und nach, das schöne Landhaus, das an der Nordstrasse liege, gehöre dem Vater des Herrn Tiburius Kneigt. Der Name klingt so wirblicht und steht in keinem Kalender. Die Sache kam aber so: weil der Knabe öfter so sinnend und grübelnd war, so geschah es, daß er in der Zerstreuung Dinge that, die lächerlich waren. Wenn er nun, um etwas von dem hohen Kleiderkasten herab zu holen, seine Kindertrommel als Schemel hinstellte – wenn er sich zum Spazierengehen seine Kappe ausbürstete, und dann die Kappe niederlegte und mit der Bürste fort ging – wenn er bei gräulichem Wetter sich beim Fortgehen noch vorher die Schuhe auf der vor der Thür liegenden Matte sauber abwischte – oder wenn er mitten im Salatbeete saß und zu Kazen und Käfern sprach: pflegte gerne der Oheim zu rufen: »Oho! Herr Theodor, Herr Turbulor, Herr Tiburius, Tiburius, Tiburius!« Und da dieser Name als der leichteste auch von andern nachgesagt wurde, kam er in der Familie auf, trug sich dann unversehens in die Nachbarschaft, und kroch von da, weil der Knabe ein reicher Erbe war, auf den alles schaute, wie Schlingkraut in das Land, und schlug endlich seine Wurzelhaken in der entferntesten Waldhütte fest. So entstand der Name Tiburius, und wie es zu geschehen pflegt, daß, wenn einer einen ungewöhnlichen oder gar lächerlichen Vornamen hat, ihn keine Seele mehr bei seinem Familiennamen nennt, sondern eben nur bei seinem lächerlichen Vornamen, so geschah es auch hier: alle Welt sagte Herr Tiburius, und die meisten meinten, er heiße gar nicht anders. Es wäre nicht auszurotten gewesen, wenn man den wahren Namen auf alle Gränzpfähle des Landes geschrieben hätte.

Unter dem Einfluße seiner Erzieher wuchs Tiburius heran. Man konnte nicht sagen, wie er wurde: weil er sich nicht zeigte, und weil unter dem Erziehungslärm nur die Erzieher zu vernehmen waren, nicht das, was an dem Knaben davon haften blieb.

Als er beinahe zum Manne geworden war, fielen nach und nach in kurzer Zeit alle Erzieher hinweg. Zuerst starb der Vater, dann sehr schnell darauf die Mutter, der Hofmeister war in ein Kloster gegangen, und der lezte, den er verlor, war der Oheim gewesen. Er hatte von dem Vater das Familienvermögen geerbt, von der Mutter die einst bei ihrer Vermählung beigebrachte Mitgabe, und von dem Oheime das, was seit dreißig Jahren in dessen Handelschaft gearbeitet hatte. Der Oheim war kurz vor seinem Tode in den Ruhestand getreten, er hatte sein Geschäft in Geld verwandelt, und wollte sodann von den Renten desselben leben. Allein er war nicht mehr im Stande, sie zu genießen, sondern er starb und die Sache fiel an Tiburius. Herr Tiburius war also durch diese Umstände ein sehr reicher Mann, und zwar vorzüglich im Gelde, dessen Früchte zur Einsammlung die wenigste Mühe machen, nur daß man die Verfallszeit ruhig abwarte, dann darum hinschike, und sie hierauf verzehre. Was er von dem Vater erhalten hatte, bestand freilich zum Theile in dem Gute, das er eben bewohnte, aber in demselben lebte schon seit unvordenklichen Zeiten ein Altknecht, der das Gut verwaltete, und von demselben meistens sehr reichliche Zinsen ablieferte. So blieb es auch bei Herrn Tiburius. Derselbe hatte also wenigstens in dem Augenblike, da er das einzige Glied der Familie geworden war, nichts zu thun, als seine bedeutend großen Einkünfte zu verzehren. Er war von allen denjenigen, die bisher bei ihm gewesen waren, verlassen, und war recht hülflos.

Da die Umstände in der weiten Nachbarschaft bekannt geworden waren, gab es sehr viele Mädchen, welche den Herrn Tiburius geheirathet hätten, er erfuhr es auch immer, aber er fürchtete sich, und that es durchaus nicht. Er fing im Gegentheile an, für sich seinen Reichthum zu genießen. Er schaffte vorerst sehr viele Geräthe an, und sah auch darauf, daß sie schön seien. Hiebei wurden auch schöne Kleider, an Linnen und Tuch, dann Vorhänge, Teppiche, Matten und alles ins Haus gebracht. Auch war endlich jedes, was als gut zu essen oder zu trinken gepriesen ward, im Vorrathe und reichlich vorhanden. So lebte Herr Tiburius unter allen diesen Dingen eine Weile fort.

Nach Verfluß dieser Weile fing er an, die Geige spielen zu lernen, und da er einmal angefangen hatte, geigte er gleich immer den ganzen Tag, nur sah er darauf, daß die Dinge, die er spielte, nicht zu schwierig seien, weil er dann nicht unbeirrt fort geigen konnte.

Als er die Geige zu spielen wieder aufgehört hatte, malte er in Öhl. In der Wohnung, die er sich auf dem Landgute eingerichtet hatte, hingen die Bilder, die er verfertigt hatte, herum, und er hatte sich sehr schöne Goldrahmen dazu machen lassen. Es waren später manche nicht mehr fertig geworden, und die Farben trokneten auf den vielen Palleten ein.

Es geschahen indessen auch andere Dinge und es wurden viele Sachen herbei geschafft.

Herr Tiburius las in den Zeitungen sehr begierig die Bücherverzeichnisse, ließ dann Ballen kommen, und schnitt viele Stunden die Bücher auf. Zum Lesen hatte er sich ein feines breites ledernes Ruhebett machen lassen, auf dem er liegen konnte, oder er hatte auch einen Ohrsessel hiezu, oder er konnte an dem Stehpulte stehen, das so eingerichtet war, daß man es höher und niedriger schrauben konnte, damit er sich, wenn er genug gestanden war, auch davor niedersezen könnte. Er hatte eine Sammlung berühmter Männer angelegt, deren Köpfe in lauter gleiche schwarze Rahmen gethan, das ganze Gebäude schmüken sollten. Auch eine Pfeifensammlung hatte er, die später in schöne Schreine gethan werden sollte, jezt aber noch auf den Tischen lag. Beschläge, Röhre, Kettchen, Zündmaschinen, Tabakgefäße und Cigarrenfächer waren sehr kostbar gearbeitet. Er hatte eine sehr schöne Dogge aus England kommen lassen, die auf einem eigens hiezu verfertigten Lederpolster im Zimmer des Bedienten lag. Auch hatte er vier Pferde blos zu seinem ausschließlichen Gebrauche, falls er manchmal ausführe; darunter waren zwei Grauschimmel, die wirklich ausgezeichnete Thiere waren. Der Kutscher liebte sie außerordentlich und pflegte sie sehr gut. Zur Unruhe mehrten sich viele Dinge. Der neue Schlafsessel konnte nirgends gestellt werden, weil die alten noch die Pläze einnahmen, und die neuen Kästen, die er sehr fein gearbeitet, bestellt hatte, konnten, da sie ankamen, nicht aus ihren Kisten gepakt werden, weil man noch keinen Ort auszumitteln im Stande war, auf den sie zu stehen kommen sollten. Herr Tiburius hatte es auf zwölf Schlafröke gebracht, und der Uhrschlüssel waren unzählige geworden; deßgleichen, wenn er jeden Tag des Jahres einen andern Stok hätte nehmen wollen, falls er aus ging, hätte ihm einer gedient. Manchmal an einem schönen Sommerabende, wenn er durch das Glas seiner wohlverschlossenen Fenster in den Hof hinab schaute, und die Knechte mit einer Fuhr Heu oder mit einem Garbenwagen herein kommen sah, konnte er sich recht ärgern, wie denn dieser Schlag Menschen in seiner leichtsinnigen rohen Lustigkeit in den Tag hinein lebe, sich um nichts bekümmere, und unter dem Thorwege die Heugabeln und Hemdärmel schüttle.


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