Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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»Heute bist du ganz zu der versprochenen Zeit gekommen,« sagte er.

»Ihr auch,« antwortete sie, »das ist gut; nun aber kommt, ich werde euch führen.«

Tiburius stand von dem Steine auf. Er hatte wieder seinen grauen Rok an, und so gingen sie, das Mädchen in der oben beschriebenen Kleidung, er in seinem grauen Roke, durch den Wald dahin. Sie hatte wieder das flache Körbchen mit dem weißen Tuche darum, aber da es leer war, hing es lose an ihrem Arme. Sie führte Herrn Tiburius eine gute Streke auf dem Waldpfade fort, den er kannte, der ihm einmal so Angst eingejagt hatte, und der jezt so schön war. Als sie in das hohe Tannicht gekommen waren, wo die Pflöke über den Weg liegen, beugte Maria von dem Pfade ab und ging in das Gestein und in die Farrenkräuter hinein. Tiburius hinter ihr her. Sie führte ihn ohne Weg, aber sie führte ihn so, daß sie auf trokenen Steinen gingen und das Naß, welches in dem Moose und auf dem Pfade war, vermieden. Später kamen sie auf trokenen Grund. Zuweilen war es, wie ein schwach erkennbarer Weg, worauf sie gingen, zuweilen war es nur das rauschende Gestrippe, die Steine und das Gerölle eines dünn bestandenen Waldes, durch den sie gingen. Nach mehr als einer Stunde Wandelns kamen sie auf einen Abhang, der weithin von Wald entblößt war und durch die unzähligen noch deutlichen Stöke zeigte, daß die Bäume erst vor wenig Jahren umgeschnitten worden waren. Der Abhang blikte gegen Mittag, war von warmer Herbstsonne beschienen und von Bergen und Felsen so umstanden, daß keine rauhe Luft herein wehen konnte. Es wuchs allerlei Gebüsche und Geblüme auf ihm, und man konnte vielfach das Kraut der Erdbeeren um die Stöke geschart erbliken.

»Wir wollen nun hier in dem Urselschlage hinab sammeln,« sagte Maria, indem sie über dieses seltsame Baumschlachtfeld hin wies, »und wir werden nach einer Weile sehen, wer mehr hat.«

Nach diesen Worten ging sie schnell von der Seite Tiburius in den Holzschlag und in das sonnige Gestrippe hinein, und in einiger Zeit konnte er schon sehen, wie sie sich hier und dort büke, und etwas auflese. Das Körbchen mußte sie irgendwo hingestellt haben; denn er sah nicht mehr, daß sie es noch am Arme habe.

Er wollte nun also auch Erdbeeren pflüken, allein er sah keine. Wo er stand, war alles grün oder braun oder anders – nur keinen einzigen rothen Punkt konnte er erbliken, der eine Erdbeere angedeutet hätte. Er ging also weiter in den Schlag hinein. Jedoch hier sah er wieder nur das grüne Erdbeerkraut, allerlei braune und gelbliche Blätter, herabgefallene Baumrinde, und ähnliches: aber keine Erdbeere. Er nahm sich also vor, noch weiter zu gehen und noch genauer zu schauen. Es muß ihm auch gelungen sein; denn nach einer Weile hätte man schon sehen können, wie er sich bükte, und wieder bükte. Es war ein seltsamer Anblik, die zwei Wesen in dem gemischten Gestrippe des Holzschlages zu sehen. Das flinke geschikte Mädchen, welches sich gelenk zwischen den Zweigen bewegte, und den Mann in seinem grauen Roke, dem man es gleich ansah, daß er aus der Stadt hieher in den Wald gekommen sei.

Nach einiger Zeit sah Maria ihren Begleiter stehen, wie er einige Erdbeeren, die er gepflükt hatte, auf der flachen Hand hielt. Sie ging in Folge dieser Beobachtung zu ihm hin und sagte: »Seht, da habt ihr euch kein Körbchen oder anderes Gefäß zum Sammeln der Beeren mit genommen – wartet, ich will euch helfen.«

Nach diesen Worten zog sie ein Messer aus der Tasche ihres Rökchens, ging ein kleines Hügelchen, auf dem eine junge weißstämmige Birke stand, empor, und lösete von dem Stamme mit geschikten Schnitten ein Vierek aus der Rinde, das so weiß, so kräftig und so zart war, wie ein Pergament. Mit dem Viereke ging sie wieder zu Tiburius, schnitt aus dem Gebüsche, das neben ihm war, einige schlanke Zweige ab, puzte sie glatt aus, that in die zarte Rinde einige Schnitte, und machte so aus dem Viereke und aus den Zweigen eine niedliche Tasche, welche nicht nur recht schön die Erdbeeren aufzunehmen fähig war, sondern auch noch den Vortheil hatte, daß sie auf den durchgezogenen Zweigen wie auf Füßen stand.

»So,« sagte Maria, »da habt ihr jezt ein Körbchen, pflükt fleißig hinein, ich werde indessen auch in dem meinigen ungesäumt nachfüllen, und wenn ihr fertig seid und etwa ein zweites braucht, so dürft ihr nur rufen.«

Sie ging von ihm weg wieder auf ihren Plaz, und förderte ihr Werk – Tiburius auch.

Als sie so viel hatte, wie sie gewöhnlich zu sammeln pflegte, ging sie zu Tiburius, und sah, daß er sein winzig kleines Körbchen auch beinahe voll hatte. Sie wandte sich nach einigen Seiten, um zu suchen, damit er doch auch sein Gefäß voll habe. Dann brachte sie ihm die gefundenen auf grünen Blättern, und füllte sie ihm in sein Rindentäschchen.

»So,« sagte sie, »nun haben wir beide unsere Geschirre voll und jezt gehen wir.«

Sie gingen nun wieder in derselben fast lächerlichen Art zurük, wie sie hereingekommen waren; nehmlich durch Gestripp, Farrenkräuter und Steine, ohne Weg, das Mädchen voran und Tiburius in dem grauen Roke hinter ihr. Sie führte ihn mit derselben Sicherheit wieder auf seinen Waldsteig zurük, mit der sie ihn zu den Urselschlägen hinab geführt hatte. Als sie zu der Stelle kamen, wo die Wege sich trennten, sagte sie: »Ihr könnt jezt da zu der Andreaswand hinaus gehen, da habt ihr näher in das Bad, ich gehe wieder links durch den Wald nach Hause. Lasset euch eure Erdbeeren wohl schmeken. Ihr könnt auch Zuker dazu nehmen, sogar auch Wein. Wenn ihr wieder kommt, nehmt ein Messer mit und macht euch ein viel größeres Körbchen als das heutige ist. Wollt ihr mit mir sammeln gehen, so kommt nur wieder übermorgen; ich gehe jeden zweiten Tag, so lange das jezige schöne Wetter dauert; wenn es einmal regnet, so sind in dieser Jahreszeit alle Erdbeeren verdorben, und ich gehe nicht mehr hinaus. Jezt lebt recht wohl.«

»Lebe wohl, Maria,« antwortete Tiburius.

Sie ging, ihr Körbchen mit dem weißen Tuche im Waldesdämmer gerade so tragend wie neulich, auf ihrem Wege links, Tiburius ging rechts, und fuhr dann, sein Erdbeerkörbchen im Wagen vor sich her haltend, in den Badeort zurük. Da sie ihn so ankommen sahen, und da die Geschichte, wie er mit einer Birkenrindentasche Erdbeeren sammeln gegangen, und dann so zurük gefahren sei, sich auch in die nächsten Häuser verbreitet hatte, gab es wieder viel lustiges Gelächter: Tiburius aber wußte nichts davon, er ließ sich gegen Abend von seinem Diener sehr schöne Teller geben, und aß die gesammelten Erdbeeren. Er nahm keinen Wein dazu.

Von nun an war er noch zwei Male mit ihr. Das erste Mal machte er sich wirklich mit seinem Messer, das er mit nahm, eine ziemlich große Tasche aus Birkenrinde, die er zur Hälfte mit Erdbeeren voll las: das zweite Mal hielt er doch diese Beschäftigung für zu kindisch, und saß, während Maria ihre Erdbeeren pflükte, mit einem Buche auf einem Stoke und las. Er ging dieses lezte Mal auch wieder mit ihr zu ihrem Vater, und saß in seinem ewigen grauen Roke, den er lieb gewonnen hatte, geraume Zeit mit dem Manne auf der Bank vor dem Hause und redete mit ihm; denn der Tag war sehr schön, und die Herbstsonne legte ihre Strahlen so warm auf die Mittagseite des Hauses, daß sogar die Fliegen um die zwei Männer scherzten und lustig waren, als wäre es mitten im Sommer. Dann ging er allein, weil er jezt den feinen Pfad über den Hügel hinab schon wußte, auf die Straße und zu seinen Pferden.


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