Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Was Herr Tiburius dieses eine Mal gethan hatte, das versuchte er nun öfter. Ein ganz besonders schöner Herbst begünstigte ihn ausnehmend; schier immer stand die Sonne wolkenlos an einem milden freundlichen Himmel. Tiburius ging stets weiter auf seinem Steige fort, er spürte keine Nachtheile von diesen größeren Spaziergängen, ja es war sogar, als nüzten sie ihm: denn er war, wenn er weit gegangen war, wenn er an der warmen Steinwand gesessen war, wenn er die Dinge um sich herum und an der Fläche des Himmels betrachtet hatte, viel heiterer als sonst, er fühlte sich wohl, hatte Hunger und aß. Endlich brachte er es so weit, daß er, wenn er nicht ganz spät am Vormittage hinaus fuhr, bis auf die Glokenwiese, wo er den Berg mit den Schneefeldern und das heraus brodelnde Wasser sah, und von da wieder zurük zu dem Wagen gehen konnte. Er hatte dies dreimal in einer Woche gethan.

Als Herr Tiburius die Geschichtsmalerei in Oehl aufgegeben hatte, war er auf etwas Kleineres verfallen, nehmlich auf das Zeichnen, um sich mit demselben manche angenehme Stunde zu machen, er hatte sich nach seiner Art gleich mehrere sehr vorzügliche Zeichenbücher angeschafft; aber er hatte während seiner Arzneistudien und da er so krank war, keinen Strich in diese Bücher gezeichnet. In das Bad hatte er auch die Geräthschaften des Zeichnens mit gebracht, war aber ebenfalls bis jezt nicht dazu gekommen, auf das weiße Papier den geringsten Gegenstand zu entwerfen. Als er nun so oft seinen Waldsteig, auf dem er so viel gelitten hatte, aufsuchte, kamen ihm die Zeichenbücher und der Gedanke in den Sinn, daß er sie hieher mit nehmen und verschiedene Gegenstände nach der Wirklichkeit versuchen und endlich gar Theile des Steiges selber aufzeichnen könnte. Weil er mit gar niemanden im Bade zusammen kam, so konnte er seinen Gedanken um so leichter ausführen, da er durch keine Gesellschaften und Verbindungen gehindert war. Er fuhr also mit einem Buche hinaus, und saß an der sonnigen Wand und zeichnete. Dies that er öfter, die Gegenstände, die er nachbildete, gefielen ihm, und endlich fuhr er unaufhörlich hinaus. Er ging nach und nach von den Steinen und Stämmen, die er anfänglich machte, auf ganze Abtheilungen über, rükte endlich weiter in den Wald hinein und versuchte die Helldunkel. Besonders gefiel es ihm, wenn die Sonne feurig auf den schwarzen Pfad schien und ihn durch ihr Licht in ein Fahlgrau verwandelte, auf dem die Streifschatten der Bäume wie scharfe schwarze Bänder lagen. So bekam er schier alle Theile des dunkeln Pfades in sein Zeichenbuch. Aber er zeichnete nicht blos immer, sondern ging auch herum, und einmal machte er den ganzen Weg wieder durch, den er zum ersten Male bei seiner Verirrung gemacht hatte.

Als Herr Tiburius schon lange kein Narr mehr war, wenigstens kein so großer als früher, glaubten doch noch alle Leute, daß er einer sei, indem nehmlich einmal durch seinen Arzt sein Zeichenbuch zur Ansicht kam, und man darin die Seltsamkeit entdekte, daß er ganz und gar lauter Helldunkel zeichne. Freilich muß ich hier auch bekennen, daß es im gelindesten Falle doch immer sonderbar war, daß er durchaus nirgends anders hin, als zu seinem Waldsteige hinaus fuhr.

Bis hieher hatte Tiburius nie ein menschliches Wesen auf seinem Wege gesehen, aber endlich sah er auch ein solches und dasselbe ward entscheidend für sein ganzes Leben.

Es lag ein schöner langer Stein an dem Pfade, er lag schier auf der Hälfte des Weges zwischen der Wand und der Glokenwiese. Auf diesem Steine war Tiburius oft gesessen, weil er an einem sehr schönen trokenen Plaze lag, und weil man von ihm recht viele schlanke Stämme, herein blikende Lichter und abwechselnde Folgen von sanftem Dunkel sah. Als er eines Nachmittags gegen den Stein ging, um sich darauf zu sezen und zu zeichnen – saß schon jemand darauf. Tiburius hielt es von ferne für ein altes Weib, wie sie immer auf Zeichnungsvorlagen in Wäldern herum sizen, namentlich, weil er etwas weißes auf dem Pfade liegen sah, das er für einen Bündel ansah. Er ging gemach zu dem Dinge hinzu. Als er schon beinahe dicht davor stand, erkannte er seinen Irrthum. Es war kein altes Weib, sondern ein junges Mädchen, ihrer Kleidung nach zu urtheilen, ein Bauermädchen der Gegend. Das grüne Dach des Waldes, getragen von den unendlich vielen Säulen der Stämme, wölbte sich über sie und goß seine Dämmerung und seine kleinen Streiflichter auf ihre Gestalt herab. Sie hatte ein weißes Tuch um ihr Haupt, ein leichtes Dächelchen über der Stirne bildend, fast wie bei einer Italienerin. Sie hatte ein hochrothes Halstuch um, auf dem Lichterchen, wie Flämmchen, waren. Das Mieder war schwarz, und den Schoß umschloß ein kurzes faltenreiches blauwollenes Rökchen, daraus die weißen Strümpfe und die groben mit Nägeln beschlagenen Bundschuhe hervor sahen. Was Tiburius für einen Bündel angesehen hatte, war ebenfalls ein weißes Tuch, das um ein flaches Körbchen geschlungen war, um es damit tragen zu können. Aber das Tuch konnte das Körbchen nicht überall verdeken, sondern dasselbe sah an manchen Stellen sammt seinem Inhalte heraus. Dieser Inhalt bestand in Erdbeeren. Es war jene Gattung kleiner würziger Walderdbeeren, die in dem Gebirge den ganzen Sommer hindurch zu haben sind, wenn man sie nur an gehörigen Stellen zu suchen versteht.

Als Herr Tiburius die Erdbeeren gesehen hatte, erwachte in ihm ein Verlangen, einige davon zu haben, wozu ihn namentlich der Hunger, den er sich immer auf seinen Waldspaziergängen zuzog, antreiben mochte. Er erkannte aus der Ausrüstung, daß das Mädchen eine Erdbeerverkäuferin sei, wie sie gerne in das Bad kamen, und theils an den Eken und Thüren der Häuser theils in den Wohnungen selber ihre Waare zum Verkaufe ausbiethen. Im Angesichte hatte er das Mädchen gar nicht angeschaut. Er stand eine Weile in seinem grauen Roke vor ihr, dann sagte er endlich: »Wenn du diese Erdbeeren ohnehin zu Markte bringst, so thätest du mir einen Gefallen, wenn du mir auch gleich hier einen ganz kleinen Theil derselben verkauftest, ich werde sie dir gut zahlen, das heißt, wenn du auf den Verkauf hinauf noch einen kleinen Weg mit mir zur Straße hinaus gehst, weil ich hier kein Geld habe.«

Das Mädchen schlug bei dieser Anrede die Augen gegen ihn auf, und sah ihn klar und unerschroken an.

»Ich kann euch keine Erdbeeren verkaufen,« sagte sie, »aber wenn ihr nur einen ganz kleinen Theil derselben wollt, wie ihr sprecht, so kann ich euch denselben schenken.«

»Zu schenken darf ich sie nicht annehmen,« antwortete Tiburius.

»Sagt einmal, hättet ihr sie recht gerne?« fragte das Mädchen.

»Ja, ich hätte sie recht gerne,« erwiederte Tiburius.

»Nun so wartet nur ein wenig,« sagte das Mädchen.

Nach diesen Worten nestelte sie, vorwärts gebükt, den großen Knoten des Tuches über dem Körbchen auf, hüllte die Zipfel zurük, und zeigte auf dem flachen Geflechte ein Fülle gelesener Erdbeeren, die mit größter Sorgfalt und Umsicht gesucht worden sein mußten; denn sie waren alle sehr roth, sehr reif, und schier alle gleich groß. Dann stand sie auf, nahm einen flachen Stein, den sie suchte, gebrauchte ihn als Schüsselchen, legte mehrere große grüne Blätter, die sie pflükte, darauf, und füllte auf dieselben ein Häufchen Erdbeeren, so groß, als es darauf gehen mochte.


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