Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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»Allerdings, mein verehrter Herr Tiburius,« antwortete der Doctor.

»Nun also – um Gottes willen – so reden Sie.«

»Sie müssen heirathen, aber zuvor müssen Sie in ein Bad gehen, wo Sie sogar ihr Weib finden werden.«

Das war für Herrn Tiburius zu viel!!

Er kniff seine Lippen zusammen und fragte mit ungläubigem spöttischem Lächeln: »Und in welches Bad soll ich denn gehen?«

»Das ist in Ihrem Falle schier einerlei,« antwortete der Doctor, »nur irgend ein Gebirgsbad dürfte am vorzüglichsten sein, etwa das in unserm Oberlande, wohin jezt so viele Menschen ziehen. Oheime, Tanten, Väter, Mütter, Großmütter, Großväter sind mit sehr schönen Mädchen dort, und darunter wird auch die sein, welche Ihnen bestimmt ist.«

»Und also endlich, weil Sie die Mittel so gut angeben, welches ist denn mein Fall?«

»Das sage ich nicht,« erwiederte der Doctor, »denn wenn Sie ihn einmal wissen, dann hilft kein Mittel mehr, weil Sie keins nehmen – oder Sie bedürfen keins mehr, weil Sie bereits gesund sind.«

Herr Tiburius fragte um nichts weiter, er sagte auf diese Unterredung kein Wort mehr, sondern er ging allmählich zu seinem Wagen und fuhr davon.

»Der verrükte Doctor hat Recht,« sagte er zu sich in dem Wagen, »nicht in Beziehung des Heirathens hat er Recht, das ist eine Narrheit – – aber ein Bad – ein Bad! – das ist das einzige, auf das ich noch nicht verfallen bin – es ist unbegreiflich, wie ich denn nicht darauf denken konnte. Ich werde mir gleich alle Bücher zu Rathe ziehen, die von Bädern handeln, und auszumitteln suchen, welches Bad unseres Welttheiles für meine Zustände in Anbetracht kommen könnte.«

Und auf dem ganzen Wege brütete er an dem Gedanken fort.

Der Doctor hatte den Herrn Tiburius bedeutend aufgerührt. Auch an das Heirathen mußte er ein wenig gedacht haben; denn er schnitt sich mit einer Scheere den Bart, den er sich in dem ganzen Angesichte hatte wachsen lassen, bis auf eine gewisse Kürze weg, rasirte ihn dann über und über sehr fein ab, und stellte sich vor den Spiegel und betrachtete sich.

»Nein, nein,« sagte er, »das ist nichts, das hat ganz und gar keinen Sinn, und das kann nicht sein.«

Deßohngeachtet schikte er noch an diesem Abende um ein sehr gutes Zahnpulver in die Stadt; denn er hatte vor dem Spiegel bemerkt, daß er seine Zähne bisher in hohem Maße vernachlässigt habe.

In Bezug auf das Bad fing er am Morgen des nächsten Tages an, sehr ernsthaft die nothwendigen Anstalten zu treffen. Er schrieb in die Stadt um alle Bücher, welche von Bädern handeln, um zuerst aus ihnen zu entnehmen, wohin er gehen solle, dann wolle er erst das Weitere anordnen. Allein der Gedanke des Bades hatte ihn so ergriffen, daß er nicht seinen bisherigen gewöhnlichen Weg, nehmlich erst alle möglichen Bücher zu lesen, einschlug, was übrigens auch zur Folge gehabt hätte, daß er in diesem Sommer in gar kein Bad mehr gekommen wäre; sondern er entschied sich in der That sofort für das Bad, welches der Doctor vorgeschlagen hatte. Das erste, was er nun that, war, daß er befahl, daß sein Reisewagen in reisefertigen Stand gesezt werde. Seine Leute erschraken über diesen Befehl, leisteten ihm aber Folge. Er hatte in seinem ganzen Leben keinen Reisewagen gebraucht, da er nie weiter von seinem Gute gekommen war, als in die Stadt. Daher glaubten seine Hausgenossen, daß er erst jezt vollends närrisch geworden sei, oder sich im Beginne der Besserung befinde. Sie zogen den Reisewagen aus seinem Behältniß, in welchem er, seit ihn Herr Tiburius hatte machen lassen, gestanden war, auf den Hof hervor, und untersuchten, ob er an allen Stellen gut sei, und versahen ihn dann mit allen Sachen, welche ein solcher Reisender wie Herr Tiburius war, auf seinem Wege brauchen könnte. Hierauf schikte er um alle Bücher, welche über dieses einzelne Bad vorhanden wären, daß er sie mitnähme und dort lese. Dann schrieb er selber auf einen Bogen Papier die Sachen auf, welche seine Diener mit nehmen mußten, worunter auch seine Grauschimmel und sein Spazierwagen waren, die vorausgehen mußten, daß er sie dort gleich habe. Endlich mußte noch sogleich an den nöthigen Kleidern, Sizkissen und andern Geräthen gearbeitet werden. Er machte diese Sachen mit ziemlichem Geschike.

Zu dem Doctor, zu dem er noch zweimal während der Zeit gekommen war, sagte er kein Wörtlein; derselbe schien auch auf die Unterredung über das Bad völlig vergessen zu haben.

Nachdem so eine Weile vergangen war, kamen eines Tages vier Postpferde auf das Gut des Herrn Tiburius und zogen den Herrn in seinem Reisewagen zur Verwunderung aller Menschen in die Fremde fort.

Ich darf mich nicht darauf einlassen, seine Reise zu beschreiben, da sie mit dem Zweke dieser Zeilen nicht gar innig zusammen hängt: aber das muß ich doch sagen, daß es dem Herrn Tiburius vorkam, als fahre er schon viele, viele Meilen, als sei er schon in der fernsten Entfernung, da er bereits einen Tag fuhr, da er den zweiten fuhr, und da endlich gar der dritte gekommen war.

Am Nachmittage dieses dritten Tages, da eine unbeschreiblich große Sommerhize herrschte, fuhr er in einem langen schmalen Gebirgsthale einem schönen grünen rauschenden spiegelklaren Wasser entgegen. Als das Thal sich erweiterte, sah man aus einer großen Hütte eine weiße Dampfwolke aufsteigen, und der Diener sagte zu Herrn Tiburius, das sei der Dampf, der aus der Sole aufsteige, die in dem Hause gekocht werde, und man sei ganz nahe an dem Ziele der Reise. Bald nach diesen Worten fuhr Herr Tiburius in seinem von allen Seiten geschlossenen Wagen in die Gassen des Badeortes ein. Es war in demselben wegen der großen Hize sehr still, niemand war im Freien, die gegliederten Fensterläden und die Fenstervorhänge waren zu, höchstens, daß bei einer Spalte oder bei einer Falte ein paar Augen heraus schauten, um zu sehen, wer denn wieder gekommen sei.

Herr Tiburius fuhr vor den Gasthof, in welchem ihm auf ein Schreiben seines Dieners ein Zimmerlein war aufgehoben worden. Er stieg aus und wurde in das Zimmerlein hinauf geleitet. Dort sezte er sich an das gelbangestrichene Tischlein, das da stand. Seine Diener und die Leute des Gasthauses waren beschäftigt, die Dinge, die der Wagen enthielt, auszupaken und herauf zu tragen.


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