Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Nach diesen Worten tauschten sie die Stöke um, und nahmen Abschied. Tiburius ging langsam, sich auf das kurze Griesbeil des Holzknechtes stüzend, an den Zäunen der kleinen Gärtchen der hier stehenden Häuser hin, und hörte noch die jezt viel schnelleren Tritte des Holzknechtes, der mit seinen Eisenkeilen beladen, hölzerne Schuhe an den Füßen tragend, und ohne Stab – denn Tiburius Rohr mit dem feinen Goldknopfe war nicht zu rechnen – seinen Rükweg nach der zwei Stunden entfernten Hütte einschlug.

In dem Gasthause, in welchem Herr Tiburius wohnte, waren sie alle erstaunt, da sie ihn in der Nacht zu Fuße mit einem Griesbeil ankommen sahen. Der Wirth erkundigte sich bescheiden, die andern sagten es sich einer dem andern, daß es auch noch wie ein Lauffeuer in die übrigen Häuser des Ortes lief. Tiburius aber erzählte schnell dem Wirthe den Vorfall, stieg noch mit dem Griesbeil in seine Wohnung hinauf, sezte sich dort in seinen bequemen großohrigen Rollsessel und verlangte zu essen. Man stellte ihm ein Tischlein vor den Rollsessel, dekte es und stellte verschiedene Speisen darauf. Als er zu essen angefangen hatte, fragte er, ob der Wagen zurük gekommen sei. Man antwortete ihm mit Nein, und er ersah hieraus, daß sein Kutscher und sein Diener noch auf dem Plaze warten mögen. Daher bezeichnete er die Stelle und befahl, daß man sogleich um sie hinaus sende. Nachdem er gegessen hatte, kleidete ihn sein zweiter Diener, der zu Hause geblieben war, aus, und brachte ihn zu Bette. Als Herr Tiburius lag, gab er den Befehl, daß niemand in das Schlafzimmerchen herein komme, wenn er nicht läute, und als sich hierauf der Diener entfernt hatte, zog der Kranke die zwei Deken, mit denen er sich zugehüllt hatte, bis an das Angesicht empor; denn er wollte auf diese große Erregung einen Schweis erzielen, weil dieser vielleicht noch alles abwenden könne. Nach einer kurzen Zeit that Herr Tiburius die tiefen

Athemzüge des Schlafes. – –

Wir wissen nicht, was sich in der Nacht ereignete, und können nur erzählen, wie es am andern Tage gewesen sei.

Als Herr Tiburius erwachte, war es heller Tag. Die Sonne schien herein, und die rothen Chinesen, die auf der seidenen spanischen Wand waren, erschienen beinahe flammenroth, weil die Sonne durch sie hindurch schien; aber sie waren troz dem sehr freundlich. Herr Tiburius sah lange Zeit auf sie hin, ehe er sich regte. Die Wärme des Bettes war unendlich behaglich. Zulezt mußte er sich doch entsinnen, und untersuchen, was ihm weh thue. Der Kopf that ihm nicht weh, er wußte nicht, ob ein Schweis gekommen sei, weil er geschlafen hatte, die Brust that auch nicht weh, der Magen war wohl, nur daß er sehr großen Hunger anzeigte, und die Arme waren nicht steif, und hatten auch kein Ziehen und Reißen. Er nahm die Uhr, die bei dem Bette lag und sah darauf. Es war zehn Uhr und die Molkenzeit lange vorüber. Gebadet hatte er sonst auch immer früher, aber er konnte es ja heute später thun. Nun regte er die Füße und strekte sich – – aber siehe, die thaten ihm fürchterlich wehe, vorzüglich der Oberfuß, allein es war nicht der Schmerz einer Krankheit, das erkannte er gleich, sondern die Müdigkeit, die im Ausruhen sogar etwas Süßes hatte. Er blieb wieder ruhig liegen. Er konnte sich nicht erwehren, in der Häuslichkeit, die er so in dem Bette hatte, eine kleine Schadenfreude zu empfinden, daß er die Molken verschlafen habe. Er schaute auf das Fenster und sein schönes Kreuz hin, in das das Glas gefaßt war, und er schaute auf die gemalten Schnörkel der Wände und auf die umliegenden Geräthe.

Endlich läutete er doch. Es kam Mathias der Diener herein, der gestern mit gewesen war. Herr Tiburius stand nicht auf, sondern fragte ihn, was sie denn mit dem Wagen angefangen hätten, da er nicht gekommen sei.

»Wir blieben ruhig stehen,« sagte der Diener, »wie es gewöhnlich der Fall war, wenn Euer Gnaden hin und her spazieren gingen. Wir sahen Sie später nicht, machten uns aber nichts daraus. Als eine Stunde vergangen war, schauten wir öfter auf die Uhr, als dann noch eine Stunde verging, schauten wir noch öfter. Als ich später sagte, ich würde nach gehen und herum sehen, antwortete Robert der Kutscher, das sei ein Fehler, weil Euer Gnaden immer sagten, wir sollen genau das thun, was befohlen wird, und nicht mehr und nicht minder, und weil Euer Gnaden scharf darauf sehen, daß es so sei. Was würde entstehen, sagte er, wenn der Herr von einer andern Seite käme, fort fahren wollte, und du nicht da wärest. Dies sah ich ein, und ließ das Suchen fahren. Als wir noch immer standen und die Sonne schon untergehen wollte, wurde uns bange. Jezt meinte Robert selber, ich solle gehen und rufen. Ich lief in den Wald und schrie, aber es kam keine Antwort. Dann lief ich kreuz und quer und schrie immer, allein es kam keine Antwort. Als es schon stark Abend war, ging ich zu den Steinhäusern hinüber, die nicht weit von unserem Plaze jenseits des Thales lagen, und holte Männer, welche in dem Walde suchen helfen sollten. Sie gingen mit, wir zündeten Pechfakeln an, und suchten und schrieen bis nach Mitternacht. Robert, zu dem ein Bothe gekommen war, ist früher nach Hause gefahren, wir aber sind erst um drei Uhr zurük gekommen, da die Leute bis zu den ersten Häusern mit mir gegangen sind, wo ich sie bezahlte und zurük schikte.«

»Es ist schon gut,« sagte Tiburius lächelnd, »du kannst wieder hinaus gehen.«

Der Diener ging. Herr Tiburius aber stand nicht auf, sondern kehrte sich um, lächelte in sich hinein, und war recht vergnügt, daß er in dem großen Walde gewesen sei und das Abenteuer bestanden habe.

Endlich, nachdem noch eine ganze Stunde vergangen war, wollte er aufstehen. Er klingelte wieder, und der hereingerufene Diener half ihm aus dem Bette, und kleidete ihn an.

Herr Tiburius ließ heute schon das Baden aus, es war bereits zu spät, und könnte nur Störungen verursachen. Aber etwas anderes that er, was er kaum zu verantworten vermochte. Er konnte sich nehmlich nicht erwehren, er frühstükte sehr viel Fleisch, und dann reute es ihn freilich.

Aber es hatte keine üblen Folgen.

Von nun an that Herr Tiburius wieder alles in der Ordnung, wie es ihm in dem Bade vorgeschrieben war, nur daß die Müdigkeit der Füße, die er sich in dem außerordentlichen Gange zugezogen hatte, schier acht Tage anhielt, und ihn selbst zu gewöhnlichem Gehen beinahe untauglich machte. Aber immer dachte er in der Zeit an den seltsamen Pfad, und war begierig zu erforschen, wie es denn gekommen sei, daß er sich verirrt habe.

Diesen Gedanken zu Folge fuhr er eines Tages, da er sich schon bedeutend erholt hatte, wieder an dieselbe Stelle, wo der feste sonnige Heideboden war, und wo die schüzenden Steinwände standen. Er stieg aus dem Wagen, und sagte zu seinen Leuten, den nehmlichen, die er damals mit hatte, sie sollten nur warten, er vergehe sich heute nicht. Er ging über den ersten Plaz, wie damals, und kam auf den zweiten, der ihm so gefallen hatte, und der ihm heute wieder gefiel. Er ging über ihn und hatte auf alle Gegenstände wohl acht, die er sah. Dann ging er sogar in den Wald hinein. So wie er aber damals die Steinwand nicht hatte finden können, so konnte er sie heute nicht verlieren. Er mochte sich wenden, wohin er wollte, so sah er sie immer wieder stehen. Als er weiter auf dem Pfade fort ging und kleine Hölzlein, die er zu sich gestekt hatte, auf ihn streute, um wieder zurük zu finden, erblikte er plözlich auch die Ursache, welche ihn damals verlokt hatte. Zu seinem Wege nehmlich, und zwar an einer Stelle, wo er über Steine ging und wenig bezeichnet war, gesellte sich sachte ein anderer, der viel deutlicher ausgetreten aus dem Walde seitwärts herauf ging. Sobald also Tiburius damals zurük gehen wollte, gerieth er allemal in diesen deutlicheren Zweig des Weges und durch ihn in den ferneren Wald, der ihn von seinem Wagen ablenkte. Es erschien ihm unglaublich thöricht, wie er das nicht auf der Stelle erkennen und sehen hatte können. Heute war alles gar so klar. Er wußte nicht, daß es allen, die Wälder besuchen, so gehe. Jedes folgende Mal sind sie klarer und verständlicher, bis sie dem Besucher endlich zu einer Schönheit und Freude werden. Auch das sah er heute, daß er, als er sich einmal entschlossen hatte, immer ohne Umkehr fort zu gehen, er gerade jene Richtung des Pfades eingeschlagen hatte, welche von seinem Wagen weg führte, und daß er also zu dem Bade zurük einen großen Bogen durch das Gebirge gemacht habe. Er ging eine Streke auf dem Waldwege hinein, und erinnerte sich jezt deutlich der Dinge, die er damals schon überall liegen und stehen gesehen hatte. Auf dem Rükwege waren sie noch freundlicher und bekannter als früher. Da er zu der Gabel des Weges gekommen war, ging er über die Steine, gelangte zu der Wand, die er jezt zur Rechten hatte, und von derselben zu dem Wagen. Er stieg ein und fuhr nach Hause.


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