Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Wir können unmöglich sagen, wie Herrn Tiburius der Gebrauch des Bades bekam, denn er sagte selber zu niemanden etwas und badete immer fort. Dem Arzte erklärte er auf jede Frage, wie es ihm gehe, es gehe eben dem Gange des Dinges gemäß, und wir würden wohl am Ende in den Stand gesezt worden sein, über den Erfolg seines Badens etwas bestimmtes angeben zu können, wenn sich nicht das zugetragen hätte, wodurch sich alles veränderte, und jede Berechnung der mitwirkenden Ursachen unmöglich wurde.

Wir haben oben schon gesagt, daß Tiburius immer zu seinen Bewegungen weiter hinaus fuhr, und an einem einsamen Steine auf und nieder ging. Er war sehr fleißig und hatte dieses schon viele, viele Male gethan. Eines Tages, nachdem seit seiner Ankunft schon eine geraume Zeit verflossen war, da eben ein beinahe stahlfester dunkelblauer Himmel über dem Thale stand, fuhr er, weil ihm der Tag so wohl that, weiter als gewöhnlich. Ganz fremde Berge sah er schon, und dunkle Tannen und lichtere Buchen schritten fast bis an seinen Wagen heran. Man weiß nicht, war die Empfänglichkeit für das Wohlthätige des Tages schon eine Folge seines Badens, oder war es die ungemein liebliche heitere und klare Milde der Luft, die alle Menschen und also auch ihn erfaßte. Neben seinem Wagen war ein sonniger Plaz, der festen Heideboden hatte; er war von schüzenden Steinwänden umstanden, daß kein rauher Wind herein streichen konnte, und ging so gegen das ganz stille Laub zurük. Dieses lokte den Herrn Tiburius aus dem Wagen, daß er ein wenig herum gehe, und die sanften senkrecht niedergehenden Mittagsstrahlen genieße.

»Ich werde meine Bewegung hier, nicht an dem Steine, machen,« sagte er zu seinem Diener und zu dem Kutscher, »es ist einerlei; ihr wartet da an dem Plaze, bis ich wieder komme und einsteige.«

Hierauf zog er seinen Oberrok aus, wie er es allemal that, warf ihn in den Wagen zurük, stieg über den von dem Diener herab gelassenen Fußtritt herab, und ging gegen den trokenen Waldplaz vorwärts. Tiburius hatte einen Wald nie von Innen gesehen. In seiner Heimath war überhaupt nur kleines Gehölze, in das er übrigens auch nicht gekommen ist, und die großen Forste, die auf den Bergen des Badeortes herum lagen, hatte er nur durch sein Fernrohr vom Fenster aus beobachtet. Hier war er beinahe in einem Walde. Wenn auch der Plaz, den er sich zu seinem Gange ausersehen hatte, von keinen Bäumen besezt war, so standen dieselben doch so nahe und auf manchem benachbarten Hügel herum, daß man sagen konnte: Herr Tiburius befinde sich auf einer Waldblöße. Alles gefiel ihm sehr wohl. Kein menschliches Wesen ließ sich rings herum sehen und hören – das war ihm gerade recht. Der Plaz ging von der Straße gegen die Tiefe der Gegend einwärts. Als Herr Tiburius über seine ganze Länge hin geschritten war, und umkehren wollte, um, wie seine Spazierart war, hin und her zu gehen, sah er, daß weiter einwärts noch ein schönerer Plaz war. Zur Linken befand sich eine Steinwand, die bedeutend hoch war, rechts standen in einiger Entfernung hohe Bäume und nach vorwärts war der Plaz durch Waldwerk geschloßen. Es war hier noch stiller, und die Mittagswärme sank an der Steinwand so freundlich nieder, daß es war, als müßte man sie beinahe rieseln hören. Sie war bereits für den Körper sehr wohlthätig, da die Jahreszeit schon in die Hälfte des Herbstes hinein ging, und manches Laub schon ins Gelbe schimmerte. Der Boden war wegen der langen vorausgegangenen schönen Zeit sehr troken.

Herr Tiburius beschloß sofort, auf diesem Plaz vorzuschreiten, und ihn zu seinem Bewegungsorte zu machen. Er dachte, wenn er auch etwas länger gerade aus vorwärts ginge, so könnte er doch nach seiner Uhr wieder umkehren, und im Ganzen gerade die vorgeschriebene Bewegung so machen, als wenn er hin und her gegangen wäre. Es wird gewiß nicht schädlich sein. Die milde Sonne that ihm durch die Widerprallungskraft des Felsens, als er einmal bis in die Hälfte des neuen Plazes vorwärts gekommen war, so wohl, daß er sich äußerst anmuthig fühlte. Auch waren ihm alle Dinge, die er herum sah, neu, sie gefielen ihm, und er hätte nie gedacht, daß er in einem Walde so zufrieden sein könnte. Da lag ein breiter weißer Stein dem Boden entlang, und verschiedene Kräuter begleiteten ihn. Links an der Wand waren noch mehrere Steine, die von ihr herab gebrochen waren: weiße, gelbe, braune, und noch allerlei andere. Es stand in ihnen rostfarbenes Gestrüppe, einzelne Ruthen und mehreres. Manches Mal saß ein Falter auf einem Steine und legte die schimmernden Flügel, derlei Herr Tiburius in seiner Heimath nie gesehen hatte, auseinander und sonnte sie. Manchmal flog einer stumm neben ihm, wie die stumme Luft, und ward gleich darauf nicht mehr gesehen. Auch bemerkte Herr Tiburius, daß ja da ein sehr angenehmer Wohlgeruch herrsche.

Er ging weiter. Zuweilen hielt er sein spanisches Rohr empor, drehte es langsam zwischen den Fingern und ergözte sich an dem Funkeln des Goldknopfes in der dunkeln, ruhigen, einsamen Luft. Nach einer Weile kam er zu verstümmelten Stämmen, von denen Pech herab rann. Er hatte das nie gesehen und blieb stehen. Die durchsichtige Flüssigkeit quoll in der Sonne aus der Rinde hervor, und die Tropfen standen, wie reines geschmolzenes Gold, das in einem Häutchen hing. Dann ging er wieder weiter. Es begegnete ihm eine Schaar wundervoll blauen Enzians, er sah sie an, und pflükte sogar einige Stämmchen.

Endlich war er schier an das Ende seines auserkorenen Spazierplazes gekommen. Das Waldwerk, welches er von Weitem als Schluß gesehen hatte, bestand in mehreren ziemlich weit von einander entfernten Bäumen. Tiburius blieb ein wenig stehen, um es anzusehen und zu überlegen, ob er hinein gehen solle, oder nicht. – Eidechsen schlüpften im Mittagsglanze, ein Wässerlein ging ungehört gegen die Tannen, und zwischen den Stämmen spannen luftige glänzende Herbstfäden, wie sie Herr Tiburius auch öfter zu Hause in dem Garten gesehen hatte. Ehe er da weiter ging, mußte er doch noch erforschen, was denn das für ein seltsamer Reif sei, der dort auf den entfernten Tannennadeln liege, und wie die Wolke aussehe, die weit draußen zwischen dem Grün der Bäume herein schaue, ob sie nicht etwa Regen drohe. Er nahm sein Taschenfernrohr heraus, machte es zusammen, und sah durch. Aber der Reif war nur der unsägliche Sonnenglanz, der auf der glatten Seite der Nadeln lag, und die Wolke war ein entfernter Berg, wie sie hier im Lande in einer großen Ausdehnung einer hinter dem andern stehen. Er beschloß also weiter zu gehen, insbesondere, da die Steinwand noch immer fortlief und Anfangs nur eine und dann nur einige Buchen zwischen ihm und ihr waren. Auch ging ein sehr wohlausgetretener schwarzer Pfad in die Bäume hinein. Tiburius mußte, als er diesen Pfad betrat, an den kleinen närrischen Doctor denken, der sich aus verschiedenen Stoffen diese Erde für seine Rhododendern und Eriken brennen muß, wie sie hier von selber liegt; und Eriken sah er hier unter den Stämmen viel schöner blühen, als sie der Doctor in seinen Töpfen erziehe. Er nahm sich vor, wenn er nach Hause käme, ihm von dieser Thatsache zu erzählen.

Tiburius ging auf dem Pfade fort, der von allerlei Dingen eingefaßt war. Manchmal lag die Moosbeere wie eine rothe Koralle neben ihm, manchmal strekten die Preißelbeeren ihr Kraut empor und hielten ähnliche Büschel von rothwangigen Kügelchen in den glänzenden Blättchen. – Die Bäume wurden immer dunkler, und zuweilen stellte ein Birkenstamm eine Leuchtlinie unter sie. Der Pfad glich sich immer, die kommenden Stellen waren wie die, die er verlassen hatte. Nach und nach wurde es anders, die Bäume standen sehr dicht, wurden immer dunkler, und es war, als ob von ihren Aesten eine kältere Luft herab sänke. Dies mahnte Herrn Tiburius umzukehren, da es ihm vielleicht auch sogar schädlich sein könnte. Er zog die Uhr hervor, und sah, was ihm ohnedem, als er aufmerksam geworden war, eine dunkle Vorstellung gesagt hatte, daß er weiter gegangen sei, als er dachte, und den Rükweg eingerechnet heute mehr Bewegung gemacht habe, als sonst.


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