Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Er kehrte sich also auf dem Pfade um, und ging zurük.

Er ging auf dem Rükwege schleuniger, da er die Gegenstände nicht mehr so beachten wollte, und ihm, seit er auf die Uhr gesehen hatte, darum zu thun war, den Wagen ehestens zu erreichen. Er ging auf dem Pfade fort, der genau so schwarz war, und so neben den Bäumen fort lief, wie auf dem Herwege. Als er aber schon ziemlich lange gegangen war, fiel ihm doch auf, daß er die Steinwand noch nicht erreicht habe. Auf dem Herwege hatte er sie links gehabt, nun hatte er sich umgekehrt, folglich mußte sie ihm jezt rechts erscheinen – aber sie erschien nicht. Er dachte, daß er vielleicht im Hereingehen in Gedanken gewesen sei, und der Weg länger wäre, als er ihn jezt schäze; deßhalb war er geduldig und ging fort – aber schneller ging er etwas.

Allein die Wand erschien nicht.

Nun wurde er ängstlich. Er begriff nicht, wie auf dem Rükwege so viele Bäume sein können – er ging um vieles schneller, und eilte endlich hastig, so daß er, selbst bei reichlicher Zugabe zu seiner Rechnung, nun doch schon längstens bei dem Wagen hätte sein sollen. Aber die Wand erschien nicht, und die Bäume hörten nicht auf. Er ging jezt von dem Pfade sowohl rechts als auch links bedeutend ab, um sich Richtung und Aussicht zu gewinnen, ob die Wand irgend wo stehe – allein sie stand nirgends, weder rechts noch links, noch vorn, noch hinten – – nichts war da, als die Bäume, in die er sich hatte hinein loken lassen, sie waren lauter Buchen, nur viel mehrere, als er beim Herwege gesehen hatte, ja es war, als würden sie noch immer mehr – nur die eine, die am Anfange zwischen ihm und der Wand gestanden war, konnte er nicht mehr finden.

Tiburius fing nun, was er seit seiner Kindheit nicht mehr gethan hatte, zu rennen an, und rannte auf dem Pfade in höchster Eile eine große Streke fort, aber der Pfad, den er gar nicht verlieren konnte, blieb immer gleich, lauter Bäume, lauter Bäume. Er blieb nun stehen, und schrie so laut, als es nur in seinen Kräften war und als es seine Lungen zuließen, ob er nicht von seinen Leuten gehört würde, und eine Antwort zurük bekäme. Er schrie mehrere Male hinter einander und wartete in den Zwischenräumen ziemlich lange. Aber er bekam keine Antwort zurük, der ganze Wald war stille und kein Laublein rührte sich. In den vielen Aesten, die da waren, sank die Menschenstimme wie in Stroh ein. Er dachte, ob nicht etwa die Richtung, in der er gerannt war, sich von der Straße, auf der sein Wagen stand, eher entferne, als nähere, da er sich etwa in dem vielen Suchen umgewendet haben könne, ohne es zu wissen. Dem zu Folge wollte er jezt wieder in der nehmlichen Richtung zurük rennen. Er warf noch eher den Enzian, den er noch immer in der Hand hatte und der ihn jezt mit dem fürchterlichen Blau so seltsam anschaute, weg und rannte dann zurük. Er rannte, daß ihm der Schweis hervor trat, und wußte nun wieder nicht, ob das die nehmlichen Gegenstände seien, die er im Herrennen gesehen habe. Als er eine so große Streke, die er früher nach der einen Richtung gemacht, jezt nach der entgegengesezten zurükgelegt zu haben glaubte und eine gleiche dazu, hielt er wieder inne und schrie abermals – allein er bekam wieder keine Antwort, es war nach seiner Stimme wieder alles stille. Hier war es auch ganz anders als an dem früheren Orte, und wildfremde Gegenstände standen da. Die Buchen hatten aufgehört; es standen Tannen da, und ihre Stämme strekten sich immer höher und wilder. Die Sonne stand schon schief, es war Nachmittag geworden, auf manchem Moossteine lag ein schrekhaft blizendes Gold, und unzählige Wässerlein rannen, eins wie das andere.

Herr Tiburius konnte es sich nicht mehr läugnen, daß er ganz und gar in einem Walde sei, und wer weiß, in welch großem. Er war nie in der Lage gewesen, sich aus solchen Sachen heraus finden zu müssen, und seine Noth war groß. Dazu gesellten sich noch andere Dinge. Er hatte in dem Hin- und Hergehen durch das Gras, als er von dem Pfade abgewichen war, um die Steinwand zu finden, nasse Füsse bekommen, er war im Schweise, und hatte nur einen einzigen dünnen Rok, der andere lag im Wagen, er durfte sich gar nicht niedersezen, um auszuruhen, so schön die Steine da lagen; denn er müßte sich verkühlen – und endlich lag auch das Fach mit der Arznei, die er heute Nachmittag zu nehmen hatte, zu Hause. Er sah das eine recht gut ein, was hier das nothwendigste war, nehmlich, statt hin und her zu laufen, lieber auf dem Pfade immer in derselben Richtung fort zu gehen; denn irgend wohin mußte der Pfad doch führen, da er so ausgetreten war. Es war noch ein großes Glük, daß wenigstens ein Pfad vorhanden war; denn welches Unheil wäre es gewesen, in einem weglosen Walde in diesem Zustande zu stehen.

Herr Tiburius entschloß sich also nach der zulezt eingeschlagenen Richtung des Weges fort zu gehen.

Er knöpfte den Rok, den er an hatte, fest zu, stülpte die Kragenklappen desselben empor, legte sie sich fest an das Angesicht und ging sehr emsig fort. Er ging fort, und fort, und fort. Die Hize des Körpers nahm überhand, der Athem wurde kurz, und die Müdigkeit wuchs. Endlich ging der Pfad bergauf und war ein gewöhnlicher Waldsteig geworden. Aber Tiburius kannte Waldsteige gar nicht. Steintrümmer der größten und fürchterlichsten Art lagen rechts und links an dem Wege, der oft über sie dahin ging. Einige waren in Moose gehüllt, die verschiedenes noch nie gesehenes Grün zeigten, andere lagen nakt und ließen den scharfen gewaltigen Bruch sehen. Großfingrige Fächer von Farrenkräutern standen da, und die hohen diken Stämme der Tannen, die aus all dem Dinge empor ragten oder auch da lagen, waren, wenn sie Tiburius angriff, feucht. – Eine Weile bestand der Pfad aus lauter kleinen Prügeln, die quer lagen, manchmal fast im Wasser schwammen, bei jedem Tritte sich rührten, oder doch, wenn sie selbst fest waren, ausglitschen machten. – Dann stand ein steiler Berg da. Der Pfad klomm ihn unverdrossen hinan, und Tiburius ging auf ihm fort. Als er oben angekommen war, war es eben und der Boden war sandig. Der Pfad lief hier gleichsam emsig und freudig vor Tiburius her, und dieser folgte ihm. Er wurde später aus dem scharfen Sande wieder schwarz, war breit, troken, drükte bei jedem Schritte gegen den Fuß, als ginge man auf Federharz und schlang sich so fort. Tiburius betrat ihn in sein Schiksal ergeben. Endlich war es Abend geworden, unheimliche Amselrufe tönten, und Tiburius ging in seinen unzulänglichen Rok geknöpft weiter. – Nach einer Weile war es, als rauschte es irgend wo unten. – Tiburius ging fort, das Rauschen tönte näher, aber es war nur Wasser, das den Wald eher schauerlicher machte, und von dem keine Hülfe zu erwarten war. Tiburius ging noch eiliger fort, er ging fort, und fort – und leider wieder aufwärts. Endlich, da er um einen sehr großen Stein, der gleichsam alles vor ihm verdunkelt hatte, hinum gegangen war, senkte sich der Weg abwärts und wurde sandig und geröllig. Auch standen mit einem Male nicht mehr die hohen Tannen neben ihm, sondern allerlei lustiges Gebüsch von dichtem Laube, namentlich Haselstauden, was jederzeit ein Zeichen ist, daß ein Wald aufhöre und man sich im Saume befinde. Herr Tiburius kannte aber solche Zeichen nicht. Er ging noch die Streke unter dem Gebüsche und auf den scharfen Steinen weiter, es wurde lichter, die Gebüsche hörten auf, der Wald war aus, und er stand hoch auf einer Wiese im Freien.

Er war in einem Zustande, in welchem er in seinem ganzen Leben nicht gewesen war. Die Knie schlotterten ihm, und der Körper hing vor Müdigkeit nur mehr in den Kleidern. Er empfand es, wie an seinem ganzen Leibe ohne seinen Willen die Nerven zitterten, und die Pulse klopften. Aber auch hier war keine Aussicht auf Hülfe vorhanden. Die Sonne war schon unter gegangen. Ueberall standen im kühlblauen Hauche des Abends Berge mit allerlei Gestalten herum, theils mit Wald bedekt, theils Felsen empor strekend. Weit draußen hinter dem Saume eines grünen Waldes ragte ein sehr hoher Berg heraus. Er hatte mehrere Felsenkronen, die empor standen. Zwischen diesen Kronen lagen drei sehr große Schneefelder, welche aber jezt rosenroth beleuchtet waren, und auf welche die Kronen Schatten warfen. Für Tiburius war dieses erhebende Schauspiel eher schrekhaft. Weit herum war kein Mensch und kein lebendes Wesen zu erbliken. Das Rauschen, welches er schon eine geraume Zeit in den Wald hinein gehört hatte, war ihm jezt erklärbar. In der Rinne des Thales, gegen welches die Wiese, auf der er stand, hinab ging, lief über Steine und Klippen ein grünes brodelndes Wasser heraus, und eilte links durch die Thaltiefe nach einander fort. Sonst war aber gar nichts zu erspähen, welches sich regte und rührte.


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