Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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»Das ist ja sehr unangenehm und ein großer Umweg,« versezte das Mädchen, »sein Geld muß man ja selbst bei sich haben, und selbst kaufen und zahlen; dann braucht man keinen Andern und keine Rechnung.«

»Das ist wohl wahr,« sagte Tiburius, »und du hast Recht, aber es ist auch schon so Sitte geworden.«

»Eine Sitte, die närrisch ist,« antwortete das Mädchen, »würde ich gar nicht mehr befolgen.«

So gingen sie unter verschiedenen Fragen und Antworten fort. Sie gingen eine geraume Weile in dem Walde. Endlich lichtete er sich, die Bäume standen dünner, Wiesen zeigten sich hie und da, und der Pfad lief durch dieselben hin, dem tiefern Gebirge zu. An einer schönen Stelle, wo Laubbäume standen, und mehrere sonnenbeglänzte Steine lagen, bog Maria von dem Pfade ab, und auf ein dünnes feines Weglein, das über eine Matte hinauf ging, zeigend, sagte sie: »Hier geht man zu unserem Hause hinauf, wenn ihr mit kommen wollt, seid ihr eingeladen.«

»Ich gehe schon mit,« antwortete Tiburius.

Sie schritt also voran, und er folgte. Da sie in Windungen, weil die Matte bedeutend steil war, nicht gar so weit gegangen waren, zeigte sich das Haus. Es stand in einer breiten bequemen Mulde des Abhanges, der in einem Halbkreise etwas weiter von dem Hause eine Steinwand bildete, die das Haus von allen Seiten, außer der des Mittags, wohin die Fenster gingen, schüzte. Darum war es auch möglich, daß viele Obstbäume um das Haus standen und ihre Früchte zeitigen konnten, während doch in der ganzen Gegend, und insbesonders in der Höhe dieser Matte keine günstigen Bedingungen für Obst sind. Tiefer gegen die Wand hin standen auch Bienenstöke. Der Größe nach gehörte das Haus eher zu den kleineren der Art, wie sie gerne in jenem Theile der Gebirge liegen. Maria ging voran über die Schwelle der offen stehenden Hausthür, Tiburius ging hinter ihr. Sie führte ihn an der Küche, in welcher eine Magd scheuerte, vorüber in die Wohnstube, die von dem durch die Fenster herein fallenden Sonnenlichte hell erleuchtet war. An dem weißen buchenen Tische der Stube saß der Vater Maria's, der einzige Bewohner der Stube und des Hauses, da die Mutter des Mädchens schon lange gestorben war. Sie stellte das Erdbeerkörbchen vorerst in einen Winkel der Bank und rükte für Tiburius einen Stuhl zu dem Tische und lud ihn zum Sizen ein, indem sie dem Vater erzählte, daß sie den Herrn da im Schwarzholze gefunden habe, und daß er mit ihr herauf gegangen sei. Hierauf breitete sie ein weißes Tüchlein auf den Tisch, stellte drei Tellerchen, für den Vater, für Tiburius und sich darauf, und brachte dann die Erdbeeren, in eine bemalte hölzerne Schüssel geleert, herbei. Die Magd stellte auch Milch hin, mit welcher der Vater von den für ihn gebrachten Früchten aß. Tiburius nahm nur äußerst wenig, und Maria sagte, daß sie sich ihren Antheil für Abends aufhebe.

Nachdem Tiburius eine Weile mit dem Manne, der noch nicht gar alt war, sondern an der Schwelle des Greisenalters stand, über verschiedenes geredet hatte, erhob er sich von seinem Stuhle, um fort zu gehen. Maria sagte, sie wolle ihn bis an die Straße geleiten, auf welcher er dann nur fort zu gehen brauche, um zu seinem Diener zu gelangen.

Das Mädchen führte ihn nun auf einem andern eben so feinen Wege über die Matte hinab. Sie bogen gleich unterhalb des Hauses um die Steinwand der Mulde und gingen an deren sanfter Außenseite schräge hinab, gerade der Richtung entgegengesezt, in der sie gekommen waren. Nach einer kleinen Zeit kamen sie in die Tiefe des Thales, und in demselben eine Weile unter Gebüschen und Bäumen fortgehend, gelangten sie auf die Straße.

»Wenn ihr nun in dieser Richtung hin fort geht, sagte sie, so müßt ihr an die Stelle kommen, wo euer Diener steht, wenn ihr nehmlich auf dem kleinen Pfade an der Andreaswand in das Schwarzholz hinein gegangen seid, und ihn dort an der Straße stehen gelassen habt.«

»Ja ich bin dort hinein gegangen,« antwortete Tiburius.

»So lebt nun wohl, ich gehe nach Hause zurük. Weil ihr vielleicht gar nicht einmal in die Urselschläge hinüber finden würdet, so will ich euch dieselben zeigen, wenn ihr übermorgen um zwölf Uhr-Läuten auf dem Steine auf mich warten wollt, wo ihr mich heute angetroffen habt. Ihr könnt euch dann genug Erdbeeren pflüken; denn ich werde euch auch die Pläze zeigen, wo sie jezt gerade am meisten sind.«

»Ich danke dir recht schön, Maria,« antwortete Tiburius, »daß du mich beschenkt und nun hieher geführt hast, ich werde gewiß kommen.«

»Nun so kommt,« erwiederte das Mädchen, indem es sich umwandte, und schon unter den Gebüschen wieder davon ging.

Tiburius schritt auf der Straße in der bezeichneten Richtung fort. Er ging ziemlich lange, bis er endlich seinen Wagen und seine Leute stehen sah. Diese gaben, als er bei ihnen war, ihre Verwunderung zu erkennen, daß sie ihn heute nicht auf seinem Fußpfade, sondern auf der Straße daher kommen sahen. Er aber sagte keine Ursache, sondern saß in den Wagen, und fuhr in das Bad zurük. Auch in dem Badeorte sagte er keinem Menschen etwas von dem Begegniße und daß er in dem Gebirgshause auf der Mulde gewesen sei.

Aber am zweiten Tage darauf fuhr er schon Vormittags zu seiner gewöhnlichen Stelle hinaus. Er stieg aus, ließ den Wagen stehen, und schlug den Pfad gegen seine bekannte Steinwand ein. Er ging an ihr vorüber, er ging gegen die Buchen, schritt auf den Waldsteig, und ging auf ihm fort, bis er zu dem vertragsmäßigen Steine gelangte. Auf denselben sezte er sich nieder und blieb sizen. Man konnte wohl in diese Entfernung und Wildniß keine Mittagsgloke hören, aber die Zeit, in welcher sie alle auf den Thürmen und Thürmlein des Landes tönen müssen, kannte Tiburius sehr wohl; denn er hatte die Uhr in der Hand; – und als diese Zeit gekommen war, sah er auch schon Maria in der Waldesdämmerung genau so wie gestern gekleidet auf sich zu gehen.

»Aber wie weißt du denn, daß es jezt gerade Mittag ist, da man nicht läuten hört, und da ich keine Uhr bei dir sehe?« sagte Tiburius, als das Mädchen bei ihm angekommen war und stehen blieb.

»Habt ihr vorgestern nicht die Uhr mit den langen Schnüren in unserer Stube hängen gesehen?« antwortete sie, »diese geht sehr gut, und wenn sie auf eilf zeigt, gehen wir zum Mittagsessen, dann richte ich mich zum Erdbeersammeln zusammen, und wenn ich auf den Zeiger schaue, ehe ich fort gehe, weiß ich genau, wann ich hier eintreffen werde.«


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