Adalbert Stifter
Der Waldsteig
Adalbert Stifter

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Tiburius sah, daß der Weg über den Wiesenhügel gegen das Wasser hinab gehe, und er dachte, da in dem Badeorte dasselbe grüne Wasser, aber in viel größerer Menge, dahin fließe, so könne leicht dieser Bach zu jenem grünen Wasser hinaus eilen, und etwa gehe der Weg daneben fort.

Er beschloß daher, dem Laufe des Pfades nach abwärts zu folgen. Er bezwang das stürmende Verlangen seines Körpers nach Ruhe – denn auf dem Grase lag überall schon der nasse Thau – und ging unter schmerzhaftem Vorwärtsstoßen seiner Kniee auf dem Pfade steil abwärts. Der Berg mit den rosenfarbenen Schneefeldern zog sich gemach unter den Wald zurük, bis nichts mehr, als kalt blaue oder grüne Anhöhen, mit Dunststreifen durchwebt, da standen.

Tiburius kam zu dem Wasser hinunter. Es hastete mit dem Blaugrün seiner Wogen und dem fliegenden weißen Schaume darauf nach einander hin – und was er eben gedacht hatte, traf hier unten ein: der Weg ging neben dem Wasser fort. Er schlug ihn also ein und strengte seine Kräfte, die gleichsam auflösend und trunken waren, aufs Neue und Lezte an.

Da er eine Weile so gegangen war und bereits Dunkelheit einzutreten begann, hörte er plözlich troz des Rauschens, das der Bach in ziemlicher Tiefe unter ihm veranlaßte, Tritte hinter sich. Er sah um, und erblikte einen Mann, der hinter ihm her ging und ihn eben eingeholt hatte. Der Mann trug eine Axt über den Rüken, mehrere eiserne Keile über die Schultern, und hatte starke Holzschuhe an. Tiburius blieb stehen, ließ ihn vollends an sich kommen, und fragte dann: »Guter Freund, wo bin ich denn, und wo finde ich denn in das Bad hinaus?«

»Ihr seid auf dem Wege zum Bade,« antwortete der Mann, »aber in der Keis draußen theilen sich die Wege wieder, und der bessere geht in die Zuderhölzer hinauf, da könntet ihr euch verirren. Weil ich ohnedem auf dem nehmlichen Wege gehe, so könnt ihr mit mir gehen, ich werde euch hinaus führen. – Wie seid ihr aber denn hieher gekommen, wenn ihr nicht wisset, wo ihr seid?«

»Ich bin ein Kranker,« sagte Herr Tiburius, »heile mich durch den Gebrauch des Bades, bin auf der Straße ziemlich weit fort gefahren, bin dann spazieren gegangen, und habe mich in dem Walde verirrt, daher ich meinen wartenden Wagen nicht mehr finden konnte.«

Der Mann mit den eisernen Keilen sah Herrn Tiburius nach der Seite von oben bis unten an, und mit einem Zartgefühle, das diesen Menschen so gerne eigen ist, und das man ihnen ungerechter Weise nie zuschreibt, ging er nun, da er ihn betrachtet hatte, viel langsamer, als sonst seine Art war.

»Da seid ihr durch das Schwarzholz gegangen, wenn ihr nehmlich über die Glokenwiese zu dem Wasser herab gekommen seid,« sagte er.

»Ja, ich bin über eine Wiese, die rund und steil, wie eine Gloke war, zu diesem Wasser herab gestiegen,« antwortete Herr Tiburius.

»So – so –,« sagte der Mann darauf, »da gehen die Leute nicht gerne herauf, weil es so wild ist, und darum wußtet ihr nicht, wo ihr seid.«

»Ja, ja,« antwortete Herr Tiburius, »und wer seid denn ihr, daß ihr da so gegen die Nacht hin in diesem Graben heraus gehet?«

»Ich bin ein Holzknecht,« sagte der Mann, »und gehe heute nur aus Zufall hier heraus, weil ich dem Gewerkmeister in der Zuder eine Bothschaft bringen muß. Da habe ich mein Geräthe mitgenommen, daß ich es schärfe; denn mein Haus steht nur eine halbe Stunde von da links. Wir hauen in den Holzschlägen, die etwa sechs Stunden oberhalb des Plazes liegen mögen, an dem ich euch getroffen habe. Jezt gehen wir immer am Montage hinauf und am Samstage herab. Sonst bleiben wir auch zuweilen einige Wochen oben. Ich habe heute noch bis Nachmittag geholfen, dann bin ich herabgestiegen.«

»Und wann geht ihr wieder hinauf?« fragte Tiburius.

»Ich bleibe heute bei meinem Weibe,« sagte der Holzknecht, »dann gehe ich morgen um drei Uhr früh in die Zuder zu dem Gewerkmeister, und von ihm wieder zurük in den Holzschlag, daß ich den Nachmittag noch zur Arbeit habe.«

»Das thut ihr alles in einem Tage,« sagte Tiburius, »und dauert es so das ganze Jahr fort?«

»Im Winter ist es leichter,« antwortete der Holzknecht, »da sind wir im Thale, und oft wird nur bei dem Fuhrwerke die Zeit hin gebracht.«

»So, so,« antwortete Herr Tiburius, indem er neben dem Manne mühsam einherging.

Derselbe erzählte ihm noch mehreres von seinem Handwerke, wie sie es betreiben, wie sie nebstbei in den Hochgebirgen leben, und welche Gefährlichkeiten und Abenteuer sich dabei ereignen. Unter diesen Worten kamen sie immer weiter, bis sich, so viel man in der bereits eingetretenen Nacht erkennen konnte, das Thal erweiterte, und sie wieder auf einem ziemlich steilen Wege herab stiegen. Der Holzknecht hielt sich bei Tiburius auf, unterstüzte ihn, und leitete ihn an dem Arme abwärts. Als sie wieder in der Ebene waren, und noch eine Streke zurük gelegt hatten, standen kleine Häuschen mit Lichtern da.

»So,« sagte der Holzknecht, »wir sind hier an Ort und Stelle. Ich bin weiter mit euch gegangen, als mein Weg war, weil ihr so krank seid und nicht fort kommen könnt; aber hier ist es schon recht leicht, geht nur noch die Gasse hinein, und dann gerade fort, da werdet ihr bereits die Häuser kennen. Ich muß umkehren, weil ich nun beinahe zwei Stunden nach Hause habe, weil die Nacht kurz ist, und ich um drei Uhr wieder aufbrechen muß.«

»Lieber, guter Mann,« sagte Tiburius, »ich kann euch ja gar nicht belohnen, weil ich kein Geld habe; denn dasselbe hat immer mein Diener, der jezt nicht hier ist. Geht nur mit mir in meine Wohnung, daß ich euch eure Gutthat vergelte, oder nehmt hier meinen Stok und leihet mir den euren, ich bleibe noch bis tief in den Herbst hier, heiße Theodor Kneigt, und wenn ihr oder ein anderer den Stok bringet, um ihn gegen den eurigen auszutauschen, so werde ich meine Schuld mit Gewissenhaftigkeit zahlen.«

»Denkt nur,« sagte der Holzknecht, »daß ich auch noch mein Geräthe zu schärfen habe. Ich kann gar keine Zeit mehr verlieren. Den Stok aber nehme ich recht gerne an, und werde ihn schon einmal bringen; denn ich habe auch zwei Kinder, und wenn ihr diesen etwas geben wollet, so ist es mir schon recht, und der Mutter wird es auch schon recht sein.«


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