Rudolf Steiner
Der Seelen Erwachen
Rudolf Steiner

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Zehntes Bild

Dasselbe Zimmer wie im neunten Bilde. (Zuerst Johannes allein, meditierend, zu ihm die andre Philia; dann Maria und der Geist von Johannes' Jugend; zuletzt Lucifer, Benedictus.)

Johannes:
»Dies ist die Zeit, in welcher er sein Sein
dem uralt heiligen Weisheitsdienste weiht –;
vielleicht lässt Traumes Offenbarung mich
im Ahnen geistig jetzt bei ihm verweilen. «
So sprach in alter Zeit in Tempelnähe
die Frau, die ich im Geistesbilde schaue,
und ihrer denkend, fühl' ich mich erkraftet.
Was wirkt mir dieses Bild? Was hält an ihm
im Schauen mich wie festgebannt? Fürwahr,
nicht Anteil ist's, der aus dem Bilde selbst
sich mir erzwingt; denn trät' es mir als Bild
im Sinnensein vors Auge, schien' es mir
nicht inhaltvoll. Was spricht aus ihm zu mir?

(Wie von ferne die Stimme der »andren Philia«.)

Die andre Philia:
Verzaubertes Weben
des eigenen Wesens.

Johannes:
Und wachendes Träumen
enthüllet den Seelen
verzaubertes Weben
des eigenen Wesens.

(Während Johannes diese Zeilen spricht, kommt die »andre Philia« an ihn heran.)

Johannes:
Wer bist du, rätselvoller Zaubergeist?
Du brachtest wahren Rat in meine Seele –
und täuschtest' mich zugleich doch über dich.

Die andre Philia:
Johannes, deines Wesens Zwiegestalt,
du schufest sie aus dir. Als Schatten dich
umwandeln, muss auch ich so lange noch,
bis du den Schatten selbst erlösen wirst,
dem deine Schuld verzaubert' Leben schafft.

Johannes:
Zum dritten Male – sprichst du dieses Wort;
ich will ihm folgen. – Weise mir den Weg.

Die andre Philia:
Johannes, such im Geisteslichte lebend,
was dir in deinem Selbst erhalten ist.
Es wird dir Licht von seinem Lichte geben.
Du wirst in dir dann selbst erschauen können,
wie du die Schuld im fernern Leben tilgst.

Johannes:
Wie such' ich denn im Geisteslichte lebend,
was mir in meinem Selbst erhalten ist?

Die andre Philia:
Gib mir, was du dir denkend selber bist;
verliere dich nur kurze Zeit in mir;
doch so, dass du dir nicht ein andrer wirst.

Johannes:
Wie soll ich dir mich geben, ohne dich
in deinem wahren Wesen erst zu schauen?

Die andre Philia:
Ich bin in dir, bin deiner Seele Glied;
die Kraft der Liebe bin ich selbst in dir;
des Herzens Hoffnung, die in dir sich regt,
die Früchte langvergangner Erdenleben,
die dir in deinem Sein erhalten sind;
O schaue sie durch mich, – erfühle mich
und schau' dich selbst durch meine Kraft in dir.
Ergründe dir des Bildes Wesen, das
dein Schauen ohne Anteil dir erschuf.

(Die »andre Philia« verschwindet.)

Johannes:
O rätselvoller Geist, erfühlen kann
ich dich in mir; doch schau' ich dich nicht mehr.
Wo lebst du mir?

(Wie von ferne der Ruf der »andren Philia«.)

Die andre Philia:
Verzaubertes Weben
Des eigenen Wesens.

Johannes:
Verzaubertes Weben
des eigenen Wesens.
Verzaubert Weben meines eignen Wesens,
ergründe mir des Bildes Wesen, das
mein Schauen ohne Anteil mir erschuf.
Wohin entführt mich dieses Wortes Kraft?
Ein Geistesstern am Seelenufer dort –
er leuchtet, nähert sich – als Geistgestalt,
wird nahend heller; – Formen bilden sich; –
sie sind wie Wesenheiten lebend wirksam; –
ein junger Myste, – eine Opferflamme,
des höchsten Opferweisen streng Gebot,
der Flamme Inhalt sinngemäss zu künden. –
Den jungen Mysten sucht die Frau, die sich
mein Schauen bildhaft ohne Anteil schuf.

(Maria erscheint als Gedankengestalt des Johannes.)

Maria:
Wer dachte deiner vor der Opferflamme?
Wer fühlte dich in Weiheortes Nähe?
Johannes, wenn du deinen Geistesschatten
entreissen willst den Seelenzauberwelten,
so lebe Ziele, die aus ihm dir leuchten;
die Spur, auf der du suchst, sie leitet dich;
doch musst du sie erst richtig wiederfinden.
Es weist sie dir die Frau in Tempelnähe,
wenn sie in dir gedankenkräftig lebt.
Sie strebt, verzaubert unter Schattengeistern,
dem andern Schatten zu, der jetzt durch dich
den grausen Schatten schlimme Dienste leistet.

(Es erscheint der Geist von Johannes' Jugend.)

Der Geist von Johannes' Jugend:
Ich will dir künftig stets verbunden sein,
wenn du die Kräfte liebend pflegen willst,
die mir im Zeitenschosse treu bewahrt
der junge Myste jener alten Zeit,
den deine Seele einst am Tempel suchte.
Doch musst du auch den Geist in Wahrheit schauen,
an dessen Seite ich dir jetzt erschienen.

Maria:
Maria, so wie du sie schauen wolltest,
ist sie in Welten nicht, wo Wahrheit leuchtet.
Mein heilig ernst Gelöbnis strahlet Kraft,
die dir erhalten soll, was du errungen.
Du findest mich in hellen Lichtgefilden,
wo Schönheit strahlend Lebenskräfte schafft;
in Weltengründen suche mich, wo Seelen
das Götterfühlen sich erkämpfen wollen
durch Liebe, die im All das Selbst erschaut.

(Während Maria das letzte spricht, erscheint Lucifer.)

Lucifer:
So wirket Zwangsgewalten,
erfühlet Elementengeister
die Kräfte eures Meisters,
und ebnet den Weg,
dass aus dem Erdgebiet
sich wenden kann
in Lucifers Bereich,
was mein Wunsch ersehnt,
was meinem Willen folgt.

(Benedictus erscheint.)

Benedictus:
Marias heilig ernst Gelöbnis wirket
in seiner Seele jetzt die Heil-Erstrahlung.
Er wird dich schätzen, doch dir nicht verfallen.

Lucifer:
Ich werde kämpfen.

Benedictus:
Und kämpfend Göttern dienen.

(Vorhang fällt.)


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