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X.

Wenige Tage darauf kam Tante Claudine mit ihrem Neffen Claus in großer Visitengala nach Kerkow. Sie fanden eine sehr freundliche Aufnahme, es schien, als wäre dieser Besuch äußerst willkommen und brächte eine frohe Stimmung mit sich.

Claus von Dahlwitz war jetzt Assessor und als Erbe von Schönermark eine beachtenswerte Persönlichkeit. Außerdem sehr zu seinem äußeren Vorteil herangereift, eine Erscheinung von ausgesprochener Eleganz. Man kannte Fräulein von Dahlwitz genau, die ganze Aufmachung dieses Besuchs verriet eine Absicht.

Und nicht allein Edith war zu dem Schluß gekommen, daß ihre baldige Verheiratung wünschenswert sein möchte. Horst hatte bereits zu leiden gehabt unter dem frostigen Verhältnis zwischen seiner Schwester und Braut, das sich durchaus nicht erwärmen wollte. Frau von Ramin zeigte eine Sorgenfalte auf der sonst noch klaren Stirn, weil Edith sie angefleht, mit ihr in die Stadt zu ziehn, und Adrienne erklärte ihrer Mutter alle Tage, sie wolle lieber Horst und ihre beabsichtigte Ehe aufgeben, ehe sie die arrogante Pute, die Schwägerin, mit in den Kauf nähme, um sich täglich über sie zu ärgern. Die Exzellenz hatte aber Ursache, die Heirat für wünschenswert zu erachten, da die Tochter bereits sechs Wintersaisons in der heimischen Residenz ohne Erfolg für ihre standesgemäße Versorgung getanzt hatte.

Was man erwartete, traf ein. Nach dem gemeinschaftlichen Kaffee auf der Veranda nahm Tante Claudine, auf einem Spaziergang durch den Park, Frau von Ramin beiseite und deutete ihren Herzenswunsch an in betreff einer künftigen Ehe zwischen Claus und Edith. Ob ihr Neffe sich um das liebe Kind bewerben dürfe?

Frau von Ramin rief ihren Sohn, das jetzige Familienoberhaupt, herbei, zur gemeinsamen Beratung. Fräulein von Dahlwitz erklärte, daß sie ihrem Neffen Schönermark vermacht habe, jedoch die Staatskarriere für wünschenswert halte. Sie verschwieg nicht, sondern gestand ehrlich, daß er leider die Neigung zu einem extravaganten Leben besäße, weshalb sie eine baldige Ehe für ratsam erachte, denn sie verspräche sich alles von dem Einfluß einer liebenswerten Frau, er sei durchaus lenksam. Sie glaube zuversichtlich, daß er sich jetzt die Hörner abgelaufen und die Jugendtorheiten hinter sich habe. Schulden seien nicht vorhanden, es sei reiner Tisch gemacht worden. Und sie nannte die Zulage, die sie dem jungen Paar aussetzen würde.

Mutter und Sohn gaben freudig ihre Einwilligung. Natürlich unter der Bedingung der freien Wahl für Edith, doch sie hofften das Beste. Vielleicht griffen sie etwas übereilt zu, doch es war vorläufig gar kein anderer Bewerber für Edith in Aussicht. Und wie entzückend, die Tochter und Schwester als Herrin auf dem Nachbargut zu sehen! Mit Befriedigung bemerkte man, daß sich Edith und Claus tiefer in den Park begeben hatten.

»Überlassen wir unsere Kinder nur sich selbst,« sagte Tante Claudine mit einem Lächeln.

Claus und Edith gingen, heiter plaudernd, die große Baumallee hinunter und bogen abseits in die Seitenwege, die nach einem großen Teich führten. Claus gab vor, sich lebhaft für die jungen Schwäne zu interessieren, von denen Edith erzählte. Der Märztag war außergewöhnlich warm nach voraufgegangenem Regen. Im Park herrschte ein Blühen, Keimen und Sprossen wie in einem Treibhaus, und der Vogelchor schmetterte und jubelte seine süßesten Brautlieder. Claus hatte nur Augen für das schöne Mädchen an seiner Seite, das der holdesten Verkörperung des jungen Frühlings glich. Hier war allerdings ein Preis, der das Opfer seiner Freiheit lohnte! Er vergaß, mit welchem Widerwillen er seiner Tante nachgegeben, als sie für die Tilgung seiner Schulden die Bedingung stellte, sofort die Ehe in Aussicht zu nehmen und sich um Edith von Ramin zu bewerben als wünschenswerteste Partie. Er hatte Edith lange nicht gesehen gehabt, und ihm schwebte das übliche, typische Landfräulein vor mit der Höheren-Tochter-Erziehung, kaum der Raupenhülle der Konfirmandin entschlüpft, mit der er sich natürlich totlangweilen würde. Doch er befand sich in einer Zwangslage und hatte keine Wahl. Tante Claudine machte diesmal Ernst. Es waren böse Tage und Wochen gewesen, die zur Sanierung seiner Finanzen und zur Verhandlung mit seinen Gläubigern gehörten. Wiederholt kam es fast zum äußersten, daß ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt und er enterbt werden sollte; nur mit großer Mühe und mit widerspruchslosem Eingehen auf ihre Bedingungen, konnte er nach und nach ihren Zorn besänftigen. Er mußte sich unangenehme Dinge sagen lassen und seine Eitelkeit bekam bittere Pillen zu schlucken. Heimlich hatte er die Faust in der Tasche geballt und stark gepfefferte Flüche verschluckt. Die alten Geschichten seiner Mutter, von dem Erbrecht, das ihm die Tante hinterrücks gestohlen, lebten in seinem Gedächtnis auf. Was maßte sich diese alte Jungfer an, ihn wie einen Schuljungen und Tunichtgut abzukanzeln, die doch viel mehr auf dem Kerbholz hatte als er und die alleinige Ursache seiner beschränkten Lage war? Konnte etwa ein Kavalier wie ein Spießbürger leben? Wozu ihr Familienkultus, wenn sie nicht begreifen wollte, daß ein echter Dahlwitz gleichbedeutend mit einem großen Herrn sei? – –

Das Fatalste der ganzen Geschichte gipfelte darin, daß Claus, zur Zeit, durch eine ernsthafte Liaison gebunden, von Rechts wegen gar nicht daran denken durfte, um eine junge Dame, wie Edith von Ramin, zu werben. Er wußte wahrhaftig nicht, wie er sich aus dieser Schlinge ziehen sollte. Die Tante war schuld daran, wenn er nicht korrekt handeln konnte.

Der verwegene Gedanke war ihm durch den Kopf gegangen, Edith seine Notlage zu beichten und sie unter Diskretion zu bitten, ihm einen Korb zu geben. Ein Rest von Rechtlichkeit und Gewissen gab ihm diesen Vorsatz ein. Doch als er jetzt neben ihr nach dem Schwanenteich ging, durch den alten Garten, der im Zauberschimmer des Lenzes stand, als er den Liebreiz ihrer taufrischen Jugend aus nächster Nähe genoß und nach fünf Minuten wußte, daß sie ganz etwas anderes war als ein Schablonentyp, verschwanden Vorsatz und Zwangslage mit dem Widerwillen gegen Tante Claudinens Diktat in der Versenkung der Vergessenheit, es blieb nichts als ein angenehmer Rausch und das Verlangen nach dem süßen Apfel, der so lockend am Lebensbaum winkte.

Intelligenz und Erfahrung kamen ihm im Umgang mit Frauen zu Hilfe, um auch Edith gegenüber den rechten Ton anzuschlagen, und als er merkte, daß sie ein gewisses Entgegenkommen zeigte und ihm durchaus nicht abgeneigt war, ging er sofort zum Angriff über.

Nach allerlei kleinen Plänkeleien und Neckereien, bei denen sich Edith schlagfertig und jedem Übermut gewachsen zeigte, ohne Prüderie und Ziererei, trotzdem sie die scharfe Grenze des Dekorums nie verletzte, kamen sie auf der Bank am Schwanenteich in ernstere Gespräche, in die er geschickt einzulenken verstand. Er hatte die Lage der Dinge in Kerkow schnell erfaßt, und nach der gemeinsamen Kaffeemahlzeit auf der Veranda wußte er, daß Edith und Adrienne niemals Freundinnen sein würden, ja, daß Adrienne eine starke Abneigung gegen ihre jüngere und schönere Schwägerin hatte. Und hier setzte er ein. In zartfühlender Weise, mit großer Vorsicht deutete er an, daß doch wohl in Zukunft ihres Bleibens in Kerkow nicht sein könne, und ob ihre Mutter schon Pläne gefaßt habe?

Edith faßte Vertrauen. Sie war eben auch in einer Zwangslage. Es funkelte temperamentvoll in ihren Augen, als sie erklärte, daß sie auf keinen Fall bleiben wolle, sie bedanke sich dafür, in dem Inspektorhaus zu wohnen und begriffe ihre Mutter nicht. Lieber – ja – lieber würde sie in die weite Welt hinausgehen und sich eine Stellung bei fremden Leuten suchen.

Jetzt wußte Claus, daß seine Sache gut stand, er war zur rechten Zeit gekommen.

Er lachte Edith aus und erklärte, das sei wie im Märchen – die Prinzessin als Gänsemagd. Und dann wurde er sehr warm und bewegt. Er sprach von der Vergangenheit, verstand es, sich in ein verlockendes Licht zu stellen, als irrender Ritter in den Zauberwäldern des Lebens, der sich mühevoll und mit einigen ehrenvollen Wunden herausgerettet und nun vor der Pforte stehe, die sich auftun solle zum Glück. Alles, was ihm jetzt noch fehle, sei eine Gefährtin. Er habe stets eine liebe Erinnerung an sie im Herzen getragen, und er sei heute hergekommen mit der Absicht, sich ihr wieder zu nähern. Die obwaltenden Verhältnisse aber führten ihn zu einem schnellen Entschluß. Der Eindruck ihrer Persönlichkeit habe ihn überwältigt, er brauche nie mehr als eine Stunde zu lebenentscheidenden Entschlüssen.

»Edith, wollen Sie sich mir anvertrauen? Sie sind für mich die Offenbarung alles dessen, das ich halb unbewußt in den Tiefen meiner Seele schlummernd getragen, die Verkörperung meines kühnsten Traumes vom Weibe! Und wenn Sie nicht mehr Herrin in Ihrem geliebten Kerkow sein können, so werden Sie an meiner Seite Herrin in Schönermark und Sie brauchen in nichts einer anderen nachzustehen.« Er hatte bei diesen Worten ihre Hand ergriffen, die er jetzt feurig und zärtlich an seine Lippen preßte. Sanft zog er sie an sich und flüsterte ihr die alten Liebesschwüre und Verheißungen in lebenden Lauten der Leidenschaft zu.

Es war Ediths erste, ernsthafte Liebeserklärung, und Claus verstand es, das in ihr schlummernde Temperament zu wecken. Doch ausschlaggebend für ihren Entschluß blieb ihre Lage, das Verhältnis zu ihrer Schwägerin. Ihr Stolz vertrug es nicht, sich unter Adriennes Vorherrschaft zu stellen. Welch ein süßer Triumph würde es sein, ihr als künftige Herrin von Schönermark ebenbürtig gegenüberzustehen! Und so willigte sie verschämt ein, daß Claus sie küßte, sie gab ihm ohne viel Besinnen ihr Jawort und ließ sich von ihm mit stürmischem Jubel in die Arme ziehen.

Der Kuckuck und der Pirol riefen aus der Tiefe des Parks, und über ihnen, im Baumwipfel, gurrten zwei Ringeltauben den Brautgruß. Es konnte keine schönere Stunde und keinen passenderen Ort für ein erstes Liebesglück geben als diese Bank unter den Weiden und Erlen am sonnenglitzernden Schwanenteich. Claus kostete sie aus, und wenn Edith etwas seltsam zu Mute wurde bei dieser so plötzlichen Besitznahme, so herrschte doch ein Triumphgefühl bei ihr vor und die heimliche Freude, Adrienne zu ärgern mit ihrem Erfolg. Sie hatte bemerkt, daß Claus ihr und ihrer Mutter außerordentlich gefiel.

Die Überraschung konnte nicht besser ausfallen, die ganze Gesellschaft kam dem neuen Brautpaar im Park entgegen, als sie sich auf den Rückweg begaben.

Claus machte eine sehr gute Figur, als er, Edith am Arm, Frau von Ramin die Hand küßte und offen vor allen um ihre Einwilligung bat. Es stellte ihn stets in das vorteilhafteste Licht, wenn er zeigen konnte, wie sicher er gesellschaftliche Formen beherrschte und jeder Lage gewachsen war. Und Edith gab sich bezaubernd als glühende, verschämte, stolze Braut.

Man feierte einen sehr frohen Abend in Kerkow, an der festlichen Tafel ging es hoch her. Tante Claudine war ausgesöhnt mit ihrem Neffen und strahlte in mütterlichem Glück. Man beschloß, seine Mutter einzuladen und am folgenden Sonntag eine große, offizielle Verlobungsfeier mit der ganzen Nachbarschaft zu veranstalten.

»Wir werden vorher abreisen, Du weißt, wir sind für dieses Mal nur inkognito hier, in Geschäften. Ich habe keine passende Toilette mit für eine solche Gelegenheit,« sagte Adrienne zu ihrem Verlobten.

Horst war außer sich, er bat und beschwor. Was käme es auf die Toilette an? Es sei doch eine wundervolle Fügung, daß sie jetzt die beiden Verlobungen zusammen feiern konnten!

Adrienne kniff die Lippen zusammen, sie fuhr ihn ziemlich ungnädig an, darüber zu schweigen. Sie liebe keine Familieneinmischung in ihre privaten Entschlüsse. Als er sich gekränkt zeigte, lenkte sie ein.

»Willst du denn, daß deine Braut in den Schatten gestellt wird und die zweite Rolle spielt? Edith hat hier alle Mittel zur Verfügung, sich zur Hauptperson zu machen,« warf sie ein.

»Diese verfluchte Eifersucht unter euch Frauen! Mir ist es doch ganz egal, wenn Edith schöner ist und mehr gefeiert wird!« platzte er heraus.

Ein böser Blick seiner Braut traf ihn. Dann schweifte ihr Auge ab, zu Claus hinüber. Ja, das war ein tadelloser Kavalier, kein Tolpatsch, wie der gute Horst! Doch laut bemerkte sie: »Dein künftiger Schwager wird bald eine Glatze haben, sein Haarwuchs ist schon etwas spärlich für sein Alter.«


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