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VIII.

Jahre waren vergangen. Während Fortschritt, Entwicklung und allgemeiner Aufstieg zu höheren Lebensbedingungen in den Kulturzentren der großen Welt ein fast stürmisches Tempo anschlugen, blieb man draußen im flachen Land, wo Bauer und Großgrundbesitzer stetig und ausdauernd die Scholle bearbeiteten, von dem Einfluß überhitzten Vorwärtsdranges verschont. Die schwere, mühevolle Arbeit, einem ungünstigen Klima und oft kargen Boden höchste Ertragsfähigkeit abzuringen, ließ wenig Zeit und Kräfte für andere Spekulationen und Bedürfnisse. Doch wenn auch rückständig und langsam, so wehte doch allmählich der unwiderstehliche Hauch des Zeitgeistes bis in die entlegenste Provinz. Es war an einem wunderschönen Vorfrühlingstage mit dem unbeschreiblichen Erlösungs- und Auferstehungsjubel der Natur von Winterqual und Todesstarre. Die Sonne hatte ihre goldenen Flaggen und Wimpel auf dem Dach des alten Herrenhauses von Schönermark gehißt, und der Himmel ließ sein lichtblau schimmerndes Banner über alle Fernen und Weiten wehen.

Bei Claudine von Dahlwitz, die nach wie vor auf der ererbten Scholle herrschte, war heute mit den ersten Lenzboten die Freude eingekehrt.

Sie hatte am Morgen eine Depesche bekommen, die den Besuch ihres Neffen Claus nach erfolgreich bestandenem Assessorexamen anmeldete.

Na endlich, Ende gut, alles gut, dachte Tante Claudine mit einem Seufzer der Erleichterung. Die Studienzeit des Neffen war reich an Ärger und Sorgen für sie gewesen, so daß sie fast daran verzweifelt ihn noch im sicheren Geleise eines Staatsbeamten und Anwärters der höheren Karriere zu sehen. Die böseste Katastrophe hatte es gegeben, als er vor zwei Jahren eine Kellnerin aus Eifersucht niederschoß, die er zu seinem Glück nicht tödlich traf, sondern nur unerheblich verletzte. Doch es hatte seiner Tante schweres Geld gekostet, das Vergehen zu sühnen und zu vertuschen, um ihn davor zu retten, gerichtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es gehörte damals ihre ganze unbedingte Hingabe an die Erhaltung des Familienansehens dazu, um sie zu diesem Opfer zu bewegen und ihn wieder in Gnaden anzunehmen, doch sie stellte ein Ultimatum. Es sei das letztemal, eine weitere Belastung ihrer Nachsicht würde sie veranlassen, ihn aufzugeben und zu enterben. Ihre Energie und vor allen Dingen der Zwang, den die Abhängigkeit von ihrer Gunst auf ihn ausübte, waren schließlich doch ausschlaggebend gewesen, ihn vor dem Verbummeln zu bewahren. Oft hatte sie heimlich den Einfluß ihres Freundes, Pastor Wegerich, gesegnet, der sie davon zurückgehalten, ihn früh zum Majoratserben zu machen.

Sinnend saß sie jetzt eine Weile mit der geöffneten Depesche in der Hand. Sie hatte früh gealtert, war hager geworden und vollständig ergraut. Die scharf gewordenen Züge zeigten die herben Linien einer leidenden Seele. Einsamkeit und Verzicht auf das höchste Glück des Weibes, Gattenliebe und Mutterschaft waren die Tragödie ihres Lebens. Doch in dieser Stunde stimmte sie die Genugtuung über ein erreichtes, schwer erkämpftes Ziel weich und versöhnlich. Ein Ziel, das sich der Mühe lohnte, das sich eine Frau kaum höher und erhebender stecken konnte – die Erhaltung und Befestigung einer alten, stolzen Familie auf dem Erbgrundbesitz. So hatte sie doch nicht umsonst gelebt! Ja, jetzt sah sie es klar ein! Es hatte so kommen müssen, sie mußte die schwerste Enttäuschung, die Vernichtung ihres Liebesglücks erleben, um eine höhere Mission zu erfüllen. Gott hatte sie dazu ausersehen, ein altes Geschlecht vor dem Niedergang zu retten. Claus war der letzte der Linie Dahlwitz-Schönermark, hätte sie Wichard von Ramin geheiratet, wäre die Erbscholle an einen anderen Namen übergegangen und Claus, seiner schwachen, charakterlosen Mutter überlassen, sicher abwärts geglitten. Gottes Wege und Gedanken waren wieder einmal höher als die menschlichen, er läutert die Seelen im Feuer der Trübsal, um sie seinen höheren Zwecken tauglich und dienstbar zu machen. In dieser Stunde fühlte sie sich zum erstenmal restlos ausgesöhnt mit ihrem Schicksal, und sie war stolz darauf, ihre »höhere Mission« erkannt und ausgeführt zu haben. Einem Impulse folgend erhob sie sich von ihrem Fensterplatz, der auf den großen Wirtschaftshof sah, und machte einen Rundgang durch die angrenzenden Räume und Gemächer, durch Kammern und Säle. Eine tiefe Befriedigung erfüllter Pflicht war in ihrem Herzen, daß sie das Vätererbe so wohl bewahrt hatte, um es der Familie zu erhalten. Liebend streifte ihr Blick über das alte Heim, das Generationen der Dahlwitzens gesehen und dessen vornehm schlichter Stil das Produkt verschiedener Kulturepochen darstellte. Vor dem Bilde ihres Vaters, der das große Band des Johanniterordens trug, blieb sie stehen. Ihr war als spräche das Bild zu ihr und als segne sein Auge sie für ihr Tun. Sie wußte, welch tiefer Schmerz es ihm gewesen, daß der Sohn auf die Scholle verzichten und sie einem anderen Namen überlassen mußte, da er annehmen mußte, daß seine Tochter, als Erbin und Besitzerin von Schönermark, sich auch nach dem Tode ihres Verlobten später mit einem anderen verheiraten würde. Sie aber hatte mit allen Mitteln und Kräften dahin gewirkt und gestrebt, seinem Enkel, dem Stammhalter, das Gut zurückgeben zu können, um es dem alten Namen zu erhalten, denn dieser Familienkultus war zur Religion bei ihr geworden. Es gingen Gerüchte um, daß sie vorteilhafte Partien ausgeschlagen hatte, unter anderen einen höheren Staatsbeamten, doch darüber schwieg sie in vornehmer Diskretion.

Als Claus am Abend eintraf, wurde ihm ein herzlicher Empfang. Sie hatte ihn in Gala, Kutscher und Diener auf dem Bock ihrer eleganten Kalesche, abholen lassen, und begrüßte ihn mit Pastor Wegerich vor der Haustür, während sie sonst nicht so viel Umstände mit ihm machte. Eine festlich gedeckte Tafel erwartete ihn im Speisesaal, und zu einigen erlesenen Genüssen der Jahreszeit fehlte nicht wohlfrappierter Rheinwein vom besten Jahrgang und französischer Sekt in schwerem Silberkübel. Bei aller Schlichtheit ihrer Lebensweise war Tante Claudine viel zu sehr große Dame, um nicht genau zu wissen, was einem Gast gebührt, den ihr Haus ehren wollte. Sie selbst trug ihr schweres, schwarzes Seidenkleid und ein altes kostbares Erbstück als Brosche, um auch damit ihrer Feststimmung Ausdruck zu geben und ihm zu zeigen, daß er jetzt ein anderer für sie geworden, dem Auszeichnung gebührte.

Sie umarmte ihn herzlich, beglückwünschte ihn freudestrahlend und ließ sich später von ihm zur Tafel führen, unter Vorantritt des Pfarrers, der als ältester Hausfreund bei dieser festlich frohen Gelegenheit nicht fehlen durfte. Pastor Wegerich kam denn auch beim ersten Gang nach der Suppe der Hausherrin Wünschen entgegen mit einem sehr hübschen, heiter gestimmten Toast, in dem er ihn als Sohn des Hauses und Sieger im Examen feierte. Und mit taktvoller Vermeidung schmerzlicher oder peinlicher Anklänge an die Vergangenheit fand er doch bewegliche, ernste Töne, dem jungen Mann an das Herz zu legen, was er seiner mütterlich liebevollen Tante verdankte. Claus blieb die Antwort nicht schuldig.

Angeregt vom edlen Wein, von den Tafelgenüssen und seinem schicksalentscheidenden Erfolg, erhob er beim Braten das Sektglas und übertraf sich selbst in einer feurigen Rede mit dithyrambischem Schwung, die Haus Schönermark und seine Herrin verherrlichte. Er ließ seinen Geist, seine Schlagfertigkeit und seinen oft treffenden Witz sprühen in einem Rückblick auf seine Kindheit und seinen bisherigen Lebenslauf, mit der Rolle, die seine Tante und hohe Gönnerin darin gespielt. Er fand zum Schluß schwärmerisch elegische Töne, um sich ihr für alle Zeiten und Ewigkeiten mit einer regelrechten Liebeserklärung als ihr glühendster Verehrer und dankbarer Sohn zu Füßen zu legen. Er hatte seine Tante zu Tränen gerührt, sie zum Lachen und zum Weinen gebracht, und er machte dabei mit dem erhobenen Sektkelch durch seine elegante Haltung und Erscheinung eine gute Figur. Die männliche Reife hatte ihn vorteilhaft verändert, er war nicht mehr der schmächtige Junge, dem verfrühte Erkenntnisse und Erlebnisse einen dekadenten Zug gaben. Der wissende Ausdruck überlegener Verstandeshelle kleidete ihn jetzt sehr viel vorteilhafter als früher, und seine äußerliche Persönlichkeit hatte sich zu einer ganz besonderen, sorgfältig gepflegten Eleganz entwickelt. Seine Tante war heute zum erstenmal im Leben von ihm bezaubert. Über den Stammhalter hinaus sah sie in ihm einen vollwertigen Menschen, die künftige Zierde seines Geschlechts.

»Aber Claus, du bist ja ein glänzender Redner! Du hast die seltene Gabe der Herrschaft über das Wort und verstehst fortzureißen, du mußt später ins Parlament!« rief sie froh erregt, als ihre Sektgläser aneinander klangen, und als er ihr die Hand küssen wollte, zog sie ihn noch einmal in ihre Arme und küßte ihn auf die Stirn. Doch als sie jetzt beide tranken, verzogen sie plötzlich die Gesichter und setzten erschrocken die Kelche nieder. Der Sekt war verdorben und schmeckte wie Essig und Tinte, ein noch nie dagewesener Fall. Man regte sich lebhaft darüber auf, aber alle Nachforschungen und Untersuchungen änderten nichts an der Tatsache, daß gerade diese einzige Flasche von einer ganzen Sendung tadellosen Weines verdorben war. Gerade diese eine Flasche, deren sonst so edles Naß die Gelübde des Neffen und seine Sohnesrechte besiegeln sollte.

Tante Claudine war einen Augenblick verstimmt, ein Schatten fiel auf ihre gehobene Stimmung. Sie war zu sehr Tochter eines überlieferungsreichen Geschlechts, um nicht an Vorzeichen und geheimnisvolle Zusammenhänge zu glauben. Doch es ging vorüber, sie wollte sich nicht die Laune verderben lassen, und Claus brachte sie bald auf andere Gedanken. Seine Unterhaltungsgabe zeigte sich heute von der angenehmsten Seite, und auch Pastor Wegerich war ein gemütlicher Plauderer, auch machte es ihm Vergnügen, mit dem Sohn einer neuen Zeit, voll neuer Ideen und Wertschaffungen, die Klinge des im Alten wurzelnden Fechters für seine Weltauffassung zu kreuzen. Und Tante Claudine gehörte zu den Frauen, die denken können; ihre Interessen gingen weit über den engen Daseinskreis des persönlichen Ichs, sie nahm an jeder Debatte lebhaften Anteil.

Nach aufgehobener Tafel brachte Wienert, das alte Hausfaktotum, der schon bei dem seligen Herrn von Dahlwitz Kammerdiener gewesen, Mokka und Zigarren. Claudine rauchte vorurteilslos ihre Zigarette mit den Herren in dem behaglichen Privatzimmer ihres Vaters, und im Klubsessel lehnend, in der ihr so sympathischen vaterländischen Atmosphäre, die durch Kaiser-, Bismarck- und Regimentsbilder auf der dunklen Ledertapete geschaffen wurde, glaubte sie den Glückstag harmonisch beschließen zu können.

Doch die eigentliche, große und unerwartete Überraschung des Tages kam für sie erst, nachdem der Pastor sich empfohlen hatte.

Claus, der ihn hinausbegleitet, kam zurück, war ungeheuer nett und bestrickend liebenswürdig mit ihr. Er zog einen Hocker an ihre Seite, lehnte sich an ihren Sessel und sprach allerlei lustiges und neckisches Zeug, bis er sie wieder lachen gemacht. Er bedauerte schmerzlich, zu spät auf die Welt gekommen zu sein, um seine angebetete, geliebte Tante heiraten zu können, und heute nahm sie es gar nicht übel, sondern ging auf den Scherzton ein. Ja, sie streichelte in weicher Aufwallung seinen Scheitel und nannte ihn mit zärtlichem Unterton »Clausewitz«, wie in seinen Kinderjahren. Sehr geschickt leitete er darauf die Beichte ein, daß er Schulden habe. Er war fest entschlossen, das Eisen zu schmieden, so lange es heiß war und die ihm günstige Gelegenheit auszunutzen. Das Messer saß ihm an der Kehle, seine Gläubiger wollten sich nicht länger gedulden.

Diesen ersten Stoß hielt die Tante noch aus, ohne umzufallen.

Sie machte zwar sofort ein ernstes Gesicht, sagte aber, ohne die Ruhe zu verlieren:

»Das dürfte nicht sein, lieber Junge, mit deinem ausreichenden Wechsel und den Extrazuwendungen hättest du auskommen müssen. Doch wir wollen heute einmal gute Miene zum bösen Spiel machen und vor allem einen Strich durch die Vergangenheit mit ihren Entgleisungen. Jetzt fängt ein neues Leben für dich an. Und damit du ganz klar und unbelastet in die neue Stellung treten kannst, wollen wir reinen Tisch machen. Doch bedenke, jetzt hat es ein Ende mit erlaubten und unerlaubten Jugendtorheiten, jetzt beginnt das Alter der Reife und der Selbstverantwortlichkeit. Was man dir bis jetzt noch als Kinderkrankheiten und leichtsinnige Streiche verziehen hat, wird von nun an zum moralischen Defekt. Also konto?«

Claus zog seinen Hocker etwas näher an den Sessel der Tante und schob seinen Arm durch den ihren, mit der Rechten ihre weiße feste Hand streichelnd, die noch den Verlobungsring des Freiherrn Wichard von Ramin trug.

»Tante,« flüsterte er in beweglichen Tönen, dicht an ihrem Ohr, »ich bin ein armer Sünder. Laß mir das süße Gefühl, daß ich dir wie einer Mutter alles beichten darf, alles! Du weißt ja nur zu gut, was meiner Mutter fehlt und daß ich nie den rechten Halt an ihr gehabt habe. Ich will sie nicht anklagen – kein Mensch kann mehr geben als er hat – aber manches wäre anders gekommen, wenn ich immer nur unter deinem Einfluß gestanden hätte, statt unter dem ihren.«

»Vielleicht,« unterbrach ihn Claudine, seine Hand fester fassend, »aber wir werden alle von Fehlern groß, man muß sich dagegen behaupten können.«

»Du selbst hast einmal von den Dahlwitzens gesagt, daß sie in der Jugend alle Lausejungens, als Männer aber wertvolle Staatsbürger seien. Ich glaube, ich bin ein waschechter Dahlwitz, und wenn ich bis jetzt nur in die erste Kategorie gehöre, so ist ja in diesem Fall eine gewisse Garantie gegeben, daß ich in der zweiten nicht versagen werde. Und sind wir nicht berechtigt anzunehmen, um so mehr Lausejunge, um so höher im späteren Werte?«

Tante Claudine mußte lachen.

»Nun aber heraus mit der Sprache! Nach diesem Präludium mache ich mich auf einiges gefaßt.«

»Tante, das ist eine Geschichte. Ein Roman, trübe und dunkel, wie eine schwüle Sommernacht über einem überblühten Sumpf. Namen kann ich nicht nennen – erlasse es mir, den Angeber zu machen. Natürlich steht eine Frau im Mittelpunkt, ein süßes Mädel, wie eine blasse Rose. Und von Uradel. Dazu zerrüttete Familienverhältnisse, wie mir zu spät klar wurde, nachdem ich rettungslos gefangen war. Tante, hast du je geliebt? Du weißt, das ist eine tödliche Krankheit, ein Fieberdelirium, das den Verstand raubt. Kann man solch ein geliebtes Wesen am Abgrund stehen und um Hilfe rufen hören ohne alles zu opfern, alles hinzugeben, was man hat und was man nicht hat, zur Rettung? Als mir die Augen aufgingen, als ich endlich einsehen mußte, daß der Vater ein Lump war und die Tochter eine Dirne, die er als Lockvogel benutzte, war es zu spät. In meiner Verzweiflung und weil ich mich vor dir schämte, versuchte ich es in einer unseligen Nacht, mich mit einem Schlage herauszureißen. Ich setzte meine Hoffnung auf die Karten und verlor. Es war eine Ehrenschuld, und um mich über Wasser halten zu können, bis ich das Examen gemacht, mußte ich Geld auftreiben. Natürlich zu hohen Zinsen. Es war meine feste Absicht, diese Schuld im Laufe der Jahre von meinem Gehalt abzutragen, weil ich mich so furchtbar vor dir schämte wegen dieses Gimpelfangs. Doch als du heut so lieb und hochherzig, wie eine echte, rechte Mutter dich zeigtest, trieb es mich, dir alles, alles zu beichten und mich dir auf Gnade und Ungnade zu überantworten. Denn ich will dir gegenüber ein freies Herz haben.«

Claudine war sehr blaß und ernst geworden bei dieser Beichte.

»Claus, das ist eine böse Sache, das mit den Karten und Wucherschulden,« sagte sie mit belegter Stimme. »Das andere ist nichts. Liebe kann irren. In einem solchen Fall ist nicht der Betrogene, sondern der Betrügende schuldig und entehrt. Aber Hasard und Wucherschulden dürfen nicht sein, unter keiner Bedingung.«

Als die Tante nach einem längeren Hin und Her die Höhe der Schuld erfuhr, die sich auf fünfzigtausend Mark belief, verlor sie die Fassung. Sie rang in stummer Verzweiflung die Hände. Ihr schöner Traum von der »künftigen Zierde des Geschlechts« und von dem erneuten Aufstieg der Familie brach zusammen. Wie konnte sie einem Spieler vertrauen? Ihm die alte, geliebte Scholle, das Erbe der Väter überlassen? Die Tasche eines Spielers hat Löcher, es fällt alles durch und geht verloren. Schon einmal hatte sie einen größeren Posten Schulden für ihn bezahlt – nach dem Referendarexamen war es gewesen – damals hatte er für einen Freund gutgesagt und war hereingefallen – – in dieser Stunde kam ihr ein unheimlicher Zweifel an diesem Freund, der sich erschossen haben sollte.

»Wir müssen mit deinen Gläubigern verhandeln, ich werde Rechtsanwalt Linker, meinen Geschäftsbeistand, zu Rate ziehen. Die Ehre unseres guten, alten Namens muß auf jeden Fall rein bleiben. Was weiter geschieht, kann ich heute noch nicht sagen. Die Sache ist zu folgenschwer und bedarf der weitestgehenden Überlegung,« bemerkte sie, und es war die ganze Trauer bitterster Enttäuschung in ihrer Stimme.

Claus versuchte das Aufgebot seiner Überredungsgabe und zog alle Register der Gefühlssuggestion, um die Tante zu versöhnen, doch er hatte sie in ihrem Lebensnerv getroffen, im Familienkultus, der Religion für sie bedeutete. Der eben noch so innige Kontakt zwischen ihnen war gestört. Sie blieb noch eine Weile bei ihm, stellte unbequeme Fragen über verschiedene Einzelheiten seines sogenannten »Romans«, unterzog ihn einem scharfen Examen, ob das Verhältnis zu der jungen Dame und ihrer Familie vollständig und für immer gelöst sei, und kam immer wieder kummervoll und mit schwerer Sorge auf die verhängnisvollen Folgen der Spielleidenschaft zurück. Claus schwor, daß er kein Spieler sei, daß nur die Gelegenheit und die gänzliche Kopflosigkeit seines verliebten Rauschzustandes ihn dazu verführt hätten und daß er nun für alle Zeiten gegen dieses Laster gefeit sein würde. Er habe sich so gründlich die Hörner abgelaufen, um fortan zum korrekten Staatsmann und soliden Ehemann förmlich prädestiniert zu sein. Es gelang ihm endlich mit schwerer Mühe, ihre tiefe Verstimmung ein wenig zu lichten, so daß sie nicht im Zorn von ihm ging, sondern ihm die Hand zum Kuß reichte, wenn auch mit einem Seufzer.

»Gott sei Dank, das wäre geschafft,« sagte er sich, als er allein in seinem Schlafzimmer war, »die größte Gefahr lag im ersten Ansturm, morgen wird sie kapitulieren. Sie würde ja sich selbst ins Fleisch schneiden, wenn sie mich fallen ließe. Zum Glück gibt es keinen Dahlwitz mehr außer mir von unserer Linie, das hat mein Schicksal sehr weise eingerichtet.«

Er konnte sich heimlich ein Lächeln nicht versagen über seinen Roman mit der »blassen Rose«, er hatte mal etwas Ähnliches in einem Schmöker gelesen. Vorsichtshalber hatte er bei dem Kreuzverhör seiner Tante den Vater am Schlag sterben lassen und die Mutter mit der Tochter in ein entlegenes Ausland abgeschoben.

»Donnerwetter, das war eine Leistung heute, ich möchte mir selbst einen Orden verleihen, natürlich Pour le mérite,« – damit schlief er beruhigt ein.


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