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IX.

In Kerkow, dem Nachbargut von Schönermark, hatten die Jahre große Veränderungen mit sich gebracht. Der Besitzer, Freiherr von Ramin, war im besten Mannesalter durch einen Herzschlag hingerafft, der grausame Tod hatte den glücklichen Familienkreis jäh zerrissen. Sein ältester Sohn Horst wurde sein Nachfolger. Vorläufig leitete seine Mutter mit Hilfe eines Administrators die große Landwirtschaft, und Horst studierte theoretisch und praktisch das Notwendige, das zur künftigen Verwaltung des schönen Besitzes gehörte. Kürzlich hatte er sich verlobt, mit der Tochter des Staatsministers eines Bundesstaates; im Herbst sollte die Hochzeit sein. Auf einer Reise lernte er seine Braut, Adrienne von Gemmingen, in Nizza kennen. Heute, an einem wunderschönen ersten Märztage, erwartete man das Brautpaar mit der Mutter in Kerkow. Die Damen wollten den künftigen Wohnsitz Adriennes besichtigen, um ihre Wünsche in betreff der beabsichtigten Renovierung des sehr alten Hauses kund zu geben.

Edith von Ramin, die jetzt eine erwachsene junge Dame war, sollte mit ihrer Mutter nach dem Einzug des jungen Ehepaares in Kerkow ein Nebenhaus bewohnen, das bis jetzt Inspektorhaus gewesen und zu dem neuen Zweck umgebaut und hergerichtet wurde. Die Baronin konnte sich nicht entschließen, das geliebte Kerkow zu verlassen und den Landaufenthalt aufzugeben, um eine Stadtwohnung zu beziehen. Ihr Verhältnis zu dem Sohn war so herzlich, daß beiden eine Trennung unmöglich schien.

An diesem schönen Märztage war ganz Kerkow festlich zum Empfang der künftigen Herrin geschmückt und vorbereitet. Edith begab sich eben in ein entlegenes Zimmer im oberen Stock, das als Schneider- und Plättstube benutzt wurde, um ein neues Gewand, an dem eine Änderung nötig war, anzuprobieren. Hier saß Nettchen Echtermann an der Nähmaschine eifrig bei der Arbeit. Sie hatte sich seit kurzem in Schönermark selbständig niedergelassen, und die Kundschaft, die ihr zuströmte, zeigte, daß sie damit einem allgemeinen Bedürfnis nach einer gelernten Schneiderin entsprochen und klug gehandelt habe.

Edith begrüßte sie herzlich, und da Nettchen noch nicht ganz fertig war zur Anprobe, setzte sie sich plaudernd zu ihr. Die Kindheitsgespielin genoß bei ihr eine Vorzugsstellung, unbeschadet des Gegensatzes ihrer beiderseitigen sozialen Stellung, deren Grenzlinien für beide selbstverständlich festgelegt waren.

»Nun, Fräulein Nettchen, wie finden Sie sich denn wieder in das Dorfleben? Werden Sie Berlin nicht sehr vermissen?« fragte Edith mit warmer Anteilnahme.

»Ach nein, gnädiges Fräulein, ich passe nicht in die Stadt, ich bin glücklich, endlich wieder daheim zu sein, wenn ich auch in Berlin sehr viel mehr verdienen könnte,« entgegnete Nettchen mit einem strahlenden Blick. Sie hatte immer noch die schönen silberfarbenen Augen, die selbst im Lächeln einen schmerzlichen Schein hatten, als ruhe unbewußt das große Leid der Welt in ihren Seelentiefen.

»Wir müssen alle dafür sorgen, daß es Ihnen hier recht gut geht, damit Sie nicht bereuen, zu uns zurückgekommen zu sein. Ich finde es furchtbar nett von Ihnen, es ist gerade das, was wir brauchen. Wer hätte mir heute aus der Not geholfen und dies gänzlich verpaßte Machwerk brauchbar gemacht, wenn Sie nicht dagewesen wären! Es ist doch nichts mit den fertig gekauften Sachen, aber es blieb mir ja keine Zeit, etwas machen zu lassen, weil Horst uns so spät benachrichtigte. Und diesen großen Damen gegenüber wollte ich doch nicht als Landpomeranze auftreten.«

»Oh, gnädiges Fräulein können anziehen was Sie wollen, es wird immer gut und vornehm aussehen.« Ein ehrlich bewundernder Blick Nettchens umfaßte die blühende Erscheinung des schönen, blonden Mädchens.

»Nun werde ich Sie aber nächstens besuchen, ich muß doch Ihr ›Atelier‹ in Augenschein nehmen, das sicher bald der Stolz Schönermarks sein wird,« rief Edith fröhlich. Und Nettchen erzählte von den beiden Zimmern, die sie gemietet und sich wohnlich eingerichtet habe von ihren Berliner Ersparnissen. Die eigene Nähmaschine sei auf Abschlagszahlung genommen, eine ganz gute. Jetzt sei ihr nächster Wunsch ein Bücherschrank, denn sie habe schon eine hübsche, kleine Bibliothek beisammen. Ihr Fenster sähe in einen blühenden Blumengarten mit einer Weißdornhecke, und die Luft wehe so frisch von der Wiese dahinter. Könnte man wohl solche Herrlichkeiten in Berlin haben? Sie schilderte das dunkle Hinterzimmer bei Frau Löffler in dem Modes de Paris, wo auch am Tage das Gas brannte. Ja, wenn sie ihren Dachgarten nicht gehabt hätte, wäre es schlimm gewesen. Edith fragte interessiert nach diesem Dachgarten, und Nettchen gab eine so lebendige Beschreibung von ihrer Kürbislaube zwischen den Schornsteinen mit dem wunderbaren Ausblick über die Riesenstadt in die Himmelsweiten, als habe sie Zaubermärchen dort oben erlebt.

Edith war entzückt, obgleich sie zuerst über die Schornsteine und über die Kletterei aus dem Fenster gelacht hatte.

»Aber Sie waren wohl sehr einsam dort oben?« fragte sie mitleidsvoll.

»Nicht, so lange Ernst Starkeband in Berlin war. Ihm war auch mein Dachgarten lieber als die Kinos und die Bierlokale, er kam jeden Sonntag und ab und zu in der Woche.«

»Ernst Starkeband? Ach, wo ist er denn jetzt?«

Vor Ediths Augen tauchte eine fast vergessene Gestalt auf. Sie war ja damals als Kind ein wenig verliebt in ihn. Ein paar lachende Braunaugen sahen sie an, als wäre sie ein Heiligenbild, eine Märchenprinzessin. Und dann wurde mit einem Mal der ganze Mensch lebendig – draußen im Kornfeld zwischen den Schnittern – wie er spielend die Sense schwang – Gesicht und Arme wie aus goldbrauner Bronze – und im Sattel – eins mit seinem Pferde!

Nettchen erzählte. Ihre Stimme wurde weich und ihre Augen leuchteten. Jetzt sei er noch auf einem großen Gut in Pommern, aber zum ersten April komme er nach Schönermark zurück, als Administrator bei Fräulein von Dahlwitz, denn ihr alter Inspektor Borges wolle sich jetzt zur Ruhe setzen. Es sei auch höchste Zeit, daß die Wirtschaft in junge Hände käme. Und Edith erfuhr noch, daß sie nach seinem Fortgang von Berlin in Korrespondenz mit ihm geblieben und daß sie sein »Mütterchen« sei. Er habe doch seine Mutter so früh verloren, erklärte sie ein wenig verschämt.

»Ach ja, die Mutter wurde verrückt und der Vater verunglückte – ich erinnere mich – dann nahm ihn Pastor Wegerich an, das war doch ein großes Glück für ihn,« bemerkte Edith nachdenklich.

»Aber die Mutter kann doch niemand ersetzen,« sagte Nettchen mit sanftem Widerspruch.

Edith dachte im stillen, diese beiden, der junge Inspektor und Nettchen, würden wohl mal ein Paar werden, und sie sah sich die Jugendgespielin etwas genauer an. Hübsch war sie nicht gerade, aber sie hatte ein liebes gescheites Gesicht und so schöne Augen. Auch wußte sie sich nett und zierlich zu kleiden, so einfach sie war in Bluse und grauem Röckchen, und ihre kaum mittelgroße Gestalt hatte weiche, schmiegsame Linien.

Zum erstenmal in ihrem Leben ging als flüchtiger Gedanke ein Bedauern durch Ediths Seele, nicht so frei und selbständig zu sein, wie diese kleine Schneiderin. Entzückend, wie eine Idylle, die zwei Stübchen über dem Blumengarten und – und – dazu einen Liebsten wie Ernst Starkeband! Diese beiden brauchten wohl niemand um Erlaubnis zu fragen.

Die Anprobe war nun so weit, und Edith sah so schön in dem blaßblauen Frühlingskleid mit breitem, weißseidenen, malerisch geschlungenen Schärpengürtel, aus, daß Nettchen ihre Bewunderung nicht zurückhalten konnte. Fast schmerzlich empfand sie diese Schönheit, aus einem verborgenen, unklaren Ahnungsvermögen ihrer Seele heraus, obwohl kein häßlicher Neid bei ihr aufkam.

»Das verdanke ich nur Ihnen, Sie sind ein kleines Genie, Sie goldenes Nettchen, es ist fabelhaft, was Sie aus dem unmöglichen Monstrum gemacht haben! Das nächste Kleid bestelle ich bei Ihnen, und ich werde Ihr Lob im ganzen Lande singen. Ich ernenne Sie hiermit feierlich zu meiner Geheimen Obersten Kleiderrätin,« rief Edith beglückt über ihr anmutiges Spiegelbild. Und dann verabredeten sie eilig Tag und Stunde für Ediths Besuch in Schönermark, denn fernes Wagenrollen verkündete die Ankunft des Brautpaares, und die Baronin rief unten an der Treppe nach der Tochter.

Am Abend dieses Tages, als Edith allein in ihrem Schlafzimmer war, saß sie lange regungslos an ihrem offnen Fenster und ließ den Kopf hängen wie noch nie in ihrem Leben. Sie hatte das Gefühl, als sei der Himmel ihrer schönen Jugend über ihr eingestürzt. Als sei ihr die Tür ihres Kindheitsparadieses vor der Nase zugeschlagen und sie stände draußen in der Öde.

Das also war Horsts Braut und die künftige Herrin von Kerkow! Vom ersten Augenblick an überkam sie ein Frösteln mit der dunklen Ahnung, hier würde in Zukunft kein Platz mehr für sie sein, auf dem sie frei atmen und gedeihen könne. Nicht weil Mutter und Tochter ganz große Weltdamen waren und mit der Miene souveräner Fürstinnen auftraten – o nein – auf diesem Gebiet war sie ihnen gewachsen – sie kehrte sofort die Herrentochter großen Stils heraus – aber weil auf jener Seite kein Wohlwollen für sie war. Frauen haben für gegenseitige Abschätzung einen feinen Instinkt, der an Allwissenheit grenzt.

Nach kurzem Beisammensein wußte Edith: diese Adrienne mag dich nicht, weil du schöner bist als sie. Die Braut war zwar pompös und blendend aufgemacht, doch es war eben Mache, das Gottesgnadentum der Schönheit blieb ihr versagt. Und wenn sie ihren Spiegel befragte, was recht häufig geschehen mochte, würde er ihr immer und zu jeder Stunde die Wahrheit sagen müssen: »Edith ist tausendmal schöner als du!« Das vertragen aber solche Frauen nicht, die einen raffinierten Kultus mit ihrer äußeren Erscheinung treiben.

Der arme, gutmütige Horst! Er ist ja heute schon wie ein dressierter Pudel vor diesen Damen, dachte Edith, und es wurde ihr zur Gewißheit, daß sie und sogar die von ihm über alles geliebte Mutter nie mehr einen Rückhalt an ihm haben würden. Und da war noch eins, das sie mit Kummer und Zorn erfüllte. Es ging um das Haus, das alte geliebte Vaterhaus!

Gegen Abend in der Dämmerstunde war es gewesen, als sie unfreiwillig Zeugin eines Meinungsaustausches zwischen Frau und Fräulein von Gemmingen wurde. Sie stand oben in der offenen Schrankkammer, um einige der kostbaren Spitzendecken für die Abendtafel aus dem Kasten zu nehmen, als Mutter und Tochter den langen Gang, der zu ihren Zimmern führte, dahergerauscht kamen.

» Mais c'est affreux, Horst kann dir unmöglich zumuten, in diesem entsetzlichen, veralteten Kasten zu wohnen. Ein völliger Umbau und eine zeitgemäße Restauration von außen und innen wäre jedenfalls Bedingung,« bemerkte die alte Exzellenz. Adrienne lachte ein kleines, spöttisches Lachen.

»Dafür laß mich nur sorgen, maman Mérie, es wird hier manches anders werden, verlaß dich darauf.« Die Damen hatten noch unter sich geflüstert und gelacht, ehe sie in ihren Zimmern verschwanden, und Edith war das Blut in den Kopf gestiegen, als würde sie persönlich verspottet.

Gott steh mir bei, ich muß mich verheiraten, so schnell ich kann, um hier fortzukommen, dachte sie bei sich im Raunen des Nachtwindes, der Zwiesprache mit den alten Ulmen und Linden vor ihrem Fenster hielt.


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