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Zwölftes Kapitel

Dori hatte eben ein vollgepacktes Körbchen an den Arm genommen und den runden Hut von der Wand heruntergeholt. Es war ein hellsonniger Nachmittag, heute konnte sie den Schattenhut brauchen.

»Wenn du nur auch den Weg findest, Dori! Wäre nicht das lange Bergansteigen, ich käme doch mit dir, aber mein Husten macht mir so eng«, sagte Dorothea.

»Keine Rede davon, Mutter!« wehrte Dori, »den Weg find ich schon, und deinen Husten mußt du erst einmal wieder verlieren, nie hast du so etwas gehabt bei uns daheim. Und ich bin auch gar nicht allein auf dem Wege, ich geh' mit einer solchen Freude im Herzen und so vielen Gedanken im Kopf, daß mir der Weg ganz kurz vorkommen wird. Du weißt nicht, was mir heute unser Herr Doktor wieder Schönes gelesen hat und was er mir nachher von der Geschichte Italiens alles erzählt hat, als ich ihm das lange Gedicht über Italien vorgelesen hatte. Er verstand es natürlich viel besser als ich und hatte mir tausend Dinge darin zu erläutern. Er ist zu gut, daß er sich so mit mir abgibt, alle Augenblicke muß er wieder neu entdecken, wie furchtbar dumm und unwissend ich bin. Manchmal, wenn wir irgend etwas danach lesen, kommt mit einemmal ein so trauriger Ausdruck auf sein Gesicht, daß es mir zu leid tut; vielleicht hattest du doch recht mit dem Kummer. Ich möchte dann so gern ihn fragen, ob ich denn nicht auch irgend etwas für ihn tun könnte, das eine Freude für ihn wäre, etwas, das ihm das Herz leicht und froh machen könnte! Er gibt mir so viel und macht mich so reich und froh! Aber ich kann gewiß nie in meinem Leben etwas für ihn tun.«

»Du wirst doch nie so etwas zu ihm sagen, das darfst du nicht tun«, sagte Dorothea ängstlich; »er will gewiß nicht, daß man sich um seine persönlichen Sachen kümmere.«

»Nein, nein, das tu' ich ja nicht, Mutter! Nur keine Sorge, ich weiß viel zu gut, daß er denken müßte, es sei frech, daß eine solche Null, wie ich bin, etwas für ihn tun wollte. Nun will ich aber gehen.« Damit machte Dori rasch die Tür auf und stieß beinahe mit Niki Sami zusammen, der eben durch die Öffnung eintreten wollte.

»Tu du nur zahm! Wohin willst du denn schon?« fragte er, den Ausgang versperrend.

»Laß mich hinaus, ich habe schon zu lang gezögert«, sagte Dori eilig. »Ich muß nach Avrona hinauf, es ist Zeit, daß ich fort komme.«

»Ich komme mit«, entgegnete Niki Sami schnell, machte ganze Wendung und rasch ging es die Halde hinab, über die hölzerne Brücke und weiter, dem Waldwege zu. Dori eilte voran, der Begleiter lief hinterher, grollend, daß ein solcher Schritt angeschlagen wurde.

»Du wirst wohl zahmer tun, wenn wir im Wald sind und es so steil bergauf geht, daß man's lieber besser hätte«, rief Niki Sami der Eilenden zu, als sie nun auf dem schmalen Waldweg angekommen waren. Dori lief zu. Nun ging es durch den Wald den Berg hinan. Aber jetzt rannte Dori nicht mehr gerade aus. Auf einmal stürzte sie rechts in den Wald hinein und schrie vor Freuden: »O, diese Anemonen! O, die herrlichen Blumen! Und diese Fülle! O könnt ich sie doch mitnehmen! Und dort, was sind denn das für Blumen? Wie weiße Nelken, die muß ich sehen!«

Schon war Dori wieder über den Weg gerannt und auf der anderen Seite zwischen den Bäumen verschwunden. »O, hätt' ich doch den Korb leer! Alle nähm' ich mit, alle!« schrie sie wieder hinter den Bäumen hervor. »O und die blauen Veilchen hier noch, so viele! So viele!«

»Komm doch einmal aus dem Gestrüpp heraus«, rief Niki Sami ärgerlich, »so kommt man ja nicht vorwärts!«

»Du hast recht, ich komme«, rief Dori zurück, rannte aber noch nach allen Seiten durch den Wald hin und kam erst weit oben auf den Pfad zurück. Nun hatte Niki Sami erst recht nachzukeuchen, denn er hatte auf Dori gewartet und nicht gesehen, wie diese trotz ihrer Umwege so weit hinaufkam, daß er sie plötzlich hoch über sich erblickte. Ganz heiß und voller Verdruß kam er oben auf der Wiese an, wo nahe am Waldhaus Dori seiner wartete, da und dort noch nach den jungen Wiesenblümchen auslaufend.

»Jetzt wollen wir einmal miteinander gehn, so kann man etwas sprechen zusammen«, sagte Niki Sami, oben angekommen sich die Stirne wischend, »so ist das Spazieren mit dir keine Freude.«

»Nicht? So komm, nun muß es gleich wieder in den Wald hineingehen. Mich wundert, was es dort wieder für Blumen hat«, sagte Dori, auf den Weg hinaustretend, den sie wohl kannte und liebte, der vom Waldhaus vorüber zu der Villa führte, in deren Garten Dori an den lieblichen Frühlingsabenden oft lange Gespräche mit ihrem Freunde Melchior geführt hatte.

»Nicht dorthin, hier geht der Weg nach Avrona hinauf«, sagte Niki Sami, als Dori, dem wohlbekannten Garten zusteuernd, immer vorwärts ging.

»Ach, da geht der Weg hinauf, das hätte ich nicht gewußt«, sagte Dori, in den schmalen Wiesenpfad eintretend. »Ich wäre bis zur Villa gegangen, dort arbeitet der Gärtner Melchior, der hätte mich weisen müssen. Aber es ist besser so, mit ihm habe ich immer so viel zu reden, daß die Zeit vergeht, ohne daß ich's merke.«

»Was weiß denn auch dieser alte Knollenschaufler zu reden, daß du ihm nur zuhören magst«, sagte Niki Sami voll Ärger.

»Was der weiß? Was der weiß!« wiederholte Dori kampfbereit. »Mehr weiß er und viel Besseres, als mancher Junge, der meint, er stehe haushoch über dem Alten!«

»Kennst du denn so manchen Jungen hier herum?« fragte Niki Sami forschend.

»Nein, nicht manchen«, gab Dori zurück.

»Wen kennst du denn?« forschte der Vetter weiter.

»Weißt du, Niki Sami, es heißt, man kenne keinen, mit dem man nicht einen Scheffel Salz zusammen gegessen hat«, warf Dori hin.

»Dori«, sagte Nili Sami in vertraulichem Ton, »sag' mir nun einmal etwas! Mit wem möchtest du gern so lang zusammen sein, bis man einen Scheffel Salz miteinander gegessen hätte, so daß man sich dann auch genug kennen würde?«

»Gerade mit dem Gärtner Melchior«, entgegnete Dori ein wenig lachend, »so könnte ich denn doch einmal genug reden mit ihm.«

Niki Sami zuckte verächtlich und voller Ärger die Achseln. Sie waren nun auf dem Zickzackwege angekommen, der durch den Wald gegen Avrona hinaufsteigt. Dori fing wieder zu laufen an. Aber diesmal war ihr Begleiter entschlossen, nicht zurückzubleiben. Er mußte aber tüchtig ausziehen, um nachzukommen, und die starken Bewegungen hatten ein anhaltendes Rasseln in seinen schweren Taschen zur Folge. Plötzlich warf Dori ungeduldig den Kopf zurück und rief: »Niki Sami, sobald ich heimkomme, fange ich einen Geldbeutel für dich zu stricken an, so gibt es nicht mehr bei jedem Schritt, den du tust, das unausstehliche Gerassel in deinen Taschen.«

»Das Gerassel ist nicht so unausstehlich für den, der es in der Tasche hat, das kannst du schon noch erfahren, und wenn du einen Geldbeutel machen willst, so mach ihn fest und groß genug, sonst kann ich ihn nicht brauchen.« Niki Sami kicherte vergnüglich über diesen Einfall.

Bei der Bank auf dem freien Punkt, wo die Aussicht weit ins Tal hinab und hinüber nach der grünen Höhe von Fettan offen liegt, stand Dori still und schaute rund um. Eine Glocke erschallte durch die große Stille von Fettan herüber. Dori lauschte. Ein fernes Glockenspiel ertönte durch ihr Inneres. Sie hörte über sich die vollen Wipfel der Kastanienbäume rauschen und schaute durch die sonnig leuchtenden Zweige in die tiefe Bläue des Himmels hinein. Dori war weit weg mit ihren Gedanken, was sie schaute, war nicht hier. Jetzt hob sie den Kopf empor. Der Himmel drüben über Fettan war schon wieder etwas grau geworden, die schwarzen Tannen erhoben ihre dunklen Spitzen auf dem grauen Grunde. Die Glocke war verhallt.

»Wie war es so schön!« sagte Dori, wie erwachend vor sich hin.

.

»Nicht so gar«, meinte Niki Sami. »Sitz auf die Bank nieder, wir wollen einmal ein Wort reden miteinander.«

Aber Dori war schon wieder auf dem Wege und stieg aufwärts. »Wo denkst du hin, wir kämen ja viel zu spät hinauf«, rief sie zurück. »Komm nur weiter, wir können ja genug miteinander reden auf dem Weg.«

Aber der Weg wurde immer noch ein wenig steiler und Dori lief wie ein Reh bergan. Der Vetter, der nicht so leicht war, wischte sich alle Augenblicke die großen Tropfen aus dem Gesicht und hatte genug mit dem Atemholen zu tun, zu reden hatte er selbst keine Lust mehr.

Da lagen endlich die wenigen Wohnungen von Avrona an der grünen Berghalde vor ihnen. Eben fiel ein freundlicher Sonnenstrahl auf die grauen Häuschen und schimmerte über die grünen Abhänge hin, wo die Hühner friedlich herumgackerten.

»O hier sieht es so eigentümlich aus, und die Sonne kommt auch wieder heraus«, rief Dori erfreut, indem sie stille stand und mit tiefem Wohlgefallen das einsame, wie von aller Welt abgeschiedene Fleckchen von Avrona betrachtete, das ein lieblich ernster Ton umwehte.

»Wo willst du hin? Hoffentlich dorthin, wo man etwas Nasses zum Schlucken bekommt, ich bin ausgetrocknet genug«, sagte Niki Sami, seine glühenden Wangen trocknend.

Dori meinte, er solle nur in das Schenkhäuschen eintreten, sie habe im unteren Hause einer alten Frau, einer Bekannten der Mutter, einen Kuchen zu bringen, den diese gebacken hatte, und ihr zu sagen, daß die Mutter sie besuchen wollte, sobald es ihr einmal möglich sei. Ganz dasselbe hatte Dori nachher in Fontana zu tun, wie sie dem Vetter mitteilte, denn die Mutter wollte die alten Frauen nicht solange ohne Nachricht von ihr lassen, nun sie wieder im Lande war, und sobald konnte sie doch wohl die fernen Besuche nicht machen, da sie sich nicht wohl genug fühlte. Dori versprach, sich nicht lange aufhalten zu wollen und den Vetter in kurzer Zeit im Schenkstübchen abzuholen. Sie hielt Wort und eine halbe Stunde nachher stiegen die beiden auf der andern Seite die Höhe hinan, gegen den dunklen Tannenwald hinauf.

»Weißt du den Weg über den schwarzen See? Den möchte ich so gern sehen«, sagte Dori.

»Da ist nichts zu sehen«, brummte Niki Sami, »und der Weg ist weiter als der andere.«

Aber Dori sagte, sie könne schon laufen, und sie haben auch Zeit genug; sie wollte nun gern den Weg machen, da sollten ja so viele schöne Blumen zu finden sein.

Niki Sami schlug ein wenig knurrend den schmalen Weg nach links über die Weide ein.

Es war, wie Dori erwartet hatte, sie schrie laut auf vor Freude: »Sieh! Sieh! dieses Enzianfeld, wie ein blauer See! Und drüben die roten Bergveilchen. Und dort die nickenden Heideröschen!« Dori war schon weit weg und hörte nicht auf des Vetters Schimpfworte, mit denen er alle blauen und roten Blumen bewarf. Mit einem ungeheuren Strauß der nickenden, leuchtenden Blumen kehrte Dori wieder auf den Pfad zurück.

Nun ging es eine kurze Zeit am See hin, dann lenkte der Vetter unter die Tannen ein. Da könne man nun schön im Schatten spazieren, sagte er, und wenn man hinaus käme, sehe man gerade nach Fontana hinunter.

Aber kaum waren die zwei auf dem schattigen Spazierweg einige Schritte gegangen, als Dori wie ein abgeschossener Pfeil zwischen den Bäumen durch in den Wald hineinstürzte. Sie hatte wieder etwas erblickt: dort standen in ganzen Büscheln die hellroten Anemonen, ihre Lieblinge mit den weit offenen Augen voller Sonnenverlangen. Das war zu schön und zu lockend, und Dori hatte ja den einen Kuchen abgeladen, sie konnte einen ganzen Strauß der herrlichen Blumen in ihren Korb legen und heimbringen. Auch die Mutter mußte sie ja kennen und die Freude daran mit ihr teilen!

Niki Sami knirschte mit den Zähnen vor Grimm. »Wenn doch nur gleich ein rechtes Hagelwetter alle Blumen von Schills bis nach St. Moritz hinauf sechs Klafter tief in den Boden hineinschlüge!« schrie er in den Wald hinein.

»Tut nichts, Niki Sami, tut nichts!« rief Dori zurück, »der liebe Gott läßt nachher seine Sonne aufgehen und husch, schießen sie wieder zu Scharen aus dem Boden hervor und machen die lachenden Augen auf.« Und Dori lachte selbst auf vor Freude über alle die lachenden Anemonen und die weißen Sternblumen zu ihren Füßen und steckte den ganzen Korb voll.

Niki Sami ging erbost weiter. Aber jetzt hatte er einen Gedanken. Er wußte, bei welcher Stelle Dori anhalten würde. Bis dorthin lief er und setzte sich am schönsten Punkt auf den Boden hin.

Als Dori ankam und auf die freie Höhe heraustrat, stand sie verwundert still. »O wie schön!« rief sie aus. »Ist das Fontana dort unten?«

Der Vetter nickte bejahend.

»O wie schön das alte Schloß auf der Höhe! Und dort droben gewiß die Ruine von Steinsberg, wo die wilden Rosen sind. O, hier ist's schön! Und nun färbt sich auch der Abendhimmel dort über der Ruine. O das bringt mir einen andern alten Turm vor Augen, wie er so auf dem leuchtenden Abendhimmel stand.«

»Komm hierher und sitz ein wenig nieder, hier kannst du alles sehen und man kann einmal ein Wort miteinander reden«, sagte der Vetter.

Dori gehorchte. Die Luft war so mild und der Abend noch so hell.

»So«, fuhr Niki Sami fort, »jetzt kann man doch einmal ruhig miteinander reden.«

Eine kleine Weile war es still. Doris Gedanken waren weit weg, der alte Turm von Steinsberg, der drüben sich in den Abendhimmel erhob, ließ immer lebendiger vergangene, lichte Abende vor ihren Augen aufsteigen.

Niki Sami hatte auch noch ein wenig nachzusinnen, wie er nun anfangen wolle mit dem, was er zu sagen hatte, da endlich die ruhige Zeit da war.

»Die Kirche in Schuls steht doch viel schöner als die in Fontana«, sagte Dori nach einer Weile des Schweigens. »Ist das ein kleines Kloster oder ist es das Pfarrhaus, was dort nahe bei der Kirche steht?«

»Das weiß ich nicht, es kann dir auch ganz gleich sein, was es sei«, rief Niki Sami ärgerlich aus, »oder willst du den Pfarrer hier auch noch beraten, hast du nicht genug an dem alten Prädikanten in Schuls, der nie fertig wird?«

»Nun will ich kein einziges Wort mehr über den Herrn Pfarrer in Schuls von dir hören!« fuhr Dori den Vetter in einer Weise an, daß er ganz erstaunt aufsah. »Du weißt nichts Böses von dem Manne und ich viel Gutes.«

»Tu doch nicht gleich wie wild«, sagte Niki Sami, »man wird doch noch ein Wort sagen dürfen, der Pfarrer sagt auch manches.«

»Dort geht der Herr Doktor, sieh!« rief Dori erfreut aus, auf den Wiesenweg deutend, der unter dem Schloßhügel hinführt. »Sieh, wie leichtfüßig er ist, wie ein Hirsch. So läuft er immer, ich glaube, vor lauter vielen Gedanken sieht er gar nicht, was um ihn her ist.«

»Laß du den doch laufen! Dem brauchst du gar nicht nachzuschauen. Um einen solchen, der immerfort Augen macht, wie ein losgelassener Leu, brauchst du dich nicht zu lümmern.« Niki Sami war ganz zornig.

Dori lachte: »Diesmal hast du etwas Rechtes gesagt. Weißt du, was der Leu ist in seinem Reich? Der König ist er. Und das ist unser Herr Doktor in seinem Reich, ein König, so gleicht er dem Leu.«

»Ein König in seinem Reich!« wiederholte Niki Sami höhnend, »ja, so einer wie der König im Kartenspiel, das ist vielleicht sein Reich.« Niki Samis Zorn war wieder verflogen, er mußte laut auflachen über seinen Fund.

Dori war aufgesprungen. »Jetzt hab' ich genug von deinen Gesprächen«, rief sie ihm zu und rannte den Berg hinunter.

Auch Niki Sami stand nun auf und lief nach, für einmal war nichts anderes für ihn zu tun. Unten in Fontana beim großen Gasthaus an der Straße stand er still, Dori lief zu. »Hier muß sie wieder zurückkommen, sie hat keinen andern Weg«, sagte er bei sich, blieb aber aus Vorsicht draußen vor dem Hause, wo ein Tisch vor der langen Bank stand. »Sie könnte am Ende ungesehen vorbeischießen in ihrer Hast«, dachte er und ließ sich nun geruhlich zu einer guten Erfrischung nieder.

Länger als in Avrona blieb Dori aus, denn die alte Bekannte der Mutter hielt sie auf, sie wollte so viel vom Leben der Mutter im fremden Lande wissen. Die Enkelin der Frau, die mit Spannung den Mitteilungen zugehört hatte, fragte am Schluß, ob sie Dori ein wenig begleiten dürfe. Diese nahm den Vorschlag mit großer Freude an und ermunterte das junge Mädchen, nur recht weit mitzukommen.

Als die beiden Mädchen dem Gasthaus nahe kamen, stand Niki Sami auf. Dori ging zu ihm hin und teilte ihm mit, daß sie nun eine Begleiterin habe, er möge nur ruhig sitzen bleiben, so lang es ihm gefalle. Sie wollte auch nicht, daß er den Weg wieder mit ihr zurückmache, er konnte ja einen viel kürzern, direkt nach Ardez hin einschlagen.

»Kommt denn die mit dir bis nach Schuls hinunter?« fragte der Vetter ärgerlich.

Dori meinte, sie habe es im Sinn, und Niki Sami überlegte im stillen seine Aussichten und zog sich endlich brummend auf seine Bank zurück, nachdem ihm Dori eine gute Heimkehr gewünscht und sich dann der Begleiterin wieder angeschlossen hatte. Diese mußte nun erzählen, wie sie ihr Leben mit der alten Großmutter zubringe, erst im Winter und dann im Sommer, und als sie dann durchaus Doris Korb tragen wollte und bemerkte, daß er voller Blumen war, begann eine neue Schilderung. Sie fing an, von der nahen Alp zu erzählen, auf der nun bald die Alpenrosen aufgehen würden, so daß sie ganz rot werde und so schön herunterschimmere, daß man gar nicht anders könne, als hinaufsteigen und ganze Sträuße von den roten Blumen herunterholen. Dann müßte Dori jedenfalls einmal kommen und mit hinaufklimmen; da würde sie erst einmal Freude haben, in den Alpenrosenfeldern herumzusteigen und ihren Korb mit den Blumen zu füllen. Unter dem lebhaften Gespräch waren die Mädchen unvermerkt gegen Schuls hingekommen, und Dori nötigte nun die Begleiterin, umzukehren, damit sie nicht ganz in die Nacht hineinkomme, sie selbst hatte ja nur noch einen kurzen Gang bis nach Haus zu machen. Mit fröhlichem Gesang legte Dori die letzte Strecke ihres Weges zurück und schüttelte nun voller Freuden ihre Blumenfülle vor der Mutter auf den Tisch aus.

.

Niki Sami kam daheim ganz trotzig zur Tür herein, so, als wollte er sagen: »Ich will schon noch zeigen, wer ich bin.« Er setzte sich auf die Bank am Fenster und fing zu pfeifen an.

Eine kleine Weile schaute der Pate ihn schweigend an; endlich sagte er etwas grimmig: »Nu, muß man dich auspressen wie einen sauren Apfel, wenn der Saft herauskommen soll?«

»Nichts auszupressen«, war die kurze Antwort.

»Was nichts! Du wirst wohl etwas gefragt und sie etwas geantwortet haben.«

»Hab' ich nicht und sie auch nicht.«

Jetzt riß der Pate seine Pfeife aus dem Munde, was eine große Erregung bei ihm bedeutete. »Was sagst du? Nicht gefragt hast du?« rief er, viel lauter, als seine Gewohnheit war. »Habe ich so etwas in meinem Leben gehört! Da bleibt er sechs Stunden lang bei ihr, um ein einziges Wörtlein zu ihr zu sagen, und kommt heim und hat's nicht gesagt!«

Jetzt fuhr auch Niki Sami auf: »Ihr habt gut reden, dort auf Eurer Ofenbank! Ihr wißt gar nicht, wie die ist! Ihr solltet's nur einmal selber mit der probieren! Die –«

»So, meinst du?« unterbrach ihn der Pate. »Hätte ich meine vierzig Jährlein weniger auf dem Rücken, ich wollte dir schon zeigen, wie man's macht!«

»Mit der kann man nichts machen«, rief Niki Sami wieder. »Da fährt sie erst rechts und links wie ein Kreisel herum, schießt in alle Büsche hinein, und hat man sie einmal zum Stehen gebracht und sagt nur ein einziges Wort gegen einen lumpigen Gärtner, oder einen alten Pfarrer, oder einen herumstreichenden Doktor, so fährt sie gleich auf wie eine wilde Katze und läuft einem davon.«

»Ich habe auch noch nie gehört, daß man zu einem Heiratsantrag vom Gärtner und vom Pfarrer und vom Doktor zu reden braucht«, fiel der Pate immer noch in ungewöhnlicher Aufregung ein. »Ein Sumpfhuhn bist du, und zu keinem Regenwurm, geschweige zu einer Frau kommst du, wenn man dir nicht vormacht, wie man sich dazu anstellen muß. Nun machst du dich morgen früh auf die Sohlen und gehst nach Schuls hinunter. Dort stellst du dich vor deine Base Dori hin und fängst an zu sagen, was du ihr zu sagen hast, und gibst nicht nach, bis es heraus ist. Das ist der Weg, aber zum Gärtner, und zum Pfarrer und zum Doktor führt er nicht. Und wenn du die Worte nicht kennst, mit denen man sagt, was man meint, so kann ich dir sie auch noch vorsagen! Du sagst: ›Willst du meine Frau werden, Dori?‹ Ist das deutlich oder nicht, für dich und sie?« Jetzt hatte der Pate fertig geredet. Er steckte seine Pfeife wieder in den Mund und sagte kein Wort mehr.

Niki Sami hatte mit einemmal ein ganz neues Gesicht aufgesetzt. Der Weg war doch so ungeheuer einfach, den ihm der Pate eben gezeigt hatte, er konnte gar nicht mehr begreifen, daß er ihm heut so schwer vorgekommen war. Nichts Einfacheres in der Welt, als die paar Worte sagen, morgen wollte er's schon anders machen. Auf einmal pfiff Niki Sami aus einem ganz neuen Ton drauf los, so als wollte er sagen: »Jetzt soll es einer mit mir aufnehmen!«


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