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Behemoth

I

Und als nun ohne Anhalt, wie seit Ewigkeiten,
Der leise Zug der Sommer- und der Winterzeiten
Vorüberschritt in langer Reihe Jahr um Jahr,
Harmlos von vorn gesehen, lieblich lächelnd gar,
Doch alles Leben wundend mit der Hinterzehe,
So daß die Menschen zu einander seufzten: Wehe!
Der Kopf, woraus du schaust, mit seinen grauen Haaren,
Bist du das? Schmach der Kränkung, die dir widerfahren! –
Sieh da: vor Epimetheus eines Abends stand
Der Engelgottes, schwertumhängt, im Kriegsgewand.
«Merk auf und hör!» begann er. «Meines Amts Gebot
Zwingt mich – gern tu ichs wahrlich nicht, allein 's ist Not –
Ins weitentlegne Himmelshinterland zur Wehr
Ins Feld zu ziehn mit dem gesamten Engelheer,
Drum bis ich aus dem fernen Kriege bin zurück,
Ruht ganz allein auf dir des Gottesreiches Glück.
Gleich wie im Himmel aber hat auch die Gemeinde
Des Gottesreichs auf Erden ringsum schlimme Feinde,
Die, ob sie schon aus Furcht sich hinterm Berg verstecken,
Beständig durchs Gebüsch die gierigen Hälse strecken,
Fortwährend spähend hinterrücks nach meinen Waden,
Ob es gelinge, unversehens mir zu schaden.
Wo die Gefahr am größten, geb ich jetzt dir kund:
Dem Gottesknäblein, das da schläft im Tempelgrund,
Meinem unschuldgen guten Kind in Sonderheit
Hat ihre Bosheit mörderischen Haß geweiht.
Wie harmlos schon und schwach es ist, wie still verborgen,
Es lebt, sein bloßes Dasein schafft der Bosheit Sorgen.
Weils sanft, weils schön und edel ist, weils lacht und blüht,
Genug zum Hasse für ein teuflisches Gemüt.
Drum nimm vor ihrer tückischen Arglist dich in acht.
Halt treulich an den Landesgrenzen scharfe Wacht.
Vor allem schütze mir mein Kind im Tempelgrund,
Und wie dein Auge hüt den Tempelschlüsselbund.
Kurz, für das Wohl des Gottesknäbleins sei beflissen
Und folg in allem deinem Lehrer, dem Gewissen,
Daß besser du bestehest diese zweite Probe
Und, wenn ich wiederkehre, dich mein Urteil lobe.»

Von Mannestatmut strahlten Epimetheus' Mienen:
«Willkommen! Deinen Lobspruch hoff ich zu verdienen.
Kein Feind soll meine scharfe Wachsamkeit betören.
Die Mahnung des Gewissens will ich folgsam hören.
Das Gotteskind wird meinen starken Schutz erfahren.
Die Tempelschlüssel werd ich sicher aufbewahren.»

Der Engelgottes schied hiemit und brach hierauf
Mit seinem Engelheer zum fernen Feldzug auf,
Indessen Epimetheus, von Gehorsam heiß,
Vorsicht und Wacht betätigte mit Eiferfleiß.
Zum ersten ließ er in sein Schlafgemach daheim
Von einem treuen Schlossermeister insgeheim
Aus hartem Stahl ein Kästlein in die Mauer bauen,
Kunstreich verhohlen, keinem Blicke zu erschauen,
Und fest, daß List und Kraft daran verenden mußte,
Nur dem sich öffnend, welcher das Geheimnis wußte.
Verbarg die Schlüssel in des Kästleins schwarzen Schlund:
Nun schlaf getrost, du heiliges Kind im Tempelgrund!
Dann trug er Sorge für die Grenzensicherung,
Ritt um die Landesmarken jeden Morgen jung,
Prüfte die Wächter und besichtigte die Posten,
Ob nicht die Augen schlummern und die Waffen rosten.
Auch pflanzt er auf dem Burgwall einen Amboß auf
Und hämmerte mit aller Leibeskraft darauf,
Um durch den kriegerischen Rassellärm von Eisen
Dem Feind Entschlossenheit und Tatkraft zu beweisen.
Und Nachts vom Turme blies er durch ein grausig Horn
Als Drohung: «Hände weg! Die Augen hab ich vorn!»
So daß die Menschen, blinzelnd von der Kegelbahn,
Wenn sie den König so von Eisen tapfer sahn,
Frohlockten: «Wohl! Wir können uns des Friedens freuen,
Denn unser König wacht!» Und kegelten des neuen.

Doch gleich dem Wolfe, der mit eingezognem Schweife
Rings um den Schafpferch zieht die mitternächtige Streife,
Versuchend, ob nicht irgendwo im Zaun der Hürde
Vielleicht ein Sparren mangle, daß ihm Durchschlupf würde,
So schlich arglistig längs der äußern Schanzenwehr
Der Menschenmark der falsche Behemoth umher.
Doch Leid! wohin er auch den krummen Schleichgang drehte,
Wie scharf er lauscht und gierig durch die Büsche spähte,
Fröstelnd und hüstelnd in der nebelfeuchten Nacht,
Die Grenzen fand er allerorten wohlbewacht,
Von trotzigem Mauerwerk die Hügelkämme feste,
Das Tal mit bäumigen Schranken zugesperrt aufs beste.
Drob dämmerte der Tag. Jetzt keine Hoffnung mehr!
Und zähneknirschend dacht er schon an Wiederkehr;
Und nur zum Abschied schickt er von der Felsenwand
Noch einen Seufzer nach der Stadt im Menschenland,
Die wie ein Kuchen bot im Morgenduft sich dar.
Doch sieh, welch staunlich Schauspiel ward ihm offenbar!
Von allen Gassen quirlten aus den Dachkaminen
Rauchwölklein in den blauen Himmel über ihnen.
Und in den Wölklein fuchtelte mit tausend Armen
Ein kläglicher Gebärdenbettelchor: «Erbarmen,
Ihr lieben Leute! Mitleid! Laßt euch doch beschwören:
Ist denn auf Erden niemand, der uns mag betören?»

Die Brauen hochgezogen, überraschungstumm,
Kehrte der Behemoth mit neuer Hoffnung um
Und stieg hinab ins Wäldchen am Zweiländerrain,
Der wie ein Keil sich schiebt ins Menschenland hinein,
Bis an die Länderstraße, daß er aus der Nähe
Des Menschenvolkes üblich Tun und Treiben sähe.
Dort, hinter eines Eichenstammes mächtiger Mauer
Stellt er sich auf und hielt geduldig auf der Lauer.

Und lange währt es nicht, so kam von ungefähr
Er selber, Epimetheus, unterm Wald daher,
Der kriegerisch auf hohem Roß mit stolzem Schritt
Zur Grenzbesichtigung die Landesmark umritt.
Und war vom Scheitel bis zum Fuß ein ganzer Mann,
Aufrecht und fest, dem blindlings man vertrauen kann,
So daß vor dem erhabnen Bild der Behemoth,
Ob hinterm Stamm verborgen, der ihm Deckung bot,
Von Ehrfurcht überfallen, schicklich und gebührlich
Den Nacken und die Kniee beugte unwillkürlich.
Indes nur einen Augenblick; weil sein Verstand
Ihn spöttisch anstieß mit der harten Knöchelhand:
«Glaubst du – ich nicht – an Tugend? Siehe dir den Mann
Erst rundherum mit scharfem Auge nüchtern an!»
Drum hurtig fingernd, setzt er auf die schlaue Nase
Die wundertätige Brille mit dem Zauberglase,
Vermöge dessen einer durch die äußre Haut
Der Dinge ihnen in das Eingeweide schaut.
Hernach das wunderkräftige Schallhorn nahm er vor
Und triebs, behutsam schiebend, in sein linkes Ohr;
Mit diesem hörst du die Gedanken eines jeden,
Ihm selber kaum bewußt, mit lauter Stimme reden.
Und wie alsdann beim Weiterritt in tänzigem Trab
Des Epimetheus Rückenansicht sich ergab,
O Graus! o Mitleid! wehe! Ob gesund und wohl
Seinem Gebaren nach, war er inwendig hohl!
Gleich wie am Jahrmarkt eine schöne Wachsfigur –
Von vorn betrachtet: Eja, wohl mir, Wonne! Nur
Dreh sie nicht um! Man spart; der Halbteil ist nicht da –
So Epimetheus, als er ihn von hinten sah.
Was aber tut denn in des Hohlraums Binnengrund
Sich für ein priesterliches Lehrerantlitz kund?
Ha! siehe: mit erhobnem Finger das Gewissen,
Der Predigt über einem Wörterbuch beflissen.

Er aber dank dem Zauberschallrohr hörte, was
Die Predigt des Gewissens aus dem Buche las.
Drob rührt er zwar kein Glied, tat keinen Muck und Zuck,
Kniff bloß das eine Auge zu mit festem Druck,
Bis daß der Menschenkönig um den Waldessaum
Beim nächsten Straßenrank verschwand. Verschwunden kaum,
Schnellte der Behemoth, genesen, frisch und jung,
Hochauf mit einem übermütigen Kreiselschwung
Und warf die Faust empor mit aufgestrecktem Daumen:
«Getrost! Seid unbesorgt! Was gilts? Ich will euch gaumen!
Den Mäusen Speck, den Füchsen Aas, den Gimpeln Leim,
Den Menschenleuten frömmelnden Gedankenschleim!»

Und als am nächsten Tage um dieselbe Stunde
Der Menschenkönig auf der morgendlichen Runde
Von neuem zum Zweiländerrain geritten kam
Und das Gewissen eben einen Anlauf nahm,
Von der Natur und ihren Wundern ewig jung
Zu predigen mit freudiger Begeisterung:
Wie sie die ganze Sonnen-, Mond- und Sternenwelt
In täglich neu erwognem Gleichgewichte hält,
Wie, dank der Liebe, die in ihrem Busen brennt,
Sie auch des winzigsten Geschöpfes Notdurft kennt
Und als besorgte treue Mutter, die sie ist,
Jedwedem just die Nahrung zuweist, die es frißt,
Und überhaupt wie trefflich alles eingerichtet,
Wenn nur der Mensch auf seinen Kleinverstand verzichtet –
Halt! horch: von innen aus dem Buchenwäldchen drang
Ein Jubeljauchzen und frohlockender Gesang.
Und sieh: ein frommer Bruder oder Eremit,
Der in verzücktem Reigen durch die Büsche schritt.
Und als nun Epimetheus, folgend dem Geheiß
Des Lehrers, sich vom Pferd schwang und mit Eiferfleiß
Den Sänger suchen ging, ihn fragend nach dem Grund,
Warum er solch ein Jubeljauchzen gebe kund,
Legt ihm der Eremit den Finger an die Brust:
«Erst frag ich dich! Mach mir begreiflich und bewußt,
Wie du es fertig bringst, die Lippen zuzukleben,
Wenn tausend heilige Gottheitwunder dich umschweben?
Bist du denn blind? Gewahrst du nicht in Flur und Trift
Des Weltenschöpfers eigenhändige Unterschrift?
Vor dir das Bächlein, das dem fernen Fels entsprang –
Wie kommts, daß ihm die Reisefahrt hieher gelang?
Wer hat Bewegung ihm und Wandertrieb beschert?
Wer ohne Weg und Spur die Richtung ihn gelehrt?
Dir gegenüber dort der üppige Eichenbaum,
So hoch, der Blick erklimmt die Wipfelkrone kaum –
Frag nach: derselbe war einmal vor Zeiten bloß
Ein winzig Sämlein in der Erde Mutterschoß,
Ein ängstlicher, sich duckender, erschrockner Keim,
Ein zitternd Stäublein, zwischen Moos und Laub daheim –
Wer lieh dem schwachen Sämlein solche Zauberkraft,
Daß es gen Himmel bäumt des Stammes Riesenschaft?
Betrachte diese graue unscheinbare Mücke,
Die ich hiemit behutsam dir vom Strauche pflücke.
Verächtlich nennst du sie ein garstiges Insekt –
Doch welche Schöpferweisheit ist in ihm versteckt!
Die Augen, ob so klein schon, du errätst sie kaum,
Tun trefflich Führerdienst, gleich deinen, durch den Raum;
Die lächerlichen ungeschickten Flügel vier,
So fein, so zart, dein Atemhauch zerfetzt sie schier,
Schau hin, betrachte sie genau: sie sind geädert,
Mit Nervennetz durchsponnen, das als Hebel federt;
Die fadendünnen Beinchen, siehst du, haben Glieder
Und jedes Glied bewegliche Gelenke wieder.
Und nichts umsonst, nichts, was nicht Zweck verrät und Plan,
Kein Härchen, oder es bedeutet ein Organ.
Und denken, daß dasselbe noch vor wenigen Wochen
Ein Wurm war, kümmerlich aus einem Ei gekrochen –
Mich jauchzt! mich betet!» Und vom Geist emporgezückt,
Der groben, augenfälligen Sinnenwelt entrückt,
Begann er schreitend, mit beschwingtem Reigentreten,
Frohlockend einen lauten Jubelpsalm zu beten.

«Mensch!» rief der Lehrer, «Mensch, der Zufall ist dir hold.
Was du vernommen hast, ist wägstes Weisheitgold.
Ich will mir diese Mücke ins Gedächtnis schreiben
Und meinem eignen Predigtschatze einverleiben.
Genug für heute! Morgen lauschen wir ihm wieder.»

Doch als nun Epimetheus – «Dank für deine Lieder!» –
Dem Sängersmann die Hände schüttelte, da stutzte
Er über einem Anblick, der ihn jäh verdutzte.
Durch eine unvorsichtige Gebärde nämlich
Ward eine Zeichnung auf des Sängers Brust vernehmlich:
Ein Molochantlitz, kunstvoll in die Haut geritzt.
Ob diesem Bild kam eine Ahnung ihm geblitzt:
«Der Behemoth!» Erschrocken fuhr er stumm zur Seite
Und wich den Wald hinab und schlug sich in die Weite.
Und abends heimgekehrt, versucht er – «O verhaßt,
Daß seine Hand ich angerührt und angefaßt!» –
Mit blumenduftgen Seifen und gewürzten Wässern
Das Nachgefühl des leidigen Handschlags zu verbessern.

Da sieh, sein Lehrer! Seine Miene drohte Fehde:
«Warum die unvernünftige Flucht? Gestehe! rede!»
«Ach, schlimme Neuheit! Größte Vorsicht ist Gebot:
Des Eremiten Name lautet Behemoth!»
Scharf zürnte die Entgegnung: «Wenig um den Namen!
Im Bilde sitzt die Ähnlichkeit und nicht im Rahmen.»
«Viel Unheil hat das Menschenvolk durch ihn erlitten,
Und unsre Väter haben heiß mit ihm gestritten.»
«Ererbtes Urteil: Vorurteil. Wenn zwei sich streiten,
So liegt das Unrecht meistenfalls auf beiden Seiten.
Allein wie lange soll ich noch, nach deiner Meinung,
Mir deiner Widerreden Einspruch und Verneinung
Gefallen lassen? Bist es du, der mich verhört?
Was ists denn, was dich gegen Behemoth empört?
Sein übler Ruf? Sein ehemaliger Gegensatz?
Von ehemals bis heute hat Verändrung Platz!
Meinst du, derselbe Schöpfer, der in Berg und Tal
Uns tausend staunenswerte Wunder ohne Zahl
Vorweist, vermöchte nicht zu seines Namens Ehren
Das Herz des Behemoth zu rühren und bekehren?
Pfui, Schande über einen Menschen ohne Glauben,
Dem schnöde Zweifel jeden Geistesaufschwung rauben!»
Und also fort, bis daß sein Mündel stumm sich duckte
Und, um Verzeihung flehend, Büßertränen schluckte.

So zog er wieder nach dem Jauchzerwäldchen hin.
Mißtrauisch noch, mit scheuem Blick zu Anbeginn;
Bald aber, kaum nach wenigen Tagen Prüfezeit,
Verwandelte sein Argwohn sich in Fröhlichkeit.
«Nein!» lacht er, «dieses dicke Männlein kurz und klein,
Das sollte solch ein teuflisch Ungeheuer sein?
Wo hatten unsre Väter ihre Aug und Ohren?
Waren sie Kinder? Oder blind und taub geboren?»
Dann wieder über einige Zeit Verkehrsgenuß
Kam harmlos Plaudern und Gemütlichkeit in Fluß.
«Fein ist er freilich nicht, gescheit nicht allzusehr,
Doch hat ein goldenes Gemüt; das gilt mir mehr.»
Und saßen Knie an Knie und jodelten fortan
Den Weltraum mit vereinten Geisteskräften an.

Doch eines Tages legte zärtlich, weich und warm
Um seines Freundes Schulter Behemoth den Arm:
«Hörst du die Lerche, wie sie sich gen Himmel schwingt,
Ein brünstig Lob- und Danklied ihrem Schöpfer singt?
Und schau, o süß! Das Bienlein, wie es, blütengolden
Bestäubt, das Köpflein badet in den duftigen Dolden!
Und dort die Emse, die den heiß geliebten Maden
Das Würmlein heimschleppt, das den Pflänzlein würde schaden!
Blick hier-, blick dorthin: die gesamte Kreatur
Freut harmlos sich der Gottesgaben der Natur.
Einzig der Mensch, o Schmach, an geilem Dünkel krank,
Schändet die Friedlichkeit mit seinem neidigen Zank.
Ist denn, sich gegenseitig Übles zuzufügen,
Ein gar so unvergleichlich herrliches Vergnügen?
Wärs nicht viel schöner und für beide Teile besser,
In Fried und Eintracht als gewaltsam mit dem Messer?
Denn nicht Gebieterweiterung durch blutigen Krieg –
Sich selber überwinden ist der größte Sieg.
Von Kümmernis darüber Tag und Nacht belästigt,
Hat ein Gedanke sich in meinem Kopf befestigt,
Dem ich hiemit das Wort verleihe dir zu Handen.
Was hindert denn – 's ist bloß ein Vorschlag, wohlverstanden –
Was hindert uns – ich finde keinen Gegengrund –
Unsre Versöhnung, unsern schönen Herzensbund
Gleichfalls auf unsre Untertanen auszudehnen?
Was sagt dir dein Gefühl? Mir kommen Rührungtränen.
Bedenk! Ein Völkerfreundschaftbund! Wenn man ermißt,
Was alles in dem einzigen Wort enthalten ist!
Kein Schanzenwall, kein Bollwerk, keine Grenzen mehr –
Ein herzlicher Verkehr der Völker hin und her,
Wo unterm väterlichen Schutze der Gesetze
Im Tausch der Felderfrüchte und der Bodenschätze
Man beiderseits gewinnt, und niemand, der verliert,
Weil Werkfleiß allerorten Überfluß gebiert.
Und, um das Bündnis offensichtlich einzuweihen,
Besuche zwischen uns auf unsern Burgen zweien:
Erst du mein Gast, dann ich dein Gast und also weiter.
Ich schaue eine schwindelhohe Wonneleiter!
Doch wie gesagt, es ist ein Vorschlag, eine Frage.
An dir die Rede; deine Meinung gib zutage.»

Und als sein Nachbar, den der Antrag überraschte,
Verworrne Worte stammelnd nach Gedanken haschte,
Erinnernd, daß die Einsicht reife über Nacht,
Im Schlafe, wenn man längst nicht mehr daran gedacht,
Und daß vor einem Hauptentschluß vor allen Dingen
Man im Gebete müsse um Erleuchtung ringen,
Und also fort, rief Behemoth: «Genug, genug!
Kein Wort mehr! Über deine Freundschaft bin ich klug.»
Doch seine Rede klang von nun an kalt und kurz,
Und seine saure Miene kaute Bitterwurz.
Dann plötzlich, sich besinnend – «Wehe mir, ich weile!» –
Bat er sich Urlaub aus und trollte sich in Eile.

Was aber steht dort drüben seitwärts vor dem Wald
Für eine finstere, verdammende Gestalt?
Zuschauend bloß, untätig, scheinbar unbeteiligt,
Doch das Gesicht von priesterlichem Zorn geheiligt.

«Weswegen zürnst du?» jammert Epimetheus' Schrei.

«Ich bin dein Lehrer, nicht dein Herr. Beschließe frei!
Wenn wirklich dich gelüstet, noch ein zweites Mal
Zu zittern vor des Engelgottes Augenstrahl
Als einer, der, von keinem Glaubensmut beherzt,
Ein Ausnahmgunstgeschenk des Schicksals blöd verscherzt –»

Ein eisiger Schreck gleich einem blanken Stahl durchfuhr
Des Königs Blut. «Ach Weh und Leid! Was tat ich nur!»
Und in die Büsche fiebernd, sucht auf hastigen Sohlen
Er rufend den geschiednen Freund zurückzuholen.
Da – «Wohl mir! o Erlösung! o Glückseligkeit!» –
Stand dieser einesmals vor ihm; er war nicht weit.
Worauf die beiden königlichen Amtsgenossen
Handum ein ewig Völkerfreundschaftbündnis schlossen.

Doch als nachher der holde Wettstreit aufkam, wer
Von ihnen zum Beginn der erste wäre, der
Den andern lieben nachbarlichen Völkerhirten
Die Gunst und Ehre hätte gastlich zu bewirten,
Und jeder halssteif festhielt: «Ehe ich zu dir,
So kommst du jedenfalls zuerst als Gast zu mir» –
«Auf diesem Weg gelangen wir zum Ziele nicht!»
Rief Behemoth, «hier hilft allein ein Schiedsgericht.
Das Los, das heißt der Spruch des Schicksals soll entscheiden.»

«Genehm. Den Spruch des Schicksals will ich fügsam leiden.»

Jetzt zog der Bundesbruder aus dem Stiefelschaft
Ein Würfelspiel, das, dank der Sternen Wissenschaft
Und den geheimen Künsten, deren er sich freute,
Er mit gewichtigen Mienen auf den Boden streute;
Und zählt und murmelte und hüpfte drum herum.
Dann plötzlich stieß er mit dem Fuß die Würfel um,
Sprang aus dem Feld und spuckt und lästerte und schmollte,
Und seinem Bruder, der ihn liebreich trösten wollte,
Gönnt er kein Wörtlein. Endlich, greinend, doch gefaßt:
«Nimm hin! hier bin ich; dein Gefangener, dein Gast.»

Als abends auf der Heimfahrt diesen selben Tag
Das Menschenschloß vor Epimetheus' Augen lag,
Stellt er, mit einem leichten Fingerzuck gezügelt,
Sein Pferd und schickte glückbeschwingt und mutbeflügelt
Aus seines vollen Herzens Tausendstimmenchor
Zum fernen Engelgottes das Gebet empor:
«Wenn du dereinst vom Himmel hoch im Siegesglück
Als Richter steigst herab ins Menschenland zurück
Und auf dem Tisch das große Schuldbuch meiner Sünden
Bereit legst, mir dein strenges Urteil zu verkünden,
So lautet meine Bitte: Tu das nicht im stillen,
Einsam, mit aufmerksamem Geist und wachem Willen:
Ans Fenster tritt, stoß beide Flügel sperrweit auf!
Vielleicht, wenn du vernimmst vom Menschenland herauf
Von allen Türmen, allen Berg- und Waldeshöhen
Die Friedensbanner flattern in den Morgenböen,
Des Krieges lachend, der da war und ist gewesen,
Vielleicht, daß du mein Schuldbuch weglegst ungelesen!»

II

Zu seinen Obersten, die ihn befohlner Weise
Erwartungvoll umstanden in vertrautem Kreise,
Begann der Behemoth gewichtig: «Liebe Leute!
Ins Menschenland zum Menschenkönig fahr ich heute.
Den Zweck der Reise, den verschwiegenen, den wahren,
Will ich hiemit euch ohne Rückhalt offenbaren:
Das Heil des Gottesreiches atmet, wie euch kund,
Im Gottesknäblein, das da schläft im Tempelgrund,
Weil zwischen seinem und des Engelgottes Leben
Geheime, unsichtbare Nervenfäden weben,
So daß, wenn seinem Kinde Krankheit widerfährt,
Das Übel auch an seinem eignen Leibe zehrt.
Stirbt es, so siecht er hin, heillos zu Tod getroffen,
Und schutzlos steht das weite Menschenland uns offen.
Freilich, das Gottesknäblein ist in guter Hut:
Der Schlüsselbund zur Kellergruft, worin es ruht,
Befindet sich in einem Kästlein in der Wand,
So schlau versteckt von eines Meisters Kunstverstand,
Daß nur der König, niemand sonst die Stelle weiß.
Wenn ich hartnäckig, mit so viel Geduld und Fleiß
Es durchgesetzt, als Gast bei ihm mich einzunisten,
Geschahs allein, um ihm die Schlüssel abzulisten.
Ihr aber, kann auf eure Unbedenklichkeit
Ich zählen, daß auf meinen Wink zu seiner Zeit
Ihr wie ein Wassersturz die Menschheit überrennt
Und weder Schonung, weder schwächlich Mitleid kennt?»

Die Messer zückend, mit frohlockendem Geschrei,
Jauchzten die Obersten der Frage stürmisch bei.

«Wohlan! Vernehmt denn, was mein wohldurchdachter Plan
Von euch erwartet; merket auf und hört mich an:
Derweil ich selbst mit freundschaftzärtlichem Gegirre
Den Menschenkönig auf dem Schloßberg gaum und kirre,
So schiebt ihr euch mit euren treuen Mannen, heute
Ein kleines Trüpplein, morgen einige hundert Leute,
Als harmlos Bauernvolk verkleidet, unauffällig
Ins Menschenreich, weithin zerstreut, doch stets einhellig.
Bis daß in aller Fried und Freundschaft ihr zuletzt
Euch habt an jedem Kreuzweg heimlich festgesetzt.
Dann wartet fromm und haltet ruhig euch bereit.
Das Weitre werd ich euch befehlen, wenn es Zeit.
Ich weiß, ich fordre viel Entsagung und Geduld;
Doch schmeckt den Lohn auch, den euch spiegelt meine Huld:
Mögt ihr im Menschenvolk als goldbeladne Fürsten
Euren Begierden frönen und geheimen Dürsten?
Die feinen schmucken Herrn aus adligem Geschlechte
Mit Prügelstrafen züchtigen als eure Knechte?
Und ihre schönen Fraun zum Spinnen, Fadenzwirnen
Und Mägdedienst mißbrauchen und des Nachts als Dirnen?»

Von Dankesungestüm, von heftigem Lobtoben
Fühlt er sich angefaßt, gestoßen und geschoben.

«Versprochen und gelobt. Doch haltet euch im Zaum!
Befolgt mein Wort, und gebet keiner Willkür Raum!»

 

Mit hohen Ehren ward der Behemoth empfangen,
Wie er als Gast des Menschenkönigs kam gegangen.
Volksjubel, Ehrenjungfern, Reigen und Gesänge
Bis an des Schloßbergs Fuß die ganze Straßenlänge.
Ein königlicher Wagen schaukelt ihn hierauf
An Epimetheus' Seite nach der Burg hinauf.
Doch als sie aus dem hochgewölbten Binnentor
Der Festunghallen tauchten in den Hof hervor,
Begann der Menschenkönig jämmerlich zu greinen:
«Warum, warum nur muß ich denn so maßlos weinen?
Als ob ein gräßlich Unheil, das mich treffen sollte,
Mit unhörbarem Flügelschlag heraufziehn wollte.
Und ist kein Grund doch zur Befürchtung, nicht von fernst!»
«Ein böser Wind, ein Luftzug aus dem Lande Ernst.»

Und wie die Fahrt vorbeikam längs der Tempelwand,
In deren Schutz das Gottesknäblein sich befand,
Da schickte Behemoth zwei böse Blicke schielend
Zur Seite, nach dem unsichtbaren Knäblein zielend,
Als könnt er durch das Erzgestein der Mauer stechen.
Und knirschte mit den Zähnen fast zum Kieferbrechen;
Ohnmächtig noch, doch an Gelüst ein Mörder schon.

Von innen aber sang ein leiser Klageton:
«Was kommt in meine heilige Klause, fromm und still,
Mir für ein schrecklich Blicken, das mir Böses will?
Ist etwas denn, ist jemand in der Welt nicht gut?
Gibts Wesen, die es freut, wenn etwas wehe tut?
Ich habe bis dahin gemeint in meinem Wahn,
Wenn weder Unrecht, weder Schaden man getan,
Wenn man nur Schönheit träumt und Heil und Segen denkt,
Daß einem alles, was da atmet, Freundschaft schenkt.
O Scham der Überraschung, grause Neuigkeit!
Es gibt Gesichter, andern weh zu tun bereit.»

So lautete die Wechselrede dort und hie
Vom Kind zum Mörder. Aber niemand hörte sie.
Wie wenn beim farbig abgetönten Lampenscheine
Die Menschenfrauen, traulich plaudernd im Vereine,
Einander fragen: «Sitzest du denn auch bequem?
Und kann ich sonst dir etwas bieten außerdem?»
Indessen vor dem Loch, darin das Mäuslein zittert,
Die Katze lauert, die den leckern Angstschweiß wittert.
Versteh: das Zwiegespräch von Todesangst und Zahn
Geht einzig diese beiden, niemand anders an.

Und jetzt erfolgten frohe Freundschaftfeiertage
Im Menschenschloß. Nicht Festlichkeiten und Gelage,
Allwo beim Becherklang und Redeschwung und Schmaus
Das Herz darbt; anders: aus dem hohen Königshaus
Zogen tagtäglich sie beim Frühlichtsonnenschein
In schlichtem Werkgewand bergab, ins Volk hinein,
Seis um im Feld der Allmendwiese eines jeden
Glückwünsche hinzunehmen und Begrüßungreden,
Seis auf dem Marktplatz, um die hundertfältigen Klagen
Der Bauern freundlich und langmütig zu ertragen.
Und ward ein Rühmen und ein Preisen weit und breit
Im Menschenland von Behemoths Leutseligkeit.
Und ferne, daß dem Menschenkönige vor Neide
Die Volksbeliebtheit seines Gastes war zuleide:
Erhöhte Freude trug sein Angesicht zur Schau.
Bin ichs? bist dus? Die Liebe trennt das nicht genau.
So sehr, daß, wenn ein Jubelsturm ihn selber pries,
Er mit geducktem Kopfe nach dem Freunde wies,
Wogegen wieder der so unverdient Geehrte,
Nach Epimetheus zeigend, sich entrüstet wehrte.
Und also fort in Eintracht und Herzinnigkeit
Von sieben Tagen eine goldne Ferienzeit.

Am achten Tage aber, weh! was ist gegangen?
Ist das der Behemoth, den meine Blicke fangen?
Ein schlotterndes, schleppfüßig Mannsbild, leichenbleich,
An Taumelschritten einem Schlafbetrunknen gleich,
Bewegte sich im Zickzack, ächzend hin und wieder,
Endlos in einem fort im Zimmer auf und nieder,
Sah nicht, was er erblickte, also daß er oft
Die Stirn an eine Kante anstieß unverhofft.
«Was kränkt dich, Bruder?» wundert Epimetheus. Jetzt
Langsam erwachend, sah der Behemoth entsetzt
Dem Freund ins Antlitz, wimmerte und mökt und muckte,
Vergebens mit den Tränen kämpfend, die er schluckte.

Mit einmal griff er Epimetheus handfest an
Und schlug ihm auf die Achsel: «Freund, du bist ein Mann,
Geschaffen, Schicksalschläge standhaft zu ertragen.
Drum ohne Umschweif will ich dir die Wahrheit sagen:
Meine geheimen Boten haben heute Nacht
Mir eine grauenvolle Nachricht hinterbracht.
Der Engelgottes, lautet ihre Unheilmär,
Mit seinem ganzen großen, stolzen Engelheer
Im fernen Himmelshinterland aufs Haupt geschlagen,
Liegt flüchtlings, wund und fiebernd auf dem Krankenschragen –
Halt ein! Bezwinge dich! Jetzt ist zur Trauerklage
Nicht Zeit! Antworte mir auf eine ernste Frage:
Weißt du vor jedem Handstreich, tückisch in der Schnelle
Verübt, das Knäblein sicher in der Gruftkapelle?
Ist auch die Mauer ringsum dick und fest hinlänglich?
Sind Dach und Fenster mittels Leitern unzugänglich?
Hast du die Schloßhofgegend abgetastet wohl,
Ob nicht der Boden ist von Minengängen hohl?»

«Von Marmor sind die Mauern. Unterm Dache hoch
Die Fenster sind zum Überschutz vergittert noch.
Und scharfe Wächter halten Umschau Tag und Nacht.
An Minengänge freilich hab ich nicht gedacht.»

Bedenklich schüttelte mit düstern Blicken lange
Der Behemoth den Kopf. «Mein Freund», sprach er, «ich bange.
Hast du die Schlüssel, hoff ich, zur Kapellenpforte
Zum mindesten versorgt an einem sichern Orte?»

«In einem Wandschrein über meiner Lagerstatt,
Von welcher niemand Kenntnis noch Vermutung hat,
Sind sie versteckt. Der Schrein, von Meisterhand geschliffen,
Springt auf nach einzig mir bekannten Fingergriffen.»

«Das lautet tröstlich. Aber bist du unsichtbar?
Die Diener nehmen durch die Schlüssellöcher wahr,
Sie lassen sich umschmeicheln, lassen sich bestechen.
Der Meister, der das schlaue Kästlein schuf, kann sprechen.
Und was am letzten man erwartet, kann geschehn.
Du hast doch täglich nach den Schlüsseln nachgesehn?»

Errötend würgte Epimetheus, wortverlegen.
Endlich vermocht er zögernd: «Nachsehn? Und weswegen?»

Ob diesem Ausspruch rang nach Luft, des Atems bar,
Der Behemoth; sein Mund erschlaffte, und sein Haar,
Als wie von einem heftigen Sturmgewühl durchstoben,
Flog wehend ihm vom Scheitel bolzgerecht nach oben.
«O fromme Einfalt», haucht er, «o du Unschuldkind!
Und wenn sie jetzt, gesetzt den Fall, verschwunden sind?
Du lachst? Ich fürchte sehr, du lachst zu früh. Jenun,
Wozu der Redestreit? Ums Nachsehn ists zu tun.»

Das war ein schwerer Gang. Sich gegenseitig stützend
Und vor Verzagtheit wechselweis durch Zuspruch schützend,
Rückten sie vor. Und öfters mit erhobnen Köpfen
Hielten sie an, um einen Vorrat Luft zu kröpfen.
Und als sie endlich, dank vereinter Willenskraft,
Ans Ziel gelangt und Epimetheus fieberhaft
Dem Schlüsselkästlein hinterm Lagerbette drüben
Entgegen wankte, seine Fingerkunst zu üben,
O Leid! da griff ob seiner Hände Zitterbeben
Das Tasten seiner Finger immerfort daneben.
«Ich kann es nicht. Ich muß mich setzen. Tu es du!»
Warf er dem Freund verzagt mit blasser Stimme zu.
Und unterwies ihn, wo zu drehen, wo zu drücken,
Damit des listigen Türleins Aufschluß müsse glücken.
Ein Spalt, ein Luftschwall. «Zieh am Griff jetzt fest und schnelle!»
O Jubel! o Erlösung! Hoi! sie sind zur Stelle.
«Das aber», strafte Behemoth mit strengen Mienen,
«Das war ein Glücksfall wider Hoffen und Verdienen.
Sag Dank und laß zur Warnung dirs gedeihn! Doch nun,
Was willst du für des Gottesreiches Rettung tun?
Den Willen vor! Faß einen plötzlichen Entschluß!
Kein Zaudern, kein Bedenken gilt. Man knackt die Nuß
Nicht mit Gedanken. Und wenn Brand im Dachstuhl ist,
Gibts, um zu löschen, keine Überlegungsfrist.
Sobald nach einigen Stunden, hindern kann ichs nicht,
Die Menschenwelt erfährt den schlimmen Kriegsbericht
Und du versagst, so folgt des Reichs Zusammenbruch,
Des Knäbleins Tod und deines Namens ewiger Fluch.
Was staunst du? Ob nur kurze Zeit bei dir zu Hause,
Gewahrt ich Zeichen, Zeichen – weh! – davor ich grause.
Ich sage dir, ich sah Gesichter, sah Gestalten,
Belauschte Blicke, Winke, mühsam nur verhalten.
Zähl nicht auf deine Truppen! Eben bei den Truppen
Pflegt sich der Aufruhrgeist am ehsten zu entpuppen.
Wer weiß, vielleicht in diesem Augenblicke schon –
Hör doch, was ist das für ein schauerlicher Ton,
Die Luft durchheulend aus der Ferne? Huh, mich friert!
Und sieh des Schicksals gräßlich Auge, wie es stiert!»

Ihn unterbrach der Menschenfürst: «Laß mich allein!
Ich muß ein Weilchen, um zu beten, einsam sein.»
Und kaum allein, schickt er ein gläubiges Gebet,
Inständig aus dem tiefsten Herzensgrund erfleht,
An sein Gewissen: «Jetzt, mein Lehrer, jetzt ists Zeit,
Daß du beweisest deines Wesens Göttlichkeit.
Unheil rückt an, und planlos steh ich müßig da.
Berate mich! Mit deinem Beistand komm mir nah.»
Allein, wie oft er schon den heiligen Namen rief,
Kein Laut, kein Zeichen ward ihm; jede Antwort schlief.

Nach einer Weile stöhnt er eine leise Klage,
Drin Unmut und Ergebung schwankten in der Waage.
Dann gab er laut: «Du, sonst so lehrerisch, warum
In dieser bänglichsten der Stunden bleibst du stumm?»
Und brauste auf: «Herbei mit deinem Priesterhaupt!
Dich feige wegzuschleichen ist dir nicht erlaubt.
Ich fordre dich! Sei deines Amtes dir bewußt!
Du bist mein Gott; du schuldest Hilfe mir. Du mußt!»

Und als auf seine herrische Frage nach wie vor
Statt jeder Antwort gähnend Schweigen ihn umfror,
Sprang plötzlich er hochauf, von grimmem Trotz gebäumt,
Und schrie die maßvergeßnen Worte wutdurchschäumt:
«Du Gott aus Mondschein, wenn du nochmals mich verrätst,
Zum zweiten Male Schuld auf meinen Scheitel lädst,
So will ich deinen gleisnerischen Heiligenkranz,
Den blechernen mit seinem falschen Flitterglanz,
Vom Kopf dir reißen und den frommen Predigtschwung
Des Wörterbuchs im Kehricht auferziehn als Dung!»

Doch kaum der frevle Spruch getan, entließ beschämt
Er seinen Ärger, und von Gram und Scham gelähmt,
Brach er zusammen, auf die Bettstatt hingestreckt,
Den Kopf vergraben, tief im Kissenpfuhl versteckt.

Wars Zufall? Eben jetzt in seiner größten Not
Erschien, auf leisen Zehen tretend, Behemoth.
«O Wohltat, eine warme Freundeshand zu fassen!
Mein Heiland, mein Gewissen hat mich schnöd verlassen.
Nun bin ich steuerlos, mein schwaches Schifflein schwankt,
's ist alles finster, alles dreht sich, alles wankt.
Und soll doch handeln! O unselig Herrscheramt,
Wo selbst ein blöder Geist zum Handeln ist verdammt!»
Und da der Tröster auf die Räte ihn verwies,
Ihm ihre Umsicht, Klugheit und Erfahrung pries,
Höhnt er hellauf: «Nicht Räte! Oberuntertanen!
Die dahin raten, wo sie meine Wünschlein ahnen.
Du bists! Du einzig und allein. Erbarme dich!
Sieh mich verstört, betäubt. O handle du für mich!
Was immer du verfügen wirst, das heiß ich gut.
Nur eins beding ich strengstens aus: vergieß kein Blut.»

«Oi woi! Nicht also! Du? Der König? Schäme dich!»
Begütigte der Behemoth herzbrüderlich.
«Doch weh, du frierst ja! Jedenfalls ein wenig Fieber.
Da gilts vor allem gänzlich ruhig sein, mein Lieber.
Sich nicht bewegen! Und besonders denke nicht!
Um nichts sich kümmern ist des Kranken erste Pflicht.
Es eilt ja nichts! Das heißt, ich meine bloß, bis morgen
Will ich das Nötige an deiner Statt besorgen.
Hast du jetzt warm? Zieh besser diese Wollendecke
Noch über deinen Kopf! Und jetzt die Glieder strecke!»
Und also fort, als Tröster, Arzt und Seelenschäfer,
Bis daß der ebne Atemzug verriet den Schläfer.

Jetzt, stets den Feind im Auge, rückt er Schlich für Schlich
Zur nahen Wand hin, lautlos tretend hinter sich,
Bis daß das Kästlein zu erreichen ihm geglückt.
Geschwind mit Diebsgeschick den Schlüsselbund gepflückt.
Dann festen Schritts der Tür zu ohne Aufenthalt.
«Nur ja kein Blut!» kam aus dem Bett ihm nachgelallt.

Die Türe hinter sich und zugeriegelt, gab
Er seinem Dienstgefolge diese Weisung ab:
«Bewacht ihn! Gnade euren Köpfen, kommt er frei!
Und wenn er noch so tobt und poltert, einerlei.»
Dann unten angelangt, entließ er einen Zisch:
«Der Oberoberste soll kommen, aber frisch!»
Und als der Oberoberste vor ihm erschien,
Zog er ihn auf die Seite und verständigt ihn:
«Der Hund ist von der Leine, jetzt gibts kein Zurück.
Verwegner Zugriff einzig zeitigt unser Glück.
Denn wenn die Wahrheit kräht vom Himmelsdach herunter:
Der Engelgottes ist hellauf und vögleinmunter,
Und all das Unheilstöhnen und die Jammerpossen
Sind Dunst und Fabelkunst, aus meinem Hirn gesprossen,
Dann bleibt uns bloß die schleunige Flucht mit Schimpf und Schaden,
Vorausgesetzt, daß dannzumal noch Flucht kann gnaden.
Drum gilt es, hurtig unsern Vorteil einzukaufen,
Bevor der Hase Zeit gewinnt, davonzulaufen.
Wie stehts mit unsern Leuten? Sind zum Kampf sie fertig?»
«Sie harren ungeduldig, deines Winks gewärtig.»
«Die Festung? Ist sie von des Königs Truppen rein?»
«Teils fortgelockt, teils kirr gemacht. Die Burg ist dein!»
«Die königliche Leibhut?» «Tanzt beim Völkerfest.»
«Die Tempelwärterschaft?» «Betrunken, schlafen fest.»
«Wo siehst du einen Grund, nicht jetzt schon einzuhauen?»
«Ich sehe keinen. Laß dein Angriffszeichen schauen!»
«Dies ist mein Zeichen: Wenn ich auf die Zinne springe,
Des Gottesknäbleins blutigen Kopf als Fähnlein schwinge –
Reiß nicht das Maul so auf! Du wirst dein Kinn ausrenken.
Du hast gehört? Genug; ich dulde kein Bedenken.»
Und den Knieschlotternden, den Stammelnden, den Schwachen
Verfolgt ein spottgeladnes übermütig Lachen.

Der Oberst abgefertigt und ans Werk gehetzt:
«Und jetzt», rief schmunzelnd Behemoth, «zur Tat zuletzt!»
Erst klirrt er mit den Schlüsseln, ob er sie besitze,
Hernach sein Messer prüft er mit der Fingerspitze.
Und als er alles recht im Stand befand und fertig,
Er selbst bereit, der ganze Mörder gegenwärtig,
Vergönnt er sich den Vorgenuß, den Hohn des Spottes,
Zu belfern auf das Vaterherz des Engelgottes.

«Haiji! du stolzer Herr der Gotteswelteneien!
Komm her und schau, ich will dir etwas prophezeien:
Du kehrst auf hohem Roß mit deiner Heeresmacht
Als ruhmgekrönter Sieger aus der heißen Schlacht,
Und schon siehst du die Heimat nah. Da ruft dein Staunen:
‹Halt ein! Stellt euren Vormarsch! Wehret den Posaunen!
Was steigt denn heute von der Erde, pfui da! uch!
Für ein abscheulicher Verwesungpestgeruch?›
Und richtest, in den Bügeln stehend, dich empor
Und schärfst das Auge, beugst den Hals, den Nacken vor:
‹Ei sagt! Ists Zauber, der sich zugetragen hat?
Bin ich geblendet? Wo denn ist die Menschenstadt?
Ich sehe nichts als schwarze, rauchende Ruinen
Und Leichenhaufen und Gerippe zwischen ihnen.
Ha dort! da steht das Königsschloß. Allein warum
Das Flattern und das Krächzen um den Turm herum?
Was hat das Schmutzgezücht der Raben und der Dohlen
Dort oben wohl für einen eklen Schmaus zu holen?›
Was es zu schmausen hat? Wie fragst du sonderbar!
Sieh hin: das Kinderköpflein mit dem goldnen Haar,
Erkennst dus nicht? Nun ja, es ist von Blut entstellt.
Ha! du erbleichst. Verdacht, der zu Gewißheit schnellt,
Steigt auf. Und deine Augen schreien: du begreifst.
Wozu das stiere Starren, drin du dich versteifst?
Ha! jetzt! Ein Knick. Haiji! Mit wuchtiger Schwergewalt
Schmettert zu Boden deine mächtige Gestalt.
O dieser süße, stumme, schauerliche Knick!
Gruß dir, du meines Lebens schönster Augenblick,
Von Siegeshohn durchflammt, von Racheglück umsungen!»
Und lacht und spottete aus vollem Hals und Lungen.

Doch halt! Im Hallenhause, horch, die wilde Hatz
Des Mannsvolks, von den Treppen stürzend Satz um Satz,
Sinnlos, wie wenn vor einem Nachtgespenst sie scheuten;
Was hat der Fluchtgalopp, der Wahnschreck zu bedeuten?
Die Fäuste ballt er. Zweifel zischten, Argwohn schwoll.
Denn jetzt vom Turm herab – wer wagts? wer darfs? – erscholl
Aus schmetterndem Trompetenmunde eine klare,
Mit Sonnenschein geladne Willkommgrußfanfare.
Wärs möglich? Bah! Er ist ja fern im Himmel hoch!
Wenn er auch wiederkehrt, so dauerts Wochen noch.
Mit einmal ward die Zimmertür sperrauf geweitet.
Ein Kopf erschien. Ein Schrei: «Der Engelgottes reitet!»
Im Nu ans Fenster stürmend, blinzelt er, geblendet.
Was ist der Glutherd, der dies Morgenrot entsendet?
Ists Fackellichtschein? Ists ein Schadenfeuerbrand?
Ha! Schau doch dort die schwüle Wirbelwolkenwand,
Durchzuckt von Zackenblitzen, züngelnd immer schärfer
Und drohender, im Blendelicht der Drehscheinwerfer!
Weh! Ists ein Wunder? Ist es Sinnestäuschung eher?
Die Wand hat Füße, wandelt, kommt beständig näher
Und schleift den Donner mit sich. Reitertruppen tollen.
Posaunen blasen. Wagen rasseln. Räder rollen.
Fluch meinen Augen! Ha, er ists! Wahrhaftig Er!
Im schnellen Viergespann. Ihm nach das Engelheer.
«Ech, du Verschlagner, Abgefeimter, der du bist!
Vater der Falschheit! Ausgeburt der Hinterlist!
Knapp eine Spanne kaum entfernt vom Siegesglücke,
Und willst den Preis entwenden mir mit deiner Tücke?»
Und Abwehrzaubersprüche geiferte sein Haß
Mit Schneuzen und mit Spucken ohne Unterlaß.

Doch Faschingszauber! Jahrmarktsprüchlein! Denn – o Greuel! –
Gleich Meereswogenbergen rollt der Racheknäuel
Heran, durch Schlacht- und Fluchtgetümmel, unaufhaltsam.
Hu, wie die Rosse, von des Herren Faust gewaltsam
Gehetzt, mit hohen Knien in Riesenschwüngen rasen!
Wie ihre Augen sprühen, ihre Nüstern blasen!
Tata! Tata! in immer schnellerm Takt und Stampf.
Tata! Tata! Das ist ein Überfall, kein Kampf.

«So hilf doch, Moloch! Reg dich, Fauler! Merkst du nicht:
Mir gilt der Streit! Dein Zepter schwankt im Gleichgewicht.
Juch, schlag ihn, lähm ihn, triff ihn mit dem Mordgeschosse!
Öffne die Erde, schmeiß ihm Felsen vor die Rosse!
Hervor aus deinen Höhlen! Deine Schnauze zeig! –
Und das will Moloch heißen? solch ein Gott von Teig?»

Radadum, radadam! Der Boden bebt, der Luftraum zittert.
Die schreckverwirrten Winde flüchten. Schon gewittert
Die Rache unheilträchtig um des Schloßbergs Fuß.
«Nun sieht er mich! Sein Blick verspricht mir Todesgruß!
Gemach! Eh du den Berg gewinnst und mich ereilst,
Zwick einen Hieb ich dir, von dem du nimmer heilst!»

Ein Satz, von Haß und Wut emporgeschnellt, darauf,
Heißa, hinaus durch Gang und Hof in grimmigem Lauf!
Nun hält, nun grinst er vor des Gottesknäbleins Tür.
Flink jetzt! Doch keine Zappelhast! Verstand herfür!
Verwünscht! Die Schlüssel bocken, stocken! «Ech, Verdruß!
Es beißt nicht, will nicht. Freilich wills; ich zwings! es muß!
Hör, wie gefährlich nah schon die Posaunen schallen!
Und wie es dröhnt und prasselt durch die Festunghallen!
Ich habs!» Die Falle knackt, die Feder spielt, sie schafft.
Hallo! Die Tür bewegt sich, eine Öffnung klafft.
Blitzschnell den Dolch als Wurfgeschoß hinein im Schwung.
Ha! Wehgeschrei! Triumph! Dann Flucht im Tigersprung;
Ins Haus, treppauf und übers Dach. «Ich kanns auch so!»
Dann husch! entwischt auf Nimmersehn ins Nirgendwo.

Zeit wars. Schon braust, ein Wettersturm von Hagel schwer,
Im Fackellichtgewühl die Engelschar daher.
Voran Er selbst, den Ehrfurcht grüßt und Flüstern nennt –
Heut Vater bloß, der nur des Kindes Rettung kennt.
«Werd ich es retten? Oder kommt mein Arm zu spät?
O Schreck! Das Tor der Tempelgruft steht offen! Seht!»
Er beugt sich vor; der Liebe fein Gehör vernimmt
Ein Schmerzgewimmer, das den Kriegslärm überstimmt.
Ein Zügelgriff. Ein Halt im Vorprall, daß der Wagen
Die Rosse überreitet, die sich überschlagen.
Gleichfüßig abgesprungen, vorschnell und verwegen,
«Halt aus! Ich komme!» ruft er seinem Kind entgegen.
Was heißt Entfernung? Raum, der hinterm Rücken liegt.
Die Stufen springt er nicht hinab – er stürzt, er fliegt.

Ein Grußgestöhn. Und weinend aus der Klause drang
Der Klage und des Mitleids heiliger Zwiegesang.

III

Beim Schlachthaus, in des Schloßhofs hinterstem Verlies,
Hielt einer, der noch gestern Herr und König hieß,
Ein zaghaft, zitternd Menschlein diesen Morgen heute,
Ein Opfer des Verrats und der Verzweiflung Beute.
Weswegen hier? – «Weswegen eher anderswo?
Man muß doch dasein irgendwo; der Leib wills so.
Und ein verruchter Mann mit einem schwarzen Fleck
Gehört nicht in den saubern Tag. In ein Versteck!
Und ist doch kein Versteck, wie fern, wie finster immer,
Wo ich Erlösung fände von dem Schmerzgewimmer
Des wunden Gottesknäbleins, dessen Widerhall
Mir ewig in den Ohren läutet überall.
Wie ist das alles plötzlich so gekommen bloß?
Heißt mich nicht denken; laßt! Die Mühe ist zu groß.»

Doch weil der Geist nie schlafen kann, des Lebens wegen,
Zählt er im Takt zu seines Pulses Hammerschlägen
Geflissentlich mit töricht eifrigem Verstand
Die Balkennägel an der Schlachthaushinterwand.
«Mein einziger Fehler war, daß ich dem Gleisner traute
Und, selber ohne Falsch, die Falschheit nicht durchschaute …
Pfui, was für fürchterliche Blut- und Schmutzgerüche!
Andacht! Denn Wahrheit dampft aus der Verwesungküche.
Und sieh: ein Leidgenosse, ein verängstigt Kalb,
Zum Tod verurteilt. Kälblein, dich beneid ich halb.
Dein Blöken, o wie fühl ichs mit! Beredter drückt
Dein Daseinsschmerz es aus als Menschenseufzern glückt.
Nicht denken! Schluß! Bewußtlos sein und unlebendig!
Augen und Ohren zu! Und still das Herz inwendig …
Doch wehe mir! Entflieh ich? Nein, sei standhaft! Halt!
Was taucht denn da für eine göttliche Gestalt
Auf aus dem Boden, Blick und Schritt auf mich gerichtet,
Mit einem Blick, der mich durchbohrt und mich vernichtet?
Schon öffnet sich zum Urteilsspruch sein Rächermund.
Fluch und Verdammnis röchelt aus dem Rachenschlund …
Fasching! Die Maske weg! O Frechheit ohnegleichen!
Du! mein Verführer! du! Und willst mir Strafe streichen?
Schaut her, ihr Menschen! Das Gewissen – lacht doch, lacht! –
Nach allem wagts und kommt mir gar in Richtertracht!»
Wie kams? Was fuhr ihm plötzlich in die Fäuste? Ehe
Gedacht nur und beschlossen, wars geschehen jähe.
Mit Haßgeheul in wildem Ansprung das Gewissen
Am Hals gepackt, den Heiligenschein vom Kopf gerissen.
Was nun? Was mehr mit ihm? Sieh dort, auf einem Schragen
Neben der Schlachthaushalle lag ein Ziegenmagen.
Ein Blitz, ein Einfall; kaum gefunden, ausgeführt.
Hineingeknetet den Verräter, zugeschnürt.
Hierauf, als hätt ihm diese Tat, im Zorn gehandelt,
Das Herz gestärkt und Angst und Furcht in Trotz verwandelt,
Schritt er, mit festen Knieen kräftig vor sich greifend
Und das Gewissen hinter sich zu Boden schleifend,
Kein schuldbewußter reuiger Zerknirschter mehr –
Ein Meuterer, gewillt zu offner Gegenwehr,
Aufrechten Hauptes durch des Volkes scheue Menge
Hinüber durch des weiten Schloßhofs ganze Länge.
Und auf des Hauses Treppe frei im hellen Tag
Sich setzend, ließ er grollend kommen, was da mag.

Bald nahte, steigend aus der düstern Krankengruft,
Der Engelgottes, blinzelnd in der Tagesluft.
Mit einem bösen, todgeladnen Stechblick scheel
An Epimetheus' Kopf vorbei, mit Absicht fehl,
Rief er ins Volk: «Wo ist er? Schleppt ihn eilends her,
Den ungetreuen Knecht, den schlechten Hirten, der,
Als Wächter eingesetzt zu meines Kindes Hut,
Dem Feind es preisgab, der entmenschten Molochbrut!»

Auf schnellte Epimetheus, feindlich, stolzgebäumt,
Und herrisch kam aus seinem Meutermund geschäumt:
«Was suchst du, der vor deinen Augen steht allhier?
Ich flehe nicht. Ins Antlitz schleudr ichs redlich dir:
Zwar weiß ich schuldig mich, bekenns, mit Schmach beladen.
Auf denn! Schlag zu! Ich heische Strafen, keine Gnaden.
Stürz alle Tode, alle Martern auf mich nieder!
Vor allem aber fordr ich meine Seele wieder,
Die du am Schicksalstag mir listig abgestohlen
Und hast dafür ein feil Gewissen mir befohlen,
Das schnöde mich verließ und schmählich mich betrog,
Mit seinem Predigtbuche frömmelnd mich umlog!»

Er riefs, indem sein Arm mit grimmigem Schwung und Riß
Den Schlauch mit dem Gewissen ihm zu Füßen schmiß.

«O haltet», schrie der Engelgottes, «haltet mich!
Denn meine Hände, fürcht ich, sie vergessen sich.
Ists Wein? ists Wahnsinn, was aus seinem Munde rauscht?
Meint er, mit mir, dem Engelgottes, wird getauscht,
Gehandelt und geschachert? Fürchte meine Pranken,
Du Wicht! Denn weißt: auch meine Mäßigung hat Schranken!
Strafe begehrst du? Gut! Sie heißt: Du bleibst mir leben,
Im Folterwams der Selbstverdammnis ewig kleben!
Den Tod aus meinen Händen? Nichts da! Zu bequem.
Fort in der Wüste schmutzigstes Verlies mit dem!
Und um den Hals als Halsband eine Glockenschelle,
Damit er selber seine eigne Schande belle!»

Solange durch der Diener rohe Strafgewalt
Die Schandenschelle um den Hals ihm ward geschnallt
Und die mit Stricken engumschnürten Ellenbogen
Ihm wurden hinterm Rücken peinlich festgezogen,
Hielt er geduldig stille, mägdleinfromm und stumm.
Doch kaum die schnöde Rüstung fertig um und um,
Begann er unversehens – was soll denn das bedeuten? –
Gleich einem Stier sich schüttelnd, ein unbändig Läuten,
Den Klöppel schwingend hin und her mit Leidenschaft,
Und rief dazu mit seiner Stimme stärkster Kraft:
«Wohlan, es sei! Die Glocke will ich stündlich schellen.
Sie soll die Warnung in die fernsten Gauen gellen:
Gehorchet nie! Nehmt euch ein Beispiel an mir Toren;
Wer auf den Engelgottes hört, der ist verloren!»

So er. Doch flugs herbeigeeilt in zornigem Sprunge,
Schlossen die Engel ihm die frevle Lästerzunge;
Worauf sie ihn mit Fäusten und mit Geißelhieben
Von Haus und Hof und Heimat in die Wüste trieben.


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