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Zweiter Teil


Pandora

I

Und es geschah, nach langer Zeit und vielem Sterben kam ein Tag, da glänzte freundlicher die Sonne, reiner funkelte die Luft, und jungen Mutes voll erwachte Tier und Mensch aus goldnen Träumen.

 

Und an desselben Tages dunklem Morgen wandelte auf einsam stiller Wiese über allen Welten Gott, der Schöpfer alles Lebens, übend den verfluchten Zirkelgang gemäß dem sonderbaren Wesen seiner rätselhaften, schlimmen Krankheit.

Denn wegen dieser Krankheit konnt er niemals enden seines Umgangs Arbeit, durfte nimmer Ruhe finden auf dem Pfade seiner Füße, sondern ewig gleichen Schrittes macht er Tag für Tag und Jahr um Jahr die Runde um die stille Wiese, schweren Gangs, gesenkten Haupts, die Stirn durchfurcht, das Angesicht verzerrt und immerwährend nach des Kreises Mittelpunkt gerichtet die umwölkten Blicke.

Und während er so heute tat wie alle Tage unvermeidlichen Geschehns und tiefer senkte sich vor Gram sein Haupt und schleppender geriet vor Müdigkeit sein Schritt und von der schlimm durchwachten Nacht erschien verbraucht der Urquell seines Lebens, kam durch Nacht und Dämmerung daher Pandora, seine jüngste Tochter, nahte ungewissen Schrittes sittsam der geweihten Stätte, stellt in Demut sich zur Seite, grüßend mit bescheidnem Blick und fragend mit des Mundes ehrfurchtvollem Schweigen.

Und zweimal schritt der Gott an ihr vorbei, mißachtend ihre Gegenwart, gefangen in dem allzureichen Leben der Gedanken – aber als zum drittenmal er nun erreichte seines Kindes Antlitz, stand er still, begann und fragete und sprach zerstreuten Sinns mit schwerem Mute:

«Geliebte Tochter, du verwaiste Jungfrau in des Hades dunklem, ödem Saal, was bringest du? und welche Bitte führt dich her zu mir beim Morgengrauen?»

Und es erwiderte und sprach Pandora bangend, schüchternen Gebarens:

«Nicht zürne, Gott und Vater, daß die Ungeweihte nahet deines Kummers heilgem Tempel! Aber wahrlich nicht aus Neugier kam ich her, und nicht aus Leichtsinn stammet mein Gesuch, und nicht um meinetwillen hab ichs unterfangen. Sondern sieh, von einem Menschenvolke hab ich einst vernommen, reich an Schmerzen, wert, daß man sich des erbarme; darum hab ich ein Geschenk mir ausgedichtet, daß vielleicht, wofern du mirs gewährst, damit ich lindre oder tröste ihre vielen Leiden.»

Und also sprechend holte zögernd sie ein Kleinod aus dem Busen, faßt es sorglich in die Hand und überreicht es ihm mit Zagen und mit heftigem Erröten.

Und es geschah, da Gott erblickte dieses Kleinods Form und Antlitz, fuhr er jählings auf und fragete und sprach mit Hast und aufgeregtem Wesen:

«Von wannen stammet das? und welcher Mann hat solches dir gegeben?»

Und einfach, schlichten Wortes gab sie ihm zurück: «Ein Werk von meinen Händen ist es, welches im geheimen ich gewirkt durch langer Jahre Zeit in stillen Nächten, während Einsamkeit bedrückte mein Gemüt, dieweil du ferne wohntest auf dem unglückselgen Felde. Aber nun, so dir es dessen wert erscheint, wohlan, so segne dieses Werk, auf daß ichs schenke dem bedrängten Volke.»

Doch wenig hörte jener auf der Tochter Rede, löste nicht die Blicke von dem Schauspiel unter seinen Händen, starrete und staunete und rief und sprach zu stets erneuten Malen:

«In Wahrheit, nicht im Himmel noch auf Erden ist ein Kleinod gleich wie dieses.»

Und riefs und setzte immer wiederum von neuem an mit Staunen und bewunderndem Entzücken.

Und unvermögend sich davon zu trennen, gönnt er lange seinem Herzen die willkommne, seltne Speise – aber endlich rafft er sich gewaltsam auf, begann und redete und sprach zu seinem Kinde mit bewegter Stimme:

«Du reine Tochter eines schuldbeladnen Vaters, ziehe hin in Frieden, daß du tuest, wie es dir gefällt nach deiner Unschuld freiem Wunsch und Wohlbelieben!

Und nun, so mög ein gütig Schicksal walten über deinem Werk, auf daß zu deinen Füßen, wenn du wiederkehrest, du vernehmest Jubelruf und Festesklang und all des Dankes tausendfältge törichte Gebärden, deiner milden Tat zu Gruß und Lohn und Antwort!»

Und sprachs und segnete den Schatz, und es geschah, ob seinem Segen rollten große Tränen nieder auf des Werkes Antlitz.

Und mit Frohlocken grüßte jene ihrer Bitte gnädige Erlaubnis, nicht bemerkend ihres Vaters Schmerz – gemäß der Jugend hartem, eigensüchtgem Brauch – und als sie nun zurückerhalten das Geschenk, verschönt von Gottes Hauch und Tränen, küßte sie mit Hast des Vaters Hände, dankte oft und viel, und über dem, da machte sie sich los und eilte fröhlich zu vollziehn nach ihres Herzens lang verhaltnem mächtigen Gelüsten.

Und traurig lächelnd schaute Gott auf ihrer Freude kindliches Gebaren, sonnte gerne seinen trüben Mut am reinen Strahl verwandten Glückes – aber als nun ferner schon und ferner rückte ihrer Gegenwart erlösende Vermittlung, kehrt er plötzlich sich mit Ungestüm zur Seite, betete und rang und flehte mit der Seele höllischem Verzweifeln:

«Ist keine Gnade da? und diese Unschuld, wird sie es nicht sühnen?»

Und während er noch sprach, da quoll es aus der Tiefe wie von Dasein und von Wimmern:

 

Und zuckend neigte sich des Schöpfers Haupt, und langsam trat er wiedrum an den Wechselgang gemäß dem bösen Wesen seiner ewgen unheilbaren Krankheit.

 

Indessen schwebte jene durch den stillen Gau, beschwingt von Jugendlust und von des Rechttuns reinem Glücke.

Und Nacht und Friede war es um sie her, und bläulich funkelten die Sterne über ihrem Haupt, und keinen Laut vernahm ihr Ohr im weiten Weltenraum als nur der eignen Schritte leises Treten, weil da leichthin flog ihr Fuß auf den bequemen Matten.

Und während sie so eifrig wanderte mit mutigem Begehr und kaum vermochten ihre Schritte zu genügen ihres Herzens ungeduldigem Verlangen, rieselte aus schwarzem Grund ein Quell hervor und sprudelte und gurgelte und fragete und sprach mit unbefangenem Grüßen:

«Was eilst du also, hohe, blondgelockte Jungfrau aus des Hades ernster Höh, und wohin zielt dein Weg am frühen Morgen?»

Und es erwiderte und sprach die Göttin freundlichen Gemütes:

«Zur Erde strebt mein Weg, zum tiefen Tal, und darum eilet so mein Fuß mit unablässigem Beharren.»

Und wieder hub das Bächlein an: «Wohlan, wenn dir es nicht mißfällt, so wollen wir Gesellschaft halten; denn gemeinsam mit dem deinen ist mein Ziel, und auf den nächsten Wegen führ ich dich getreu nach sichrer täglicher Erfahrung.»

Und nicht mißfiel der Jungfrau dieser Rat, und lächelnd neigte sie ihr Haupt, und jener eilte jetzt herbei mit Plätschern, schmiegte gierig sich an ihre Seite, geizend zu erproben ihrer Schritte Schnelligkeit und Tugend.

Und der Gesellschaft froh und seiner eignen Überlegenheit bewußt, begann er jetzt zu spielen, tänzelte und drehte sich und überstürzte sich – und hin und wieder hielt er neckisch an den Lauf und blieb zurück und barg sich, unterm Gras versteckt, und dämpfte seine Stimme – aber lange währt es nicht, so schnellt er hinter einem Busch hervor unmöglichen Vermutens, schoß an ihr vorbei mit jähem Flug – und über dem, da hielt er nochmals still und wartete geduldig, selbstzufriedenen Gemütes.

Und also übt ers eine kleine Zeit, da ward er einesmales überdrüssig seines Spiels, nach Kindes Art, und also wechselt er sein Wesen, machte zahm und sittig seinen Gang und schlenderte an ihrer Seite mit verständigen Gesprächen.

Und von dem Bache sprach er gerne, der da reichlich fließt im ebenen Gefild, ohn allen Widerstand sich schiebend zwischen Hain und Hügel, zwischen Wald und Feld bequem sich dehnend in dem breiten, weichen Bett mit ruhigem Genuß; und wie er einzieht durch das Gartentor, das Angesicht erglühend von der Blumen Pracht und trunken von des Geißblatts übermächtigen Gerüchen, weil vom nahen Hause schallt der Kinder Jubelruf, wenn sie sich jagen auf dem zarten Kies, und auf dem Dache schreitet stolz der Pfau mit prunkendem Gefieder.

Und von dem Strome hub er an, dem Herrn der Erde, der da wälzt geraden Sinnes vor sich her die mächtgen Fluten, also daß da niemand wagt zu widerstreben seines Willens Kraft und seines Angriffs Ungestüm. Und meldete begeistert, wie er prächtig anzuschaun, wenn in des Mittags vollstem Schein die Strahlenkrone blitzt auf seinem königlichen Haupt und gleich Diamanten funkeln seine Glieder, gleich dem Golde flammt sein Leib;

Und wie noch herrlicher sein Bild, wenn er sich birgt in finstrer Waldesnacht, beschattet von gewaltgen Eichen hin und her, und dringt kein Licht hindurch und keine Stimme wird ringsum gehört, und bei den ernsten Weiden tänzelt schillernden Gewandes die Libelle, während in den blauen Fluten netzt mit scheuem Blick ein Weib die rosgen wonniglichen Glieder.

Und über dem mit unvermitteltem Belieben sprang er plötzlich ab von diesem Pfad und redete vom Menschenvolk und ihren sonderbaren Sitten: wie sich eifrig meiden, die mit Inbrunst sich begehren, wie sie sich mit Fleiß verschweigen, was ein jeglicher verlangt zu hören.

«Und also rätselhaft ist ihre Art, und wer es nicht gesehn, der glaubt es nimmermehr, und wers gesehn, der kann es nie begreifen:

Kein schlimmer Leid, kein tiefrer Gram, als wenn da einer einen andern liebt in seines Herzens innigsten Gefühlen.»

Und da die andre nun bezweifelte den Spruch, so konnt ihm Liebres nicht geschehn, und mit verjüngten Kräften fuhr er fort, vom Menschenleid und ihrer vielgestalten Torheit, wie in Sorgen sich verzehret Tag um Tag und wie im Tod sich mündet jedes Leben.

Und unerschöpflich war der Stoff und unermüdlich seines Mundes Rede.

Und staunend lauschte jene seinem Wort, und während er so sprach, betörte unversehens sich ihr Geist, daß sie begann zu glauben und zu schauen, einzig lebend in den Bildern der Erzählung.

Und anfangs folgte sie getreulich dem Bericht und tauschte willig Zeit und Ort, wohin sie immer führete des andern Rede.

Doch bald beharrte dann und wann vor ihrem Aug ein schönres Bild, und wieder über eine Zeit, da machte sie sich gänzlich los, und während jener öfters wechselte und wandte hin und her sein Wort mit Willkür unter kecken Sprüngen, hub sie nunmehr an zu denken und zu dichten nach des Herzens eigenwilligem Belieben.

Und ihrer selbst vergessend wähnte einer Erdentochter sie sich gleich, erduldend Menschenlust und -leid in ihren Träumen.

Und kostete von einem jeden Los, und mannigfaches Schicksal setzte sie sich vor, am liebsten aber war es ihr, in Not und Armut sich zu glauben, seis als Jungfrau, die geschäftig wohnt im schlichten Haus, der Wirtschaft wartend, helfend, pflegend, Dienerin den jüngeren Geschwistern, ihren Eltern Trost, den Nachbarn Rat und Beispiel, sei es, daß an des geliebten Mannes Seite sie Entbehrung, Sorgen, Mühn und Krankheit freudig trug und ihm aus Schimpf und Schmach ein himmlisch Glück zusammenwob gemäß des Weibes unsichtbaren heilgen Zauberkräften.

Und später wieder drängt es sie zu schaun der Erde bunte Länder, zu durchfliegen Stadt und Dörfer, zu durchforschen die verborgnen Falten, bis sie endlich, seis durch Zufall, seis durch eines Gegensatzes mächtgen Reiz getragen, wandelte in ihrem heimischen Palaste, wie sie wirklich täglich wandelte, wenn singend sie der Blumen pflegte, während durch die mondenhellen Fenster reihenweise schlichen die Gedanken, samt in allen Winkeln huschten hin und wieder weiche, duftige Gestalten.

Und ungern weilte sie daselbst und schalt ihr Los, und minder bitter schätzte sie der Menschen Leid und Tod als das verwaiste Dasein über aller Welt und allem Schmerze.

 

Und also dichtend mit dem Herzen träumte sie von Bild zu Bild und lebt ein Doppelwesen, also daß sie mit dem eigenen Bewußtsein streifte in der weiten Ferne, wandelnd hin und wieder aus der Erde Tälern zu des Hades grauen Höhen, während rüstig schritt ihr Fuß und unbewußt, doch sicher sie geleitete ihr Blick inmitten harter, körperlicher Dinge. Aber als nun über eine Zeit nach vielen Stunden, seis vor Müdigkeit und seis vor einem dunkleren Gedanken, lauter seufzete ihr Atem, also daß ihr Geist erschrak und riß entzwei der luftigen Gestalten fein verschlungner Ring und ruhig tat sich auf ihr großes blaues Auge, tastend zwar und noch vom Bann des Schlafs gelähmt und noch verschleiert von verworrnen Nachgefühlen:

Da war verschwunden Nacht und Dämmerung, und hell erglänzete der jugendliche Tag, enthüllend jedes Ding nach seinen eignen Formen.

Und über dem, da war die schmerzensfrohe Wehmut ihrer Träume weggescheucht wie Nachtgespenst, und wachen Geistes schaute munter sie umher, der Neuigkeit begierig.

Und sah sich mit Verwundrung schreiten auf gebahntem Wege, der auf glattem Plan mit sanfter Neigung und verführerischer Wendung abwärts zog und zwischen wonngen Rosenhecken sie geleitete und hohen Sträuchern, während hinterm Busch ertönete des Baches wohlbekanntes trautes Plätschern.

Und kühl und schattig wehete der Morgen um sie her, und kräftge Nebel zogen langsam wider sie heran, und allerorten schwang von Busch und Baum und Gras sich auf ein anmutvoller Wohlgeruch, der mengte sich und mischte sich und brauete die Luft mit sinnbetäubenden Gewürzen.

Und noch war ferne zwar der Sonne Ball, und war kein Schein noch Strahl von ihr zu sehn, doch ihre Ahnung schwebete ob einem jeden Ding, und es geschah, ob dieser Ahnung keimete die Luft, daß sie begann sich zu bewegen und zu kreisen, teilte sich und wurde bunt und vielgestalt, und hin und wieder blitzt und leuchtet es, und Silberregen sprüheten und träufelten herab, und mancher warme Odem drang hernieder durch den feuchten Schleier.

Und üppiger geriet mit einem jeden Schritt der Rosenwald, und dichter drängte sich, von weißen Blumen überschneit, der dornge Hag, und von des Morgens warmem Hauch getroffen schmolz von Busch und Baum der Tau, und jetzt begann sichs zu erheben aus dem laubigen Versteck, und tausend kleine, hartbeschwingte Wesen schwärmeten und funkelten umher, besetzten Halm und Blatt, und in die offnen Kelche bohrte seinen dicken Kopf der schöne goldbestaubte Käfer, schob mit seinem plumpen Leib, bis daß er ganz begraben in dem nassen Bett und sich von seiner großen Last verkehrete die Blüte.

Und schon zerrissen jetzt von Zeit zu Zeit die Nebel, schon aus seinem blauen Auge grüßte dann und wann das hehre Himmelsangesicht, und fremde, zarte Farben ließen schwebend sich hernieder, glitten träumerischen Scheines langsam über das erwachende Gefild, versöhnend und vereinend, mildernd jeden Gegensatz und groß gesinnten Herzens ohne Wahl noch Urteil gießend über Hoch und Niedrig ihren goldnen Reichtum, während jene, unvermögend zu erfassen alle diese Wonne, schloß die holden Wimpern, öffnete den weichen Mund und trunkenen Gemüts mit leichtbeschwingtem Fuß von dannen strebte, dieses nur begehrend, daß es ewig also bliebe.

Da plötzlich senkte sich der Weg und hob sich das Gestein, und schwer und finster ward die Luft, und unversehens war verschlossen Bach und Pfad von einem mächtigen Gebirg, das links und rechts mit wilden Felsen überhing und sich vereinigte zu Häupten eines schwarzen, feuchten Tores.

Und ungern nahm die Jungfrau dies gewahr, und widerwillig nur gehorchte sie und wandte dann und wann mit Sehnsucht ihren Nacken, daß sie nochmals grüße die belebten, rosigen Gehege, nochmals atme den beseelten Duft – und über dem mit Frösteln und mit Schaudern schützte sie durch ihres Mantels doppelte Umschlingung Hals und Schultern, gürtete ihr Kleid und duckte sich und bückte sich, und also zugerüstet trat sie durch das dunkle Tor und wahrte sorglich ihren Fuß, damit er unberührt verbleibe von dem nassen Moos und von des eingezwängten Baches Überfluten.

Und eine Weile ging sie so, von Stein zu Stein mit Vorsicht springend ihre Tritte, aber plötzlich lauschte jetzt ihr Ohr, und horch, ein Widerhall als wie von tausendstimmgem, herrlichem Gesang, und aus dem allgemeinen viel verwirrten Chor erhob sich laut und klar der Turteltauben weiches süßes Girren.

Und außer sich vor froher Überraschung stürzte sie voran – da kehrte sich die Schlucht, und stumm verblieb es alles wieder um sie her, wie oft auch spähete ihr Ohr mit angespanntem Lauschen.

Und über dem, da trieb sie mit enttäuschtem Herzen abermals durch Nacht und Dunkelheit, und endlos wand und drehte sich die wilde Klus in scharfen Bogen, während schaurig aus den finstern Höhlen brausete und zischete der zornge Bach – da schallt in nächster Nähe wiederum mit heller Kraft der Vogelsang, und siehe, durch die kalten Dünste drang herein ein heißer, trockner Strom von Wonne, spendend einen duftgen Gruß von Buchs und Tannen.

Und auf dem weichen Strome wiegte sich ein samtner, goldbesäumter Falter, Kind des Sommers, Freund des Lichts, im Meer der Luft ein schwimmend Paradies, auf dessen Mantel überreich die Schönheit sich vereint, und ist in Berg und Tal und Wald und Feld zerstreut der Farben nicht so viel, daß man mit alledem vermöchte zu erfüllen seiner Flügel einen.

Und sonnetrunken, schönheitdürstend flattert er heran, und als er jetzt gewahrete die hohe Maid mit ihren goldnen Locken, ihrem weißen Angesicht, da eilt er gierig ihr entgegen, dachte zu genießen und zu küssen von der fremden, holden Blume.

Und wohl erstaunt er über ihren Wandel, über ihren riesenhaften Wuchs, und an dem ungewohnten Gegenstande prallten jählings ab die zarten Fühler,

Doch ob dem wunderbaren Reichtum ihrer Schönheit setzt er immer wieder an, und es geschah, je mehr er fehlete, je größer wurde seines Herzens heftiges Begehren.

Und sechsmal kreist er ungestümen Fluges um der Göttin Haupt und Busen, sechsmal reckt er seine Glieder nach dem goldnen Haar, der weißen Stirn, den blauen Augen –

Da lächelte der Jungfrau Mund, und über dem mit plötzlicher Erleuchtung flog er sichern Willens wider ihre Lippen, krallte emsig in die wunderbaren Rosen seine feinen Nägel, sog aus ihrem halbverschloßnen Kelch mit leidenschaftlichem Gelüsten.

Und anders, schien es, war des Kelches Saft als all der andern Blumen, die da blühen im Gebirg und Tal, denn ratend tastet er umher, versuchete von ihren Zähnen, kostete von ihrer Zunge. Und lange hätt ers also noch geübt, da schaut er plötzlich ihrer Augen Spiel und spürte ihres Atems heißen Stoß, und über dem, da schwang er sich mit tödlichem Entsetzen auf und flüchtete mit seiner Glieder größter Eile. Aber ach! da sah er sich gefangen in der finstern Schlucht, und allerorten starrten ihm entgegen nasse, kalte Wände.

Und über dem, da rast und jagt er flatternd auf und nieder blindlings ohne Plan noch Ziel in seines Herzens sinnverlassener Verzweiflung, einzig von dem Zufall hoffend seines Lebens Heil – da hörete der Zufall sein Gebet, und unvermutet spürt er sich umfaßt von warmer goldner Flut, und alsogleich vergessen war die große Angst, und stattlich reckt er seine Flügel, wiegte sich und schwamm zurück und ward nicht mehr gesehen.

 

Und seinem Zuge folgete die Maid mit Aug und Fuß, beschleunigend in freudger Ahnung ihre Tritte, sparend ihren Atem, daß er nicht versage in der Zeit des frohen Schreckens – aber als sie wenge Schritte kaum getan, da sprangen auseinander die gewaltgen Riegel, tat sich auf das Tor – und siehe da vor ihrem Blick ein Felsental, in schwarze Schatten eingetaucht und ganz und gar im Sonnenschein gebadet.

Und über dieses Anblicks jähem Schlag erblindete ihr Auge, ballte sich ihr Herz, und heftig preßte sie die beiden Hände gegen ihren Busen, rang und seufzete – und über dem, da hub sie an zu schreien und zu jubeln aus der Seele tiefstem Grunde.

Und rein und klar und laut wie Glockenschlag und Nachtigallenruf erscholl ihr liebliches Geschrei, und kettenweise in verschwenderischem Reichtum perlten ihre wonnevollen Töne, gleich dem Springquell, der im dunklen Garten schnellt aus engem Mund die üppge Flut empor, und gleich den Feuergarben, die des Nachts beim frohen Fest beleuchten Stadt und Land, und gleich dem Regen, der in tausend Tropfen rieselt durch die dichtbelaubten Bäume, wenn die Donner rollen durch den finstern Wald, – und schwindelfrei und sicher wohnte sie mit ihrer Stimme auf den höchsten Höhen, setzte leichten Sprunges über jähe Gründe, niemals fehlend, niemals schwankend, kräftig stoßend mit der Kehle, gleich den Gemsen, welche die geschmeidgen Körper schleudern nach dem schmalen Grat – und also tat sie eine kleine Zeit, bis daß sich ebnete ihr Herz und sich beruhigte ihr Atem von der allzu vielen Freude.

Und überdem, da faßte sie zusammen ihrer Stimme Pracht, begann und sang ein Lied in ihrer schönen Sprache.

Und von den Liedern eines war das Lied, das sie zu singen pflegte, wenn sie einsam wandelte in ihrem Sternenschloß, und düster war des Liedes Sinn und traurig sein Gesang, doch jetzt mit sonderbarer Willkür wählte sie dies Lied in ihres Glückes Überfülle.

Und also lieblich war des Liedes Maß und also duftig hingehaucht sein Trauerflor, daß nie darob sich sättigte ihr Herz und immer wieder dürstete die Seele nach dem wehmutvollen träumerischen Anfang.

Und also singend eilte sie hinab das sonnige Geländ, begleitet von der Vögel herzbetäubendem Geschrei und von des Baches Rauschen, der in ferner Tiefe brausete von Fall zu Fall mit weißem Schaume.

Und ehe sies geahnt, da war zu Ende schon das Tal, und schon umdüsterte ein Schatten ihre Stirn, und schon vom unerwünschten Schluß verstummt ihr schöner Mund – da krümmte sich der Weg – und siehe da, ein neuer Felsengarten lag erschlossen ihrem Blick, verschieden von dem ersten ganz und gar und mächtiger gebaut an Form und Wohlgestalt, und aus den dunklen Wäldern stürzten allerorten wilde Bäche, ihren Weg versperrend oder in gewaltigen Sprüngen setzend über ihrem Haupte nach dem tiefen Grund, so daß sie unter vielen Wassertoren schritt einher, umstäubt von luftgem Tau, umrahmt von siebenfarbnen, zartgehauchten Bogen.

Und über dem, da hub sie stärker wiedrum an zu singen, schrie und jubelte, daß endlos widerhallte Berg und Tal – und auf dem hohen Acker überm Bach am waldigen Gebirg erhoben sich erstaunt die Tauben und die Krähen, flüchteten und ließen zögernd wiedrum sich hinab in größerer Entfernung.

Und zehnmal endete das Tal, und zehnmal krümmte sich der Weg, und zehnmal offenbarte sich vor ihrem Blick ein neues schönres Paradies, und unermüdlich eilte sie hinunter auf dem steilen Pfade, jubelnd, singend in des Herzens wachsendem Entzücken; aber als zum elftenmal sich öffnete die Kluft, da starrete zu ihrer Linken eine jähe Fluh mit überragendem Gestein, und dicht am Wege fiel ein Abgrund schroff und glatt hinunter nach dem lufterfüllten Nichts, und schwach nur tönte aus dem bodenlosen Tal zu ihr herauf des Baches hohles, dumpfes Tosen.

Und noch war schön und prächtig zwar das große Bild und hell mit frischen Farben übermalt, und manche Blume lehnete am Wegesrand und schauete mit ihrem blauen Auge wißbegierig nach dem leeren Raum, und weiß und rote Schmetterlinge gaukelten und tänzelten in großer Menge auf und nieder an den steilen Wänden, spielend mit den Felsengipfeln, furchtlos fallend in die grauenvolle Tiefe – aber sei es von der mangelnden Gewohnheit, sei es von des Weibes angeborner Ängstlichkeit, so fing die Jungfrau an zu bangen und zu beben, daß vor ihrem unterdrückten Mut erstickte alsobald ihr fröhlicher Gesang – und ob auch reichlich breit und ohne jegliche Gefahr sich dehnete der Weg und hin und wieder schützete von Stein und Eisen ein Geländer, wehrend jeden Fall, so schmiegte sie sich schwindelnd an den Felsen, scheu mit halbem Auge blickend, leise tretend mit den Zehen, daß sie nicht erwecke die Gefahr und nicht erschüttere des Berges aufgetürmtes, überhangendes Gebäude.

Und also rückte sie mit angehaltnem Atem ihre Bahn, von Schritt zu Schritt sich langsam schiebend, mit der Linken greifend an den harten Felsen, mit der Rechten wehrend nach dem Abgrund neben ihr und dieses wohl beachtend, daß sie niemals wechselte die Tritte.

Doch über eine Zeit, als sich ihr Auge nunmehr nach und nach vertraut, da wurde freier schon ihr Gang, und regelmäßig setzte sie nach links und rechts gemäß dem üblichen Gebrauch den Fuß, und wieder über eine Zeit, so wich sie nach des Weges Mitte, rüstig wandernd, mutig vorwärts blickend mit erhobnem Haupt, und endlich wieder nahte sie verstohlen dem Geländer, wagte dann und wann mit scheuem Auge auszuschauen nach dem tiefen, blauen, bodenlosen Himmel.

Und über dem, da hielt sie sich mit eigensinnigem Belieben immer an des Weges letztem Rand, und was sie früher ängstlich mied, das war nun ihres Herzens höchste Lust und liebste Speise.

 

Und während sie so munter wandelte und unablässig nach der Tiefe richtete den Blick und nicht beachtete den Weg zu ihren Füßen:

Da tönete ein helles Klingeln an ihr Ohr, und hurtig wandte sie das Haupt – und siehe da, zu ihrer Linken kletterte von Ziegen eine kleine Herde hastig an den schroffen Wänden, unvernünftgen Schreckens flüchtend vor der seltenen Erscheinung.

Und auf des Weges Brüstung saß ein Hirtenknabe, schaute großen Blickes aus dem klaren Auge staunend ihr entgegen.

Und sei es Laune, sei es ob des Kindes lieblicher Gestalt, da trat sie raschen Schrittes auf ihn zu, begann und grüßete und sprach zu ihm mit Huld und unbefangnem Fragen:

«Von welcher Heimat stammest du, und welches ist dein Name?» Und also sprechend wühlte sie mit ihren zarten Fingern in des Kindes reichen, schwarzen Locken.

Doch sei es vor den fremden Lauten ihrer Sprache, seis vor Schüchternheit, und sei es endlich, daß ein angeborner Fehler ihm verschloß den feinen, schönen Mund: nicht gab er Antwort ihrem Fragen, senkte seine Blicke, neigete sein Haupt, und dunkel glühete vor Scham sein braunes Antlitz.

Und über seinem stummen Wesen keimt ein Mitleid in der Göttin Busen, also daß sie nunmehr gerne länger bei ihm weilte, ob vielleicht mit Freundlichkeit sie lindere sein unheilbares Leid nach guter Leute Brauch und Sitte.

Und also hub sie wiedrum an, und teilnahmsvoll erklang ihr Wort, und sanften Willens ließ sie ihre Finger tröstend gleiten über seinen Hals und Nacken.

«Was sinnest du, geliebtes Kind, und welches ist die Tafel, die du da verdeckest mit den Händen?»

Und also sprechend heischte sie das Buch, entwand es ihm mit schmeichelnder Gewalt, indessen jener ihr willfahrete mit abgewandtem Haupte.

Und siehe, auf der Tafel waren abgebildet die Gefilde am entgegenstehenden Gebirg, mit allen Wäldern und Gehegen, samt den Wolken und den Vögeln, die darüber schwebeten in flüchtgem Laufe.

Und alles das mit wengen Strichen hin gezeichnet, etwas kindlich zwar und tastenden Versuchens, ohne alle Sicherheit, und hin und wieder wechselte ein Ding die Form, so daß in Lämmer sich verwandelten die Sträucher und die Hecken, aber immer waltete Gemüt und Innigkeit in alle dem, und Seele leitete die zarten Linien aus dem dunklen Vorderplan mit seinen derben Schatten nach dem fernen duftigen, verschwommenen Gebiet, und all die vielen Körper, die da auseinander standen auf dem hohen Felde, waren richtig nach der eignen Deutlichkeit und Größe abgeschätzt und mit verständgem Urteil jeder seinem Vordermanne nachgestellt, und nirgends lastete ein Gegenstand, und nirgends türmte sich das Bild, und ohne Mühe las das Auge die verschiednen Zwischenräume aus dem kleinen vielverschlungenen Gemälde.

Und es geschah, ob diesem Anblick ward dem Knaben gänzlich freund und zugetan die hohe Magd, daß sie mit ihrem weichsten Blick ihm lohnte, sanften Zwanges ihn ermunternd zu erneuter fortgesetzter Arbeit.

Und jener tat nach ihrem Wunsch, mit Mühe zwar, nach hartem Kampf, weil heftig widerstrebete in ihm sein Blut, und öfters wollt ihm seine Hand versagen, aber sei es von der Herrin Freundlichkeit ermutigt, sei es, daß Gehorsam ihm geläufig ob dem täglichen Gebrauch, so hub er guten Willens an und zeichnete mit Zittern und mit Zagen gleich dem Schüler vor des Lehrers kunstgerechtem strengen Urteil.

Und prüfete und maß mit seinem Auge der Gestalten äußre Form und Grenzen, spürete mit seiner Seele der geschwungnen Linien inneres Gefühl, und wenn er endlich alles einzeln klar erfaßt und wohl in seinem Geist zurechtgestellt und wohl verkürzt in billigem Verhältnis zu des Buches engbeschränktem Raum, dann trug ers sorglich ein, versuchend erst, mit langem, tiefgeneigtem Stift und schwachem Druck, ergänzend, bessernd, öfters wiederum das Vorbild fragend mit bescheidnem Blick – und über dem, da faßt er kräftiger den Griffel, schrieb mit Fröhlichkeit den letzten Schluß nach seinem besten Wissen und Gewissen.

Und es geschah, mit jedem Strich errötete sein sanftes braunes Antlitz.

Und mit Bewunderung verfolgete die andere das Wirken seiner Hände, schauete mit hoher Lust, wie unter seiner Arbeit sich verwandelten des Buches leere Flächen, sich erfüllete mit reichem Leben das bescheidne, grobe Blatt, und unversehens ahmte sie mit ihrem Geist ihm nach und schaffete und sorgete mit ihm zugleich, begleitend jeden seiner Blicke, die mit stetem Wechsel, bald erhobenen und bald gesenkten Haupts er hin- und herwärts sendete – und es geschah, ob ihres Führers Beispiel lernete ihr Auge, also daß es reifer jetzt vernahm und allerorten Neuigkeit entdeckte, gleich als ob sich mehrete die Gegenwart in hundertfältiger Verdopplung.

Und ab und zu, weil sie verfolgte seinen Blick, verfehlte sie ihr Ziel, betrachtete an seinem Blick vorbei sein schönes Auge.

Und schaute sinnend, wie in diesem kleinen Glas ein vielgestaltiges geheimnisvolles Leben sich geschäftig rührte, wie in diesem runden, tageshellen Käfig sonderbare Tiere huschten hin und wieder an den glatten Wänden, Freiheit suchend, gierig dürstend nach dem blauen Licht – und ab und zu gelang die Flucht, und einer um den andern stürzten sie mit Blitzeseile durch des Fensters feine Fugen in den freien unbegrenzten Raum – und hinten in des Glases Mitte, vor des Doppelkreises innrer Scheibe trieb ein Zaubermännchen seine abenteuerlichen Spiele, neigte sich und hüpfete und sprang, verschwand und kehrte wieder, guckte drollig bald von rechts und bald von links mit seinem bärtgen Koboldangesicht hervor – da plötzlich schwoll das schwarze Rund und dehnte sich: und aus der dunklen Pforte stieg mit stolzem Schritt hernieder eine wundersame Feenkönigin, mit prächtigen Gewändern angetan, das Haupt bekränzt, den Leib mit goldnen Locken rings umhüllt – und es geschah, wenn diese Königin erschien, so strahlete das ganze Angesicht von ihrer Schönheit Widerglanz, und all die ungeheure Welt mit ihrem reichen Inhalt neigte sich vor ihr und dankete und huldigte – und über dem, da stieg sie langsam, majestätisch tretend, rücklings wiederum empor, bis daß sie endlich großen Anstands niedertauchte in die unergründliche Versenkung.

 

Und sehenswerter schien der Göttin dieses kleine Schauspiel als das riesenhafte Dasein, das vom tiefen Abgrund bis zum jähen Felsen starrete um sie herum, und merkenswürdiger des armen Knaben Tat als all die vielen Wunder, die am heutgen Morgen sie gefühlt auf ihrer wonnevollen Reise; darum weilte sie und konnte sich nicht trennen, stand und stand, und über ihrem vielen Stehn ermüdete ihr zarter Leib, und also legte sie die Hand auf seine Schulter, lehnete ein wenig ihre leichte Last zur Seite, daß von ihrem mehr geneigten Haupt die duftgen Locken hin und wieder streiften seine glatten Wangen.

Und gerne hätte sie in alle Ewigkeit daselbst verharrt, da ward sie plötzlich ihres Zieles stärker eingedenk, bemaß in einem einzgen Augenblick die hingeschwundne Zeit und strafte sich und riß sich los und spielt ihm, grüßend, mit den Fingern sanften Druckes über seine Schultern, bot ihm nochmals lächelnd dar ihr holdes Gottesangesicht – und über dem, da machte sie sich hastig auf und eilte hurtig, schnellen Schritts von dannen, weil sie immerfort sich schalt ob den verlornen Stunden.

 

Und also hatte sie in Bälde wiederum erreicht des Tales Ausgang.

 

Und als nunmehr zum zwölftenmal in scharfer Ecke sich der Weg zur Linken warf, da wölbte sich mit kühnerm Schwung die Himmelskugel über ihrem Haupte, senkte frei und groß nach allen Seiten sich herab, und siehe, unten in der blauen Riesenglocke lag im Sonnenschein das weite grüne Erdenland an sanften Hügeln hingebreitet unter ihren Füßen.

Und über ihres Zieles unverhoffter Nähe schrak die Jungfrau heftgen Schrecks zusammen, daß erstarrete ein jegliches Bewegen ihrer Glieder, daß ihr Fuß, der schon zum flinken Schritt erhoben schwebte, mit gehemmtem Willen wiederum zur Erde fiel – und vor des ungeheuren Bildes allzu plötzlicher Erscheinung starb der Schrei des Staunens zwischen ihren Lippen, sanken die zur Gegenwehr erhobnen Arme kraftlos wiederum zurück, und all ihr Fühlen war gelähmt, geblendet.

Und also schaute sie betäubten Blickes nach der Richtung, wo am dichtesten sich drängeten und häufeten die Wunder, wo die Dächer und die Fenster reihenweise funkelten und glitzerten im Sonnenschein, und ob auch gänzlich unvernünftig blieb ihr Auge, daß es nirgends einen Gegenstand begriff und deutete und nirgends die verschiednen Dinge trennete und ordnete und ganz im allgemeinen an der Oberfläche allerorts herunter glitt, so hörte völlig fein ihr Ohr, verstand aus dem verworrnen irdischen Getöse, das da gleich wie eine schwere Wolke war gelagert über allen Landen, laut und klar den Hahnenschrei vom nahen Dorfe her und auch der Kinder munteres Gelächter, samt das Hämmern und das Pochen, weil am neuen Hause sie die gelben Balken aneinander rammelten mit kräftgen Schlägen.

Und ebenso mit ihren zarten Nüstern nahm sie deutlich wahr den herben braunen Wohlgeruch, der mutig ihr entgegenhauchte aus den vielen Äckern.

Und eine kleine Zeit verstrich, bis daß sich lösete von ihr der Bann und Leben wiedrum ihr durchströmte Geist und Sinne.

Doch als sie endlich nun erwachend sich gewahrete auf hohem, freiem Stand, von Luft umringt und preisgegeben jedem Blicke, forschte ängstlich sie umher, und weil sie eben an dem steilen Raine unter ihren Füßen zwischen schmalen Kirschen- einen königlichen Nußbaum schaute, huschte laufend sie hinab und trat gebeugten Nackens unter das gewölbte Dach, und alldaselbst, in Mitternacht gehüllt, von ölig-feuchtem Wohlgeruch umhaucht und furchtsam spähend durch des Daches blaue Fenster, zog sie hastig aus dem Busen ihr geliebtes Kleinod, knieete zur Erde, suchete, und wo am saftigsten erschien das Gras, begrub sies sorglich zwischen hohen, weichen Halmen. Und über dem, da eilte springend wiedrum sie hinan, bis wo sich endete der Rain und scharfen Winkels sich der Flügel brach und sich in Ebne glättete die steile Steigung; aber hier, von jeglicher Gefahr befreit, vor ihren Füßen der gewohnte Weg, und nahe ihren Augen das gewaltge Felsentor, dahinter dröhnete des Baches wohlbekanntes, dumpfes Brausen aus dem jähen Grunde, schaute prüfend sie zurück – und siehe, in des Baumes Schatten funkelt es und glitzerte und blitzte, daß vor diesem Glanz vergilbete der lichte Sonnenschein am hehren Himmel.

Und über dem, da wurde froh und heiter ihr Gemüt, und als ein letztes Mal sie noch mit scheuem Liebesblick genossen den gesamten weiten selgen Gau mit allen Bergen, allen Wolken samt dem goldnen Himmelswagen in dem blauen Meer, da bog sie eilends um – und bald ertönte hinterm hohen Fels ihr jauchzendes Frohlocken.

II

Und also schied die Gottestochter. Aber unten an dem steilen Rain, im mitternächtgen Schatten unterm Baume glüht und sprüht und flammt es immerdar, und gleich dem Morgenstern am dunklen Himmel strahlten in die Ferne die demantnen Blitze.

Und rund umher die vielen Dinge merkten staunend auf, begannen, frageten bewundernd dieses Grüßen:

«Wer bist du, schönes Kind aus fremdem Land, und was bezwecket deine liebe Gegenwart in unsrer Heimat?»

Und mit bescheidnem Herzen gab der andere zurück:

«Vom namenlosen Lande stamm ich her und kenne weder Titel noch Beruf, jedoch, wofern es euch gefällt, so mögt in Güte ihr mich dulden.»

Und auch die Bienen und die Schmetterlinge, die da tanzten überm Blumengarten, eileten herbei, umspieleten, umgaukelten das Wunderkind, begrüßten es mit mannigfachen Fragen.

Und Rehe lugten großen Auges aus dem Wald hervor, und weiße langgeöhrte Hasen naheten mit muntern Sprüngen vom verborgnen Hain, und aus den Lüften ließen schweren Falles sich die Lerchen nieder, gierig, daß sie huldigten dem neuen, schönern Sonnenangesicht, und als sie nun aus nächster Nähe schaueten den weißen Strahlenglanz, da schwindelte ihr Herz, erlahmt ihr flüchtger, leichtbeschwingter Arm, und taumelnd hüpften unterm Grase gleich den Mäusen sie umher, weil schmetternd trillerten und jubelten und jauchzten ihre hellen Stimmen.

Und über allem diesem thronte väterlich und mild der auserwählte Baum mit seiner Riesenkrone, seinem schweren, grünen Mantel, hielt die königlichen Hände schützend über seiner Kinder Antlitz.

Und all die vielen Zweige beugten liebend sich herab und neigten sich zur Erde, daß sie gleich als wie mit einem Zaune wehreten den fremden Blicken, neidisch, daß sie einzig und allein genössen des Geschenkes unverdiente Huld; und all die abertausend zartbeseelten Blätter bebeten und zitterten vor Wonne, flüsterten vor freudiger Erregung einen weichen, reingestimmten Chor in säuselnden Akkorden:

«Wer wüßte, was verborgen unter dem bescheidnen Dach! wer ahnte, welches Kleinod ruht in unsrer Mitte!

Und wenn ihrs wüßtet, würdet ihrs uns neiden, wenn ihrs ahntet, würden so die Berge als die Täler herwärts schauen, würden aus den Städten und den Dörfern all das viele Volk in schwarzen Haufen eilen, würden pilgernd nahen diesem Orte mit Gesang und mit Frohlocken!

Denn hier ist Gegenwart, und hier ist Seligkeit, und hier ist Gnade!

Und darum singen wir, und darum beben wir, und darum will vor Wonne unser Herz zerspringen!»

 

Und also sangen sie, jedoch mit Flüstern, daß sie nicht verrieten das vertrauliche Geheimnis.

Und über eine Zeit, nachdem vom längeren Gesang ermüdete ihr Herz, begannen sie und frageten und sprachen zu dem Wunderkinde:

«Ist auch verschlossen dein geliebter Mund, und alle deine Seele wohnt allein in deinem Auge?

Und siehe, alles singt und summt und jubelt um dich her, und willst du selber einzig uns verwehren deiner Stimme Wohllaut?» Und freundlich gab der andere zurück: «Erfahren seid ihr allesamt und kennet eurer Kehlen Kraft und irdscher Lüfte Dichtigkeit; doch ich, ein Neuling bin ich hier und habe niemals meine Stimme noch versucht, und auch kein Lehrer ward mir je zuteil, jedoch so will ich eurem Wunsche also, wie ich es vermag, willfahren.»

Und über dem, da hub er an und rief und sang mit heller Kindesstimme übers weite Land die Himmelstöne:

«In meinem Namen nicht, im Namen zweier Augen, die mit ihren sanften Blicken ruhten über mir durch eine lange süße Ewigkeit des innigsten verschwiegenen Vereins, und über dies im Namen zweier andrer Augen, denen keine Augen gleichen in dem ganzen ungeheuren Weltenrund, in diesen Namen fleh ich über dich, du holdes grünes Erdental, den Gotteswunsch und -segen:

Daß Glück und Frohsinn leuchte über dir, daß auf der kurzen Straße von der Wiege bis zum Grabe Blumen sprössen jedem Erdensohn, daß jedem Manne diese Bilder widerführen, die dereinst als Kind er schaute in der Zukunft buntem träumerischen Scheine.

Und möchte niemals eines Menschen Namen einem Menschen Leid bedeuten, möchte nie ein weich Gemüt erkranken unter einem harten Wort; doch dieses sei des Menschennamens wahrer Sinn und Inhalt: Seligkeit im Glück und Trost im Unglück, aber immer dieser Erde größter Schatz und Reichtum.

Und wenn sich zwei in Liebe aneinanderschließen, möge niemals Zwiespalt trennen ihren engen, warmen, seligen Verein, und träge mögen über ihrem Haupt die Jahre ziehen, daß zu einem ewgen Himmel sich vertausche ihres Daseins schönes, duftges Paradies – doch wenn ein Überzählger wohnt auf Erden, welchen jedes Glück und jeder Trost vergißt, und nur die Widerwärtigkeiten, die da zahllos gleich den Bettlern streichen durch die volkbelebten Lande, halten vor ihm still und klingeln an der Tür und wischen ihre Füße über seiner Schwelle:

Dem wünschen wir, dem flehen wir: ein Angesicht, darin er hundertfältig wiederfinde, was die andere Welt ihm vorenthielt gemäß dem ungerechten Urteil seines harten Schicksals.»

Und also sang das Gotteskind, und eilends trugen seine Worte übers weite Land die blauen Lüfte.

Und ob der großen Ferne tönte leise zwar der wonnevolle Klang, den Glocken gleich, die aus der Kindheit frühsten Tagen widerhallen in des Greises Ohr, und unverständlich blieb die ungewohnte Himmels spräche dem gemeinen Haufen, aber wenn in diesem selben Augenblick ein Kindesauge blickte durch die Fenster nach der Richtung, wo das fromme Lied erscholl, da füllte sich sein Herz mit Güte, also daß es alle Zeit des Lebens niemand irgend etwas Leides konnte weder tun noch wünschen, sondern wenn die andern fleißig ihn mit Niedertracht und Bosheit überschütteten nach allgemeinem hergebrachten Menschenrecht und -brauch, so war Verzeihung seine einzge Gegenwehr, und als sie nunmehr seiner spotteten und ihn verhöhneten ob seinem andersartigen Gemüt, so faßt er zwar gewaltigen Ergrimmens einen scharfen Haß, und schon zu tödlicher Beleidigung bewaffnet er den Blick – da plötzlich zuckt er mit den Schultern und den Lippen, winkte mit der Hand: und siehe da, ein warmer edler Strom ergoß sich in sein Herz, der glättete in einem Augenblick ein jedes häßliche Gefühl – und über dem, so hub er freundlich an, verneigte sich und sprach: «Wohlan, ich bin bereit, und nun so fahret fröhlich fort, wofern ihr dessen also sehr bedürft in eures Herzens Niedertracht und Bosheit.»

Und wenn ein Jüngling in derselben Stunde einsam wandelte im stillen Wald, die Seele heftig aufgewühlt von unbekanntem, schmerzensreichem Sturm, so traf ihn der Gesang, und eilends fiel er auf die Knie, zerknirschte sich und betete und opferte mit feierlichem Schwur dem Ruhm sein ganzes Glück und Hoffen, also daß die Nachbarn fraßen all die Süßigkeiten, die ein gütiges Geschick ihm selber legte vor die Tür, und wurden satt und dick und angenehm und sahen mit Verwundrung seine Magerkeit und schüttelten den Kopf und sparten nicht von rechts und nicht von links den wohlgemeinten Ratschlag. Aber über dem nach einer langen Zeit, so lerneten der Nachbarn Kinder dieses Mannes Namen, zogen auf sein Grab und bauten ihm ein Angedenken, weil ihr überlegner Geist sich baß empörte über ihrer Väter plumper, unbegreiflicher Verblendung.

 

Doch an dem blauen Himmel auf dem goldnen vierbespannten Wagen stand die Sonne, schaute ungeduldig in die Runde, redete und sprach zu sich mit großem Unmut:

«Wo sind die Lerchen blieben, die gewöhnlich meinen Lauf begleiten mit entzückendem Geschrei, und soll ich gleich den Finsterlingen heute mürrisch wandeln meine Bahn? Und solches stumme Wesen will mir nicht gefallen, sondern wenn ich male, mag ich, daß es um mich jauchzt und schreit und jubelt, daß von heller Lebenslust mein Ohr mir gelle! Dann ist meinem Herzen wohl, und dann ist mir mein Amt Genuß, und über dem, so wollen wir den Heuchlern überlassen dieses falsche, lügnerische tugendhafte Schweigen.»

Und also sprechend überreichte sie der Dienerin die schöngestickten Zügel, holte von der Schulter den gewaltgen Bogen, faßte von den Flammenpfeilen, die in schrägem Sternenkreuze schmückten ihre Brust, ein Doppelpaar, und viermal leicht auf hochgewölbtem Fuß sich drehend, viermal mit der Rechten schnellend die gespannte Sehne, sandte sie ins Ungefähr hinaus die flinken Boten, welche zischend, züngelnd, gleich den Drachen feindlich auseinander flogen durch den glatten Äther, Feuer speiend, Funken schlagend gleich Kometen mit dem langen Schweif, daß unter ihrer Arbeit sich erhellete die Erde, offenbarend jedes kleinste Ding in den geheimsten Falten.

Und siehe da die Lerchen unterm Gras versteckt und taumelnd im verklärten Glanz und durch des Baumes Fugen strahlend die diamantnen Blitze.

Und mit Erstaunen redete und sprach die Sonne zu dem Baum das Fragen:

«Sag an, welch Kleinod birgst du unter deinem Dach? und welches ist die sonderbare Nuß, die du geboren?»

Und als nun jener sich verstockete und neidisch aneinander rückte seine Glieder, loderte der helle Zorn in ihr empor, und lauter Stimme drohend aus den dunklen Augen, rief und sprach die stolze Frau das herrische Befehlen:

«Das wollt ich wahrlich lernen, wer mißachte mein Gebot! und ob mir jemand widersteht, das wollen wir versuchen!»

Und sprachs und schüttete den vollen Köcher auf des Wagens Bank, und kräftig mit der offnen Rechten greifend in den dichten Haufen, legte sie die Pfeile bündelweise auf den Bogen, zielete: und heftig stürzten sich die Flammenbüschel in gerader Linie nach dem schwindelhaften Grund, und es geschah, ob ihrem Ungestüm zerriß der Bündel, daß sie einzeln in zerstreuten Massen gleich dem Regen fielen schichtenweise nieder auf die dunklen Blätter.

Und also tat sie eine lange Zeit, und schon von lauterm Golde troff der ganze Baum, und schon verzehrte sich sein grüner Mantel unter dem gefräßgen Feuer; aber mutig hielt er immerhin Bestand, beschützte trotzig das geliebte Kind mit seinem Schatten. Und über dem mit leidenschaftlichem Ergrimmen wechselte die Göttin ihren Plan, und mit dem rechten Knie sich stützend auf den weichen Teppich, beugte sie den schlanken Körper tiefer vor, und scharfen Auges zielend eine lange Stunde, sandte sie die Pfeile einzeln durch die Lücken ihrer Pferde, daß sie flachem Laufes jetzt gelangten unter dem belaubten Dache nach des Baumes eignem Stamm und Wurzeln.

Und da sie also endlich nun gewahrete den Himmelsschatz, da sprang sie freudig auf und brachte grüßend ihre Hand an Stirn und Busen, legt in Demut nieder ihre stolze Krone, rief und sprach zurückgeworfnen Hauptes zu der Dienerin das fröhliche Befehlen:

«Wohlan! wenn dieses also ist, wenn solche Gnade heute wird der Welt zuteil, dann wollen wir mit Festtagspferden fahren, mit dem weißen Sechsgespann, das im besondren Stalle steht zum seltenen Gebrauch, und wollen die Standarte holen, samt dem kleinen Fähnlein, daß du selbst damit dich schmückest, wenn du reitend führest unsern Zug, zur Linken sitzend auf des Vorderpferdes Rücken.»

Und sprachs, und jene spannte eilends aus die falben Rosse, schwang sich hurtig auf – und lange währt es nicht, so kehrte sie zurück und band die edlen Tiere sorglich an die goldne Deichsel, pflanzte die Standarte hinten auf des Wagens höchsten Rand und als sie alles dieses wohl vollbracht und auch die zwölfgeteilten Zügel mit gespreizten Fingern künstlich übergeben ihrer stolzen Herrin, packte sie das Fähnlein, glitt mit Anmut auf des Vorderpferdes Rücken, blickte fragend um: und plötzlich flog dahin das mutige Gespann, und prächtig in den Lüften flatterten die roten Wimpel.

 

Und um dieselbe Stunde saßen in des nahen Waldes Schatten sieben Bauern, stärkten sich mit Trank und Speise von des Morgens früher Arbeit.

Und während sie sich so erlabeten, gedankenlos und faul, zerstreuten Blicks, und nicht verspüreten die viele Schönheit um sie her und nicht bemerkten all die wunderbaren Dinge, weil sie langsam in dem überfüllten Maule hin und wider wälzten die gewaltgen Bissen,

Da kam mit aufgeregtem Mut daher geeilt ein stummer Hirtenknabe, weckte sie. und reizte sie mit heftigen Gebärden.

Und übellaunig gaben sie ihm endlich nach und folgten zögernd, schleppend seiner Führung.

Und als sie nun gewahreten das wunderbare Licht und sahen unterm Baum das Kleinod liegen, schritten zaudernd sie hinzu und trauten nicht – und hobens feindlich auf und drehtens einer um den andern endlos hin und wieder in den schwielgen Händen, bis sie schließlich ganz und gar verdummeten gemäß der fremden, sittenlosen, ungesetzlichen Erscheinung.

Und über dem, da schauten sie einander an und blickten wiederum verdrossen nieder auf des Bildes Antlitz.

Und es begann und redete und sprach der Jüngste:

«Wohlan, was dünket euch davon, und was ist eure Meinung, daß wir mit dem Ding beginnen?»

Und jene rieten auseinander, murrend unverständlichen Vermutens.

Und wiederum begann und fragete und sprach ein zweiter:

«Vielleicht so wollen wir es bringen vor des Königs Angesicht, denn sehet, über alle Maßen glänzend scheint das Ding, und nun, vielleicht – so findet diesen Tag ein Ende unsres Lebens viele Not und Armut.»

Und über eine lange Zeit des stummen Zweifels lobten sie das Wort und nahmens an und schlossen einen Bund und redeten und sprachen zueinander das Beschwören:

«Vor allem lasset uns mit Fleiß verheimlichen den Schatz, damit es nicht geschieht und andre schließen sich an unsern Zug und kommen uns zuvor und stehlen uns den Lohn aus unserm Munde mit erdichteter Erzählung.

Und drum so wollen wir in diesen schlechten Kleidern wandeln gleich als solche, die zu Markte ziehen zum Verkauf – und über alle dem, so wollen wir in sieben gleiche Teile trennen unsrer Arbeit Preis und Lohnung.»

 

Und also, wie sie es beschlossen, taten sie, und als der Älteste nun wohl in seinem groben Kleid den Schatz geborgen und versteckt, da machten sie sich eilends auf, verstellten Angesichts, mit Heucheln. Und hinter ihren Füßen folgeten die Lerchen und die Hasen, samt den Bienen und den Schmetterlingen, welche gruppenweise schwärmten über ihrem Haupte.

Und auch der Hirtenknabe folgete dem Zug von ferne mit bescheidenem Beginnen.

Und heftgen Zorns ergrimmeten die sieben über diesem Anblick, schrien und droheten und wehrten sich mit Steinen, daß sich nicht verrate das Geheimnis durch die sonderbare, fremd geartete Gesellschaft.

Und über dem, da stoben jene auseinander, zogen widerstrebend sich zurück, verschwindend einer um den andern in dem sichern Walde; ohne jenen Hirtenknaben: dieser widerstand mit Mut, empfing geduldig allen Unglimpf bleichen Angesichts mit Schweigen.

Und über eine Zeit begann und mahnete und sprach der eine:

«Ein Törichtes beginnet ihr! denn seht, es wird geschehn, wenn wir das Kind vertreiben, wird auf Rache sinnen sein Gemüt, und heißen Eifers wird er alle Männer aus dem ganzen Dorf zusammenrotten hinter unsren Spuren.

Und drum so laßt im Gegenteil ihn uns in Freundlichkeit gewinnen, also daß er mit uns teile unsern Weg, und überdem des Abends nach des Werkes Wohlgelingen können wir mit Leichtigkeit ihn wiederum entfernen ohne jegliche Vergütung.»

Und wohl begriffen jene dieses Wort, und also holten sie den Knaben ein und herzten ihn und dankten ihm, und über dem, da zogen sie in Eintracht nach der heißen Straße, mühsam und beschwerlich schreitend mit den Füßen, aber leicht und wohlgemut das Herz, gemäß der überreichen, überschwänglichen Erwartung.

Und also trieben viele Stunden sie einher, und schon vom hohen Gipfel wandte talwärts sich die Sonne, sperrete und hinderte die Räder ängstlich mit dem starken Schuh, da hatten sie erreicht die Königsburg, und allda stiegen langsam sie hinan die schöngewundne Straße, bebend und erbleichend ob des nahen Schlosses stolzem majestätschen Anblick.

 

Und als sie nun gekommen zu des Berges Gipfel, ruht ein märchenhaftes Schweigen um die herrlichen Gebäude, träumte das gewaltge Haus im Mittagsschlafe.

Und ob auch weitgeöffnet standen so die Tore als die Türen und die vielen Fenster, zeigte sich kein lebend Angesicht, und keines Menschen Stimme ward gehört, und nur die Katzen wandelten im Hof umher, und einzig die Lazerten brieten sich behaglich auf den heißen Mauern, während aus dem dunklen Garten flöteten die Nachtigallen.

Und jene zogen, auf den Zehen tretend, andachtsvoll des Wegs und sucheten und späheten und grüßeten und neigten sich ins Ungefähr und schoben zögernd den entblößten Kopf durch jede Lücke – aber leer und still und tot verblieb es überall, und auf des Daches Giebel hing die königliche Fahne schwer und faul hernieder, dieses nur gewährend, daß die leichtgesinnten Lüfte hin und wieder spielten mit den Enden ihres Kleides.

Und also hatten sie die Runde schon beinah zurückgelegt, da lehnt ein Invalid am Gartengitter, bückte sinnend durch das friedliche Gefild hinüber nach der tatenreichen Jugend.

Und als er nun vernahm die Männer, wie sie ratlos und verlegen sucheten, begann und redete und sprach er tröstend dieses Grüßen:

«Ihr lieben Brüder, laßt dahinten jede Furcht und tretet mutig ein, denn über alle Maßen huldreich ist des Königs Art, und freundlich schaut sein Blick, und gänzlich mild und weich wie unsresgleichen tönet seine Stimme.

Und sehet, selbst aus niederm Stand bin ich entsprossen, denke noch der Zeiten, da ich gleich wie ihr im Bauernkleid mit Pflug und Rechen zog zum Ackerfeld; und solcherlei vergißt sich nie, und wenn auch jetzt ein günstiges Geschick und meiner wengen Taten einiges Verdienst und auch zu allermeist des Königs Gnade mich erhöhte, also daß ich täglich nun genieße unsres milden Herren Gruß und Wort und trauten Umgang, werd ich nimmermehr ob meinem Range mich vergessen, werde nicht, wie andre pflegen, wegen meines schönren Rocks mißachten, die ich Brüder einst genannt zu Zeiten, da mein braver Vater lebte, welcher selbst wie ich und ihr, nicht mehr, nicht minder, zog im braunen Kleid bescheiden und gerecht mit Pflug und Egge auf den harten Acker.

Und drum so tretet fröhlich in den Garten, schreitet frisch und keck geraden Weges fort, bis daß ihr kommet zu dem Marmormanne mit der Keule, wo sich kreuzen die verschiednen Gänge. Allda haltet still, und über kurzem wird der König selbst erscheinen, wandelnd Arm in Arm mit einem seiner Freunde.»

Und jene folgeten dem Wort und traten mit geducktem Haupte durch das hohe Eisentor und wanderten geraden Weges durch die schattgen Gänge; aber als sie nun gekommen zu dem Marmormanne, stellten sie den Fuß und drängten sich zusammen, warteten mit angehaltnem Atem an des Weges Seite.

Und da sie nun verspürten, wie vor ihres Herzens allzugroßer Scheu und Ehrfurcht sich zerstreuete ihr Geist, so wollten sie, daß sie ihn kräftig sammelten, und also zwangen sie den Blick und hüben an zu lesen und zu lernen an dem Marmorbilde.

Und siehe, groß und gar gewaltig war der nackte Mann und stützte ruhend sich auf eine Keule, während er mit seligem Gefühl betrachtete ein Kleinod, welches er emporgehoben hielt in seiner Rechten.

Und dieses lasen sie und lernten sie mit Fleiß und teiltens flüsternd jeder seinem Nächsten mit und wiederholtens immerdar und fanden immer eine neue Neuigkeit: die niedre Stirn, das Löwenfell und unter seinem Fuß ein hundertäugig Ungetüm und alsofort – da wurden Stimmen laut, und siehe da, der König nahete des Weges, eifrig sprechend, Arm in Arm mit einem seiner Freunde.

Und als er endlich nun gewahrete die Männer zu des Bildes Füßen, stand er still, beschloß und redete zu seinem Freund die starkbetonten Worte:

«Und dieses einzig nenn ich Glück, daß eines Mannes Name sich vermähle mit der ganzen Menschheit Wohlgedeihen, also daß die künftigen Geschlechter dankend ihn begrüßen. Dieses heiß ich Glück, und alles andre Wohlbefinden nenn ich unwert eines edlen Mannes.»

Und stärker sprechend fügt er jetzt hinzu: «Und wahrlich all das goldne, wollustreiche Dasein samt der vielen Ehre, samt dem süßen, heißgeliebten Weibe gäb ich hin und tauscht es gerne für ein Leben voller Herzensnot und -qual, wofern das eine nur das Schicksal mir gewährte, daß aus meinem Grabe sich erhöbe der Gesang des ewgen Ruhmes.»

Und es entgegnete und sprach der andre mit verwundertem Gebaren:

«Ein Rätsel setzest du vor meinen Geist, denn ist nicht alles, was du da begehrst, dein Eigentum, und siehst du nicht das Gottesreich gedeihen unter deinen weißen Händen, spürst du nicht in deinem Herzen deines Volkes Dank und Segen? Überdies so bist du jung, und zwischen dir und deinem Grabe liegt ein weiter Raum, darinnen reichlich du vollbringest, wie es dir gefällt, die großen, unvergeßnen Taten.»

Und über diesen Worten fing der König an zu beben, faßte heftig des Gefährten Arm, und nach dem Marmorbild ihn ziehend, rief und sprach er finstern Angesichts mit gramumwölkten Blicken:

«Vernimm, was ich dir sagen will nach meiner eignen schmerzlichen Erfahrung:

Wenn eines Bildners Seele sich berauscht im Sonnenschein und ahnet mit dem innern Auge eines Menschenleibes göttlichen Gehalt und gehet hin und führt in hartem Stein es aus mit jahrelangem fleißigen Bemühen – oder wenn in Nacht und Einsamkeit ein Dichter greift in seine eigne Brust und fasset seines Herzens vieles Leid und wandelt es in deutliche Gestalten, also daß die andern schauend daran glauben: dieses nenn ich Taten, dieses heißt Vollbringen. Aber solches wird dem König nicht zuteil, dem Herrn der Völker, sondern seines Reiches Wohlgedeihn entzieht sich eines einzgen Willen und Vermögen, wer er immer sei und ob an Geist er alle andern überrage, ob er redlich sich befleiße Tag und Nacht, und alles, was er unternimmt, ein Tropfen bleibts, ein schwacher Strahl, verschwindend in der großen Masse seiner Arbeit.»

Und nach dem Marmorbilde zeigend fuhr er fort: «Betrachte dieses Bild, wie ich es täglich selbst betrachte schweren Mutes, lern aus meinem Munde seine tiefe Wahrheit:

Wonach wir andern mit des ganzen Lebens angespannter Kraft vergebens ringen, dieses bringt ein seltner Augenblick umsonst und mühelos dem Manne, den das Glück erwählet. Dieses ist des Bildes Sinn, und mit Verständnis setzt es darin einzig unsern Ruhm, daß wir Gelegenheit erleben und sie fassen, daß ein Kleinod reife über unserm Haupt und daß wir es gewinnen.»

Und während er so sprach, ertönete vom Felde her der Sense Rauschen, flöteten die Kinder an dem nahen Bache.

Und es erwiderte und sprach der andre tröstenden Gebarens:

«Wohlan, verzage nicht, denn sieh, wer weiß, ob nicht auch dir vielleicht das Glück bereite solch ein Kleinod.»

Und traurig zuckte Epimetheus mit den Schultern, blickte langen Blickes nach der Richtung, wo die Sense klang und wo die Weide rief – und über eine Zeit, so zog der andre lautlos grüßend seines Wegs, er selber aber schritt zur Stelle, wo die Männer seiner warteten mit Zittern und mit Zagen und mit unaufhörlichem Verneigen.

Und ernsten Wesens, während noch von Trauer etwas wenig schwankte seine Stimme, hub er an: «Ihr lieben Brüder, was begehret ihr? und gebet mir vertrauensvoll anheim, was also in euch zagt und bebt und sich verstecket.»

Und von dem milden Wort beruhigt, zeigten sie den Fund und meldeten die Märe.

Und jener nahm das Bild, beschaut es sehr und dreht es um und um und faßt es allerorten an und führt es an sein Ohr und schmeckete daran mit seiner Zunge.

Und über eine Zeit, so fuhr er fort, erwiderte und sprach mit Trösten:

«Wohlan, so wollen wir es dem Gewissen zeigen, dieses wird mit ja und nein uns sicher leiten zu der richtigen Erkenntnis.»

Und sprachs und führte sie in seine Kammer, weckte das Gewissen, das da traulich schlummerte auf seinem heilgen Schrein inmitten ‹Heit› und ‹Keit› und hielt ihm dar das Bild und fragete nach Ja und Nein mit deutlichem Verlangen.

Und es geschah, als das Gewissen kaum erblickete des Bildes Angesicht, so sprang es jählings von dem Schrank, und hurtig auf dem Boden laufend, zog sichs unters Bett zurück unmöglichen Vermutens.

Wie wenn am Meeresufer eine Krabbe munter wandelt durch den gelben Sand und vor des Menschen Antlitz flüchtet sie zur Seite, rudert vor- und rückwärts mit den flinken Beinen, giftig glotzend, feindlich sträubend die gewundnen Scheren, bis sie endlich plötzlich sich errettet in dem sichern Schilf: so schaute das Gewissen unterm Bett hervor, und es geschah, je näher Epimetheus rückte das Gebild, je weiter zog das andre sich zurück mit widerwärtigen Gebärden.

Und also schweigend hockt es da, und auch kein einzges Wort und keine Silbe gab es laut, wie sehr der König immer bat und flehete und reizte mit verschiednen Reden.

Und als er endlich über eine lange Stunde seiner Ohnmacht inne ward, da schloß er ab, begann, verkündete und sprach beschämten Wesens dieses Urteil:

«Ihr lieben Männer, meine teuren Freunde, herzlich reut mich das, und solches ist mir wahrlich unwillkommen über alle Maßen. Und also widerfährt mir heut zum erstenmal, und alle Tage ists ein gutes taugliches Gewissen, welches laut und klar mit ja und nein mir weiset meine Pflicht, und wenn es meldet «Ja», so hab ichs niemals noch bereut, und Gottes Segen ruhete auf meinem Werk, und wenn es widerspricht, so ists vom Bösen, also daß mich keine Macht des Himmels und der Erde wird dazu bewegen.

Doch heute – so vermut ich – ist durch Krankheit oder auch durch irgendeine andre Schuld sein Mund versperrt, und eh er wiederum erschlossen, darf ich keinerlei verweigern oder auch empfangen. Aber ziehet nunmehr unentmutigt zu den Priestern, die da wohnen auf dem großen Platze bei dem roten Dom, damit ihr ohne Zweifel alldaselbst erhaltet eurer Arbeit reichen wohlverdienten Dank und Segen; also ist mein Rat, und wenn ihr nirgends säumet, werdet ihr in dieser selben Stunde sie versammelt finden, weil sie singen in dem Tempel maßen ihrer täglichen Gewohnheit.»

Und sprachs und grüßete und schritt von dannen.

 

Und jene folgten seinem Rat, und also kehrten sie zurück und stiegen unentmutigt wiederum hinab die schöngewundne Straße, wanderten geraden Weges nach dem Fluß und von dem Fluß zur Stadt hinüber auf der heißen Brücke.

Und schwenkten mit Behagen in die kühlen Gassen, wo ein angenehmer Schatten gastlich sie empfing und wo auf dunklem Grund genasen die vom allzuvielen Lichte kranken Augen, stiegen leichtern Schrittes an den steinbeschwerten Hügeln jetzt empor, und überall auf ihrem Pfade herrschte Ruh und Schweigen in den leeren Straßen, spielten sorglos mitten auf dem Weg die Knaben und die Mädchen, während in den Käfigen die goldnen Vögel jubelten darüber her und fülleten die reine Luft mit ihrem schmetternden Gesange.

Und als sie nun gekommen zu dem roten Dome, der mit seinen schlanken Türmen überragete die häuserreiche, niedre Stadt, da standen offen die gewaltgen Pforten, quollen aus dem farbendunklen Schiff hervor Gesang und Orgeltöne.

Und vor der Mittelpforte stand die Glöcknerin, bewegete ein Kind auf ihren Armen, während unter ihren Händen klirreten die wuchtgen Schlüssel.

Und es geschah, wenn sie sich niederbeugte auf des Kindes Antlitz, schwamm in feuchtem Glanz ihr Blick, und wenn der andre lächelte und fuhr ihr mit den weichen Händen spielend über Aug und Nase, ward sie außer sich, bedeckte leidenschaftlich seinen nassen Mund mit tausend Küssen.

Und als sie nun gewahrete die Männer schüchtern auf und nieder treten, suchend mit den Blicken, wandte sie das Haupt, begann und flüsterte und sprach zerstreuten Geistes, weil in ihrem übergroßen Glück gefangen lag ihr ganzes Dasein:

«Wohlan, was wünschet ihr? und nun so wendet euch zur andern Seite, nach dem kleinen Nebenpförtchen, das da heimlich führet nach dem Chor, und allda über kurzem werden euch die Priester selbst erscheinen.»

Und jene folgeten dem Wink, und also stellten sie sich rückwärts zu dem Nebenpförtchen, warteten daselbst geduldigen Beharrens.

Und während sie so müßig standen, lauschten sie mit ihrem Ohr den Stimmen, die aus nächster Nähe hallten aus dem Chor, und es geschah, durch einen Zufall sangen sie das Lied: «O komm, o Gott, mit deiner Gnade.»

Und immer wieder tönten diese Worte durch den vielverschlungenen Gesang, und bald von oben, bald von unten, so mit hellen als mit dunklen Stimmen nahmen sie den Spruch einander ab, und jene lauschten immerdar, und während sie so lauschten, sahen unversehens sie hinüber nach den blauen Bergen, wo aus ihrem heimatlichen Dorfe zwischen weichen Bäumen traulich stieg der Rauch zum Himmel.

Und also standen sie geduldig eine kleine Zeit, da plötzlich schwieg der herrliche Gesang, und siehe da, die Priester einer um den andern steigen aus der engen Pforte, milden Blicks, verklärten Angesichts, weil noch in ihrer Seele wider leuchteten die andachtvollen Klänge.

Und als sie nun gewahreten die Männer seitwärts stehen mit entblößtem Haupt, da traten sie hinzu und frageten nach ihren Wünschen.

Und jene zeigeten den Fund und meldeten die Märe.

Und als sie nunmehr eine lange Zeit vergebens sich gemüht von oben und von unten, riefen sie und sprachen plötzlichen Erleuchtens:

«Wohlan, so wollen wirs dem Hiphil-Hophal weisen; dieser wird mit Billigkeit verkündigen des Schatzes Urteil.»

Und also taten sie, und es geschah, als kaum der Hiphil-Hophal schauete des Bildes Angesicht, da fing er an sich zu entsetzen und zu ekeln, schrie und rief, indem er seine Arme schützend kreuzte über seiner Stirne:

«Hinweg mit diesem Hohn, denn etwas Widergöttliches beruht in ihm, und fleischlich ist sein Herz, und Frechheit blickt aus seinen Augen.»

Und sehr mißfiel den Priestern dieses Wort, und also zuckten sie die Schultern, meldeten und sprachen zu den Männern mit Bedauern:

«Wohlan, ihr lieben Brüder, habet Dank; doch maßen weltlich ist das Bild, so ziehet vielmehr zu den Lehrern, die da wohnen bei der hohen Schule; wenn ihr nirgends säumet, werdet ihr sie finden predigen aus dem papiernen Buche.»

 

Und als sie nun gekommen zu der hohen Schule, spielt ein kühler Schatten um das lauschige Gebäude, saß am Tor des Pförtners Tochter, malte mit der Nadel Blumen auf ein seiden Tüchlein.

Und sei es von der Blumen Widerglänzen, sei es von des Sommers ungewohnter Wärme, wurden purpurn hin und wieder ihre Wangen, deckt ein roter Schatten ihre helle Stirn, und ab und zu erhob sie ihre schweren Lider, spähte schrägen Blicks verstohlen nach dem Fenster, bis nach einer Zeit ein Brieflein lautlos glitt vom Sims hernieder auf den Kies, und über dem, da huschte eilends sie hinzu und kehrte langsam wiederum zurück mit unbefangenen Gebärden.

Und als sie nun gewahrete die Männer, die da ungewissen Schrittes naheten des Wegs, da redete und sprach aus ihrem schlauen Mund das holde Mägdlein:

«Wohlan, ihr lieben Freunde, wendet euch durchs Tor und von dem Tor zum Hofe. Allda ruhig sitzend unterm Baume werdet ihr in kurzem, welchen immer ihr begehrt, erhalten.»

Und jene folgten dem Gebot und warteten geduldig sitzend unterm Baume.

Und während sie so saßen, regte sich ihr Ohr und spielten ihre Blicke.

Und also sahen sie der Sonne Töchter sitzen zwischen Tauben auf dem Dache, höreten zugleich der Lehrer Worte schallen aus den offnen Fenstern.

Und es geschah, von ungefähr erzählten sie von alten Zeiten, meldeten von einem wunderbaren Schatz vor tausend Jahren.

Und sinnend lauscheten die Schüler auf den vielen Bänken, kehrten sehnsuchtsvoll die Köpfe nach dem Hofe, weil mit ihrem Geiste sie beneideten die glücklichern Geschlechter.

Und als nun über eine kleine Zeit verstummete der Redner Wort und lärmend stürmete das junge Volk hervor und wandelte in kleinen Gruppen auf und nieder, eifrig streitend über ihrer Lehrer Meinung, standen jene auf und grüßeten und zeigeten den Fund und meldeten die Märe.

Und es geschah, ob ihren Worten ward ein allgemein Gelächter in dem muntern Haufen.

Und mit Verwunderung und Neugier naheten die Lehrer, frageten und sprachen:

«Ihr lieben Söhne, was so Fröhliches erfahret ihr? und teilet uns in Freundschaft mit, was also euch vergnüget.»

Und lachend offenbarten sie den Schatz und wiederholten die Erzählung.

Und überlegnen Wesens wehrten jene ihrem Tun und straften sie, ermahnten sie, doch als sie nunmehr selber kaum erblickt des Bildes Angesicht, da lächelte ihr Mund – und lächelte – und über ihrem vielen Lächeln scholl von neuem wieder das Gelächter, jubelnd, daß vom allzugroßen Schall sich flüchteten die Hunde unterm Tore.

Und eine lange Weile gönnten sie, ein jeder seinem Nächsten, diese Lust, doch über eine Zeit, da wurden ernsthaft wiederum die Lehrer, wehreten mit Hand und Mund, beschwichtigten mit Freundlichkeit, begannen, redeten und sprachen, während oftmals noch ein spätes Lächeln wider ihren Willen spielt um ihre feinen Lippen:

«Wohlan, ihr lieben Söhne, dieses dünket uns Belehrung, daß an jenem ältern Schatze wir verstehen dieses Dinges Unwert.»

Und also sprechend holten sie das Buch – und siehe, dieses fehlete zumeist dem Bild: Gefühl und Seele, überdies der Ernst und auch zu allermeist der leitende Gedanke.

Und also wandten sie sich zu den Männern, redeten und sprachen endlichen Bescheides:

«Ihr lieben Freunde, wohlgesinnt ist euer Herz, und Dank verdienet ohne Zweifel eure fromme Absicht. Aber gehet nunmehr vor dem Abend zu dem Goldschmied, der da wohnet in der engen Gasse, daß vielleicht, wenn er es wägt, nach dem Gewicht ers euch vergüte.»

 

Und als sie kamen zu dem Goldschmied in der engen Gasse, sangen die Gesellen in der dumpfen Stube, saßen vor dem Haus der Meister und die Meisterin zufriedenen Gemütes.

Und als er nun gewahrete die Männer, wie sie frageten nach seinem Namen, hub er fröhlich an und grüßete und frug mit barscher Stimme:

«Gehauen und gestochen, liebe Freunde! Derb ist meine Art und grob mein Wort, und viele Höflichkeit ist über alle Maßen mir verhaßt! Und nun: was wünschet ihr? und über dem, geschlagen und getreten!»

Und jene zeigeten den Fund und meldeten die Märe.

Und jener lauschte ihren Worten mit erfahrnen Mienen, nickte dann und wann mit seinem dicken Kinn, wie jemand, der es alles längst versteht, und als sie nun geendet ihren Spruch, da hub er an, erwiderte und sprach mit überlegenen Gebärden:

«Wohlan, ihr lieben Männer, haltet eine Weile still, damit ich prüfe euren Schatz und ihn versuche so mit Pochen als mit Brennen und mit Glühen und mit Brühen.»

Und tat, wie er gesagt, und ging hinein – und über eine Zeit, da kam er wiederum hervor, verkündete und sprach mit starker Stimme dieses Urteil:

«Verzierung kenn ich nicht, und einfach ist mein Wort, und alle meine Redekunst heißt Wahrheit.

Und drum vernehmet: Unecht ist das Bild und falsch der große Glanz und ganz und gar gemein von Stoff das Machwerk; doch vielleicht, wenn ihr mit kleinem Lohne euch begnügt, so ziehet nunmehr eilends nach dem Markt, damit vielleicht aus Mitleid oder Torheit euchs entgelte dieser oder jener.»

Und also sprechend gab er wiederum zurück das Kleinod, wohl gebrannt und wohl geglüht und wohl gebrüht, und wandte sich, erzählete und sprach zu seinem Weib von einem fernen Wunderlande, da aus eigner Herzensgüte sich das Gold herbeibequemt zuhanden auf der großen Straße.

Und sprachs und seufzete, und mit ihm seufzete sein Weib – doch hinterm Fenster die Gesellen hatten insgeheim gelauscht, und also folgten sie mit ihrem Geiste seiner Rede, reiseten mit ihrer Sehnsucht träumend über Berg und Tal und Wasser nach dem fremden, wunderbaren, gutgesinnten Lande.

 

Und als sie nun gekommen zu dem Markte, setzten mit bescheidenem Beginnen sie sich abseits an den Brunnen, legten neben sich das Kleinod, warteten geduldig, stummen Mundes.

Und all die dunklen Beeren in den vielen Körben, als sie kaum gewahreten den Gottesschatz und spüreten auf ihrem Angesicht den Himmelsodem, schickten grüßend sie den reinen, wollustreichen Atem ihm entgegen, flüsterten und sangen ihm zu Ehren einen wehmutsvollen Reigen:

«Du adeliges Kind aus einem höhern Walde, der sich spiegelt über einem reinern Bach: welch Schicksal führt dich her? und ist zu eng dir deine schöne Heimat? oder ists vielleicht aus Ehrgeiz, daß dichs lüstet, sich zu messen mit den armen Schwestern von gemeiner Herkunft?

Und nun um deinetwillen werden wir verlassen stehen, werden mit Beschämung schauen, wie das Volk in schwarzen Haufen dich umzingelt, weil kein Auge sich vergißt an unserm niedern Wesen.»

Doch sei es von dem vielen Glühn und Brühn und Brennen, sei es von geheimer Traurigkeit, nicht gab das Kleinod Antwort ihrem Grüßen, schloß den bleichen Mund und richtete den Blick zu Boden.

Und hin und herwärts auf dem Markte wälzte sich des Volkes eine große Menge, handelte und feilschete und stieß und zankte sich mit brüderlichen Scherzen.

Und einer um den andern zogen sie vorbei, besichtigten das Bild und zweifelten und fragten:

«Wohlan, was wollet ihr damit? und ists zum Kochen oder ists vielleicht zum Braten?»

Und hin und wider führt es einer an den Mund und biß hinein und spie es unter großem Ekel wiedrum aus – und viele, ihrem Zartgefühl zumeist vertrauend, hüben an daran zu tasten und zu greifen, andre wieder preßten es und quetschen es mit ihren harten Fingern, daß sie lerneten des Dinges Saft – doch einer kam, der rieb es an den Hosen.

Und also einer nach dem andern zogen sie vorbei, und über eine Zeit, so ward ein leerer Platz um sie herum, und allerorten bei den Beeren drängte sich und scharte sich das Volk, jedoch an ihrer Stelle konnte man sich dehnen und bequemen.

Und es begannen zueinander, redeten und frageten die sieben:

«Wohlan, so wollen wirs um Brot vertauschen, daß damit wir füllen unsres Leibes Leere.»

Und siehe da, zu ihrer Linken saß ein Jüngling, saß und fraß, der dicke Krausekopf, aus einem vollen Topf, und kaum vermochte seine Sattigkeit zu überwinden die gewaltgen Brocken.

Und als sie nunmehr mit gezwungnen Mienen bittend naheten und zeigeten den Fund und meldeten die Märe, schaut er trägen Willens hin, und über dem, da reicht er jeglichem ein Brot, bedächtig, ungern, garstgen Blicks nach niedrer Leute Brauch und Sitte.

Und heftig dankend übergaben sie den Tausch – doch jener stieß ihn weg – verächtlich, überlegenen Gebarens.

Und während sie so aßen, nahten finstren Angesichts des Marktes Hüter, heischeten und forderten mit Strenge:

«Wohlan, was tauschet ihr? und welches ist die Ware, die ihr da verkramet?»

Und also sprechend beugten sie sich vor – doch jählings sprangen sie zurück, und in den Lüften spielend mit den Armen, droheten und wehreten und klagten sie mit mächtigem Geschrei und heftigem Entsetzen:

«Wohnt auch ein Herz in eurem Leib, und ruhet auch in eurer Seele ein Gewissen, daß ihr solches wagt und leget also öffentlich vor aller Augen diese bloße unverschämte geile Nacktheit?

Und nun so hebt euch eilig weg! und wehe über euch, wofern durch einen Zufall ihr beschmutzt mit diesem Anblick unsre reinen Kinder samt den weißen Weibern.»

Und also sprechend suchten sie umher und fanden auf dem Boden einen Sack und warfen ihn mit abgewandtem Haupte hastig auf des Bildes Antlitz.

 

Und jene folgten dem Befehl und hoben sich hinweg und flüchteten auf krummen Wegen durch die engen Gassen, furchtsam und verschlagen, ängstlich meidend jedes Menschen Angesicht, den Dieben gleich, verfolgt von ihrer strafgerechten Tat Bewußtsein.

Und also taten sie die lange Zeit, so lange sie umfing die häuserreiche volkbelebte Stadt, und schauten nimmer auf und sprachen nicht und gönnten ihren Füßen weder Ruh noch Rast, bis daß sie endlich nun gekommen vor das Tor und vor dem Tore zu dem offnen Felde.

Und allda stellten plötzlich sie den Lauf und sahen sich einander an und öffneten ihr Herz: und dicken Schwalles brach der längstverhaltne Groll hervor aus ihrem groben Munde:

«So haben wir vergebens uns zermüht und Hunger, Durst und Hitze samt der langen Reise ganz und gar umsonst erlitten!

Und eitel Schimpf und Schande war der Lohn, und über alledem, so ruhet ungeschehen unser Tagewerk, und frei und unbeschützet lieget das Geräte auf dem Acker, einem jeglichen zur Beute.»

Und fingen an zu schelten und zu streiten, wers zuerst gesehn und wers zuerst geraten.

Und siehe da der Hirtenknabe, wie er zögernd nahete vom Tore.

Und über diesem Anblick wandte sich in Eintracht alsofort ihr Streit, und mit versöhntem Willen machten sie sich auf und liefen ihm entgegen, nahmen ihn in ihre Mitte, schlugen ihn und fanden nimmermehr ein Ende kraft dem allzugroßen, lang verhaltnen Grimme ihres Herzens.

Doch als nun über eine lange Zeit sich nach und nach beruhigte ihr Blut und endlich von dem vielen Schlagen sich ihr Zorn besänftigte, begann und redete und sprach der Älteste mit Milde:

«Ihr lieben Männer, dieses bringt uns keine Frucht, und wenig Vorteil liegt für uns bereit, wofern wir diesen töten.

Jedoch ein andres scheint mir eher not, daß wir versammeln unsern Geist und halten Rat, was wir nunmehr beginnen.»

Und jene billigten sein Wort und schoneten den Knaben, rieten hin und her mit tastenden Versuchen.

Und es begann, versuchete und sprach der Jüngste:

«Wohlan, so wollen wir den Schatz nach Hause tragen, wollen ihn daselbst verwahren auf die Zeit, da sich vielleicht Gelegenheit ergibt, daß wir ihn tauschen.»

Doch lärmend eiferten die andern wider ihn: «Was Törichtes begehrest du, und ist auch dieses noch vonnöten, daß wir in dem eignen Hause pflegen dieses Gift, damit vielleicht zur bösen Stunde unsre Kinder davon naschen, ihnen zur Gefahr und auch – wer weiß, vielleicht – zum bittern Tode.

Und drum so wollen wir von diesem Unheil uns je eher desto besser lösen, wollens andern überlassen, daß vielleicht, so Gott will, ihnen widerfahre alles Übel, gleich dem Übel, das uns selbst an diesem Tage reichlich widerfahren.»

Und also wie sie es gesagt, so taten sie, und weil nun Haß beseelte ihren Arm, so schlugen sie das Kleinod schmetternd auf die Straße, daß es schrie und stöhnete und jammerte in seinem tiefsten Herzen.

Und tröstlich – schien es – war dies Werk und gar erfreulich dieses Stöhnen, denn von neuem huben sie nun an und warfens einer um den andern jubelnd immerfort zu Boden, jeglicher gemäß der angebornen Kraft und Stärke seines Armes.

Und also hätten sie es lange noch geübt, da stand von ungefähr der Türmer auf der Mauer, wehrete und drohete und rief mit Donnerstimme:

«Was dünket euch von diesem Ort? und ist es auf der großen Straße, daß ein jeglicher nach seinem Wohlgefallen dürfte niederlegen jeden Unrat?

Und drum so hebet hurtig wiederum den Schmutz hinweg, denn wehe über euer Haupt, wofern Gestank und Pestilenz davon entsteht und schwingt sich in mein Haus und frisset weiter durch die ganze Stadt mit unberechenbarem Schaden!»

Und sei es ob dem gar gewaltgen Klange seiner Stimme, sei es von der Wahrheit seines Worts erschreckt, gehorchten sie und nahmen mürrisch wiederum das Bild empor und eileten verdrossen und beschämt auf schmalen Pfaden durch das Feld – doch als nun unter einem Apfelbaum ein klein Gebüsch sich zeigte, spähten ängstlich sie umher, dem Mörder gleich, begierig zu entäußern das vom Blut befleckte Kleid, und weil nun gänzlich niemand achtete auf ihre Hand, da warfen sie es raschen Schwunges hin – und über dem, so zogen sie mit großer Hast von dannen. Und dünkten sich gewaltig über einem jeden Schritte.

 

Und hundert Schritte hatten sie noch nicht getan, da nahete des Wegs ein Jude, bückte sich und duckte sich und lächelte und grinsete mit untertänigen Gebärden.

Und arglos nahmen sie ihn wahr und zogen mit Verachtung ruhig ihre Bahn, doch als sich nunmehr kreuzten ihre Pfade, sahen sie ein sonderbares Höhnen kauern auf des Juden Antlitz.

Und unvermögend zu begreifen seine Meinung, schauten sie ihm nach – und jener bückte sich und drückte sich und wandte oftmals niedrig grüßend sich zurück – doch als er nun gekommen zu dem Busche unterm Apfelbaum, da macht er über alle Maßen sich gering und neigte sich und beugte sich und krümmte grinsend sich zur Erde,

Und als er nunmehr wieder sich erhob, da war verwandelt seine ganze Art, und steifen Rückens eilt er jetzt davon, erhobnen Haupts mit kräftgen Schritten.

Und jene folgten mit Verwundrung seinem Tun – und stauneten und starreten – und fühlten nichts und dachten nichts – doch als nun hinter einer Bucht verschwunden war die häßliche Gestalt, da spürte jeder von den sieben einen heftgen Stich – und unbewußten Blicks verfolgten sie den leeren Mann – und starreten und stauneten – und fühlten viel und dachten viel – und endlich kehrten sie zurück und schlichen langsam ihre Bahn, ein jeder uneins mit sich selbst und zwiegestimmt mit seinem Nächsten.

 

Und als nun gänzlich leer und einsam lag das weite Feld und träumend zwitscherten die Vögel in den Bäumen, auch kein einzges Antlitz zeigte sich im ungeheuren Weltenrund als nur allein die Sonne, welche schlummernd auf dem weichen Teppich ihres Wagens halbgeschloßnen Auges wiederholete die wonnevolle Anmut ihrer Glieder, während mutlos durch die heißen schattenlosen Äther schlenderten die edlen Tiere:

Da kroch ein Knabe langsam durch den braunen Acker, schob sich mühsam durch die niedern Furchen, weil von rotem Blut sich färbten seine Spuren.

Und keine Klage ward an ihm gehört, und keine Träne trat vor seinen Blick, doch als er endlich über eine schwere Stunde nun gekommen zu dem niedern Busche unterm Apfelbaume,

Da warf er sich mit Leidenschaft zu Boden, schrie und schluchzete, wie wem die ganze Welt geraubt und wem das Herz zersprengt ein namenloses Sehnen.

III

Und um dieselbe Zeit lustwandelte der Engel Gottes in den Wäldern an des Himmels Grenze, kehrte ruhig und zufrieden heim, nachdem er über Land gezogen, daß er mustere die Burgen und die Schlösser in dem ganzen Reiche.

Und da nun über jegliches Erwarten früh beendet war sein Tagewerk und gar so herrlich prangete die Gegenwart und über alle Maßen wonnig sich die kühlen Schatten mischten mit dem glutdurchströmten Waldesatem, war sein Ziel, daß er verzögere die Ankunft, war sein Augenmerk, daß er vergrößere die Bahn, und also hemmt er willentlich den Fuß und wählte stets die krummsten Pfade, die am längsten ihm gestatteten zu weilen in den wollustreichen, dunklen Schluchten.

Und während er so lässig zog einher und all sein Wesen war gelöst und heiter strahlete und mild sein markges Antlitz,

Da tat sich auf der Wald, und zwischen roten Fichten offenbarte sich des Äthers reines, duftiges Lazur, und lautlos aus durchbohrten Steinen gleich als wie aus einem Siebe sickerte ein Quell hernieder auf die trockne Straße.

Und allda hielt er gänzlich still, benetzte Stirn und Lippen mit dem klaren Wasser, setzte sich zur Seite auf das weiche Moos und ruhete und schlummerte mit Leib und Seele.

 

Und eben wars die Zeit, wo sich der Tag in Abend wandelt, da an der gewaltgen Weltenuhr die Zeiger stille stehen einen kleinen Augenblick und unten in der dunklen Kammer bei den tosenden Maschinen reckte seufzend sich das fürchterliche Weib empor und dehnte sich und wischte mit dem nackten roten Arm den Schweiß von ihrer frechen Stirne, dieses war die Zeit, da stieg die Sonne von dem goldnen Wagen, nahete vertraut den edlen Tieren, löste ihren Zaum und lockerte die vielen Ketten, führte sie mit zartem Griff hinüber in den Schatten einer mächtgen weißen Wolke.

Und allda ruhete das herrliche Gespann und kühlte die erhitzten Glieder, grüßend aus den klugen Augen, dankend mit der Füße munterm Stampfen, ungestümen Willens sich verneigend, daß von dem zurückgeschnellten Haupt der weiße Schaum mit heftgem Schwunge rücklings fiel auf ihre runden Nacken.

Und gnädig gab den Gruß zurück die königliche Frau, besuchte einzeln die getreuen Freunde, schmeichelt ihrem Ohr mit süßen Worten, schlug liebkosend ihre feine Hand auf ihre fetten Hälse, glättete und ordnete die Mähnen, bis sie endlich ihrem Amt genügt und wohl beschwichtigt jeden Neid und jede Eifersucht, und über dem begann sie selbst zu ruhn, und vor das erste Paar sich stellend, schaute ohne Absicht sie umher im grenzenlosen Raume.

Und siehe da den Engel Gottes schlummernd auf dem weichen Moos im hohen Walde.

Und über dem, da hub sie an und rief und sprach das vorwurfsvolle Wort mit Unmut und mit Staunen:

«Was weilst du, edler König, also träg und faul auf ferner Höhe, während in dem tiefen Tale deiner wartet Jubelruf und Festesglanz und freudenvolle Arbeit?

Und ist dir also völlig fremd geblieben jede Neuigkeit, und hat kein Abgesandter dich erreicht, der dir verkündete die frohe Botschaft? Aber säume nunmehr länger nicht, damit es nicht geschieht und du vielleicht bereuest deine große Trägheit.»

Und während sie noch sprach, erscholl von müden Stimmen seines Namens heisrer Ruf, und keuchend naheten die Boten, meldeten verworren und bestürzt ein unverständliches Geschrei von Gottes blondgelockter Tochter, vom Gesang im Felsental und von dem wunderbaren Kleinod unterm dunklen Baume.

Und über dieser Nachricht fing der Engel an zu wanken, stürzte bleichen Angesichts, wie schnell ihn seine Füße trugen, heim – doch ruhig rastete die Sonne in dem schwarzen Schatten bei dem schimmernden Gespann, so lange stille stand der Welten Lauf und schwieg ein jegliches Geräusch im ungeheuren Raum – doch als nach einer Zeit von neuem wiederum aus der Kajüte tönete das Schrauben und das Stoßen und das Stampfen, daß erdröhneten die unsichtbaren Wände, daß erzitterte das grenzenlose Schiff und auch das Uhrwerk setzte wieder an und maß und richtete die Zeit mit kurzem, scharfem Spruch und stetig gleich dem Wasser krochen vorwärts die gewichtgen Riesenzeiger, weil in umgekehrter Richtung sich die kleineren beschleunigten in raschen Sprüngen,

Da rückte sie mit rascher Hand ihr Kleid zurecht und grub das Diadem mit kräftgem Finger tiefer in das weiche mitternächtge Haar, und über dem, da stieg sie in den Wagen, hob mit kühner Lust das mutge Angesicht empor, und frei die silberreinen Arme vor sich streckend, lenkte sie die treuen Rosse nach dem Wolkenberge, welche schnaubend, wiehernd stampften durch den weichen Schnee und auf dem schmalen Grate aufwärts strebten, bis nach einer Zeit den Gipfel sie erreicht und leichter atmete die Brust und freundlich sie begrüßete der heimatliche Wald vom Horizonte.

Und über dem, da jagten sie in maßvergeßner Flucht hinunter nach dem blauen, fleckenlosen, luftgen Tale.

 

Inzwischen eilete der Engel blindlings durch das himmlische Gefild, das Herz beklemmt von Angst und Hoffnung.

Und als er endlich nun gekommen über Berg und Tal und Wiesen gegen seine hohe Heimat, war des Himmels Stadt zum Fest geschmückt, und aus den vielen Gassen lief das Volk mit frohem Rufen ihm entgegen, singend, tanzend, Blumen streuend, immer wiederholend die erwünschte Botschaft.

Und vor den Toren standen die Gesandten, die mit eignen Augen es gesehen, warteten mit aufgeregtem Wesen, daß sie einzeln ihrem Herrn und König meldeten die wunderbare Wahrheit.

Doch jener, als er kaum gewahrte die verstörten Mienen, fragte länger nicht und eilte unaufhaltsam nach dem Schlosse, wusch und salbte sich und tauschte hastig seine Kleider für ein weißes, köstliches Gewand, und also zubereitet trat er an die frohe Reise nach dem Erdentale.

Und überall auf seiner Straße drängte sich das Himmelsvolk und wogte jubelnd um ihn her, doch nebelhaft und wie in weiter Ferne schaut er das, weil immerdar vor seinen Blicken heftig sich bewegete der unbestimmte Glanz der seligen Erwartung.

Und also mit getrübten Sinnen strebt er seines Wegs und wurde nimmer wach, bis daß nach einer Zeit vom angestrengten Gang sich ebnete sein Blut und an der Wälder duftgen schöngeschwungnen Linien sich beruhigte das ungestüme Hoffen seiner Seele.

Und über dem begann er mit befreitem Herzen jetzt zu fühlen, kostete sein Glück voraus mit folgerechten, wohlgeordneten Gedanken.

Und suchte, mit dem Geiste ratend, anzuschaun das unbekannte Kleinod, liebte zu ermessen seinen unberechenbaren Wert, indem er sammelte den unvergänglichen Gewinn, den alle künftigen Geschlechter daraus lösten, sei es, daß sie selbst sich adelten durch dieses Bildes andachtvollen Anblick, seis als unbewußtes Erbteil aus der Väter Schatz – und also reich erschien er sich ob alledem, daß nimmer er vermöchte zu ertragen der vergangnen Zeiten Armut.

Und wollte ehren das Geschenk, beschloß ihm einen Tempel zu errichten, köstlicher und majestätischer und höher als der gegenwärtge Tempel, der mit seinen roten Türmen überragete die niedre Stadt, und über dem, da hub er an zu planen und zu bauen an des Tempels Formen, wünschte durch des Hauses Wohlgestalt zu preisen seinen heilgen Inhalt.

Und forschte in den Tiefen seines Geistes, schuf und träumte mit der Seele kühnstem Wurf, und prächtig wuchs vor seinen Augen das Gestein empor, doch niemals wollt es seinem Blick genügen, immer riß ers wiederum zusammen, hub von neuem an die angestrengte, freudenschwere Arbeit.

Und wie nun Laune waltet im Gedankenreich, so stellte ungefragt und unberufen, während er sich so befliß, Pandoras eignes süßes Antlitz sich vor seinen Geist, und über dem erlahmte plötzlich seines Willens eifriges Begehren, sondern sie zu schauen war nunmehr sein einziges Belieben.

Und dort am fernen Walde zwischen roten Felsen grüßte sie hervor, an jedem Ort, wo sein Verstand zumeist vermutete, daß sie in Wirklichkeit gestanden diesen selben Tag vor wengen Stunden, dort erschien sie ihm und grüßete und lächelte und sang zu ihm mit weicher Stimme. Und mit Begeisterung und Sehnsucht rief der Engel ihr entgegen, breitete die Arme aus und seufzete und betete mit ehrfurchtvoller Andacht:

«Du reines Himmelsangesicht, du unschuldvolles Gotteskind, du selbst das hellste Kleinod, dem kein zweites gleichet in der ganzen ungeheuren Welt, welch neidisch Schicksal waltet über mir, und welche Sünde hat mir diesen harten Spruch verdient, der niemals mir vergönnt, daß ich genieße deines Daseins gnadenreiche leibliche Erscheinung?

Und siehe, niedern Männern, unvermögend zu erkennen diese Wohltat, solchen offenbarst du dich – und ich, dem deine Gegenwart des Herzens höchster Wunsch und heimlichste Begierde, warum muß ich deiner immerdar entbehren?»

Und also betet er, doch jene hielt ihm nicht Bestand, entschwebte lächelnd seinem Fragen, zog sich gleich dem duftgen Morgennebel aufwärts nach der fernen, unsichtbaren Heimat. Aber nicht allein: und zog den andern mit sich, ob er es gestatte oder ob er widerstrebend nur gehorche seiner Sehnsucht.

Und also weilt er mit dem Herzen in dem sternbestrahlten Schlosse über allen Welten, aber mit den Augen ruht er auf der grünen Tiefe unter seinen Füßen.

Und also schön wie heute hatt er niemals noch gesehn das Erdental, denn jung und gleich wie neu beschaffen lag es da, und war ein wunderbarer Glanz darüber hingelegt, der stammte nicht von dieser Welt und stammte von den goldnen Locken, von den milden Augen, die an diesem Tag herniederleuchteten auf das gemeine Dasein.

Und war beschränkt und deutlich abgegrenzt der seelenvolle Schein, und es geschah, so weit von jenen gnadenvollen Felsen eines Menschen Auge konnte reichen, diese Strecke war mit goldnem Zauberlicht bestrahlt, doch was darüber und darunter und zur Seite lag, das hob sich kalt und finster ab, wie groß auch sei sein eigner Wert und ob es sich bekleide mit der Sonne schönsten Farben.

Und also mit getrenntem Wesen, schauend mit den Augen unter sich und mit dem Herzen fühlend in der fernen Höhe, folgt er eine lange Stunde unbewußt dem wohlbekannten Weg – da plötzlich lag in seiner nächsten Nähe schon der Menschen Stadt und Land, und mit entzücktem Mute wacht er auf und strebte schneller jetzt in Ungeduld dahin, begierig zu erfahren seines Glückes wahren Inhalt.

Und über eine Zeit, da fing er an zu spähen nach den äußern Zeichen, ob kein Jubelruf und kein Gesang sich offenbare seinem Ohr, und wieder über eine Zeit, da wundert er sich etwas ob der großen Stille,

Und wieder über eine Zeit, da fiel in sein Gemüt ein häßlicher Gedanke, gleich der Schlange, die aus ihrem warmen, wohlverborgnen Neste durch des Daches morsche Balken unversehens stürzt ins Schlafgemach – und eine Weile wohnt er zwar im Hintergrund versteckt und hielt zur feigen Flucht den flinken Leib bereit, doch schon ob seinem Hauch gefror des Engels Herz, und all sein großes Glück zerrann in einem einzgen Augenblick, und blieb allein davon bestehn ein zitternd Hoffen – aber lange währt es nicht, da sprang er plötzlich auf mit Mannesgröße, trat mit frechem Willen mitten zwischen das Bewußtsein, daß vor seinem grauenhaften Anblick auseinanderstoben all die andern Mitgedanken, daß vor seinem schweren Tritte gärete und siedete des Lebens Quell und alles Fühlen sich empörte mit gewaltgem Aufruhr.

Und gleich dem Wilde, das verwundet vorwärts stürzt, so lief der Engel jetzt dahin, und es verschwamm vor seinem Blicke jede Form der Dinge.

 

Und als er jetzt gekommen durch das Erdentor, da sah von ungefähr er eine Gruppe Männer stehen auf dem Felde, eifrig flüsternd einer mit dem andern wichtigen Gebarens.

Und dorthin lenkt er jetzt den Fuß, gedachte zu erhaschen ihrer Rede Inhalt.

Und also wie er es gedacht, so führt ers aus, gelangte ungesehn an ihre Seite, lauschete – da sprachen sie von ihrer Schwester Sohn und von des Schwestersohnes jüngst gebornem Kind nach allgemeinem, hergebrachtem Menschenbrauch und Sitte.

Und dieses war in sein beklommenes Gemüt der erste Schlag, und war ein harter Schlag, darob erdröhneten die Fundamente seines Wesens, riß sein eigenstes Gefühl entzwei, und aus der großen Spalte quoll ein Tosen und ein Donnern, das betäubte seine Sinne, lähmte seinen Geist mit jähem Schreck, und dumpfen Schmerzes trieb er leidenschaftlich jetzt von dannen, floh geraden Weges durch das Land, mißachtend das erstaunte Volk vor seinen Füßen, dieses einzig nur bemerkend, daß er schneller ende seine Pein auf eine jede Weise.

Und als er über eine lange, leidensvolle Weile nun gekommen zu dem stolzen Schlosse, stand der König an der Gartenmauer, band ein Bäumchen fest mit vieler Ruhe;

Und bei des Engels Anblick hub er freundlich an zu lächeln, wischte sich die Hände an des Rockes Schößen, eilte hurtig auf des Schlosses Pfalz, ihn zu empfangen.

Und dieses war der zweite Schlag, darob verstummete das Tosen und das Dröhnen in des Engels Ohr, und Todesstille wards in ihm, und all sein Blut vereinte sich in seinem Auge.

Und einem Löwen gleich mit wilden Sätzen stürmt er jetzt hinan und herrschete und sprach mit heftgem Fragen:

«Was weilst du also krank und faul, und warum strahlt nicht Stadt und Land im Festesglanz, und woher schöpfest du den Mut, daß du beschimpfest diesen Tag im Werkelkleide?»

Und mit Erstaunen hörte Epimetheus diesen Gruß, erwiderte und sprach mit unbefangenem Gebaren:

«Mein Gott und Herr: in Irrtum redest du, und warum sollt ich feiern, warum jubeln?

Denn siehe, Dienstag ist der Tag und ist ein Werkeltag, und nicht gebührt ihm Festesglanz und Ehre.»

Und über diesen Worten funkelte des Engels Aug, und mit erstickter Stimme hub er an und heischete und sprach gebieterischen Willens:

«Wohlan, was nützen Reden! Auf und schaffe eilends her den Himmelschatz, den du empfangen!»

Und festen Mutes gab der andere zurück: «In Wahrheit, nicht verdien ich deinen Zorn, und keines Unrechts bin ich mir bewußt, und keinen Himmelsschatz hab immer ich erhalten, ohne sieben Männer, welche mir entboten ein gemeines Kleinod, das sie aufgelesen auf dem Acker unter einem Baume.»

Und heisrer Stimme schrie der Engel wider ihn: «Wohlan, und was ist deine Tat mit jenem Kleinod?»

Und es geschah, ob dieser Frage blitzte jählings eine Ahnung in des Königs Brust, entdeckt ihm eines Mals mit ihrem grellen Schein die volle Wahrheit,

Und über dem entfärbte sich sein Angesicht und taumelte sein Leib, und gerne war er ganz und gar in alle Ewigkeit verstummet, doch ob dem herrischen Befehle hub er endlich an und rief und klagete mit Schlucken und mit Würgen:

«Es ist geschehn zu meinem Unglück, nicht durch meine Schuld versagte heute mein Gewissen, das du selbst mit eignem Urteil mir geschenkt und hast von ihm gesprochen: sicher wird es immerdar dich leiten auf der rechten Straße.

Und eine lange Stunde hatt ich es gefragt mit meinem redlichsten Bemühn, doch gänzlich heillos war sein Mund versperrt, und drum so schickt ichs zu den Priestern, die da wohnen auf dem großen Platze vor dem roten Tempel, wo du ohne Zweifel finden wirst, was immer du begehrest.»

Und über dieser Antwort wars der dritte Schlag, der traf ihn in sein Angesicht, denn heftig brannt ihm seine Haut auf Stirn und Wangen, reizte seinen Zorn zu jäher Rache.

Und eine Weile lüstet ihn, daß ers vollbringe, wie es ihm gefiel, doch seiner Gottheit eingedenk und seines hohen Amtes, löst er mit Gewalt die Spannung seiner Muskeln, zwang den Ausfall seines Körpers wiederum zurück, und einzig mit den Augen hassend hub er an, erwiderte und rief mit ungemessener Verachtung:

«Und war dir keine Seele, daß du also roh und unvernünftig, gleich den Tieren, dich verstecktest vor der wunderbaren Gottheit?»

Und über diesem Vorwurf wurde Epimetheus außer sich:

«Und hast nicht selbst mit eigner Hand du meine Seele mir genommen, jenen stillen Tag am Samstag im geheimen Grunde?» Doch nicht beachtete der Engel dieses Wort, gebot mit herrischem Befehl, weil drohend lag sein Grimm, wie eine Wetterwolke, zwischen seinen Brauen:

«Hinweg! und stelle dich zur Seite! achte wohl, daß du dich nicht bewegst und nicht mein Auge reizest, bis ich über dich verfügt nach deinem reichlichen Verdienen.»

Und widerstrebend, zögernd folgte Epimetheus dem Gebot – und es geschah, durch Zufall oder auch aus Neugier saß die Königin am Fenster, spähte heimlich durch die halbgeschloßnen Läden, aber als sie nun gewahrete den König stehend einem Sünder gleich, getaucht in Schimpf und Schande, schöpfte sie aus ihrem Herzen einen mächtgen Ekel, der verschlang in einem einzgen Augenblicke alle ihre viele Liebe, daß sie ferner nicht vermochte zu ertragen ihres trauten ehelichen Mannes Anblick.

 

Der Engel aber sammelte mit mächtgem Ruf das Hofgesinde aus dem ganzen Schlosse, redete und sprach zu ihnen heftgen Drängens:

«In Eile macht euch auf mit Roß und Wagen, daß ihr jaget zu den Priestern bei dem roten Tempel, bringt sie ungesäumt herbei mit dem von Gott erhaltnen Schatze. Und nehmet wohl in acht die Zeit, denn eh ich dreimal ziehe um den Berg, so seis vollbracht bei meines Zornes Strafe.»

Und sprachs und hub den Umgang an mit finstern Blicken.

Und als zum drittenmal er eben wiederkehrte, nahte eine Wolke schmutzgen Staubs, und jähen Laufes rasselten daher die Wagen; aus des Wagens Bauche aber schaueten die Priester bleich und gar verstört von Angesicht und suchend zu vermeiden seinen Gruß mit abgewandtem Haupte.

Und mehr bedurft er nicht, und kräftgen Sprunges eilt er jetzt hinzu, daß sich vor ihm entsetzeten die Pferde, heischete und sprach gebieterischen Spruches:

«Wohlan, so gebet ohne Zaudern her das Kleinod!»

Und jene zauderten und zögerten und drängten sich, versteckten sich, versucheten und wehreten mit schwacher, schuldbewußter Stimme:

«Nicht zürne, Gott und Herr! denn sieh, nicht lags in unsrer Macht, daß wir erkannten Gottes Werk in diesem Bilde.

Denn siehe, weltlich schien es ganz und gar, und drum so haben wirs den Lehrern anvertraut, und ohne Zweifel haben sie nach seinem Wert es wohl geehrt und wohl bewahret.»

Und über diesem Wort erhob der Engel seine Hand, gebot und sprach mit seines Ingrimms Überfluten:

«Was reckt ihr also dreist das Haupt, und wie so munter stellt ihr eure Leiber! Fort! und haltet ruhig euch abseits, und mit den Armen decket eure Stirn, damit euch nicht geschehe nach dem Willen meines Zornes!»

Und raschen Sprungs gehorchten sie und drängten sich abseits und schützten sorglich ihre Stirn mit beiden Armen.

Und stummen Winkes holt er wiederum die Diener, rief und sprach gebieterischen Wortes:

«Wohlauf und eilet abermals dahin und bringet mir die Lehrer samt dem anvertrauten Schatz; und ehe dreimal ich vollbracht des Berges Umgang, seis geschehn bei meines Zornes Strafe!»

Und sprachs und unternahm den Kreis mit wildem Laufe.

Und als zum drittenmal er wiederum erschienen auf des Schlosses Platte, jageten mit weißem Schaum besprengt daher die starken Rosse, standen mit erstauntem Angesicht die Lehrer in des Wagens Korbe, aber als sie nun gewahreten des Engels drohende Gestalt und all die Niederlage um ihn her und all das Fürchten und das Zittern, hüben sie von weitem an und prophezeieten und lehreten und schützten sich, verschanzten sich mit weisen, wohlverständgen Reden:

«Und sieh, es war kein Ernst darin und kein Gefühl, und über allem fehlete der leitende Gedanke. Aber schicke nunmehr zu dem Goldschmied, der da wohnet in der engen Gasse, dieser hat mit Schmelzen und mit Brühen sicherlich erkannt des Schatzes wahren Wert und Inhalt.»

Und vieles hätten sie hinzugefügt, da stellt er einen Blicks das weiche Fließen ihrer Reden, schrie und sprach mit seiner Arme heftgem Drohen:

«Was säumet ihr? und seht, es brennt die Rache unter euren Füßen. Darum springet alsogleich herab und flüchtet unter das Gebüsch und ducket euch und berget euch, daß nicht mein Blick euch streife unvermuteten Geschehens.»

Und jene folgtem dem Gebot, und über dem, da wandt er sich und redete und sprach zu dem Gesinde mit erhöhter Stimme:

«Und nun so jaget hin zum letztenmal und scheuet kein Gesetz und keinen Umstand haltet wert, auf daß ihr jedenfalls mir schaffet jene sieben Männer. Wer zuerst sie findet, diesen will ich setzen über alles andere Gesind im Menschenland, und wer zuerst erblickt den Schatz, zu einem Grafen will ich ihn ernennen, reich belohnt mit Vieh und Feld und jedem andern Reichtum.»

Und jene hoben sich hinweg mit heißem Wettstreit, die zu Pferd und die zu Wagen, andere wiederum zumeist vertrauend auf der eignen Füße Schnelligkeit. Er selber aber lehnte an der Brüstung, die umkränzte die gewaltge Pfalz, und schaute unvernünftgen Geistes vor sich hin mit starrem Blick – und kein Bewußtsein war in ihm, und keinerlei Gedanke klärte seiner Seele dunkle Mitternacht, und wüst als eine rohe Masse wälzte sich das Blut in seinem Kopfe.

Und da von ungefähr vor seinen Augen unterm Hügel lag ein Haus, da wars ihm Trost und Labsal, daß er sein zerfahrnes Dasein sammle an den scharfumgrenzten Flächen, daß sein schwankendes Gefühl sich stütze an dem harten, festen Gegenstand, und also hub er an zu lernen an des Hauses Rändern, zeichnete des Daches Form und zählete die Fenster;

Und ewig schien der Fenster Zahl, denn wie er auch mit Fleiß sich allzeit mühe, niemals konnt er die verlangte Summe finden, immer hub er wiederum von neuem an die schwere, undankbare Arbeit.

Und also mit betäubten Sinnen saß er eine lange Stunde schweigend da, weil dumpfer Schmerz ihn nun verknüpfte mit der Gegenwart des Lebens,

Da stiegen sieben Männer aus dem Tal – und plötzlich reckt er seinen Hals und schnellte seinen Nacken –

Doch langsam zogen sie einher, gebückten Haupts und nicht nach solcher Weise, die Willkommnes bringen.

Und über diesem Anblick wichen alle Farben aus der ganzen Welt, erblassete der Sonne goldnes Licht, und grau umgab ihn eine kalte Luft, und hohl und garstig grinseten die vielen Dinge; Und als nun jene zitternd naheten und warfen sich zu seinen Füßen,

Nicht öffnet er den Mund, zum Drohen nicht und nicht zum Strafen, sondern schweigend saß er da und fragete allein mit seinen kummervollen Mienen.

Und über eine Zeit begannen sie und hielten häufig inne, weil mit jedem Worte sie gewärtigten den fürchterlichen Ausbruch seines Grimmes:

«Es ist geschehn zu unsrer bittern Reue, da wir eitel Schimpf und Schande ernteten mit unsrem Schatz, so warfen wir ihn endlich auf die Straße; über dem, da kam ein Jude, dieser stahl ihn hastig weg zu unsrem unheilbaren Ärger.»

Und weitgesperrten Auges sprang der Engel auf: «Wes Landes war der Jude? wie beschaffen seine Kleidung?»

Und mit zerknirschtem Herzen gaben sie zurück: «Nicht wars ein Jude dieser Welt, und über alle Maßen fremd erschien uns seine Kleidung.»

Und über dieser Antwort brach der Gott zusammen, deckte stöhnend sein Gesicht mit seinen Händen – während Todesstille waltete um ihn mit Seufzen und mit Beben.

 

Und also saß er eine lange Zeit, da tat sich eine Stimme auf, begann und tröstete und sprach vernünftigen Ermahnens:

«Verloren ist das unermeßliche Geschenk, und niemand bringts uns jemals wieder; aber über alle dem: ein Unglück ist dir nicht geschehn, und ärmer bist du heute nicht, als du gewesen gestern und in allen Zeiten,

Und drum so nimm als nicht gewesen diesen Tag, und dieses nenn ich deine nächste Arbeit, daß du strengen Wortes wehrest deinem Herzen jegliches Erinnern.»

Und über der verständigen Belehrung fand er wieder Mut, und also faßt er seines Kummers schwere Last mit männlichem Entschluß und warf sie kräftig weg mit einem einzgen Rucke.

Und wie nun Gnade ist des Abschieds Brauch und auch Erinnrung ist gestattet denen, die auf ewig scheiden, gönnt er seinem Herzen diese wehmutvolle Lust, daß er ein einzges Mal noch wiederhole dieses Tages trügerischen Glanz – und über dem, da schloß er ab, und seinem fernen Glücke sendend einen letzten Gruß, begann und betet er und sprach mit Traurigkeit und inniger Ergebung:

«Du reine Himmelsmaid, die du aus Gnaden Heil und Segen spendest in der Menschen trostbedürftgem Volke, schnöder Undank ward dein Lohn, und schimpflich haben sie von Hand zu Hand geworfen deine unschätzbare Gabe.

Doch sieh, es ist ein arm Geschlecht, und nicht vermag die Größe ihrer Sünde zu erreichen deine Hoheit; darum tue ihnen nicht, wie sie es reichlich wohl verdienten, sondern öffne wieder deine milde Hand, so dir vielleicht nach tausend Jahren abermals es wohlgefällt in deiner groß gesinnten, schrankenlosen Langmut.»

Und also schloß er innen ab, und über dem, da öffnet er sein Auge, daß er nunmehr handle nach der äußern Gegenwart Bedürfnis.

Und siehe da vor seinem Blick der Menschenkönig dicken Gegenstandes.

Und finstern Mutes hub er bei sich an: «Wohlan, was tu ich nun mit diesem, den zu meines Reiches Hort ich mir bestellte?»

Und während er so frug, da tat sich wiederum die Stimme auf, entgegnete, erzählete und sprach mit mäßigendem Mahnen:

«Es war ein Mann, der setzte seinen Hund zu seines Hauses Wache.

Und eines Tages, da er auf dem Felde weilte über seiner Arbeit, kam von ungefähr der erstgeborne Sohn vom fremden Land: und eilends sprang der Hund herbei und fraß ihn auf mit des Gewissens fröhlichstem Behagen.

Und als nun jener nach vollbrachtem Tagewerke kehrete nach Haus und hörete des Weibes und der Kinder Wehgeschrei und schauete des Sohnes blutge Kleider, ward er außer sich und tötete den Hund und freute sich besonders über einen jeden seiner Schläge.

Und lachend blickten seine Feinde durchs Gebüsch: und als am andern Tag er wieder zog zu Feld, da schlichen sie herbei, umzingelten das Haus und mordeten mit vieler Leichtigkeit sein Weib und alle seine Kinder.

Und jammernd schrie und klagete der Mann mit sinnverlaßnem Schmerze:

«O welch ein zweifach Unheil hab ich mir getan! denn sieh, zu meinem großen Leide hab ich einen Hund mir aufgestellt, und totgeschlagen hab ich ihn zu meiner gänzlichen Vernichtung.»

Du aber laß von diesem Mann dich warnen, daß du nicht verletzest deinen Hund ob deinem gegenwärtgen Schaden, sondern schonest ihn und pflegest ihn, damit dereinst, zur schlimmen Stunde, wenn die Feinde unvermutet fallen in dein Reich, er kräftig beiße.

Und wenn dir dieses mehr gefällt, wohlan so sprich: zum Eckstein schliff ich ihn, und nun an seiner Kante hab ich mich gestoßen.»

 

Und wie nun ist verständger Leute Brauch, daß willig sie gehorchen jedem guten Bat, so dämmt er nunmehr seine Rache, hielt mit Not zurück den großen Abscheu seines Herzens, redete und sprach zu seinem Hund mit Ekel und mit vieler Milde:

«Wohlan, ich danke dir, und siehe, recht und schlecht hast du getan, und also fahre fort und tue mutig alle Zeit, was immer dir gebiete deine rechte, schlechte, redliche Gesinnung,

Jedoch ein einziges erbitt ich mir von dir ob dem gewaltgen Schaden, welchen ich an diesem Tag durch dich erlitten:

Wenn hoch am Himmel steht der Sonne glänzendes Gestirn und wenn die Rosen blühn und wenn der Sommer zeiget alles Schöne auf der Erden, sollst du nicht im Freien wandeln, sollst in deinem Hause dich verbergen, daß es nicht geschieht, wenn ich lustwandle überm Tal, und ich durch einen Zufall dich erblicke. Aber abends, wenn die Schatten wachsen, oder wenn umwölkt des Äthers Blau, auch des Winters, wenn der Sturmwind sauset durch den öden Wald, so magst du ohne Sorgen dich ergehn in allen Landen.»

Und über dem, da wandte sich der Engel zu den Priestern, faßte sie mit seinem Blick und redete und sprach dies gnadenvolle Urteil mit Verachtung:

«Wohlan, in Freiheit zieht, wohin es euch gefällt, und dieses einzig sollt ihr mir gestatten eurer gottvergeßnen Tat zum Angedenken:

Daß ihr mit Samt und Purpur schmücket euer Kleid, damit ein jeder mit dem Finger nach euch zeige, sprechend: diese sinds gewesen.»

Und auch die Lehrer holt er unter dem Gebüsch hervor, begann und sprach mit unverhohlnem Widerwillen:

«Und ihr! der Erde Licht, des Volkes Regel: laut und keck erhebet stets die Stimme, wenn ihr prophezeit, und gehet immerdar auf Stelzen, daß ihr jedermann von ferne warnet, der da unversehens nahe eurer großen Weisheit.»

Und zu den Bauern nun gewandt: «Fürwahr, ein Unrecht habt ihr euch getan und habt zu eurem ewgen Schaden selbst das Glück verworfen, das ein gnädiges Geschick euch zugedacht entgegen eurer feigen, niederträchtigen Gesinnung.

Und ob ihr nun mit Sorgen und mit Mühen fleißig euch zerplaget jeden Tag, so bringts euch keinen Lohn, und bitter werden schmecken alle Früchte eurer vielen Arbeit. Aber weil ihr einen Augenblick geglaubt und nahmt das Kleinod auf und habt um seinetwillen Schimpf und Schande viel erlitten, darum soll euch ehren groß und klein im ganzen Land, und keiner wage, daß er vor euch spreche mit bedecktem Haupte.»

Und sprachs und wandte sich und zog von dannen schweren Herzens.

 

Und wieder strahlte rein und klar als wie zuvor der gnadenreiche Tag, und wieder leuchtete vor seinem Geist Pandoras selges Antlitz.

Und ob auch schmerzlich sengete und brennete das Bild und ob er an ihm rüttle mit des Willens mächtigem Entschluß und ob er schützend mit den Händen decke seine Augen:

Vor seiner Seele glänzt es unverrückt: die blaue Luft im Felsental, der jauchzende Gesang und Gottes goldgelockte Tochter auf den duftgen Höhen.

Schluß

Doch überm dunklen Walde stand die Sonne, malte die geliebte Welt mit ihren letzten, schönsten Pfeilen.

Und als sie nun gewahrete den Engel mit gesenkten Blicken mutlos schleichen durch die abendlichen Gaue, legte sie beiseite den geschmeidgen Bogen, holte die gestirnte Krone aus den mitternächtgen Haaren, heischete und sprach zu ihrer Dienerin die raschen Worte:

«Halt an die edlen Rosse, birg das Fähnlein, sondern reiche mir den Trauerflor, damit wir eher handeln nach dem gegenwärtigen Bedürfnis!»

Und also sprechend nahm sie die Standarte, legte seufzend sie zusammen, barg sie sorglich unterm Kissen auf den samtnen Teppich.

Und fragend aus den klugen Augen, drehte sich das holde Kind zurück, verwundert ob dem sonderbaren Ton der Stimme, nicht begreifend des Befehles Grund und Anlaß, aber da sie nun bemerkte ihrer Herrin bleiches Angesicht und den gewaltgen Ernst in ihrem ganzen Wesen, stellte sie mit scharfem Ruf die aufgeregten heimatlustgen Tiere, glitt gestreckten Fußes mit geschloßnen Schenkeln auf den Boden, kramte eilends aus dem Vordersitz den schwarzen, vielgewundnen, umfangreichen Schleier, hielt ihn dienend dar mit hocherhobnen Armen.

Und langsam stieg die Göttin aus dem Wagen, breitete das ungeliebte Tuch mit Wehmut über die beschämten Rosse, welche mit gesenktem Schweif und Mähne flehend blinzelten nach den geschäftgen Händen, ob vielleicht mit großer Demut sie sich lösten von der unverdienten schmählichen Verkleidung.

Und als sie nunmehr alles wohl vollbracht, da winkte sie: und über dem, da zogen sie in feierlichem Zug von dannen, an der Spitze das getreue Mägdlein, überdies die Pferde mit dem leeren Wagen, aber weiten Abstands trauerte zu Fuß die junge, stolze, tiefgebeugte Göttin.


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