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Der Schöpfer

Am neuerwachten Tage, als die Lerche sang
Und Licht und Morgenluft durch alle Ritzen drang,
Erhob Prometheus freudig sich vom Lager: «Ha!
In meiner Göttin Dienst der erste Tag ist da!
Gruß dir! Wie bist du schön! in Hoffnungsglanz geboren!
Laß hinten, was dahin! laß fahren, was verloren!
Zu jedem kühnen Ansprung fühl ich mich lebendig,
Denn hundert junge Rößlein trippeln Tanz inwendig.
Drum auf!» Und nach dem Hohen Acker ohne Säumen
Begab er sich, wo unterm Grund die Quellen träumen
Und fern am Himmel aus den Wolkennebelfeuchten
Ahnungen zucken und Gesichte wetterleuchten.

Dort, an der Stelle angekommen, wo vor Jahren
Der Seele Flüstern er zum ersten Mal erfahren,
Entließ er, aufrecht stehend, gläubig und andächtig
Ein Bittgebet, von Dank und Zukunftsfrohmut trächtig:
«Da du fortan nun meines Willens Herrin bist,
Kein Wunsch in mir, der nicht von dir gestempelt ist,
Und jegliches Beginnen mundet mir verhaßt,
Es wäre denn, daß dus zuvor gesegnet hast,
Vergönn mir einen Wink, ein Zeichen, daß ich weiß,
An welche Deichsel schirren meinen tapfern Fleiß.
Doch etwas Großes, Mächtiges, das steht und hält
Und für die Arbeit Hochmut auszahlt zum Entgelt;
Und Schwieriges, wovor ein ausgewachsner Mann
Von Herzen ächzen, stöhnen und verzweifeln kann.»

Den Spruch beendet, wandelt er gemach und leise
Quer durch den Acker hin und her im Kreuz und Kreise,
Mit scharfer Umsicht: sein Gehör und sein Gesehe
Gespannt, ob ihm ein Blinzeln oder Deut geschehe.
Und also unermüdlich in die Quer und Runde,
Erwartungzäh und kindlich gläubig Stund um Stunde;
Verächtlich lächelnd, wenn das heitre Tageslicht
Ihn höhnte: «Deine Göttin? O du Torenwicht!
Ein Nachtgespenst! Der Wahrheit eignet Formgefüge;
Alles, was keinen Schatten wirft, ist Luft und Lüge.»
Die Achsel zuckend, wenn aus Moderdunst und -dunkel
Ihm Weisheit predigte der Molche greis Gemunkel:
«Laß ab! Im Buche der Erfahrung kannst du lesen:
Unnütze Müh. Denn alles ist schon dagewesen.»

Doch als die Stunden schwanden und ihm nie und nie
Kein kleinstes Zeichen, weder hier noch dort, gedieh,
Beschied er sich und lenkte heimwärts seinen Schritt.
Doch Glück und Glaube folgten dem Enttäuschten mit,
Dem Fischer ähnlich, der mit leerem Netze zwar,
Doch vollem Herzen zu der trauten Kinderschar
Getrost vom Bach zurückkehrt, seinen Schritt beflügelnd
Und seine väterliche Sehnsucht mühsam zügelnd.

Den halben Heimweg hatt er hinter sich beinah
Und zog entlang dem Brombeerhage. Siehe da:
Ein Wandertrüpplein, das von fern den Acker quer
Nach seinem Standort steuerte des Wegs daher.
Und wie das Züglein mählich stätig näher kam,
So daß er unterschiedlich Farb und Form vernahm,
Erkannt er aus der Tracht der fröhlichen Gewande:
Das Völklein stammt aus fremdem, nicht vom Menschenlande.
Doch aufrecht war die Haltung, sicher ihr Gebaren.
Errätlich, daß es wohlgeschlachte Leute waren.

Als sie an ihm vorüberzogen, grüßten züchtig
Die sämtlichen, die Tageszeit ihm bietend flüchtig.
«Wohin die Reise», lautete sein Gegengruß,
«Ihr wohlgemuten Jungfern, auf so eiligem Fuß?»
Da flammten ihre Augen auf vor Glück und Geist:
«Heim zum Demiurg, der unser Herr und Meister heißt.»
Und wie er dann bei ihrem weitern Wandelwallen
Ihnen den Blick nachsendete mit Wohlgefallen,
Erstaunt er über der Gestalten Ebenmaß,
Darinnen Seele schaltete und Ordnung saß.
Kein kleinster Teil, wie ferne schon, vom Kopf zum Fuß,
Der nicht dem hohen Oberhaupt den stummen Gruß
Der Huldigung und des Gehorsams freudig schwieg.
Hei, wie des Körpers Blume aus den Hüften stieg!
Wie rund bei jeder fördernden Bewegung stäte
Der Schwung die Hälften um die einige Achse drehte!
Ein jeder Schritt ein Sieg der Gleichgewichterwahrung,
Das Anmutspiel in hundertfältiger Offenbarung.
Und nein! 's ist keine Täuschung: ihren Gang ergänzte
Ein seltsam Leuchten, das sie wundersam umglänzte,
Das nie erblaßte, keinem Schatteneinwand wich,
Ein Tagvoll Sommerluft, die jede trug mit sich.

Doch wie? Sie sehn sich um nach mir! Mit einmal schwang
Aus ihrem Munde sich ein seliger Gesang:
«Es ist ein Berg im Erdenland und ist doch nicht,
Raubt keinen Raum, übt weder Druck noch Schwergewicht;
Unwirklich und des handlichen Beweises bar
Und dennoch jeder andern Wahrheit überwahr.
Und wem ein einzig Mal sein Anblick ward zuteil,
Dem ist hinfort das ganze, weite Weltall feil.
Freiheit! Hier gilt nicht rohe Stärke und Gewalt.
Die wüste Kraft, die die Gestirne schleudert, prallt
Ohnmächtig und verblüfft mit maulendem Gewinsel
Zu Boden vor Demiurgos' grüner Traumberginsel.
Der Erde Größenwahn, der Menschen Ruhm und Ehre,
Ihr Brauch und Recht und ihre Tempel und Altäre,
Betrachtet von Demiurgos' hohen Wälderhainen:
Ein Wölklein Dunst, ein Blast vom Abgrund des Gemeinen.
Herz und Erbarmen ist Demiurgos' einziger Satz.
Und alles Schöne, alles Edle findet Platz.
Wer bist du? Auf! laß sehen! Zeig dich frank und bloß!
Die Schminke vom Gesicht, die Schürze weg vom Schoß!
Pfui Mißgeburt! Doch bist du klar und wahr und rein,
Bedarfs kein ander Zeugnis. Lieblicher, tritt ein!
Eilt, Schwestern! Flug! Hinauf zum holden Traumberggarten,
Wo ewiger Frühling, ewige Freundschaft uns erwarten.»
Nach diesen Worten schwieg Gesang und Saitenklang,
Und weiter flügelt übers Feld ihr Schwebegang.

Allein wo sind sie? Wohinaus er immer sah,
Kein Dasein mehr von ihnen, weder fern noch nah.

Bangen beschlich ihn, Andacht und Gespensterscheu.
Halt! schau! Dort hinten! – sind mir meine Augen treu? –
Dort hinten in der finstern Nebelwolkenwand
Unter dem Himmel, überm letzten Hügelrand,
Welch ein Ereignis ist dort im Gewölk geschäftig?
Ein wirbeldrehend kochendes Gewühl, ein heftig
Gewimmelwallen und gebärerisches Kreißen
Im Schwadenmeer, durchblitzt von züngelndem Verheißen,
Als sollte aus den schwangern Wolkeneingeweiden
Sich etwas Großes, Unerwartetes entscheiden.
Ein Wolkenriß: und strahlend aus dem blauen Raum
Stieg der Demiurgosberg. Kein Berg, ein trunkner Traum,
Ein Rausch von Farbenbrunst, getaucht in Wäldernacht.
Und von den Gipfeln Tälerschluchten abgedacht,
Aus deren unsichtbaren Auferstehungstiefen
Vergangne Erdenwelten Heimatgrüße riefen.
O diese heiligen Augen! – Ha, Erinnerung!
Die Kruste springt, uralte Bilder keimen jung:
Ich war einmal. Doch wann und wo? In welcher Zeiten
Entlegnen, weltenfernen Unvordenklichkeiten?

Geistlos von Sehnsuchtsüberschwang das Herz geweitet,
Trank er das Traumgesicht, die Arme ausgebreitet.
Bis unversehns, o Leid, ein neidischer Nebelbusch
Mit seinem nassen Wolkenschwamm den Berg verwusch.
Jetzt plötzlich sich besinnend, Geist und Mut gerafft,
Rief er glückstrotzend mit gespannter Willenskraft:
«Verstanden. Dank und Segen deinem Wink! Ich schwöre,
Daß ich von Stund an dem Demiurgen angehöre.»

 

Und als ein solcher, der, was er beschlossen hat,
Ohne Verzug und Säumen umsetzt in die Tat,
Macht er sofort sich auf die Reise, nach der Richtung,
Wo ihm erschienen des verschwundnen Traumbergs Dichtung.
Und sichern Steuers durch die trägen Nebelfeuchten
Lenkt ihn des Willens Blitz und der Erinnrung Leuchten.
Erlahmte ob der allzulangen Fahrt mitunter
Die müde Hoffnung, schlug der tapfre Mut sie munter.
Doch seltsam: leise erst, beständig stärker dann,
Hub in der Luft ein tausendstimmig Summen an,
Das immer deutlicher, je mehr die Reise währte,
Zu übereingetöntem Wohlgesang sich klärte,
Wie wenn von Orgeln, die auf Wolkengipfeln hausten,
Zum Glockendröhnen mächtige Choräle brausten.
Mit einmal warf der Sonne goldner Zauberstab
Vom Himmel einen Wäldersturz den Berg herab,
Ein wimmelnd Wipfelmeer, von Farbenbrunst durchglüht,
Von Glanz und Glast und würzigem Wohlgeruch umsprüht.

Jetzt gleich dem Tänzer, den des Taktes Schleudergeist
Vom Sessel prellt und in des Tanzes Wirbel reißt,
Schnellt er mit einem Freudenschrei zum Sprung und stürmte
Die Seligkeit, die sich vor seinen Augen türmte.
Doch Leid und Ärger! Anders, als der Blick ihm log,
Erwies sich das Gelände, das den Berg umzog.
Ein wildes Steingewüst, dahinter Felsen starrten,
Die jeglichen Versuch, sie zu erklettern, narrten.
«Und gleichwohl», eiferte sein Zorn, «bezwing ich sie!»
Doch Spott! Nur blutige Finger und zerschundne Knie.
Schließlich, nachdem er lange Stunden ohne Frucht
Nach einem Durchschlupf, einem Übergang gesucht,
Setzt er sich gliedermüd auf eine Steinbank ab,
Den Geist entlassend, welcher ratlos sich ergab.

Da rührt ein Finger sachte seine Schulter an.
Aufspringend schaut er einen stolzen jungen Mann
Vor sich, dem Anschein nach von fürstlichem Geblüte,
Das feine Geistgesicht umspielt von Huld und Güte.
«Von welchem Kummer, Fremdling, ist dein Mut so schwer?
Von welcherlei Enttäuschung blickst du glaubensleer?»

«Vom Hohen Acker trieb mich sehnendes Verlangen,
Den Blick des heiligen Demiurgen zu empfangen.
Doch Spott und Hohn mir unerfahrnem Pilgerim:
Vor seinem Hause find ich nicht die Tür zu ihm.»

«Gesetzt, nimm an, du hättest den Demiurg entdeckt,
Was wolltest du von ihm? Was hattest du bezweckt?»

«Daß er mich unter seine frommen Jünger reihe,
Werksamen mir zu einer tapfern Arbeit leihe,
Mich seine Regeln, seine Dienstgesetze lehre.»

«Wofür? Fürs leckre Herz? Für Allmendruhm und -ehre?»

«Nicht dies, nicht jenes. Sondern: daß von einer Wunde
Durch Schöpfermüh und -sorgen rüstig ich gesunde.»

Jetzt mustert ihn der Frager, regungslos und stumm.
Was er sich dachte, keine Muskel wußte drum.
Endlich, die scharfe Musterung vollzogen, schickte
Er ihm den Ausspruch, den er freundschaftwarm benickte:
«Willkommen, edler Unbekannter! Folge mir!
Demiurg, der Herr des Traumgebirges, steht vor dir.»
Und als der Überraschte stammelnd sich zu knien
Anschickte, wehrt ers huldvoll und umarmte ihn.

Dann, während er ihn führte durch das Waldestor,
Band der Demiurg ihm eine Augenbinde vor.
«Nach allen Vögeln haschen ist kein rätlich Spiel.
Ein knappes Menschenleben heischt ein einfach Ziel.»
Sodann am Arm ihn leitend, zog er säuberlich
Den blindlings Tappenden behutsam hinter sich.
Doch schwer und mühevoll, im Reich des Wunderbaren
Entsagung auszuüben, Gleichmut zu bewahren!
Und hätte nicht des Führers sanfte Armgewalt
Ihn fort genötigt, macht er hundert Male Halt.
Denn welche Wunder waren seinem Blick verwehrt,
Die wurden ihm durch Ahnungswitterung beschert.
Um seine Nüstern wehten Zukunftkeimgerüche,
Von ungebornen Welten flüsternd Schöpfersprüche.
Auf Schritt und Tritt sein gierig lauschend Ohr umsang
Von tausend jungen Stimmen ein Zusammenklang,
Als ob ein weites, uferloses Tönemeer,
In großen Wellenschwüngen wogend hin und her,
Den ganzen Raum, der zwischen Erd und Himmel hauste,
Mit Herzensgüte Geist und Lebensquell durchbrauste.
«Erlaubnis! Gnade! Nur ein kurzes Weilchen Rast,
Bis daß ich diesen seligen Liedersturm erfaßt!»
Dazwischen ab und zu, die neidische Binde äffend,
Ein Blitz von Farben, durch das Tuch sein Auge treffend,
Farben von einem andern, reichern Regenbogen,
Von einem gütigeren Sonnenlicht bezogen.
Auch hie und da, beidseitig vor des Führers Fuß,
Ein Freudenruf, ein Willkommwort, ein Nachbargruß,
Frei unbefangen, frisch aus Herzlichkeit gesprossen
Und liebevoll erwidert wie zu Glücksgenossen.

Als ihm der Augendienst zurückerstattet war,
Nahm er in einer düstern Kammer sich gewahr,
Wo der Demiurg aus einem Kleinodschrein etwas
Gleich einem Zauberkartenspiel aus farbigem Glas
Enthob, selbstleuchtend, schwankende Gebilde bebten
Darin, die, ob verschleiert, atmeten und lebten.
Auf einem Tisch, der an der Felsenmauer stand,
Streut er die Karten nieder, zählend mit der Hand:
«Nunmehr behändige, mein Freund, aus dieser Zahl
Eines der Täfelchen nach deiner freien Wahl.
Doch wisse: jene Karte, die du ziehen wirst,
Ist Herrin deines Friedens. Unheil, wenn du irrst!
Mit Angst und Bangen wähle und nicht übereilig.
Bete zum Heiligsten, was deinem Herzen heilig,
Beschwör die Gottheit, die sich birgt in deiner Seele,
Daß sie die Hand dir lenke. Nun entscheide, wähle!»
Angstvoll, im Schreckensbanne dieser strengen Mahnung,
Flehte Prometheus' Stoßgebet um weise Ahnung;
Dann warf er schnell die Rechte vor, ein Los zu ziehn.
Da traf ein Schlag auf seinen Arm und lähmte ihn.
Als er sich umsah, wer da hemme sein Beginnen:
«Zu klein für dich!» erklärt ein harscher Spruch von innen.
Und ebenso geschah ihm bei der zweiten Wahl:
«Zu klein!» erscholl es hart und scharf zum andern Mal.
Und also weiter, Schlag und Spruch sich folgend, bis
Er schließlich eine Karte ruckweis an sich riß,
Aufatmend, noch vor Nachschreck zitternd, doch genesen.
«Laß sehn die Karte», sprach Demiurg, «die du erlesen!»
Aufmerksam prüft er diese, sah verwundert dann
Mit einem langen Blick Prometheus seltsam an:
«Welch hohe Ehre hat dein Gott dir zugedacht,
Daß er ein Werk dir zuwies über Menschenmacht!»
Dann reicht er ihm, mit seinem Segensspruch geweiht,
In einem Zauberbad mit Haltbarkeit gefeit,
Das Täflein feierlich zurück: «Dies ist hinfort
Dein Fluch und Segen, deines Glückes Feind und Hort.
Behüt es wohl und halt es heilig.» Wiederum
Wand er dem Gaste jetzt die Augenbinde um.
Hierauf als treuer Führer sorgsam ihm zur Seite
Gab bis zum Waldesrand er ihm das Weggeleite,
Entledigt ihn der Binde, angekommen dort;
Hernach erteilt er ihm bewegt das Abschiedswort:

«Mein edler Freund, du scheidest nun aus meinem Reich.
Des Schönheitsdieners Werk ist schwer und sorgenreich.
Kein andrer Frondienst fordert solche zähe Mühe:
Gespannter Wille ohne Nachlaß spät und frühe,
Bekümmert Ringen stündlich um die Wahl des Rechten
Und das erstickte Würgen in den stummen Nächten.
Es werden Tage kommen, trauernd sag ichs dir,
Da du das stumpfe, unvernünftige Getier
Beneiden wirst, dafür daß zu der Leibespein
Es nicht noch Denkernöte duldet obendrein.
Und öfters wird die Werkstatt dir zur Marterstätte.
Allein du stöhnst in einem sonnigen Dornenbette.
Glückgarben sprühen aus den edlen Schöpferqualen,
Die alle Nöte, alle Schmerzen wiederzahlen.
Und falls das Werk gelingt, daß deine Leistung hält,
Dann wird für die verwundnen Ächzer zum Entgelt
Ein inniges Frohlocken dein Gemüt erhellen,
Wie nie aus Kindermund die höchsten Jauchzer gellen.
Gesetze brauchst du nicht, sie kämen denn von innen.
Die ganze Weisheit heißt: sich auf sich selbst besinnen.»
Zum Schlusse, als der Abschiedsspruch beendet war,
Bot er zum Gastgeschenk ihm eine Geißel dar.
«Mit dieser Geißel», riet er, «peitsche dich aufs Blut.
Denn Büßen und Kasteien tut dem Schaffen gut.»
Drauf küßt er ihm die Stirne und umarmte ihn,
Verzog sich heimwärts in den Wald und ließ ihn ziehn.

Blindlings, verwirrt, in stille Seligkeit versunken,
Wankt er von hinnen, glückberauscht und wonnetrunken.
Nach einiger Zeit, von Dankesinbrunst übermannt,
Dreht er sich um und hielt, den Blick zurückgewandt.
Und siehe da: hoch oben, unterm Waldestor,
Lugt eine Gruppe von Demiurgosvolk hervor,
Und eine weithin klare Stimme sang und sprach
Zum Abschied einen Gruß und einen Wunsch ihm nach:
«Wann kommst du wieder zu Demiurgos' Hain und Hallen,
Herzlieber Unbekannter, uns zum Wohlgefallen?»

«Ach Jammer!» rief er, «zweimal zum Demiurgoshaine –
Ach weh, dazu hab ich zu kurze Menschenbeine!»
O war sie schwer und mühsam, unten in der Schlucht
Rund um den letzten Hügelschwung die bittre Flucht!
Und als er endlich den verhaßten Rank erworben,
War ihm, als war ihm Herz und Heimat ausgestorben.

 

Daheim stellt er behutsam mit besorgter Hand
Auf eine Staffel vor sich das Demiurgospfand.
Hernach, demütig sich verkleinernd: «Vorbild mir
Und Zucht und Satzung! Meine Hoffnung ist allhier.
Ehrgeiz und Ruhm und Tatendurst weit abgetan;
Verschmerzt der König. Ein Demiurgosknecht hebt an.»
Dann seine Willensgeister sammelt er zuhauf
Und spornte sie mit scharfem Wort zum Angriff auf:
«Nicht halber Anfang! Alle Hebel angesetzt!
Nicht Rast noch Urlaub, bis Vollendung reift zuletzt!
Nicht seitwärts schielen! Die gesamte Welt vergessen!
Kein Glück begehren als vom Werke zugemessen!
Nicht mit der Willkür: um die Wahrheit streng beflissen!
Nichts Ungefähres: Zug um Zug bestimmt umrissen!»
Nun auf die Knie noch, glückdurchbebt und bang zugleich,
Dann, sich erhebend, holt er aus zum ersten Streich.

Mit diesem jungen Tage, Schaffensmut genannt,
War sein alleinig Trachten an sein Werk gespannt,
Der zähe Wille an das Vorbild festgeschroben,
Ein niedrig Selbstbewußtsein vor dem Ziel hochoben.
Und wie vorausverkündet des Demiurgos Sage,
Erduldet er des Schöpferfrondiensts Sorg und Plage.
Von früh bis spät ein unablässig Wahrheitfechten,
Gefolgt von Atemwürgen in den schwarzen Nächten.
Und gute Tage wechselten mit bösen Tagen.
Wenn einen bösen Tag die Stunde angeschlagen,
Beneidete Prometheus' Gram und Kummer schier
In Wald und Feld das unvernünftige Getier,
Das ißt und trinkt und leidet eitel, was es muß,
Doch nicht sich selber Qualen schafft zum Überschuß.
Doch an den guten Tagen, horch, das Singen! «Hat
Denn in Prometheus' Hause Fest und Hochzeit statt?
Ich seh indessen niemand außer einzig ihn,
Und Glück aus einem Steinklotz saugt er, wie mir schien.»
Doch, gleich ob gute oder böse Tage, immer
Spielt um sein Händewerk ein wundersamer Schimmer,
Der durch die Fenster leuchtete, so daß, so oft
Er aus dem Felde kehrte: «Freude! Unverhofft!
Hat denn, derweil ich fern war, Zauber hier gehandelt?
Wer hat den Marmor mir in Funkelstein verwandelt?»
Und wenn er über Land zog: «Einhalt! Nicht so weit!
Pfui, ist die Erde schal und trostlos weit und breit!
Mich hungert. Mir ist öde. Sputig! Ich will heim,
Zu meinen Nöten, meinem Sorgenhonigseim!»
Wenn, aus dem Schlaf erwachend, dem Verstand zur Ehre
Er sein Gesicht befühlte, tastend, wer das wäre:
«Was ist das für ein Wicht, den ich begreife hier?
Auf! schleunig in die Werkstatt! An mein Werk! Zu mir!»
Und stetig deutlicher geriet das Bildgefüge,
Und größre Übung wagte mutigere Züge.

Dann eines Abends sah getrost sein Werk er an:
«Jetzt fertig und vollkommen, recht und wohl getan.»
Und wischte sich die Stirn, erlöst, der Atem freier.
Und seligen Schlummer lieh der Schlaf dem Schluß zur Feier.
Am andern Morgen aber, als, um sich des neuen
An dem so schön gelungnen Bildnis satt zu freuen,
Prometheus jungen Schrittes in die Werkstatt trat:
O Schmach! O Frevel! Fluch der schnöden Missetat!
Da lag das große Werk, das er zustand gekümmert,
In Stücken auf dem Boden, unheilbar zertrümmert.
Mit finsterm Groll betrachtet er, zu Tod erschrocken,
Betrübt die wundgeschlagenen, unseligen Brocken,
Trostleere Blicke über die Zerstörung schleifend.
Dann plötzlich umgewandelt, eines Mals begreifend,
Beugt er ergeben Stirn und Nacken, schuldbewußt:
«O meine Seele! Hat es, hat es sein gemußt?
Nicht durch mein Werk bloß, durch mein Herz geschah der Bruch.
Genehm! Ob bitter, ehr ich deinen Urteilsspruch.
Weh mir verliebtem Toren, dünkelwahnbesessen!
Der Fehler war: die Geißel hatt ich halt vergessen.»
Nachdem er folglich mit der Geißel sich kasteit,
Mit Kniefall sich gebüßt, mit Inbrunst sich geweiht,
Warf tapfer in den Wiederanfang er von vorn
Seinen vom Mißerfolg gereizten Schöpferzorn.

Ein zweites Mal hub an hiemit das Arbeitknechten,
Der Wahrheitskampf, der Kummer um die Wahl des Rechten.
Ein zweites Mal, nach jahrelanger treuer Mühe,
Verschärft mit Geißelstrafen, Sorgen spät und frühe,
Vermeint er seines Werkes Endeschluß erschwungen,
Das Bildnis recht, lebendig, atemgeistdurchdrungen.
Ein zweites Mal ward seine Hoffnung jäh vernichtet,
Die Arbeit durch der Göttin Urspruch hingerichtet.
Und wie das zweite, jedes neue Mal. Derweilen
Sieh dort die Jahresjünglinge vorübereilen.
Und ihrer einer kehrte beim Vorübertreiben
Vom Wege, sah durchs Fenster, pochte an die Scheiben:
«Was säumst du? Und was wartest du? 's ist Jugendzeit,
Die niemals wiederkehrt in alle Ewigkeit.
Was nützt der Mühen Lohn, verspätet und veraltet?
Was alle Lust der Erde, ist der Wunsch erkaltet?»
Dieweil zur andern Seite, durch die Hintertür,
Ein garstig Unweib Weisheit kicherte herfür:
«Zu oft geflickt und umgeändert. Drum mißraten.
Ein allzulanges Feuer liefert Kohlenbraten.»
«Ach, meine Seele», ächzt er, «bist du grausam strenge!
Ist denn unendlich des unseligen Kummers Länge?
Mein Werk, mit billiger Gerechtigkeit besehn,
Kann füglich, scheint mir, jeglichen Vergleich bestehn,
Wenn mans mit andern, sei es mit den besten, mißt.»
«Weil du der Einzige, weil du Prometheus bist.»

Doch eines Morgens, als ihm wieder, wie gewohnt,
Die treue Arbeit mit Verdammnis ward gelohnt,
Erfaßt ihn, wie er so beschämten Angesichts
Auf die Verwüstung sah, ein Niemand vor dem Nichts,
Schmerzmüde, bittere Empörung: «Schließlich bin
Ich schlicht ein Menschenkind, Prometheus her und hin!
Nun wohl, Erquickung! In den städtischen Gassen, traun,
Sind Menschensöhn und -töchter Tausende zu schaun.
Ich will nicht ewig mich mit Selbstgefechten härmen!
Ich will ein Schlücklein Menschenherz, ich will mich wärmen!»
Demalso reist er in die städtischen Menschengassen,
Ein Büchslein in der Hand, ein Tröpflein Trost zu fassen.
«Ihr lieben Menschen», sang er, «bin nicht anspruchsvoll:
Ein einzig herzlich Wörtlein bloß zum Liebeszoll!
Es stand mir frei. Hätt ichs getan, als Klugewicht
Mein Heiligstes verschachert, müßt ich heute nicht
Als namenloser Fremdling auf dem Bettlerpfade
Um euer Mitleid werben wie um eine Gnade.
Mit Harfen und mit Zimbeln kämt ihr jetzt in Haufen
– ‹Heil, heil! Hosianna!› – Sturm vor meinen Schritt gelaufen.
Und wem ich einen Gruß nur, einen Blick beschert,
Wie fühlte der sich ausgezeichnet und geehrt!
Schaut her! Seht ihr ihn nicht um meine Schultern hangen,
Den Königsmantel, drin ich heute kam gegangen?»
Jedoch der Mantel war zu dünn, sie sahn ihn nicht,
Bloß einen trüben Wandrer, fremd von Angesicht.
Und wiesen selber Krüge vor, in die hinein
Sie eins dem andern schenkten Lab und Balsam ein.

Als er zuletzt, das Herze schwer, das Büchslein leer,
Am späten Abend sich verstand zur Wiederkehr,
Sprach er zu seinem Hündlein: «Hündlein, ohne Frage,
Wir waren schlecht beraten. Torheit liegt zutage.
Gesteh es nur!» Das Hündlein schmeichelte: «Jenun,
Um eine neue, größre Torheit ists zu tun.»
Drum nahm er einen Umweg, bis der Schattenriß
Des Menschenschlosses tauchte durch die Finsternis.
Dort schlich er in des Hauses Nähe, ob ihm käme,
Daß er von drinnen einen Lebenslaut vernähme.
Nach stundenlangem, zähem, regungslosem Harren
– «Ha! hörst du?» – Stimmen. Schritte. Einer Türe Knarren.
Und sieh: bestrahlt von eines Lämpleins Blendeschein,
Trat aus dem Haus der Engelgottes; hinterdrein,
Zutraulich mit ihm sprechend, plaudernd, scherzend gar,
Dem hohen Gaste zum Geleit das Königspaar.
Nun, während Herzelieb mit vorgeschützter Hand
Behütete des Lichtleins flackernden Bestand,
Ein Abschiedskrieg mit Dankgefecht, zu dritt gelacht;
Dann schied der Engelgottes in die Sternennacht.

Jetzt, während ihm zugleich aus seinem gramzerwürmten,
Gequälten Herzen Tränen in die Augen stürmten,
Zerknirscht ihn eine Stimme: «Recht ist dir gesprossen!
Warum das Fenster nach der Welt nicht ganz geschlossen?
Pfui, Schwäche! In die Menschenstadt die feige Flucht!»
Er schrie: «Bestraft! Bestraft! Die Strafe ist mir Zucht.»
Dann tapfer eilt er nach dem trauten Dornenbette
Der heimatwarmen, freundgesinnten Arbeitstätte.


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