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III

Der Löwe

Und über Jahr und Tag, es sei vom Wurmeshauch und auch vielleicht von ungewohnter Luft im fremden Land, da ward der Löwe krank und rührte keine Speise an und schaute staunend unaufhörlich nach derselben Stelle vor sich hin, dieweil er heftig zitterte an seinem ganzen Körper.

 

Und einge Tage stand er also da, da kam ein Geist der Unruh über ihn, daß er begann sich zu bewegen ohne Rast bei Tag und Nacht im ganzen Haus, Trepp auf, Trepp ab, vom Haus zum Garten, von dem Garten in den Hof und wiederum zurück und also fort unendlichen Geschehns; wie wem ein teuer Angedenken glitt aus seiner Hand und wird es allzuspät gewahr und sucht und sucht und findets nicht, doch nicht gefällt ihm dieser Schluß und fängt von neuem an, und ob vom allzu angestrengten Blick ihm rot gerät sein Aug, und ob auch drei- und viermal aller Orten er vergeblich schon gefragt: dies eine steht ihm fest, daß er auf keinen Fall entbehren will das teure Kleinod.

 

Und also tat er eine lange Zeit – und über dem, da trieb es ihn hinaus, geraden Laufes in die weite Ferne.

 

Und schweift im weiten Land umher den ganzen Tag, und wenn er abends kehrete zurück, so war zu Tode matt sein Leib und ganz und gar gebrochen seine Kraft, doch Ruhe fand er gleichwohl nicht ob seiner Krankheit allzuscharfem, heißem Feuer.

Und also reist er jeden Morgen über Land, und sei es ob der Krankheit längerem Bestehn beruhigt, sei es ob des Freundes ungeschwächter Kraft, da ward Prometheus nach und nach getrost und redete und sprach bei sich in Frieden:

«Wohlan, vom unbekannten Lande stammet das, und nun, zu seiner Zeit, so wird es alles ohne Zweifel sich von selber heben.»

 

Und sprachs und dachte weiter nicht daran – doch eines Morgens, da er wiedrum seines Herren Herde weidete nach seinem täglichen Gebrauch, da kam das königliche Tier daher: gelähmt sein Rücken, jämmerlich im Staube schleifend seine hintern Glieder.

Und über diesem Bild, da hatt er nie in seinem Leben noch verspüret solchen Schmerz, und jählings schrie er auf und rief und sprach mit maßvergeßnem Jammern:

«Du edles Tier! – auf Erden ist dir keines gleich, und es geschah, wenn sie dich sahn in deiner Jugendzeit, so staunte alles Volk vor deinem Weg, und standen still und sahn dir nach und flüsterten und sprachen zueinander mit Bewundern:

«Fürwahr, ein herrlich Reis! und welcher Stamm erstehet uns daraus, und welche reiche Fülle ungeahnter Früchte wird dereinst er tragen!»

Und jeder Gute war dir freund, und keine Hoffnung deinetwegen schien zu groß – und jetzt, so muß ich also dich erblicken! Hingemordet ohne alle Frucht durch meine Schuld; der Welt zum unersetzlichen Verlust, mir selbst zur unheilbaren Wunde!»

 

Und also jammernd folgt er mit den Blicken seinem Tun, und es zerschnitt sein Herz ein jegliches Bewegen seiner Glieder.

Und nicht erwiderte der andere den Gruß und wälzte stummen Mundes sich vorbei, auf daß er reise über Land nach seiner täglichen Gewohnheit.

Und wohl war langsam seine Fahrt, und peinlich ward ihm jeder Schritt, und jeden Augenblick erschiens, als müßt ihm seine Kraft versagen,

Doch seis vor Eigensinn, ob seines Willens vorgefaßtem deutlichen Entschluß, und seis von seiner Krankheit größerm Schmerz gepeitscht, so gab ers niemals auf und schob und zog den kranken Leib hinweg und drängte vorwärts, vorwärts unaufhaltsam über Stock und Stein, durch Wald und Feld, und dient ihm dies allein zur Richtung, daß vielleicht in weiter Ferne er entrinne seinem unbarmherzgen Feinde.

 

Und eine lange Stunde übt er schon die Flucht, da ward es wild und wilder um ihn her, und über eine Zeit, da sah in einer engen Schlucht er sich umfangen von gewaltgen, riesenhaften Mauern.

 

Und eine Weile stutzt er da und spähete umher, bemaß die Wand und schaute trüben Blickes wiederum zurück auf die gelähmten Glieder.

Doch steil und senkrecht türmten sich die Felsen überall, und nirgends war ein Tor, und nirgends war ein Pfad – und während er so schaute, stürzten aller Orten Bäche aus der grausen Höhe, reizten ihm das Ohr mit aufhörlichem Geräusch, beleidigten sein Angesicht mit kaltem Regen.

Und über dem, da wurde ungeduldig seine Art, und Zorn erregete sein Aug, und lange hielt ers nicht, so schlug er mit dem Schweif und schüttelte die Mähne, bog das Haupt zurück, und mit geschloßnen Augen, gähnend aus dem roten Schlund, versucht er seine Stimme wider all das unbestimmte, unvernünftge Brausen:

Und böse klang der Stimme Ton, wie Wolfsgeschrei im schneebedeckten Wald und wie des Sturmes Heulen überm wutentbrannten Meer, und bohrend drang er durch die Lüfte, daß ein jeder andre Laut verstummte vor dem gräßlichen Gesange.

Und dieses dient ihm zum Versuch; und über dem, da hielt er abwärts seinen Kopf, begann und stieß mit vollem Atem zehnmal seine Stimme aus dem fürchterlichen Maule.

Und dieses war der Anbeginn; und über dem, da hub er an zu brüllen mit des Donners Rollen in des Äthers leerem Haus und gleich der Laue, die vom Berge fällt ins Tal, daß dröhneten und bebeten die Mauern um ihn her; und all die luftgen Geister, die da gleich den Vögeln schliefen an den Wänden, wachten jählings auf und flüchteten, verfehlten in des Herzens sinnverlaßner Angst den Weg und jagten schreiend auf und nieder, prallten allerorts zurück, zertraten sich, zerquetschten sich, und über ihrem tausendfältgen Wehgeschrei betäubten sich des Sängers Ohren.

Und eine lange Weile übt er diesen Brauch, damit er reize seinen Zorn an seiner eignen Stimme Widerhall, und während er so brüllte, schaut er immer haßerfüllten Auges vor sich hin und wetzte seine Blicke an den harten Steinen;

Da plötzlich faßte ihn von Schmerz und Grimm ein rasendes Gefühl, und über dem, da hub er an zu steigen mit verwegenen Versuchen.

Und wo von Erd und Pflanzen war gelagert eine feste Schicht, da grub er seine Pranken tief hinein und zog mit seiner Sehnen angespannter Kraft den kranken Leib empor; doch wenn nun kahl erschien der Fels und immer wieder glitt ihm seine Hand zurück, des Widerhaltes bar, da packt er brüllend das Gestein mit seinem mächtigen Gebiß und hing mit seines Körpers ganzer Last an seinem starken Maule.

Und also Stuf um Stufe schob er sich hinan unsäglichen Bemühns den langen Tag vom Morgen bis zum Abend.

Und mehrmals war zu Ende seine Kraft, und bei gesundem Wesen hätt ers nimmermehr vermocht, doch ob dem innern Stachel galt ihm weder Ruh noch Rast, bis daß sich öffnete die Kluft und blendend drang herein der warme, lichtumstrahlte Äther.

Und über dem, da faßt ein letztes Mal er allen seinen Mut zusammen, zwang sich übers Ufer peinlichen Geschehns: und sieh, da wars ein ander Land, und schönre Dinge standen um ihn her, und wärmer strahlete die Luft, und in des Himmels selige Gefilde sah er sich versetzt durch eines Zufalls wunderlich Belieben.

Und außer sich ob diesem Anblick macht er hastgen Eifers sich bereit und zog landeinwärts gleich wie neu beseelt: da wars zuviel, und jählings brach er hin und fiel zur Seite, stöhnend, seufzend aus des Herzens tiefstem Grunde.

 

Und eben wars die Zeit, da scheidend sich verschönt der Sonne Angesicht und grüßt mit ihrem seelenvollen Blick ein letztes Mal die vielgeliebte Welt, und ihrem Gruß entgegen duften all die Auen und die Wälder, dankend für des Tages reiche Lust und Sehnsucht atmend, Wollust hauchend: einem Weibe gleich, das sich mit Leib und Seele gänzlich hingegeben dem geliebten Mann, und weil er scheidet, liegt sie noch auf ihrem Lager, schwelgend in Erinnerung, berauscht von Seligkeit, vom Liebessturm geknickt – und schon erfaßt er mit der Rechten jetzt die Tür, da dehnt sie nochmals ihm den üppgen Leib entgegen, breitet aus die duftgen Arme, öffnet ihre Knie, und sehnend aus den trunknen Augen rufts: «Auf Wiedersehn», und küssend wiederholt es der geschloßne Mund, und wiederholt es schwellend jede Muskel, wiederholt es schmachtend jedes Glied, und von dem Übermaß des Glückes ist besiegt, versöhnt die Trennung.

Und diese Stunde wars, da wallete des Himmels Volk in langen Reihen singend auf und nieder an des Landes hohem Ufer, blickte ruhend in die Tiefe, trank die anmutreiche Luft, und wie in einem goldnen Meere schwammen in dem allgemeinen Glanze ihre langen Schatten.

Und als sie nun vernahmen das gewaltige Gestöhn, da eilten sie herbei, erspäheten den Löwen, stellten sich um ihn herum, und sahen auf ihn nieder, halb mit Mitleid, halb mit grausendem Bewundern.

 

Und es begannen einige und sprachen zu dem Löwen:

«Von wannen kommest du? und wohin zielt die Reise?»

Und es erwiderte und sprach der Löwe mit verstellter Stimme:

«Vom Erdenlande kommt mein Weg, und eine Botschaft führet mich zu Gott, und nun vielleicht, daß ihr mir weist die rechte Straße.»

Und jene schauten sich einander an, und über dem, da wandten sie sich um, begannen abermals, mit Schonung und bedauernden Gebärden:

«Verraten scheinest du durch eines schlechten Mannes Rat, denn siehe, nicht nach dieser Seite wohnet Gott, und keine Straße führt von hier zu ihm, und niemand unter unserm Volke hat ihn je gesehen.

Jedoch, was ist der Botschaft Sinn, auf daß vielleicht, wenn sich Gelegenheit ergibt, vielleicht, daß wirs bestellten.»

Und abermals erwiderte und sprach der Löwe mit verstellter Stimme:

«Wohlan, so mögt ihr melden einen Gruß aus Erdenland, und daß in Freude schwimmt die ganze Welt und seinem Schöpfer dankt ein jegliches Geschöpf und jeder Augenblick ist Seligkeit hienieden.

Und also mögt ihr tun, woferns euch wohlgefällt in eurer wohlgeneigten Meinung.»

 

Und stille ward es eine kleine Zeit, da huben sie von neuem an, begehreten und fragten:

«Jedoch! was ächzest du so sehr? und krank erscheinest du! und welche Stelle ists, die dich am meisten schmerzet?»

Und wiederum willfahrete und sprach der Löwe mit geduldigem Gehorchen:

«Vom Übermaß der inneren Empfindung ächze ich so sehr, und diese Stelle schmerzet mich zumeist, wo sich Erinnerung verbindet mit dem gegenwärtigen Bewußtsein.»

 

Inzwischen hatte sich des müßgen Volkes mehr und mehr um ihn geschart, und enger immer schloß um ihn der Ring, und immer größer wuchs der Kreis von außen,

Wie wenn der Schnee mit immer dickrer Hülle deckt den Stein, und gleich wie Fliegen auf der Frucht und Bienen um die Königin, und gleich wie wenn ein Hase liegt verendend in dem Klee und atmet noch und hebt den Kopf empor, und aller Orten regt sichs in der Luft und unaufhörlich ziehn herbei die Raben und die Krähen, stellen sich um ihn herum mit gierigem Gekrächz, und immer wieder färbt sich grau die Luft von neuen Haufen.

Und über dem, da ward dem Löwen ganz und gar verleidet dieser Ort, und ob auch vieler Ruhe noch bedürftig war sein Leib, so macht er dennoch jetzt sich auf und trat die Heimfahrt an, vermeidend fremdes Mitgefühl um jeden Preis, nach stolzer Leute Brauch und Sitte.

 

Und mit Bedauern zwar vernahmen jene seinen Plan und hätten lieber mehr gefragt und hätten gerne stärker ihr Gemüt beweget;

Doch ob dem gut gearteten Charakter ihres Herzens gaben sie ihm nach und schafften willig Raum vor seinen Füßen.

Und also ohne Widerstand noch Hemmung hatt er jetzt den Ausgang wiederum beinah erreicht: da kam, durch einen Zufall hergeführt, der Engel Gottes übers Feld, lustwandelnd in des Abends Kühle neben Doxa, seiner schönen, hochgestalten Freundin.

 

Und sah das viele dichtgedrängte Volk und lenkte seinen Schritt herzu, jedoch mit lässigem Beginnen, gleich wie wer ein Unbedeutendes vernimmt und wer verachtet des gemeinen Haufens törichtes Verwundern.

Und über seinem Anblick stellte sich der Zug, und ehrerbietig machten sie ihm eine Gasse.

Und jener nahte Arm in Arm mit seiner Freundin, beugte teilnahmlos sich vor, und annoch hatt er nichts gesehn, da hielt er schon zur Seite seinen Leib bereit und rüstete zum Lächeln Mund und Schultern, dachte rückwärts wiederum zu ziehen nach den ersten Blicken.

Und solchen Mutes beugt er sich herzu; doch kaum vernahm sein Aug des Löwen Bild, da wurde plötzlich über alle Maßen ernst sein Angesicht, und eilends trat er gänzlich vor und schaute eifrig nieder auf des Kranken Antlitz.

Und während er so schaute, wurde sinnend seine Art, und unaufhörlich füllte sich sein Aug mit Tränen.

Und unmutvoll vernahm die Göttin ihres Herren Tun, und ungeduldig trat sie mit den Füßen, hielt den Kopf abseits, bewegete den Rücken und die schweren Lenden, drückte sachte mit den Fingern seinen Arm, zur Weiterfahrt ermahnend.

Doch jener blickte nimmer auf, und ob dem stets erneuten Mahnen ihrer Hand entließ er ihren Arm, befreite sich von ihrem allzuvielen Drängen.

Und über dem, da schwenkte heftig sie zur Seite, zog allein davon mit Grollen.

 

Und eine lange Weile stand der andre noch mit stummem Mund und tief erschüttertem Gemüt, da endlich faßt er sich zusammen, grüßete, begann und sprach bewegter Stimme:

«Bist nicht Prometheus du genannt, und wohnet nicht dein Herr verbannt im fremden Lande?»

Und jener richtete sich auf, den Gruß bejahend.

Und über dem, da fuhr der Engel fort und tröstete und sprach zu ihm mit teilnahmvoller, weicher Stimme:

«Wohlan, verzage nicht! und ziehe mutig heim! denn sieh, in dieser selben Stunde will ich Heilung dir versuchen.»

 

Und jener dankete mit schwachem Blick und schleppte sich hinweg und hub von neuem an die qualenvolle Fahrt; der Engel aber eilete geraden Weges auf geheimen Pfaden nach der Erde Tal und nach dem fernen Lande zu Prometheus' Heimat.

 

Und um dieselbe Stunde wandelte Prometheus suchend an des Landes Mark, bekümmert um den kranken Freund, besorgt ob seiner allzulangen Reise.

Und unversehens trat der Engel auf ihn zu, begann und sprach zu ihm mit Hast die gnadenreichen Worte:

«Prometheus, du mein Sohn! zu nicht Geringem ausersehn nach meines Herzens Wunsch! wohlan, so will ich enden diesen Streit und dich erlösen aus dem ungeliebten Land und dir ein ehrenvolles Amt bereiten, da du findest Ruh und Frieden!»

Und über dieser Worte billiger Gewähr erbebete und seufzete Prometheus' Herz, wie wenn man dem Gefangenen Erlösung anbefiehlt, und gleich als wenn ein Kranker lange Jahre lag auf seinem Schmerzensbett und duldet still unsäglich Leid, ihm selber nur allein bewußt, und hat Gesundheit längst verlernt, und jedes Hoffen ist ihm fremd, und plötzlich wird ihm Heilung angesagt unglaublichen Geschehens.

Und schon erhellte sich sein Angesicht, und schon zum Danken öffnet er den Mund, da tat sich eine Stimme auf in ihm und redete und sprach mit strengem Drohen:

«Was lüsterst du? und was vermisset sich dein Herz zu beben?

Und mein ist des Entschlusses Recht; du aber höre schweigend, was ich dir befehle!»

Und über dem, da sprach die Stimme durch Prometheus' Mund die stolzen Worte:

«Nicht will aus deinen Händen ich ein Amt! und niemals will ich enden diesen Streit, bis daß du mirs gebüßt und stehest neben mir mit deines Mundes Dank und mit der Reue heißen Tränen!

Denn sieh, ein Sprichwort hast du über uns gemacht, doch ich, ich will es reimen!»

 

Und über dieser Antwort maßvergeßnem Stolz, da wandte sich der Engel ab und zog von dannen schambeladnen Angesichts, wie wer vergessen seines Werts und wen da reuet seiner Gnade törichtes Verschwenden.

 

Und über eine lange Zeit, da kehrete der Löwe heim, zu Tode matt, von Qual verzehrt, doch in den Augen leuchtet ihm ein junges Feuer.

Und fragend naht er seinem Herrn und sucht in seinem Blick – und über dem erlosch das Feuer in des Löwen Aug, und langsam schleppt er sich hinweg und brach zusammen.

 

Und viele Stunden lag er also da, da endlich hub er an und redete und sprach zum Hündchen, das da weilte neben seinem Lager treuen Herzens:

«Was ist so groß die Finsternis? und endlos scheint mir diese Nacht, und nimmer will der Morgen dämmern!»

Und es erwiderte und sprach das Hündchen mit verwundertem Gebaren:

«Im Traume redest du, mein Freund, und Müdigkeit beschwert dein Aug! denn siehe, hoch am Himmel glänzt das goldne Licht, und längst begonnen ist ein jedes Tagewerk, und Mittag schon verdrängt den Morgen.»

Und wiederum begann und sprach zu ihm der Löwe:

«Wohlan! so wollen wir verlassen dieses finstere Gemach; denn siehe, dunkel ist es um und um, und diese Mauern hemmen meinen Blicken jegliches Vernehmen.»

Und über diesem Wort, da schauete das Hündchen hin, und weitgeöffnet war des Freundes Aug, und vollen Strahles traf das Tageslicht sein edles Antlitz;

Und über dem, da kroch das Hündchen ins Gebüsch, und allda hub es an zu weinen aus des Herzens tiefstem Grunde.

Und es geschah, da jener hörte diesen Gruß, da staunt er eine kleine Zeit, und plötzlich ward durch eine Ahnung ihm bewußt der große Schaden seines Leibes.

Und eine kleine Weile blieb er stumm, dieweil er überwand den herben Schmerz mit stillem Kampf nach edler Leute Brauch, und über dem, da hub er an und redete und sprach mit weicher Stimme:

«Was weinest du, mein Freund? und warum geht dir also sehr mein Leid zu Herzen?

Und doch, so manches Üble hab ich ehedem an dir getan und war für dich ein harter Freund, und hat ein ewger Krieg bestanden zwischen uns und unsern Kindern.

Jedoch ob rauh auch schien von außen meine Art, so war ich dennoch treu für dich gestimmt, und wahrlich gerne hätt ich dir gegönnt ein jedes Glück, und oftmals hab ich bei mir selbst bedacht, wie ich dereinst dirs lohne.»

Und es geschah, ob diesen Worten kam das Hündchen auf ihn zu und badet ihn mit seinen Tränen.

 

Und also weilten sie vereint den langen Tag und suchten Trost ein jeder in der gegenseitgen Liebe;

Doch als nun Mitternacht umhüllete das Land, da fing mit einem Mal der Löwe an zu horchen, hob den Kopf empor und spürete am Boden.

Und mit Verwunderung begann und sprach zu ihm das Hündchen:

«Was horchest du? und was vernimmt dein Ohr? und gänzlich leer erscheinet mir die Luft, und nicht vermag ich irgend einen Laut zu hören.»

Der andre aber setzte fort sein Tun, und ungeduldiger geriet sein Brauch, und wie von Zorn gereizt erhob er grollend seine Stimme.

Und plötzlich richtet er sich auf und redete und sprach zu seinem Freund entschloßnen Willens:

«Mein Freund, du siehst, zum Tode bin ich reif, und über kurzem werd ich nimmer dich beschweren.

Und nun vielleicht, daß du mir gönnest einen letzten Dienst und mir erstattest eine letzte Hilfe!»

Und stummen Munds willfahrete der andere mit Schluchzen.

Und über dem, da fuhr er fort und redete und sprach inständigen Verlangens:

«Du siehst! ein Blinder lieg ich hilflos hier, und alle Wege bleiben mir versperrt; und nun so leihe mir dein Aug und führe mich hinweg und leite mich in meiner Heimat Tal, auf daß daselbst ein letztes Mal ich grüße meine vielgeliebten Kinder.»

Und es erwiderte und sprach der andere mit Staunen:

«Was meinest du? und wie versteh ich deinen Wunsch? denn sind nicht deine Kinder tot, erwürgt durch unsres Herrn gestrenges Urteil?»

Und wieder hub der Löwe an: «In Wahrheit also glaubt auch ich, doch jetzt, so hör ich deutlichen Vernehmens ihrer Stimme wohlbekannten Ton; und auch es ist geschehn zu seiner Zeit, da ich sie zeugte im Gebirg, da wehte Gottes Geist im Sturm, und darum, fürcht ich, können sie nicht sterben.

Und nun so zögre länger nicht und gönne mir den Dienst, daß du mir leitest meinen Fuß, denn sieh, es ist mein letzter Gang, und Ruhe wirst du fürder vor mir finden alle Tage deines Lebens.»

Und über diesem Wort, da machten sie sich auf und zogen einer vor dem andern langsam nach dem fernen Tale.

 

Und Müh und Arbeit litten sie genug, doch als am andern Tag der Abend dämmerte zur Nacht, da hatten sies erreicht, und andachtvoll berührete ihr Fuß die heimatliche Erde.

Und es begann und sprach zu seinem Freund der Löwe:

«Und nun, so laß uns einen Hinterhalt erspähn, daselbst wir unbemerkt vernehmen jegliches Geschehen.»

Und jener tat nach seinem Wort, und wo ein Hügel überragete das Tal, da legten sie sich hinter einen Busch und warteten daselbst geduldigen Beharrens.

 

Und Stund um Stunde lauschten sie umsonst, und Todesstille schwebte überm Grund, und leise stieg der Mond empor, und nur des Bächleins Wellen murmelten mit endlos gleicher Stimme zwischen Weiden in der schattgen Tiefe.

Und während sie so warteten vergeblichen Bemühns, da schlug es Mitternacht vom Himmelsturm, und Antwort gab es aus der Erde Schoß und widerhallete von Berg zu Berg in den metallnen Adern.

Und jene lauscheten dem feierlichen Ton, da plötzlich hub das Hündchen an zu klappern mit den Zähnen, winselte und heulete mit unterdrückter Stimme.

Und es begann und sprach der Löwe bangen Herzens:

«Sag an, was winselst du, und was so Schauerliches sieht dein Auge?»

Und es erwiderte und sprach der andere mit Flüstern:

«Ich sehe deine Kinder auferstehn und seh sie leben, seh sie sich bewegen deutlichen Vernehmens!»

Und wiederum begann und sprach zu ihm der Löwe:

«Und sind sie alle da, und fehlt auch keiner von dem großen Haufen?»

Und jenes schaute hin und zählete, erwiderte und sprach mit Flüstern:

«Ein einzges fehlt, das lieget einem Klumpen gleich am Weg, und ob es lebend oder tot, nicht kann ich es entscheiden.»

Und nochmals hub der Löwe an, begann das Fragen:

«Und sind sie auch gesund? und ist geheilt das Todesmal? und wachsen sie? gedeihen sie? und treten kräftig ihre Glieder?»

Und nochmals schauete der andre hin, erwiderte und sprach mit Flüstern:

«An ihrem Halse klaffet noch das blutge Mal, und mühsam kriechen sie umher, den Robben gleich, wenn sie vom Meer zum Ufer wälzen ihre glatten Leiber.»

 

Und über dieser Nachricht hielt der andere länger nicht des Herzens wilden Zorn, und jählings schnellt er hinterm Busch hervor, und beide Arme auf den harten Boden aufgestemmt, erhob er hoch sein schweres Haupt, begrüßete die stille Nacht mit seiner fürchterlichen Stimme.

 

Und winselnd flohen seine Kinder auseinander, suchten jeder sich zu retten, wo er es zunächst vermochte.

Doch jener hatte schon verlassen seinen Stand, und kräftig mit geballter Faust die Nägel krallend in den Rasen, warf er übers Ufer sich hinab und rollte abwärts in die Tiefe, hemmend mit den Händen seinen Sturz, den Boden pflügend mit den starken Fingern, bis im ebnen Tale ruhete sein Leib nach einer kleinen Weile;

Und alldaselbst mit Erde überklebt, die Mähne mit Gestrüpp und Kies verziert, erhob er sich, und seinem Ohr vertrauend hub er an die grause Jagd, der blinde, lahme Mann nach seinen wunden Kindern.

Und jetzt begann ein gräßlich Morden in dem Tal, und von Geschrei und Flehen widerhalleten die Berge.

Und keine Rettung brachte seines Auges Schaden ob des Ohres allzusicherem Verstand, und überall erhascht er sie: im Wald, im Gras, in dunkler Höhle unter dem Gestein – und taugte kein Versteck, und keine Flucht geriet, und ob sie hinterm Hause sich verkrochen, ob sie häuptlings in den Bach sich stürzten in des Herzens Not und Todesangst, so faßt er sie, zerriß, zerfleischte sie, und schaurig weichen Klanges mahlt er zwischen seinen breiten Zähnen ihre zarten Knochen.

Und endlos lange währte das entsetzliche Gericht, und schon war hingewürgt die ganze Schar, da kehrt er wieder um, und wo sich irgend regte eines Seufzers Laut, da hub er nochmals an die grauenvolle blutge Arbeit.

Und als es endlich gänzlich Stille nun geworden ringsherum und nur des Baches Wellen rieselten mit friedlichem Gesang einher, da schleppt er sich zurück und redete und sprach zum Hündchen, das da hörbar zitterte mit seiner Glieder Knacken:

«Wohlan, so ists vollbracht, und nun so laß uns heimwärts ziehn zu sterben.»

Und jener folgte sprachlos seinem Wunsch und führte ihn von hinnen.

 

Und als am andern Tag der Abend dämmerte zur Nacht, da hatten wiedrum sie ihr Haus erreicht, und allda legte sich der Löwe hin, begann zu sterben, kämpfend den verfluchten Kampf drei lange Tage.

Und jammernd sprang das Hündchen immer um ihn her, verzweifelnd, machtlos, wußte nirgends Hilfe oder Rat, beleckt ihm dann und wann sein Angesicht, versuchend, ob vielleicht damit es lindre seine großen Schmerzen.

Und zu des Kranken Häupten saß sein Meister, regungslos, dem Steine gleich, mit abgewandtem Körper, klagte nicht und weinte nicht, und auf den starren Mienen seines Angesichtes zeigte sich kein Mitleid, kein Gefühl, doch während alledem, so schickt er immerfort den Blick zurück, und wenn nun ab und zu der andere sich wand in seiner Qualen Übermaß, so zuckt er mit den Brauen, biß sich auf die Lippen.

Und sprach kein Wort die ganze lange Zeit; doch als am dritten Tag es nun zu Ende ging, da stand er auf, und festen Trittes, feierlichen Ernstes naht er jetzt dem Löwen, kreuzte seine Arme, knieete zu Boden, grüßete, begann und sprach gebeugten Haupts mit Demut diese Worte:

«Mein Freund! zum Tode ziehst du nun und kehrest nimmermehr zurück, und niemals wieder werd ich deinem Angesicht begegnen.

Und drum gedenke einmal noch des alten Freundes aus der Jugendzeit und öffne deinen Mund und scheide also nicht von mir in Groll und Feindschaft.»

 

Und es geschah ob diesem Wort, da sammelte der andre seines Lebens letzten Rest und reckte sich und streckte sich und richtete sich auf in grausgem Krampf, und allen seinen Haß in einen einzgen Blick vereinend, schaut er wider ihn aus seinem blinden Aug – und über dem, da fiel er tot zur Seite.

Schluß

Und da er nun so lag auf Nimmerwiedersehn, da sprang Prometheus auf, und beide Arme ausgebreitet dreht er langsam sich im Kreis, begann und rief und sprach mit lauter, nachdruckvoller Stimme:

«Ihr Dinge alle, die ihr auf mich niederschauet gegenwärtigen Bestehns, und Erd und Himmel, die ihr mich umgebt, vernehmet meinen Schwur, auf daß ich Lügner vor euch heiße, wenn ichs jemals wende.»

Und zu dem Toten jetzt gekehrt:

«Wohlan, bei deinem Leichnam schwör ich dir, wenn ichs umsonst getan und wenn der Ring zerspringt an meiner Hand: fürwahr, so will ich erben deinen Haß und will an mir dich rächen, selbst den Tod mir bietend, seis vom Felsen, sei es in dem See, und seis mit eigner Faust in meine Brust das Eisen tauchend.»

 

Und über dem, da ging er ihn begraben in des Gartens Ecke.

Das Hündchen

Das Hündchen aber legte sich auf seines Freundes Grab, benetzt es Tag und Nacht mit seinen Tränen, wollt es nimmermehr verlassen.

Doch über eine Zeit befahl und sprach zu ihm sein Meister strengen Mahnens:

«Laß ab von deinem Tun, und trenne dich von hier, auf daß es nicht geschieht und dich erfaßt derselben Krankheit Gift und ich verliere meiner Freunde beide!»

Und jenes tat nach seinem Wort, in willigem Gehorsam wohl geübt, und zwang sich langsam weg mit traurigen Gebärden.

Und weilte um den Herrn den ganzen Tag, getreu dem kräftigen Befehl, doch wenn nun Nacht verheimlichte ein jedes Tun, da stahl es sich hinweg und eilte auf des Freundes Grab und weinete und schluchzete daselbst, bis daß der Morgen kam und Dämmerung enthüllte jegliches Geschehen.

Und über dem, da schlich es wiederum zurück in seines Herren Kammer.

 

Und also tat es Tag für Tag; und es geschah des Morgens, wenn Prometheus grüßete das Tageslicht, so hub er an und redete und sprach zu seinem Freund mit Strafen: «Was ist so matt dein Blick und was so rot dein Aug, und warum zittert wie vor Frost dein Körper?»

Und mit verlegnen Mienen gab der andere zurück:

«Vom gar zu langen Schlafe bin ich also matt, und auch ein winterlicher Traum hat also mich erfroren.»

Und also tat es regelmäßig eine lange Zeit unwandelbaren Brauchs in täglicher Gewohnheit.

 

Und eines Morgens so wie alle Morgen – fröhlich stieg der Tag empor, und in den Gräsern funkelte der Tau, und in den Hecken jubelten die Vögel –,

 

Da kam das Hündchen trauriger zurück, und heftger zitterte und schauderte sein Leib, und schlimmer war sein Aug gerötet.

Und mit umwölktem Blicke tappt es gleichwie suchend in dem Zimmer hin und her und drehte sich im Kreis und klappte mit den Zähnen, schnappte plötzlich aufwärts in die Luft mit heiserm, röchelndem Geheul, und über dem, da schloff es unters Bett und rollte sich zusammen, schluchzete und boll, und immerwährend zuckten seine Glieder.

Und sieben Tage lag es also da, verschmähend Speis und Trank und nicht beachtend seines Herren Ruf, wie oft ers auch versuchete, mit Schmeicheln bald und bald mit seiner Stimme lautestem Befehl, und teilnahmlos für tot verblieb es immer in derselben Stellung.

Doch als am achten Tag Prometheus wiederkehrete zur Abendzeit, da kroch es jetzt hervor, begrüßte ihn, begann und sprach mit schwacher Stimme:

«Mein Herr und Meister! höre mein Gebet, des armen Kindes, das da treulich dich geliebt unwandelbar in Freud und Leid, und all mein Denken war für dich und dir gehört ein jegliches Gefühl – und ach! es waren schöne, schmerzensreiche Tage!

Und solche Tage seh ich nunmehr nimmermehr, und ist für mich zu Ende Freud und Leid, und tot sind alle meine Kinder, tot mein Freund, und über kurzem wirst du gleichfalls mich begraben!

Und nun vielleicht, so ist es besser so, denn sieh, ich hab es reichlich alles wohl genug, und länger, wahrlich, wollt ich es nicht tragen.

Jedoch, ich weiß nicht wie, ob alle dem, so ist unsäglich weh und traurig mir mein Herz, und drum so hab ich mir gedacht, vielleicht daß du dich mein erbarmst und mir erleichterst mein Gemüt mit tröstlicher Erzählung.»

 

Und also sprechend legt es seinen Kopf auf seines Meisters Knie und schauete zu ihm hinauf aus seinem treuen Auge.

 

Und er begann, erzählete und sprach und legte traulich seine Hand auf seines Kindes Antlitz:

Erzählung: Das tote Tal

In ferner Felsenwüste wohnt ein Mann, der lebte schlecht und recht im Schweiße seines Angesichts mit seinen sieben Söhnen.

Und es geschah des Morgens, wenn die Söhne ackern gingen auf dem unfruchtbaren Feld, da warnete und sprach der Vater mit besorgten Mienen:

«Vor allem habet acht, daß ihr das tote Tal vermeidet, das da liegt zur Rechten unterm Palmenhain, denn also hab aus meiner Eltern Mund ich oft gehört: es wird geschehn, wer immer dieses Tal betritt, so fasset Wahnsinn seinen Geist, und nimmer wird er Freude finden alle Tage seines Lebens.»

Und also sprach er Tag für Tag, und sie gehorchten seinem Wort und führeten ein fleißig Leben schlecht und recht, im Schweiße ihres Angesichts, jedoch zufriedenen Gemütes.

 

Doch eines Mittags, da sie sich zu Tische setzten zur gewohnten Zeit, da musterte der Vater seine Söhne, suchete und zählete; und siehe da! es fehlete der jüngste.

Und es erwiderten und sprachen seine Brüder zu dem Vater tröstenden Gebarens:

«Mit Unrecht ängstigt sich dein Herz, denn siehe, da wir ihn verließen, war gesund und wohl sein Leib, und beim Geräte blieb er noch zurück, und allda hat er wohl gesäumt, jedoch in Kürze wird er ohne Zweifel selbst erscheinen.»

Und während sie noch sprachen, tat sich auf die Tür, und siehe da, der Bruder trat herein, jedoch das Haar entfärbt, das Angesicht verzerrt und ganz verändert seiner Augen Blicken.

Und heftigen Entsetzens sprangen alle auf, umringten ihn, umdrängten ihn, bestürmten ihn besorgten Fragens.

Und eine lange Weile stand er sprachlos da und seufzete und keuchete, und in die weite Ferne starrten seine Augen.

Doch endlich übte er Gewalt und zwang zusammen seinen Geist und öffnete den Mund, erbleichete und schauderte, erzählete und sprach mit atemloser Stimme:

«Es ist geschehn, da ich als letzter heimwärts kam gezogen nach gewohntem Brauch, da war vom Mittag heiß die Luft und glühend das Gestein, und eine schwere Stille war gelagert überm ganzen Lande.

Und da ich also müden Schrittes kam gegangen zu den Palmen überm toten Tal, da kühlete ein angenehmer Schatten meine Stirn, und unwillkürlich rastete mein Fuß, und ohne Absicht senkte sich mein Blick und fiel hernieder auf die bleiernen Gesteine.

Und während ich so schaute ohne Arg, dieweil mein Körper ruhete vom heißen Gang, da lauschete mein Ohr, und wie ein Summen drangs zu mir herauf aus der verfluchten Tiefe.

Und eine Weile glaubt ichs nicht, doch um des Zweifels willen schärft ich meinen Sinn und duckte mich und schloß das Aug und legte mich zur Erde.

Und gänzlich deutlich hört ichs jetzt: ein tausendfältiges Geräusch von vielverschlungenen, geheimnisvollen Stimmen.

Und aufgeregten Wesens sprang ich auf und wagte eine Strecke mich hinab: und lauter ward der sonderbare Ton; und über dem, da trat ich nochmals vor, und also fort, bis wo der Rasen endet bei dem Zeichen an des Landes Grenze.

Und allda stand ich eine lange Zeit und horchete, dieweil der Atem stockete in meiner Brust und tosend hämmerte das Blut an meinen Schläfen.

Und endlich hielt ichs länger nicht und spähete umher mit scheuem Blick, und als nun gänzlich niemand war zu sehn, soweit das Auge reichte in dem weiten Rund, da faßt ich mir ein Herz und bückte mich und griff nach einem Stein und wandt ihn sachte um: und siehe da, darunter wimmelt es und zappelt es und zuckete von tausendfachem, warmem, weichem Leben.

Und außer mir vor tödlichem Entsetzen hob ich einen zweiten Stein: und allda war es wie zuvor, und also fort und fort, und wo ich ging und stand, da war es alles Leben, Leben!»

Und während er so sprach, entwich ihm wiederum sein Geist, und staunend stand er da, und sinnlos rollten seine Augen.

Und es begannen seine Brüder wider ihn mit Trösten:

«Ermuntre dich, mein Freund, und wehre deinem Gram! und wohl ein böser Traum des Mittags hat dich also sehr erschreckt, jedoch so magst du ohne Mühe selbst erkennen des gespenstgen Bildes Nichtigkeit und Lüge:

Denn siehe, wenn es lebte in dem Tal, so müßt es sterben wiederum und also fort und fort in alle Ewigkeit, und wie vermag dein armes Herz zu glauben solch ein aberwitzig teuflisches Geschehen!»

Und über diesem Wort, da ward der andre außer sich:

«Und drum so hab ich es gesehen sterben, sterben überall im weiten Tale.»

Doch jene lächelten getrosten Muts und winkten sich, verstanden sich, und als nun nachts der Mond beleuchtete das wüste Feld, da machten sie sich heimlich auf und eilten zu den Palmen überm toten Tal und lauscheten und wagten sich hinab – und als am andern Morgen kam der Vater wecken seine Söhne zur gewohnten Zeit, da saßen sie ein jeder auf dem Boden vor dem Bett, verzerrten Angesichts mit Heulen.

 

Und dankend redete und sprach das Hündchen zu Prometheus seinem Herrn und Meister:

«In Wahrheit herrlich war der Trost, und kräftig hat er mich geheilt; doch nun so fahre fort, ob du vielleicht ein zweites weißt derselben Meinung.»

 

Und nochmals hub Prometheus an, begann, erzählete und sprach mit langgezogner, gleichbetonter Stimme:

Erzählung: Sophia

Es war an einem Sonntagnachmittag zur Sommerszeit, als festlich war gekleidet Wald und Feld und silbern funkelte die Luft und fröhlich schwangen sich der Glocken reine Klänge über Stadt und Land in unbegrenzte Ferne,

Da strömete des Himmels Volk aus allen Gassen, flutete durchs Tor, zerstreute sich und wallete in Gruppen dort und hier vereinzelt zu den Bergen, zu den Wäldern, zu den duftigen Gebüschen.

 

Und während diese also sich ergingen in der sommerlichen Lust und jede Sünde war versöhnt und jedes Leid verschmerzt und jeder Kummer löste sich ob dieses Tages heitrer, gnadenvoller Klarheit,

Da saß in ihrem lichten Schlosse in des Himmels wonnigstem Verließ Sophia, Gottes ältste, schönste Tochter, legte seufzend ihre Hände in den Schoß und blickte traurig durch das offne Fenster nach dem Adler, der sich wiegete in hoher Luft, und nach dem schattgen Berge, der zu ihr hernieder schauete mit seinem grünen, schöngeformten Haupte.

Und Stund um Stunde saß sie also da mit trübem Blick, geduldigen Gemüts, wie wer es oft geübt und wem Entsagung ist geläufig ob der täglichen Gewohnheit,

Da plötzlich sprang sie auf, durchschritt das glänzende Gemach, und leicht, mit zarter Hand umfassend das Geländer, schwebte sie hinab die breiten Stufen, eilte zu der dunklen, schwarzverhängten Kammer, wo ihr Bruder wohnete, der kranke Sohn des königlichen Gottes.

Und allda tat sie auf die Tür, und auf der Schwelle stehend hub sie an und rief und sprach zu ihm mit Unmut und mit Tränen:

«So möcht ich nimmer heißen Gottes Tochter, nimmer wohnen in dem schönsten Haus! und lieber wäre mir zu sein von den Geringsten eine, die da wohnen unbekannt und namenlos im niedern Haufen!

Denn siehe, allen andern ist ein Gatte oder auch ein Bruder, der an sie gedenkt und ehret sie und führet sie zum Fest, und Freude rötet ihre Wangen;

Doch ich, verlassen sitz ich einsam Tag für Tag, und ist für mich kein Fest, und niemand nimmt sich meiner an, und niemand läßt mein Antlitz spüren Sonnenschein und Waldesatem!»

Und träge hob der andere sein Haupt, und nach der Schwester bückend, die da vor ihm stand in ihrer Schönheit Glanz, vom Unmut rosig angehaucht, vom Tageslicht umspielt, begann er jetzt und redete und sprach mit kraftverlaßnem Ton die vorwurfsvollen Worte:

«Geliebte Schwester! meines Daseins Trost und teurer meinem Herzen als mein eignes unglückselges Selbst – und gerne gäb ich, so ich es vermöchte, tausendmal um dich mein Leben! –

Hinweg mit den gemachten Tränen! frevle nicht, indem du leichten Mutes spielst auf deinem Angesicht ein nachgeahmtes Leid! und also wünsch ich dir, und also flehe ich für dich in täglichem Gebet, daß nimmer du erfahren mögest wahres Leid und echte Tränen!

Und nun, du weißt es: gern willfahrt ich deinem Wunsch; jedoch in meiner Seele wohnt ein böses Weh, davor ich nicht ertrage Sonnenschein und Weltenluft, und Gift ist meinem Herzen all das vielgestalte Leben;

Und drum so will in Nacht und Einsamkeit ich hier begraben meinen Gram, du aber ziehe heim in Frieden, dich begnügend mit der eigenen Gesundheit unschätzbarem Gute.»

Doch nicht gehorchte jene seinem Wort und schritt auf ihn hinzu, erwiderte und sprach zu ihm mit Bitten und mit Tränen:

«In Wahrheit, allzulange weilst du schon allein und wurdest nimmermehr gesund, und schlimmer nur geriet durch Einsamkeit dein Leiden;

Jedoch so wage den Versuch und reiße dich von hier, auf daß vielleicht, wenn dus der Sonne anvertraust, vielleicht, daß sie es heile.»

Und also sprechend schlang sie ihren weißen Arm um seinen Hals, liebkoste ihn und drängte ihn mit zärtlichen Gebärden.

Und seis von ihrem Wort, und sei es von geheimer Hoffnung seines Herzens umgestimmt, da gab er endlich nach, und jene eilete hinauf und schmückete das schwere schwarzgelockte Haar und legete den Purpur um den edlen Leib, und über dem, da machten sie sich auf und traten vor das Haus und vor dem Hause auf die allgemeine, volkbelebte Straße.

 

Und es geschah, vor ihrem Anblick teilte sich das Volk und schaute ihnen lange nach, entblößten Haupts, mit achtungsvollem Mitleid.

Und scheuen Wesens schritt der kranke Gott einher, beleidigt von des Tages grellem Licht, belästigt von dem vielen Volk, und folgte mutlos seiner Schwester, die ihn leitete entschloßnen Willens.

Und ungern, notgedrungen trieb sie auf der großen Straße, eine treue Pflegerin, vermeidend, wo sie es vermochte, jeden Gruß, beschleunigend den Schritt und immerfort um ihn besorgt und immerfort bewachend seinen Blick – und als nun über eine Weile sich ergab ein Weg, der seitwärts führte übers Feld zum nahen Wald, da lenkte sie den Bruder hin, und allda zogen sie, der eine an des andern Seite, auf dem schmalen Pfade.

Und jetzt, vom Volksgewühl erlöst, von Einsamkeit umringt, vor ihren Füßen unabsehbar sich erstreckend ein bequemer Plan, und über ihrem Haupt des Äthers Riesenkuppel, hoch und luftig aufgebaut auf schlanken Säulen, Raum und Helligkeit im Übermaß gewährend, nirgends lastend, nirgends drückend, vielmehr alles Schwere aufwärts ziehend wie mit einem hilfereichen Arm: da wurde ruhiger der beiden Schritt, und freier hob der kranke Gott sein Haupt, begann sich zu erlaben an der großen Stille.

Und mehr behagt ihm als die stolze Straße der bescheidne Pfad mit seinem harten Boden, seinem zarten Widerstehn, und wohl empfand ers, wie derselbe eifrig mied die grellen Flächen, wie er lieber einen Umweg nahm, auf krummen Bahnen dahin meistens strebend, wo von schlanken Kirschen, wo von hohen Saaten sich sein Antlitz kühlte, sich sein Leib beschattete; und dankt ihm alles das, und ward ihm nimmer gram, ob ab und zu er sich erlaubte, daß er spiele mit den hohen Gästen, sich versteckend, sich versenkend, plötzlich in der Ferne wiederum erhebend seinen roten Leib und neckisch herwärts grüßend, winkend, daß sie muntrer folgeten auf seinen Spuren.

Und über eine Zeit gewann ers über sich, daß er ein wenig mit den Blicken nasche von dem Sonntag um ihn her, verstohlen zwar und wollte selbst sichs nicht gestehn, verdrießlich, wenn die Schwester ihn betrachtete aus ihrem klaren Aug; doch jene, sei es Zufall, sei es Absicht, wandt ihm nunmehr immer dar die seidnen Locken, während ungesehn er jetzt befriedigte das heimliche Gelüsten.

Und war ihm angenehm zu schauen über all die üppgen Saaten, wo das Korn zum Golde eben erst gedieh und noch die leichten Halme lotrecht standen, Mann an Mann gereiht und Volk zu Volk gefügt, ein unabsehbar wohlgeordnet Heer, darüber gleich berittnen Königen in gleichgemeßnen Zwischenräumen ragte dann und wann hervor ein hochgewachsner Baum – und war ihm nicht zu viel die warme Luft, die mild und freundlich schwebte über alle dem, vom Blumenhauch erfüllt, von Kräuterduft gewürzt – und nahms geduldig an, wenn ab und zu ein Ostwind leise kam gezogen übers Land und kräuselte das goldne Meer und flüsterte im Baum und spielte in dem Gras, berichtend einen tausendfältgen Gruß von ferner Lust, verkündigend von allgemeiner, eingestimmter Wonne eine herrliche Erzählung;

Doch mehr noch tat ihm wohl der finstre Wald mit seinen dunklen Farben, seinen düstren Schatten, da er gleich als wie mit einem buschgen Trauerkranz umgab das blühende Gefild, Gedanken zeugend, Wehmut weckend, über all dem jugendlichen fröhlichen Getrieb ein ernster, reifer Mann, vom Unglück ungebeugt, durch Schmach und Spott gestählt, der Mehrheit mutig trotzend;

Und endlich wieder über eine Zeit, da sich sein Auge nun gewöhnt und lichtre Farben immer mehr vertrug, da wars ihm eine Neuigkeit, daß er die Bücke, die so lange Zeit gefangen lagen in des Zimmers engem Raum, daß er die Blicke sende nach den größten Fernen: seitwärts nach dem weißen, duftigen Gebirg und vom Gebirge aufwärts kühnen Sprunges in die blauen, fleckenlosen Gründe:

Und erst erschien ihm keusch und edel zwar, doch leer und ohne Geist das luftige Gebiet und aller Orten gleich und nirgends ein beseelter Zug und nirgends für das Aug ein Halt und für das Herz ein Ruhepunkt, und hielt für gänzlich unwert dieses Feld, verglichen mit dem goldnen Reichtum unter seinen Füßen;

Doch bald mit feinerem Verständnis sah er sichs bewegen in den ungeheuren Räumen, sah verborgne Schleusen sich erschließen, sah es allerorten quellen, rinnen, sprudeln in den blauen Höhlen.

Und schaute staunend, wie mit vollem Strom die luftgen Wellen stiegen nach des Äthers silberfunkelndem Palast, wie sie den Einzug hielten durch das Strahlentor und all die prächtgen Säle, all die heitren Säulenhallen fülleten mit ihrem duftgen Körper, sachte tretend, daß auch kein Geräusch erschüttere den heilgen Bau – und wie sie aus den offnen Fenstern gleich als wie aus tausend Toren wiederum hernieder fluteten und endlich mit Gebet und mit Gesang, ein grenzenloses Meer, zur Ewigkeit wallfahrteten, von Engeln angeführt, vom heilgen Geiste, hoch zu Roß auf weißem Flügelpferd, begleitet.

Und lernte messen dieses Meeres feenhafte Tiefe, wenn auf einer Riesenwolke stehend er betrachtete den Abgrund unter ihm und hob ihn mit dem Geist empor und türmt ihn drei- und vierfach über sich: und niemals wars genug, und immer höher stieg die blaue Krone in Spiralen aufwärts, ihm entweichend, aus der Ferne winkend mit der duftgen Hand – und während er so maß, da ward von einem breiten Wogenschwall hinweggeschwemmt die Wolke unter ihm, die Wolke nicht allein und mit der Wolke seine Blicke, mit den Blicken das gesamte feste Land mit allen Bergen, allen Wäldern.

 

Und oben auf des luftgen Stromes höchster Höhe schwamm ein Adler ruhig über aller Welt, vom Auge kaum bemerkt und einem Punkte gleich, darum sich dreht die ganze Welt, und einem winzgen Kern, worum sich hüllt ein ungeheurer Umfang.

Und unbeweglich an derselben Stelle schien er stets zu ruhn, und keine Regung war an ihm zu sehn, und schien erstarrt in ihm ein jedes Leben,

Da plötzlich stieg er jetzt herab und wuchs und wuchs, bespiegelte im Sonnenglanz den schwarzen Leib und drehte sich und kehrte sich, und über eine Zeit, so hub er an mit schräggeneigtem Körper zu umfliegen die im Kreis sich dehnenden Gelände.

 

Und langsam, königlichen Fluges zog er seine Bahn, ein einsam wandelndes Gestirn im grenzenlosen Raum, und unter ihm in tiefer Ferne folgete sein Schatten, riesenhaften Schrittes schreitend über Feld und Wald und über Häuser, über Gärten, durch den Fluß und durch den See, hinan, hinunter an den grünen Hügeln. Und also strich er trägen Willens eine lange Zeit; doch als nun über eine Zeit zu seinen Füßen prangete des Himmels Stadt auf selger Höh, von dunklen Gärten eingesäumt und thronend auf gewaltgem Schemel, eine milde Königin, gegrüßt, geliebt von allem Land und schön bedient von mannigfachen bunten Schlössern,

Da schlug er zweimal mit dem kräftgen Arm, und zweimal blitzete und funkelte sein Flügelpaar: und jähen Aufschwungs stieg er in die Höh und stieg und stieg – und plötzlich wich er großen Bogens ab und segelte mit Windeseile seitwärts nach den weißen, dichtgeballten Wolken.

Und allda bog er um das Tor und war verschwunden hinterm weichen Berge.

 

Und über dem, da war verwaist und leer die ungeheure Luft – da siehe: an der Wolken andrer Seite brach er wiederum hervor und stürmte himmelwärts mit aufgeregtem Mut, durchschnitt in einem Augenblick der Sonne roten Ball, und plötzlich drang ein scharfer Ruf hernieder aus der unmeßbaren Ferne.

Und dreimal wiederholt er ungeduldig den Befehl, und über dem, da stürzt er wiederum herab und stieg und fiel in regellosen Zügen zornigen Gemüts, bis daß er siegreich nun vollendet den gewaltgen Umgang.

Und über dem, da schifft er niedrig streichend überm Walde langsam nach der unbekannten, sehnsuchtsreichen Ferne.

 

Und ehe sie des Feldes Mitte noch erreicht, es sei von Einsamkeit und sei vom hehren Blumenduft, da wurde weniger das Schmerzen in des Kranken Brust, und heller ward das Blicken seiner Augen:

Und es vernahms die Schwester seligen Gemüts, und gerne hätte sies aus ihres Herzens tiefstem Grund gejubelt und gejauchzt in alle Welt; und kaum enthielt sie dessen sich; doch obs ihr schien ein großer Zwang, so war die Liebe größer noch, und also schritt sie ruhig ihre Bahn, mit keinem Zeichen ihm verratend, daß sie es gesehn, damit sie ja nicht störe das geheimnisvolle, zarte Werk der keimenden Genesung.

Und weiter zogen sie des Wegs, und es geschah, mit jedem Schritt gesundete der Kranke mehr und mehr, und unerträglicher geriet der Schwester inneres Frohlocken.

Und über eine Zeit, als gänzlich nahe schon erschien der Wald und schon sein warmer Wohlgeruch erfüllete die Luft,

Da senkte sich der Weg, und zwischen weichen Ufern schlich ein Bächlein durch das saftge Gras, verborgen in dem schmalen Grund, beschattet von des Feldes Halmen.

Und zahm und sittig war des Bächleins Gang und wohlgezogen seine Art, und war kein Arg noch Falsch in ihm, und seicht erschienen überall die klaren Fluten;

Und in des Baches kühlem Bett vergnügte sich von Kindern eine nackte Schar und tanzte, sich bespritzend, schreiend, lachend, stampfte unermüdlich in dem weißen Schaum, und rosig mengten sich die satten Leiber in der sommerlichen Luft, dieweil vom Fuß zum Knie sie deckete das Wasser.

Und von den Größten wagte einer hin und wieder sich hinzu, wo schauerlich mit hohlem Tone glucksete der Bach und schwer und dunkel floß die Flut und ein Geheimnis ohne Zweifel lag daselbst verborgen;

Und sachte, tastend, setzt er seinen Fuß, verachtend seiner Brüder heftiges Geschrei, bezwingend seines eignen Herzens Bangigkeit, und stetig mit verwegnem Mute rückt er vor, und tiefer sank er immerfort hinab, und schon umspülten ihm die Wellen Leib und Schenkel,

Da plötzlich floh er jähen Laufs zurück, bestaunt, bewundert von den tadelnden Genossen.

Und lächelnd blickete der Kranke auf das kindliche Getrieb und weilte lange auf dem schmalen Steg, und ungern zog er weiter.

Und als er wiederum des Feldes Höhe nun erreicht, da öffnet er mit einemmal den längst verschloßnen Mund, daß er begann zu sprechen und zu fragen unbefangenen Gebarens.

Und über dem, da kannte keine Schranken mehr das ungestüme Wesen ihres Glücks, und wie von Sinnen warf sie sich an seine Brust und küßt ihm stürmisch seinen bleichen Mund und überdem die Schultern und die beiden Hände, warf sich vor ihm nieder, preßte seine Knie und sprang von neuem wiedrum auf und also fort und fort und kannte weder Maß noch Grenzen.

Und während alle dem ergoß sich perlend ein Gewitterbach von Tränen über ihr von Glück bestrahltes, sonnenhelles Antlitz.

Und tiefbewegten Herzens schaute jener ihrer Liebe reinen ungefälschten Strom, und bebend zog er sie zu sich heran, berührt ihr andachtvoll mit seinen Lippen ihre reine Stirn und segnete ihr Herz aus seiner Seele tiefstem Grunde.

Und über dem, da war verwandelt alle Welt, und rüstig, neubelebten Mutes zogen sie von dannen, Arm in Arm gehängt, und tranken Seligkeit aus jeglichem Geschehn, und jeder Zufall mußte sich zu ihrem Glück bequemen.

 

Und also über kurzem hatten sie erreicht des Waldes Eingang.

Und alldaselbst, da wars ein dunkler Vorhang, der verhüllte ihrem Auge jegliches vergangne Leid, und eine Scheidewand und ein geschlossen Tor, und alles, alles lag dahinten, ungesehn, vergessen, ungefühlt, und blieb allein zurück von andachtvoller heilger Ruh ein kräftigend Bewußtsein.

Und dieses war das Siegel der Genesung, war der jahrelangen Krankheit letzter Schluß; und was der hehre Tag begann, vollendete des Waldes Mitternacht, und wenn der eine mit den Flammen seiner goldnen Krone sengete und brennete und tötete das feige Gift, so goß der andre Balsam in die Wunde, schloß das Mal, besänftigte die Narbe, ebnete ein jegliches besonderes Gefühl – und gleich wie Wasser in ein leeres Glas, so strömete mit einem jeden Atemzug Gesundheit in des Gottes Lungen.

 

Und nicht entging den beiden dieses Ortes zaubermächtge tugendreiche Kraft, und wollten gerne gänzlich sie erschöpfen, mieden den gebahnten Weg und schlugen sich zur Seite, immerfort beachtend, daß sie jedenfalls vermieden jeden Ausgang.

 

Und also unter fröhlichen Gesprächen ohne Ziel und Willen trieben eine lange Stunde sie einher, und längst in weiter Ferne lag ein jeder Pfad, und war ihr einzger Führer ihres Herzens Lust, wenn kühner irgendwo sich rundete das grüne Dach zu ihren Häupten,

Da plötzlich senkte sich der Wald mit steilem Fall, und an des Landes Grenzen standen sie mit überraschten Blicken.

 

Und es begann und sprach der Bruder mit verstellter Stimme:

«Wohlan, nun dünket michs genug, und nun, vielleicht so dir es angenehm, so laß uns wiederkehren.»

Doch während er so sprach, da lauschte sie; und über eine Zeit, so hub sie an und fragete und sprach mit Staunen:

«Was ist das für ein Ton wie Orgelklang? und ist es auch der Wind, der also aus der Tiefe rauscht und brauset?»

Und ungern hörte der das Wort und wich der Frage aus und suchte, wie er sie von hinnen bringe mit verborgnem Willen.

Doch sei es, daß er völlig nicht vermochte zu beherrschen seinen Blick, und sei es aus des Weibes angeborner List, da merkte sie die Falschheit seines Wesens, stutzte, suchte – forschend in des Bruders Auge, ratend mit dem Geiste – zu ergründen seines Herzens wahre Meinung;

Und plötzlich nahm sie seine Hand und hielt sie kräftig fest, und also trat sie mutig vor und machte sich bereit zu steigen nach dem steilen Grunde.

Und wohl mißbilligte der andere ihr Tun, und widerwillig nur gehorcht er ihrer Hand und widersprach und sträubte sich und wollte öfters lieber wenden,

Doch vor dem überlegnen Willen hielt er nicht Bestand, und jene zog ihn mit sich fort, mit Schmeicheln halb und halb mit kräftiger Gewalt; und feige gab er endlich nach mit abgedrungener Erlaubnis.

 

Und also stiegen sie in Eintracht abwärts auf den moosbewachsnen Stufen.

 

Und stärker immer ward das schreckliche Geräusch, und lichter ward es um und um – da unversehens endete der Wald, und siehe da, das weite ungeheure Meer in nächster Nähe hingebreitet unter ihren Füßen.

 

Und über dieses Bildes unverhofftem Zauberschlag, da standen beide leblos still, besiegt, vernichtet von dem tosenden Gewühl, geblendet von des Himmels blauem Glanz, und schwindelten und taumelten, und ohne daß sie sich umfangen hielten, hätte nimmermehr ihr Fuß bestanden.

Und lange währt es, ehe wiederum sie fanden ihres Geistes Kraft, und eben schickten sie sich an umherzuschaun: da sahn sie nahe ihren Füßen eine schwarze Brücke über Klippen führen in das Meer, bis wo auf schmaler Felseninsel thronete ein Belvedere, zierlich aufgebaut und hell mit Weiß und Blau bemalt und heiter lächelnd über all der wilden Brandung.

Und eingestimmten Willens machten sie sich auf und zogen alldahin, auf daß daselbst in nächster Nähe sie versucheten des Bildes Güte.

Und nicht genügt es ihrem kühnen Mut, daß sie sich hielten in des Zeltes sicherem Verließ: doch vorwärts an der Felsen letzter Spitze stellten sie sich auf, wo schwarz von Feuchtigkeit erglänzte das Gestein, und allda machten sie den Geist zur Lust bereit und führten ihre Blicke weiden mit bewußtem Willen.

Und jetzt begann ein Staunen und ein unaufhörliches Entzücken in der beiden Aug, und immerfort verweigerte ihr Herz den Glauben. Denn nicht wie alle Meere war dies Meer und nicht vom Sturm bewegt und nicht von außen aufgewühlt, und nicht zur Seite strömten seine Wellen,

Und klar und friedlich glänzete des Himmels Angesicht, und keine Wolke war zu schauen weit und breit, doch in des Meeres eignem Herzen gärte es und kochte es und sprudelte und quoll, und all die grünen Wasser überwarfen sich, durchwühlten sich, zerstampften sich, zermalmten sich zu weißem milchig weichen Schaume;

Und ab und zu, so hob sich plötzlich all das brausende Gefild und wuchs und wuchs und flutete und sang – und plötzlich fiel es donnernd wiederum zurück, und gähnend, schwarzen Schlundes klaffeten die Strudel.

Und also stieg und fiel es regelmäßig Zeit um Zeit, wie Blut in eines Menschen Leib und gleich wie wenn der Atem seufzet in der Brust, und gleich wie wenn Gedanken steigen auf und nieder bei der Seele Flüstern in der abendlichen Stunde.

Und es geschah, wenn sich das Wasser hob, so blickten wunderbare, niegeschaute Dinge seltsam ruhig aus der wilden Flut hervor, und wenn sich senkete das Meer, so glänzte aus den bodenlosen Spalten eine andre Luft, darinnen dreht es sich als wie von fremder Welten Kreisen.

Und freudetrunken schaueten die Gotteskinder all die Herrlichkeit und Lust und schwelgeten mit ihrem Blick, und nicht genas ihr Herz vor stets erneuertem Erstaunen.

 

Und vor dem Bruder stand Sophia auf des Felsens äußerstem Gestein, das Angesicht belebt vom Meereshauch, den Blick verklärt, und mit den schwarzen Locken spieleten die Winde.

Und kannte keine Furcht, ob donnernd sich vor ihrem Fuß die Brandung brach, ob brüllend tanzeten die Wogen um sie her und ob sie plötzlich sich erfaßten, Hand in Hand in langen Reihen, einer auf dem andern reitend, stürmten wider ihren Stand mit fürchterlichem Angesicht und aufgesperrtem Maul und grauenhaftem Heulen;

Und kannte keine Furcht, und eitel Anmut schien ihr all das schäumende Gewühl, und wenn von Zeit zu Zeit sich hob das Meer und kletterte am Fels herauf und schleuderte den weißen Gischt empor zum Himmelszelt und küßte ihren Fuß und kühlt ihr Stirn und Wangen mit dem feinen Regen,

So strahlete von jungem Glanz ihr Aug, und an des Abgrunds letzte Grenze setzte sie den Tritt, auf daß sie völliger genieße das geliebte Grausen.

Und also eine lange Weile frönte sie der königlichen Lust, daß sie mit ihrem Blick vereinige das tausendfältige Gewirr, daß sie mit ihrem Geist beherrsche all die aufgeregten, wutentbrannten Massen;

Doch über eine Zeit, so schien ihr matt und faul des Meeres Art, und über dem gefiel es ihr, daß sie den Schwalben folgete, die sie umschwirreten in unzählbarer Menge.

Und schaute gerne, wie sie in die Flut sich stürzten, wie sie sie durchschnitten und umkreisten, wie sie jähen Fluges aufwärts schnellten, wie sie plötzlich kühnen Wurfs in schrägen Bogen wiederum herunterfielen, spottend, tändelnd mit der Wasser Trägheit;

Und wieder über eine Zeit genügt auch dieses nicht mehr dem verwegnen Wunsch, und über dem verschmähte sie den ganzen aufgeregten Plan und schickte ihre Blicke jenseits nach dem überseeischen Geländ, das still und ruhig mit zufriednem Antlitz ruhte über all dem schaumbedeckten Wechsel.

Und grün und golden lag es da, als wie Erinnerung am Hochzeitsfest und gleich als wenn ein junges Herz die Welt bemalt mit seinem eigenen Gemüt, und Anmut war sein Hauch, und sanfter Glanz umspülte seine Stirn, und um die keuschen Hüften prangete ein Gürtel, köstlich überstickt mit satten, lichtgetränkten Farben.

Und anders waren diese Farben als die vielen, die da überfluten alle Welt mit wäßrigem Erguß, verdunkelt von der dicken Luft, vom irdischen Gebrauch befleckt, vom weitem Wege matt, mit geistverlaßnem Aug und krankem Antlitz,

Doch von der Sonne reinsten Strahlen ausgepreßt und Saft auf Saft gehäuft und leuchtend wie mit Feuersglut und mutig setzend Licht an Licht und fröhlich spottend jedes feigen Urteils;

Wie wenn in südlich reiner Luft der Papagei sich wiegt im blütenreichen Baum, und gleich wie wenn der Schmetterling die Flügel breitet überm Lilienkelch, so strahlete in Glück und Seligkeit das herrliche Geländ, und gleich des Himmels Bläue funkelte das Gold und Grün auf seinem Gürtel.

Und während so in Licht und Wonne badete sein Leib, so stiegen ernste, stille Berge himmelan, Gedanken gleich und gleich der Ahnung, die aus hoher Seele blicket sinnend über alle Welt – und an den Bergen lebeten die Wälder, wandelten ihr Angesicht, und von den vielen Gipfeln bröckelten die Felsen, flossen stetig gleich dem Sande abwärts in des Meeres sturmdurchwühlte Tiefe.

 

Und da die Jungfrau nun vernommen dieses neue Zauberreich, da war von gänzlich junger Lust gefangen ihr Gefühl, und neugebornen Mutes hub sie wiedrum an zu schaun und ward von übermäßigem Entzücken außer sich, und nicht begriff sie, wie sie dieses also lange nicht beachtet, wie sie also lange sich betörte an des Meeres unvernünftgem wilden Brausen.

Und dieses war der Gipfel ihres Glücks, und während früher auf die Länge nichts vermochte zu genügen ihrem ungeduldigen Gemüt, so fand sie hier den Frieden, ward es nimmer müd, daß immerwährend sie mit ihrem Geist daselbst verweilte, seis, indem am Ufer sitzend sinnend sie betrachtete, wie all die Wälder und die Felsen langsam schmolzen in das Meer, und seis, indem sie selbst lustwandelte auf samtnen Auen, über Wälder, über Triften, durch die schattgen Haine, seis, indem sie, auf der roten Alpen höchsten Firnen stehend, stolzen Hauptes blickte über das unendliche Gebiet und zu sich selbst herüber grüßte aus der selgen luftumhüllten Warte.

 

Und stand mit ihrem Körper diesseits auf dem meerumspülten Fels, doch mit dem eignen Wesen schweifte sie beständig drüben in dem stillen, trauten heimatlichen Eden.

 

Und etwas rückwärts von der Schwester hielt sich Logos auf dem schmalen Grat und wachte über der Geliebten Stand und stützte ihren feinen Wuchs mit seines starken Armes sorglicher Umschlingung;

Und all die Zeit, da jene schwelgete und sich vergaß im Übermaß des Glücks, da ruhete sein Blick auf ihrem Angesicht und wiederholete die edle Stirn, der Nase ebenmäßgen Bau, den feingeschnittnen Mund und das beseelte Auge;

Und las und las, und nimmer müde ward sein Herz, und schal und unwert dünkt ihn all der tausendfältge Zauber um ihn her zuwider diesem einen lieben, herzgen Kleinod.

 

Und also standen sie vereinter Hand und eingestimmten Sinns und wurden nimmer wach und spürten nicht der Stunden Fliehn, bis daß die Sonne sich versenkte hinterm dunklen Walde.

Und über dem, da rafften sie sich endlich auf und lenkten heimwärts wiederum den Schritt, jedoch zurückgewandten Haupts mit Zögern und mit öfterem Verweilen.

Und also langsam ziehend hatten sie der Brücke Mitte schon erreicht, da sahn sie einen Fischer lehnen am Geländer, angelnd in den schaumbedeckten Fluten.

Und allda dachten sie vorbeizuziehn mit kurzem Gruß und achteten für gänzlich wenig dies Geschehen.

Und also wie sie es gedacht, so taten sie und drückten sich zur Seite, schoben sich an ihm vorbei – und jener angelte mit Fleiß und schaute nimmer auf und schien sich keineswegs zu kümmern um die hohen Gäste.

Und glücklich waren sie vorüber schon gelangt, da drehte jener seinen Kopf und wandte ihnen dar sein derb Gesicht und öffnete den breiten Mund – und grüßte nicht und stellte nicht den groben Leib zurecht, doch plump mit schweren Schultern liegend über dem Geländer hub er an und kündete mit Neid der Weisheit Wort nach niedern Volkes Brauch und Sitte:

«Wohl ist es schön und angenehm, ihr Herrn, zu schauen von des Himmels sichrem Ufer in das wogende Gewühl; jedoch vielleicht so sind sie anders wohl gestimmt, die selbst an ihrem eignen Leib erfahren weltliches Geschick und körperliches Dasein!»

Und als nun eben eine Welle spülte über das Gebälk, da beugt er träge sich hinab und schöpfte mit der hohlen Hand, so viel sie fassete, und hielt es ihnen dar zu seiner Worte Zeugnis.

Und fragend schauete die Jungfrau hin, und über eine Zeit, da hub sie an und redete und sprach zu ihrem Freund mit Schaudern:

«Ists auch aus Freude, daß es also zuckt und sich gebärdet?»

Doch jener stand an ihrer Seite bleichen Angesichts mit Schweigen.

Und unbehaglich ward ihr ihres Bruders Art, und sehr mißfiel ihr alles dies Geschehn, und über eine Zeit so dachte sie, daß sie verbessere ihr Wort, begann und fragete mit ungewisser Stimme: «Und wozu dienet alles das? und welche Meinung hegt daselbst verborgen?»

Jedoch der andere beharrete in seinem Schweigen.

Und über dem, da machten sie sich auf und zogen heimwärts auf den nächsten Wegen.

 

Und prächtig flammete der Abend durch den Wald, und purpurn glänzten Busch und Baum, und blaue Schatten ruhten auf der Buchen rauhen weißen Stämmen,

Doch ernst und schweigend schritten sie einher und sahen nimmer auf, wie sehr sich häufeten des Abends Wunder.

Und hinter ihrem Bruder zog die schwarzgelockte Maid und pflückete die Blumen an des Weges Ufer, pflückte sie, zerpflückte sie und warf sie einzeln immer wiederum zu Boden.

Und also tat sie unaufhörlich alle Zeit den langen Weg – doch als sich endlich lichtete der Wald und überm hohen Feld erschien des Himmels Stadt und ihres Hauses trautes, wohlbekanntes Heim: da stand sie plötzlich still und richtete sich auf und seufzete aus ihres Herzens tiefstem Grunde.

 

Und großen Auges wandte sich der Bruder um und redete und sprach zu ihr mit seiner Stimme Beben:

«Was seufzest du? und was getröstet sich dein Herz, und was begrüßest du mit frohen Blicken deine Heimat?

Und wahrlich besser wäre dir zu sein ein Wurm im Erdenland, zertreten auf des Weges Spur, als Gottes edle schöngestalte Tochter in des Himmels seligen Gefilden.»

 

Und während er so sprach, da sah er sie erbleichen, wanken;

Und heftig reute ihn das Wort, doch wars geschehn – und schreiend floh er übers Feld, doch einsam schwankete die Jungfrau nach der hohen, prächtgen, glanzumhüllten Heimat.

Schluß

Und all die Weile, da Prometheus meldete die wehmutvolle Mär, so blieb das Hündchen über alle Maßen still und lauschete mit angehaltnem Atem gierigen Gemüts, und als er nun geendet seinen Spruch, da war es sanft verschieden.

 

Und über dem, da ging er es begraben bei dem Löwen in des Gartens Ecke.

Aussicht und Schluß

Und es geschah, seit dieser Zeit vermied Prometheus seines Herren Garten, pflegte ferner nicht die Blumen, wählte einen Umweg jedesmal, wenn er des Morgens zog ins Feld, zu weiden seine Herde.

Und es begann und sprach zu ihm sein Herr verwunderten Gebarens:

«Was ist so ganz verändert deine Art? und alle deine Blumen stehen welk, und gleich als wie mit Absicht meidest du den Garten.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus mit verstelltem Wesen: «Von einem Zufall stammet das; und auch im Garten steht ein Fliederbaum, und nun von jeher mocht ich diesen Baum nicht dulden!»

Und als am andern Morgen wiederum er zog zu Feld, da lag der Baum zur Erde, hingestreckt nach seines Herren Urteil.

Und es begann und sprach Prometheus ungeduldigen Gebarens: «In Wahrheit jammert mich der Baum, und ewig schade ists um ihn, und um des Buchses willen ist ihm solches widerfahren.»

Und jeden Tag, so wars ein andrer Baum, doch über alledem so wich Prometheus nicht von seinem Brauch und ließ auf keine Art zum Garten sich bewegen.

 

Und also unter List und vieler Vorsicht fand er Sicherheit vor jenem Grab den ganzen langen Tag; doch wenn nun Nacht und Stille füllete den Raum und dunkel stand ein jedes Haus und nur des Wächters müder Ruf erscholl und nur des eignen Blutes Wellen rauschten durch das öde Zimmer,

Da fing es an zu rascheln in dem Grab, und Stimmen wurden laut, und unaufhörlich waltete daselbst ein sonderbar, verworren Leben. Und leise erst erklang das grausige Geräusch – und angestrengten Ohres lauschete Prometheus in die Ferne, bleich vor Schreck das Angesicht, die Stirn mit Schweiß bedeckt, dem Kranken gleich, der in der bösen Stelle spürt ein drohendes Gefühl, noch gänzlich leicht und gar erträglich zwar, doch schon vor banger Angst gerinnt sein Blut, weil er erkennt das sanfte Vorspiel eines gräßlichen Geschehens.

Und lauter immer ward es in dem Grab, und plötzlich um die mitternächtge Stunde tat sich auf die Erde, stiegen aus der schwarzen Gruft hervor der Löwe und das Hündchen, zogen in das heimatliche Tal, zu richten über ihre toten Kinder.

Und es geschah, wenn von den Fenstern her erklang ihr Tritt, da zitterten die Wände, seufzete das Haus, und jählings richtete Prometheus seinen Leib empor und würgete und stickte in sich selbst, und unaufhörlich ballte sich und krampfte sich sein Herz die lange Zeit, bis daß die beiden wiederkehrten aus dem fernen Tale.

Und wenn nun Dämmerung entschleierte die Luft und allerorts erwacht ein unerklärlich knisterndes Geräusch und gellend schrie der Hahn und hin und wieder grüßte eine Lerche schon die ferne Sonne,

Da kehrten sie zurück, und über dem, da legte sich Prometheus nieder, fand den langersehnten Schlaf, doch nicht den Schlaf allein, und fand in seinem Schlafe wieder seiner toten Freunde bleiches, gramverzerrtes Antlitz.

 

Und also war bestellt sein Leben Nacht für Nacht, gemäß dem Spruch, damit ihn seine Seele einst gesegnet in der Stunde des Gerichts auf schneebedecktem Gipfel überm dunklen Tal, da sie zu ihm gesagt: «Beneiden sollst du das Getier entgegen deiner Leiden übergroßer, unbarmherzger Menge»;

Und also ward ihm jetzt zuteil, und keine Linderung verschaffte ihm die lange Zeit, und schlimmer widerfuhr es ihm mit einem jeden Jahre.

Schluß

Und um dieselbe Zeit, da ward vom ungewohnten Lande krank Prometheus' Aug, so daß ihm grau erschien ein jeder Gegenstand, ob auch des Lichtes schönster Strom mit allen Farben ihn umspiele.

 

Und in demselben Lande wohnete ein Arzt, der gab ihm diesen Rat zu seiner Augen Heilung:

Daß er des Abends nach der Arbeit sich begebe zu dem Bache an des Landes Mark und wende nach der fernen Heimat sein Gesicht, auf daß vielleicht von der gewohnten Luft genäsen seine Augen.

Und jener tat nach diesem Wort, und abends, wenn beendigt war sein Tagewerk, so nahm er Urlaub eine kleine Zeit und ging zu stehen an dem Bach und schauete hinüber nach dem fernen Reich und badete in Heimatluft sein Auge.

Und ob auch eitel schien der Trost und keine Heilung ward ob alledem verspürt, so übt er dennoch unentmutigt den Versuch, auf daß vielleicht zu seiner Zeit nach fleißiger Geduld es endlich wohl gelinge.

 

Und eines Abends, da er wieder so wie alle Tage weilete am Bach, gen Westen schauend langen Blicks, da hub er an und fragte bei sich selbst mit Zweifeln:

«Was ist das für ein Ziehn vom Wege her? und wohlbekannt erscheint mir dieser Anblick.»

Und über eine Zeit, da fuhr er fort: «Ist das nicht Epimetheus, mein berühmter Bruder von des Schlosses Höhe?»

Und jene hatten ihn bemerkt und stellten sich entgegen überm Bach und lagerten daselbst und baueten ein Zelt und machten sichs bequem auf weichen breiten Matten;

Und als sie alles dieses wohl vollbracht, da trat der König vor, und links und rechts auf einen Freund sich stützend, hub er an und grüßete und sprach die wohlgemeinten Worte:

«Von Herzen reuet michs um dich, Prometheus, mein geliebter Bruder!

Doch nun, so fasse Mut; denn sieh, hier hab ich eine Salbe, wohl bewährt für alles Leid und heilet wunderbar in Hitze wie in Frost, und alsowohl zum Trost als wie zur Strafe kannst du sie gebrauchen.»

Und also sprechend nahm er einen Stock und band die Salbe fest und reicht es alles ihm behutsam dar mit wichtigem Gebaren.

 

Prometheus aber, da er kaum vernahm der Salbe Duft und Angesicht, so wandte er sein Haupt mit Ekel.

Und über dem, da änderte der König seiner Stimme Ton, begann und schrie und prophezeiete mit heißem Eifer:

«In Wahrheit, größre Strafe scheint dir not, denn nicht genügt dir deines Schicksals gegenwärtige Belehrung!»

Und also sprechend zog er einen Spiegel aus dem Rock und macht ihm alles klar von Anbeginn und wurde sehr beredt und wußte alle seine Fehler.

Und also hätt ers lange noch geübt, da taten seine Freunde sich zusammen wider ihn:

«Gedenke deines Amts! denn Abend ist die Zeit, und Feuchtigkeit bedrohet deinen Weg, und auf des Schlosses Söller ängstigt sich dein Weib in tödlicher Bedrängnis!»

Und ungern nur gehorcht er ihrem Wort und widerstand und sträubte sich, doch endlich siegete in ihm die Pflicht, und also machte er sich auf und zog davon mit Jammern und mit Klagen. Und als nun hinterm Berg verklungen war der Zug, da regte sichs am Bach und raschelte im Busch, und eine Stimme wurde laut und rief die schnellen Worte:

«Fürwahr, ein Festtag soll mir sein der Tag, da ich ihn liegen sehe in der Erde schwärzestem Verließ, im Schmutz sein Angesicht vergrabend ob der unerhörten Schande seines Namens!» Und riefs, doch heftgen Zornes schrie Prometheus auf:

«Was sündigst du! denn sieh, mein Bruder ists, und mich zu trösten kam er her, und drum so nimm zurück das unbarmherzge Urteil!»

Doch keine Antwort wurde ihm zuteil, und also lebete der Spruch und schwang sich weg und eilte auf des Königs Spur, und wo er ging und stand, so schwebt er über ihm – doch seit demselben Tage wurde hart und schroff Prometheus' Antlitz.


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