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Umschwung

I

Und es geschah, an diesem selben Abend wich von ungefähr des Fiebers Irrtum von des Engels Geist, und mit erstauntem Fühlen wacht er auf und forderte und sprach mit hastigem Gebieten:

«Wohlan, wie ists um uns bestellt? und stehet wohl das Gottesreich auf Erden?»

Und mit bestürztem Mute hörten seine Freunde dieses Wort, und unvermögend zu ertragen seiner Blicke wißbegieriges Verlangen, flüchteten sie eilends nach dem Gang und lauschten vor der sichern, wohlverschloßnen Tür mit Zittern und mit angehaltnem Atem.

Und ganz allein blieb Doxa nur zurück, des Gottes schöne stolze Buhlin.

Und da der Engel nunmehr sah die allgemeine Flucht und schaute das verlegne Wesen seiner Freundin, faßte plötzlich eine Ahnung seinen Geist, und jähen Ruckes richtet er sich auf und fragete und sprach mit Angst und tödlicher Beklemmung:

«Nach Wahrheit sprich: was ist geschehn? und wie ergeht es meinen Kindern in der sichern Feste?»

Und es entgegnete und sprach die Freundin trüben Wortes:

«Fürwahr, mit Unrecht fragst du mich, und besser wäre dir, daß nimmer du erwachtest. Denn zu Ende ist es alles ganz und gar, und bleibt für uns allein das Sterben.»

Und über diesen Worten fiel der Engel langsam wieder auf sein Lager, schwer verwundet schon vom dumpfen Schlage der umhüllten Wahrheit. Aber mutig rafft er wieder sich empor und flehend aus den großen Augen, bittend mit der dargehaltnen Rechten, flüstert er und sprach mit tonverlaßner Stimme:

«Du, meine treue Freundin, die du allzeit mit mir teiltest Freud und Leid, erbarme dich des kranken Mannes, deines Herrn und Meisters, daß du endest seiner Ungewißheit Pein und lassest ohne Rückhalt plötzlich alles mich erfahren.»

Und finstern Wesens, mit zerstreutem Finger spielend an dem Kissen, während sie das Antlitz kehrte nach dem Fenster, redete und sprach die Göttin:

«Wohlan, du willsts! und nun so siehe zu, wie dus ertragest:

Denn siehe, tot ist Mythos, der geliebte, deiner Tugend Ebenbild und deines Thrones Erbe, tot sein edler Bruder Hiero, der schöne, beide hingemordet von des Feindes hinterlistgem Stahl, und bleibt allein Messias noch zurück, damit sie morgen ihm bereiten seiner Brüder Schicksal.»

Und ruhig nahm den bösen Spruch der kranke Gott entgegen, gleich wie wer das Gift, das man ihm bietet, nicht versteht, und brütete bedeckten Geistes, stumpfen Fühlens vor sich hin, bis daß er endlich leichthin wiederum begann und heischete und sprach mit Nebenfragen:

«So liegt der Menschen Volk dahingeschlachtet auf dem blutgen Feld, und schwarz von Feuer rauchen Stadt und Land? Und Epimetheus, mein getreuer Wächter, von den ersten fiel er wohl, und um ihn her der Feinde Leichen aufgetürmt in großen Haufen?»

Und bösen Lächelns gab sie ihm zurück: «Gesund und guter Dinge jauchzt das Volk, und friedlich blühen Stadt und Land, und Epimetheus, lehnend auf der Brücke überm blauen Flusse, wischt den Schweiß von seinem reingestimmten Antlitz, sich erbarmend, wie so hehr und schön die Abendsonne sich erniedrigt nach den glanzumhüllten Fluten.»

Und über dieser Nachricht fuhr der Engel jählings auf, und heftig ihren Arm ergreifend schrie und knirscht er wider sie mit maßvergessenem Ergrimmen:

«Du lügst! denn nimmer kann die Wahrheit zeugen solche Niedertracht und Feigheit.»

Und wieder redete und sprach die Göttin bittern Lächelns:

«Nach Wahrheit hat mein Mund gesagt, und auch damit du völlig kennest meine Botschaft, hat dem Feind mit eignem Willen Epimetheus überliefert deiner Kinder heilgen Leib, und um das letzte Opfer heult das Volk mit niederträchtiger Beschimpfung.»

Und über dem, da hub sie einzeln an und meldete von Anbeginn die ganze Wahrheit.

Und es geschah, die viele Zeit, da sie zu ihm erzählte mit der Stimme Beben, hielt er gänzlich still, und all sein Grimm zersetzte sich und gor und ward zu einem einzgen sauren Ekel; auch nachdem sies lange schon vollbracht und ferner nicht sein Ohr vernahm das gleichgemeßne Fließen ihrer Rede, saß er dennoch immer aufgerichtet da und heftete zu Boden seinen Blick und lebte einzig mit dem heftgen Zucken seiner Pulse. Aber plötzlich schnellt er unversehens jetzt mit ungeahnter Kraft von seinem Bett, und mit gebietenden Gebärden, wehrend jedem Widerstreben, sucht er tastend mit den Händen nach dem Schwerte, das da hing zu seinen Häupten, faßt es an mit sichrer Faust, und stürmisch durch das Zimmer laufend, sprengt er einen Ruckes die geschloßne Tür – und über dem, da eilt er vor das Haus und vor dem Hause nach der volkserfüllten Straße.

Und freilich schwankte zwar sein Gang, denn ganz von Krankheit war verzerrt sein starker Körper, aber mit des Willens zauberhaften Kräften zwang er sich hinweg und setzte richtig Schritt vor Schritt mit ungeheurer Arbeit.

Und mit Entsetzen sah des Himmels Volk die schreckliche Erscheinung, da ihr König ähnlich einem Leichnam wandelte einher und wie von Wahnsinn war zu schaun der Anblick seiner Augen, aber keiner wagte seinen Fuß mit Wort noch Tat zu hemmen, sondern folgten ihm von ferne achtungsvoll und harrten seines Falls mit Mitleid und mit Grausen.

Und viele Schritte hatt er schon getan in steifer Haltung mit erhobnem Haupt, und schon lag hinter ihm des Himmels Tor und Stadt, indes ihn immerfort das dichtgescharte Volk geleitete mit steigendem Entsetzen:

Da brach mit einem einzgen Fall zusammen seine herrliche Gestalt, und jammernd hoben sie ihn auf und trugen ihn von dannen.

 

Und als nun wiederum auf weichem Lager ruhten seine Glieder, lag für tot er eine lange Stunde, fahlen Angesichtes mit geschloßnen Lidern. Aber endlich hub er an zu seufzen schweren Atemzugs, begann und sprach zu seiner Freundin mit gebrochnem Mute:

«Wohlan, nun scheinet mir vor allem not des eignen Fehlers Eingeständnis, da wir selbst zu unsrer ewgen Strafe haben Epimetheus, den Verräter, vor den andern allen auserwählt und haben ihn geehrt und ihn gehegt, damit er uns verderbe.

Und nicht genügend schien es uns, daß er zum erstenmal uns hat bereitet einen unheilbaren Nachteil, sondern daß er endlich gänzlich uns vernichte, dafür haben wir ihn gnädig aufgespart und aufgespeichert.»

Und sprachs, und jene billigte das Wort mit dumpfem Schweigen.

Und über dem, da fuhr er fort und redete und sprach mit bitterem Gedanken:

«Und siehe da, Prometheus, den wir allezeit verfolgt in unsres Urteils unheilvoller Blindheit, wenn wir ihn an seines Bruders Stelle hätten auserwählt nach seinem reichlichen Verdienen, stand in ungeahnter Blüte Gottes Reich auf Erden, wären lebend meine Kinder, labte sich die Welt in unverwüstlichem Besitztum an der Gottestochter unschätzbarem Kleinod.»

Doch finstern Blicks entgegnete und sprach zu ihm die Göttin:

«Was wühlest du, mein König, in vergangner Zeit, und was verschlägt es, daß die eignen Fehler wir erwägen schmerzlichen Erkennens? Oder ists vielleicht nach deinem Urteil nicht genug an unserm gegenwärtgen Unglück?

Denn sieh, es ist getan, und niemand bringt dies wiederum zurück! und auch vielleicht so liegt vor allzulanger Zeit Prometheus tot im fernen Lande, oder wenn es mag geschehn und er durch einen Zufall heil besteht, so ist er unser Feind, und nimmer wird von seiner Seite Heil und Rettung uns ersprießen.»

Und über diesem Trost, da wurde giftiger des Engels Qual, und heftiger zernagt ihn jetzt die Reue. Aber über eine Zeit begann er wiederum, versuchete und sprach mit Bitten und mit Flehen: «Verraten haben uns, die wir mit Schätzen überhäuft, und drum vielleicht so wird uns Rettung sprießen, wo wirs nicht verdienen.

Denn siehe, großgemütet war Prometheus allezeit und sonderbar geformt und ganz verschieden von dem andern Haufen. Darum, wenn gesund besteht sein Leib durch eines Zufalls Gnade, wird vielleicht sein weiches Herz sich unserm Jammer nicht verhärten.»

Und unvermögend zu ertragen seinen angsterfüllten Blick willfahrete und sprach die Göttin unmutvollen Wesens:

«In Wahrheit, unnütz scheint mir dieser Weg, denn siehe, was der Mensch begehrt und was da heißet Glück im Erdenlande, Ruhm und Ehre und des Fleisches Lüste, haben wir ihm ganz und gar zerstört, und all sein Leben ist dahin, und nimmer können wir es ihm ersetzen.

Jedoch dieweil von jeder andern Hoffnung ist verlassen dein Gemüt, wohlan, so sprich: was bietest du mir zum Entgelt, wenn ichs umsonst getan und einzig Hohn und Schande ist der Lohn der selbstvergeßnen Demut?»

Und heftigen Ergrimmens schrie der Engel auf: «Es soll geschehn, wenn dus umsonst getan und ist auf Erden keiner, der mein Kind errettet, will in Krieg und Feuer ich das ganze Land ertränken, daß in ungezählter Menschen Blut du wieder waschest deine Schande, daß in Todesschrei und Röcheln sich verwandle jedes Jauchzen und Frohlocken.»

Und mit Befriedigung vernahm die andre diesen Spruch, erwiderte und sprach entschloßnen Willens:

«Wohlan, um diesen Preis so will ich es versuchen.»

Und ging hinauf und tat beiseite allen Schmuck und jegliches Geschmeide, löste die geflochtnen Haare, nahm die weichen Purpursohlen von den zarten Füßen, tauschte ihren prächtgen goldgewirkten Mantel für ein braunes Bußgewand, und also zubereitet trat sie wiederum herein, damit sie Abschied böte ihrem kranken Herrn und König.

Doch über diesem Bilde rührte sich des Engels Herz, und reichlich flossen seine Tränen, bis er endlich, dankend mit der Augen innigerem Blicken, grüßete und sprach mit sehr bewegter Stimme:

«Und nun so sei Gelingen deines Edelmutes Lohn! und wahrlich nicht versteh ich, wie ein Mensch vermöchte fühllos zu ertragen solchen Opfers Anblick.»

Und sprachs und segnete ihr Unternehmen aus des Herzens tiefstem Grunde.

Und jene zog davon mit trotzger Stirn, und stolzer nie erschien ihr Gang als heute, da sie also barfuß wallte durch des Himmels volksbelebte Stadt im Bußgewand und angetan mit all der Demut und der Reue Zeichen.

II

Und schon war hinterm Berg der Sonne gluterfüllter Ball erloschen, schon entschwebten Licht und Schatten nach dem bleichen, glanzumhüllten Himmel, während auf dem dunklen Erdengrunde noch die schweren Farben weilten über einem jeden Ding, und all die abertausend Gegenstände starrten scharf umgrenzt und einzeln in die Lüfte, herrenlos, erstaunten Angesichts, indessen ungeehrt und unbeachtet stieg vom Wald der schwache Mond – da kam die Göttin nach der Menschenstadt, wo noch das Volk in aufgeregten Scharen schwankend zwischen junger Siegeslust und altem Ingrimm sich erging in allen Straßen.

Und allda nahm sie einen kleinen Umweg um die Mauer, hoffend, daß sie unbemerkt vorüberziehe durch die finstern Lindengänge.

Doch auf der Mauer saß ein Zwerg, der spähte giftig übers Feld, und als er durch der Bäume Lücken jetzt im Bußgewand erkannte seine stolze Herrin, klatscht er in die Hände, schrie und kreischte gellend durch die Gassen, daß von seiner dünnen Stimme sich beleidigten der Menschen Ohren: «Ihr lieben Brüder, kommt heraus! denn seht: ein Schauspiel zeig ich, wert, daß ihr daran euch letzet.»

Und sprachs und hüpfte hinkend auf dem Mauerscheitel nach dem Turme zu den Feuerwächtern, welche nun mit Hörnchen und mit Klappern fleißig sich gebärdeten, bis daß nach einer Zeit vom Rathaus sich erhob der Aufruhrsglocke hohler, düstrer Ton, und über dem, da rannte alles Volk mit wildem Eifer vor die Stadt, und als sie jetzt, von Mund zu Mund verkündigend die wunderbare Nachricht, gegenseitig sich belehrend, kamen zu dem Lindengange, stellten sie sich links und rechts vom Weg in zwei gewaltge, dichtgedrängte Hecken, wo sie, schwankend auf den überfüllten Bänken oder rittlings sitzend auf den Bäumen oder auch die meisten ebner Erde, einer über seines Nächsten Schulter guckend, warteten des Zuges; und weil nun immer finstrer ward die Dämmerung, so holten sie in atemlosem Wettstreit Fackeln und Laternen aus den nächsten Straßen, daß sie jeden Falles nicht verlören das geringste Leben und Bewegen des erlesnen, ungemeinen Schauspiels.

Und eben hatten sie die Leuchter kaum herbeigeschafft, da hörte man ein heisres wütendes Gekläff, und siehe da, inmitten einer aufgeregten Meute kleiner, mäßiger und großer Hunde kam das edle Opfer selbst des Wegs, erhobnen Haupts mit königlichem Schritt, die Brauen zuckend ob dem Anblick des erwartungsvollen, wißbegiergen Volkes.

Es herrschte aber damals ein Gesetz im Menschenland, daß man die sterbenskranken Götter öle mit Gespei, und wenn ein ewiges Gebäude fiel zu Boden, mußte Mann und Weib in Töpfen Unrat schleppen, zu begießen seine Trümmer.

Und zwar für ihresgleichen hatte diese Satzung keine Kraft, und was da klein und mittelmäßig war, darob entstand ein mächtiges Gefühl – und auch die längstbegrabnen Götter im Papier genossen wieder neulings hohe Ehre, ebenso die Maskengötter auf den Stelzen, also daß des Winters im geschloßnen, überladnen Haus der blonden Menschenfrauen schönes Auge sich mit Tränen füllte, wenn in fremder Tracht das Unglück sprach in Jamben, aber falls in freier Luft, in leiblicher Gestalt ein Großer Großes litt, so mußten diese selben Fraun mit Grinsen und mit Schmunzeln ihn verhöhnen, sich ergötzend, wenn er krampfhaft sich gebärdete ob seinen allzuscharfen Schmerzen.

Und also heute, da die Menge kaum vernahm die Fürstin barfuß wandeln mit gelösten Haaren, ward sogleich ein lauter Widerwille unter allem Volk, und haßentbrannten Herzens übten sie, gehorsam dem Gesetz, das Spotten und das Lachen, gegenseitig sich belobend und ermunternd, jeder Mut gewinnend aus des Nächsten Feigheit kraft dem männlichen Charakter ihrer bärtigen Gesinnung.

Doch weil nun weder Führung, weder Leitung war in alle dem, so fehlte der Zusammenhang und die getroste Zuversicht, und wie nun immer ist der Mensch ein weises Tier, das gerne jeder Handlung eine Aufschrift gönnt, und auch beim Schmähen will er, daß mans ihm beweise, heischten sie mit eingestimmtem Schreien die Athener mit den Zauberlichtern, welche dienstbeflissen eilten jetzt herbei und schlossen an der Hunde Stelle um die Göttin einen Ring und hielten, immerfort begleitend ihre Schritte, ihr ins Angesicht die wahrheitspendenden Laternen, während mit der Linken sie das Volk belehrten, zeigend, wie es also kommen mußte, weil es niemals anders kommen konnte, samt ergründend die begangnen Fehler, so die jüngstgebornen als die längstvergeßnen, welche gleichwohl zeugten diese gegenwärtige Vergeltung.

Und schlossen ab und sprachen:

«Und auch an diesem Beispiel mag ein jedermann erkennen, wie so lehrreich diese Welt regiert ein unsichtbarer heiliger Athener, welcher, ähnlich wie wir selbst in unsern Schulen, übt an einem jeglichen Belohnung oder Strafe, also daß, wer aufmerksam und fleißig ist und achtet auf die allgemeinen Regeln, diesen setzt er auf des Daseins erste Bank, doch wer da schlecht bereitet seine Pflicht und liefert Fehler oder Flecken in dem Rechenhefte, jenen schlägt er mit der scharfen, frommen Rute.»

Und all die vielen Väter mit den schönen Bärten, weil sie eben kamen von dem fetten Abendmahl, begriffen über alle Maßen sehr das Wort, und es geschah, indem sie mit den Blicken spähten nach der schmachbedeckten Fürstin, aber mit dem Herzen weilten bei dem ehelichen Weibe samt den trauten Kindern, unvergessen den gesteppten Stuhl und den wattierten Schlafrock, hörten sie mit ihrem Geist der Welten enharmonisch, enchromatischen Gesang begleiten des Gewissens engelreine Stimme, während der versöhnte Magen trieb das Blut in sanften, taktgemäßen Wellen nach den kräftigen, gesunden Gliedern.

Und es begann und redete und sprach der Hauptmann der Athener:

«Ihr lieben Brüder, wenn ihr anders billigt meinen Rat, so wollen wir die reinen Kinder holen aus den weißen Betten, daß sie sich erbauen an der seltnen göttlichen Bestrafung.»

Und da nun lauter Beifall billigte das Wort, so holten sie die weißen Kinder aus den reinen Betten, stellten sie in langen Reihen auf die Mauer, wo sie großen Auges mit erschreckten Mienen kauten an den Fingern, weil die Mütter ihnen warnend ihre schläfrigen Gesichter drehten nach dem schimpfbeladnen Gottessträfling.

Und ähnlich brachte man die halb gewachsnen Mädchen jetzt herbei. Da wehrete und schrie die Frau des Hauptmanns der Athener:

«Fürwahr, das hieß ich eine unbedachte Tat, denn wahrlich wohlgezognen keuschen Mägdlein ist das eine schon zu viel, daß sie erfahren solcher Weiber Gegenwart und leibliche Erscheinung.» Und also sprechend glitt ein Wörtlein über ihr Gesicht – und sprach das Wort nicht aus, doch häßlich kroch es zwischen ihren Lippen nach den Augen, giftgen Glanzes überschielend das gesamte Antlitz.

 

Und unbewegt, verächtlich wandelte die Göttin durch die feige Schar, und schien ihr alles das zu niedrig, daß um dessentwillen sie beschleunige, noch hemme ihren Fuß, doch weil nun immer dringender erscholl das Läuten und das Klappern und das Hornen, sprangen aus dem Tore die Propheten mit dem Lämmchen, scheltend den erhitzten Haufen wegen seiner schalen Lauheit.

Und es begann und lehrete und sprach das Lämmchen:

«Ihr lieben Brüder, viele Langmut hilft hier nichts, und ganz vergebens sucht ihr mit Vernunft und Güte zu erweichen diese trotzige, verstockte Bosheit. Sondern dieses scheinet eher mir vonnöten, daß wir mutig ohne Umschweif ihr verkündigen die nackte Wahrheit.»

Und also sprechend trat es vor der Göttin Weg, und rückwärts schreitend, mit den Armen hemmend ihre Schultern, hub es an und lehrete und prophezeite gegen ihren Mund mit überlauter Stimme, während alles Volk verstummte vor begieriger Erwartung:

«Wohlan, vernimm die kräftige Arznei, die ich als Freund und Arzt dir biete, da dir besser als gelinde Mittel frommt ein wackerer, gesunder, tiefer Schnitt, und ob er bitter schmerze, wirst dereinst du meinem Messer danken.

Und drum, damit du wohl erkennest deines Übels wahren Grund und Inhalt, sieh: geheimen Lastern seid ihr alle untertan, der Vater wie die Kinder; darum siechet ihr dahin, und war euch Gnade und Erlösung, so ihr eines Males plötzlich stürbet.»

Und frecher Jubelruf belohnte dieses Wort, und wie nun immer eine mutge Tat erzielet viele Kinder, wagten jetzt die andern dreister sich herbei, begannen ungestümer sie zu schelten und zu strafen, hielten ihr das Doppelbild Leviathans und Behemoths zum Kusse dar, indes die Weiber öfters unversehens stießen ihren Arm und traten auf die Enden ihres Kleides, ob vielleicht durch Zufall sie dem Volk enthüllten ihre Blöße.

Und über dem gedachte Doxa jener Sitte, daß ein Wanderer, von vielen Hunden angefallen, lagert ruhig auf der Erde, wartend, bis von selbst ermüdet seiner Feinde unvernünftge Wut, und da nun eben eine Halbkapelle stand am Wege, setzte sie sich raschen Schlusses auf die Stufen vor dem offnen Gitter, wo sie mit gestütztem Haupte unbeweglich blickte seitwärts nach dem dunklen Mondenhimmel, daß sich nicht von ungefähr ihr Blick beschmutze an dem ekelhaften Anblick ihrer Feigheit.

 

Es waren aber diese Halbkapellen beides: Andachthäuschen, da man zwischen zwei Geschäften hastig seine Seele reinigte an einem rußgen Nepo- oder Habakuk, und Zufluchtsstätten für die Lahmen und die Krüppel, die des Tages speisten auf dem fettgen Boden, aber nachts die kranken Glieder juckten auf den Bänken, während auch die Hunde sich beteiligten nach ihrer Art, und an den übertünchten Wänden standen aufgezeichnet stinkende Symbole, also daß von Heiligkeit und Wust und Unrat ward ein vielverschlungener Geruch – und als die Krüppel, in dem Häuschen liegend, nun vernahmen das gewaltige Geräusch und schauten das verfolgte Opfer flüchten unter ihrer Wohnung, krochen sie herbei, und raschen Blicks begreifend ihren Vorteil, huben sie mit dienstbeflißnem Eifer an von oben und von hinten ungesehen sie zu äffen, überbietend ihre Brüder auf der Straße, welche mit Vergnügen, was sie selber sich versagen mußten kraft dem allzustrengen Willen ihrer hohen Tugend, sahen ausgeführt von schlechten Lumpen.

Und je nach eines jeglichen Talent und plötzlicher Erfindung übten jene das verruchte Spiel und tanzten hinter ihrem Rücken, lehnten ihre schmiergen Leiber wuchtend über ihre Schulter, bis nach einer Weile schlich herbei ein adeliger Jüngling, schön von Wuchs und ausgesucht an Kleidern, aber über alle Maßen blöd von Mund und Augen; dieser winkte jetzt dem Schwieligsten der Siechen, schob ihm zischelnd in die Hand ein schweres Goldstück, welcher nunmehr feierlichen Schrittes, während alles Volk erwartungsvoll verstummte, sich erhöhte an dem Gittertor, und als er eine Weile siegreich erst umhergeblickt, so tat er plötzlich eine schändliche Gebärde.

Und zwar die Fürstin, sitzend auf den untern Stufen, hatte nicht vernommen die Beschimpfung, aber ob dem Widerglänzen, das da höllisch ihr entgegenleuchtete aus vieler Augen, während andere verschmähten Blicks zu Boden schauten oder endlich lauten Rufs mißbilligten die allzuschändliche Gesinnung, sprang sie jählings auf, und zitternd mit den Gliedern, zuckend mit den Mienen, spähte sie mit Hast, wohin sie sich errette – aber plötzlich teilte sich das Volk mit jauchzendem Geschrei, und siehe, zwischen Fackelträgern schritt der König Epimetheus durch die Menge, unter Strafen und Ermahnen forschend nach dem Grund und Inhalt des besondern Lärms, und weil von jeder Seite war die Erde vor der Halbkapelle weich von Kot und Regen, legten sie ein Brett zu seinen Füßen, da er gleich als wie auf einer Brücke langsam und behutsam sich bewegte nach dem heilgen Haus – doch kaum gewahrte Doxa ihres Feindes eigne leibliche Gestalt, so sprang sie, funkelnd mit den Augen, gegen ihn, und es geschah, durch Zufall trafen sie sich auf der Brücke Mitte, Brust vor Brust und Angesicht in Angesicht, und eines von den beiden mußte weichen.

Und war ein großer Augenblick, und mit gespanntem Geiste folgte der gewaltge Haufe jeglichem Bewegen ihrer Mienen, bangen Atems, frohen Grausens – gleich wie wenn beim Krönungsfest ein auserlesnes Ritterpaar im sandbestreuten Feld sich gegenübersteht und stemmt den Fuß zu Boden, kreuzt die Degen, prüft den Widersacher mit den sieggewohnten Augen –, während sie die Fackeln und Laternen näher aneinander rückten, daß vom Doppelschein des Mondes und der Flammen tageshell erleuchtet ward der enge Kampfplatz.

Und lange schwankte hin und her der Sieg, und drohend maß die Fürstin ihren Untertanen Gegner, schleudert ihm ins Angesicht aus ihren haßerfüllten Augen einen Todesblick – und unwillkürlich wich der König blinzelnd rückwärts eine kleine Strecke, aber eingedenk des Feindes Ohnmacht, auch erwägend die gewaltge Menge, die da gierig haftete an seinem Antlitz, faßt er kräftig Mut und hielt Bestand, und grüßte nicht, entblößte nicht sein Haupt und schaute festen Blickes vor sich hin – und unerwartet trat die andre plötzlich jetzt zur Seite, weil ihr reiner und erträglicher erschien der Sumpf als dieses Mannes Anblick.

Doch über dem, da wars zu viel, und kaum verspürte sie die feuchte Erde um die edlen Füße, sah den König, den sie selbst mit eigner Wahl aus allem Volk erhoben, über sich, und unter ihm die eigne göttliche Gestalt, und all den feigen Haufen jauchzen um sie her, so sprangen ihr die Zorneszähren aus den schönen Augen, deckend die beschimpften Wangen mit den reinen Fluten ihres heißen Quells, und einesmales machte sie sich auf, und heftig mit den Armen schneidend die von Hohn und Jubel trunknen Massen, lief sie blindlings ohne Sinn noch Absicht nach dem freien Feld und von dem freien Feld hinüber nach dem schwarzen Walde.

 

Und schon war längst verschwunden hinter ihren Spuren jegliches Geräusch und jede Stimme, schon beschützte sie des Waldes Einsamkeit, doch unaufhaltsam rannte sie von dannen, durch Gebüsch und Dornen, öfters strauchelnd auf den dunklen Pfaden oder harten Schlages an den nachtumhüllten Bäumen stoßend ihren zarten Körper, während von dem allzuschnellen Lauf ein scharfes Stechen bohrt in ihrer Seite, bis sie endlich überm Walde trat auf einen mondbestrahlten Hügel, wo sie nunmehr wilden Atems, mit erschöpften Kräften stillestand, damit sie sich erlöse von dem unerträglichen Gepolter ihres Blutes, welches unvernünftig schreiend mit verzweifelten Gebärden klopfte gegen ihres Herzens spröde Wände.

Und sei es Zufall, sei es eine unbewußte Absicht, wandte sie sich um, und siehe da der Menschen Stadt in weiter Ferne unter ihr, erglänzend unter vielen tausend bunten Flammen, weil sie feierten das Friedensfest zu Ehren des Vertrages, welcher sie befreite von der bösen Angst der schrecklichen Bedrohung.

Und es geschah, als Doxa kaum gewahrte dieses Bild, verzerrte sich ihr Angesicht, und krampfhaft öffnend ihre üppgen Lippen, knirschend mit den feinen Zähnen, während zwischen ihren aufgerißnen Lidern starrten ihre Augen, streckte stöhnend sie die beiden Arme vor sich hin, und sei es wegen jener farbgen Lichter, sei es daß von ihrem angestrengten Schaun das Blut sich sammelte vor ihrem müden Blick, so färbte sich in leuchtend Rot das nächtlich schwarze Dasein, stiegen rings von allen Bergen wilde Flammen, welche brausend fegten über das gesamte Land, daß prasselten und ächzeten die Balken, daß der Qualm in schwarzen Wolken wogete zum Himmelszelt und unten in den engen Gassen tönt ein gräßliches Geschrei von Hilferuf und jammervollem Sterben.

Und von des riesenhaften Feuers Widerschein so wurde nunmehr licht und klar der Göttin Angesicht, und selig lächelte ihr Mund, und schnell und lustig flog ihr Atem, bis nach einer Weile unversehens sprang ein Wort von ihren Lippen, das sie fortan immer wiederholte mit gesteigertem Entzücken.

Und leise erst und flüsternd klang das Wort, und nicht vermocht ihr eignes Ohr es zu vernehmen, aber mählich, spürend dieses Spruches zaubermächtige versöhnende Gewalt, verstärkte sie den Ton, und endlich hub sies an zu schreien, warf mit wilder, geller Stimme «Blut» hinüber nach dem festestrunknen, friedensselgen Menschenvolke.

Und konnte niemals sättigen ihr Herz an diesem Wort, und immer hastiger und schneller klang es durch die Lüfte, leidenschaftlich drängend, gleich dem aufgeregten Puls in ihren Adern, gleich dem heftgen Atem ihrer Brust – da traf von ungefähr ihr Blick die Tempeltürme, die da ragten über die gesamte niedre Stadt, und plötzlich ward sie stumm, und eines Mals erlosch der große Brand, und nur der blasse Mond beleuchtete die trübe Nacht mit seinem kalten Schimmer.

Und freilich eine kleine Weile stand sie gleichwohl unbeweglich still, gebannt von Schmerz und Müdigkeit und blödem Stumpfsinn, aber endlich raffte sie sich auf, und als sie erstens an den Sternen lesend sich erkundigt nach des Zieles Richtung, schlich sie mit gebeugtem Haupt entschlossen und ergeben zu vollziehn den demutvollen Auftrag.

 

Und als sie nunmehr jenseits war gekommen nach dem ebnen Lande, sah sie unfern ihren Füßen, wo sich strahlenförmig kreuzten die gebahnten Straßen, einen Meilenzeiger stehn, und weil nun hell und klar der Mond erleuchtete das flache Feld und auch kein Haus noch Baum verdunkelte den ungeheuren Plan, so lenkte sie die Schritte nach dem länderkundgen Pfosten, daß aus seinem redeselgen Munde sie erfahre ihres Wandels Wahrheit oder Irrtum. Aber siehe, nicht wie alle andern Pfähle war der Pfahl und hatte einen einzgen Arm, auf dessen Ärmel stand mit Riesenschrift das Wort «Prometheus» aufgeschrieben samt den Stunden und Minuten seiner leiblichen Entfernung.

Und alle andern Tage freilich hätte sie mißtraut der ungesetzlichen Erscheinung, ahnend eines Feindes Hinterhalt und Arglist; aber heute war vor Schmerz und Müdigkeit ihr klarer Geist getrübt, und also folgte arglos sie dem Wink und strebte eifrig nach der vorgeschriebnen Straße, gierig zu beenden ihre schwere Prüfung.

Und schön und glatt und deutlich war der Weg und neu, als wie von gestern aufgebaut, und kein Geleise weder Spur noch Staub noch Lache war darauf zu sehn, und beiderseits am Ufer wuchsen abgesteckte winzge Birken, während dann und wann in scharfgemeßnem Zwischenraum ein mächtger Stein, verkündend jenen selben einen Namen, sich zur rechten Hand vom Bord erhob – und als sie war gekommen zu dem achten Steine – Nebel lagen auf der monderhellten Haide, Totenstille herrschte um und um, und nur die Frösche sangen in den dunklen Gräben – siehe hinterm Steine kauernd eine Bettlerin, in Lumpen eingehüllt, doch schön und jung und edel an Gestalt und ernst von Angesicht und fürstlich an Gebaren.

Und ehrerbietig hob sie sich vom Boden, nahte feierlichen Schrittes, andachtsvoll die Arme kreuzend über ihrem Busen, mit geneigtem Haupt der Wanderin, begann und redete und sprach mit demutvollem Fragen:

«Erhabne Herrin, Königin des Himmels und der Erde, welches ist das Leid, das also dich vergrämt? und welche Unbill führt dich über Land in stiller Mitternacht? und warum muß im Bußgewand ich schauen deine stolzen Glieder?»

Und es erwiderte und sprach die Göttin bittern Lächelns:

«Von wannen kommest du, daß du bewahrst den alten Brauch und neigest dich vor mir und nennst mich Königin und hast noch nicht gelernt, daß dieses einzig heute mir gebührt: Verachtung, Hohn und Spott und Schande?

Und drum, so speie eilends in mein Angesicht, damit es nicht geschieht und Reue dich erfaßt, wofern die andern dich erspähen, wie du also dich vor mir verneigst und kreuzest deine Arme.»

Und über diesem Wort ergriff die Fremde knieend ihre Hand, berührte sie mit ihren Lippen, rief und sprach zu ihr bewegter Stimme:

«Verflucht, wer dich mißachtet! mögen allesamt verderben, welche deiner spotten! maßen unser Gott und Herr du bist, und dich zu ehren heischet unsre Pflicht, und wehe dem, um dessentwillen fallen deine Tränen!»

 

Doch schweren Jammers seufzete und sprach für sich die stolze Göttin:

«Es ist vom namenlosen Unglück also mürbe unser Herz, daß jegliche Beschimpfung gerne wir ertragen, wenn das eine wir damit erreichen, daß wir retten das geweihte Gotteskind und schützen unser Reich vor ewiger Vernichtung.

Und also unsre andre Hoffnung ist dahin, und bleibt ein einzger schwacher Strahl, und ob er Lüge oder Wahrheit, will ich untersuchen.»

Und jene lag auf beiden Knieen, betete und sprach mit feierlichem Ernste:

«Lang lebe Gott, dein Herr! Und möge bald mein Auge schaun das Gotteskind in Sicherheit bestehn und deine Gottheit leuchten über deinen schlechten Feinden! Aber melde mir die Hoffnung, nenne mir den Strahl, daß ich mit neuem Feuer ihn vielleicht belebe!»

Und seufzend hub die Göttin an: «Prometheus heißt der Strahl, und dies ist unsre letzte Hoffnung: sein besonderes Gemüt, womit vielleicht er nicht gedenkt des schweren Unrechts, welches wir mit vollen Händen allezeit auf ihn geladen.»

Und über dem, da redete und sprach die Bettlerin mit Trösten:

«Wohlan, nun laß dahinten jede Furcht und fasse fröhlich Mut! denn sieh, Prometheus ist mein eigner Knecht und muß mir willenlos gehorchen, was ich immer ihm befehle.

Und nun wofern ich dessen wert erscheine, daß du gnädig mich als deinen Diener anerkennest, wohl, so will ich selber deinen Auftrag ihm verkündigen an deiner Statt; denn siehe, Gott bist du, und nicht geziemt sichs deinem Rang – doch ewig Sünde wärs für ihn – wenn er im Bußgewand erblickte seine Fürstin, bittend unter Tränen, mit der Reue Zeichen.»

Und mit bewegter Stimme hub die andre an: «Wer bist du, edles Weib, in dessen armen Kleide sich beweget eine Königin, und alle deine Rede gleicht den Perlen, all dein Fühlen ist Gemüt inmitten dieser Welt der kalten Bosheit? Dieses melde mir zuerst, und über dem: von wannen stammet deine Macht, damit du also zuversichtlich sprichst: Mein eigen ist der Mann, und blindlings, wenn ich ihm gebiete, muß er mir gehorchen?

Und alles dieses heisch ich jetzt von dir, jedoch zuvor so stehe eilends auf, damit ich dich umarme gleich als meine ebenbürtge Freundin.»

Doch jene kniete gleichwohl immerfort zu Boden, beugte vielmehr tiefer noch ihr Antlitz, küßt in Demut ihrer Herrin Kleid, erwiderte und sprach verschämten Flüsterns: «Prometheus' Seele lieg ich hier vor dir, von der ihr sagtet: Ruchlos ist ihr Herz, und nichts ist ihrem Hochmut heilig so im Himmel und auf Erden.» Und es geschah, ob dieser Botschaft sprang die Göttin jählings weg, und um ein weniges, so schwanden ihr die Sinne.

Und mit verzerrten Mienen, wankend, schaute sie hinunter nach der knieenden Gestalt und suchte rachedürstend mit den Blicken nach der Feindin Augen, aber jene neigte immer sich zur Erde mit geschloßnen Lidern, hielt sich unbeweglich still mit eifrigem Beharren.

Und eine lange Stunde stand die Göttin über ihr, und war ein harter Kampf, und wechselweise jagten über ihre schönen Züge Zorn und Scham und bittre Reue, leidenschaftlich sich verfolgend, je nachdem Vernunft und Eigensinn gewann die Oberhand in ihrem innern Wesen, bis nach einer Weile sie begann zu seufzen, redete und sprach mit bleichem Angesicht und tonverlaßner, dunkler Stimme:

«Wohlan: ein Tag der Strafe ists! und auch: ein Sprichwort haben wir gemacht, doch du, du hasts gereimt! und drum so sei es dir verziehen, um des Kindes willen samt Jehovas, meines kranken Herrn und Meisters.

Doch habe nunmehr acht, daß du getreu das übrige vollbringest, daß es nicht geschieht und du vergeblich dies an mir getan und sich zu deiner ewgen Schmach verwandle der Triumph, den frevelhaften Hochmuts du an deinem Herrn und Gott genossen.»

Und sprachs und schwenkte grimmigen Bewegens ab, doch langsam stand die andre auf, und finstern Angesichtes, blitzend aus den grauen Augen, zog sie ruhig ihres Wegs mit stolzen Schritten.

 

Und lenkte ihren Fuß mit sichrer Richtung nach dem wohlversteckten Platze, wo in dunkler Nacht das Schicksal auf geheimer Leiter auf- und niedwärts steigt, und mannigfaltge Kunstgeräte liegen rings herum und Folterzeug in großer Zahl – und allda suchte sie mit kundgem Blick umher, und als sie nun vernahm die Schnur vom fernen Äther niederhangen, faßte sie den Griff mit kräftger Faust und zog ihn scharfen Ruckes gegen ihre Brust: und horch! vom unsichtbaren Turme hallt ein Glockentönen klar und deutlich durch die Nacht, und knarrend tat sich eine Pforte auf, und auch ein Licht erschien am Fenster.

Und über dem, da trat sie zum Katheder, wo sie mit gebücktem Oberleib, die flachen Hände stützend auf den schräggeneigten Tisch, befahl und rief mit mächtger Stimme durch das Sprachrohr:

«Wohlan, es ist bereit, und eilends rüste sich der Schreiber! übrigens beachtet wohl, daß nicht von ungefähr ein Zufall sich erhebt und plumpen Fingers täppisch mir das feingefügte Werk vernichtet!»

Und sprachs und schritt von dannen mit zufriedenem Vergnügen.

III

Und um dieselbe Stunde saß Prometheus neben seinem Lager, fand nicht Schlaf ob der Gedanken allzulautem Reden.

Und von vergangnen fernen Zeiten sprachen sie, und wie so mutig damals schlug das Herz und wie so hoch der Geist sich schwang und wie so fröhlich war der Glaube.

Und huben an zu fragen:

«Und nun, was bleibt von alle dem? und welches sind die Taten, die du damals dir versprachst mit heilgem Schwure?»

Und über diesem Wort errötete Prometheus vor gewaltger Scham und Reue, neigte tief sein Haupt und wollte sich vernichten.

Doch jene fuhren fort: «Jedoch vielleicht, so ist noch jung und frisch dein Leib, und glatt ist deine Haut, und was verschlägt es, ob du also länger dich geduldest Jahr für Jahr in Fröhlichkeit und Wollust?»

Und über diesem Spruch gefror in ihm sein Blut, und heftig wandt er sich zur Seite, daß er ja vermeide seines eignen Körpers Anblick. Aber siehe da, von ungefähr erschien sein Bild im mondbeglänzten Fenster.

Und über dem, da barg er sein Gesicht mit beiden Händen, legt es auf das unberührte Lager, betete und rang in seines Herzens Tiefen:

«Gestrenge Herrin, meine gottgeborne Seele! der ich willig hingegeben all mein Lebensglück, und Heil und Ruhm und Ehre samt dem redlichen Gewissen hab ich freudig dir geopfert, auch Entbehrung und Entsagung ohne Klagen täglich eingetauscht und all die ungezählte Herzensnot und qualenvolle Sehnsucht Stund um Stund und Jahr für Jahr erlitten, segnend deinen Namen. Aber heute fleh und schrei ich jetzt zu dir: Erbarme dich! erweiche dich! denn sieh, es ist zuviel, und länger wahrlich kann ichs nimmer tragen!

Und wenn es dir gefällt, wohlan, so laß mich nutzlos sterben, aber jedenfalls beende diese höllenvolle Zeit des ewgen tatenlosen Duldens.»

Und also betet er, und keine Träne linderte sein Leid, der Jugend Trost und Vorrecht.

Und während er noch redete, da flog ein schwarzer Schatten durch das monderleuchtete Gemach, und eine Stimme tat sich auf, verkündete und sprach mit Heroldsruf vom Fenster:

«Prometheus, lebest du? und bist du noch wie ehedem gesinnt? und bist du auch bereit, daß du mir folgest?»

Und über dieser Stimme Ton, da sprang mit lautem Schrei Prometheus auf und warf sich auf den Boden, schluchzete und sprach mit maßvergeßnem Weinen:

«Du meine Göttin, benedeiter Stern nach endlos langer Nacht, du meines Daseins letzter Sinn und Inhalt!

Wie wär ich nicht bereit? denn deiner harr ich Tag um Tag und Stund um Stunde! Auch wie wär ich weniger als ehemals für dich gesinnt, denn sieh, gestorben vor zu vielen Schmerzen ist mein eigen Selbst, und lebest du allein in mir, und wozu dient mir ferner dieser Leib? es sei denn, daß ihn du gebrauchest!»

Und also sprechend gürtet er sein Kleid und stürzte hastig fort mit leidenschaftlichem Verlangen.

Und es geschah, durch einen Zufall stand die Kammer seines Meisters offen, leuchtete der Mond mit hellem Schein bis in des Zimmers Mitte.

Und allda trat er leisen Fußes auf die Schwelle, schaute ernst und traurig nach dem Lager, wo der andre ruhig schlief, und segnete sein Angesicht und betete und flüsterte mit tiefbewegtem Herzen:

«Du treuer Freund und Vater, der durch lange Jahre jegliches Geschick mit mir geteilt! und einzig du in aller Welt hast Gutes mir gewollt, und auch geehrter hab als niedrer Knecht ich unter deinem Dach gewohnt denn unter meiner eignen Brüder feigem, glanzbetörtem Haufen! Leb wohl! und siehe, meine stolze Göttin wird auch deiner denken, wird mit ihrem Strahlenlicht auch deines Lebens Ende wärmen und erleuchten, daß du sterbend mit versöhntem Fühlen schauest jenseits deines Grabes einen ewgen Schimmer.»

Doch während er so sprach, da tönte dringender der Heroldruf, und mutig riß er sich hinweg, doch mühsam, schmerzend nur vermocht er seinen Fuß zu heben von der bösen Schwelle.

 

Und als er nunmehr war gekommen vor des Hauses Pforte, stand daselbst ein himmlisch Weib – und es geschah ob dies Weibes Bild, da hielt er plötzlich still und neigte tief sein Angesicht, vernichtet von der eignen Niedrigkeit Bewußtsein.

Und gnädig winkend, freundlich mit den Augen und den Lippen ihn ermunternd, redete und sprach zu ihm die hehre Göttin:

«Wohlan, was zauderst du? und warum weigerst du zu nahen deiner an verlobten Braut mit Gruß und Handschlag?»

Doch jener wagte nicht zu folgen ihrem Auftrag, stand von ferne mit zerknirschten Mienen, stammelte und sprach mit Trauer und mit Wehmut:

«Wie bist du gar so herrlich und so schön! Doch siehe, alt und krank und gar gebeugt ist all mein Denken und mein Fühlen samt des Leibes äußerer Erscheinung, daß vor meiner großen Häßlichkeit ich nicht ertrage meinen eignen Anblick!»

Und über diesen Worten trat die andre auf ihn zu, und seine beiden Hände fassend, redete und sprach sie weichen Tons, mit Innigkeit, indem von ihres Herzens mächtigen Gefühlen bebte ihre Stimme:

«Du meines Herzens Freund! mein auserwählter Bräutigam! der treulich du an mir gehangen all dein qualenvolles Leben! der du gläubig hast um mich geworben in der hoffnungslosesten Verzweiflung!

Geheiligt sei mir deines Alters Mißgestalt und all die Müdigkeit in deinem Angesicht! denn wahrlich schöner bist du heute meinen Augen als zu Zeiten, da gesund und frisch bestand dein Leib und glatt sich dehnte deine Haut und von dem großem Feuer deines Geistes leuchtete dein Wesen!

Denn siehe, Wunden sinds aus meinem Dienste, Narben, deren Anblick zeuget Dank und Freundschaft.»

Und also sprechend nahm sie ehrerbietig seine Rechte, führt ihn sanften Zwanges fort mit gnadenvollem Lächeln.

 

Und als sie nunmehr kamen an des Gartens Ecke, tat sich auf die Erde, krochen aus dem Grab hervor der Löwe und das Hündchen, schritten ihm entgegen einer an des andern Seite.

Doch ganz verändert war der beiden Art, und war verschwunden jede Traurigkeit auf ihren Mienen, sondern mit verklärtem Schein um seine blinden Augen, tief gesenkt das Antlitz, nahete ergeben und versöhnt der Löwe, während sich das Hündchen wehmutsvoller Freude sehr gebärdete mit Winseln und mit Wedeln.

Und als sie nun gekommen zu Prometheus' Füßen, schmiegten sie sich an sein Knie und schaueten zu ihm empor, nach Gruß begehrend.

Und jener kniete jetzt zur Erde, schlang die Arme um der beiden Nacken, flüsterte und sprach mit vielen Tränen:

«Ihr lieben Freunde! habt ihr gänzlich mir vergeben? wohnt kein bitteres Gedächtnis mehr in euren Herzen?»

Und jene leckten dankend ihm das Antlitz.

Und während diesem tauchten viele Köpfe aus der schwarzen Gruft hervor: und siehe da die Kleinen, so die Löwen als die Hündchen, welche sich bewegten und zermühten, daß sie gleich den Eltern grüßten ihren langentbehrten Herrn und Meister.

Doch wegen ihrer Schwachheit konnten sie den Rand der Grube niemals überwinden, sondern fielen immer wiederum zurück, und nur die Köpfe schauten sehnsuchtsvoll hervor, weil wimmernd sie die Hände krallten in die dunkle Erde.

Und über diesem Bild entstand von großem Mitleid ein gewaltges Schmerzen in Prometheus Busen, daß er reichlicher begann zu weinen, rief und sprach mit ungemeßner Liebe:

«Ihr treuen Kleinen! meine armen Kinder! welchen niemals Freude ward zuteil, und ganz allein zum bittern Sterben wurdet ihr geboren! Lasset ab von dem vergeblichen Bemühn und leget euch zur Ruh zum ewgen Schlafe!»

Und also sprechend grüßt er namentlich ein jedes von den vielen, welches über seinem Gruße mit zufriednem Antlitz, dankend mit den Augen, lautlos glitt hinunter in den Abgrund. Außer einem einzgen, welches niemals war erschienen.

Und es begann und fragete Prometheus mit erstauntem Geiste:

«Wohlan, mein Hündchen! melde: welch Geheimnis ist dabei, und wo verbleibt mir deiner Kinder letztes?»

Und mit verlegnen Mienen gab es ihm zurück: «Es ist geschehn vor alter Zeit, am schlimmen Abend, bei des schneebedeckten Berges Leuchten überm finstern Tale, da du es verschontest, hab ich es im Wald versteckt; und nun vielleicht durch einen Zufall ists am Leben blieben bis auf diesen Tag. Jedoch nachdem du bist gekommen in das heimatliche Tal, so wirst dus finden, daß dus endlich gleich den andern allen, so es dir gefällt, erwürgest.»

Und sprachs und schmiegte sich an ihn mit jammervollen Bitten.

Und mit gerührtem Herzen hub er an und tröstete das angsterfüllte Tier mit seines Mundes trautem Spruch und mit der Hände zartem Schmeicheln:

«Wohlan, um deines großen Glaubens willen, da auf diesen Tag dus aufgespart unmöglichen Geschehns, so mag es leben!»

Und über dem, da macht er jetzt sich auf und floh von dannen, aber mit zurückgewandtem Haupt, damit er noch mit seinen Blicken grüße das geliebte Paar. Und jene standen unbeweglich einer an des andern Seite, folgten unverwandt mit ihren Augen seinen Schritten, bis nach einer Zeit sich wendete der Weg, und über dem, da kehrten sie zurück und stiegen in die Gruft mit schläfrigen Gebärden.

Und es geschah, mit diesem Augenblicke schlossen sich die Wunden alle in Prometheus' Herzen, heilte sich sein krank Gemüt, und ob sein Leib auch von den langen Jahren nicht genas, so ward sein Wille frisch und stark gelaunt, und mutig strebt er seine Bahn, zu jedem Werk gerüstet.

 

Und als sie nun gekommen zu der Stelle, wo die Schnur vom Firmament herniederhing, da läutete das Weib zum zweitenmal, und siehe, aus des Äthers schwarzer Pforte trat ein königlicher Schreiber, setzte sich auf Gottes unsichtbaren Thron, und ihm zu Füßen vierundzwanzig Diener hielten ihm bereit die erzbeschlagnen Tafeln.

Und hinter diesen Schreiber stellte sich ein blasser Mann, und als Prometheus schaute diesen blassen Mann, da schien ihm gar vertraut sein Angesicht, und staunend sann er eine Weile nach: und plötzlich kannt er wieder jenen selben Tag, der damals schrieb auf Gottes Thron, als sich das Volk versammelte zur Königswahl und Epimetheus spähte von der Leiter bei der Glocken feierlichem Beben.

Und flüsternd beugte sich der blasse Mann hinunter nach dem Schreiber, während dieser horchend seinen Kopf erhob, und ob auch vor der gar gewaltigen Entfernung nicht Prometheus irgend einen Laut vermochte zu vernehmen, ward er von dem Flüstern über alle Maßen aufgeregt, und ungeduldig drängend strebt er eifriger von dannen.

 

Und schon erhellte sich die Luft, erbleichte mehr und mehr der Mond, und langsam, widerstrebend wich die Nacht, vom Morgenrot besiegt, beschützt von Dämmerung, da hatten sie erreicht den letzten Hügel vor der Menschenstadt, und allda hemmten sie den Fuß und blickten in die Tiefe.

Und es begann und redete und sprach Prometheus finstern Blickes:

«Was seh ich dorten überm Berg? und sind das nicht des Feindes freche Leiber? Aber warum seh ich nicht zugleich die Menschenmannen, wie in hellen Haufen sie dawider stürmen zorngen Mutes?»

Und über eine Zeit, so fuhr er fort: «Und was bedeutet dieses fröhliche Geschrei? und welche Niederträchtigkeit geschieht, daß gar so heftig sich entzückt das Volk mit Jubeln und mit Jauchzen?»

Und während er noch sprach, da nahte von der Stadt mit Singen und Lobpreisen ein gewaltger Zug, und war ein sonderbarer Zug, und gleich als wenn man ein erlesnes Opfer führet zum Altar, und vor dem Zuge hüpft ein Lämmchen mit verzückten Sprüngen, doch zuletzt auf weißem, reinem Rosse saß der ganz gerade König, sich gebärdend ob dem strengen, unbarmherzigen Charakter seines Amtes.

Und staunend sah Prometheus hin, und als nun näher kam der Zug, erkannt er an des Opfers Statt das Gotteskind gebunden liegend über einem Tiere, neben ihm zu beiden Seiten die Athener und Propheten, welche es belehrten und ermahnten so mit sanfter Weisheit als mit kräftigem, gesundem Tadel.

Und über diesem Anblick hatte nie Prometheus solchen Ekel noch verspürt, und schaudernd hub er an und fragete und sprach zu seiner Seele:

«Was Ungeheuerliches geht hier vor? und ist vom Moloch alles Volk befallen?»

Doch jene schaute stummen Mundes gegen ihn mit sonderbaren Blicken.

Und es geschah, ob ihren Blicken schrak Prometheus jählings auf, erwiderte und sprach mit hastgem Fragen:

«Was meinest du? und welcherlei Gemeinschaft waltet zwischen mir und diesem Kinde?»

Doch jene sah ihn immer an mit unverwandtem Auge.

Und heftiger begann er jetzt: «Und dieses also ist der langen Leiden Schluß? und dies die Hochzeit, da du mich darauf behalten und gespart? und daß sie mich zerreißen, ist dein Auftrag?» Und schweigend nickte sie ihm zu mit gleisnerischen Blicken.

Und über dem, es sei durch Zufall, oder sei es, daß aus ihren Augen strömte eine unsichtbare Gotteskraft, so ward sein ganzes Sein und Fühlen plötzlich zu ihr hingezogen, daß es leidenschaftlichen Verlangens rief und fragete: «Um wessentwillen?»

Und ruhig bot sie ihm zurück: «Um meinetwillen.»

Und über dem, da ward in Sehnsucht umgewandelt sein Gefühl, und Wahnsinn faßte seinen Geist, und all sein Wesen war entflammt, geblendet.

Und eine Weile schwankt er noch und zweifelte, weil sich sein Körper sträubte wider die Vernichtung, aber während er so schwankte, sah von ungefähr er nach dem Himmel, schaute, wie der Schreiber ruhig schreibend nach ihm blickte, hinter ihm erwartungsvoll der blasse Mann – und über dem, da faßt ihn eine unsichtbare Faust, und jählings stürzt er auf den Boden, flehete und rief mit Ungestüm zu seiner Herrin Füßen: «Es wird geschehn, wenn sie mich töten, wirst du ferne stehn und wirst vergessen deinen Knecht, der alles dies um dich gelitten.»

Und jene beugte sich zu ihm hinab, und weich und innig, gleich dem blauen Himmel überm Maienfeld, so blickte sie ihn an, erfaßte seine Hände, flüsterte und sprach zu seinem Angesicht, daß von dem süßen Hauche ihres Odems sich betörten seine Sinne:

«Es wird geschehn, wenn sie dich töten, will ich küssen deinen bleichen Mund und will dich lieben ewiglich.»

Und über diesen Worten sprang er auf und jagte nach dem Tal mit trunknem Herzen.

 

Und eben kam der Zug gezogen unterm Hügel, als Prometheus lief daher und schrie und rief entschloßnen Willens:

«Ihr lieben Brüder, machet Platz! denn seht, ein Auftrag führt mich her, damit vielleicht ich stärker schnüre eures Opfers Bande.»

Und seis ob seinen lügnerischen Worten, seis aus irgendeinem andern Grund, so wichen sie, und als nun jener war gekommen in des Zuges Mitte, faßt er aus dem Busen seinen Dolch, durchschnitt mit sichrer Faust des Kindes Fesseln.

Und heftigen Ergrimmens riefen sie: «Was Ungesetzliches beginnest du? und woher nimmst du die Erlaubnis?»

Doch jener setzte seine Arbeit fort mit ruhigen Gebärden.

Und über dem, da wurde leidenschaftlicher ihr Zorn, und tobend drängten sie um ihn und heulten wider ihn mit fürchterlichem Drohen:

«Es soll geschehn, wenn du ein übriges beginnst, so wollen wir dich klein und fein zerreißen.»

Und bleichen Angesichtes, finstern Blickes hub er an:

«Vor allem bringet ohne Säumen dieses Kind zurück, und über dem, woferns euch wohl gefällt, wohlan so möget ihr mich grob und groß zerreißen.»

Und also sprechend küßt er ehrfurchtsvoll des Kindes Hände, griff sodann des Tieres Zügel, dreht ihm heftgen Ruckes seinen Hals ins Gegenteil und führt es heimwärts ohne jegliches Besinnen.

Und eine Weile stutzten sie, da wurde stärker wieder ihr Geschrei, und maßvergessenen Entrüstens riefen sie mit Drohen und mit lautem Jammern:

«Es wird geschehn: nach deinem Willen werden unsre Feinde mit verzerrtem Antlitz sich ergrimmen, werden unsre Leiber bluten.»

Doch haßerfüllten Blickes gab er jetzt zurück: «Fürwahr, was Schöneres gedeiht auf dieser Welt als eines Feindes grimmverzerrtes Angesicht? und wozu habt ihr euer Blut, als daß es blute?»

Und über diesen Worten wurde rührender ihr Klagen:

«Um unsretwillen nicht, doch um der reinen Kinder willen, samt der heilgen Leiber unsrer weißen Weiber.»

Da ward Prometheus gänzlich außer sich: «Mit nichten sind es heilge Leiber, weder weiße Weiber, sondern eure Weiber sinds und darum niederträchtig gleich wie ihr, und auch nach eurem Schmutze sind ein wenig sehr befleckt die reinen Kinder.»

Und da nun alle lauten Beifalls lobten dieser Rede Wahrheit, suchten sie nach einem andern Schilde, flüsterten und sprachen zärtlichen Erbarmens:

«Jedoch es ist der unsichtbare Vogel an des Landes Mark anheimgegeben unsern Feinden, also daß sie ihn verbrennen, wenn wir allzu rücksichtslos beleidigen und reizen ihr empfindliches Gefühl und Selbstbewußtsein.»

Und über dem, da tröstete und schwur Prometheus laut und klar mit heiligem Gelöbnis:

«Um dessentwillen, liebe Freunde, bleibet immer unbesorgt, denn wahrlich einen unsichtbaren Igel will ich euch erbauen, da ihr mut-iger und tum-iger an seinen Stacheln wetzen möget eure Tugend als an dem vertrauten, onkel-väterlichen, eiderdaunigen Gefieder.»

Und unterm Volke waren sieben Männer, welche hatten unter ihrem Hut ihr Schamgefühl verborgen. Diese nahmens jetzt hervor, versucheten und flüsterten mit schwacher Stimme:

«Ihr lieben Brüder! etwas wenig Recht besteht in diesem Mann, und auch vielleicht so laßt uns halben Weges heimwärtskehren!» Und andre sieben hatten ihren Mut vergraben unter einem Stein – und gruben ihn zu Tag und stellten sich behutsam an Prometheus' Seite.

Und jeden Augenblick, so warens sieben andre Männer, bis nach einer Weile die Athener heimwärts lehrten, ähnlich die Propheten rücklings prophezeiten, über dem das ganze Volk mit Jauchzen und mit Jubeln.

Und blieb das Lämmchen einzig nach; das sprang verdrossen hin und her, verwirrt, wohin es beiße.

Doch von dem Schlosse nahte dienstbeflissen das Gesinde, daß sie Epimetheus, ihren Herrn, empfingen, aber siehe da, verschwunden war er überall, und niemand konnt ihn finden.

 

Und als nun sicher hinter Stein und Eisen ruhte neuerdings das Gotteskind, von Angst und Not befreit, da wandte sich Prometheus um und redete und sprach zu seinen Brüdern grimmigen Gemütes:

«Und nun wie lange wollt ihr dulden eurer Feinde Antlitz über euren Häupten? Auf! daß wir sie schlagen!»

Doch über seinen Worten ward ein tausendstimmges Wehgeschrei, und tödlichen Entsetzens sprangen sie hinweg und wehreten und schützten sich mit mächtgem Sträuben:

«Was meinest du? denn siehe, spitzig sind des Feindes Waffen, aber unsre eignen Waffen sind noch nicht gespitzt, und ewig strafenswerter Leichtsinn wär es, so wirs unternähmen.»

Doch länger hielt Prometheus nicht des Zornes Ungeduld, entsetzte sich und schwur mit fürchterlichem Eide:

«Wohlan, woferns an Spitzigem gebricht, wohlan, so nehmt ein Stumpfes! Aber wahrlich, länger will ich nicht mehr schauen überm grünen Gottesland der Feinde freches Antlitz!»

Und sprachs und suchte auf dem Boden wilden Blicks, und da er eben einen Stein zu seinen Füßen liegen sah, so bückt er sich mit Hast und floh von dannen.

Und seinem Beispiel folgte alles Volk, doch als sie nunmehr kampfbegierigen Gemüts gelangten zu des Landes Grenze, sieh, da war entflohn der Feinde Spuk, und blieb allein zurück der Nachgestank von ihrem Wesen.

Schluß

Und über dem, genesen von der unvernünftgen Furcht und von der sündigen Verblendung ihres Urteils, eilten mit erlöstem Fühlen sie nach Hause, stürmisch preisend ihren Retter, der mit scharfem Strafen sie bewahrt vor ihrer gänzlichen Verworfenheit und letzten unheilbaren Schandtat – weil vom Tal in großen Haufen jubelnd nahten die beglückten Frauen, froh des tränenlosen Wiedersehens und stolz zugleich auf ihrer Männer lobenswerte mutge Handlung:

Da tönte von dem unsichtbaren Turm zum dritten Male hell und hoch das Läuten, daß der Äther stufenweise widerhallte von dem klaren Silberklang – und über dem verschwand der Schreiber schloß sich hörbar eine unsichtbare Tür, und langsam hüllte sich ein grobgewirkter Vorhang um die Welt, und durfte ferner nichts geschehn, als was geschehen darf an jedem Ort, an jedem Tag zu allen Zeiten.


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