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Die Königswahl

Und als im Frühjahr nun der Tag der Königswahl
Erschien, an dem der Engelgottes aus der Zahl
Der Menschen einen für den Würdigsten erlese,
Daß er auf Erden ihm das Gottesreich verwese,
Dieweil er selber wohnt im hohen Himmel fern,
Und setz ihn übers Volk zum väterlichen Herrn
Und Könige, als Richter strafend und belohnend,
Als Wächter auf der stolzen Schloßbergfreiheit thronend,
Da wallt aus allen Gauen, so die Erde hat,
Das Menschenvolk zur Allmendwiese vor der Stadt,
Zuhauf sich sammelnd vor des Engelgottes Thron.
Und zischelten und rieten ungeduldig schon,
Wes Namens wohl – «was meint ihr?» – der Erkorne wäre,
Dem heut erwüchse königliche Macht und Ehre.
Und wurden uneins nach der Menschen Brauch und Sitte.

An diesem selben Tage, um die Morgenmitte,
Saß still und einsam, fern vom Lärm des Volksgebrauses,
Prometheus auf der luftigen Laube seines Hauses,
Mit sorgenvoller Miene, Aug und Ohr gespannt,
Die klugen Denkerblicke stetig unverwandt
Talabwärts schickend längs den waldigen Hügelrücken
Bis in des Felsentores lichtdurchblaute Lücken,
Wo aus dem Ruhmesglanze, der dahinter tagte,
Die junge Hoffnung schüchtern ihm entgegenzagte.
Und seines Eigenwertes schamhaft eingedenk,
Dreht er und rollt in einem fort das Handgelenk:
Jetzt Thronstuhl oder Pranger. Zaudernd schwebt die Frage.

Hand auf, Hand ab, mein Schicksal schaukelt in der Waage.
Doch halt! Das klang beinah wie ein Trompetenstoß
Unten vom Weg im Tale! Oder meint ichs bloß?
Verworrenes Getöse. Männerstimmen. Ketten
Von flüchtigen Vögeln, die sich in die Wälder retten.
Jetzt das sind Jauchzer! Sieh, wahrhaftig: Lanzenspitzen
Und Pferdeköpfe. Farben blühen, Waffen blitzen.
Und horch, ein Marschlied, von Frohlocken überstimmt,
Das immer näher kommt, zu mir die Richtung nimmt.
Ha, Gegenwart! Dahin die Zweifel! fort, versunken!
O Taumeltanz der Hoffnung: von Gewißheit trunken!
Erhöhung naht, der Herrschaft Ruhm und Ehre glückt.
Vom Schloßberggipfel schau ich, zukunftstraumverzückt.
Zu meinen Füßen sprießt es. Von den Bergen allen
Strömen die künftigen Geschlechter, steigt ein Wallen –

«Halt!» straft ihn eines Mahnrufs herrische Gewalt.
Und eine richterliche Stimme streng und kalt
Befahl: «Vor dieses Augenblickes Ernst und Größe
Erhebe dich, Prometheus, und dein Haupt entblöße!
Eh daß du nun in königlichem Glück und Glanze
Die Ehrenstraße nach des Schloßbergs luftiger Schanze
Hinansteigst und der Herrschaft Höhenatem saugst,
Steh erst der Wahrheit Rede, ob zum Herrn du taugst.
Nichts zwar von Weisheit – Spott ihr! – und Gerechtigkeit:
Erbärmlich Handwerk, treu und selbstlos allezeit
Des Amtes walten und des Reiches Vorteil mehren,
Die Schwachen schirmen und den bösen Ränken wehren.
Das ist der Fürsten schuldiger gemeiner Brauch.
Ein jeder kanns, dein Bruder Epimetheus auch.
Getraust du dich, ich frage dich, am schwarzen Tag,
Am Tag des Fluchs, wenns kommt, daß er geschehen mag,
Wenn mitternachts geräuschlos aus dem Schicksalshaus
Die Unheilwolke schleicht zur Hintertür hinaus
Und schleift den mordgeladnen schwangern Drachenbauch
Dem Menschenlande zu durch Nacht und Nebelrauch –
Getraust du dich, kannst du dich dessen unterfangen,
Daß du, allein von deines Herzens Angst und Bangen
Gemahnt und deines Nasenschnupperns Witterung,
Aus tiefstem Schlaf vom Ruhelager fährst im Sprung,
Geschwind das Schwert umgürtest und die Lanze haschest
Und fern im Wald das Ungeheuer überraschest?
Denn wenn dus nicht vermagst, so daß die Teufelswolke
Die Drachenbrut entladet überm Menschenvolke,
So wird auf deinem Denkmalstein in Riesenschrift
Dein Name stehn, geätzt mit giftigem Höllenstift,
Und eine grimmige Gestalt am Denkmalsrand
Wird ewig nach dem Namen zeigen mit der Hand:
«Kommt her und lest! Am blutigen Tag des Mörderjahrs
War dieser König über euch. Fluch ihm: der wars!»
Drum prüfe dich und mustre dich. Verdammnis droht.
Denk klar, denk jäh, denn schleuniger Entschluß tut not.»

Trübe vernahm das Wort Prometheus, zweifelskrank.
Sein Blick erlosch, die Lippe fiel, die Stirne sank.
«Fünf Sinne hab ich», sprach er, «um die Welt zu sichten,
Und einen Geist, geübt, Erfahrungen zu schlichten.
Doch blindlings wittern, ohne Sinn- und Geistgewähr –
Schade, mein Mut versagt: dies Amt ist mir zu schwer.
Es wäre denn, daß deiner Stimme Ruf mich weckt,
Dein heftiger Fingergriff mich aus dem Schlummer schreckt.»

«Und falls am nüchterhellen Werkeltag, gesetzt,
Im Eifer des Getriebes, das die Menschheit hetzt,
Zwischen den stummen Stunden, die mit unsichtbaren
Gespensterschritten immerfort vorüberfahren,
Ein Stündlein kommt einher, an dessen Wimperspitzen
Tautröpflein eines andern Himmelssommers sitzen
Und das, mit einem Blütenzweiglein in der Hand,
Am Zweiglein schmeckt und schwenkt es hin und her zum Tand:
Wirst du das seltne Stündlein, wenns in Reih und Glied
Unter viel tausend ähnlichen vorüberzieht,
Im Nu erspähen, deinen schnellsten Renner zäumen,
In atemlosem Lauf zu ihm hinüberschäumen
Und, bettelnd auf den Knien, mit ehrerbietigen Händen
Das wundersame Zweiglein schmeichelnd ihm entwenden?
Denn wenn der segensaftige Blütensamenstaub
Nutzlos verweht, den Vögeln und dem Wind zum Raub,
Dann werden um dein Grab die Bauernhunde schnöbern,
Scharrend im Dorngestrüpp nach deinem Leichnam stöbern –
Allein ein Zuruf schmält, ein Stecken saust durchs Gras:
Pfui da! ihr Köter! schämt euch! weg von diesem Aas!
Drum wäg es wohl, ich frage dich zum andern Mal:
Getraust du dich? Noch winkt Erlaub, noch gilt die Wahl.»

«Was meinen Augen standhält, deutet mein Gesicht,
Gespenster sehn und unterscheiden kann ich nicht;
Es sei, daß du den Blick mir öffnest, oder sei,
Du stehest mir mit Unterweisung wörtlich bei.»

«Doch wirst du meine Stimme überhören nie?
Denn leise im Vergleich und fernher lautet sie.
Wogegen das gesamte freche Überall
Dir in die Ohren lärmt mit tausendfältigem Schwall.»

«Und lärmten tausend Donner brüllend in mein Ohr,
Dein feinstes Flüstern, meine Seele, hör ich vor,
Dank einem Glöcklein innen irgendwo, das klingt,
Sobald der heilige Atem deines Mundes singt.»
«Wenns also ist, getrost! Greif zu, du darfst empfangen,
Was dir vom Engelgottes Gutes kommt gegangen.»

Horch, Aufruhrtoben! Jauchzend Volksgetümmel quoll
Wildbrandend um den Felsenrank, den Bachgrund voll.
Im Nu die Ufer und die Hügel überschwemmt
Von neuen Wogen. Plötzlich Ruhe. Ehrfurcht hemmt.
Dann aus der Menge löst in feierlichem Gange
Sich eines schmalen Ehrenzügleins Schillerschlange.
Nahe dem Hause angelangt auf wenige Schritte,
Hielt an der Zug. Ein Herold trat aus seiner Mitte.
Trompeten riefen einen kurzen Gruß. Alsdann
Erhob den Zepterstab der Herold und begann:
«Kraft seines Spruchs, womit der Engelgottes hat
Zum Reichsverweser dich erwählt an seiner Statt,
Stehn wir, o Epimetheus, huldigend allhier.
Ins Allmendfeld zum Engelgottes folge mir,
Auf daß vom Throne, allen Augen offenbar,
Er dich dem Menschenvolk als König stelle dar.
Von heute nennst du eine andre Heimat dein:
Hoch auf dem Schloßberg wird fortan dein Wohnsitz sein.
Drum sättige dein Herz, ans Fenster tritt und schicke
Den Scheidegruß mit einem letzten Freundschaftsblicke.
Hernach erhebe dich zur hochgemuten Reise.»

Der Herold riefs, verzog sich und verschwand im Kreise.
An seiner Stelle schwebte jetzt ein Jungfernchor,
Blumen und Kränze schwingend, aus dem Kreis hervor,
Anmutige Reigen tretend. Und die Führerin
Sprang vor das Haus und jauchzt und tanzt umher, umhin:
«Heil dir zum Gruß, du stille Stätte weltverloren,
Die uns den Freund, des Volkes Heiland hat geboren!
Gegrüßt mir und gesegnet, du verschwiegner Herd,
Der traulich ihn so manches Jahr gewärmt, genährt!
Gegrüßt das Dach, das schirmend seinen Schlaf behütet –
Mit ewigem Preise sei die Wohltat dir vergütet!
Schaut auf: um eures Firstes Sparren kreist der Ruhm.
Schaut einwärts: eure Räume atmen Heiligtum.
Erwache, Liebling, Sehnsucht heischt dich, gib, gewähre!
Mit deinem holden Anblick unserm Hunger wehre!
Denn unsre Herzen darben und genesen nicht,
Es wäre denn, daß wir geschaut dein Angesicht.»

So sang und sprang die Tänzerin. Zu ihrem Singen
Wanden die Schwestern veilchenduftige Blumenschlingen
Um Tür und Fenster; sei es auf den Füßen zehend
Oder emporgelüpft und einen Sims erstehend.
Und siehe da, kein Haus: ein Wald. Kein Wald: ein Garten.
Als aber nach geraumem, atembangem Warten
Er selber auf der Schwelle jetzt, vor Rührung wankend
Und mit vertränten Blicken wortlos Grüße dankend,
Zu Tag erschien, im Glanz der Schönheit und der Jugend
Ein Bild der Kraft, der Hoheit und der Mannestugend,
Entbot ein maßvergeßner Willkommsturm, aus tausend
Und abertausend freudetrunknen Kehlen brausend,
Ihm Preis und Liebeshuldigung. Ein einzig Wort,
Den Namen Epimetheus jubelnd fort und fort.
Und unerschöpflich wieder, unaufhörlich während,
Die Liebesbrunst den Glückrausch immer neu gebärend.

Einen schlohweißen Zelter führte man am Zügel
Zum König hin. Zwei Diener hielten dar den Bügel.
Doch Epimetheus wehrte. Eh er stieg zu Pferde,
Vollzog er eine Andacht, kniend auf der Erde,
Demütig ein Gebet aus frommem Herzensgrunde
Verrichtend stumm und stille eine lange Stunde.
Darob geschah ein großes Schweigen. Jedermann
Entblößte sich, berührt von einer Gottheit Bann.
Manch Auge wurde feucht, und alle Kniee sanken,
Und unstät in den Himmeln suchten die Gedanken.
Bis daß der König endlich seine Andacht schloß,
Aufstand und – sieh ihn schon im Sattel, hoch zu Roß!
Bei diesem Anblick kehrte das Frohlocken wieder.
In festlichem Geleit der Jauchzer und der Lieder
Bewegte langsam sich in würdevoller Ruh
Der Ehrenzug zu Tal, dem Volk im Bachgrund zu.

Vorüber, schien es. Aber aus des Zuges Schweif
Kehrte zum Haus zurück ein Richter, streng und steif.
Schwarz war sein Kleid, sein Antlitz weckte Furcht und Grauen.
Ein Schreiben in den Händen, runzelt er die Brauen:
«Vernimm des Engelgottes Urteil und Gericht,
Prometheus! Lerne, was durch meinen Mund er spricht:
‹Zwei Söhne hatt einmal ein Bauer. Beide gleich
An Wuchs und Leibgestalt und eben einsichtsreich.
Doch unbotmäßig war des Ältern Sinnesart,
Verstockt, selbstsüchtig, nackensteif und herzenshart,
Indes der Jüngere, in frommer Ehrfurchtscheu,
Dem Vaterwort gehorchte liebevoll und treu.
Und als es nun zu Ende ging und kam zum Sterben,
Schickte der Bauer zu den Schreibern. ‹Schreibt! Zum Erben
Setz ich von meinen Söhnen einzig und allein
Den Jüngern. All mein ganzes Hab und Gut ist sein.
Er wird es fleißig mehren und mit Sorgfalt wahren.
Und also kann getrost ich in die Grube fahren.›
So tat der Bauersmann; desgleichen tu auch ich.
Verworfen hat mein Urteilsspruch, Prometheus, dich
Für deinen Starrsinn, da du, trotzend dem Befehle,
Nicht abgeschworen deiner geilen üppigen Seele,
Und deine Erstgeburt dem Bruder übertragen,
Auf daß ein Sprichwort in den fernsten Erdentagen
Verkünde: Geistesgröße, die der Zucht entbehrt
Und Herzensfrömmigkeit, ist Spießglanz ohne Wert.›
Und nun, Prometheus, küß in Dankbarkeit die Hand,
Die gnädige Nachsicht mit Gerechtigkeit verband.
Stehst du, wie billig, heute leer und unbelohnt,
So hat er mit verdienter Strafe dich verschont.
Doch staune, wieviel Freundschaft ist in ihm lebendig:
Die zwölf Gebote hat sein Finger eigenhändig
Auf eine Tafel dir gezeichnet zum Geschenk.
Damit du täglich ihrer bleibest eingedenk,
Will er: die Tafel soll vor deiner Haustür hangen,
Daß sie dich mahne, kommst du aus- und eingegangen.»

So sprechend holt er eine Tafel aus dem Rock,
Ein Hämmerlein hernach und einen spitzen Pflock;
Und auf die Treppe steigend, hämmert er den Bolz
Mit kurzen Schlägen in des Türenpfostens Holz.
Henkte daran das Täflein mit dem Ösenring
Und schob es auf und nieder, bis es richtig hing.
Endlich zum Abschied noch ein finstrer Blick zum Gruß.
Mit richterlicher Würde dann verzog sein Fuß.

Ein Marschlied jetzt erscholl. Der Ehrenzug durchstach
Die frohe Menge. Und die Haufen stürzten nach.
Ein Schwung im Bogen, jauchzend um den Felsenrumpf.
Vorbei. Der Glanz erloschen und das Marschlied stumpf.
Doch lange noch, ob stetig blasser im Entfernen,
Durchsonnte wie ein Glück aus Kinderaugensternen
Der Ruhm das Tal: Frohlocken, Nachhall von Gesängen
Und Farbenwiderleuchten aus den Schluchtenengen.

 

Doch als der letzte Ton verhallt und Staunen nur
Mit großen Augen folgte der Ereignisspur,
Ermannte sich Prometheus, richtete sich auf,
Sah sich nach allen Seiten um und sprach hierauf:
«Weltkunde hab ich heut erfahren: Hiezuwelt
Bringt der Verkauf der Seele Ehrung zum Entgelt.»
Zum düstern Wasserbecken unterm Quellenbach
Im Berggrund hinterm Haus begab er sich hernach,
Senkte die Stirn, und zu den Wellen ihm zu Füßen
Schickte sein Mund das wehmutvolle Abschiedsgrüßen:
«Ihr lieben Hoffnungen, ihr edlen, tausendschönen,
Mit schlimmer Zeitung komm ich euren Glauben löhnen:
Kann euch nicht länger hegen, muß euch lassen ziehn.
Dahin die mutigen Träume, allesamt dahin!
's ist meine Schuld, gesteh euchs. Kanns doch nicht bereuen.
Und wär es abermals zu tun, ich täts des neuen.»
Ob diesem Wort geschah ein wolkig Wimmelwandern
Im sandigen Schlamm des Teichs, und eine nach der andern
Kamen, gleich Fischlein, aus den Höhlen, aus den Quellen
Die Hoffnungen emporgestiegen durch die Wellen,
Daß von den Flossenschlägen, die sie schillernd schwänzten,
Die Grottenwände rot und golden widerglänzten.
Oben am Wasserspiegel angekommen, sahn
Sie ihn mit stummen Vorwurfsaugen traurig an,
Drauf sangen sie ein leises Sterbelied zusammen,
Versanken in die Fluten, reisten und entschwammen.
Andächtig, mit gedämpfter Trauerstimme, sprach
Er den Entschwundenen den Reisesegen nach:
«Fahrt wohl! Die Wellen wandern und die Welten reisen.
Nach welchem Ziel? Auf welchen heimlichen Geleisen?
Getrost! An welcher Heimstatt ende euer Lauf,
Pocht mit dem Finger an: ein Pförtlein tut sich auf,
Und – wohl euch! – Abertausende von euresgleichen,
Die euch zum Gruß verständnisvoll die Hände reichen.
O vornehm, vornehm der erlauchte Totengarten,
Wo die erstickten Herzenshoffnungträume warten!»

Dies abgeschlossen, kehrt er aus der Quellenklause
Gewohnheitshalber wiederum zurück nach Hause.
Weh der Empfang! Enttäuschte Räume, öd und leer.
Kein Gott, kein Glaube, weder Zweck noch Inhalt mehr;
Als ob, zwar unsichtbar, doch fröstelnd fühlbar immer
Ein Toter läge längs der Wand im Nebenzimmer.
«Die Sonne wird mich wärmen!» Durch die vordre Tür
Rückt aus dem Haus er in den Sonnenschein herfür.
Allein umsonst! Das Frösteln wollte nimmer weichen.
Stets kroch ihm um die Haut das feuchte Leichenschleichen.
Und pfui, Beleidigung! Sieh da, das Gnadenwunder
Der zwölf Gebote und der spöttische Blumenplunder!
Talab, soweit das Auge traf, zertretne Fluren.
Neben der Treppe auf dem Vorplatz Pferdespuren.
Vor Ekel schaudernd, schüttelt er den Kopf und floh
Ins Hinterland, den Berg hinauf, ins Irgendwo.

Ha, Wohltat! Jede neue Stufe Höherstieg:
Unmutentladung, jeder Tritt ein Freiheitsieg.
Wie flink die Täler fallen, und wie tief sie sinken!
Hinauf denn, wo die unbegangnen Wälder winken,
Wo keusche Lüfte, die in reinerm Lichte blauen,
Nichts wissen von den trügerischen Menschengauen.
Mit diesem kam er über eine Blumenalp,
Besprengt mit Sommervögelwolken allenthalb.
Vor einem lauen Talwind, der das Gras durchstrich,
Nickten die Blumenreihen und verbeugten sich:
«Der du vom Menschenlande nieden kommst daher,
Erzähl uns von dem heutigen Hochtag eine Mär,
Nichts zwar von Krönungspomp und äußerm Ruhmgepränge,
Von Festlichkeiten und der Ehrenzeichen Menge:
Erzähl uns von des Erdenglückes Honigseim,
Von Süßigkeiten, die im Herzen sind daheim,
Von schöner Frauen Gunst und holdem Liebespreise.»
Vertraulich raunend flüsterte der Talwind leise:
«Im königlichen Schlosse vor dem Spiegel schmückt
Sich Herzelieb zu dieser Stunde bangbeglückt.
‹Ach wüßt ich: soll ich jauchzen, soll ich traurig sein?
Wen schenkt das Schicksal heute mir zum Gatten mein?
Wird zu der Tugendgröße Freundlichkeit er fügen?
Und reicht mein Wert, dem Besten aller zu genügen?›
Und flüchtet hinters Lager in die Zimmerecke
Und betet, das Gesicht vergraben in der Decke:
‹Vernimm mein Flehen, Schicksal! Alles, was ich bin,
Bebt Demut, atmet Liebe. Folgsam geb ichs hin
Dem, den dein Urteilsspruch zum Herrn erkoren mir.
Doch daß ichs gern und freudig leiste, liegt bei dir.
Erbarme dich, erhöre meinen Herzensschrei!
Gib, daß ichs kann, vergönn, daß er der Rechte sei!›
Und fliegt ans Fenster heimlich ungezählte Male,
Die Augen werfend nach dem künftigen Gemahle.»
«Ja also», dankten ihm die Blumen. «Mehr noch gib
Uns von der Königsbraut, der schönen Herzelieb!»

Anders Prometheus. Heftigen Schrittes unmutvoll
Verließ er die verbuhlte Blumenalp im Groll.

Viel öde Stunden streift er planlos in der Irre,
Bis daß er tauchte in ein wildes Felsgewirre,
Wo stumme Eulen glotzten aus den Mauernischen
Und schrille Falkenschreie von den Flühen krischen.
Zu zweien Adlern, die am höchsten Himmel oben
In ruhigen Zügen ihre Flügelschwünge woben,
Kreischten die Falken: «Die ihr hoch vom Himmel seht,
Mit scharfem Blick das kleinste Erdending erspäht,
Gebt Nachricht, was zur Stund sich in den Menschenlanden
Ersprießliches ereignet. Aber wohlverstanden:
Nichts vom gemeinen Leutehauf, vom Volk des Spottes –
Von Epimetheus meldet und vom Engelgottes!»
Das Adlermännchen sträubte blitzend sein Gefieder,
Und diese Auskunft gellt es zu den Falken nieder:
«Ich sehe in des Allmendfeldes Fahnenhalle
Von Scham verstört, betäubt vom Jähglücküberschwalle
Den König Epimetheus sitzen; neben sich
Des Engelgottes Hoheit, der ihm väterlich
Die strenge, weltgewaltige Rechte freundschaftwarm
Mit weitgespreizten Fingern breitet auf den Arm.
Ihn trifft aus dessen Herrschermund der herbe Hauch
Der Ewigkeit. Des Engelgottes Mantel auch,
Den schweren, bilddurchwirkten, darf er staunend sehn,
Aus dessen Faltennacht der Vorzeit Schatten wehn.
Und während aus dem Menschenvolk zu seinen Füßen
Ihn tausend gläubige Augenpaare schüchtern grüßen,
Die Blicke lernend sein Gebaren, sein Gefüge,
Die Herzen seines Angesichtes Mienenzüge,
Steht hinter ihm erhobnen Griffels, ehrfurchtfertig
Der Ruhm: ‹Beginn! Die Nachwelt horcht. Ich bin gewärtig.›»
«Das nenn ich», schrien die Falken, «königliche Kost.
Mehr noch von so erlauchter, adeliger Post!»

«Höflinge!» gab Prometheus zornig, «Junkersippe!»
Und zog fürbaß, verächtlich, mit gerümpfter Lippe.

Und wieder schweift er im Gebirge lange Zeit,
Den Durst nicht achtend und des Leibes Müdigkeit.
Am späten Abend, als die Dunkelheit begann,
Führt ihn ein Ungefähr in einen finstern Tann,
Wo aus dem Hinterhalt des Buschwerks ein Geschmeiß
Von Mücken ihn umschwirrte mit der Bosheit Fleiß.
Von links, von rechts ein unaufhörlich giftig Zischen
Von Stachelfliegen jeder Gattung, immer frischen.
Wie wild er um sich schlug und mit den Fäusten griff,
Nichts minder war sie da, die Brut, die ihn umpfiff.
Und ihrer eine in den höchsten Fisteltönen
Umsängelte sein Ohr und säuselte das Höhnen:
«Gestehe: Ruhm und Ehre bei den Menschen, gelt,
Ist kein so feiler Wisch, wie du dir vorgestellt?»
«Daß dich der Tod! mit deinem teuflischen Getuschel!»
Da hetzt ein Singsang in der andern Ohrenmuschel:
«Durch wessen Schuld? Und nach dem freien Willen wessen?
Also warum so trüb? Sag Dank und freu dich dessen!»
Da galt kein Kampf. Vor Unrat rettet einzig Flucht.
Mit schleunigen Schritten trieb er aus der Tannenschlucht.

Bis einesmals des freien Gipfels Sternenheiter
Den Überraschten stellte. «Halt! wohin? nicht weiter!»
Stille ringsum. Ob seinem Haupt der Sternenschein,
Und um die Stirn der keusche Bergwind, menschenrein.
Genesend schöpft er Atem, sog und schlürft und trank
Die lautre Luft, und seine Geister seufzten Dank.
Doch halt! schau hin! Dies tageshelle Nebelmeer
Unter dem Berg im Gau, was wills? wo stammt das her?
In Wolken leuchtets, rötlich wie von Feuersbrunst.
Sterngassen glitzern, Sönnlein blitzen aus dem Dunst.
Und Stimmen, scheint mir, Beifallstosen kann ich hören
Und fröhlichen Gesang mit Spiel und Reigenchören.
Auf schäumt er: «Meines falschen Bruders Krönungsfeier!
Die Menschheit läutet dem Verräter Ruhmgeleier!
O Frömmigkeit! O Gleichheit! O Erfolggenossen!
Die ganze Lammheit blökt. Der Bock ist ausgeschlossen.»
Knirschend die Fäuste ballt er. Aller Grimm und Groll,
Den er den langen Tag gesammelt, überquoll.
Und konnte doch sich nicht enthalten, mit den Augen
Beharrlich den verhaßten Anblick einzusaugen,
Töricht geschäftig immer neue gallige Schwaden
Von Bitterkeit zu seinem alten Groll zu laden.
Ähnlich dem Baggerkran, der in dem Uferschacht
Mit blindem Schnabel sinnlos wühlt und jede Fracht,
Seis Schlamm, seis Schotter, die er aus dem Grund gekröpft,
Mit nimmermüden Armen in den Schuppen schöpft;
Und ob von Brühe schon die Ufer überlaufen,
Stets stülpt er frischen Kehricht auf den garstigen Haufen.

«Prometheus!» tönte plötzlich eine Stimme, dicht
An seiner Seite, nahe seinem Angesicht,
«Prometheus, stolzester der Menschen», strafte sie,
«Was irrst du auf der öden Bergeshöhe hie,
Einsam von Haus und Heimat in die Flucht gestört,
Gleich einem scheuen Wilde, dem der Wald gehört?
Ist das Prometheus, der den Zweifel nie gespürt?
Der Trotzige, der Starke, den kein Schicksal rührt?»
Und wie er, nach der Stimme suchend mit dem Blicke,
Verwundert forschte, wer ihm diese Rede schicke,
Prallt er betroffen rückwärts, jähem Schreck zum Raube,
Und den bestürzten Sinnen mangelte der Glaube:
Vor seinen Augen stand, im Schönheitsonnenschein,
Von Herrlichkeit umjauchzt, von Hoheit hehr und rein,
Ein Weib, wie ihresgleichen nicht die Erde hegt,
Ein Weib, von einer fremden Welt dahergewegt.
Vor ihrem Auftritt flüchteten des Raumes Wände
Lautlosen Aufschreis ehrfurchtgrausend ins Unende.
Und Zeit und Gegenwart versank. War ringsumher
Nichts andres Wirklichkeit, nichts andres Wahrheit mehr
Als ihres sonnenhaften Daseins ruhiger Wille
Und ihr zu Füßen schauernde Erwartungstille,
Die unverrückten Blicks nach ihren Lippen schaute,
Wie wohl ihr Gruß und ihres Mundes Urteil laute.
Und es begann zu ihm und öffnete den Mund
Die Herrliche, und Freundschaft gab ihr Lächeln kund;
Und gleich wie Orgelsturm aus einer Tempelpforte
Rauschte die unverhoffte Botschaft ihrer Worte:
«Prometheus, treuester und edelster der Männer,
Mein tapfrer Freund und unerschrockener Bekenner!
Der Faustschlag, den vom Engelgottes du empfangen
Um meinetwillen, brennt auf meinen eignen Wangen.
Und Trotz hat er entzündet und den Stolz entfacht.
Und Krieg hab ich getanzt und einen Schwur gelacht:
‹Sie sollen tausendfältig, was sie heut dir stahlen,
Mit blutigen Fingern Zins auf Zins dir nachbezahlen.›
Hei Heil! Stimm an! Frohlocke! Laß die Jauchzer gellen!
Laß himmelhoch die Lerchen deines Hochmuts schnellen!
Denn eine Hochzeit, wie der Menschgebornen keiner
Seit Erdenanbeginn erfahren, wartet deiner!
Merk auf und hör! Vernimm, was ich ins Ohr dir lache!
Halt fest an dem Gelöbnis, das ich dir vermache:
Willst du dem schnöd erlittnen Fußtritt zum Entgelt
Den Engelgottes, den Gewaltigen der Welt,
Zu deinen Füßen schauen, deine Gunst erflehend,
Mit heißen Tränen Schuld und Reue eingestehend?
Genügt das zur Entschädigung und Rache dir?
's ist dein. In meiner Hohlhand schlummernd halt ichs hier.»

Wie wenn bei einem Hausbrand ein ersticktes Feuer
Qualmend und dampfend rings dem rauchenden Gemäuer
Nach Luft und Freiheit ratlos sucht und drückt und zwängt
Umsonst; kaum aber daß von Menschenhand gesprengt
Ein Fenster splittert, stechen lichterlohe Flammen
Im Schuß hervor und zipfeln überm Dach zusammen:
So loderte mit einem hellen Freudenschrei
Sein gieriges Gelüste zum Empfang herbei
Und warf die Hände vor in hitzigem Dankgefechte.
Dann plötzlich sich besinnend, schützt er seine Rechte
Über die Augen, keuchte, zitterte und gab
Die schamverwirrte Antwort peinlich stammelnd ab:
«In Demut steh ich, ein Begnadeter, vor dir.
Doch Grauen! welchen sündigen Streit befiehlst du mir!
Er, dessen heiliger Name lautet Kraft und Stärke,
Er, dessen Launen zählen für Gesetzeswerke,
Er, welcher, seine ewigen Arme ausgestreckt,
Zum Zeitenanfang reicht und in die Zukunft reckt –
Und ich, ein schwach Geschöpf, in einem Leib daheim,
Aus Lotterfleisch gebaut und eklem Blut und Schleim,
Nicht anders als ein anderer dem Tode pflichtig,
Im Weltraum mehr nicht als ein Mückenspeichel wichtig!
Wie könnt ich wider ihn die frevle Faust erheben?
Sein ist das Richteramt, das meine: mich ergeben.»

«In Irrtum taumelt», rügte sie, «dein schief Gerede.
Wer spricht von dir? Hand weg! Nicht dir gehört die Fehde!
Ich bins. Ich führe mit dem Engelgottes Krieg,
Und du bist Mittel bloß und Werkzeug mir zum Sieg.
Ein Zweikampf zieht ins Feld. Ein Gleichnis ist im Keimen.
Ein Sprichwort hat man aufgesagt, doch ich wills reimen.
Genug. Jetzt gilt nicht Redespiel und Wörtleintand.
Ich dulde weder Widerwitz noch Widerstand.
Du hast vernommen, was mein Spruch dir angesagt.
Nach deinem Gutbedünken hab ich nicht gefragt.
Zur Bürgschaft aber, daß du immerdar erbötig
Zu leisten, was ich je erachte nütz und nötig,
Entbiet den Eid der Huldigung! Bekenne schlecht
Als meinen Eignen dich und willenlosen Knecht!»

Auf schrie er: «Hilf mir! heile meinen höllischen Zwist!
Ein Zweifel zischelt, ob du nicht vom Bösen bist.»
«Ob ich vom Bösen? fragst du. Ich vom Bösen? Ich?»
Seltsam klang ihre Stimme und absonderlich.
Und wie er furchtsam ihrer Hochgestalt entlang
Die scheuen Blicke zögernd in ihr Antlitz zwang,
Stand umgewandelt eine andre, Unbekannte
Vor ihm. Und Schreck erfaßt ihn, der den Atem bannte.
Auf dem geschloßnen Mund, geheimnisvoll verriegelt,
Auf ihrer freien Stirne war ein Ernst gesiegelt,
Wie solch ein eisiger Ernst ihn niemals früher fror,
Ein Ernst aus einem weltenfernen Schmerzenstor,
Als wenn im Raum sie eine grausige Stätte wüßte,
Davor der Erde Ach und Weh verstummen müßte;
Indes zugleich ein Strom von Mitleid und von Güte
Aus ihrem Odem quoll, aus ihrem Blicke blühte.
Und während noch der Schreckgelähmte, Angsterstarrte
Des Atems nicht genas, kam ihm von ihr: «Ich warte».
Zu Boden brach er plötzlich, das Gesicht im Staube.
«O meine Seele, meine Herrin! Ja, ich glaube.
Und seis zu Schimpf und Schande, seis zur frevlen Sünde:
Hier lieg ich, dein ergebner Knecht. Gebiete! Künde!»

Jetzt, über ihn geneigt, erließ sie feierlich:
«Erhört. Hiemit zu meinem Knechte krön ich dich.
Schade um deine Freiheit und dein junges Leben!
Verwirkt. Kein Rückwärts gilt. In meinen Dienst vergeben.
Streng ist mein Dienst. Auf daß dir Mut und Kraft gedeihe,
Hebe zu mir dein Angesicht, daß ich dich weihe.»
Mit sanftem Finger taufte überm Augenjoch
Sie seine Stirn. Und murmelte das Wörtlein: «hoch».
Hernach die Brust ihm taufend, raunt ihr Murmeln: «rein».
Endlich die beiden Segenshände im Verein
Ob seinem Scheitel ernst und gnadenvoll bewegend,
Beschwor ihr flüsterndes Gebet, die Worte wägend:
«Trost dir in allen Schicksalsnöten! Glück in Tränen!
Ob endlos sich vor deinem Blick die Jahre dehnen,
Geduld! Ob deine Bahn im Finstern schleicht zeitweilig,
Aufrecht! in blindem Schritt dein Wandel schön und heilig!»
Nach dieser feierlichen, freundschaftwarmen Weihung
Sang dichtend sie im Seherton die Prophezeiung:
«Ein Krieger, den des Feldherrn wohlerwogner Wille
Hinter die Schlacht vergraben in die Wartestille,
Allwo er unbeweglich, vom Befehl gelähmt,
Den ungeduldigen Heldenkampfmut standhaft zähmt,
Und ob sein Fuß erfriert, sein Rock vom Rücken fault,
Kein Klagelaut entschlüpft ihm, der Empörung mault;
Ein Heiliger in der Wüste, der, vom Schimpf und Spott
Der Welt verfemt, nicht Kunde hat von seinem Gott,
Von einem tauben Gott, der keine Bitte hört,
Und lahmen, den kein Hilferuf vom Ruhbett stört,
Und hält doch fest an seinem Glauben, läßt nicht los:
Das ist dein treues Abbild, ist dein schmerzlich Los.
Und alles das für eine einzige kurze Stunde
Zuhinterst überm Berg, im grauen Zeitengrunde.
In jener Stunde aber, sag ich dir, da wirst
Du schwindelnd stehen auf des Erdendaseins First.
Um jene Stunde, samt dem Unmaß deiner Leiden,
Sollen die künftigen Menschenvölker dich beneiden.
Und nun zu dir, dem Feind!» In trotzigem Sprunge schnellte
Sie sich, das Auge haßentflammt, hochauf und gellte,
Die Arme schaurig schüttelnd und Beschwörungzeichen
Gespenstig schleudernd mit gespreizten Fingerstreichen,
Zum Allmendfest hinunter durch das Wäldergrab
Dem Engelgottes diesen Urteilsspruch hinab:
«Zur Antwort, daß, um deine Allmachtsucht zu stillen,
Du heute hast den besten Mann um meinetwillen,
Weil er mich nicht verkaufte und mich nicht verstieß,
Den Fürsten, dem die Billigkeit den Thron verhieß,
Den Einzigen, über allem Menschenvolk erhaben,
Gleich einem Schuh verworfen in den Straßengraben:
Unheil auf dich und dein gesamtes Gottesreich,
Im Himmel und auf Erden, überein und gleich!
Unheil auf deinen züchtigen Liebling, den Verräter,
Den braven Überzeugungsbold und Tugendtäter!
Unheil dem ganzen feigen menschlichen Geschlecht!
Sie jauchzen mit: mitschaudern werden sie zu Recht.
Was euer einer unternimmt in allen Dingen,
Und seis zu Nutz und Heil gemeint, es soll mißlingen!
Was Gutes schaffen mögen eure fleißigen Hände,
Es schlage fehl, es kehre sich zum üblen Ende!
Trau nicht dem friedlichen vergnügten Scheingedeihen
Zu Anbeginn, lustvoll durch lange Jahresreihen:
's ist eine falsche, trügerische Blumendecke;
Darunter schafft der Fluch, der Blut braut im Verstecke.
Und wenn dereinst, nach ungezählten Jahren zwar,
Der Same ausgewachsen, die Vergeltung gar,
Dann steigt die Rache zu Gebirg zum Lebensbaum,
Und mit den scharfen Blicken messend rings den Raum,
Greift sie mit hohen Armen aufwärts in die Zweige
Und schüttelt sie, bis daß der Wipfel schwankt zur Neige.
Da rauscht, da stürmt es durch den Baum. Die Blätter brausen.
Hei, wie die faulen Früchte hagelnd niedersausen!
Du aber wankst vergrämt, mit abgehärmten Mienen,
Durch deines Gottesreiches rauchende Ruinen,
Im Schutte stochernd mit dem Stecken, welche Scherben
Du retten mögest aus dem grausigen Verderben.»

So schwur die Seele. Kaum gesprochen, alsobald
Hob sich ein Flügelpaar gespenstisch aus dem Wald,
Lautlos und schleierhaft, von Anblick ungewiß,
Ein Schatten, schwärzer als die Tannenfinsternis.
Tief schwebend steuert er zum Erdental hinüber.
Dann husch, verschwunden. Nichts mehr. Mitternacht darüber.
Doch wo der Unheilvogel durch die Wipfel strich,
Kreischte das Waldgeflügel und entsetzte sich.

Dann huldvoll zu dem knieenden Prometheus nieder
Wandte die Göttin Seele ihre Rede wieder:
«Kehr heim. Nimm einen Spaten, eine Schaufel noch.
Steig in den Garten. In dem Garten stich ein Loch.
Erwürge deines Herzens Kinder sämtlich dann,
Die kleinen Winselhündlein, von dem ersten an
Bis zu dem letzten, alle, und vergrabe sie,
Verschütte sie, damit sie auferstehen nie.
Verschone keins, denn Schmeichler sinds und Torheitkinder
Alle zumal; mit fester Faust, 's ist grausam minder.
Hernach vom Pfostennagel raff den heiligen Lehricht
Der zwölf Gebote, wirf den Unrat in den Kehricht!
Denn Allmendware ists. Kein Ding ist unerlaubt
Dem, der mir dient und der an meine Gottheit glaubt.
Aus meinem Munde ziehe dein Gesetz und Recht.
Was mir beliebt, ist gut; was ich verneine, schlecht.
Nur eine einzige Sünde kenn ich, unverzeihlich:
Mir ungehorchen. Alles übrige ist freilich.
Das Fenster endlich, das dem Menschengau entgegen
Talabwärts schaut, das sollst mit Läden du verlegen,
Auf daß du stündlich inne bleibest: Klüfte gähnen
Und keine Brücke schreitet zwischen dir und jenen.
Denn feige sind sie, jauchzen dem Verräter zu.
Laß zwei Gesellen dir genügen: ich und du.
Auf nun! Halt aus! Und was dich trifft zu leiden, leide!»
Sie sprachs, die Seele, und verschied nach dem Bescheide.

Betäubt, verwirrt, der Zeit und Stunde unbewußt,
Verblieb er knieend, Sinn und Urteil in Verlust;
Doch glückdurchwärmt, als ob vom Nachglanz ihrer Nähe
Der Widerschein mit farbigem Odem ihn umwehe.
Und als er, sich erhebend, wieder die Schalmeien
Des Festes wahrnahm und die lustigen Lichterreihen,
Erwacht ein schönes Lächeln huldvoll und gewogen
Auf seinem Mund, aus Rückerinnerung bezogen,
Gleich einem, der verwundert seinen bösen Zahn
In Händen hält, ungläubig, daß er wehgetan.
Wie er sich heimwärts wandte, wars ein anderer
Prometheus, nicht der scheue Irrewanderer,
Von Groll vergrämt und hässigem Zorn zerrissen mehr.
Beflüggten Ganges, seligkeitbeschwingt und hehr,
Trieb er den Berg hinab, dem Psalm des Friedens lauschend,
Der ihm den Atem ebnete, im Gleichmaß rauschend.

Zu Hause angekommen, folgt er dem Befehle,
Den er empfangen aus dem Mund der Göttin Seele:
Zunächst im Garten würgt er mit dem Mörderstahl
Die Herzenshündlein ohne Schonung allzumal.
Die zwölf Gebote riß vom Nagel er hierauf,
Trat sie in Stücke, warf sie in den Kehrichthauf.
Nachdem er noch das Fenster, das talabwärts schaut,
Dem Menschenvolke zu, verriegelt und verbaut,
Beschloß er: «Abbruch! Alles Kleine ist getötet!
Wenn hinter dieser Nacht der junge Tag sich rötet,
Erwacht ein frommer Mann, bereit zum heiligen Streit,
Und jede Glockenstunde läutet hohe Zeit.
O meine Göttin Seele, welchen reichen Lohn
Zahlt deinem Knechte deine Gnade heute schon!
Sieh mich durch deinen Hauch geläutert und gesundet.
Kein Groll entstellt mein Fühlen mehr, kein Unrecht wundet.
Ein lebend Dankgebet, gestärkt und mutig nun,
Laß meinem Dulderamte mich entgegenruhn.
Mein Leib ist andachtmüd, mein Geist ist wundersatt.»
Und legte sich zur Ruhe auf die Lagerstatt.

Bereits begann der Traum mit seinen krausen Ranken
Ihn zu umspinnen. Sieh, da schwebten die Gedanken
In feierlichen Reigen, ernst und würdeschwer,
Aus untertänigen Augen huldigend, daher,
Baumzweige in den Händen, die ums Haupt sie schwangen
Zum Schritt der Grabeslieder, die sie murmelnd sangen.
Schlief keiner rings im weiten Erdenrund hienieden
Solch einen stolzen, hoheitvollen Schlummerfrieden
Wie der verworfene, um Lohn und Thron gebüßte,
Um Ruhm und Herzensglück, und was die Hoffnung grüßte,
Betrogene Prometheus, einsamkeitumnachtet,
Abseits im stillen Tal, vergessen und verachtet.


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