Heinrich Spiero
Detlev von Liliencron
Heinrich Spiero

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27.
Bunte Beute.

Im Jahr 1900, unmittelbar bevor Liliencron nach Alt-Rahlstedt hinauszog, begann er, da nun die alten Ausgaben seiner Werke langsam ausverkauft wurden, seine Dichtungen in einer ersten Gesamtausgabe zu sammeln. Sie umfaßte neun Bände und ward eröffnet von einem siebzehn Bogen starken Buch: »Kriegsnovellen«, das alle militärischen Geschichten und Skizzen aus den früheren Sammlungen enthielt und so dem Kameraden Georg Freiherrn von Ompteda gewidmet ward. Es folgten »Aus Marsch und Geest«, »Könige und Bauern«, »Roggen und Weizen«, drei Bände, welche die »zivilistischen« Novellen und Übungsblätter aus der »Sommerschlacht«, »Unter flatternden Fahnen«, dem »Mäcen« und »Krieg und Frieden« bargen. Der Roman vom »Mäcen« und »Breide Hummelsbüttel« schlossen sich an. Die letzten drei Bände brachten die Gedichte, während »Poggfred« einstweilen für sich bestehn blieb. Leider hatte Liliencron die alten, bezeichnenden Namen, insbesondere die »Adjutantenritte«, schon 1897 preisgegeben, schrieb er doch dieser militärischen Bezeichnung einen Teil des anfänglichen buchhändlerischen Mißerfolges zur Last. Er vereinigte den Inhalt seiner vier lyrischen Versbände jetzt unter den Aufschriften »Kampf und Spiele«, »Kämpfe und Ziele« und »Nebel und Sonne«. Dieser letzte Band der ganzen Reihe brachte die »Neuen Gedichte« und vierunddreißig seither entstandene oder erst jetzt gedruckte Dichtungen, darunter einiges aus »Poggfred« und eine Huldigung für Hans Thoma, den »deutschen Maler«. Hier stand auch das »Tragische Liebesmahl«, hier das »Wiegenlied«, das nun erst aus dem eignen Erlebnis neu vertieft und durchfühlt erschien.

Im Jahre 1903 folgte der Sammlung ein ganz neuer Gedichtband, die »Bunte Beute«. Hier griff Liliencron, wie so oft vordem, in den Schatz der siebziger und achtziger Jahre zurück; jetzt erst erschien jener frühlingsfrisch gestaltete »Märztag«, jetzt zum erstenmal auch die »Aussicht vom Schlosse« und das Ghasel, »Mein Haus, umschnürt mit Efeuranken«. Vieles andere aber war neu in dem dem jungen Baron Wulff gewidmeten Buche. Im tiefsten bezeichnend nach den »Neuen Gedichten« stand am Anfang der »Aufschwung«. Der Dichter sieht sich

Mitten aus dem Schnee des Nordens,
Weit im Süden, aus der Nacht,
In des Annnuziatenordens
Reicher Herrenmeistertracht 425

auf einer türkischen Stute voller Prunklast einherreiten, eine Allongeperrücke auf dem Kopf. Er trabt durch einen Le-Nôtre-Garten – aber das Prachtkleid des Ritters und des Rosses halten nicht, und wie der Trab zum Galopp wird und es in der Ferne wie Verkündigung orgelt, fällt alles ab, und nackt auf nacktem Pferde, nur ein Schwert in der Rechten, jagt der Reiter einem Klippenfelsen zu. Über Klamm und Schlünde weg klettert, stolpert, jagt das Tier zur Höhe. Und nun hält der Reiter am Ozean:

Wild aufjauchzend vor Entzücken,
Schleudr ich mitten in den Gischt
Weit mein Schwert wie Elendskrücken,
Daß die Welle spritzt und zischt.

So heldisch und so einsam tritt er der größten Natur entgegen, eins mit dem Leben der Elemente, ohne Bangen vor der »Hadesfähre, Ankunft: wann?«, die er, in einem Gedicht an der Grenze von Sommer und Herbst, erwartet.

Alle Töne der gewonnenen Meisterschaft klingen noch einmal empor. Unbesorgt und doch mit feinster Abwandlung geht es in willkürlichen Wanderversen durch die Nacht. Die sich paarenden Krähen werden belauscht, das huschende Wiesel, und dann ist es ganz still.

Aber da ist es mir,
Als höre ich aus ganz ungeheurer Ferne
Das Stampfen von hunderttausend Pufferkolben.
Ganz, ganz leise tönt es her:
Das gleichmäßige Zerstampftwerden der Menschheit.
Das Gemurmel der Welt.

Bei nahendem Morgen wird im eben geöffneten Krug nach den Tönen des selbstspielenden Klaviers mit der schlanken Emma mit der Gräfinnennase ein Walzer getanzt durch die Tür bis auf die Kunststraße hinaus. Und dann geht's nach Hause.

Die Nacht gehört der Liebe
(Diese Nacht gehörte dem Alleinsein),
Der Tag dem Schwert.
Mein Schwert heißt heute
Die Arbeit. 426

Wie aus dem »Märztag« spricht allerzarteste Liebeslyrik aus dem »Heimgang in der Frühe«.

Klanglos liegt der Weg,
Und die Bäume schweigen,
Und das Vogellied
Schläft noch in den Zweigen.

Das ist der Eindruck der »Morgenweihe nach der Liebesnacht«.

Sieht mein Sehnen nur
Blond und blaue Farben?

Blau und Blond verdrängen für einen Augenblick die Wirklichkeit von Himmel und Erde:

Ihrer Augen Blau
Küßt die Wölkchenherde,
Und ihr blondes Haar
Deckt die ganze Erde.

Gebreitete Arme fangen Lust und Leben, bis dann der alte Lieblingsvogel, der einst vor dem Fenster des Operierten sang, die Drossel, laut wird:

Und der Tag erwacht
Still aus Liebesträumen.

Auch aus der hinter ihm liegenden Brettlzeit tauchte noch einmal ein ganz zarter Ton empor, das Duett »Couplet«, überhaucht von einem Klang mitziehender Wehmut, im Mai 1901 gedichtet:

Vergiß es nicht, das alte Heck,
Das zwischen stillen Wiesen liegt,
Wo wir im sicheren Versteck
Uns einst geküßt und eingewiegt.

Mit musikalischer Selbstverständlichkeit gehn diese dem Manne zugeschriebenen Anfangsverse in gemeinsamen Gesang über: 427

Uns eingewiegt in einen Traum,
Der ach so kurz und flüchtig war,
Wie Wolkenzug und Wellenschaum,
Ein Taubenopfer am Altar.

Der volle Sommer wird in knapp gefaßten Sizilianen eingefangen; da liegt die Wiese im »grellsten Sommersonnenmittagsschein«, »von Knicks gefaßt, ein grüner Edelstein«. Der Gedanke an die braune Lise taucht auf, aber die Verwandte der Haidehanne wird vergessen, denn Undine treibt ihr Spiel im Vollmondschein, und alle Elfen leisten ihr Gesellschaft, bis die Elfenwacht vor einem dritten Bilde zerstiebt:

Der Wiese naht sich seltsamer Besuch:
Ein Sarg, beblitzt von einer goldnen Krone,
Bedeckt mit Kränzen und Standartentuch.
Ein Paukenschläger, Trauerbataillone,
Choral, gedämpfte Trommeln, Leichenspruch,
Die Kammerherren, Pagen, Reichsbarone,
Der fernen Glocken tränenschreiender Fluch –
All Leid vorbei und alle Erdenfrone.

Novembernacht im Herbst. Das von allem Anfang an gesungene Lob der Einsamkeit ertönt mit einem heißen Wort gegen Pharisäer, geformt am schmalen Wiesenweg bei sinkender Finsternis:

Wie ein dunkelfahlgelber Kreisausschnitt
Liegt am westlichen Horizont
Der Lichtschein der großen Stadt,
Ein Abglanz ihrer unzähligen Laternen.
Da keucht, rast das Leben.

Manchmal hat es gelockt, heute in der »selbstgewählten, unantastbaren Einsamkeit« lockt es so wenig wie Ehrgeiz und Ruhm,

diese beiden gefräßigen Bestien,

wie der Walzertanz, der Leib und Seele immer noch erquickt. Heut lockt das erleuchtete Häuschen, die Lampe brennt auf dem Arbeitstisch, die Kinder rufen aus ihren Bettchen: Papa, Papa, 428

Gute Nacht, gute Nacht.
Dann gehts an den Schreibtisch.
Und ich stülpe mir über den Schädel
Das Bequemste auf unsrer Erde:
Die große, behaglich schützende, angstmeiergenähte,
Jottedochlaßtmichzufrieden-Nachtmütze
Des Philisters.

So behaglichem Schlußscherz stehn dann in diesem Buch des sicheren Künstlers die Verse jener »Aussicht vom Schlosse« gegenüber, wo alles »muckstill« schläft, und dann zum Schluß des überaus schönen, traumfeinen Gedichts mit einer Ausdruckssicherheit und -feinheit, wie sie nur die Größten beherrschen, der nahende Morgen sich ankündigt:

Weit, weit hinter den Wäldern im ruhigsten, äußersten Morgen
Zeigen sich rötliche Streifen. Es überschütten vom Himmel
Goldene Rosen die Wipfel, den strudelnden Fluß und das Städtchen.

Aber daß Liliencron um drei Menschenalter jünger als Goethe, um zwei als Mörike war, denen die Zartheit solcher Verse verwandt erscheint, erwies die Vollendung seiner Ballade, wie sie die »Bunte Beute« brachte. Da stehn ein paar unbesorgte, humoristische Stücke, wie die »Neue Sintflut«, die Geschichte von dem betrogenen Bauern Marcs Cyprior, der aus Angst vor der Sintflut einen Backtrog mit Essen zurüstet, in einer Hängematte schläft und schließlich, da seine von dem erzürnten Liebhaber verbrannte Frau nach Wasser schreit, seine Taue kappt und durch die Bodenluke in den Tod fällt – schon der alte Langbein (1757 bis 1835) hatte einst diesen Schwankstoff behandelt. Oder Liliencron bringt in einem knappen, forschen Draufgängerrhythmus die Geschichte von dem noblen Falschmünzer, der in Zylinder und Galonhosen sein Gold aus der Bude holt und dabei abgefaßt wird.

Rrrrrutsch, vorbei die Herrlichkeit,
Eigentlich – es tut mir leid.

Aber wenn Liliencron sich so nach Lust und Laune ergangen hatte und ergehn durfte, schritt er in andern Balladenversen zu tiefster Prägung menschlicher Herzenserlebnisse vor. Die »Zwillingsgeschwister« (im Juli 1902 in Alt-Rahlstedt entstanden) lassen in feinster Abmessung ein Erlebnis aus jüdisch-römischer Vorzeit zum Gedicht werden. 429

Trümmer und Asche. Vereinzeltes Feuer
Zuckt noch am Himmel in Garben empor.
Tempel und Straßen und Villen und Scheuer,
Alles zertreten in Schmutz und Geschmor.

Titus hat die Burg Antonia erobert, und wer nicht tot ist, wird als Sklave verschleppt. Ein Zwillingspaar, Kinder des Hohenpriesters, fällt den Siegern »ins Gehark«. Sie werden einzeln an zwei römische Senatoren verkauft, der Knabe in den Norden, das Mädchen in den Süden Italiens. Jonathan wächst »wild wie Simson«, löwenstark und hirschenflüchtig auf dem Lande heran.

In seinen Augen lag silberne Glut,
Königlich trug er die furchtbare Bürde,
Heimlich erhob ihn sein fürstliches Blut.

Auch in Mirjam verleugnet es sich nicht, und sie wird wie er »von unnahbarer Hoheit umdornt«. Auf einem Fest in Rom treffen die beiden Senatoren zusammen und beschließen beim Faustiner die Hochzeit zwischen den schönen Menschenkindern. Immer hat Liliencron in diesem Gedicht den einzig bezeichnenden, oft ganz neuen Ausdruck gefunden – jetzt erhebt sich sein reifer Stil zur stärksten, jede Feinheit der Stimmung sicher wiedergebenden Gewalt, dabei in Worten von einer Zartheit, wie sie nur dem höchsten Muster der Gattung, Goethes rhythmisch verwandtem Gedicht vom »Gott und der Bajadere« eignet.

Sinkende Dämmrung, der Tag geht zu Ende,
Abendrot, nur noch ein blaßgelbes Band.
Still wie im Schlafe verschlungene Hände,
Still wie die Wurzel im tieftiefen Land.
      Unerkannt, im finstern Raume,
      Flüstert drängend die Natur,
      Und die Jugend folgt im Traume
      Ihrer ewig starken Spur.
Sylphenumjachterte ferne Fontäne,
Rosenversunkene klanglose Nacht;
Auf den Granatbaum, auf Quellen und Schwäne
Tüpfelt der Mond seine täuschende Pracht.

Dann das Erkennen und der Tod im tuskischen Meer. 430

Zithern und Zymbeln, davidische Harfen,
Bringen verklingend ein Hochzeitslied her.

Der so das letzte Geheimnis des menschlichen Herzens und der Natur belauschte und wiedergab, vollendete, jung im grauen Haar, seine Ballade noch anders. Der ausgesprochene Aristokrat war doch ganz ein helläugiger und frischer Sohn seiner Zeit. Als einst die Eisenbahnen zuerst durch die deutschen Ebenen rollten und bald die Berge durchbohrten und die Wälder durchschienten, hatte die Romantik geglaubt, mit dem Postillonshorn müsse auch der Ton echter Dichtung verklingen. Justinus Kerner hatte geklagt:

Dampfschnaubend Tier! Seit du geboren,
Die Poesie des Reisens flieht;
Zu Roß mit Mantelsack und Sporen
Kein Kaufherr mehr zur Messe zieht.

Kein Handwerksbursche bald die Straße
Mehr wandert froh im Regen, Wind,
Legt müd sich hin und träumt im Grase
Von seiner Heimat schönem Kind.

Und weiter:

Kein Wandrer bald auf hoher Stelle,
Zu schauen Gottes Welt, mehr weilt,
Bald alles mit des Blitzes Schnelle
An der Natur vorübereilt.

Ich klage: Mensch, mit deinen Künsten
Wie machst du Erd und Himmel kalt!
Wär ich, eh du gespielt mit Dünsten,
Geboren doch im wildsten Wald!

Gottfried Keller aber, lebensgewiß und unbefangen, hatte ihm zugerufen:

Schon schafft der Geist sich Sturmesschwingen
Und spannt Eliaswagen an;
Willst träumend du im Grase singen,
Wer hindert dich, Poet, daran? 431

Ich grüße dich im Schäferkleide,
Herfahrend, doch mein Feuerdrach
Trägt mich vorbei, die dunkle Heide
Und deine Geister schaun uns nach.

Das klingt wie eine Prophezeiung der gegenständlichen und doch alles zur Dichtung emporhebenden Gestaltung, die Liliencron nun dem neuen, täglich an seiner Einsamkeit vorbeirasenden Leben gab, das ihn immer wieder in die Ferne entführte. Takttrommelschlag und Schlachtgeleit, das Vorwärts der Heeressäulen, den Schleichtritt der Patrouillen, das Schwanken der Pinasse auf dem Meere bei Pellworm, den Ritt auf dem schweißfeuchten Hengst zwischen Gezänk und Anspucken der Granaten, den Wiegetrab des Pferdes unter nickenden Bäumen, den Gang durch Redder und Feldweg, die Wagenfahrt durch den grauenden Morgen nach dem Ball, den Marsch der Grenadiere zur Janitscharenmusik – das alles hatte er mit letzter Erfassung der Wirklichkeit geschildert. Jetzt ward auch der Blitzzug mit der Neunzig-Kilometergeschwindigkeit sein, in einer Ende Juni 1901 gedichteten »Eisenbahnballade« (später »Der Blitzzug« genannt); vielleicht das Unbekümmertste, was je in Wortmalerei geleistet wurde, darf Liliencron hier selbstsicher und treffsicher niederschreiben.

Fortfortfortfortfortfort drehn sich die Räder
Rasend dahin auf dem Schienengeäder.
Rauch ist der Bestie verschwindender Schweif,
Schaffnerpfiff, Lokomotivengepfeif.

Auch das rasche Erblicken der vorbeifliegenden Landschaft kann Poesie werden; das zeigt Liliencron hier gegenüber Kerners enger Befürchtung, das zeigt ein Dichter, der die Stille der unendlichen Weite, die Heimlichkeit des umbuschten Waldflecks oft genug eingesogen und dichterisch ausgeatmet hatte.

Länder verfliegen und Städte versinken,
Stunden und Tage verflattern im Flug,
Täler und Berge, vorbei, wenn sie winken,
Traumbilder, Sehnsucht und Sinnenbetrug.

Es kommt eben auf die Augen an, die durch die breiten Fenster schauen, auf den Menschen, der den Seitengang des leise schwankenden Zuges 432 entlang geht und im Anblick der vorbeiziehenden Nähe und Ferne ahnungsvoll schon das ersehnte Ziel vorausschaut.

Mondschein und Sonne, noch einmal die Sterne,
Bald ist erreicht die beglückende Ferne,
Dämmerung, Abend und Nebel und Nacht,
Stürmisch erwartet, was glühend gedacht.

Wer fühlte nicht durch diese packenden Daktylen das unablässige Fahren des kurzen Zuges, der wie ein abgeschossener Pfeil über das Schienengeäder zum Ziele rast. Aber der Dichter ahnt mehr, mitten unter der bunten Gesellschaft, die noch für ein Stündchen, für das letzte, beisammen ist:

Reiche Familien, Bankiers, Kavaliere,
Landrat, Gelehrter, ein Prinz, Offiziere,
»Damen und Herren«, ein Dichter im Schwarm,
Liebliche Kinder mit Spielzeug im Arm.

Dem Dichter schauert etwas anderes durch die Seele, etwas, das den Zug erwartet.

Fortfortfortfortfortfort, glühende Achsen,
Schrillt ein Signal, klingt ein wimmernder Ton?
Fortfortfortfortfortfort, steht an der Kurve,
Steht da der Tod mit der Bombe zum Wurfe?
Halthalthalthalthalthalthalthalthaltein –
Ein anderer Zug fährt mitten hinein.

Das Splittern und Krachen wird uns nicht gemalt, das Ächzen der Verwundeten nicht geschildert – es ist vollkommen unnötig, die feinste Künstlerhand weiß, bis wieweit sie uns zu führen hat, sie entläßt uns jetzt, nachdem das neunfache Halt den Tod der vom Unglück Überfallenen sicher, unüberhörbar angedeutet hat. Aber ein Abgesang kündet uns den andern Tag, wie Liliencron in der Kriegsnovelle gern die Ruhe nach der Schlacht an die Gefechtsschilderung knüpfte. Da finden sich zwischen den verkohlten Trümmern die Reste der Habe aller Reisegenossen und 433

Endlich ein Püppchen, im Bettchen verbrannt,
Dem war ein Eselchen vorgespannt.

Gewiß also, wie es Justinus Kerner einst gesagt hatte: auch wer so durch die Welt fährt, »kommt weiter nicht als bis zur Gruft«. Aber er schelte nicht das Leben, rufen ihm Keller und Liliencron entgegen. Die Sorge, die der römische Dichter hinter dem Reiter wie hinter jedem sitzen sah, hockt auch auf dem D-Zug – möge sie hocken, wenn nur der Reisende wie der Reisige und der Postillon der stillen Schwaben ein volles Leben lebt, es so unvergeßlich zur Kunst zu gestalten weiß, wie Liliencron in diesem Gedicht.

Der bürgerlichen politischen Sehnsucht des deutschen Jahrhunderts hatte schließlich ein Junker das letzte Ziel gewiesen, helläugig für das Leben der Gegenwart und doch bewußt genährt von den alten Mächten, denen er das Beste seiner Art verdankte. Die neue Technik, ganz ein Kind des bürgerlichen Zeitalters, führte ein Junker aus norddeutschem Stamm zur einstweilen letzten und kühnsten Vollendung und hob den Menschen, der Sagensehnsucht nach, in die Lüfte; auch diesem Sieg des Geistes – ich deutete es schon an – hätte Liliencron noch das letzte Wort gefunden, wenn ihm beschieden gewesen wäre, Ferdinand von Zeppelin im Sonnenschimmer über seine norddeutsche Haide steuern zu sehn, wie ihm beschieden war, auf Otto von Bismarcks Spuren, den Degen in der Hand, durch Böhmen und Frankreich zu marschieren und das Erlebte dichterisch bezwingend darzustellen. Dem Leben der neuen Zeit, soweit er es sah, hat Liliencron, dafür zeugt nicht der »Blitzzug« allein, das beschwingte Lied gesungen, dem sich keiner versagen kann, wie er zugleich das stille Geheimnis der Einsamkeit und des Traums ergründete und formte.

Der Lebensdurst Liliencrons kam am Ende der »Bunten Beute« noch einmal zu heißem Ausdruck. »Des Großen Kurfürsten Reitermarsch«, jene geliebte Moltkische Tonschöpfung, durchklingt das große Stanzengedicht, das in Poggfred-Art nach manchem Hin und Her einen Ballsaal schildert. Der Zeremonienmeister bahnt dem Kaiser Tod den Weg, und ihm folgen zwei Engel ohne Flügel, der eine schwarz, der andre weiß, Jugend und Nacht. Ihr Anblick löst noch einmal alte Bilder aus.

Es sinkt die Nacht, die Buchenwälder schweigen,
Ein rasches Bächlein mildert ihre Trauer.
Es sinkt die Nacht, Zypressenzweige neigen
Sich wie ein Netzhang über Grab und Schauer. 434
Es sinkt die Nacht, und schönre Welten zeigen
Uns der Unendlichkeiten erste Mauer.

Die Jugend aber weckt die Erinnerung an dampfenden Acker und perlenden Sonnensegen. Jetzt walzen Nacht und Jugend vor dem Tod; die Hände auf dem Rücken, tanzen sie quer durch den Saal. Der Tanz endet, und der Tod zeigt auf den zuschauenden Dichter. Er wird von der Nacht dem Tode entgegengeführt und fühlt, daß die Sterbestunde naht. Da gewährt ihm der Tod noch einen Kranz:

Tanz mit der Jugend deinen letzten Tanz!

Berauscht, beglückt eilt er ihr zu. Aber als der Walzer vorüber ist, legt ihm die Nacht die Hand um die Schulter:

Ich zeige dir den Wald Vergessenheit,
Da ruhst du traumlos in den Schlaf gebannt,
Da ruhst du aus für alle Ewigkeit,
Da siehst du nichts vom fernen Weltenbrand,
Und wie ein Steingrab ist für dich die Zeit.
    Der Baum, der deine müde Seele kühlt,
    Ist von der ewigen Liebe sanft umspült.

Alle Kleinlichkeit und aller Klatsch sind dann verschwunden, alles Gift ist geheilt. Und so heißt es Abschied vom Vaterland nehmen. Aus tiefstem Herzen tut das der Dichter.

Da liegt vor mir das große Deutsche Reich,
Felsquadernfestgemörtelt Stück an Stück.
Und bräche auch einmal der Außendeich,
Wir schlügen schon die wüste See zurück.
Held Michel, träumt er manchmal noch so weich,
Wacht über seines Herdes Glut und Glück.
    Ein Deutscher war ich stets mit Herz und Hand,
    Und sag es stolz. Lebwohl, mein Vaterland!

Auch die Kirche, der letzte Trost der Armen, soll geschützt werden.

Schon umschleiert magisches Licht die Augen, da naht dem Scheidenden, wie einst dem sterbenden Haidegänger, der höchste Lebenston noch einmal. 435

Takttrommelschlag und Schlachtmusik gellt her,
Trompeten, Tuben, Pauken, Hörnerschrei:
Bataillon Garde (Trio): Ans Gewehr!
Der Finnländer forcht Pulver nit und Blei!
Der Hohenfriedeberger, lorbeerschwer!
Der Torgauer bricht jeden Feind entzwei!
    Das tat die Nacht, eh sie mich übermannt,
    Ich küsse dankbar ihr dafür die Hand.

Mein Lieblingslied: Wilhelmus von Nassauen.
Dann folgt der schönste Reitermarsch der Welt.
Des Großen Kurfürsten. Ihr könnt mir trauen:
Er siegt bis übers höchste Sternenzelt,
Er jubelt mir ins Herz beim letzten Grauen –
Nun sinkt mein Schwert ins reiche Blütenfeld.
    Doch eh mein Sarg die Erde noch erreicht,
    Brüll ich empor, daß alles rings erbleicht:
            Hurra das Leben! 436

 


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