Heinrich Spiero
Detlev von Liliencron
Heinrich Spiero

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20.
München.

Liliencron ging das Herz auf, als er die bayrische Hauptstadt betrat; in Kellinghusen war er der schuldenbehaftete Kirchspielsvogt außer Dienst, von dessen Dichtungen man sich kopfschüttelnd erzählte, ohne daß die Bürger – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehn – sie kannten. In München empfing ihn am 2. Februar 1890 schon auf dem Bahnhof der herzliche Zuruf der Verehrer. Er verblüffte sie freilich, indem er zunächst auf den hochragenden Oberst Heinrich von Reder zutrat, den Hut abriß, sich mit geschlossenen Absätzen verbeugte und meldete: »Gestatten, Herr Oberst, Hauptmann Baron Liliencron.« Reder wehrte im schönsten Bayrisch ab: »Machens keinen Unsinn. Sie sind der Liliencron, und ich bin der Reder. Wir sind hier nicht in Preußen.« Aber Liliencron gab noch lange von der Form nichts auf, auch darin Goethes Autoritätsgefühl verwandt, das diesen von zwei deutschen Kleinfürsten als »freundlichen gnädigen Herren« sprechen ließ. In Liliencrons Briefen an Emil zu Schoenaich-Carolath etwa kam, durchaus nicht zur Freude des Empfängers, der eigentliche Inhalt über gehäuften Formalien schwer zu Wort, und als Liliencron einmal mit einem von ihm sehr geschätzten Dichter zusammentraf, der zugleich ein hohes Amt bekleidete, brachte er den jüngeren Mann durch fortwährende Anrede mit dem Titel und in der dritten Person in leichte Verlegenheit.

Zum erstenmal bewegte sich Liliencron wieder in einer großen Stadt, zum erstenmal wieder konnte er große Kunst auf sich wirken lassen. Hier gab es Theater und Konzerte, hier zuerst sah er ein Hebbelsches Drama, die »Maria Magdalena«, er hörte zum erstenmal, im Gärtnerplatz-Theater, ein Anzengrubersches Bauernstück (nicht ohne daß freilich der Besuch infolge eines rasch angeknüpften Liebesabenteuers vorzeitig abgebrochen wurde). Die Kunst Anselm Feuerbachs ward ihm jetzt erst aus Vorlesungen bekannt, die er an der Universität hörte, und er empfand in dem herben Schicksal des großen Malers ein Gegenstück zu dem Kleists. Er genoß in der Sammlung des Grafen Schack den Anblick Böcklinscher Gemälde, trat in der Alten Pinakothek vor die Meisterwerke der alten Kunst und konnte sich endlich einmal über so vieles aussprechen, was er in Kellinghusen immer in sich verschließen mußte. Kurz: »Ich bleibe hier diesen Sommer. Es war die höchste Zeit für mich. Ich wäre verrückt geworden sonst«, schrieb er, als er erst in München warm geworden war. 302

In dem Hause Königinstraße Nummer vier, in einem bescheidenen Zimmer bei einer Frau Hintermayr, nahm Liliencron Wohnung, ganz nah am Englischen Garten und nahe der Isar, über der im Winter zu seiner Freude ein paar Möwen flatterten. Im gleichen Hause wohnte eine Anzahl Maler, in einer benachbarten Villa Klara Ziegler, und es muß ein hübscher Anblick gewesen sein, als der untersetzte, bewegliche Dichter einmal der brunhildenhaften Schauspielerin einen entlaufenen Hund suchen half. Liliencron gegenüber stand das prächtige Haus Franz Defreggers. Rasch waren überallhin die Freunde in der Stadt erreichbar. Mit derbem Entgegenkommen hatte Michael Georg Conrad (geboren 1846) Liliencron begrüßt; der unermüdliche Streiter gab ja jetzt in München seine »Gesellschaft« heraus. Neben ihm traf Liliencron als eifrige journalistische Vorkämpfer der »Jungen« Julius Schaumberger und Georg Schaumberg. Heinrich von Reder freute sich, je länger je mehr, des Umgangs mit dem Kameraden. Dem Landsmann Wilhelm Jensen konnte der Krankenbesuch von 1887 endlich erwidert werden; es verschlug Liliencron nichts, daß Jensen jetzt in scharfem Kampf mit Liliencrons jüngeren Freunden stand. Das ganze literarische Leben Münchens war aufgewühlt wie das Berlins, und die noch dort lebenden Genossen der Königlichen Tafelrunde Maximilians standen auf dem einen, die Jungen ohne rechte Brücke auf dem andern Ufer eines trennenden Stroms. Mit Martin Greif kam Liliencron zusammen – auch Greif hatte einst das Schwert getragen – und er lernte das jungaufstrebende Malergeschlecht kennen in einem dritten Waffengenossen, Fritz von Uhde, in Gabriel Max, Hugo von Habermann, dem schleswig-holsteinischen Landsmann Momme Nissen und manchem andern. Der junge Hanns von Gumppenberg, damals eben aus dem Seminar von Michael Bernays als junger Dramatiker auf das Münchener Hoftheater gekommen, schloß sich dem jüngeren Kreis an, und der Schlesier Otto Julius Bierbaum, einundzwanzig Jahre jünger als Liliencron, vertauschte das Studium mit der Feder des Zeitungsschreibers. Er war für den ihm persönlich Unbekannten werbend eingetreten, hatte im Jahre 1888 den »lyrischen Hauptmann« in der »Gesellschaft« gewürdigt und ein Jahr später seine »Gedichte« in der Wiener Neuen Freien Presse lebhaft gepriesen, ihn als dritten großen niederdeutschen Dichter zu Hebbel und Storm gestellt. Daß Bierbaum dabei freilich »unsern langweiligen Uniformmilitarismus das poesieverlassenste aller Dinge« nannte, zeigte, wie weit Liliencron in der unbefangenen Lebenserkenntnis dieser groß städtischen Jugend überlegen war; allerdings schloß die 303 Gegenüberstellung der von Bierbaum falsch geschauten Wirklichkeit mit Liliencrons militärischer Dichtung ein doppeltes Lob für Liliencron ein, der rasch mit Otto Julius Freundschaft schloß. Auch später hat der Schlesier noch oft die Feder für den »Bahnbrecher einer neuen lyrischen Kunst in Deutschland« in Bewegung gesetzt; er gab 1892 bei Wilhelm Friedrich die erste Sonderschrift über Liliencron heraus und pries in ihr feinfühlig auch den Erzähler. In einem Wochenbericht der Berliner Kunsthandlung von Amsler und Ruthardt schilderte Bierbaum etwas später (1894), wie ihm einst die »Adjutantenritte« in die Hände gefallen wären und er bei dem Gedichte

Setz in des Wagens Finsternis
Getrost den Atlasschuh –

jenen Schlag verspürt hätte, den echte Kunst immer wieder gibt. Bierbaum rühmte dann nicht nur den Dichter, dessen Verse ihm zum Erlebnis geworden waren, sondern den Menschen, hinter dessen Förmlichkeit beim ersten Begegnen auch er die vornehme Güte eines liebevollen, großempfindenden Herzens erkannte.

Die beiden größten Künstler des damaligen München lernte Liliencron freilich nicht näher kennen: eine Anknüpfung mit Paul Heyse ward nicht gesucht, obwohl Liliencron ihn ja immer wieder gegen die anmaßliche und verständnislose Kritik der Jungen in Schutz genommen hatte; Liliencron hat Heyse später in wärmsten Worten »ehrerbietig« Glückwünsche zum siebzigsten Geburtstag gesandt. Aber der Gegensatz zwischen Liliencrons nächsten Münchener Freunden und gerade dem ersten der älteren Münchener Dichter war in jenen erregten Tagen doch zu scharf. Und mit Henrik Ibsen kam es über eine flüchtige Berührung nicht hinaus; denn Liliencron stand zu Ibsen genau so wie Wilhelm Raabe: er empfand höchste Achtung gegenüber dem Norweger, aber er ward durch seine Schöpfungen nicht warm, sie schienen ihm kalt und leidenschaftslos, fast wie Theodor Fontane bei Ibsen vom »Schaffen aus der Retorte« sprach.

Mit Bierbaum tauchte Liliencron zu München in eine etwas verspätete Künstlerlust hinein; sie stand ihm im Grunde nicht so recht an, so wenig ihn der Münchener Schlapphut und die Sammetjacke kleideten – Carl Busse hat fein bemerkt, daß die älteren Münchener alle nicht wie Dichter, sondern wie Maler aussahen; das gilt auch von den jüngeren. Liliencrons eigentliche Tracht waren doch der Kellinghuser Jägerfilz und die gesteppte Jagdjoppe, wenn er nicht die 304 Uniform trug. Manches verliebte Zwischenspiel in der Stadt, in Schleißheim, in Giesing, am Starnberger See ward mitgenommen und in vollen Zügen das Gebirge genossen, wo dem sinnenfreudigen Mann die bunte Tracht der Älpler besonders in die Augen fiel.

Zu der freien und freundschaftlichen Anerkennung in München selbst trat mancher erfrischende Zuruf von außerhalb: der Kurländer Freiherr Jeannot Emil von Grotthuß sprach sich in Velhagen und Klasings Monatsheften mit rückhaltloser Anerkennung für Liliencron aus, wenn er auch nach des Dichters Geschmack an seinen Versen zu stark das Militärische hervorhob. Liliencron war gegenüber diesem Urteil um so erstaunter, als er von einem ausgesprochenen positiven Christen wie Grotthuß das nicht erwartet hätte – in seltsamer Verkennung der keinem verschlossenen Größe seiner Kunst.

Mit vollen Sinnen genoß Liliencron Formen und Farben des neuen Lebens. Gern ging er an dem schönen Siegestor spazieren und gefiel sich in der Vornehmheit der von diesem Triumphbogen beherrschten Ludwigstraße, wie er überhaupt München gern eine vornehme Stadt nannte. Wohlig umfloß ihn die besondere Fröhlichkeit des Münchener Daseins nach der gequälten Enge der Heimat. Und mancher Sehnsuchtstraum erfüllte sich, als er einmal über den Brenner bis nach Verona fuhr. In dieser so ganz italienischen Stadt erhaschte er wenigstens einen Zipfel von dem Lande, dessen südliche Insel, die Wohnstatt entfernter Vorfahren, ihn unablässig lockte.

Der erste Aufenthalt in der bayrischen Hauptstadt dauerte bis in den Anfang des Aprils. Nach wenigen Wochen in Kellinghusen – eine neue Gabe der Schillerstiftung ermöglichte die Reise – konnte Liliencron zu Anfang Mai in seine alte Münchener Wohnung zurückkehren. Unterwegs war er in Hamburg einen Tag mit Otto Ernst zusammen und erfreute sich an dem Familienleben des Freundes, eigner, unerfüllter Wünsche gedenkend.

Ein bis an den Tod nachwirkendes Erlebnis war für Liliencron die Bekanntschaft mit dem Tondichter Hugo Wolf. Gerade Musik hatte er in Kellinghusen schmerzlich entbehrt und darum in München doppelt froh wieder einmal die Klänge seiner fünf »Liederkönige«, Schubert, Schumann, Loewe, Franz und Brahms, genossen; als eine für ihn neue Entdeckung gesellte sich der damals noch wenig bekannte Österreicher hinzu. Ergriffen von seinen Tondichtungen, hatte Liliencron Hugo Wolf von München aus seine zwei Gedichtbände nach Unterach am Attersee gesandt, durch Conrad dazu ermutigt, und Wolf hatte ihm darauf geschrieben: »Sie selbst werden es am besten zu 305 beurteilen wissen, mit welch geteilten Gefühlen man Gedichte eines unbekannten Autors (verzeihen Sie meine Unbekanntschaft mit Ihren Werken) betrachtet. Wie schnell war jedoch mein Mißtrauen verschwunden, als ich in den beiden Büchern zu blättern begann. Es war mir sofort klar diesmal, ausnahmsweise, wieder einmal einem wirklichen Poeten begegnet zu sein.«

Freilich konnte Wolf zu Liliencrons Dichtungen nicht das Verhältnis finden, das zu ihrer Vertonung genügt hätte; aber er fragte an, ob er nicht eine Operndichtung bekommen könnte, durchaus mit komischem Charakter, und wenn nicht anders, auf der Grundlage von Shakespeares »Sturm«.

Noch im selben Jahre, 1890, kam dann Wolf nach München und trat Liliencron in seinem Zimmer mit den Worten entgegen: »Was bedeutet das Wort Rotspohn in Ihrem Gedichte ›Auf einem Hünengrabe‹?« Am selben Tage sang Wolf Liliencron, Hermann Gura, den beiden Wagner-Dirigenten Hermann Levi und Heinrich Porges und Conrad eine Anzahl seiner Lieder vor und entzückte Liliencron so, daß dieser alsbald sein Gedicht »An Hugo Wolf« heraussprudelte:

Erinnerst du dich der Tage:
Hinter dir saßen
Conrad, der Hüne, und ich.
Du sangst uns
Deine 53
Drei–und–fünfzig
Mörike-Lieder vor,
Und deine zahllosen Wunderweisen
Aus Goethe und Eichendorff.
Wie war das alles neu!
Zum Erstarren neu!
Vorn im Mörike-Heft,
Auf erster Seite,
Hattest du, Bescheidener,
Des Dichters Bild verehrend aufgestellt.
Welcher Tonsetzer tat je so?

Aber Hugo Wolf hatte ja auch nur eine kleine »Gemeinde«, und so stellte sich Liliencron vor, wie Conrad den Tondichter auf den Schultern durch die Menge trug und Liliencron mit einem Fähnchen, das zur Fahne wuchs, mit drei wie trunkene Derwische tanzenden Musikern dem Zuge voranging und rief: 306

Platz da, Platz da, Gesindel,
Ein junger Germanenkönig kommt,
Ein König der neuen Kunst!
Platz da, Platz da, Gesindel,
Ein König kommt!
Und die Deutschen
Griffen entsetzt in ihre Taschen
Und fühlten nach den Billetten
Zu »Mamzell Nitouche«.
Und sie rannten schleunig
Zu »Mamzell Nitouche«.

Freilich ist es auch nach dieser, von beiden nie vergessenen Begegnung zu einer künstlerischen Gemeinarbeit nicht gekommen. Liliencrons »Pokahontas« fand nicht den Weg zu Wolfs Herzen, und der Komponist hat nicht einem Liliencronschen Lied die Weise geliehen.

Liliencron empfand bei der persönlichen Begegnung den herzbewegenden Eindruck körperlicher und geistiger Leiden, die deutlich aus Wolfs Zügen sprachen. Unermüdlich wirkte er für den einmal erkannten Genius. Als er in den Norden zurückgekehrt war, veranlaßte er die Verleger Wolfs, Hamburger Dichtern und Musikern Wolfsche Lieder einzusenden, und schrieb selbst an Hans von Bülow, um diesen für den Österreicher zu gewinnen. Bülow aber antwortete ungemein charakteristisch: »Genehmigen Sie bitte den Ausdruck meines aufrichtigen Bedauerns, in der Wertschätzung des von Ihnen genannten Wiener Lyrikers mit Euer Hochwohlgeboren nicht übereinstimmen zu können. Bei aller Anerkennung seiner reichen, zuweilen blühenden Phantasie befindet sich derselbe noch im Stadium recht vorhöfischen Dilettantismusses, was bei einem so federvorlauten Antibrahmsianer nicht wundernehmen kann.« Bülow fügte, obwohl im eiligen Kofferpacken, noch den Hinweis auf die Bibelstelle Ev. Matth. 12, 31, 32 hinzu, wo die Rede von der Lästerung wider den Geist ist, die den Menschen nicht vergeben werden kann. Liliencron ließ sich nicht beirren und versuchte noch, einen stimmlich hochbegabten armen Hamburger, einen Hühnerhändler, zum Wolfsänger auszubilden – aber leider starb der junge Mensch noch vor der Bewährung seiner Kunst.

War die Tätigkeit für Wolf so recht nach Liliencrons Herzen, so mußte er sich immerhin überwinden, als er an der Begründung der »Gesellschaft für modernes Leben« teilnehmen sollte; denn 307 Vereinsarbeit und Hinaustreten nach außen auf die Tribüne stimmten nicht zu seinem Wesen. Hier aber galt es, der jungen Kunst, der er sich verwandt fühlte, Boden zu schaffen, und so gab er seinen Namen zu dem Aufruf, der im Dezember 1890 aus der Stammecke des Wirtshauses »Zum Parsival« an der Herrenstraße in München hinausflatterte. Die Gesellschaft stellte sich die Aufgabe, »modernen schöpferischen Geist auf allen Gebieten: soziales Leben, Literatur, Kunst und Wissenschaft« zu pflegen und zu verbreiten. Sie wollte Vortragsabende veranstalten, eine Freie Bühne errichten, Sonderausstellungen zusammenfügen und schließlich eine Zeitschrift herausgeben. Am 29. Januar 1891 fand in der »Isarlust« auf einer Insel im Strom die erste Zusammenkunft statt; den leitenden Vorstand bildeten Conrad und Liliencron, Bierbaum und Schaumberger, Gumppenberg, Schaumberg und der Bildhauer Rudolf Maison. Conrad hielt die Eröffnungsrede. Auch für München sei die Zeit gekommen, mit Energie und Klugheit der Moderne eine Pflegestätte zu bereiten; es gelte, manche Vorurteile zu besiegen, manche törichte Furcht zu zerstreuen. Die starken Leidenschaften, die rücksichtslosen Entschleierungen der neuen Kunst erfüllten den Gewohnheitsmenschen mit geheimem Grauen; darum sollten sich erst die Starken und Freimütigen vereinsmäßig zusammenfinden, »damit die Angst- und Heulmeier die Versuche mit der neuen Kunst und Literatur nicht stören.« Dann sprach Bierbaum über deutsche Lyrik von heute, und ihm folgte Hanns von Gumppenberg, der »Deutsche Lyrik von gestern« parodierte und damit um so stürmischeren Widerspruch erregte, als er die drei Münchener Lingg, Heyse und Greif aufs Korn nahm. Auch eine Zeitschrift »Moderne Blätter« ward begründet, während die Freie Bühne, der die Berlinische als Muster vorschwebte, nicht zustandekam.

Diese erste Versammlung war das Vorspiel heftiger Kämpfe, deren Ausfechtung Liliencron andern überlassen durfte. Er selbst hatte in München ununterbrochen gearbeitet, obwohl er nur hatte »leben« wollen. Die fleißige Feder ruhte nicht, und was die nächsten Jahre brachten, war zum guten Teil noch auf diesem Boden gewachsen. Selbst im Angesicht der Alpen, die sich an schönen Sommertagen dem Dichter wieder erschlossen, ward geschaffen und in sonnigen Herbsttagen bei Bierbaum zu St. Heinrich am Starnberger See mancher Vers gefeilt.

Die Geldsorgen rissen bei dem geringen Ertrag der Bücher auch hier nicht ab. Aber trotzdem faßte Liliencron, als er am letzten 308 Januar des Jahres 1891 in den Norden zurückkehrte, die Münchener Erlebnisse in die Worte zusammen: »Ich war so glücklich.« Daß er freilich nicht immer in Bayern bleiben konnte, war ihm klar. Zu fest war er durch die Erlebnisse der Kindheit und dann durch die letzten dreizehn Jahre mit seiner nordischen Heimat verbunden; »ich werde immer wieder in mein liebes Vaterland zurückkehren«, schrieb er dem alten Klaus Groth. Nur nach Kellinghusen sollte ihn der Weg nicht mehr führen, und er machte zunächst in Hamburg Halt, das ihn an einem seiner häßlichsten, naßkalten Nebeltage empfing. Er war zum zweitenmal in den Stadtbezirk getreten, den er einst nach der Rückkehr aus Amerika zuerst aufgesucht hatte – er hat ihn für die Dauer nicht mehr verlassen. 309

 


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