Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

72.

E s war am Vormittage des viel besprochenen Doppelfestes. Ein wundervoller Herbsttag prangte mit all' seinem vom Sommer erborgten Glanze über der reichen Landschaft. In dem Parke wurden nach Angaben Kettenberg's, der selbst zugegen war, von geschickten Handwerkern aus der Stadt Ehrenpforten errichtet, Laubguirlanden, an denen Laternen aus farbigem Papier befestigt waren, von Baum zu Baum gezogen, während auf dem freien Platze jenseits des Teiches, dem Schlosse gerade gegenüber, ein Feuerwerker die Vorrichtungen zu seinen prachtvollen Kunststücken traf. In dem Schlosse selbst lief es geschäftig Trepp' auf, Trepp' ab. Trotzdem man schon acht Tage lang gearbeitet hatte und dabei kaum zu Bett gekommen war, gab es doch noch eine Welt zu thun. Eben war die Nachricht gekommen, daß der Prinz von Loben-Reizenstein selbst, der an Stelle der pensionirten Excellenz von Schnabelsdorf das Corps-Commando interimistisch übernommen hatte, das Fest mit seiner Gegenwart beehren werde. Er hatte freilich gebeten, keine Umstände irgend welcher Art zu machen; »aber du lieber Gott!« sagte die Präsidentin, »man weiß ja, was das in dem Munde der hohen Herren zu bedeuten hat! Eine kleine Aufmerksamkeit: ihr Namenszug in Brilliantfeuer mit einer Krone darüber, ein Tusch bei ihrer Ankunft erfreut sie doch. Man darf es sich ja nicht merken lassen, Kind, daß er im Grunde nur um Deinethalben kommt.«

Camilla lächelte: »Um meinethalben? weshalb sollte er gerade um meinethalben kommen?«

»Willst Du Dich Deiner Mama gegenüber auch verstellen, Du Unart,« sagte die zärtliche Mutter, indem sie mit einer Art von Ehrfurcht das herrliche braune Haar ihrer angebeteten Tochter streichelte. »Habe ich es um Dich verdient, daß Du vor mir Geheimnisse hast? Denkst Du: ich habe nicht gesehen, mit wie verliebten Blicken der Prinz gleich am ersten Abend, als er bei uns war, an Deiner Schönheit gehangen hat? Nein, mein Liebling, so etwas entgeht mir nicht; ich schwelge in Deinen Triumphen!« und sie schloß ihr Herzenskind an ihren Busen.

»Aber er hat mir doch gesagt, daß er nun bald selbst heirathen soll?« meinte Camilla, sich aus der mütterlichen Umarmung losmachend.

»Ja, du lieber Himmel, das ist nun einmal nicht anders bei den großen Herren; sie müssen heirathen aus Staatsinteressen; aber sie behalten dabei doch ihr Herz für sich, und wer kann es ihnen verdenken, wenn sie es der Allerschönsten schenken? Ach, mein Kind, ich kann Dir nicht sagen, wie mein Herz bei diesem Gedanken schwillt! Sein Land ist ja nur klein, aber der Papa sagt, daß sein Einfluß an unserm Hofe ganz immens ist. Denke Dir doch: commandirender General bei der Jugend! Einfluß ist es ja doch, worauf es ankommt. Hast Du Macht über den Mächtigen, so beugt sich Alles vor Dir.«

»Und Schnepper?«

Die Präsidentin zuckte die Achseln: »Er wird sich in ein Schicksal finden, das er sich voraussagen mußte, als er die Frechheit hatte, Deine Hand zu beanspruchen; und findet er sich nicht, desto schlimmer für ihn.«

»Glaubst Du, daß wir so leicht mit ihm fertig werden?«

»Eine schöne und kluge Frau wird immer mit ihrem Manne fertig, mein Kind.«

»Aber er hat mir schon wegen des Prinzen Dinge gesagt, Mama,« –

»Pah! das ist so die erste Eifersucht! so was legt sich. Es kommt darauf an, ob seine Eifersucht größer ist, als sein Ehrgeiz. Und dann, was für Ansprüche kann er denn an Dich machen! Es ist ja geradezu lächerlich, – so ein alter Geck!«

»Ich hasse ihn.«

»Glaubst Du, daß ich ihn liebe? Wir wollen ihm ein Leben bereiten, daß er Dich auf den Knieen um Gnade bitten soll.«

»Es ist doch schade, daß der Wolfgang nicht zu halten war,« sagte das Fräulein sinnend.

»Kind, was fällt Dir denn nur ein?« rief die Präsidentin; »ich kenne Dich gar nicht wieder! Wie kannst Du nur mit einem Gedanken an diesen Landstreicher, diesen Taugenichts denken? Weißt Du denn, daß man ihn allgemein in Verdacht hat, den Münzer befreit zu haben? Der Mensch ist ja geradezu zum Straßenräuber geworden; aber freilich, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Jetzt muß ich mich einmal nach Aurelien umsehen; ich wette, daß sie noch nichts in Ordnung hat; es ist unglaublich, was für Sorgen mir das Mädchen macht.«

Unterdessen war Fräulein Aurelie (noch im Morgenanzuge) in den Park gegangen, um Kettenberg die Nachricht von der bevorstehenden Ankunft des Prinzen selbst zu überbringen, anstatt den Auftrag durch einen der Bedienten ausrichten zu lassen, wie die Mutter es ihr geheißen hatte. Fräulein Aurelie hatte Kettenberg seit den drei Tagen, die er auf dem Gute war, immer nur im Vorübergehen gesehen, und die Gelegenheit, ihn vor ihrer Hochzeit noch einmal ungestört zu sprechen, kam ihr gerade recht. Kettenberg stand in Hemdsärmeln auf einer hohen Leiter und malte mit Kreide einen Namenszug, der hernach in farbigen Lampions ausgeführt werden sollte, auf das Frontispice einer Ehrenpforte, als Aurelie herantrat.

»Na, das kommt noch gerade zur rechten Zeit,« rief der Maler; »fünf Minuten später, und Ihr holder Name hätte hier geprangt. Haben Sie sonst noch weitere Befehle?«

»Die Mama wünscht, daß der Feuerwerker auch irgendwie etwas arrangire.«

»Werde mich mit dem Edlen in Verbindung setzen. Sonst noch etwas?«

»Nein.«

Fräulein Aurelie schien keine Eile zu haben, in das Schloß zurückzukommen; sie setzte sich auf ein paar noch an der Erde liegende Flaggenbäume, und sah zu, wie Kettenberg Schnörkel in Schnörkel zog und oben darüber eine riesige Krone mit ein paar kecken Strichen zeichnete.

»So,« sagte Kettenberg, »das wird ausreichen.« Er stieg von der Leiter herab, zog sich seinen Rock an und blickte prüfend zu seiner Zeichnung hinauf.

»Nicht übel, Fräulein Aurelie? meinen Sie nicht auch?«

»Vorzüglich,« sagte Aurelie.

»Aber Sie sehen ja nicht einmal hin?«

»Was kann Ihnen denn auch an meinem Urtheil noch liegen?«

»Sind wir ein wenig sentimental?«

»Das verlohnte sich bei Ihnen auch der Mühe!«

»Nein wahrhaftig! Da haben Sie Recht. Weshalb sagen Sie das aber m einem so tragischen Ton?«

»Weil Sie ein Treuloser, ein Verräther sind.«

»Das ist gottvoll! ich dachte: Sie hielten heute Hochzeit!«

»Und weshalb thue ich das?«

»Ja, wenn Sie es nicht wissen; ich weiß es gewiß nicht.«

»Sie wissen es nur zu wohl!«

»Auf Ehre!«

»Lügen Sie nicht.«

»Sie werden grob, Aurelie!«

»Haben Sie nicht Antonien's Bild in Lebensgröße gemalt?«

»Ich habe Sie auch in Lebensgröße gemalt; sogar zweimal.«

»Aber Sie sind nicht mit mir nach Italien gereist.«

»Aber da waren Sie ja schon mit dem Baron verlobt!«

»Gleichviel; ich wußte, daß Sie mit ihr davon gehen würden.«

»Nun, das ist wahrhaftig alles Mögliche! Also das wußten Sie! Wußten Sie denn auch, daß meine liaison dangereuse so verzweifelt kurze Zeit dauern würde?«

»Sie lieben sie ja noch!«

»Auf mein Wort und meine Ehre, – nein!«

»Sie sind aber in letzter Zeit sehr häufig bei ihr gewesen.«

»Dafür bin ich aber auch seit drei Tagen hier und arbeite für die Ausschmückung Ihres Hochzeitsfestes wie ein Tagelöhner.«

»Schlimm genug, daß Sie sich nicht schämen, mir meine Hochzeit zu schmücken.«

»Sie sind toll, Aurelie.«

»Das habe ich nicht um Dich verdient!«

Sie waren unter diesem Gespräche in eine Allee gekommen, in welcher man sie von dem Platze aus, wo die Leute arbeiteten, nicht mehr sehen konnte. Aurelie warf sich auf eine Bank und fing in ihrer leidenschaftlichen Weise an, zu weinen und zu schluchzen.

»Aber Aurelie!«

»Laß mich!«

»Mein Gott, ich« –

»Schweig'! ich hasse Dich; ich will Nichts von Dir hören!«

Die junge Dame sprang wieder auf und ging mit raschen Schritten die Allee weiter hinauf. Kettenberg folgte ihr, vergeblich sich bemühend, die Weinende zu beruhigen. So geriethen sie immer tiefer in den Park und zuletzt an einen Platz, wo sich um ein kreisrundes steinernes Bassin, das längst kein Wasser mehr hatte, hohe verwilderte Taxushecken zogen, in deren Schatten bärtige Gartengötter aus Sandstein mit faunischem Lächeln in den verwitterten Gesichtern auf zerfallene und zerfallende Moosbänke schauten.

»Laß mich allein!« sagte Aurelie und stampfte mit dem Fuße.

»In dieser Aufregung – nimmermehr!« erwiderte Kettenberg, einen prüfenden Blick auf die eigenthümliche Umgebung werfend; »Aurelie, liebes, geliebtes Mädchen! wie oft haben wir uns gesagt, daß Du früher oder später einen Andern würdest heirathen müssen; wie oft haben wir darüber gelacht und gescherzt; wie oft hast Du mich versichert, daß ich immer Dein Geliebter bleiben solle – und jetzt, da geschehen ist, was kommen mußte: willst Du mich hassen! Geliebte, sage mir das Eine: daß Du mich nicht dafür hassen willst, daß ich ein armer Maler bin!«

Es lag eine Welt von Schmerz in dem Ton, in welchem der junge Wüstling diese Worte sprach. Sein immer etwas bleiches Gesicht war noch bleicher, seine dunklen Augen sprühten Flammen, seine wirren schwarzen Locken machten das bleiche Gesicht mit den düster lodernden Augen noch verführerischer für die leichtfertige, phantastisch-sinnliche Aurelie. Sie verglich im Geist diesen dämonischen Menschen, der ihr immer unvergleichlich schön erschienen war, mit dem eleganten, gutmüthigen, schwachköpfigen, blasirten Dandy, den sie in wenigen Stunden ihren Gemahl nennen sollte, und sie warf sich, weinend, schluchzend, küssend, Liebesschwüre stammelnd, an Kettenberg's Brust.

»Aurelie, Geliebte!« flüsterte Kettenberg zärtlich, während seine Blicke noch einmal schnell die Verschwiegenheit des Ortes prüften; »ich bin Dein, auf ewig Dein, wenn Du mein sein willst.«

»Dein, auf ewig! auf ewig!« schluchzte Aurelie.

In den hohen Taxushecken zischelte es ironisch. Die bärtigen Gartengötter schienen vor Vergnügen auf ihren Bocksfüßen zu hüpfen, mit den krummen, steinernen Fingern auf die Liebenden zu deuten und sich mit den dicken Satyrlippen zuzuflüstern: auf ewig, auf ewig!


In dem lichterfüllten Schlosse wogte und summte es, wie in einem Bienenstock; aus den hohen, zum Theil geöffneten Fenstern des großen Saales schmetterten die Klänge der Walzer und Polka's, in dem Parke drängten sich die Dorfleute, um die Illumination, an der sich die Herrschaften längst satt gesehen hatten, anzustaunen: die unzähligen Laternen von buntem Papier, die sich in kühnen Guirlanden von Baum zu Baum schlangen, die mit Lampions besäeten Triumphbogen, die ungeheuren Flaggenbäume, von der riesige Fahnen lässig im lauen Abendwinde wehten; und wenn der Feuerwerker nun gar eine der übrig gebliebenen Raketen steigen ließ, so war der freudigen Ach's und Oh's kein Ende. Auf dem Hofe stampften feurige Rosse vor herrlichen Equipagen; besondere Bewunderung erregte der Galawagen des Prinzen; man hatte noch nie einen so hohen Kutscherbock, noch nie einen Jäger mit einer so glänzenden Livree gesehen. Wenn der Schein der Pechkränze, die in den eisernen Kandelabern vor der Thür brannten, recht hell aufflackerte, sah es aus, als ob der ganze Hof in Flammen stände.

Der alte General, welcher trotz seiner Gebrechlichkeit, die allgemeines Mitleid erregte, dem Feste von Anfang an beigewohnt, hatte, nachdem er auch noch den Prinzen bewillkommnet, um die Erlaubniß gebeten, sich für heute Abend in seine Gemächer zurückziehen zu dürfen. Se. Hoheit hatte es sich nicht nehmen lassen, »den ehrwürdigen Veteranen« selbst an seinem Arm bis an die Thür des Saales zu geleiten, und war hier unter Versicherung seiner und der Allerhöchsten Gnade, deren Ueberbringer zu sein er speciellen Befehl habe, von ihm geschieden. Der General war sodann, auf seinen Kammerdiener gestützt, die Treppe hinab, die Corridore entlang, bis in sein Schlafzimmer geschwankt, hatte sich die Uniform aus- und den sammetnen Hausrock anziehen lassen, die weiten Pelzstiefel mit noch weiteren Pelzschuhen vertauscht, und saß nun, zusammengebrochen, mit den gerötheten Augenlidern zwinkernd, in seinem Lehnstuhl vor dem Kamin, in welchem trotz des warmen Abends ein helles Feuer prasselte.

Das letzte Jahr hatte den General aus einem alten, trotz seiner skelettartigen Magerkeit immer noch stattlichen Mann zu einer Mumie gemacht; sein Adlergesicht hatte den unheimlichen Ausdruck eines Todtenkopfes angenommen. Seine Hände waren zu Vogelkrallen geworden; es war nur ein Schatten von dem grauen Tyrannen, der noch vor einem Jahre seine Diener prügelte, oder ihnen Alles, was in den Bereich seiner Hände kam, an die Köpfe warf. Aber aus den schwarzen Augen blitzte es von Zeit zu Zeit noch immer; freilich nicht mehr mit der alten Berserkerwuth, wohl aber mit der hämischen Bosheit einer schlechten Seele, die sich ihrer Machtlosigkeit nach Außen bewußt ist, und den Feind, den sie mit den Händen nicht mehr zerreißen kann, mit Blicken vernichten möchte.

Der Alte saß und nickte und zwinkerte mit den Augen und meckerte ein seltsames unheimliches Lachen und nickte wieder wie im Halbschlaf, wandte sich dann plötzlich zu dem Kammerdiener, der im Hintergrunde des Zimmers mit dem Bett beschäftigt war und sagte mit widerlicher Freundlichkeit:

»Jean, lieber Jean!«'

Der Mensch kam herzu und stellte sich links neben den Lehnstuhl (der Alte konnte seit geraumer Zeit den Kopf nicht mehr nach Rechts drehen).

»Was befehlen, Excellenz?«

»Wieviel sagtest Du doch, daß Dir der Präsident, der Dich zu mir geschickt hat, dafür gäbe, wenn Du ihm Alles getreulich meldest, was hier auf dem Schlosse vorgeht?«

»Ich hab's Excellenz schon wer weiß wie oft gesagt,« erwiderte der Mann (derselbe, der einst in Antonien's Diensten gewesen war) mürrisch.

»Sag's mir noch einmal, lieber Jean!«

»Funfzig Thaler.«

»Sehr gut. Und wieviel giebt Dir Herr von Schnepper, daß Du ihm Alles meldest, was hier vorgeht?«

»Auch funfzig Thaler.«

»Sehr gut. Und wieviel gebe ich Dir, daß Du ihnen nur Lügen erzählst?«

»Hundert Thaler.«

»Und dafür belügst Du uns nun Alle zusammen; sehr gut, sehr gut;« und die Mumie meckerte und hüstelte und nickte und zwinkerte mit den rothen Augenlidern und sagte:

»Jean, lieber Jean.«

»Ich bin noch hier.«

»Aha! Jean, wo ist der Advocat, der die Contracte für die jungen Eheleute gemacht hat?«

»Er arbeitet oben.«

»Weißt Du, woran er arbeitet, Jean?«

»Was geht das mich an?«

»Er macht mir ein neues Testament; Du wirst auch darin bedacht, Jean; kriegst fünfhundert Thaler, wenn Du mich bis an mein Ende gut behandelst.«

»Das glaube ich nicht.«

»Sollst es selbst lesen; sollst es selbst unterschreiben.«

In dem grauen Fuchsgesicht des Kammerdieners zuckte es eigenthümlich; er warf einen unruhigen Blick auf die Fenster, durch welche die Nacht schwarz hereinsah, und blickte dann wieder auf die Mumie herab, die vor ihm nickte und meckerte. Dann sah er nach der Uhr, die auf dem Sims des Kamins stand und auf halb Zehn wies. Seine Unruhe schien sich zu vermehren; er ging in dem Zimmer hin und her; es hatte bereits zweimal an die Thür geklopft, und der Alte ungeduldig Jean, Jean! gerufen, bevor er ging und öffnete.

Es war der Pfarrer Ambrosius, der in gewohnter Weise rasch hereintrat, bis dicht an den General heranschritt, mit dem dicken Stock auf den Teppich stampfte und in rauhem Tone sagte: »Da bin ich.«

»Aha,« sagte die Mumie, mit Mühe den Kopf etwas nach oben wendend: »ist der liebe Pfarrer Ambrosius. Verlaß uns, Jean, und wenn ich klingle, geh' hinauf zum Herrn Notar, und bitte ihn, zu mich zu kommen; er wird bis dahin wohl fertig sein.«

Jean verließ mit einem schielenden Blick auf den Pfarrer das Zimmer. Ambrosius rückte sich einen Stuhl an die Seite des Alten vor den Kamin und sagte:

»Was wollen Sie denn schon wieder einmal von mir? Und warum schicken Sie denn immer zu so ungelegener Zeit? Wenn ich nicht gerade unten im Dorf zu einem Sterbenden gemußt hätte, so hätte Sie der Teufel besuchen mögen, nicht ich. Was wollen Sie denn?«

Ambrosius rieb sich die Hände vor dem Feuer und fuhr ärgerlich fort: »Ich habe nicht lange Zeit. Meine arme Nichte ist, seitdem der Münzer befreit ist, in einem Fieber von Aufregung und heute Abend ist es schlimmer, als je. Ich möchte nicht länger, als nöthig ist, von Hause sein. Na, wird's?«

»Lieber Ambrosius,« sagte der Alle, »ich will katholisch werden.«

Ambrosius sprang von seinem Stuhle auf.

»Hole Sie der Teufel,« rief er; »geht die alte Litanei von vorne an. Hören Sie, Herr, ich habe Ihre Narrenspossen nun satt. Ich sage Ihnen noch einmal und zum letzten Mal, daß ich von diesem Unsinn nichts mehr wissen will. So oft Sie Ihr böses Gewissen plagt, wollen Sie katholisch werden. Als Sie im Gefängnisse saßen, haben Sie es auch gewollt; der Erzbischof hat sich fast die Finger Ihretwegen abgeschrieben, und als man Sie hernach herausließ, lachten Sie sich in's Fäustchen. Meine Schuld ist es nicht, daß man Sie nicht gehangen hat. Ich habe – um Ihnen doch einmal reinen Wein einzuschenken – den anonymen Brief an den Oberstaatsanwalt geschrieben, denn der Balthasar, der arme Schelm, hatte mir schon früher gesagt, wo der Jürgens begraben lag. Ich habe den Brief geschrieben, weil ich überzeugt bin, daß Sie den Jürgens todt geschlagen haben; ja, ja, machen Sie mir so giftige Augen, wie Sie wollen. Sie haben ihn todt geschlagen; die alte Vettel, die Schmalhans, mag geholfen haben; aber der eigentliche Todtschläger sind Sie. Nun wissen Sie meine Meinung.«

Die Mumie zitterte vor Angst und Wuth.

»Und wenn ich ihn todt geschlagen habe, was will man mir thun? Sie haben mich freigesprochen. Niemand kann wegen derselben Sache zweimal vor Gericht gefordert werden.«

»Nun, so seien Sie doch zufrieden! Wenn Sie von dem Menschen nichts zu fürchten haben – vor dem Teufel fürchten Sie sich, so viel ich weiß, nicht.«

»Doch,« sagte die Mumie; »doch Pfarrerchen, ich fürchte mich; nicht jetzt, aber in der Nacht. Ich habe in der Nacht so böse Träume; und sehe, wenn ich wachend im Bett sitze, so schreckliche Gesichter; und darum will ich katholisch werden, Pfarrer; ich will's mich auch was kosten lassen; ich habe ein neues Testament gemacht; habe Sie auch bedacht, Pfarrerchen, kriegen tausend Thaler; und Schloß Rheinfelden soll ein katholisches Central-Waisenhaus für die ganze Provinz werden; die Einkünfte vom Gut kriegt die Anstalt; ist dreimalhunderttausend Thaler werth, Pfarrerchen, dreimalhunderttausend Thaler!«

»Dummes Zeug!« sagte Ambrosius.

»Ist bei Gott wahr, Pfarrerchen; oben sitzt der Notar und schmiert das Ding zurecht; habe mir das Testament, das mir der Schnepper in die Hände dictirt hat, vom Gericht wiedergeben lassen. Die Canaille wollte Alles für sich haben; mußte Alles der frechen Hexe, der Camilla verschreiben. Hat dafür falsch Zeugniß abgelegt, Pfarrerchen; hat gesagt: der Jürgens wäre gefallen; hi, hi, hi! müßte ein närrischer Fall gewesen sein! Nun stiftete ich ein katholisches Waisenhaus und das baare Geld sollen sie unter sich theilen; sind auch noch fast zweimalhunderttausend Thaler; ist das nicht billig, Pfarrerchen, he?«

Ambrosius hatte, den großen Kopf auf die Seite geneigt, aufmerksam zugehört. Wenn dies sich so verhielt, war es nicht von der Hand zu weisen. Er hatte immer dafür gesprochen und gewirkt, daß für die Waisen mehr geschehen müsse; es war gerade diese Frage ihm sehr an sein rauhes edles Herz gewachsen. Wenn sich die Verwandten noch außerdem so viel zu theilen hatten – es war genug und mehr als genug für sie.

»Verhält sich dies Alles so?« fragte er.

»Bei Gott! bei Gott!« meckerte die Mumie.

»Lassen Sie den Notar kommen; ich muß mich davon überzeugen.«

Der Alte zog an dem Glockenzuge, der neben seinem Stuhl von der Decke herabhing. Nach einigen Minuten führte Jean den Notar herein.

»Habe Sie Alles fertig?«

Der Notar verbeugte sich und nahm an dem kleinen Tische vor dem Kamin Platz.

»Lesen Sie!« sagte der Alte, »und der Jean kann hierbleiben, als Zeuge.«

Der Notar las das Testament, das er nach den Angaben des Alten angefertigt, vor. Es verhielt sich Alles, wie dieser gesagt hatte.

»Ist dies nun rechtskräftig?« fragte der Alte.

»Es fehlt nur noch Ihre Unterschrift, Excellenz, und die Unterschriften der beiden Zeugen.«

»Halt,« sagte Ambrosius, »ich will nichts haben. Vertheilen Sie die tausend Thaler unter ihre übrigen Leute; ich sehe nicht ein, weshalb dieser Herr in der weißen Cravatte so sehr bevorzugt werden soll.«

Der Kammerdiener Jean lächelte und sagte: »Ja, gewiß, Ehrwürden.«

Der Notar machte, da Ambrosius auf seinem Willen bestand, den nöthigen Nachtrag. Die Unterschriften standen unter dem Document. Der Notar erhob sich und sagte, daß er in die Stadt, wohin ihn wichtige Geschäfte riefen, zurück müsse. Er werde das Testament in Verwahrsam nehmen und morgen früh auf dem Gerichte deponiren. Ambrosius, noch ganz erstaunt über die sonderbare Wendung, welche die Verhandlungen mit dem General genommen hatten, wollte dem Advokaten folgen; aber der General rief ihn zurück:

»Pfarrerchen, auf ein Wort! Nicht wahr, Pfarrerchen, Ihr macht mich nun katholisch und kommt alle Tage zu mir herüber. Ihr seid der einzige Mensch, zu dem ich Vertrauen habe. Ihr haltet mich für einen verfluchten alten Sünder – ich weiß es wohl – aber Ihr seid doch ein guter Mensch, und werdet Euch meiner annehmen. Die da oben« – der Alte wies mit dem Finger nach der Zimmerdecke – »würden mich vergiften, wenn sie könnten. Und darum habe ich sie enterbt, ist das nicht recht und billig, Pfarrerchen?«

»Wir reden noch darüber,« erwiderte Ambrosius; »Sie sind ein merkwürdiger Kauz, an dem man Theil nehmen muß, trotzdem Sie, wie Sie selbst sagen, ein verdammter alter Sünder sind. Ich spreche Morgen wieder vor; adieu für heute.«

»Adieu, Pfarrerchen, adieu, adieu!

Der Kammerdiener Jean hatte den Pfarrer durch des Generals Wohnzimmer und den mit Gewächsen aller Art reich decorirten, hell erleuchteten Gartensaal begleitet, dessen Thüren weit offen standen und von neugierigen Dorfbewohnern umlagert waren. Der Pfarrer schlug den ihm nun wohlbekannten Weg durch den Park ein; Jean mischte sich unter die schaulustige Menge und streifte, wahrend er sich »die Leutchen« anzusehen schien, an ein paar Menschen – einem Kerl, der sich den Hut tief in's Gesicht gezogen hatte, und einem Weibe, das einen grünen Schleier von ihrem zerknitterten Hute herabhängen ließ, – vorüber. Er raunte den Beiden ein paar Worte zu. Die lösten sich von den Schaulustigen ab und verschwanden hinter den dichten Büschen der Terrasse links von dem Portale, die sich unter den Fenstern der Zimmer des Generals hinzog und für das Publicum abgesperrt war. Der Kammerdiener folgte ihnen.

»Wie steht's,« sagte der Kerl mit dem Schlapphut, »ist er nun endlich allein?«

»Ja; es kommt heute Niemand mehr zu ihm; aber er ist noch nicht zu Bett.«

»Verdammt! es ist die höchste Zeit; die Leute fangen schon an wegzugehen; es wird auffallen; wenn man uns hier herumstreifen sieht.«

»Höre, Kilian,« sagte Jean, »sollen wir es lieber doch lassen? der Alte kann nicht lange mehr leben; wir haben es dann bequemer.«

»Ja, Du! aber wir!« sagte das Weib, das bis dahin geschwiegen hatte; »Kilian muß fort, das weißt Du recht gut; mit mir, denkst Du, kannst Du hernach umspringen, wie Du willst. Aber wir wollen Dich lehren, Flausen machen, Du erbärmlicher Haarkräusler, Du!«

Und Brigitte schlug den grünen Schleier zurück, und fuchtelte dem in der weißen Cravatte mit ihrer knöchernen Faust unter der Nase.

»Meinetwegen,« sagte Jean ärgerlich; »er hat mir freilich fünfhundert Thaler in seinem Testament vermacht.«

Brigitte lachte. »Bist verrückt,« sagte sie, »fünfhundert Thaler! und der Alte hat Hunderttausende in seinem Schrank! Willst Du, oder willst Du nicht? Du findest den Schlüssel Dein Lebtage nicht, wenn Du auch den Alten allein würgen wolltest.«

»Nehmt doch nur Vernunft an,« sagte Jean, »ich will ja! Aber es bleibt bei der Verabredung! Ihr thut's und ich schlage nachher Lärm, denn sonst fällt der Verdacht gleich auf mich.«

»Ja, ja!« brummte Kilian.

»Ich habe den Fensterladen aufgelassen,« sagte Jean; »er wird ihn zu haben wollen, wenn ich ihn zu Bett bringe; dann werde ich das Fenster aufmachen, als ob ich den Laden nicht zukriegen könnte. Dann haltet ihr die Leiter bereit.«

»Will schon,« sagte Kilian, »mach' nur, daß Du auf Deinen Posten kommst.«

Der Alte war, nachdem Ambrosius ihn verlassen hatte, noch ein paar Minuten, zwinkernd, nickend, sein heiseres Lachend meckernd, vor dem Kamin sitzen geblieben; dann erhob er sich, hinkte nach der Thür zu seinem Wohnzimmer, die er abriegelte, dann nach einer dunkeln Ecke des Zimmers, wo er aus einem unscheinbaren Kästchen einen kleinen Schlüssel nahm. Mit diesem humpelte er zu dem eisernen Schranke, der neben seinem Bette stand, schloß denselben auf und nahm eine Chatulle heraus, die er auf das Tischchen neben seinem Lehnstuhl vor den Kamin trug. Die Anstrengung hatte ihn ganz erschöpft; er saß, zusammengefallen, keuchend, hüstelnd da. Dann, als er wieder zu Athem gekommen, drückte er an die Feder der Chatulle und nahm die Papiere, die in derselben sorgsam aufeinandergeschichtet waren, heraus. Es waren Staatsschuldscheine, Pfandbriefe, Kassenanweisungen von höchstem Werth. Seine runzlichen, schwärzlichen Hände zitterten, während er die Papiere eins nach dem andern an das Licht der Lampe hielt und durch seine Brille betrachtete. So oft er mit dieser Betrachtung fertig war, warf er das Papier auf die glühenden Kohlen und glimmenden Scheite im Kamin, und jedesmal, wenn die Flamme hell aufflackerte, kicherte er und murmelte: »Tausend weniger; tausend Stiche, die ich Euch in's Herz gebe, verdammte Brut; – zweitausend, nichts sollt ihr haben; – dreitausend; ja tanzt und scharrt mir nur über dem Kopf; euch soll das Tanzen schon vergehen; – vier-, fünf-, sechstausend, das wäre ein Fressen für die Brut!« – So fuhr er fort zu kichern und zu murmeln, bis der Kasten geleert war. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, hüstelte und kicherte und nickte – starrte in die glühenden Kohlen, auf denen jetzt eine, leichte schwarze Asche sich hob und senkte, nickte wieder, nickte tiefer und tiefer und träumte: Jean käme zur Tapetenthür in dem Alkoven herein und schlich leise über den Teppich nach dem Fenster, das er leise, ganz leise öffnete, und durch das Fenster streiche die Nachtluft kalt herein, kälter, immer kälter, und zwischen die Kohlen im Kamin und ihm selbst schöbe sich langsam das Gesicht des Kilian und starrte ihn mit gierigen Augen an.

Mit einem Angstschrei fuhr der alte Mann aus seinem lethargischen Zustand in die Höhe. Er hatte das Gesicht des Kilian nicht geträumt; da kauerte der Mensch vor ihm und reckte die Hände nach seinem Halse. Er griff nach der Klingelschnur und riß daran mit der Kraft der Verzweiflung.

»Schneid' die Schnur durch, Hallunke!« rief der Kilian, indem er sich auf den Alten stürzte …

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·

»Warum hast Du die Schnur nicht durchgeschnitten, Dummkopf?«

»Ich konnte nicht.«

»Verfluchte Memme!«

»Macht daß Ihr fertig werdet!« sagte die Stimme der Brigitte vom Fenster her.

»Der Schrank steht auf, es ist nichts darin!« flüsterte Jean, der an allen Gliedern zitterte.

»Du hast ihn schon vorher bestohlen, Du Schuft!«

»Macht, daß Ihr fertig werdet!«

»Wo sollen wir denn nun suchen?«

»Es kommen Leute den Corridor herauf,« keuchte Jean, der an der Tapetenthür horchte.

Kilian horchte ebenfalls. Es war kein Zweifel; man hatte das furchtbare Läuten gehört; man kam, zu sehen, was es gebe. Der Mensch stieß einen gräßlichen Fluch aus, sprang nach dem Fenster und schwang sich hinaus. Jean, der sich mit dem Todten allein sah, und die Leute ganz nahe hörte, und in seiner Angst den Schlüssel, den er hatte fallen lassen, nicht wieder finden konnte, eilte dem Mörder nach. Man klopfte an; man rief; man klopfte wieder. Einer, der entschlossener war, als die Anderen, stieß die Thür auf – da lag die alte Excellenz in dem Lehnstuhl vor dem Kamin – erwürgt. Die Knochenhand hielt noch den Griff des Glockenzuges umfaßt. Der eiserne Geldschrank stand auf – die leere Kassette auf dem Tisch – das offene Fenster, an dem noch die Leiter lehnte – Mord, Mörder, Mord! so heulte es in der Stube, die Corridore entlang, die Treppen hinauf bis in die hohen lichterfüllten Räume, in denen beim jubelnden Schalle der Trompeten und Hoboen die Hochzeitsgäste sich im Tanze drehten …


Die, welche darauf gewettet, daß Frau Antonie von Hohenstein, trotz aller Gerüchte, die ihren Namen mit der Flucht Münzer's in Verbindung brachten, trotz aller Haussuchungen, durch die man sie beleidigt hatte, auf dem Zauberfeste in Rheinfelden erscheinen werde, hatten gewonnen. Antonie war gegen acht Uhr gekommen, und hatte die Equipage wieder nach Rheineck zurückgeschickt, – ein Beweis, daß die gnädige Frau entschlossen war, den Handschuh, den ihr die Gesellschaft etwa hinschleudern könnte, aufzunehmen. Aber, wenn – woran nicht zu zweifeln war – ein Theil derselben wirklich in feindseliger Stimmung gegen die Dame war, die es gewagt hatte, Münzer's Gattin während der Proceßverhandlung in ihrem Hause zu bewirthen, und vielleicht auch beschlossen hatte, dieser Stimmung Ausdruck zu verschaffen, so machte doch die Schönheit der Sünderin das strenge Gericht, das über sie ergehen sollte, zu nichte. Antonie war noch keine Viertelstunde in dem Saal, als sie sich von Bewunderern umgeben sah, wie in ihren glänzendsten Tagen. Und in der That schien es kaum möglich, einer so zauberhaften Erscheinung nicht zu huldigen. Selbst die fanatischen Anbeter Camilla's mußten einräumen, daß diese junge Dame sich weder an stolzem Wuchs, noch fesselnder Schönheit des Gesichtes mit dieser Nebenbuhlerin messen könne, von der Anmuth der Bewegung und der Gewandtheit in der Conversation – Eigenschaften, in denen Antonien's Meisterschaft anerkannt war – ganz zu schweigen. Se. Hoheit sogar, der sich bis jetzt fast ausschließlich mit Camilla beschäftigt hatte, ließ sich Frau von Hohenstein, die er heute zum ersten Male sah, vorstellen und äußerte gegen seinen Adjutanten: »Vollblut, auf Ehre, Nadelitz, reines Vollblut!« – welches geistreiche Wort natürlich in zehn Minuten die Runde durch den Saal machte. Freilich schien es die schöne Frau heute Abend auch darauf abgesehen zu haben, einen vollkommenen Triumph zu feiern. Sie strahlte von Diamanten und hinreißender Liebenswürdigkeit – und diese Liebenswürdigkeit stand dem blassen Gesicht und dem dunklen Lodern der unergründlichen Augen so sonderbar! »Wenn ich eine Sphinx oder eine Meduse zu malen hätte – Sie müßten mir dazu sitzen!« flüsterte Kettenberg, indem er sich über die Lehne ihres Stuhls lehnte.

»Ah, da sind Sie!« rief Antonie, »ich muß Ihnen doch auch mein Compliment über Ihre Arrangements machen. Alle Welt ist Ihres Lobes voll.«

Sie stand auf und trat, scheinbar in gleichgültigem Gespräch mit dem Maler begriffen, in eine Fensternische:

»Heute!«

»Wann?«

»Um zehn.«

»Alles steht gut?«

»Ja; und hier?«

»Vortrefflich! ich spiele meine Rolle aber auch zum Entzücken – toller, als je, sage ich Ihnen. Haben Sie keine Sorge, gnädige Frau, daß man uns beargwöhnt. Die hier« (und der Maler wies mit dem Daumen über die Schulter in den Saal) »haben genug mit sich selbst zu thun. Ich sage Ihnen: hier gehen Dinge vor!« –

»St! wir werden beobachtet! lassen Sie mich allein!«

Der Maler beschrieb mit der rechten Hand einige kühne Bewegungen, lachte laut, verbeugte sich und trat von der Nische zurück.

Der Obrist von Hohenstein strich, wie von ungefähr, an der Stelle, wo Antonie stand, vorbei und sagte, als er in ihrer unmittelbaren Nähe war:

»Krieg oder Frieden?«

Antonie antwortete nicht; ihre Augen sprühten Blitze tödtlichen Hasses; sie fuhr mit der rechten Hand nach ihrem Herzen und ließ dieselbe dann langsam wieder sinken.

»Pah,« sagte der Obrist; »Sie sollten vernünftig sein und Frieden mit mir machen; er ist ja nun fort, oder doch passabel sicher versteckt; was wollen Sie mehr?«

Antonie antwortete nicht, regte sich nicht. Der Obrist zuckte die Schultern und ging weiter. Er hätte viel darum gegeben, wenn Antonie auch nur eine Spur von Vergebung hätte blicken lassen. Worüber brütete sie? Der Obrist war ein tapferer Mann, aber Antonien's Haltung war ihm sehr unheimlich. Er hatte schon die verschiedensten Versuche gemacht, sich ihr wieder zu nähern; immer war er wie heute zurückgewiesen worden. Er hatte sich vorgenommen, sich die schöne Frau und das Verbrechen, das er an ihr begangen, aus dem Sinne zu schlagen; aber es war ihm unmöglich. Wie mit magischer Gewalt zog es seine Gedanken wieder und immer wieder auf den einen Punkt. Er wußte nicht, ob er Antonie liebe oder hasse; das eine Mal hätte er sie mit kaltem Muthe morden, das andere Mal sich vor ihr niederwerfen und den Staub von ihrem Wege küssen mögen. Es war, als er damals den entsetzlichen Handel mit Antonien abschloß, nicht seine Absicht gewesen, Münzer zu verderben; er hatte wirklich den Preis seiner bösen Lust bezahlen wollen; aber der Haß, den ihm sein Opfer gezeigt, der quälende Gedanke, daß in den Reizen, die ihm selbst im Genuß mißgönnt waren, der Nebenbuhler geschwelgt habe und wieder schwelgen werde, hatten ihm am folgenden Tage zum wortbrüchigen Verräther gemacht. Er hatte seitdem keinen ruhigen Augenblick gehabt; es war, als ob jene schlimme Stunde sein Blut vergiftet habe; sobald er die Augen schloß, sah er das von Zorn, Schaam, Haß und Rachedurst verzerrte schöne Gesicht. Der kalte, freche Wollüstling, der in seinem Leben nie das mindeste Mitleid mit seinen Opfern gehabt hatte, fühlte sich in dem Bann einer abergläubischen Furcht, die er vergeblich wegzuspotten und wegzuschwelgen suchte.

Antonie war noch ein paar Augenblicke in der Nische stehen geblieben, und hatte dem Obrist mit dem Blick eines Dämons, der tödten muß und tödten will, nachgesehen. »Er oder ich,« murmelte sie, »oder wir Beide.«

Die Stunde der Rache war gekommen; sobald sie Münzer befreit und in die Arme seiner Gattin zurückgeführt hatte, sollte es geschehen. Das hatte sie sich mit fürchterlichen Eiden tausendmal geschworen. Ob sie selbst dabei zu Grunde gehen würde – sie dachte kaum daran, und wenn sie daran dachte, war es ihr gleichgiltig. Was war ihr das Leben? ein Leben unter dem entsetzlichen Druck einer Erinnerung, die, mit Geduld ertragen, sie in ihren eigenen Augen zur Dirne, oder wenn sie dieselbe fortwühlen und fortbrennen ließ, zur Furie machte. – »Er oder ich, oder wir Beide!« Das war der eintönige Gesang, den ihr jede Stunde krächzte, das war die Melodie, nach der sie den Dolch geschliffen hatte, den sie seit jenem Tage beständig am Busen unter ihren Kleidern verborgen trug. Sie wußte, daß der Obrist sterben werde, selbst in dem Falle, daß ihr Racheplan mißglücken sollte. Cajus hatte ihr mit finsterm Lächeln gesagt, daß er wegen einer alten Schuld, die nur mit Blut bezahlt werden könne, abzurechnen habe mit dem Obrist; sie hatte jetzt nur die eine Furcht, daß Cajus ihr zuvor kommen könne, sie um die Wollust vollbrachter Rache betrügen könne. Jetzt zürnte sie sich, daß sie abermals nicht vermocht hatte, dem Feinde Verzeihung zu heucheln. War das doch der erste Schritt zum Ziel! sie hatte nicht gedacht, daß dieser erste Schritt so furchtbar schwer sei! aber bei dem Anblick jenes Mannes war es, als ob der Wahnsinn sie packe. Sie drückte die Hände gegen die klopfenden Schläfen, raffte sich dann mit einem gewaltsamen Entschluß empor und trat dem Lieutenant von Todwitz entgegen, der seine schöne Tänzerin voller Verzweiflung überall in dem Saale suchte. Sie hatte ihm einen Contretanz versprochen, und nun schmetterte die Musik bereits von der Gallerie herab, die Paare waren sämmtlich schon angetreten; er war so stolz im Vorgeschmack eines Glückes gewesen, das seinem jungen Rufe die Krone aufsetzen mußte – sein Entzücken, Antonien endlich gefunden zu haben, war grenzenlos.

Dieser Contretanz – es sollte der letzte Tanz vor dem Souper sein – vereinigte alle Schönheiten des Abends. Camilla, die von ihrem Gemahl geführt wurde, schien in Anbetracht, daß der Prinz selbst ihr vis-à-vis war, ein Unglück, welches sie unter andern Umständen sehr schmerzlich berührt haben würde, ziemlich leicht zu nehmen. Sie schwebte dem Prinzen mit dem huldvollsten Lächeln entgegen und hatte für die Unterhaltung ihres Gemahls offenbar kein Ohr. Der Geheimrath war außer sich. Die Verachtung, mit der ihn seine junge Gemahlin behandelte, war so offenbar, daß er den Leuten dankbar sein mußte, wenn sie ihm nicht geradezu in's Gesicht lachten. Sein Herz schwoll von Bosheit und Eifersucht über; er haßte dieses junge Geschöpf, dessen Besitz er sich als die höchste Wollust ausgemalt hatte, und das ihn nun geflissentlich zu einem alten Gecken machte. Aber sie sollte es empfinden; sie sollte ihn nicht ungestraft verhöhnen.

»Wir fahren nach dem Tanz, Camilla;« zischelte er.

»Was?«

»Wir fahren nach dem Tanz, sofort.«

»Albernes Zeug; der Prinz hat schon gesagt, daß er beim Souper neben mir sitzen wolle.«

» Les cavaliers seul!«

Der Prinz avancirte, sich graziös in den Hüften wiegend, geziert nachlässigen Schrittes, Camilla fortwährend mit verliebtem Lächeln anblickend. Schnepper nagte vor Wuth an den dünnen blassen Lippen. »Bei meiner Seelen Seligkeit,« murmelte er, »wir fahren nach dem Tanz und sollte ich Dich bei den Haaren in den Wagen ziehen.«

Camilla wurde blaß; mit dem ihr eigenen Scharfblick sah sie, daß Schnepper an der Grenze seiner Geduld angekommen, daß er für heute seinen Willen durchsetzen werde, und daß ihre Ehe von diesem Augenblick an ein Kampf auf Tod und Leben sei.

»Du sollst es bereuen!« murmelte sie.

»Wollen sehen, wer es am längsten aushält;« erwiderte Herr von Schnepper mit dem Zähnefletschen eines boshaften Affen.

Zu derselben Zeit tanzte Willamowsky, der die schöne Georgine von Hinkel führte, einen bösen Tanz. Georgine hatte, bevor sie sich mit Herrn von Brinkmann verlobte, mit Kettenberg in einem Verhältniß gestanden, das der frechen Sinnlichkeit dieser jungen Dame und der grenzenlosen Liederlichkeit des Künstlers entsprach. Sie wußte recht wohl, daß Kettenberg ihr keine rigorose Treue bewahrte (eben so wenig, wie sie ihm); ja, dies sonderbare Paar hatte die Gewohnheit, sich gegenseitig die Erfahrungen, welche sie auf ihren dunklen Wegen machten, mit cynischer Offenheit mitzutheilen. So kannte Georgine Aurelien's Liebe zu Kettenberg sehr gut, um so besser, als Aurelie selbst die Tugend der Verschwiegenheit (auch in ihren eigenen Angelegenheiten) in einem äußerst geringen Grad besaß. Georgine gönnte Aurelien (die von jeher ihre Nebenbuhlerin gewesen war) die immerhin noch glänzende Partie mit dem Baron keineswegs; sie wußte, daß nur Aurelie zwischen ihr und der Erfüllung ihres Wunsches: Baroneß von Willamowsky zu werden, gestanden hatte, und haßte demzufolge Aurelien mit einem Haß, der darum nicht weniger gründlich war, weil er sich unter der Maske hingebender Freundschaft sorgfältig versteckte. Aber hassen und dem gehaßten Gegenstande so viel als möglich schaden, waren für Georgine von Hinkel identische Dinge, und so war sie denn von Anfang an unablässig bemüht gewesen, in das gutmüthige Herz des friedliebenden Roué Tropfen um Tropfen das Gift der Eifersucht zu träufeln. Und heute hatte sie nun so reiche Gelegenheit gehabt! Kettenberg war in seinem Bestreben, den Harmlosen in seinem Sinne zu spielen, mehr als gewöhnlich unvorsichtig in seinem Betragen gegen Aurelie gewesen, und Aurelie hatte, ganz verloren in ihrer Liebe und der Erinnerung von heute morgen, jede Rücksicht bei Seite gesetzt.

»Sehen Sie doch, wie sie ihm fortwährend mit den Augen folgt,« sagte Georgine, »Sie müssen sich mit ihm schießen, Willamowsky; bei Gott, das müssen Sie!«

»O, mein Himmel! und ich liebe sie so!« seufzte der arme Baron aus der Tiefe seines Herzens.

»Umsomehr müssen Sie es!« flüsterte Georgine.

»Und das an meinem Hochzeitstage!«

Das Fräulein lächelte ironisch. »Kettenberg ist bereits drei Tag hier; das war ein wenig unvorsichtig von Ihnen, lieber Willamowsky, wenn Sie Ihr Glück aus der ersten Hand haben wollten.«

Der arme Gefolterte stöhnte. »Verzeihen Sie,« sagte er, »aber ich kann nicht mehr; mir schwimmt Alles vor den Augen.«

Er schwankte aus der Reihe der Tanzenden nach einem Divan. Eine Aufregung entstand an diesem Punkte des Saales. »Er ist ohnmächtig; – die große Hitze; – wo ist denn die junge Frau? –«

Aurelie kam herbeigeeilt; der Baron brach in Thränen aus, als sie sich über ihn beugte.

»Bist Du toll, Stillfried?« flüsterte die Erschrockene; »um Himmelswillen, alles Andre, nur keine Scene!«

Da bot sich den Gästen, die, zum Theil voller Erstaunen, zum Theil mit kaum verhehlter Schadenfreude, diesen eigenthümlichen Vorgang beobachteten, ein anderes Schauspiel, das allerdings nur eine Erklärung zuließ.

Aus einem der Seitenzimmer, in welchem eine große Anzahl besonders jüngerer Officiere schon seit dem Beginn des Balles fast ununterbrochen der Flasche zugesprochen hatten, kam Kuno, bis zur Sinnlosigkeit betrunken, mit aufgeknöpfter Uniform, taumelnd, lallend, gefolgt von seinem Bruder Odo, der, obgleich augenscheinlich ebenfalls berauscht, doch noch versuchte, den Bruder zurückzuhalten.

»Laß mich in drei Teufels Namen,« schrie Kuno; »ich will mein schönes Cousinchen küssen, will ich; und wenn der lederne Kerl von Schnepper, oder der Pri – Prinz« –

Einige Officiere, die in der Nähe standen, sprangen auf den Lärmenden zu, ihn wieder aus dem Saal zu führen; aber Kuno riß sich los und taumelte bis mitten zwischen die Partie, in welcher Camilla bleich und düstern Auges neben ihrem Gemahl stand und die Augen nicht mehr zu dem erstaunten Prinzen aufzuschlagen wagte.

Der Prinz sah den Trunkenen zusammenbrechen und trat schnell aus der Reihe zurück. Alles kam aus der Ordnung; man eilte davon, oder drängte sich herzu und plötzlich hörte man von dem Haupteingange des Saales her: Mord, Mörder! – Wer? was? – Ich weiß es nicht – die alte Excellenz – unmöglich – entsetzlich – so rief und raunte und flüsterte und schrie Alles durcheinander, sich in dichtem Schwarm nach der Thür wälzend. Frauen wurden ohnmächtig – die Verwirrung hatte den höchsten Grad erreicht – dazu schmetterten die Trompeten und quinquilirten die Hoboen, bis um einem Schlage die Musik verstummte und die plötzliche Stille das Entsetzen noch vergrößerte.

Unterdessen hatten Antonien Angst und Ungeduld aus dem heißen Saal auf den kühleren Corridor getrieben. Die Stunde, in welcher Cajus und Rüchel in ihrem Wagen die in dem Thurm Versteckten abholen sollten, war gekommen, und die Minuten wurden ihr zu Ewigkeiten. Da dringt das Mordgeschrei die Treppe herauf. Eine böse Ahnung sagt ihr, daß dieser Zwischenfall unheilbringend für Münzer's Flucht werden könne. Ihre Ahnung hat sie nicht betrogen. Kaum ist sie, dem Geheul der Weiber und dem Rufen der Männer die Treppe hinab, die Corridore entlang folgend, bis vor die Thür des Ermordeten gekommen, als sie die Worte vernimmt: Ich habe sie laufen sehen – nach dem Dorf zu – man muß ihnen nachsetzen. –

Ihr Entschluß ist gefaßt, wenn man die Eingebung des Augenblicks, die mit der Gewalt einer Naturkraft wirkt, einen Entschluß nennen kann. Wie sie da ist, eilt sie den Corridor zu Ende in den Gartensaal, aus dem Gartensaal an den sich ängstlich durcheinanderdrängenden Dorfleuten vorüber in den Park. Sie kennt von früheren häufigen Besuchen die Oertlichkeit genau; sie weiß, daß am Ende des Parks eine Pforte durch die Mauer auf einen Fußpfad führt, auf dem man in wenigen Minuten die Stelle, wo in diesem Augenblicke der Wagen halten muß, erreichen kann. Die Angst beflügelt ihren Fuß, aber betäubt ihre sonst so scharfen Sinne; sie hört nicht, daß ihr in einiger Entfernung Jemand folgt, der sich, wo es angeht, an die Hecken drückt und hinter den Bäumen wegschleicht, aber immer Schritt mit ihr hält, getrieben, wie er ist, von Eifersucht und einer dämonischen Gewalt, die ihn wie mit Zauberbanden an die Fersen des schönen Weibes fesselt. Sie erreicht die Pforte; sie eilt auf dem schmalen Rain unter den Kastanien an dem tiefen Graben hin, in welchem das Wasser hier und da leise gurgelt. Sie eilt schneller und immer schneller, denn sie sieht bereits den Wagen halten. Sie wagt nicht zu rufen, aus Furcht, man könne ihren Ruf mißdeuten und irgend eine Unbesonnenheit begehen. Plötzlich, wie sie das Ende der Kastanien fast erreicht hat, tritt ihr eine Gestalt entgegen, die sich von dem Schatten des Baumes loslöst. Es ist Münzer selbst, der ihr weißes Kleid von ferne hat schimmern sehen, und den Moment benutzend, wo die Andern mit den Wagen beschäftigt sind, der auf dem steinigen Wege in der Dunkelheit Schaden gelitten hat, ihr entgegen geeilt ist. Sie wirft sich zitternd vor Aufregung an seine Brust; sie will sagen: fliehe! aber die Kehle ist ihr wie zugeschnürt; sie kann nichts, als ihn von sich drängen. Er nimmt in Worten, die sie kaum vernimmt, Abschied von ihr; er schwört ihr, daß er ihrem Wunsche Folge leisten wolle, daß aber keine Macht des Himmels und der Erde, keine heiligste Pflicht ihn verhindern könne, sie zu lieben. Sie drängt ihn mit immer größerer Angst von sich und hat sich endlich so weit erholt: Flieh', Bernhard, flieh'! stammeln zu können.

In diesem Moment springt der Mann, der ihr vom Parke her gefolgt ist, aus den Bäumen hervor, und rennt seinen Degen Münzer unter dem Arm in die Brust. Lautlos stürzt Münzer zusammen. Antonie erkennt den Obristen, mit der Schnelligkeit des Gedankens hat sie den scharfen Stahl, den sie am Busen verborgen trägt, ergriffen und schwingt ihn gegen die Brust ihres Todfeindes, der verwundet, aber nicht tödtlich getroffen zurücktaumelt. Er stößt einen grimmigen Fluch aus und wendet sich, mit dem Griff seines Degens, – die Klinge ist bei dem wüthenden Stoß abgebrochen – zum Schlage ausholend, gegen sie. Aber bevor der Arm des Rasenden fällt, packen ihn ein paar Hände, gegen deren Kraft die seine hülflos ist, an der Kehle, reißen ihn mit einem furchtbaren Ruck zu Boden und schleifen ihn nach dem Graben.

Antonie hat sich über den Körper Münzer's geworfen; sie sieht und hört Nichts von dem Entsetzlichen, das in ihrer unmittelbaren Nähe geschieht; sie sieht Nichts, als das Antlitz des Geliebten, das ihr mit Todesblässe bedeckt scheint; sie hört Nichts als sein Röcheln, das immer leiser und leiser wird.

Wolfgang, der gleich hinter Cajus auf dem Orte des Schreckens angekommen ist, versucht Münzer in die Höhe zu heben; ein Blutstrom entstürzt seinem Munde; sein Kopf sinkt matt auf die Seite; doch richtet er sich noch einmal auf und murmelt: »Zu ihr, bringt mich zu ihr.«

Cajus tritt wieder heran und heißt Wolfgang, den Oberkörper höher halten. Seine Stimme ist vielleicht um einen Schatten rauher und dumpfer wie gewöhnlich; sonst ist keine Veränderung an ihm; man sieht nicht, ob das, was er sich mit seinem Tuch von den Händen wischt, Blut oder Wasser ist. Sie heben den Verwundeten in den Wagen; Antonie und Wolfgang setzen sich zu ihm; Cajus schwingt sich zu Rüchel auf den Bock, ergreift die Zügel und peitscht auf die Pferde. Der Wagen schwankt den steinigen Abhang hinab; dann geht es über die Felder in einem Bogen um das Dorf herum, zuletzt auf der Uferstraße in gestrecktem Galopp nach Rheineck, an Rheineck vorüber weiter bis nach Kirchheim auf den Pfarrhof, dessen Thor schon geöffnet ist und alsbald von Ambrosius selbst, dem seine Nichte im letzten Augenblick in das Geheimniß gezogen hat, geschlossen wird.

Clärchen stürzt an den Wagen; aber Wolfgang kommt ihr zuvor; er sagt ihr, was nicht zu verheimlichen ist. Clärchen stößt einen dumpfen Weheschrei aus und taumelt zurück. Dann rafft sie sich wieder auf und faßt die Hand ihres Gatten, der eben von den Männern aus dem Wagen gehoben, in das Haus, in die Stube getragen und auf des Pfarrers Studirsopha gelegt wird. Sie fällt an seiner Seite auf die Kniee und blickt thränenlosen Auges in das fahle Gesicht. Er hebt die todesmüden Lider noch einmal und versucht zu lächeln und im Lächeln erstarrt sein Gesicht; Clärchen sieht es; ein wimmerndes Stöhnen dringt herzerschütternd aus ihrer gequälten Brust; sie sinkt in einer halben Ohnmacht über den geliebten Todten. Antonie steht aufrecht zu Häupten des Sopha's; ihr schmerzverzerrtes Antlitz ist furchtbar anzuschauen. Als Wolfgang sich theilnehmend zu ihr wendet, sieht sie ihn mit öden, stieren Blicken an und murmelt: »Ich habe es gut machen wollen.«

Cajus, der hinausgegangen ist, tritt wieder herein und klopft Wolfgang und Rüchel auf die Schulter:

»Ich habe das Signal gehört; der Dampfer ist in zehn Minuten hier; wir brauchen zehn Minuten, um an das Ufer zu kommen; beeilt Euch. Ihr könnt hier doch Nichts mehr helfen.«



 << zurück weiter >>