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71.

D ie Befreiung Münzer's machte nicht blos in den Schichten, mit welchen Münzer durch seine politische Thätigkeit vorzugsweise in Verbindung gestanden hatte, sondern auch in allen anderen Kreisen der Rheinfelder Gesellschaft ein ungemeines Aufsehen, – in den höchsten Kreisen vielleicht das allergrößeste. Münzer's Verhältniß zu Frau von Hohenstein war seiner Zeit eines der beliebtesten Salonthemata gewesen; das »malerische Intermezzo«, wie Herr von Wyse Antonien's Intrigue mit Kettenberg genannt hatte, war sehr belacht worden; man hatte es durchaus im Geschmack Antonien's gefunden. Während man die Beiden in Italien glaubte, waren dann plötzlich durch Briefe von Officieren aus der Campagne Nachrichten nach Rheinstadt gelangt, die so abenteuerlich lauteten, daß man sie lange Zeit für ein schlechtausgedachtes Märchen hielt, bis Antonien's Ankunft in Rheinstadt, die mit der des gefangenen Münzer zusammenfiel, das Unglaubliche bestätigte, und die nach und nach heimkehrenden Officiere die Wundermähr in allen ihren Einzelnheiten von Salon zu Salon trugen. Der unglückliche von Todwitz, der mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Antonie im Nebelgeriesel am Waldessaum inmitten des hartnäckigsten Gefechtes den Kopf des Verwundeten auf ihrem Schooße hielt, war der Held des Tages. Wo er sich blicken ließ, tönte ihm (besonders von weiblichen Lippen) entgegen: »Ach, das ist er! Lieber Herr von Todwitz, ist es denn wirklich wahr! Bitte, bitte, erzählen Sie die romantische Geschichte!« – Auch der Obrist von Hohenstein, welcher der Zweite auf dem Plane gewesen war, wurde im Anfang mit Fragen bestürmt; aber man wagte sich bald nicht mehr an ihn, nachdem er die Neugier selbst sehr vornehmer Damen (Gräfin von Hinkel, Gräfin von Schnabelsdorf und anderer) mit schroffer kalter Schweigsamkeit zurückgewiesen hatte. Du lieber Himmel! es war ja am Ende auch so natürlich, daß ihm daran liegen mußte, die heillose Affaire so viel als möglich todt zu schweigen und dem Rufe seiner Schwägerin (an dem freilich nicht viel zu verderben war) ohne Noth nicht noch mehr zu schaden! Man fand im Allgemeinen ein solches Benehmen sehr edel, obgleich eine derartige Großmuth gerade von Seiten des Obristen, der in letzter Zeit sehr schlecht auf Antonien zu sprechen gewesen war, kaum begreiflich schien. Ueberhaupt war in dieser wunderlichen Sache sehr Vieles kaum begreiflich, vor Allem aber das Auftreten Antonien's. Ohne ihre Sympathie für Münzer in Abrede zu stellen, that sie doch nichts, diesem Gefühl irgendwie Rechnung zu tragen. Sie machte keinen Versuch, zu dem Gefangenen Zutritt zu erhalten; ja sie betheiligte sich nicht einmal (was allgemein auffiel) bei einer Petition, die von einer großen Anzahl von Einwohnern Rheinstadt's aus allen Ständen an den Monarchen um Begnadigung Münzer's gerichtet wurde. Dagegen mischte sie sich in das gesellschaftliche Leben ihres Kreises, als wäre in der Welt nichts vorgefallen, was ihr die Gesellschaft hätte verleiden können. Die Einen bewunderten ihren Muth, die Andern erklärten, daß sie eine Kokette ohne eine Spur von Herz, Andere wieder, daß sie die vollendetste Schauspielerin der Welt sei. Sie schien sich um das Urtheil weder des Einen, noch des Andern zu kümmern. Sie bezauberte wie zuvor durch ihre Schönheit, durch ihren Geist, und nachdem sie einige glänzende Feste gegeben hatte, war in diesem Kreise von der Gräfin Hinkel bis zur ärmsten adligen alten Jungfer keine Dame, die sich geweigert hätte, mit Frau von Hohenstein umzugehen. »Sie ist eben ein besonderes Wesen; man muß ihr ihre Extravaganzen verzeihen. Die Hohenstein's haben ja von jeher das Privilegium gehabt, den Stoff zur Unterhaltung herzugeben.«

Und »die von Hohenstein« hatten wahrlich in letzter Zeit von diesem eigenthümlichen Vorrecht den ausgedehntesten Gebrauch gemacht! Des Generals monatelange Untersuchungshaft, des Stadtraths schreckliches Ende, Wolfgang's Flucht und hochverrätherische Betheiligung an der Revolution, und nun die zahllosen Geschichten, die aus den Räumen des Präsidialgebäudes ihren Weg in's Publikum fanden! Es sollte bereits zwischen Camilla und ihrem Verlobten, dem Geheimrath von Schnepper, zu entsetzlichen Scenen gekommen sein; auch der Himmel Willamowsky's sollte sich sehr getrübt haben, als plötzlich wider alles Erwarten der Maler Kettenberg – ausgelassen, übermüthig, toll und unwiderstehlich, wie immer – aus Oberitalien, oder der Himmel weiß woher – nach Rheinstadt zurückkam, und – gerade wie Antonie von Hohenstein, das heißt: als wäre nichts vorgefallen – seinen alten Platz eines Maître de plaisirs in der hochadligen Gesellschaft wieder einnahm. Ja, man trug sich sogar mit dem Gerücht: sowohl Camilla's Verlobung mit dem Geheimrath, als auch Aurelien's mit Willamowsky seien rückgängig gemacht. Dies letztere Gerücht schien sich nun allerdings nicht bewahrheiten zu wollen, zum wenigsten waren die ausgegebenen Einladungskarten nicht wieder zurückgefordert worden. Die beiden Hochzeiten sollten zu gleicher Zeit auf Rheinfelden gefeiert werden. Man erzählte sich unglaubliche Dinge von den glänzenden Vorbereitungen, die für dies Doppelfest auf dem Schlosse getroffen waren: Diner von zweihundert Couverts, Abends grand bal und prachtvolle Illumination des Parkes – und das Alles sollte nicht zu Stande kommen, jetzt, nachdem man die Einladungskarten fast schon acht Tage in der Tasche hatte! Unmöglich! wo möglich noch unmöglicher, als daß man Münzer's nicht wieder habhaft werden sollte. An den Officiertischen wurden diese beiden großen Tagesfragen mit unermüdlicher Ausdauer besprochen, und die zahllosen Wetten, die dabei von krähenden Stimmen proponirt und von anderen krähenden Stimmen acceptirt wurden, bekundeten den Eifer der Parteien. Auch die Frage: ob Antonie von Hohenstein auf Rheinfelden erscheinen werde, galt keineswegs für ausgemacht. Es war notorisch, daß gleich nach dem Bekanntwerden von Münzer's Befreiung sowohl in ihrem Hotel in der Stadt, als auch in ihrer Villa vor dem Thore, und etwas später auf ihrem Gute Haussuchungen Statt gefunden hatten, die allerdings vollkommen resultatlos blieben, aber doch bewiesen, daß die Behörden ihr die Patronisirung Clärchen's während der Schwurgerichtssitzungen nicht vergeben, und sich auch sonst wohl ihre eigne Meinung über die geheime Wirksamkeit der schönen Frau gebildet hatten. Sich zu compromittiren und hernach der Medisance Trotz zu bieten, war indessen so im Charakter Antonien's, daß Diejenigen, welche auf ihr Erscheinen auf dem Balle wetteten, trotzdem einige Chancen mehr als ihre Gegner zu haben schienen.



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